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Inhalt:

Jahrbücher

des

Vereins für meklenburgische Geschichte
und Alterthumskunde,

aus

den Arbeiten des Vereins

herausgegeben

von

Dr. G. C. Friedrich Lisch,

großherzoglich meklenburgischem Geheimen Archiv=Rath,
Conservator der geschichtlichen Kunstdenkmäler des Landes,
 Direktor der großherzoglichen Alterthümer= und Münzen=Sammlungen zu Schwerin,
Commandeur des königl. dänischen Dannebrog= und des königl. preußischen Kronen=Ordens, Ritter des Rothen Adler=, des Nordstern und des Oldenburg. Verdienst=Ordens 3 Cl., Inhaber der großherzogl. meklenb. goldenen Verdienst=Medaille und der königl. hannoverschen goldenen Ehren=Medaille für Wissenschaft und Kunst am Bande, der Kaiserlich österreichischen und der großen kaiserlich russischen goldenen Verdienst=Medaille für Wissenschaft,
wirklichem Mitgliede der königlichen Gesellschaft für nordische Alterthumskunde zu Kopenhagen und der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Stockholm, correspondirendem Mitgliede der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, der kaiserl. archäologischen Gesellschaft zu St. Petersburg,
der antiquar. Gesellschaft zu Abbeville und der Oberlausitz. Gesellschaft der Wissensch. zu Görlitz,
wirklichem Mitgliede der archäologischen Gesellschaft zu Moskau,
Ehrenmitgliede der anthropologischen Gesellschaft zu Berlin,
der geschichts= und alterthumsforschenden Gesellschaften zu Dresden, Mainz, Hohenleuben, Meiningen, Würzburg, Königsberg, Lüneburg, Emden, Luxemburg, Christiania, Zürich, Stettin und Greifswald,
correspondirendem Mitgliede
der geschichts= und alterthumsforschenden Gesellschaften zu Lübeck, Hamburg, Kiel, Hannover, Leipzig, Halle, Jena, Berlin, Salzwedel, Breslau, Cassel, Regensburg, Kopenhagen, Graz, Reval, Riga, Leyden, Antwerpen, Stockholm und des hansischen Geschichtsvereins,
als
erstem Secretair des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Zweiundvierzigster Jahrgang.


Mit 2 Steindrucktafeln.

Mit angehängten Quartalberichten.
Auf Kosten des Vereins.
Vignette

In Commission in der Stillerschen Hofbuchhandlung.

Schwerin, 1877.

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Gedruckt in der Hofbuchdruckerei von Dr. F. Bärensprung.
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Inhaltsanzeige.


A. Jahrbücher für Geschichte.

Seite
I. Die Frau Fineke, von dem Dr. Crull zu Wismar 3
II. Begräbnißkosten in alter Zeit, von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch zu Schwerin 26
III. Schwerin bis zum Uebergang der Grafschaft Schwerin an das Haus Meklenburg, von dem Ministerial=Registrator F. W. Lisch zu Schwerin 33
Mit zwei Steindrucktafeln

B. Jahrbücher für Alterthumskunde.

I. Zur Alterthumskunde im engern Sinne. 131
1) Vorchristliche Zeit.
a. Steinzeit 131
b. Bronzezeit 136
c. Eisenzeit 139
d. Alterthümer anderer europäischer Völker 141
Riesenurne von Ladowitz in Böhmen 141
2) Christliches Mittelalter und neuere Zeit 145
Kachelform von Wismar 146
II. Zur Baukunde.
Christliches Mittelalter. 158
Kirchliche Bauwerke 153
Ueber den Capitelsaal des Klosters Rehna, von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch 153
Zur Baugeschichte des Schweriner Domes, von demselben 157
Die Kirche zuTeterow, von demselben 161
Glockengießer, Urkunde, von dem Archivar Dr. Wehrmann zu Lübeck 180
III. Zur Münzkunde 190
Münzfund von Wismar, von dem Advocaten Briesemann zu Wismar 190

 


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A.

Jahrbücher

für

Geschichte.

 


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I.

Die Frau Fineke.

Von

Dr. Crull

zu Wismar.


Das Behr'sche Gut Grese, eine Stunde südöstlich von Wismar, ist überaus anmuthig am Eingange eines Grundes gelegen. Anhöhen, welche theilweise mit Holz bestanden sind, begrenzen letzteren im Norden und schließen auch den fernen Hintergrund, während südwärts das Gelände allmählig ansteigt. Ein von Levetzow herabkommender Bach, der weiter abwärts, dort, wo er die Feldmark der Stadt Wismar erreicht, in zwei Arme sich spaltet, - der südliche ist jetzt freilich verödet -, um in den Wismar'schen Mühlenteich sich zu ergießen, durchfließt den Grund und trieb ehedem dicht vor dem Hofe eine Mühle, die man jedoch vor etwa hundert Jahren gelegt hat. Ihr Teich umgab bis so lange den Hügel, auf welchem der Hof liegt, nunmehr aber nehmen seine Stelle üppige Wiesen ein, inmitten derer die unregelmäßig, wie das Terrain es mit sich brachte, errichteten Baulichkeiten, umgeben von prächtigen alten Bäumen, einen reizenden Anblick darbieten. Der Teich diente aber ehemals nicht allein dem Betriebe der Mühle, sondern vermuthlich noch früher und vorzugsweise zur Sicherung des Hauses und seines Hofes, eine Befestigung, welche schon 1425 bestand, da bereits in diesem Jahre der Mühle Erwähnung geschieht. Es ist daher fraglich, wofür man eine zweite Befestigung anzusehen hat, deren Reste sich aufwärts am Bache zu Ende des heutigen Gartens finden und in einer theilweise noch von einem Graben umgebenen, nicht ganz kreisrunden,

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flachen Erhebung von ungefähr 180 Fuß Durchmesser bestehen, in deren Boden der Spaten sofort auf Mauerwerk stößt. Möglicherweise befand sich an dieser Stelle eine Art Außenwerk, doch spricht gegen diese Annahme allerdings, daß die Communication mit demselben bei aufgestautem Wasser schwierig wurde und die Entfernung vom Eingange der Burg nicht unerheblich ist, nämlich ungefähr 112 Schritte. Eigentliche Baulichkeiten aus dem Mittelalter haben sich zum Grese aber freilich nicht erhalten, doch gehört ein Theil des jetzigen Wohnhauses und zwar die nordwestliche Ecke desselben mindestens einer Zeit an, aus welcher in Meklenburg nicht eben viele ländliche Bauten übrig sind. Es besteht diese Partie in einem Hochparterre, welches zwei nach Norden sehende Gemächer enthält, deren vorderes bei einer Tiefe von 22 Fuß Rh. eine Breite von 16 Fuß, das hintere und äußere aber eine Tiefe von 25 Fuß bei 10 Fuß Breite hat. Jedes derselben ist von zwei Kreuzgewölben überspannt, die sich auf knollenartig gebildete Kragsteine stützen und Rippen von traubenförmigem Profile und rechteckige glatte Schlußsteine haben. Das Aeußere anlangend, so sind die westliche, die Giebelseite, sowie die Längsfacade durch je drei ohne Sockel unmittelbar vom Boden sich erhebende Lissenen in je zwei Compartimente getheilt, die an der Giebelseite wenig breiter sind, als jene Wandstreifen selbst. Letztere verbinden sich durch einen Zahnfries, über dem sich der durchaus glatte Giebel erhebt. Die Fensteröffnungen scheinen mit flachen Stichbogen überwölbt, die Fensterluchten selbst mit der Mauerfläche bündig gewesen zu sein. Demnach gehört der Bau also jedenfalls dem sechzehnten Jahrhundert an und vermuthlich dem dritten Viertel desselben.

Es wäre wunderbar, wenn ein so alterthümliches und romantisch gelegenes Haus, welches mindestens schon neun Generationen diente, keiner Sage sich rühmen könnte, keinen unruhigen Geist beherbergen sollte, und in der That heißt es denn auch, daß eine frühere Besitzerin, eine Frau Fineke in demselben umgehe. Der hoffährtigen Frau, so erzählt man, ward verboten, in ihrem besten Kleide auf eine fürstliche Hochzeit zu kommen. Erbost, daß ihr dadurch die Gelegenheit entging, vor aller Welt ihren vollen Glanz zu entwickeln, dachte sie darauf, diesen Wunsch trotzdem zu verwirklichen, wenn schon erst später, erst nach ihrem Tode, auf dem Paradebette, und befahl, um sich eine Vorstellung zu machen, wie sie sich ausnehmen würde, ein solches herzurichten, legte sich im höchsten Staate auf dasselbe und bewunderte

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in einem Spiegel ihre glänzende Erscheinung. Da aber kam der Tod und machte Ernst aus dem frevelhaften Spiele. Ruhelos irrt nun die unvorbereitet Geschiedene nächtlich im Hause umher. Also die Sage.

Als früheste Besitzer des Hofes Grese oder, wie man vormals sagte, to deme Goredze, d. h. zum kleinen Berge, Hügel, Bühel, kennt man die Pren. Werden sie als solche dort im Jahre 1306 zuerst genannt, so ist wahrscheinlich der Besitz derselben doch schon sehr viel früher und allermindestens vor 1279 zu datiren, da sie in diesem Jahre das angrenzende Dorf Dargetzow an die Stadt Wismar verkauften. Auch noch hundert Jahre später, 1379, saßen Prens, vier Gebrüder, zum Grese, aber von vor 1420 bis 1469 war im Besitze des Gutes die öfter besprochene Familie von Bützow - nicht die mit den von Zepelin stammverwandte -, aus welcher ein Martin dasselbe mit einer Erbtochter, wie es scheint, Anna Pren, verheirathet hatte. Sicher von 1476 ab finden wir dann wieder einen Pren, Vollert, im Besitze. Dieser hat 1506 oder 1507 an Klaus von der Lühe veräußert, der in letztgedachtem Jahre, sowie noch im Januar 1509 als zum Grese gesessen bezeichnet wird, und von dem wiederum Jürgen Fineke das Gut erworben hat. 1 )

Jürgen Fineke wird ein Sohn Günthers zu Karow in der Vogtei Güstrow gewesen sein. Er erscheint zuerst 1490 als Nachfolger der von Axekow zum Gnemer, dann aber erst wieder im Jahre 1500 und zwar unter dem Hofgesinde, welches zur Hochzeit der Herzogin Sophia mit dem nachmaligen Kurfürsten Johann dem Beständigen zu Sachsen nach Torgau befohlen wurde. Hernach findet er sich im beweglichen Gefolge auf dem glanzvollen Turniere zu Neu=Ruppin am 23. Februar 1512 und zwar als Theilnehmer am ritterlichen Spiele und wiederum als solcher am 5. Juli desselben Jahres während der Hochzeit der Herzogin Katharina mit Heinrich zu Sachsen=Freiberg. Auch stach er mit auf dem Turniere zu Wismar im Juni 1513, welches zur Feier der Vermählung des Herzogs Heinrich mit Helena von


1) Man wird die Pren schon 1246 zum Grese vermuthen dürfen, da sie in diesem Jahre als Burgmänner zu Meklenburg genannt werden. M. U. B. 575. S. ferner ebd. 1505, 2906 und 3400. Die übrigen Daten ergeben sich aus dem Wismar'schen Zeugebuche ad ann. fol. 186, und verschiedenen Urkunden des Wismar'schen Archivs, und in Betreff der Besitzverhältnisse im Anfange des 16. Säculums vgl. Klüver, Beschreib. I, S. 107; Lisch, Geschl. v. Maltzan, Nr. 795; Lisch, Geschl. v. Oertzen, Nr. 340; - Wegen der von Bützow s. Jahrb. III, S. 162 und XX, S. 362.
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der Pfalz veranstaltet wurde, sowie endlich bei dem, welches man ebendort am 6. September desselben Jahres abhielt. 2 ) Auf der Wismar'schen Hochzeit war Jürgen Fineke mit seiner Hausfrau, und da die Liste der Geladenen keinen zweiten Fineke, geschweige denn ein zweites Ehepaar aus diesem Geschlechte aufführt, so leidet es keinen Zweifel, daß Jürgens Frau gemeint ist, wenn Reimar Kock, der aus Wismar gebürtige Lübische Chronist, bei seiner Beschreibung der Festlichkeiten, welche durch das fürstliche Beilager 1513 veranlaßt wurden, von dem unerhörten Aufwande spricht, den eine Frau Fineke oder, wie er sich für unsere Gewohnheiten sehr despectirlich, aber der Sitte unserer Vorfahren gemäß ausdrückt, Finekesche bei jener Gelegenheit gemacht habe. Kock erzählt: "Die Edelfrauen aus dem Lande Meklenburg hatten sich mit Schmuck und Kleidern herrlich angethan. Unter ihnen befand sich eine Frau Fineke. Dieser war die Weisung zugegangen, nicht ihr bestes, sondern nur das nächstbeste Kleid anzulegen, und doch konnte man nicht sagen, ob die fürstliche Braut eine prächtigere Figur machte oder die Finekesche. Es war das ein ausbündig hoffährtiges Weib, welches große Summen für ihren Putz ausgab, und ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen, daß sie bei der Trauung eines unbedeutenden Edelmanns in S. Jürgens Kirche (zu Wismar) einen Rock anhatte, der von Perlenstickerei so steif war, daß sie, als in der Stillmesse alle Frauen niederknieeten, in ihrem Rocke wie in einer Tonne stehen bleiben mußte."

Jürgen Finekes Hausfrau war Katharina von der Lühe, die jüngste Tochter des Ritters Heinrich von der Lühe zur Buschmühlen († 150 0/2) und dessen zweiter Gattin Beata aus dem Lande Holstein 3 ) einziges Kind. Ihre älteren Geschwister waren Anna, seit vor 1501 Wittwe eines Wedege


2) Vgl. Lisch, Geschl. v. Oertzen, Nr. 318. 348. 349. 350; Lisch, Geschl. v. Maltzan, Nr. 826. 827. Daß Jürgen Fineke schon 1490 Gnemern hatte, ergiebt ein Schreiben im Wismar'schen Archive. Vgl. das Inventarium unter K, 2.
3) Daß des Ritters Heinrich v. d. Lühe zweite Hausfrau eine Holsteinerin war, leidet nach Note 36 zum Inventarium keinen Zweifel, und es läßt sich vermuthen, daß sie eine v. Rogwisch war, deshalb, weil die Zahl der Erben dieses Namens besonders groß war, weil Johann v. Rogwisch der Frau Fineke eine vorzüglich hohe Summe entliehen hatte, weil er bezüglich der Bedingungen seiner Anleihe sehr begünstigt war, und weil die Mutter von Heinrich und Henning v. Bülow, des Ritters Joachim erste Frau eine v. Rogwisch war. S. v. Bülow, Geschl. v. Bülow, Tab. X. Vgl. auch das Inventar unter S. 16.
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von Buggenhagen, und Armgard, welche von 1497 bis 1519 Priorin zu Neukloster gewesen ist. Katharina hatte in erster Ehe Kord von Alvensleben, der auch an dem obenerwähnten Torgau'schen Turniere im Jahre 1500 theilnahm, hernach aber nicht wieder begegnet, und heirathete zum zweiten Male und zwar zwischen 1509 und 1513 Jürgen Fineke, wobei sie sich mit Genehmigung der Landesherren, Herzog Heinrich und Herzog Albrecht, gegenseitig zu Erben einsetzten und insbesondere Jürgen unter Zustimmung seiner Brüder und Heinrichs von Wangelin seiner Frau Grese zum Leibgedinge verschrieb. War Jürgen ohne Zweifel eine hervorragende Persönlichkeit am Hofe, wie man aus seiner Theilnahme an den oben gedachten Festlichkeiten und aus dem Umstande schließen kann, daß er auch herzoglicher Kammermeister gewesen ist, so war auch die Wittwe von Alvensleben eine, wie man zu sagen pflegt, große Partie. Herr Heinrich von der Lühe ist ein sehr reicher Mann gewesen. Das ergiebt sich nicht allein aus den Stiftungen von Marien=Zeiten zu U. L. Frauen und zum H. Geiste zu Wismar, zu denen er 1850, beziehentlich 720 Mr. Lübisch hergab und zu denen die vermuthlich gleichfalls begüterte Wittwe noch 750 Mr. hinzufügte, Summen, die nach damaligen Verhältnissen sehr beträchtlich waren, sondern auch aus dem Umfange des Besitzes, über welchen sich die Frau von Alvensleben nach dem Tode ihres Vaters unter Vermittelung des späteren Ritters Mathias von Oertzen und Siverts von Buchwald mit den Nachfolgern im Lehn, Kord und Otto von der Lühe, auseinandersetzte. Derselbe bestand aus der Buschmühlen, Spriehusen, Neu=Garz, der Gerwensmühlen, Mesekendorf, Alt=Karin, den beiden Simen, dem Altenhagen, Gerdshagen und Warnkenhagen, doch werden freilich bloß die drei oder vier ersten Güter reines Eigenthum gewesen sein, während an den übrigen vermuthlich nur Pfandrechte bestanden. Mit ihren Schwestern hat die Frau von Alvensleben offenbar schon vorher sich geeinigt und galt nunmehr als alleinige Erbtochter zur Buschmühlen. Ehrenrechte, wie das Patronat einer Vicarie zu Neubukow, 4 ) haben die Geschwister aber noch in Gemeinschaft behalten.

Ob die Fineke'schen Eheleute nach dem Sommer 1513 zur Buschmühlen ein zurückgezogenes Leben geführt haben,


4) Lisch, Geschl. v. Oertzen, Nr. 327. Von dieser Vicarie wird wohl das rothe Meßgewand des Inventariums, unter U, 24, stammen, so wie der Kelch sammt Patene, den die Frau Fineke der Kirche zu Jesendorf geschenkt hat. Inventarium, Note 37.
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oder ob sie noch wieder zu Hofe gegangen sind, können wir nicht sagen und nur vermuthen, daß sie sich zeitweilig zum Grese aufhielten, da sich sonst wohl kaum die Verbindung mit dem Wismar'schen Gardian, Nicolaus Finke, gemacht haben würde, der im Mai 1524 eine Summe Geldes der Frau Fineke zu treuen Händen übergab. Jürgen war am 6. November 1529 noch am Leben: später sind wir ihm nicht wieder begegnet. Als er todt war, traten seine Erben mit Forderungen an die kinderlose Wittwe heran, die sich theils auf Silberzeug bezogen, welches von Hardenack von Bibow (von Westenbrügge?) stammte, theils auf Jürgens Nachlaß überhaupt, theils aber auch auf das der Wittwe zum Leibgedinge verschriebene Gut, welches man ihr streitig machen wollte. Das Silber gab die Frau Fineke, wenn auch erst auf fürstliche Anordnung, her und kehrte die Legate aus, die ihr verstorbener Ehegatte in seinem Testamente ausgesetzt, aber den weiter gehenden Ansprüchen der Fineke, von Quitzow, von der Schulenburg und von Wangelin setzte sie einen energischen Widerstand entgegen und wehrte sich mit Rechtsgutachten, die sie von Ingolstadt, Tübingen, Leipzig und anderen Universitäten kommen ließ. Der Streit nahm indessen einen so bösen Charakter an, daß sie trotz erhaltenen fürstlichen Geleits vor Gewalt draußen auf dem Lande, wenn nicht Leib und Leben, so doch Hab und Gut und vielleicht ihre Freiheit gefährdet hielt und deswegen nach Wismar hineinzog, wo sie noch das Haus haben mochte, welches ihrer Mutter vormals zum Wittthume verschrieben worden war. Von hier aus fand sie dann unter Vermittelung Herzog Heinrichs die Verwandten ihres Eheherrn mit 4000 Fl. ab und machte damit dem weiteren Drangsaliren derselben ein Ende. Trotzdem ist sie aber nicht wieder hinausgezogen sondern hat vielmehr, wie der Anwalt der Stadt Wismar sagt, auch ferner alldort "mit ihrem Habe und Guttern gewonet und hauß gehalden, zu der Kirche und zu Marckte gangen, gekaufft und verkaufft, und sich aller anderen bürgerlichen Freyheiten, Nutzung und Gerechtigkeit gebraucht." Ein Sivert von Buchwald stand ihr als "Diener" zur Seite. 5 )

Frau Katharina Fineke starb 1540 oder 1541 und zwar ohne ein Testament errichtet zu haben. Als Erben


5) Diese Stellung Siverts v. Buchwald ist allerdings nur für 1536 vollkommen verbürgt, Wism. Zeugeb. ad ann. p. 367, doch leidet es wohl keinen Zweifel, daß im Inventar, unter Q, Bokwolt statt Bockholt zu lesen ist. Sivert starb in Wismar 1556. Mar. Geb. Reg. ad ann.
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meldeten sich Martin von Waldenfels, Parum von Plate und Chrysostomus von Maltzan, alle drei von wegen ihrer Frauen, der Vormund Heinrichs und Hennings von Bülow Kinder, Benedict und Hans Gebrüder von Pogwisch von Farve, Hans von Pogwisch zu Hamburg, Katharina von Pogwisch, Wittwe Friedrichs von Alefeld zu Haseldorf, Michel Heist und Johann, Benedict und Christopher Brüder, und Margareta, Helena, Ursula, Brigitta, Agatha und Elisabeth, Schwestern, des alten Hans von Pogwisch Kinder von Vresenborg, und sonstige Ansprüche machten Kord und Otto von der Lühe, Klaus Fineke und sein Bruder zum Grese, Karin Moltke im Namen seiner Schwester Kerstine, einer Rostocker Klosterjungfrau, Heinrich von Stralendorf, Bürgermeister und Rath zu Wismar 6 ) und das Schweriner Domcapitel. 7 ) Eine stattliche Reihe von Prätendenten, fürwahr! Stattlich genug war aber auch die Erbschaft, um selbst die aussichtslosesten Ansprüche in Bewegung zu setzen. Der Wismar'sche Rath schlug den Werth des gesammten Nachlasses auf 80000 Mr. Lübisch und das Baarvermögen allein auf 60000 Mr. an, eine Schätzung, welche jedoch hinter dem wahren Betrage ansehnlich zurückbleibt, über den zwei Inventarien uns glaubwürdige Auskunft geben. Das eine derselbe * ) welches offenbar bald nach dem Tode der Erblasserin aufgenommen worden ist, verzeichnet 17819 Mr. in klingender Münze und 53700 Mr. in Schuldverschreibungen,


6) Der Wismar'sche Rath machte fünffache Ansprüche geltend: 1) Vergütung für den Schutz, den er der Erblasserin gegen ihre Widersacher gewährt, und für die dadurch erwachsenen Schäden. 2) Realisirung einer von der Verstorbenen bei Lebzeiten der Stadt zugesagte Schenkung. 3) Nachzahlung der nicht geleisteteten Abgaben. 4) Den Zehnten. 5) Berichtigung einer Forderung des Grauen Klosters (des Depositum des Gardians) und einer des Minderen Kalands, der eine Rente aus Grese zu heben hatte. - In Betreff der Abgaben sagt der Rath: "Vnd weill nhu abgenantte Witwe vber xx (!) Jar in der Stadt mitt allen ihren Gutern gerugßam gewonhet hatt, jerlich ein ider Burger vnd Einwoner von hundert Lubß Marckchen iiij Lub. Schillinge geben mussen vnd jerlich noch gibt zu Schotz oder Tallien - , item noch hatt jerlich ein ider Burger geben mussen vnd noch gibt von ider hundert Lübsche Marckhen iiij Lüb. Währung vor Wall= vnd Grabe[n]=Geldt, dass ist Summa von iderm hundert Marckhen viij Lüb. Währung dass ist von tausent Marcken funff Lubsche Marck -, darzu alle Jar von dem Hausse viij Lüb. Schilling Wachtgeld u. s. w." Als servitia personalia werden genannt: Thor hüten, Graben reinigen, Wälle bessern, Wacht bestellen und Anderes, "so zur Zeit verfolget"
7) Vielleicht betraf die Forderung Rohlstorf, von wo die Frau Fineke Dienste gehabt hatte, die ihr das Domcapitel aber rechtlich nicht zugestehen wollte. Wism. Zeugebuch zum J. 1540 p. 707.
*) Das erste Inventarium wird unten in der Anlage mitgetheilt.
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während das andere vom Jahre 1572 - denn damals war die Sache noch nicht geordnet und Hippolyta, des Chrysostomus von Maltzan und der Margareta von Bünow Tochter auch noch 1576 nicht befriedigt - die letzteren zu 67900 Mr. angiebt, so daß also an Geld und, wie man jetzt sagen würde, Papieren allein schon rund 80000 Mr. nachgeblieben wären.

Zu diesen 80000 Mr. kommt dann aber noch der ansehnliche Werth der gesammten fahrenden Habe, welche im ersten Inventarium aufgezählt ist. Darnach fanden sich zunächst an Silberzeug 3 große und 1 kleine Schale, 20 größere und kleinere Trinkgefäße, 3 Kännchen, 24 Löffel und 1 Forke. An Pretiosen waren vorhanden 3 Kleinode, (Medaillons, Breloques) und 3 Riechbüchsen, 6 Halsbänder, 4 Ketten, 2 Rosenkränze, 21 Ringe, sowie 2 Hauben und 3 Brusttücher oder Bruststücke, jene Dinge selbstverständlich durchaus massiv von feinem Golde - nur ein Halsband und die beiden Rosenkränze waren von vergoldetem Silber - und Alles mehr oder minder mit Diamanten, Smaragden und anderen edlen Steinen und mit Perlen geziert. Außerdem fanden sich noch einige kleinere Werthsachen und eine große Menge ungefaßter Perlen und Edelsteine. Die Garderobe der Frau Fineke aber anlangend, so hat man verzeichnet 3 Röcke von Goldstoff, 2 von Sammet, 1 von Dammast, 2 von schillerndem Seidenstoffe, 1 von "Kartek" und 2 von Tuch, ferner 1 "saien" und 1 dammastenes Unterkleid, 1 Leibrock von Atlas, 3 sammetne, 2 dammastene, 1 taffetne und 1 Tuch=Joppe, sowie 1 dammastenen und 2 Tuch=Mäntel. Der Rock von Kartek war blau, der eine schillernde Rock braun und der eine Tuchrock weiß, sonst waren alle Kleidungsstücke, natürlich die Röcke von Goldstoff ausgenommen, schwarzer Farbe und meist mit Marder, Grauwerk, auch Hermelin gefuttert, vielfach mit Sammet verbrämt.

Die Betten verzeichnet das Inventarium vielleicht nicht vollständig, Leinenzeug aber, Zinn und Kupfer, Wirthschaftsgeräth überhaupt und das Mobiliar leider ganz und gar nicht. Daher also, und weil bei den annotirten Gegenständen keine Schätzung angegeben ist, sind wir außer Stande, den Werth der fahrenden Habe mit einiger Sicherheit festzustellen. Das Mobiliar kann nicht groß gewesen sein, da die Häuser in Wismar jener Zeit außer der an der Straße gelegenen Dorntze oder Wohnstube selten mehr als noch ein ordentliches Zimmer im Hintergebäude hatten, falls ein solches überhaupt vorhanden war, und mag auch keinen er=

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heblichen Werth gehabt haben, da es nur aus ein paar eichenen Bänken, Tischen, Laden, Bettstellen, vielleicht ein paar Hängeschränkchen und einer Schenkscheibe bestanden haben kann und nach alten Bildern aus jener Zeit und einzelnen Ueberbleibseln von großer Einfachheit gewesen sein wird. Leinenzeug hat sich wohl nach unsern Begriffen in ungenügendster Menge vorgefunden, denn der Bedarf an Leib= und Bettwäsche, sowie an Tischtüchern - Servietten kannte man nicht und ihre Stelle vertrat ein neben einem Waschbecken aufgehängtes Handtuch - war im Mittelalter sehr geringe und noch nach der Kleiderordnung der Stadt Lübek von 1619 erhielten dort die reichsten Bräute z. B. an Leibwäsche nicht mehr zur Aussteuer als 30 Schürzen, 20 Hemden, 12 Kragen und 12 Mützen; die "Koffer voll Leinenzeug" sind eben erst im vorigen Jahrhundert aufgekommen. Verhältnißmäßig wertvoll mag aber dasjenige gewesen sein, was an Kissen zum Belegen der Bänke und Stühle, an Teppichen zur Bekleidung der Wände, was an Zinn, Kupfer, Messing, Grapengut vorhanden war, da Geräthe aus diesen Metallen in großer Zahl gehalten wurden und nicht allein die Küche, sondern auch und vorzugsweise die Hausdiele schmückten.

Der Wismar'sche Rath hat, wie bereits angegeben ist, das Baarvermögen der Frau Fineke auf 60000 Mr. Lübisch geschätzt. Wenn er mit dieser Schätzung jedoch, wie wir gesehen haben, um ein Viertel hinter dem wahren Betrage zurückgeblieben ist, so berechtigt uns das wohl, diejenige des "Geschmucks und Geräthes", wenn auch nicht für eben so zurückbleibend, so doch für nicht übertrieben zu halten, und es würde demnach, da jene Dinge auf 20000 Mr. taxirt sind, das gesammte nachgelassene Vermögen der Frau Fineke rund 100000 Mr. Lübisch betragen haben. Diese Summe aber kommt, wenn wir den Preis des Roggens zum Grunde legen, von dem man derzeit für dieselbe 200000 Scheffel kaufen konnte, gegenwärtig einer Million Mark preußisch gleich. Vermögen von dieser Größe sind nun freilich heute in Meklenburg so selten nicht, indessen wenn wir berücksichtigen, daß sich 1557 Hans von der Lühe zu Madsow auf 9000 Mr., 1564 Vicke von Koppelow zu Möllenbek auf 7500 und Mathias von Restorf zu Wessin auf 5000, 1565 Achim von Lesten zu Gottin auf 15000, 1572 Heinrich von der Lühe zur Buschmühlen auf 30000 und Jochim von Stralendorf zu Trampz auf 6000 Mr. Lübisch schätzten - Beispiele, die sich eben bieten und nicht gesucht sind -, so ist jeden=

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falls das Vermögen, welches die Finekesche nachließ, als höchst bedeutend und ausnahmsweise groß anzusehen. Sehr ungewöhnlich würde es aber in unseren Tagen sein, wenn jemand, wie diese Frau, den fünften Theil seines Vermögens in fahrender Habe anlegte, im Mittelalter jedoch und auch noch später waren Kleidungsstücke von weniger vergänglichem Werthe als jetzt und erbten als geschätzte Nachlaßtheile auf Kind und Kindeskind, Zinn und Kupfergeräth behielten ihren Werth, und was die edlen Metalle anlangt, so waren solche so sehr beliebt, ja Bedürfniß, daß man oft unter nahezu armseligen Nachlässen doch einen silbernen Napf, einen silbernen Becher oder dgl. findet. Immerhin erscheint die Garderobe der Frau Fineke, erscheinen ihre Pretiosen und das Tafelgeschirr als sehr reich und kostbar, wenn es uns bis dahin auch an ähnlichen Verzeichnissen über die Habe von Frauen vom Adel aus jener Zeit zum Vergleiche vollkommen fehlt, 8 ) und es ist wohl denkbar, daß die Toilette der Dame bei der adeligen Hochzeit in Wismar so großes Aufsehen erregte, daß Reimar Kock diese Erinnerung aus seiner Knabenzeit in frischem Gedächtnisse behielt. Wenn er insbesondere die kostbare Perlenstickerei des Kleides hervorhebt, welche die Frau Fineke hinderte, gleich den anderen Frauen andächtig niederzuknieen, so fehlt dafür allerdings eine directe Bestätigung im Inventar, insofern in demselben kein perlengestickter Rock aufgeführt wird, doch war die Menge von großen und kleinen Perlen in ihrem Nachlasse so bedeutend, nämlich außer "etzlichen großen Perlen" noch 34 3/4 Loth, daß sie wohl hingereicht haben könnte, um die Herstellung einer ganz besonders prächtigen Stickerei zu gestatten. In der That müßte auch der Pastor Kock ein außerordentlich leichtfertiger Mann gewesen sein, wenn sein Bericht, den er als Augenzeuge giebt, nicht in der Wahrheit begründet gewesen sein sollte; insofern er aber den Charakter der Frau Fineke überhaupt in einem üblen Lichte erscheinen läßt, darf man wohl seinen puritanischen Amtseifer mit in Rechnung Ziehen, dessen lebhaftesten Ausdruck wir oben sogar unterdrückt haben, obschon andererseits auch einiger Grund zu der Annahme vorzuliegen scheint, daß die Interessen dieser Frau ein wenig zu sehr auf Putz und Staat und Geld und Geldeswerth gerichtet waren, als daß man sie


8) Ob die letztwillige Verfügung der Frau des Ritters Bernd v. Maltzan von 1508, Lisch, Geschl. v. Maltzan, Nr. 805, ihre gesammte Garderobe aufführt, ist fraglich, und die Aussteuer der v. Peckatel'schen Erbtochter, Boll, Gesch. Mekl., I, S. 346, datirt erst von 1597.
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hätte besonders liebenswerth und achtungswürdig finden können.

Bei alledem mag übrigens nur der Schein gegen sie sein. Die Localsage darf keinenfalls zur Bekräftigung des schlechten Nachruhms herangezogen werden. Sehr wohl kann das Andenken an die reiche und prächtige Frau in Grese sich erhalten haben, aber wenn nicht Alles trügt, so ist die Erzählung von der fürstlichen Hochzeit dem Berichte eines Historikers des vorigen Jahrhunderts 9 ) entnommen und die Angabe über Art und Weise ihres Todes ein willkürlicher Zusatz, der schon wegen der Rolle, welche dem Spiegel darin zugetheilt ist, seinen neueren Ursprung an der Stirne trägt; im sechzehnten Jahrhunderte hatte man nur erst kleine, meist metallene Handspiegel und mittelst eines solchen hätte Frau Fineke schwerlich ein einigermaßen genußreiches Abbild ihrer Erscheinung sich verschaffen können. Erwägen wir dazu, daß die Sage Ereignisse zusammenbringt, welche beinahe dreißig Jahre auseinander liegen, nämlich das fürstliche Beilager und den Tod der Frau Fineke, und daß das Herrenhaus zum Grese allem Ansehen nach erst im dritten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts, also nach ihrem Tode, erbaut worden ist, Gespenster aber, so viel man weiß, nicht umziehen, so dürfen wir uns wohl der Hoffnung hingeben, das so heimliche Haus von der Nachtgestalt befreit zu wissen, wenn freilich auch noch in Zukunft dort manchem bei nächtlicher Weile ein knackender Schrank oder eine offengebliebene Thür, die der Zugwind rührt, die Sage in unbehagliche Erinnerung bringen mag.



9) Schröder, P. M., S. 2823.
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Anlage.


Inventarium über den Nachlaß

der

Frau Katharina Fineke,

geb. von der Lühe.

(1541.)

A) In der breffladen.

  1. V c gülden Lauyn von Bulow. 1 )
  2. I m mr. Lippolth von Ortzen. 2 )
  3. I c gulden Lutke von Quitzow. 3
  4. I c gulden noch Lutke von Quitzow. 3 )
  5. II c gulden noch Lutke von Quitzow. 4 )
  6. XV c gulden Cordt Rhor. 5 )
  7. VIII c gulden her Henninck Haluerstadt. 6 )
  8. VII m mr. Johan von Powisch. 7
  9. V m mr. Henninck Powisch. 7 )
  10. II c gulden Hans von Bulow thor Symen.
  11. I breff hertoch Albrechtes tho Mekelnborch, darynne Jurgen Fineke der Phinikesschen eyne auergaue gedan hefft. 8 )
  12. I breff noch, hertoch Hinriches tho Mekelnborch, vordracht twisschen der Phinikesschen vnnd Jurgen Phineken eruen vpgerichtet. 9 )
  13. Im gulden Jurgen Moltzan. 10 )

1) Zu Weningen.
2) Zu Gorow.
3) Fehlt in dem Inventarium von 1572.
3) Fehlt in dem Inventarium von 1572.
4) Zu Stavenow.
5) Zum Neuhaus.
6) Zu Kampz.
7) Zur Farwe.
7) Zur Farwe.
8) Diese Urkunde fehlt dem Inventarium von 1572
9) Auch diese ist nicht aufgeführt.
10) Zu Penzlin.
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  1. II c gulden Jurgen Moltzan.
  2. VI m II c mr. Hans Kock tho Lubeck. 11 )
  3. III c gulden Chrisostomus Moltzan. 12 )
  4. I m gulden Chrisostomus Moltzan.
  5. II c gulden Chrisostomus Moltzan.
  6. II c gulden noch Chrisostomus Moltzan.
  7. II m gulden hertoch Albrechten. 13 )
  8. II I m gulden Hinricke Plessze. 14 )
  9. IIII c gulden Hennike Plessze.
  10. IIIIc mr. Hennike Plessze.
  11. I m gulden Otto von der Lue. 15 )
  12. VII c gulden Otto von der Lue.
  13. I m gulden Cordt von der Lue. 16 )
  14. VI c gulden Cordt vnd Otto von der Lue.
  15. III c gulden Cordt von der Lue.
  16. III c gulden 17 ) Cordt von der Lue.
  17. IIII c gulden Eggerdt Quitzouwen. 18 )
  18. I m gulden Eggerdt von Quitzow.
  19. I c gulden Eggerdt von Quitzow.
  20. I c gulden noch Eggerdt von Quitzow.
  21. II c gulden Parum von Plathe, de loss syn scholen. 19 )
  22. II c gulden Ludeloff von Aluenslegen. 20 )
  23. VI c mr. 21 ) Werner Bulouw.
  24. V c gulden Vicke Basseuisszen, so in eynem wedderkopesbreue vorpandeth. 22 )
  25. I c gulden Clawes Bernher. 23 )

11) Der Brief ist 1572 nicht aufgeführt; 1543, Febr. 19 Wurden 5400 Mr. zurückgezahlt. Wism. Zeugeb. ad 1545 p. 347. Vgl. unten Q, 13.
12) Zum Grubenhagen. Diese Verschreibung sowie Nr. 19 sind 1572 nicht aufgeführt.
13) Statt dieses Briefes heißt es in dem Inventarium von 1572: Ein schadeloß brieff Hertzogk Albrechts für Jurgen Fineken vp 12000 Reinsche Goldgulden vff papir.
14) Im Inventarium von 1572 steht: Druddehalffdusent Margk Lubsch, und ist als Schuldner wie bei den beiden folgenden Posten Hennike von Plessen zum Brül genannt.
15) Zu Büttelkow.
16) Zu Panzow.
17) 1572: Mark.
18) Zum Vogtshagen.
19) 1572 nicht aufgeführt.
20) Zu Kalve in der Altmark.
21) 1572: Gulden.
22) 1572: Ein Breff Vicke Basseuitzen zu Masselow vff 45 Mr. Lübsch Rente edder Pacht vth dem Dorpe Varen vor 500 fl. Heuptstull.
23) Zu Schimm.
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  1. V c gulden Hinrick Smecher, scholen affgeloseth syn. 24 )
  2. I m gulden Parum von Plathe.
  3. II m gulden Parum von Plathe.
  4. I m gulden Parum von Plathe. 25 )
  5. Eyn vordracht twisschen der Phinekeschen vnde den von der Lue des gudes tho der Buschmolen. 26 )
  6. Jurgen Phineken eruen quitanz auer IIII m gulden vor ere gerech[t]icheit vnd thosprache, die se von der Phineckesschen entpfangen hedden. 27 )
  7. Jurgen Phineken eruen quitanz von wegen ethliches suluers entpfangen. 28 )
  8. Jurgen Phineken eruen quitanz von wegen ethliches suluers entpfangen. 29 )
  9. Der Wangelyn quitanz von wegen eres entpfangen legates vth dem testamente zeligen Jurgen Phineken. 30 )
  10. Christoffer von Quitzow von wegen synes entpfangen legates vth demsuluen testament. 31 )
  11. I erleddigt breff im gudhe thom Gredezee vp XII c M. 32 )
  12. I orfeyde Tomas Suchow.

24) Zum Wüstenfelde. Statt 500 fl. werden 1572 aber nur 200 fl. aufgeführt.
25) 1572 nicht aufgeführt.
26) 1572: Ein Recess zwischen der Finekeschen vnd Churt vnd Otte Gebrüdern von der Lühe durch Herrn Mattiaß von Ortzen, Ritter, Vnd Sziuert von Bockwolden vffgericht vnd verabscheidet vff de Buschenmhule, Spriehusen, Nien=Gartze, de Geruessmholle, Mesekendorp, Olden Carin, die szimen, den Oldenhagen, den Gerdesshagen vnd Wernickenhagen belangendt.
27) 1572: Eine Quitantz der Fineken, Quitzowen, Schulenburge vnd Wangeline vff einen Vordracht, so Herzogk Heinrich vffgericht, 4000 fl. belangende.
28) 1572: Eine Quitantz Clawess Fineken ahn Stad seiner Vetterken, demgleichen der Wangelin etc. vp empfangene Andeill von dem Silber von Hardenacke Bibowen herrührende vnd von Jurgen Fineken entrichtet.
29) Fehlt 1572; dafür folgendes: Eine Missiue Caspar von Schoneich, Cantzlers, ahn die szelige Fineckesche, darin ahn sie begert auss fürstlichem Beuehl einem idern von Hardenacke Bibowen Suluer zufreden zu stellen, und: Quitantz Clawess Fineken vff legirte 100 fl. in Jurgen Fineken Testamente.
30) Das Legat war 100 fl.
31) Das Legat bestand in einem silbernen Becher und einem silbernen Pott.
32) 1572: Jurgen Fineken szeligen Breff vp 12 hundert Mr. Lübsch Heuptstulss vnd 60 Mr. Lübsch jerlicher Zinse, so he den Vicarien zu Lubeck in S. Jacobi Kirche schuldich gewesen.
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  1. I pandtbrieff auer den Dienst tho Charow, schal affgeloseth syn. 33 )
  2. I schultbrieff Jaspar Fineken, darynne he Jaspar von Ortzen III c mr. schuldich. 34 )
  3. I quitanz der Fineken, darynne sie bekennen, dath Jurgen Fineke enen III c mr. entrichtet, darup sie eme den schultbrieff thostellen wolden.
  4. I pandtbrieff, darynne Johan Phineke Jurgen Phinicken ethlich gudt vorpandeth, dath doch wedder geloseth syn schole. 35 )
  5. I schultbrieff vp XXX gulden Johan Meyners. Ys betalth durch Quitzouwen vnd Johan Plesszen.
B) In eyneme schrine in der Finickesschen huse befunden an breuen.
  1. L mr. Lutke Moltke.
  2. LXX mr. Johan Moltke.
  3. I kopbrieff der Bernekouwen, darynne sie Cordt von der Luy tho Buttelckow Mulszouwen vnd andere guder vorkofft hebben.
C) Noch in eyner anderen laden an segelen vnd brieuen.
  1. I auergaue hern Hinrichs von der Lue. 36 )
  2. I auergaue hern Hinrichs von der Lue, darynne he gifft syner huesfrouwen Beaten II huszer thor Wismar, (yn) suluer, gelth vnd ander.
D) In eyner rhoden laden.
  1. II auergaue gleichs ludes von beiden fursten tho Mekelnborch vpgerichtet vnd vorsegelth, darynne Jurgen Phineke syne husfrouwen eyns des andern vp ere

33) 1572: Jasper Fineken zum Gnemen Brieff, darin he Jurgen Fineken seinem Bruder [Jurgen] vorgunt die Zeit seines Lebendess der Dienste in [den] Dorffern Lussow vnd Kosellow vor hundert Mr. Stral. (vbergeben).
34) 1572: Jasper Fineken zum Gnemen mit seinen Sohns Jochim vnd Gunter Breff, dar in er bekent Jasper von Ortzen zu Roggow 300 Mr. Houetstuls vnd 18 Mr. jerlicher Renthe schuldig [zu] sein.
35) 1572 in der Fassung Andreas Louwen: Johann Fineken zu Karow Pfandtbrieff vff etliche Pacht, Richte vnd Dienste in Lussow, Leuekendorff, Pritzanneuitze für 600 Mr. Stral. Heuptsumma.
36) Dieser und der folgende Brief sind 1572 nicht inventirt, dafür: Ein Wilbrieff Hern Friderichs, Hertzogen zu Holsten, vff 1000 Reinische Gulden Hoptstulss mit ihren jerlichen Rentheen darmit Herr Hinrich von der Luhe, Ridder, seine Frow, Beaten Tit eress Leuendess beliffdinget.
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  1. eyns fall myth alle synem gudhe reciproce vnnd remuneratorie bogaueth hebben.
  2. Der Phinickesschen liffgedinge vp den Gredesze von hertoch Albrechte vorsegelth.
  3. Hertoch Hinriches lyffgedingsbrieff, gleichformlich vorsegelth vp dem Gredesze.
  4. Hertoch Albrechtes vorschriuing vp die veltmerckede tho Liskow, Jurgen Phineken vnd syner husfrouwen V jar lanck thogestelleth myth boseyende vnd konyngsbede, szo syne F. G. darane hedde tho gebruchende.
  5. III consilia der vniuersiteten Ingelstadt, Tibing vnd Lipsyg, darynne sie concorderen vnd bosluthen, dath angetogede auergabe vth bowerten rechten, de sie antzehen, gegrundt vnd bestendich syn.
  6. Ethliche consilia vnd radtsleghe vth ernenneten vnd sunst andern vniuersiteten.
  7. I vordracht durch hertogen Magnus vnd hertogen Baltzar vpgerichtet twisschen Cordt von Aluesslegen (von wegen syner) zeligen husfrouwen Catharinen von der Lue an eynem vnd (vnd) Anne Buggenhagens wedewen vnd der priorynnen thom Nyenkloster, her Hinrich von der Lue dochter, syner nhagelaten guder haluen vpgerichtet.
  8. I vordracht, szo twisschen der Buggenhagesschen vnd priorynnen thom Nyenkloster an eynem vnd der frouwen Jurgen Phineken nhagelathenen wedewen ander diels beider sith nagelathene gudere haluen vordragen syn vpgerichtet.
  9. Der priorynnen vom Nyenkloster bowilling vp de itzen vormelthe vordrach.
  10. Auergaue hern Hinriches von der Lue, de he gedan hefft Cordt von Aluenslegen, syner dochter man vnd Catharinen von der Lue.
  11. Inwisingbrieff der Phinickesschen, szo sie in ere liffgeding thom Gredezee ingewiseth yst.
  12. I vordrach twisschen Jurgen Phineckesschen an eynem vnd ethlichen burgern thor Wismar anderdiels von wegen ethlicher pechte im gude Gredeze vorschreuen.
  13. Jasper Fineken thom Gnemher, Gunther vnd Claws Fineken tho Charow und Hinrich Wangelyns bewilling, dath Jurgen Fineke syne huesfrouwen Catharinen von der Lue moge boliffgedingen vnd bogauen.
  14. Der Buggenhagesschen bekenthnisse, dath ehr schwester, de Finekessche, er den vordrach, darinne sie erer
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  1. gebreche haluen durch de fursten enthscheiden, vorreicht hebben.
E) In eynem witten sacke

ethliche vngeleßene breue nychte, wie sie geacht, von werden.

F) Noch in eynem witten sacke

ethliche nasschen offte schrine myth olden breuen. Vngeleszen.

G) In eyner langhen laden.

Darynne gefunden Jurgen Phineken rekensschop, vnd ethlich gantz weinich gelth, bolangende beide fursten tho Mekelnborch, alsze hie camermeister geweszen yst.

H) Eynhe lade.

Darynne de register vnd rekensschup Jurgen Phineken densuluen handel bolangendhe.

I) In eyner eken laden.

Darynne ethliche vngeleßene breue befundhen, darane nycht gelegen, vnd tom dele erleddigt syn mogen, wie men sich vorsuth.

K) In eyner klenen laden.
  1. Ethliche erleddigede vnd andere breue. Vngeleszen. Doch
  2. breff, darynne de Fineken bokennen, dath sie eres broders Jasper Fineken de gudere thom Gnemher eme thom erue gegeuen vnd, dath hie Axschouwen dochter nycht genhamen, keyn action hebben wolde.
  3. I quitanz Jasper Fineken vnmundigen sons, darynne sie Jurgen Phineken vnd syn husfrouwe erer vormundschop haluen leddich vnd loes schelden.
L) Noch in eyner kleynen gronen laden,
  1. I pandtbrieff, darynne Viuians von der Lue vor L mr. houetstols IIII mr. vorsetteth hedde hern Hinriche von der Lue.
  2. Jurgen Fineken ehestiffting myth Catharinen von der Lue.
  3. Noch ethliche breue mher vngeleszen vnd, we men sich vorsuth, thom diele, darane nycht gelegen yst. 37 )

37) Das Inventarium von 1572 führt noch auf: Ein Recess durch Caspar von Schoneichen, Cantzler, vnd Lutken von Quitzowtzwifchen szeligen Jurgen Fineken Witwen Erben vnd Clawess Fineken vffgerichtet.
Ein Breff Clawess Berner zu Schimme, Jochim Stralendorff zu Tramptz, Otte Berner zu Neperstorff, (  ...  )
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M) Item I kleyne lade

myct ethlichen kleynen lynnen doken.

N) Noch in eyner laden

ethliche fruwen coller, goldene armelen offt mouwen myth bopariden listen vnd funst ethliche megede thowindelssche vnnd ander doke.

O) Noch in eyner laden

vele stucke lynnen gerede vor fruwen vnd junckfruwen.

P) In eyner andern laden

viele fruwen mutzen, huuen vnd sunst.

Q) An barem gelde gefunden
  1. III m VI c vnd LXX mr. an golde in munthe gerekenth vnd myth der Phinikesschen pitschir vorsegelth.
  2. I c LXX mr. mynus VI s. an munthe.
  3. Noch VII mr. in demsuluen budel vnder Phinickesschen pitzer.
In eyner groten boslagen kisten vt hern Hinriches Duriars 38 ) husze gehalth.
  1. VIII c daler in eynem budel.
  2. V III c daler noch in eynem budel.
  3. VIII c daler noch in eynem budel.
  4. I m mr. in dubbelden schillingen.
  5. I m mr. in dubbelden schillingen.
  6. Im gulden an munthe noch in eynem budel.
  7. III m mr. in dren secken, ys in eynem idern I m mr.
  8. Jtem III c mr. affgetelleth vor de arme lude, alsze Bochholt berichtet.
  9. II c mr. vngeferlich, de nycht getelleth vnder der handelers (!) pitzer vorsegelth in V budelen.
  10. IIII c mr. von Hans Coche tho Lubeck, de Bockholt ent=

(  ...  ) Johan Krogers, Pastors zu Jesendorff, vnd den Kirchschworen darselbst, dar in sie bekennen, daß die selige Finekesche dersuluen Kercken einen suluern Kelck mit einer suluern Patenen geschencket.
Eine Vorwilligung zwischen Benedicts vnd Hanss Powisch ahn einem vnd der Finekeschen ahm ändern Deill dass kein Deill den ändern vff 5000 Mr., so de Powischen der Finekeschen schuldich, loßkunding thun soll.
38) Rathmann zu Wismar 1527-1560
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  1. pfangen vnd ene qwitert hedde, in I sacke vnder synem pithschir vorsegelth, den eruen vorhandtreichet.
  2. XL gulden renthe, hofft Bockholt von der Haluerstadesschen entfangen.
  3. I c gulden renthe, hefft Bockholt entpfangen von Lauyn von Bulow, in eynem bigordelhe vnder synem pitschir vorsegelt vnd den eruen vorhandtreichet.
  4. L mr. renthe, hefft Bockholt entpfangen von her Mathias von Ortzen vnd vnder synem pitschir vorsegelth den eruen auerandtwerdeth.
  5. V gulden renthe von Claws Berner hefft Bockholt entfangen, in welcher renthe alle Bockholt ock desuluen geqwitert.

Sunst synth keyne renthe vppn erflathen vmbflach vthgegeuen edder vpgeborth, sunder Jurgen Moltzan, dar werth Bockholt och rekensschop von donde.

Item von Duriar hebben de eruen entpfangen eyne kisthe, darynne gefunden VII m vngeferlich in V budelen, we hir bauen vormelth, vnd dewile he der Phinikesschen zeligen myth vorwaring der kisten vnd andern in syneme husze truwlich gedenth vnd sie ene edde[r] syneme szone, e[r]me paden, wormyth tho bedenckende vortrosting gedan, szo hebben de eruen Bockholte befalen eme och daruor vp der vorigen Phineckesschen vortrosting vofftich gulden tho uorhandtreichen, dathsulue neuen anderen synen innhamen vnd vthgauen tho uorrechnen.

R) Vorteking der clenodie.
  1. I runth kleinodt, darynne mydden eyn diamandt myth ethlichen parlen, andern eddelen stenen vnd I granatsch hengelyn.
  2. I guldene desemesber myth steinen vnd parlen.
  3. I runth klenoth myth steinen vnd parlen, darynne mydden in eyne smaragd.
  4. I rinck myth I spisszen diamandt.
  5. I gulden rinck myth eynem insetteden stuck eynhorne.
  6. I gulden rinck myth I cardiol.
  7. I rinck myth eynem groten turckescen, vp beiden syden I rabyn, kleyn.
  8. Noch I gulden rinck myth eynem kleynen turkisch, vp beiden syden I groth rabyn.
  9. I rinck myth I rabyn vnd saphir.
  10. I rinck myth III spisszen diamanten.
  11. I rinck myth eyner smar[a]gd vnd II rabinen.
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  1. I dubbelth rinck, darynne III diamante vnd II rabyn.
  2. I drefechtich rinck daryn I diamant, I saphir vnd I rabyn.
  3. II grothe gulden keden gleichformlich, allewege twisschen II knopen I lith.
  4. I lange guldene kede myth runden ryngen.
  5. I lange gulden kede we eyne thomkhede.
  6. I gulden halsbandt von IX leden, vp jeder lith I eddelstein.
  7. I lanck halsbanth myth XIIII runden leden myth eddelen stenen vnd parlen twisschen den geleden.
  8. I kleyn halsbandt gleichformich mit VI runden leden.
  9. I huue myth gulden spangen vnd in ithlicher spangen I eddelgestein vnd dar tusschen grote linyen geschrenckt.
  10. I brustdoch myth parlen vnd flittern.
  11. I brustdoch bosticketh myth parlen myth I narren vnd wyue.
  12. I sulueren vofftich myth dorsteken suluern stenen vnd I groten desemsknope.
  13. I suluern halsbandt vorguldeth.
  14. V sulueren vorguldede vofftichsteyne myt eynem desemsknope vnd ethlichen cardiolen an I sulueren drade.
  15. VI mr. rhedes geldes in eynem roden hulleken.
  16. Etlich kleyn lynnentuch.
S) suluergeschir.
  1. I grote schale bynnen vorguldet.
  2. II vorguldede koppe, de in eynander fluthen.
  3. I suluern getkenneken.
  4. VI beker, de in eynander sluthen myth I deckels.
  5. I vorguldeth gewunden beker myth I decke.
  6. II suluern gewunden beker myth I decker vnd vorgulden streche.
  7. I gewunden suluer beker myth I decker, darup I menlyn.
  8. I suluern kenlyn myth I lede.
  9. I suluern beker myt III louwvothen.
  10. I vorguldeth beker vnder myth III louwenvothen.
  11. II bukede suluern beker, de in eynander sluthen.
  12. I buketh suluern kenneken myth I ledhe.
  13. IIII kleine gleichformige becher.
  14. II suluern schruffothe, der I vorguldet vnd de ander vnuorguldeth, darup II glesze.
  15. I sulueren schale myt der Hanen wapent.
  16. I suluern schale myt der Powisch wapen.
  17. I frouwen suluern schaleken.
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  1. I suluern forkeken.
  2. XXIIII suluern lepel.
  3. I Venedisch glas.
T) In eyner laden yn Hinrich Stralendorps huse gefunden.
  1. I breff ludende vp XV c gulden Lauyns von Buloumen.
  2. I halssbanth myth ethlichen steinen, parlen vnd II anhangenden berlogen.
  3. I halsbanth von XII leden myth eddelen steinen vnd parlen.
  4. VI kleyne keden, darvnder I mith I anhengenden klenode myth eyner rosen van rabynen. Wegen thosamende III I lodige mr. myn I loth goldes.
  5. I boparleth stecket brustdoch myt II vorguldeden rosen vnd parlen.
  6. I boparlede bostickede platte vp I huuen.
  7. VI gulden knope myth ingesatheden rhabinen.
  8. VI grote parlen gefatet in golt.
  9. Ethliche grote parlen in I swarten zindeldoke.
  10. Ethlich kleyn suluer boslach vp I boslagen gordel myth II kleinen knopen.
  11. LVI eddele steine kleyn vnd groth, darvnder XI saphir.
  12. XI gulden ringe, darvnder I myt V spitzen diamanten.
  13. Eyn hupen parlen in eyneme lynnen budel thosamende gewagen, kleyn vnd groth, wegen XXXV loth myn I quentyn.
U) Der Phinickesschen kledere.
  1. I swart syden atlas rock myth martenkelen gefodert.
  2. I swart sammyt frouwen rock myt marten vndergefodert.
  3. I with brun schelert frouwen rock myth marten vnd grawerck gefodert.
  4. I blaw carteken wyth frouwen rock myth hermelen gefoderth.
  5. I swarth sammith frouwen rock myt marten vnd grawerck gefodert.
  6. I swart dammasch with frouwen rock myth I sammit dalslage, bauen vnd nedden schir szouele alsze der dammasch vpgeslagen.
  7. I swart schelert vor myth hermelin vnd hynder myth bundtwercke gefoderth.
  8. I with fruwen rock von I gulden stucke, vnder vnd auer myth sammith vorbrempth.
  9. I with fruwen rock von I gulden stucke de auer myth syden s . . ken vthgesticket.
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  1. I with fruwen rock von getagen golde vnder rnyth rodem sammyt vorbremth.
  2. I swarth dammasch vnderrock myth swartem sammyth vorbrempt.
  3. I swarth sagen vnderrock myth sammyth vorbrempt.
  4. I swarth wantmantel myth bundtwerck gefoderth.
  5. I swart atlas liffrock myth bundtwercke gefodert.
  6. I swarthe dammasche mantel myth sammith vorbremth vnde marten gefodert.
  7. I swarte wanth mantel myth sampt vorbremth.
  8. I swarth jopken, sammit. Noch
  9. I swarth sammyth jopken.
  10. I dammasch swarth jopken.
  11. I swarth wanth jopken myt sammyt vorbrempt.
  12. I swart sammyts jopken, darane de armelen thosneden.
  13. I swarte tafft jope ane arme.
  14. I dammasch jope myt marten vnd grawercke gefoderth.
  15. I caszel von roden dammasch myt I crutze syden stucks.
  16. I with wanthrock myth sammyth vorbrempt.
  17. I enge swarth wanthrock.
V) Beddegewant.
  1. II grote bedde vnd II arote pole.
  2. VI stolkusszen, nyge.
  3. II wagenpole. Noch
  4. II bedde myt II houetpolen vnd
  5. I dundeken. Noch
  6. II dunbedde vnd
  7. I grothe dundeke.
  8. VI houetkusszen.
  9. I grothe stickede deke.
  10. I kleyn bedde.
  11. II lutke vnderbedde.
  12. II grote pole.
  13. IIII olde banckpole
  14. II bencke myth flassze, vmbosichtigt.
  15. II stucke grawes louwendes.
  16. I groth myssinges krusel.
In eyner groten kisten.
  1. II dunbedde.
  2. II houetkussen.
  3. II stucke drels.
  4. I stucke beddeburs.
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  1. II ruggelaken.
  2. I toppeth dislachen.
In eyner anderen kisten.
  1. II dunbedde.
  2. I olde deke.
In eyner anderen.
  1. III deken.
  2. I olde deke.
In der kameren beneddene tho haue werth.
  1. I groth dedde myt II groten polen.
  2. II vnderbedde.
  3. III deckebedde.
  4. III pole.
In eyner kisten dars[uluest].

Original im Wismarschen Raths=Archive.

 

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II.

Begräbnißkosten

in alter Zeit.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


Zu den ungewöhnlich großen Aufwandskosten 1 ), welche man in früheren Zeiten machen zu müssen glaubte, gehören die Begräbnißkosten, namentlich in den adeligen Familien, welche unsere Begriffe ganz übersteigen. Die Ursache des großen Aufwandes lag wohl darin, daß man, wenn die Zeiten einigermaßen günstig waren, alle Familienglieder, selbst die entferntesten, für die Begleitung der Leiche zur "standesgemäßen" und feierlichen Bestattung beisammen haben wollte und diese dann mit einem großen Leichenmahl aufgenommen und bewirthet werden mußten. Ein solches Leichenmahl war immer eine große, wenn auch ernste Familienfeierlichkeit. Da nun bei Einzelnen häufig Hindernisse an der Theilnahme eintraten und Kinder und Schwiegerkinder in fernen Landen abwesend waren, so geschah es in der Regel, daß die Leiche sehr lange, oft ein halbes Jahr lang, im Hause über der Erde stehen blieb, bis alle Familienglieder ihr Erscheinen zusagen konnten.


1) Dieser Bericht kann ein culturgeschichtliches Seitenstück zu der voraufgehenden Abhandlung über die "Frau Fineke" von Dr. Crull bilden und wird deshalb jetzt hier mitgetheilt, obgleich er schon vor vielen Jahren fertig und für die Jahrbücher bestimmt gewesen ist. G. C. F. Lisch.
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Die Geld=Kosten, selbst auf den Landgütern, waren sehr bedeutend und müssen noch viel höher angeschlagen werden, wenn man bedenkt, daß auf dem Lande in der Wirthschaft vieles vorräthig war, was gar nicht zur Berechnung kam, und daß die Preise mancher Lebensmittel außerordentlich niedrig waren.

Es ist uns ein Verzeichniß der baaren Kosten erhalten, die zum Begräbniß des Vicke von der Lühe aufgewandt wurden, welches in der Beilage unten mitgetheilt wird.

Vicke von der Lühe war Besitzer der Güter Buschmühlen und Thelkow gewesen und hatte als solcher den ganzen dreißigjährigen Krieg erlitten und überlebt. Nach Beendigung des Krieges war er an Mitteln so erschöpft, daß er Concurs machen mußte. Von seinen Söhnen kaufte der Ober=Präsident Dietrich v. d. Lühe zu Güstrow aus dem Concurse das Gut Thelkow und gab hier seinem Vater 10 Jahre lang den Unterhalt, da dieser nichts übrig behalten hatte. Hier starb Vicke v. d. Lühe ungefähr im November 1671 in einem Alter von 83 Jahren und ward in Thelkow bestattet. Er ward aber noch lange nicht begraben, denn im April 1672 war seine Leiche noch nicht zur Erde bestätigt. Im September 1672 war aber die "Leichbestätigung albereits längsthin beschafft."

Das Verzeichniß der baaren Bestattungskosten, welche 801 Fl. 6 ßl. betrugen, folgt unten in der Beilage. Fast unglaublich groß sind die Massen von Fleisch und Getränken, welche bei der Feier verzehrt wurden:

  1 Ochse,
10 Hammel,
  8 fette Schweine,
  6 Kälber,
  6 Lämmer,
16 Gänse,
16 Truthähne,
16 paar Tauben,
92 Hühner,
  3 Hasen,
53 Karpfen,
     große Massen von geringern Speisefischen,
  1 Ohm Rheinwein,
  1 Oxhoft Franzwein,
  4 Tonnen Schwansches Bier,

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  2 Faß Wismarsche Mumme,
10 Tonnen eigen gebrauetes Bier.
Auch "Taback und Pfeifen" fehlten schon vor 200 Jahren nicht.

Noch viel größer war der Aufwand bei der allerdings sehr vornehmen Hochzeit des Obersten und Hauptmanns zu Ivenack Claus v. Peccatel (geb. 1548, † 1615) mit Elisabeth v. Sperling auf dem Schlosse zu Ivenack, wozu auch sehr viele fürstliche Personen geladen waren, am 1. December 1605. Hier gestalten sich die entsprechenden Ansätze folgendermaßen:

Kosten bei der Hochzeit des Obersten und Hauptmanns zu Ivenack Claus v. Peccatel mit Elisabeth v. Sperling am 1.Dezember 1605

Dazu: Wein=Kapern, eingemachte Limonien, Oliven u. s.w.


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Beilage.

Zur trauer und Begrebnuß ist verwand und aufgeborget.

Tabelle Teil 1 der Begräbniskosten
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Tabelle Teil 2 der Begräbniskosten
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Tabelle Teil 3 der Begräbniskosten
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Tabelle Teil 4 der Begräbniskosten

Aus dem großherzoglich Meklenburgischen Geheimen und Haupt=Archive zu Schwerin.

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III.

Schwerin

bis zum Uebergang der Grafschaft Schwerin an das Haus Meklenburg.

Von

Friedrich Wilhelm Lisch,

Ministerial=Registrator zu Schwerin.



Mit zwei Steindrucktafeln.

Vorwort.

T rotz des hohen Alters der Stadt Schwerin, der Residenzstadt des Landes, ist die Literatur derselben eine sehr dürftige; wir besitzen als besondere Werke, die sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigen, nur die beiden Chroniken von Hederich und Fromm aus dem 16. resp. 19. Jahrhundert. Beide erzählen in chronologischer Reihenfolge mehr oder weniger kurz, den Anforderungen einer Chronik entsprechend, die Geschicke, die die Stadt betroffen haben, bieten aber kein zusammenhangendes Bild der gesammten Verhältnisse. Ein solches konnte nur gegeben werden, wenn das vollständige Material der Forschung offen stand, eine Vorbedingung, die erst jetzt nach Vollendung der ersten zehn Bände des Meklenburgischen Urkundenbuches erfüllt ist. Lediglich auf diese stützt sich der in den folgenden Blättern enthaltene Versuch einer Darstellung der gesammten inneren und äußeren Verhältnisse der Stadt Schwerin innerhalb der ersten Periode ihrer Geschichte, während welcher die Stadt unter der Herrschaft der Grafen

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von Schwerin stand, vom Jahre 1161 bis zum Jahre 1359. Benutzt sind außerdem die Abhandlungen meines Vaters, des Geheimen Archivraths Dr. Lisch, in den Jahrbüchern für Meklenb. Geschichte und Alterthumskunde, besonders Band XIII, S. 143, XIX. 398, XXXVI. 147, und XL. 169 flgd., sowie die des Herrn Archivraths Dr. Wigger ebendaselbst, Band XXVIII. 1 und XXXIV. 55 flgd.


Lage und Name.

Schwerin, die Haupt= und Residenzstadt des Großherzogthums Meklenburg=Schwerin, bekannt durch die große landschaftliche Schönheit ihrer unmittelbaren Umgebung, ist ungefähr vier Meilen von der Ostsee entfernt, an der südwestlichen Ecke des "Großen Sees" gelegen, der sich in der Richtung von Norden nach Süden von Schwerin aus in einer Länge von ungefähr drei Meilen und in einer Breite von beinahe einer Meile ausdehnt. Die Ufer desselben bilden an der Süd= und dem südlichen Theile der Ost=Seite Hügelrücken, die theils unmittelbar, theils mit Bildung eines nur schmalen Vorlandes in den See abfallen. Derselbe ist durch den gegen Ende des Jahres 1841 vollendeten, von dem hochseligen Großherzoge Paul Friedrich im Jahre 1840 in Angriff genommenen sog. Paulsdamm in zwei ziemlich gleich große Hälften getheilt, deren nördliche die Inseln "Lieps", gegenüber dem Hofe Gallentin, und "Goldburg", gegenüber dem Erbpachthofe Seehof, enthält, während die südliche Hälfte die Inseln "Kaninchenwerder" und "Ziegelwerder" einschließt.

Um diesen See liegen zahlreiche Ortschaften und Feldmarken, von denen hier nur interessiren, am südlichen Ufer von Schwerin aus:

Ostorf, Zippendorf, Müeß mit dem Erbpachthof Fähre, wo der See durch einen Fluß, die Stör, seinen Ausfluß in die Elde hat;
am östlichen Ufer: Hof Rampe, wo der Paulsdamm endigt.

Bei Hohen Viecheln erreicht der See seinen nördlichsten Punkt. Unmittelbar östlich von ihm liegt hier ein kleineres Gewässer, die Döpe genannt, getrennt von dem Großen See durch einen nicht sehr breiten Landrücken, der an beiden Seiten sumpfig, in der Mitte eine langgestreckte Erhöhung zeigt, die alte Burg Niclots: Dobin.

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Am westlichen Ufer liegen unter anderen:
Kleinen, Hof Gallentin, Lübstorf, Hundorf, Wickendorf, wo der Paulsdamm beginnt.

Von hier ab bis nach Schwerin hin erstreckt sich der "Schelfwerder" oder "Werder", ein schönes Laubholz, und das Schelffeld.

Für die weitere Darstellung ist es von Wichtigkeit, die sonst noch in der Umgebung Schwerins befindlichen Gewässer kennen zu lernen. Zur leichteren Orientirung ist die anliegende Zeichnung, Tafel A, entworfen, die auf geographische Richtigkeit keinen Anspruch macht und einer sehr nachsichtigen Beurtheilung bedarf.

Von dem "Großen See" an liegen um Schwerin in der Richtung nach Westen und Süden folgende Seen:

  1. Der Ziegelsee, von Süden nach Norden sich erstreckend, parallel mit dem großen See, mit dem er bei dem westlichen Ende des Paulsdammes in Verbindung steht, während er unmittelbar bei Schwerin bei dem Spielthordamm beginnt. Dieser Damm scheidet den Pfaffenteich, ein kleines von drei Seiten von der Stadt umschlossenes Gewässer, das 5 1/2 Fuß im Niveau höher als der Ziegelsee liegt, von diesem.
    Das so östlich vom großen See, westlich und nördlich vom Ziegelsee, südlich von der Stadt begrenzte Land hieß die Schelfe, die durch einen kleinen See, den Heidensee, und zwei von diesem aus westlich in den Ziegelsee und östlich in den großen See geführte Canäle in zwei Theile getheilt wird, deren größerer, nördlich gelegener, unter fürstlicher Gerichtsbarkeit steht und jetzt allein den Namen Schelfwerder oder Werder führt, während der südliche zur Stadtfeldmark als Schelffeld gehört.
  2. Zunächst dem Ziegelsee, und westlich von ihm gelegen, befindet sich der Medeweger See, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Er erstreckt sich nach Nordwesten und steht durch seinen Ausfluß, den Au=Bach, mit dem Pfaffenteich in Verbindung.
  3. Noch weiter nach Nordwesten, ebenfalls eine halbe Stunde von der Stadt, liegt mit seiner Längenrichtung nach Nordwest der Lankower See.
  4. Westlich eine Stunde von Schwerin liegt der im Verhältniß zu seiner Länge sehr schmale Neumühler See,
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  1. dessen in dem Ostorfer See verlaufender Abfluß die Neumühle treibt, die am südlichen Ende dieses Sees gelegen ist.
  2. Südwestlich von Schwerin liegt der Ostorfer See, wie die unter 2-4 aufgeführten Gewässer seinen Namen von der an seinem Ufer liegenden Ortschaft tragend. Auch er erstreckt sich von Süden nach Norden und steht durch den Seekekanal und Fließgraben mit dem Burgsee und dem Pfaffenteich in Verbindung, außerdem noch durch einen schmalen Wasserlauf mit dem südlich von Schwerin liegenden
  3. Faulen See, der von Südwesten nach Nordosten sich ausdehnend und die Canäle des Schloßgartens speisend, in den Burgsee, eine Bucht des großen Sees, abfließt.

Nach der neuen im Bureau der Großherzoglich Meklenburgischen Landes=Vermessungs=Commission bearbeiteten Specialkarte der Umgegend von Schwerin liegt der große See mit dem Ziegelsee in gleichem Niveau, 116 Pariser Toisen Fuß über dem Nullpunkt des Ostseepegels zu Wismar, der Medeweger See 123, der Lankower See 132, der Neumühler See 137, der Ostorfer See 124, der Faule See 119, der Pfaffenteich 121,5. Bevor Menschenhand sie änderte, waren die Wasserverhältnisse um Schwerin anders, als wie sie eben geschildert sind, vor Allem war der Pfaffenteich kein besonderes Gewässer, sondern Theil des Ziegelsees, der durch eine sumpfige Niederung, nicht durch fließendes Wasser, mit dem Burgsee verbunden war, wie auch der Ostorfer See wohl mit diesem in Verbindung gestanden haben mag.

Die Stadt selbst am großen See und zwischen diesen sechs Seen gelegen, besteht jetzt aus vier Theilen, der Altstadt, der Neustadt, der Paulsstadt und der Vorstadt.

Die Altstadt, der älteste Theil, liegt auf dem Hügel, dessen höchsten Punkt der Dom mit dem Markt einnimmt und der von dem Burgsee, Fließgraben, Pfaffenteich, der Friedrichs= und Scharfrichter=Straße, dem Großen Moor und dem Großen See begrenzt wird. Der von der Altstadt nördlich gelegene Stadttheil heißt die Neustadt. Diese ist auf einem langgestreckten Höhenrücken, der in ziemlich steilem Winkel in den Pfaffenteich und in den großen See abfällt, erbaut; seinen höchsten Punkt krönt die Schelf= oder St. Nicolai=Kirche. Die Paulsstadt liegt auf dem Terrain westlich des Pfaffenteiches, die Vorstadt westlich des Fließgrabens.

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Der Name Schwerin wird in den ältesten Zeiten ungemein verschieden geschrieben und zwar: Suerin, Suuerin, Swerin, Szeuryn, Szwirin; Zuerin, Zuwerin, Zverin, Zwerin, Zweryn, Zwirin; Czverin, Czwerin, Cuwerin; Tzwerin. In Urkunden vom Jahre 1330 und 1333 findet sich noch die Schreibweise, Schuerin sogar Schwerin, indessen sind uns die bezüglichen Documente nur in Abschriften aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben, und die alte Schreibweise wird der damals herrschenden haben Platz machen müssen.

Der Name Schwerin ist wendischen Ursprungs und bedeutet Thiergarten. W. Hanka schreibt 1 ): "Zuerin heißt Thiergarten, wir nennen Schwerin noch immer mit diesem alten Laute." Beyer will freilich in seiner hochinteressanten und gelehrten Abhandlung: Die Schwerine, Jahrbücher XXXII, S. 58 flgd., unter Schwerin den heiligen Hain verstanden wissen, in dem das heilige Roß verehrt wurde, und stützt sich dabei auf den Namen des bei Schwerin gelegenen Dorfes Ostorf. Dies Wort ist früher Osestorp geschrieben, und versucht Beyer nun nachzuweisen, daß dies ein Schreibfehler gewesen, daß es Orsestorp habe heißen müssen und daß Ors, englisch Horse gleich "Roß" zu nehmen sei. Ich kann dieser Ausführung nicht beistimmen, möchte vielmehr, soll eine Lautverschiebung einmal vorgenommen werden, auf die von Beyer S. 61 a. a. O. gegebene Bedeutung von Wustrow = Wostrow = Ostrow = "eine in das Wasser vorspringende Landspitze, Halbinsel, aber auch Insel" hinweisen und darauf aufmerksam machen, daß gerade die Feldmark Ostorf nur aus solchen Terrainformationen besteht. Im Uebrigen stimmen Hanka und Beyer darin überein, daß beide unter Schwerin einen eingehegten Wald verstehen.


Die Burg.

Die erste Kunde von der Burg Schwerin bringt Helmold in seiner Chronica Slavorum Lib. I. cap. 87:

"Post hec intravit dux Heinricus terram Sclavorum in manu valida et vastavit eam igne et gladio. Et videns Niclotus virtutem ducis succendit omnia castra sua, videlicet Ylowe, Mikilinburg, Zverin et Dobin precavens obsidionis periculum".


1) Jahrbücher II, 178.
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Es fanden diese Ereignisse in dem bekannten Kriegszug Herzog Heinrichs des Löwen statt, vor dem Niclot, Fürst der Obotriten, sich nach seiner Burg Werle bei Schwaan zurückzog und dort bei einem Ausfallsgefechte 1161 blieb. Nach seinem Tode befestigte Herzog Heinrich wieder die Burg Schwerin.

Dux (Heinricus) igitur demolitus omnem terram, cepit edificare Zverin et communire castrum -

(Helmold l. c.)                  

die von da ab mit wenigen Unterbrechungen die Residenz, zuerst der Grafen von Schwerin, dann, nach dem Uebergang der Grafschaft an das alte Fürstenhaus, der Herzoge von Meklenburg bis zu dem heutigen Tage blieb.

In Frage kann nur kommen, ob die alte vom Fürsten Niclot zerstörte Burg von Herzog Heinrich an derselben Stelle wieder errichtet und nicht vielmehr verlegt worden ist.

Gegen das letztere spricht jedoch der Umstand, daß es ungemein auffallend wäre, wenn Helmold in diesem Falle den Wiederaufbau der Burg berichtet hätte, ohne ihre Verlegung zu erwähnen, es kann daher der Sinn der Worte Helmolds nur der sein, daß der Herzog begonnen habe, nach der Verwüstung des Landes von neuem die Burg Schwerin zu befestigen. Dem entspricht auch ihre Lage, die vollständig derart ist, wie die Wenden sie zu wählen pflegten. Die Burg liegt nämlich auf einer ziemlich geräumigen Insel am westlichen Ufer des Seees, mehrere hundert Schritte von der Stadt entfernt und vom Lande durch eine hinreichend breite Wasserfläche getrennt. Der Platz zwischen der Burg und Stadt, der "Alte Garten", jetzt fester Grund und Boden, war früher Morast und Sumpf, der jetzige Schloßgarten bestand ebenfalls in ziemlicher Ausdehnung aus Sumpf und Bruch, so daß das Schloß an der Nord= und Ost=Seite durch die Weite Wasserfläche des großen Sees, an der Süd= und West=Seite zunächst durch Arme desselben Sees und den Burgsee, außerdem aber noch durch lang ausgestreckte tiefe Sumpf= und Wiesenflächen geschützt war und somit eine in Ansehung der damaligen Bewaffnung und Kriegsführung fast uneinnehmbare Befestigung bildete. Ferner stimmen hiermit die Beobachtungen überein, die bei dem Neubau des Schlosses und der sich dabei vernothwendigenden Aufgrabung des Bodens der Insel gemacht sind. Es fanden sich nämlich auf dem auf der natürlichen Oberfläche der Insel aufgeschütteten Walle 1 ) die bekannten Topfscherben aus der mit


1) Lisch, Jahrbücher XV, 159 flgd.
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Granitgrus durchkneteten Masse und ihren roh und flüchtig eingekratzten Verzierungen in zahlloser Menge, nach vielen Beobachtungen, z. B. in Werle, Meklenburg, Ilow, Dobin, Teterow ein sicheres Kennzeichen der Wendenzeit. Als zweifellos ist mithin anzusehen, daß die alte Grafenburg und das spätere Schloß Schwerin auf demselben Platz erbaut ist, wo die alte wendische Burg Niclots gestanden hat.

Was nun diese von Herzog Heinrich und Graf Gunzelin aufgeführte Befestigung betrifft, so ist wohl als sicher anzunehmen, daß sie ein solides Bauwerk von Backsteinen war, indessen ist von derselben gar nichts erhalten, und schweigen auch die Quellen sowohl über den Bau wie über die Burg in dieser Periode vollständig, nur daß ab und an das castrum Zverin, dat hus tu Zverin, erwähnt wird. 1 )

Es darf hier nicht unberührt bleiben, daß man bei der vorhin erwähnten Aufgrabung der Schloßinsel unmittelbar über der die wendischen Topfscherben enthaltenden untersten Erdschicht eine Lage horizontal aufgeschichteter, dünner Stämme, meist von Ellern oder Eichen, fand, auf denen an vielen Stellen zahlreiche hellblaue oder hellgelbe Topfscherben, wie solches Geschirr nachweislich im Mittelalter gebraucht wurde, lagen. Geschichtlich ist nun nachzuweisen 2 ), daß in jener Zeit solche horizontal aufgeschichtete Baumstämme als Fundament bei Bauten auf sumpfigem Terrain dienten, und ist es mehr als wahrscheinlich, daß wir in diesen Stämmen den untersten Grundbau der alten Grafenburg zu sehen haben, der der Restauration des Schlosses in diesem Jahrhundert nothgedrungen zum Opfer fallen mußte.

Mit einiger Sicherheit läßt sich aus der wiederholten Anwesenheit der einzelnen Grafen von Schwerin an einem Orte folgern, daß ihr Hoflager sich dort befand.

Aus Schwerin sind nun besonders viele Urkunden von Graf Gunzelin III. und Graf Helmold III. 3 ) datirt, so daß von diesen beiden, wie auch vom Grafen Heinrich III. behauptet werden kann, daß sie hier residirten. Für einige Zeit wird dies auch bei Graf Heinrich I. der Fall gewesen sein,


1) No. 242 M. U.=B. I. 1650, 1696 M. U.=B. III, 3145, 3193 M. U.=B. V, 4279 M. U.=B. VI, 4416 M. U.=B. VII. - Die in der Datirung der Urkunde vom 12. März 1350 - No. 7057 M. U.= B. X - angeführte Oertlichkeit "tu Zwerin oppe deme mushus" wird wohl am richtigsten als das Zeugbaus der alten Burg aufgefaßt.
2) Lisch, Jahrbücher XV. S. 161 no. 5.
3) Ich folge hier der vom Herrn Archivrath Dr. Wigger aufgestellten Stammtafel der Grafen von Schwerin. Jahrbücher XXXIV, 138.
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wir finden ihn besonders im Jahre 1217 und 1227-1228 hier.

Von Interesse ist es schließlich, festzustellen, welchen Geschlechtern die Bewachung der Burg anvertraut, welche Personen die Burgmänner des castrum Zuerin waren. Wir sind hierbei lediglich auf die Zeugenreihen in den aus Schwerin datirten Urkunden angewiesen und können aus dem Umstand, daß einzelne Personen Jahre hindurch wiederholt und unter der Regierung verschiedener Grafen sowohl in deren Gegenwart wie Abwesenheit hier als Zeugen aufgeführt werden, schließen, daß dieselben ständig als Burgmannen in Schwerin anwesend waren. Besonders ist Fridericus de Eueringe in der Zeit von 1220-1251 hier zu erwähnen, sowie Wernerus de Haluerstat 1267-1274, Wernerus de Haluerstat 1321 -1337, Johann von Haluerstad 1337-1347 und Henneke Haluerstad 1343-1358. Auch die von Driberg und zwar Reinboldus 1218-1227 und Bolte 1299-1321, die von Zickhusen, Hartwig 1313-1318, Ludolph 1318-1344, Otto 1358, endlich die von Raben sind hervorzuheben, von dem letzten Geschlecht besonders Gherardus Rauen 1299-1313 und vor allen Hinricus Rauen 1321-1343. Außer diesen kommen häufig vor: Bernardus de Masenthorp 1220-1228, Henricus de Insula 1251-1275, Viricus de Bluchere 1275 -1282, (Fridericus ?) Molzan 1281-1284, Johannes de Dambeke 1282-1318, aduocatus Ludolphus 1282-1300, Ludolphus Cwerin 1300-1318, Godscaicus Pren 1310- 1350 und endlich Hinricus Rosenhaghen 1332-1358. Die Burgmänner zur Zeit des Ueberganges der Stadt Schwerin an das Haus Meklenburg waren: Otto von Tzychusen, Hennyngh Haluerstad, Matthias Rauen, Ghotschalk van Tzůlowe vnde Hinrik Růsenhaghen. 1 )


Gründung der deutschen Stadt.

Wenn uns auch nicht die Stiftungsurkunde der Stadt Schwerin und damit deren Gründungsjahr urkundlich erhalten ist, so berichten doch Helmold und Saxo Grammaticus übereinstimmend, daß Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen das jetzige Schwerin gleich nach Niclots Tode erbaut habe.


1) Vgl. die in der Anlage abgedruckte Urkunde.
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Helmolds Erzählung, Chronik I cap. 87, ist auf S. 38 wiedergegeben, Saxo Grammaticus berichtet XIV (pag. 79 6/7 ed. Müller et Velschow) vom Jahre 1164, daß Schwerin vor Kurzem mit dem Stadtrecht bewidmet sei,

- praefectumque Swerini oppidi Guncellinum, quod nuper a Saxonibus in potestatem redactum, jus et formam civitatatis acceperat -

und ist somit zweifellos, daß die deutsche Stadt Schwerin schon vor 1164 von Herzog Heinrich selbst gegründet ist. 1 )

Daß dieser, und nicht Graf Gunzelin der Stifter war, folgt auch aus dem Stadtsiegel, welches das rechtsgekehrte Reiterbild des Herzogs mit dem Braunschweigschen Leoparden aus dem Schilde und der Umschrift:

"Dvx Henricvs et sigillvm civitatis Zverin"

zeigt.

Lisch giebt in Meklenburg in Bildern I S. 2 und in der Geschichte der Heiligen Blutskapelle 2 ) als Gründungsjahr der Stadt das Jahr 1166 an, ebenso Fromm in seiner Chronik von Schwerin, ohne hierfür Gründe anzuführen, da jedoch diese Annahme mit Saxo Grammaticus in Widerspruch steht, und es andererseits auch mit dem Zeugniß Helmolds übereinstimmt, wenn als Gründungsjahr 1161 angenommen wird, 3 ) möchte dieser Ansicht bis zur Beibringung neuen Materiales der Vorzug zu geben sein.

Daß vor der Zerstörung von Schwerin durch Niclot ein wendischer Ort gleichen Namens sich auf dem Platz befunden hat, wo später die deutsche Stadt gegründet wurde, folgt aus der Nachricht des Bischofs Thietmar zu Merseburg, daß der Stamm der Leutizen den Fürsten der Obotriten Mistizlav 1018 in Schwerin 4 ) eingeschlossen habe. Ferner wird die Existenz einer Stadt Schwerin vor 1161 durch die Dotationsurkunde des Bisthums Ratzeburg Seitens des Herzogs Heinrich von Bayern und Sachsen 5 ) wahrscheinlich gemacht, in welcher Berno Zverinensis episcopus als Zeuge aufgeführt wird. Daß mit diesem Zverin das castrum


1) Die Darstellung des der Stadt Schwerin eigenthümlichen Rechtes hat einer speciellen Abhandlung vorbehalten bleiben müssen, da eine Besprechung desselben nur bis zum Jahre 1359 unthunlich war, eine weiter gehende aber nicht in den Rahmen dieser Darstellung paßte.
2) Jahrb. XIII, S. 146.
3) Cfr. No. 71 M. U.=B. I, Anmerkung.
4) Infra Zwerinae ciuitatis munitionem.
5) No. 65 M. U.=B. I.
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Zverin gemeint sei, ist aus dem Grunde nicht anzunehmen, weil die Verlegung des Bisthums von Meklenburg nach Schwerin nicht stattgefunden haben würde, wenn als solches lediglich die Burg und nicht auch eine Ortschaft existirt hätte. Hierzu kommt dann endlich, daß der alte, in den Bestätigungsurkunden des Bisthums angeführte Kirchhof, der sich in der Nähe des jetzigen Hotel de Paris befand, am richtigsten als der Kirchhof der alten Wendenstadt aufgefaßt wird.

Ueberreste dieser alten Wendischen Stadt sind nicht erhalten geblieben, und wissen wir über dieses Schwerin nicht das Geringste. Da aber die alte Burg auf der Stelle lag, wo jetzt das Schloß steht, wird das wendische Schwerin sich auf dem festen Lande vor der Burg, auf dem Platze befunden haben, den die jetzige Altstadt einnimmt. Der Verkehr von und nach der Burg, die durch Brücke und Damm mit dem festen Lande in Verbindung gestanden haben muß, wird durch eine Aufschüttung in dem "alten Garten", auf der wahrscheinlich der jetzige Straßenzug liegt, vermittelt sein.


Der Dom.

Das einzige Gebäude, das aus der ältesten Periode der Geschichte der deutschen Stadt Schwerin uns erhalten blieb, ist der Dom 1 ), das bedeutendste Bauwerk der Stadt. Jedoch auch dieses hat seine jetzige Gestalt nur zum Theile in der Zeit bis zum Jahre 1359 erhalten, zum Theil erst später, bis zum Jahre 1375, wenn man von dem Kreuzgang und der Wölbung des Mittelschiffes absehen will.

Urkundliche Nachrichten über die verschiedenen Bauten an der Domkirche giebt es nur sehr wenige, die schon aus diesem Grunde eine um so größere Beachtung verdienen, außerdem aber, weil sie Punkte betreffen, die für die räumliche Ausdehnung und damit für die Gestaltung des Domes von wesentlichstem Interesse sind.

Zunächst können urkundlich die beiden Endpunkte der Längsaxe der Kirche nachgewiesen werden.

In der Urkunde vom 3. Mai 1218 2 ) ordnet der Bischof Brunward die Verwendung der Einkünfte von dem Dorf


1) Benutzt sind die verschiedenen Aufsätze und Abhandlungen in den Jahrbüchern für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde VIII, 29 flgd. X, 306 flgd. XIII, 143 flgd. XIX, 398 flgd. XXXVI, 147 flgd. und XL, 169 flgd.
2) No. 241 M. U.=B. I.
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Medewege und erklärt, daß die Grafen Gunzelin und Heinrich von Schwerin der Domkirche dieses Dorf unter der Bedingung 1 ) geschenkt hätten, daß täglich eine Seelenmesse gelesen werden solle in capella, in qua patris et fratrum ipsorum corpora sunt tumulata. Diese Kapelle, die später sogenannte Heilige Blutskapelle, hat also im Jahre 1218 sicher schon existirt, und mit größter Wahrscheinlichkeit steht anzunehmen, daß sie schon früher vollendet war, da dort 1218 mehr als eine Person ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. Die Grafen Gunzelin und Heinrich die Stifter dieser Seelenmessen, waren nämlich die Söhne des Grafen Gunzelin von Hagen, der von Herzog Heinrich von Sachsen und Bayern auf Schwerin eingesetzt war und 1185 starb. Sein Sohn, Graf Helmold I. von Schwerin folgte ihm 1195 und ein oder mehrere, namentlich uns nicht bekannte Söhne starben vor 1200 2 ), diese Personen werden es also sein, die in der Kapelle beigesetzt waren. Da nun die Urkunde kein Wort davon enthält, daß die Leichen erst längere Zeit nach ihrem Tode von einem anderen Orte dorthin gebracht sind, so ist anzunehmen, daß Graf Gunzelin I., der erste deutsche Graf in Meklenburg, nach seinem Ableben sofort in der Hauptkirche seines Landes und seiner Residenz beerdigt worden ist, im Jahre 1185 war also die Kapelle so weit fertig, daß solche Personen in ihr beigesetzt werden konnten, sie muß mithin schon damals, wenn nicht ganz, so doch nahezu vollendet gewesen sein; ihre Existenz im Jahre 1218 ist urkundlich nachgewiesen. Daß diese alte Begräbnisstätte an derselben Stelle wie die unseres jetzigen Fürstenhauses sich befunden hat, bedarf hier keiner Begründung mehr, da der Beweis schon durch Lisch in den Jahrbüchern XIII, 160 flgd. vollständig geführt ist.

Der andere Endpunkt, dessen Existenz urkundlich allerdings erst im Jahre 1305 nachgewiesen werden kann, ist das Thurmgebäude. In der Urkunde vom 31. October 1305, durch die der Verkauf eines Domherrenhofes seitens des Domherrn Philipp an den Cantor Gunzelin bezeugt wird, 3 ) heißt es von dieser Curie, sie sei gelegen in opposito contra hostium turris 4 ) iuxta cimiterium Zwerinense. Zu dieser


1) Am 2. Juli 1217 - No. 235 M. U.=B. I.
2) Wigger über die Stammtafel der alten Grafen von Schwerin, Jahrbücher XXXIV S. 61-68, 138/139.
3) No. 3032 M. U.=B. V.
4) Lisch versteht unter diesem turris das alte Schelfthor und unter dem Domherrnhof das jetzige Hotel de Paris. Ich kann diese Ansicht (  ...  )
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Zeit existirte also nachweislich von der Domkirche das Thurmgebäude, dessen Pforte nach dem jetzigen Posthof hin gelegen war, dieselbe Pforte, deren Conturen man noch theilweise zu beiden Seiten der erst in späterer Zeit durchgebrochenen Spitzbogenthür sieht. Indessen ist der Thurm bedeutend älter, wenn sich diese Behauptung auch nicht urkundlich, sondern - allerdings eben so sicher - durch den Baustil beweisen läßt. Während nämlich die übrige Kirche vollständig im Spitzbogenstil erbaut ist, herrschte zur Zeit der Errichtung des Thurmgebäudes noch der Rundbogen, der an der Westfront dieses Baues in den alten Thür= und Fensterwölbungen und dem über den Fenstern befindlichen Friese klar und offen zu Tage liegt. Da nun nach den datirten Kirchenbauten von Wittenburg, Parchim und Röbel der Spitzbogenstil in Meklenburg im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts durchdrang, kann ohne jede Uebertreibung gesagt werden, daß der Thurm mindestens bis zu dem Rundbogenfriese - der alte Giebel und das Dach ist vor ungefähr 20 Jahren abgebrochen und neu aufgeführt - vor Mitte des XIII. Jahrhunderts gestanden hat.

Ein weiterer urkundlich nachweisbarer Punkt ist die ehemalige östlichste Pforte der Südseite der Kirche. Eine auf die Stralsunder Streitigkeiten Bezug habende Urkunde ist nämlich datirt: "Actum Zwerin ante hostium novi chori" am 27. März 1327. 1 ) Zu dieser Zeit muß also der Chor noch nicht lange vollendet gewesen sein. Jetzt ist derselbe an jeder Seite mit Seitenschiffen versehen, die hinter dem Altar den polygonen Umgang bilden; nach der ersten Anlage und zu der Zeit der in Bezug genommenen urkundlichen Nachricht war dies nicht der Fall, da unschwer zu erkennen ist, daß die Seitenschiffe zu einer anderen Zeit wie der Chor erbaut


(  ...  ) nicht theilen, denn einmal wird das Schelfthor in den Urkunden niemals mit turris bezeichnet, dann paßt der Ausdruck "in opposito contra hostium" nicht auf ein Gebäude, das links neben dem Thor liegt, und endlich enthält die Urkunde nichts, was darauf hinweist, daß sie vom Schelfthor spricht. Daß das Thurmgebäude des Domes und der ihm gegenüber liegende Domherrnhof, das jetzige Postgebäude, gemeint ist, dafür spricht der hier vollständig passende Ausdruck "in opposito contra hostium turris" der Thür im Thurm gegenüber, sowie der Umstand, daß die Curie iuxta cimiterium Zwerinense lag, da der christliche Kirchhof sich um dem Dom erstreckte, und anzunehmen ist, daß eine Urkunde vom Jahre 1305 diese und nicht die alte heidnische Begräbnißstätte, die beim Hotel de Paris sich befand, im Auge hat, wenn sie vom cimiterium Zwerinense spricht.
1) M. U.=B. VII, S. 440, No. 11.
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sind und zwar zu einer jüngeren Zeit. Es beweisen dies die Fenster. Wenn beide Bauten zu derselben Zeit aufgeführt wären, so müßten bei beiden die Fenster gleichmäßig gearbeitet sein oder mindestens müßten diejenigen, die zuerst in Angriff genommen wären, einen einfacheren, strengeren Stil zeigen, als diejenigen, die zuletzt gebaut wurden, wenn während der Zeit, die über dem Bau verging, der Stil sich weiter und reicher entwickelt hätte, die Fenster der Seitenschiffe resp. des Umganges hätten also, wenn diese mit dem Chor zu gleicher Zeit gebaut wären, einfacher construirt sein müssen. Es tritt aber gerade das Umgekehrte zu Tage. Die Fenster des Chors sind die ganz gerade und glatt eingehenden, die der Seitenschiffe resp. des Chorumganges die künstlicheren. Mithin sind diese letzteren und der Chorumgang erst in späterer Zeit angebaut und zwar zu einer und derselben Zeit mit den Seitenschiffen des Langschiffes, was der übereinstimmende Stil und die von Bülowschen Wappenschilde über der westlichen und östlichen Pforte der Südseite des Domes beweisen. Es kann also die in Rede stehende Pforte, hostium novi chori, nicht die noch heute vorhandene östlichste Pforte der Südseite der Kirche sein, sondern dieselbe muß sich in der jetzt verschwundenen, zu Pfeilern durchgebrochenen Seitenwand des Chors befunden haben. Die Pforte der südlichen und nicht der nördlichen Seite dürfte um deswillen anzunehmen sein, weil an der nördlichen Seite noch 1 ) das Kalkhaus stand, dieser Platz auch, abgelegen vom Verkehr wie er war, sich gerade nicht sehr zur Vornahme eines Notariatsactes eignete, Umstände, die an der anderen, der südlichen, dem Markte zu gelegenen Seite nicht vorhanden waren.

Hervorzuheben ist hier noch die bei der jüngsten Restauration des Domes unter der alten Tünche entdeckte Malerei des Triumphbogens 2 ), die im Wesentlichen das Haupt Johannes des Täufers auf einer blutrothen Schüssel darstellt. Ihre Uebereinstimmung mit dem oberen Schilde in dem Siegel des Domthesaurarius, nachmaligen Bischofs Hermann Maltzan läßt ziemlich sicher schließen, daß die Malerei auf Anordnung dieses Hermann Maltzan ausgeführt ist. 3 ) Zu seinen Lebzeiten muß also der Triumphbogen, der Schluß des Chores nach Westen zu fertig gestellt sein. Da nun Hermann


1) No. 4939, M. U.=B. VII.
2) Lisch, Jahrbücher XXXVI, 174.
3) No. 3153 M. U.=B. V, (Note).
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Maltzan 1299 Domherr, 1300 Domthesaurarius, 1301 Präpositus, 1314-1322 Bischof von Schwerin war, so folgt, daß der Chor, wie wir ihn jetzt über den Seitenschiffen emporragen sehen, der 1327 als "der neue Chor" bezeichnet wird, in der Zeit von 1300-1322 erbaut wurde.

Hiermit stimmt auch die Regeste Clandrians 1 ) vom Jahre 1306, nach welcher Bischof Gottfried dem Capitel 3 Hufen auf der Schelfe, die ihm jährlich 12 Wispel Hafer trugen, 4 Jahre lang zum Kirchenbau überlassen hat, sowie ferner die Bestimmung des dritten Theils der Strafe, welche diejenigen, die sich gegen die Geistlichkeit vergehen, nach der Bestimmung der Grafen Gunzelin und Heinrich von Schwerin vom 31. October 1307 erlegen müssen, es soll ihn nämlich erhalten structura ecclesie. 2 ) Am 7. December 1345 endlich stiftetete der Schweriner Domherr Johann von Campe einen Kronleuchter von 15 Flammen bei dem Ambo des Domes. 3 ) Der Ambo ist eine steinerne, bühnenartige Empore, zu kirchlichen Vorlesungen bestimmt (Kanzel), östlich und westlich mit einer Treppe zum Hinabsteigen versehen, die sich vor dem Chor der Kirche befindet, (Otte, Archäologisches Wörterbuch S. 4) mithin muß dieser zu jener Zeit längst fertig gewesen sein.

In der Urkunde, durch die Bischof Brunward die Einkünfte der Grabkapelle der Grafen von Schwerin 1218 ordnet, 4 ) heißt es, daß die Domherren eine passende Person als Genossen wählen sollen, qui cum eis in choro Zwerinensi deseruiret, und scheint es hiernach, als wenn der Chor schon zu jener Zeit vollendet gewesen wäre, außer den vorhergehenden Gründen spricht hiergegen jedoch der Umstand, daß der Bau der Kirche erst 1248 so weit vorgeschritten war, daß er zum gottesdienstlichen Gebrauch geweiht werden konnte, es muß deshalb die angeführte Bestimmung als eine in der Zukunft zu befolgende aufgefaßt werden, welcher Auslegung grammatikalische Hindernisse nicht entgegenstehen.

Nach Archivnachrichten 5 ) wurde das Capitelhaus, das zwischen dem südlichen Arm des Kreuzschiffes und dem Chor errichtete zweistöckige Gebäude, in der Zeit von 1365-1375 gebaut, es mußte mithin das Seitenschiff zu der Zeit schon gestanden haben oder gerade aufgeführt werden. Das letztere


1) No. 3055 M. U.=B. V.
2) No. 3193 M. U.=B. V.
3) No. 6586 M. U.=B. IX.
4) No. 241 M. U.=B. I.
5) Lisch, Jahrbücher XIII, 156, XXXVI, 149 und XL, 169.
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ist das Wahrscheinlichere, da das Capitelhaus mit dem Domgebäude in Mauerverband steht. Hiermit stimmt nur nicht ganz das Vorhandensein einer Sacristei, armarium, die in den Urkunden vom 23. November 1340 und 6. Mai 1343 1 ) erwähnt wird; von derselben ist nichts zu finden, wenn man nicht eben das dazu in hohem Maße paßliche Capitelhaus darunter verstehen will, was aber nicht möglich ist, da dasselbe nach den Archivnachrichten erst 1365-1375 erbaut ist und in seinem unteren Raum als Kapelle diente 2 ), mithin bleibt nur die Annahme übrig, daß ein Anbau am Dom, der als Sacristei benutzt ist, gelegentlich des Baues der Seitenschiffe und des Kreuzschiffes abgebrochen wurde und nicht mehr aufzufinden ist.

Für die Geschichte des Dombaues kommen schließlich an urkundlichen Nachrichten in Betracht die Urkunde No. 100 M. U.=B. I, S. 100:

Acta sunt hec V ° idus Septembris, in dedicatione eiusdem ecclesie, anno dominice incarnationis M. C. LXXI °.

und der Vermerk Hederichs in dem Index annalium ecclesie sive episcopatus Sverinensis - Lisch, Meklenburgische Urkunden III, 93:

Wilhelmus episcopus Suerinensis eligitur 1248, fol. 87, a. Templum Suerinense primus consecrat in die S. Viti, fol. 97, b., in memoriam primae dedicationis, ex mandato Henrici fundatoris.

      (15. Juni 1248.)

Dies ist Alles, was an urkundlichen Nachrichten über den Dom und dessen Bau auf unsere Zeit gekommen ist - der Vollständigkeit wegen ist hier noch zu erwähnen, daß der Vicar einer vom Probst Heinrich 1350 gestifteten Vicarei gehalten sein soll, jährlich 5 Mark zum Kirchenbau, insbesondere zur Ausbesserung der Fenster und des Daches herzugeben 3 ) - und man muß sagen, daß es außerordentlich wenig ist, indessen doch genug, um ein ungefähres, historisch begründetes Bild der Geschichte des Dombaues zu construiren.

Nach der Grundsteinlegung am 9. September 1171 wird der Bau kräftig in die Hand genommen sein, da er 14 Jahre später schon so weit gefördert war, daß an dem


1) No. 6082 und 6301 M. U.=B. IX.
2) Lisch, Jahrbücher XL, 172 flgd.
3) No. 7106 und 7126 M. U.=B. X.
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östlichen Endpunkt der Kirche, in der Heiligen Blutskapelle, Graf Gunzelin I. beigesetzt werden konnte. Von Anfang an muß die ganze Länge der jetzigen Kirche prospicirt sein, da das Thurmgebäude, der westlichste Punkt, noch den Rundbogenstil zeigt, der doch schon vor Mitte des 13. Jahrhunderts verschwunden war. Entgegen der Behauptung 1 ), daß der Bau der Kirche im Westen begonnen, bin ich der Ansicht, daß derselbe von Osten her in Angriff genommen ist, daß zunächst der Altarraum hergestellt und von da weiter, möglicherweise mit zeitweiliger Freilassung des Raumes für das jetzige Kreuzschiff nach Westen zu vorgeschritten und das Thurmgebäude mit dem Rundbogenfries noch vor 1222 vollendet ist. Diese im Rundbogenstil begonnene, aber keinenfalls vollendete Kirche 2 ) wurde am 15. Juni 1248 geweiht und damit dem gottesdienstlichen Gebrauch übergeben. Eine Zeitlang hat hierauf der Dombau geruht. Ende des XIII., Anfang des XIV. Jahrhunderts ist dann mit dem weiteren Ausbau resp. Umbau der Kirche im Spitzbogenstil begonnen, und der hohe Chor vor 1322 in Wölbungen und Allem vollendet, so wie wir ihn noch jetzt über die Seitenschiffe hervorragen sehen. In der folgenden Zeit wird zunächst der Thurm, so wie er vor seiner letzten Restauration war, 3 ) fertig gestellt, und das Schiff bis zum Ansatz der Fensterbögen und der Wölbungen, die erst durch die Stralsunder zur Lösung vom Bannfluch im Jahre 1416 4 ) ausgeführt wurde, erbaut sein, dem sich in der Zeit von 1365 - 1375 die Seitenschiffe und der polygone Chorumgang um den Altar anschlossen. Die Kreuzschiffe können erst nach Vollendung der Seitenschiffe, aber wohl noch vor dem Jahre 1400 errichtet sein, da anderenfalls das bischöfliche v. Bülowsche Bauzeichen auch über ihren Pforten nicht gefehlt haben würde. Mithin vergingen fast 250 Jahre, bevor der Dombau zu Ende geführt war, wobei man noch vom Kreuzgang, der in der Zeit von ungefähr 1328-1503 errichtet ist, absehen muß! Es ist allerdings hierbei in Betracht zu ziehen, daß die wenigstens zu einem Theile so weit vollendete Kirche, daß


1) Jahrbücher XIII, 149.
2) Es geht dies aus einer Regeste Clandrians hervor, nach welcher der Erzbischof Konrad von Cöln einen Ablaß denen giebt, die "vff gewisse Festtage die Kirche zu Zwerin besuchen oder zum gebew der Kircnen Miltiglich wass geben werden." 1249. No. 625 M. U.=B. I.
3) Lisch, Jahrbücher XIX, 399.
4) Lisch, Jahrbücher XXXVI, 187.
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in ihr, vor der Unbill der Witterung geschützt, Gottesdienst gehalten werden konnte, um= resp. neu gebaut wurde, sowie ferner, daß die Seitenschiffe erst spät, gegen Ende des Baues errichtet wurden, und dazu die erforderlichen Oeffnungen in die Seitenwände der Kirche gebrochen werden mußten, somit das Gebäude einem zweifachen gründlichen Umbau unterlag; indessen bleibt es doch wunderbar, daß das Bauwerk, bei dem doch keine zeitraubenden Steinhauerarbeiten u. a. m. zu beschaffen waren, nicht früher in einem Guß vollendet ist, zumal dem Dom doch durch das heilige Blut und auch durch den frommen Eifer der Gläubigen für die damalige Zeit die erheblichsten Beträge zuflossen. Der Umstand, daß der Bau nicht schnell gefördert, sondern länger als zwei Jahrhunderte hingeschleppt wurde, konnte für das Aeußere der Kirche von gerade nicht immer gutem Einfluß sein; besonders zwei Punkte sind es, die unschön das periodenweise Bauen illustriren. Es fällt beim ersten Anblick auf, daß der Chor und dessen Dach ein Erhebliches niedriger als der übrige Theil der Kirche ist, sowie ferner die überaus jammervolle Ausführung der Wölbung des Mittelschiffes. Man merkt dem Bau von Weitem an, daß er eine Strafarbeit ist. Zu bedauern ist, daß der alte Theil des Thurmgebäudes nicht in seinen alten Fenster= und Thürwölbungen erhalten bleiben konnte, dringende Gründe müssen deren Beseitigung erheischt haben.

Ein Punkt ist es, der zu starken Zweifeln Anlaß giebt: die Erbauung der Kreuzschiffe. Wie oben besprochen, können sie frühestens aus der Zeit von 1365-1375 stammen. Nun wäre es aber doch ein mit dem bei dem Dombau sonst bewiesenen guten Geschmack und Kunstsinn kaum zu vereinbarender Umstand, wenn dem Baumeister es entgangen wäre, wie wenig vortheilhaft ein Bau von der Länge und Höhe des Domes ohne Kreuzschiffe sich ausnimmt, projectirt müssen dieselben deshalb schon aus diesem Grunde von Anfang an gewesen sein, wenn auch ihre Errichtung, sei es aus welcher Veranlassung es wolle, so lange unterblieben ist. Einen gewissermaßen urkundlichen Anhalt für diese Behauptung gewährt das zu der Urkunde vom 11. September 1248 1 ) abgebildete große Siegel des Schweriner Capitels, das in seinem oberen Theile eine Kreuzkirche mit hoher Kuppel zeigt.


1) No. 609 M. U.=B. I.
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Im Urkundenbuch a. a. O. heißt es S. 577 Note 2 von diesem Siegel:

"Das Capitelsiegel, welches sehr häufig vorkommt, erscheint an dieser Urkunde zuerst, ist aber jedenfalls viel älter und stammt nach dem ganzen romanischen Stil vielleicht aus der Zeit der Stiftung des Bisthums."

Lisch sieht in dem Siegel eine Abbildung des Domes 1 ), wogegen Wigger 2 ) bezweifelt, "daß in diesem Capitelsiegel uns wirklich ein Bild der ältesten Schweriner Kirche enthalten ist"; da das Domcapitel erst später zu Stande gekommen, so möge dessen Siegel aus einer Zeit stammen, als man schon an einen großartigen Ausbau dachte. Auch ich bin nicht der Ansicht, daß das Siegel uns eine Abbildung der Kirche giebt, wenn man das Wort "Abbildung" in dem Sinne nimmt, daß das Bild etwas schon Bestehendes darstellen soll; denn wäre die Kirche schon soweit fertig gewesen, wie das Siegel zeigt, so wäre sie nicht mehr einem so durchgreifenden Umbau unterworfen, wie sie hat erleiden müssen. Meiner Ansicht nach zeigt das Siegel uns die Kirche, wie sie nach dem ersten Grundplan werden sollte, mit deren Bau schon begonnen war, der uns aber nur an der Westseite des Thurmgebäudes erhalten geblieben ist. Vergleicht man diesen alten Rest mit dem Siegelbild, so wird man auch die Dimensionen, die man sich nach letzterem allein weit bedeutender vorstellt, kleiner denken und wird damit ein Hauptgrund Wiggers - die Kostbarkeit des Baues, besonders des Kuppelbaues auf dem Kreuz im Verhältniß zu der Dürftigkeit des Stiftes im Jahre 1171 und der Einfachheit des ehemaligen Cisterciensermönches (Bischof Berno) - wegfallen. Für die Ansicht, daß das Siegel ein Bild giebt, wie die Kirche projectirt war, spricht der Umstand entscheidend, daß zu der Zeit, als dasselbe geschnitten wurde, schon ein Kirchenbau existirte, mithin es das Nächstliegende war, daß, sollte anders überhaupt eine Kirche in das Siegel aufgenommen werden, hierzu eine Skizze des Gebäudes, mit dessen Errichtung man gerade beschäftigt war, und nicht ein Phantasiebild gewählt wurde. Hiernach ist schon die ältere romanische Kirche als Kreuzkirche mit den abschließenden Thürmchen an den Ecken construirt gewesen.

Betreffs der inneren Einrichtung und Ausschmückung des alten Domes kann lediglich auf die Abhandlungen von Lisch


1) Jahrbücher XIII, 149.
2) Jahrbücher XXVIII, 188 Note 1.
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in den Jahrbüchern XXXVI, 147 flgd. und XL, 169 fl. d. verwiesen werden.

Als Baumeister der Kirche, magister operis, wird am 4. November 1272 Bruder Werner genannt 1 ), ferner geschieht eines solchen, aber ohne ihn namentlich anzuführen, am 6. Mai 1343 Erwähnung. 2 ) In dieser letzten Urkunde regeln Heinrich, Bischof von Schwerin, mit dem Capitel und Nicolaus, Graf von Schwerin, die Verwendung der Bede aus dem Dorfe Bandenitz, die 8 Mark Lüb. betrug. Von dieser Summe soll die achte Mark am Sonntage Exaudi zur Kirchenfabrik - Vermögen, das zur Bestreitung der Kosten des Gottesdienstes und für den Unterhalt des Kirchengebäudes bestimmt ist, - abgeführt werden, doch soll der Baumeister, structurarius, dem Schatzmeister 1 sol. geben. Es ist aus dieser Bestimmung ersichtlich, daß zu jener Zeit und vermuthlich schon früher ein ständiger Baumeister fungirt hat. In Beihalt der Ausdrucksweise dieser Urkunde, sowie der No. 1260, wo der magister operis "Bruder" Werner genannt wird, drängt sich die Ansicht auf, daß auch hier in Schwerin ein kunst= und sachverständiger Domherr mit der Leitung des Baues und Verwaltung der betreffenden Gelder betraut war, unter dem dann der eigentliche Architect arbeitete.

Glocken hat der Dom schon ziemlich früh gehabt. Am 24. December 1250 werden in einer Regeste Clandrians über die Bewidmung der Cantorei an der Domkirche mit Zehnten zu Kossebade Seitens des Bischofes Rudolph von Schwerin Pulsanten erwähnt. 3 ) Am 10. März 1311 bestimmt Bischof Gottfried 4 ), daß der Inhaber der von ihm mit Gutem in Redentin gestifteten Vicarei dem Glöckner 2 sol. geben soll.

- dabit campanario duos solidos, ut ad uigilias et missam signa campanarum omnia compulsentur -

In der Urkunde vom 6. Mai 1343 5 ) endlich wird ebenfalls der campanarius angeführt.

Die jetzt vorhandenen Glocken sind mit Ausnahme der dritten jung, sie stammen aus dem vorigen resp. diesem Jahrhundert, die dritte ältere nach der auf ihr befindlichen


1) No. 1260 M. U.=B. II.
2) No. 6301 M. U.=B. IX.
3) No. 644 M. U.=B. I.
4) No. 3455 M. U.=B. V.
5) No. 6301 M. U.=B. IX.
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Umschrift aus dem Jahre 1470 1 ), mithin ist von den ältesten Glocken keine mehr vorhanden.

Eine Orgel besaß der Dom nachweislich im Jahre 1343. Die schon mehrfach erwähnte Urkunde vom 6. Mai 1343 2 ) enthält nämlich die Bestimmung, daß der structurarius - unum solidum - organiste presentabit. Da nun der Ausdruck "organista" nur auf jemanden bezogen werden kann, der einzelne gottesdienstliche Handlungen mit Musik begleitet, an Gesang aber hierbei nicht zu denken ist, weil außer dem organista der cantor und zwar schon 1250 vorkommt, in welchem Jahre Bischof Rudolph die Cantorei mit Zehnten zu Kossebade bewidmet 3 ), so muß der organista derjenige sein, der auf der Orgel, den organis, die musikalische Begleitung des Gottesdienstes auszuführen hat. Orgeln existirten seit längererer Zeit schon in Meklenburg; am 17. Juli 1282 bestimmt Bischof Ulrich von Ratzeburg, daß bei Abhaltung seiner Memorie das "Gloria in excelsis" mit Orgelbegleitung, "cum organis", gesungen werden solle 4 ), ferner vermacht Propst Gottfried zu Güstrow am 14. April 1293 5 ) die Schuld des Ritters Hermann von Langhevorde im Betrage von 7 Mark Brand., allerdings mit Hinzufügung der Clausel "si ouando poterunt extorqueri (marcae)", der Kirche zu Güstrow zur Beihülfe bei Anschaffung einer Orgel, in subsidium ad organa comparanda, endlich verpflichten sich am 8. November 1348 die Dominicaner vom St. Johannis=Kloster zu Rostock, die Messen für den St. Marien= und St. Johannis=Kaland mit Orgelbegleitung abzuhalten, "mit den orghelen" 6 ). Fraglich ist es, wo die Orgel hier im Dome stand. Die gegebene Stelle dafür ist immer dem Altar gegenüber an der inneren Thurmwand, und hier wird das wohl jedenfalls nicht so kunstreiche Werk wie das jetzige seinen Platz gefunden haben. Allerdings war das Schiff zu der Zeit noch nicht gewölbt, aber ein Dach wird den Gebrauch dieses großen, ja gerade für die Gemeinde bestimmten Theiles der Kirche ermöglicht haben. Die Kreuzschiffe sind für den Aufbau einer Orgel, wenn dieselbe nicht eigentlich für das Kreuzschiff selbst berechnet ist, ein Fall, an den bei den Dimensionen des Domes nicht gedacht werden kann, von


1) Lisch, Jahrbücher III. B. S. 192.
2) No. 6301 M. U.=B. IX.
3) No. 644 M. U.=B. I.
4) No. 1635 M. U.=B. III.
5) No. 2221 M. U.=B. III.
6) No. 6890 M. U.=B. X.
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selbst ausgeschlossen, und als Platz der Aufstellung den Chor anzunehmen, muß wegen der kirchlichen Bedeutung dieses Ortes Bedenken getragen werden. Die Geschmacklosigkeit, die Orgel unmittelbar über dem Altar anzubringen, wie man dies bei kleinen Landkirchen noch häufig Gelegenheit hat zu sehen, stammt erst aus neuerer Zeit und hat beim Dom keinenfalls stattgefunden.

Wenn auch aus einzelnen Urkunden ersichtlich ist, daß die Kirche mit Lampen versehen war, um die bei den Vigilien und einzelnen hohen kirchlichen Festen erforderliche Beleuchtung zu ermöglichen, so geht doch aus den uns erhaltenen Nachrichten nicht hervor, an welchen Stellen des Gebäudes die Lampen angebracht waren und zu welchen Zeiten sie angezündet wurden. Nur das wissen wir, daß besonders im Chor sich viele Lampen befunden haben müssen, denn es heißt in der Urkunde vom 1. Februar 1341 1 ), in welcher Bischof Heinrich mit Gütern zu Kleinen und Biendorf eine Vicarei errichtet, daß der Bischof auch eine ewige Lampe vor dem Altar der Vicarei gestiftet habe, die jede Nacht mit den übrigen Lampen des Chores angezündet und gelöscht werden solle. Schon in der Bestätigungsurkunde des Bisthums Schwerin durch Cölestin III. vom 24. October 1191 2 ) ist auf die Erleuchtung der Kirche Bedacht genommen, indem hierzu der Schiffszoll zu Plate und der dritte Theil der Einkünfte in Naulitz angewiesen wird. Ferner bestimmen am 26. Januar 1341 Bischof Heinrich und das Capitel von der durch den Vicar Hermann Meitmann gegründeten Vicarei 7 Mark 8 Sol. jährlich für ein ewiges Licht bei dem heiligen Blut 3 ). Endlich setzt der Schweriner Domherr Johann von Campe, Decan zu Hamburg, am 7. December 1345 für die Lampe vor dem Sacramentshäuschen, - ante locum eucharistie - das in der Nähe des Altars gestanden haben wird, eine Summe aus und stiftet bei dem Ambo einen Kronleuchter von 15 Lampen.

- ad clippeum quindecim lampadarum in ambone eiusdem ecclesie nostre 4 ).

Andere Lichter und Lampen, die mehrfach bei den Errichtungen von Vicareien erwähnt werden, sind als minder wichtig nicht mit aufgeführt.


1) No. 6110 M. U.=B. IX.
2) No. 151 M. U.=B. I.
3) No. 6109 M. U.=B. IX.
4) No. 6586 M. U.=B. IX.
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Daß die Schweriner Kirche der Zahl nach reich mit Reliquien bedacht gewesen wäre, läßt sich nicht behaupten, von um so bedeutenderem Werthe wurden aber diejenigen, die sich hier befanden, erachtet. Es gilt dies vor Allem von dem heiligen Blut.

Nach der Urkunde vom 31. März 1222 1 ) hat Graf Heinrich von Schwerin, der an dem Kreuzzug Kaisers Friedrich II. Theil nahm, das in einem Jaspis eingeschlossene heilige Blut von dem Cardinal Pelagius erhalten und der ihm bei der Schenkung gemachten Auflage gemäß nach seiner Rückkehr dem Dom hieselbst überwiesen, wo dasselbe von der ganzen Geistlichkeit und der zahlreich versammelten Bevölkerung mit Procession, Gesängen und großen Freuden empfangen wurde. In der angezogenen Urkunde regelt Bischof Brunward von Schwerin die Verehrung dieser kostbaren Reliquie und bestimmt als Tag hierfür den Schenkungstag, den Grünen Donnerstag; derselbe soll für die ganze Diöcese ein Festtag sein, und der an diesem Tage sonst stattfindende Markt soll am Tage vorher abgehalten werden. Auch sollen am Himmelfahrtstage sämmtliche Pfarrer des Landes (prouincie) Schwerin mit ihren Pfarrkindern und Reliquien zum Dom wallfahren, wo dann das heilige Blut, ebenso wie am Tage der Kreuzeserhöhung, dem gesammten Volk ausgestellt wurde. Bei der Jahresfeier am Grünen Donnerstag verpflichtete Bischof Brunward sich und seine Nachfolger zum persönlichen Dienste und ordnete für den Fall seiner Verhinderung - nur körperliche Schwäche oder dringende Noth - seine Vertretung. Von den an diesen drei Tagen gespendeten Opfergaben soll ein Drittel zum Bau eines Klosters, ein Drittel zum Besten der Domherren, ein Drittel für die ersten drei Jahre zur Anschaffung von Büchern, dann in der Bauverwaltung des Domes (custodie) verwendet werden.

Nur noch zwei Urkunden dieses Zeitabschnittes sprechen von dem heiligen Blut, eine vom 23. October 1274 und die andere vom 20. November 1322. 2 ) Die erste bezeugt die Schenkung des Eigenthumes von 10 Hufen zu Brötelin Seitens des Grafen Gunzelin von Schwerin zur Stiftung einer Vicarei in der Schweriner Domkirche zu Ehren des heiligen Blutes, die zweite den Verkauf einer Schneidelkuh in den zu dieser Vicarei gehörenden Hufen Seitens des Knappen Gerhard von


1) No. 280 M. U.=B. I.
2) No. 1344 M. U.=B. II, und No. 4390 M. U.=B. VII.
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Gartow an den Vicar Heinrich Friese und dessen Nachfolgern in der Vicarei der heiligen Blutskapelle.

Die Gläubigen müssen in ungeheurer Zahl bei dieser Reliquie zusammengeströmt sein und ihren frommen Eifer durch sehr reiche Gaben bethätigt haben, da das Kloster, zu dessen Erbauung das eine Drittel der gespendeten Opfergaben verwendet werden sollte, schon vierzehn Jahre später, 1236, gegründet war, wie auch zum nicht geringen Theil durch das letzte Drittel es ermöglicht wurde, den Dombau so zu fördern, daß im Jahre 1248 die Kirche geweiht werden konnte. Daß auch die Stadt Schwerin bei dem regen Fremdenverkehr bedeutenden Vortheil gehabt hat, möchte kaum bezweifelt werden können.

Als weitere Reliquien empfing der Dom um 1260 von König Ludwig IX. von Frankreich einen Dorn aus der Dornenkrone Christi und am 5. Mai 1296 ein Stück von der in Riga aufbewahrten Reliquie des heiligen Kreuzes von dem Erzbischof Johann von Riga. 1 )

Eine eigene Bewandniß hat es mit einer Jahrbücher XIII, 151/152 erwähnten Reliquie, dem Sacrament des Blutes Jesu Christi, die vor dem Jahre 1222 im Dom aufbewahrt und verehrt sein soll. Die Hauptquelle ihrer Kenntniß ist die Ablaßbulle des Papstes Honorius III. vom 29. Juni 1220 ), in der es heißt:

ecclesia Swerinensis - in qua Christi fidelibus sacramentum sanguinis domini nostri Jesu Christi pie creditur esse reconditum -

eine Stelle, die schon 1220 ganz klar und unzweideutig von einem heiligen Blut im Schweriner Dom spricht. Lisch hält, allerdings im Jahre 1848, die Urkunde für echt, glaubt jedoch auch nicht, daß schon vor dem echten, eigentlichen, ein anderes heiliges Blut hier verehrt worden sei, sondern erklärt dies Vorkommniß so, daß diese Urkunde im Voraus mit Bezug auf das heilige Blut, das Graf Heinrich vom Cardinal Pelagius in Palästina erhalten sollte, ausgestellt wurde. Diese Annahme, die alle Schwierigkeiten heben würde, widersprechen aber die Worte "esse reconditum" auf das entschiedenste; die Urkunde spricht von einem heiligen Blut, das schon in Schwerin vorhanden ist; daß die Bulle gefälscht ist, was sich besonders aus ihrer Datirung ergiebt,


1) No. 880 und 2394 M. U.=B. II und III.
) No. 267 M. U.=B. I.
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hat Potthaft, Reg. pontif. Rom., nachgewiesen, vgl. Wigger, Jahrbücher XL, S. 36 Note 1.

Diese falsche päpstliche Bulle ist indessen nicht die einzige Urkunde, die schon vor dem Jahre 1222 ein heiliges Blut erwähnt, auch die Urkunde vom 6. Mai 1218 1 ), durch die Graf Heinrich von Schwerin und seine Gemahlin Audacia ihre dem Benedictiner=Kloster vor Stade gemachte Schenkung von 3 Hufen in Vellahn documentiren, spricht von einem solchen. Nach dem gewöhnlichen Eingang fährt die Urkunde fort:

"Sciat ergo - posteritas, quod nos - presertim ob reuerenciam sacri cruoris dominici per nos ibidem oblati contulimus etc. Datum in castro nostro Swerin etc. 2 )

In der Urkunde vom 6. März 1327 3 ) bestätigt Graf Gunzelin von Schwerin diese Schenkung, ohne jedoch auch nur mit einer Silbe auf das Motiv hinzudeuten, das den Grafen Heinrich und dessen Gemahlin veranlaßte. Das einzige ist, daß die Schenkung einmal eine pia genannt wird, was Graf Gunzelin ja auch zugeben mußte.

Es fragt sich, wie diese Urkunden zu erklären sind, nach denen nun schon im Jahre 1218 ein heiliges Blut im Dom


1) No. 242 M. U.=B. I.
2) Ich werde von sehr competenter Seite darauf aufmerksam gemacht, daß diese Urkunde wie No. 4813 sich auf ein heiliges Blut im Benedictiner= Kloster vor Stade bezöge, jedoch kann ich diese Ansicht nicht theilen, bleibe vielmehr dabei, daß Graf Heinrich und seine Gemahlin Audacia das der Schweriner Kathedrale dargebrachte heilige Blut im Auge haben. Die betreffenden Worte lauten vollständig:
Sciat ergo tam presencium etas, quam futurorum posteritas, quod nos intuitu dei omnipotentis intemerateque virginis Marie, et presertim ob reuerenciam sacri cruoris dominici per nos ibidem oblati contulimus et donauimus et nichilominus conferimus in hiis scriptis et donamus religiesis viris et dominis abbati et conuentui monasterii sancte Marie virginis extra muros Stadenses ac ipsi monasterio ordinis sancti Benedicti, Bremensis diocesis, tres mansos etc. Datum in castro nostro Swerin.
Ich beziehe das "ibidem oblati" auf Schwerin, den Aufstellungsort der Urkunde, während die andere Ansicht diese Worte auf monasterii extra muros Stadenses beziehen muß, was, wenn auch grammatikalisch zulässig, deshalb meiner Ansicht nach unrichtig ist, weil Graf Heinrich dann zwei Reliquien des heiligen Blutes deutschen Kirchen dargebracht haben müßte: dem Dome hieselbst und dem Benedictiner=Kloster vor Stade, was nach Allem, was wir wissen, entschieden nicht der Fall war.
3) No. 4813 M. U.=B. VII.
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verehrt sein soll. Lisch hält im Jahre 1848 1 ) das Datum, 6. Mai 1218, für unrichtig wiedergegeben, weil einmal Graf Heinrich das heilige Blut dem Dom erst im Jahre 1222 darbrachte und weil, als seine Gemahlin bis 1227 Margarethe, seit 1228 aber erst Audacia aufgeführt wird; er weist schließlich auf das wirklich unerfindliche Motiv hin, weshalb Graf Heinrich dem Benedictiner=Kloster vor Stade gerade deshalb etwas schenkte, weil er das heilige Blut in Schwerin verehrte, und datirt daher die Urkunde vom 16. April 1228. Nach den neueren Forschungen ist indessen der zweite Grund hinfällig geworden, da festgestellt ist, daß Graf Heinrich nur einmal und zwar mit Audacia vermählt war 2 ), mithin bleibt nur der erste übrig: die Urkunde kann nicht aus dem Jahre 1218 stammen, weil das heilige Blut erst 1222 von Graf Heinrich dargebracht wurde. Fragt man aber, weshalb denn nicht schon vorher ein anderes heiliges Blut im Dom existirt haben soll, so kann als einziger Grund dagegen nur der angeführt werden, daß über eine solche kostbare Reliquie doch Nachrichten auf uns gekommen sein würden. Die einzigen Urkunden aber, die eine solche erwähnen, sind die beiden eben besprochenen von 1220 und 1218 3 ); die Unechtheit der ersten ist zweifellos, und die Echtheit der zweiten steht auf sehr schwachen Füßen.

Wir kennen den Inhalt dieser Urkunde nicht aus dem Original, sondern aus zwei gleichlautenden Abschriften aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts von verschiedenen Händen, die trotz der gegentheiligen Versicherung des Notars nicht mit dem Original collationirt sein können, da Graf Gunzelin die Bestätigungsurkunde vom 6. März 1327 deshalb ausgestellt hat, weil das Original vor Alter vergangen war. Die Abschriften müssen deshalb von einer Abschrift genommen oder es muß ein falsches Exemplar als Original untergeschoben sein. 4 ) Auch nicht gerade Zutrauen erweckend ist die mindestens merkwürdige Motivirung der Schenkung der Hufen an das Stader Kloster: die Verehrung des vom Grafen dem Dom zu Schwerin dargebrachten heiligen Blutes. Was hat mit dieser Verehrung das Kloster vor Stade zu schaffen, zu dem weder Graf Heinrich noch seine Gemahlin Audacia irgend eine Beziehung hatte? Wie kommt es ferner,


1) Jahrbücher XIII, 321.
2) Lisch, Jahrbücher XXVII, 131 flgd.; Usinger: Deutsch=dänische Geschichte 418 flgd.; Wigger, Jahrbücher XXXIV, 64 § 6.
3) No. 267 und 242 M. U.=B. I.
4) Note zu No. 242 M. U.=B. I, S. 229.
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daß die Bestätigungsurkunde von 1327 Seitens des Grafen Gunzelin alle Details der Schenkung, aber auch nicht die geringste Andeutung des Beweggrundes zu derselben enthält? Die beiden Urkunden endlich, die dem Wortlaut nach nicht übereinstimmen können, weil das Original der Schenkungsurkunde vergangen war, - priuilegia vetustate sunt consumpta - stimmen auch im Inhalt darin nicht vollständig überein, daß Graf Heinrich 3 Hufen schenkt, die 9 Scheffel Erbsen und 12 sol. Hamb. tragen, donauimus - tres mansos - soluentes neuem modios pisorum mensure Boytzenburgensis et duodecim solidos Hamborgensium denariorum, während Graf Gunzelin 1327 nur eine Schenkung bestätigt, die besteht aus redditus et proprietatem nouem modiorum pisorum mensure Boyceneburgensis et duodecim solidos Lubicensium denariorum - in tribus mansis ville Velan; nach der Originalurkunde waren drei Hufen, nach der Bestätigungsurkunde eine Rente aus drei Hufen geschenkt.

Lisch und Wigger tragen denn auch keine Bedenken, die Urkunde als sehr zweifelhaft zu signalisiren: ersterer ändert, wie wir sahen, das Datum, letzterer hält die Urkunde für eine, "deren Echtheit sehr bedenklich erscheint" 1 ), und müssen dies selbst die einräumen, welche dem allerdings leicht verleitenden Umstand, daß zwei Urkunden in übereinstimmender Weise auf der Existenz eines heiligen Blutes vor 1222 beruhen, trotz deren Verdächtigkeit Gewicht beilegen. Meiner Ansicht nach sind beide Urkunden gefälscht.


Bisthum und Capitel.

Das Bisthum wurde im Jahre 1158 von Meklenburg nach Schwerin verlegt, wofür die in der Note zu der Dotationsurkunde des Bisthums Ratzeburg vom Jahre 1158 2 ), sowie von Wigger Jahrbücher XXVIII, 80-98 geltend gemachten Gründe von entscheidender Bedeutung sind.

In Betreff seiner Dotirung mit den ihm zukommenden 300 Hufen kann lediglich auf Lisch, Meklenburgische Urkunden III, 1-17 und Wigger, Jahrbücher XXVIII, 197-222 verwiesen werden.


1) Jahrbücher XXXIV, 64.
2) No. 65 M. U.=B. I.
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Das Oberhaupt des Bisthums war der Bischof, dem das Domcapitel zur Seite stand, an dessen Spitze, wie aus sehr zahlreichen Urkunden hervorgeht, der praepositus gestellt war; es herrschte also die Aachener Regel, 1 ) Einen hervorragenden Platz nehmen ferner der decanus und der thesaurarius ein. Diese drei Personen der praepositus, decanus und thesaurarius scheinen ein für alle Male die Vertreter des Capitels gewesen zu sein, da sie, man könnte sagen, unzählige Male genannt werden, wenn in den Urkunden von demselben die Rede ist. Der cantor, der Dirigent des Kirchengesanges kommt nicht sehr häufig vor; für das Schweriner Capitel sind nur die oben besprochenen Urkunden 2 ) von Wichtigkeit. Einen cellerarius und portarius, die Richter noch kennt, finden wir in Schwerin nicht, den custos und scholasticus auch gerade nicht sehr oft.

Die Zahl der Domherren oder canonici war bis zum 26. Mai 1238 zehn, Friedrich, erwählter Bischof von Schwerin, brachte sie dann durch Errichtung zweier neuen Stellen 3 ) auf zwölf. In diese Zahl sind jedoch der praepositus und der decanus nicht mit eingerechnet, denn Graf Gunzelin von Schwerin trat dem Capitel vierzehn Stellen auf der Schelfe zu Domherrnhöfen in derselben Urkunde ab, in der Bischof Friedrich die zwei neuen Präbenden stiftet, so daß das Capitel aus dem praepositus, dem decanus, den zehn alten und zwei neuen Domherren bestanden haben wird, eine Vermuthung, die in der Fälschung der Dotationsurkunde des Bisthums Schwerin 4 ) ihre Bestätigung findet, in der es heißt:

"canonicorum numero, qui tunc erit, id est duodecim personis cum decano et preposito ."

Errichtungen weiterer Domherrenstellen sind uns nicht überliefert, es ist wenigstens unersichtlich, ob dem Befehle des Cardinal=Legaten Guido, die vom Grafen Gunzelin für das Seelenheil seines verstorbenen Sohnes Heinrich gestiftete und verbesserte Vicarei zu einer Dompräbende zu erheben,


1) Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechtes 1874 S. 364 flgd. unerwähnt darf jedoch nicht bleiben, daß, wenn auch nur sehr vereinzelt ein archidiaconus vorkommt: Sibodo prepositus Lubicensis et archidiaconus Zwerinensis ecclesie. 1248. No. 602 M. U.=B. I.
2) Vgl. S. 52.
3) No. 486 und 487 M. U.=B. I.
4) No. 100 M. U.=B. I. B, S. 98.
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nachgekommen ist. Sonderliche Eile hat der Bischof gerade nicht an den Tag gelegt, auch werden die alten Domherren diesen Beschluß des Cardinal=Legaten nicht zu seinen besseren gerechnet und den Bischof zur möglichsten Renitenz angestachelt haben, da Guido den unterm 31. März 1266 von Rostock aus gegebenen Befehl unterm 22. August 1267 von Lübek aus wiederholte, ob mit besserem Erfolg, steht dahin.

Neben diesen Domherren mit ihrem vollen Einkommen gab es noch andere, im Besitz kleinerer, geringfügigerer Präbenden, praebendae pueriles; über ihre Stellung, ob sie auch in anderen Beziehungen als nur den materiellen nicht die vollen Gerechtsame, dem entsprechend auch nicht die vollen Verpflichtungen hatten, konnten bedauerlichst keine Aufklärungen erbracht werden.

Was das Leben der Domherren betrifft, so sind darüber fast gar keine Nachrichten erhalten geblieben, nur das geht aus dem vorliegenden Material hervor, daß auch hier "das Wesen der bischöflichen oder Domcapitel, das Zusammenleben im Münster und das Zusammenwirken im Chor, wieder aufgehoben, aus den reichen Besitzthümern den Mitgliedern ständige Einkünfte zugewiesen wurden, deren sie sich in ihren eigenen Curien erfreuten" 1 ), wenn überhaupt hier ein derartiges Zusammenleben und =wirken jemals stattgefunden hat, da diese Curien beim Schweriner Capitel schon so früh vorkommen, daß ein derartiger Zweifel wohl gerechtfertigt ist. Da nun trotzdem am Dom nach dem Jahre 1328 ein dormitorium und 1392 ein refectorium gebaut wurde, und aus diesem Umstand ein in zwei Hauptabschnitten des Tages gemeinsames Leben mit Sicherheit sich folgern läßt, die Domherrnhöfe aber bis dahin sich noch vermehrt haben, so wird auch hier die Bemerkung Richters a. a. O. zutreffen, daß seit dem Aufhören des gemeinsamen Lebens der Domherren "nur noch die jüngeren Canoniker (domicillares) unter Aufsicht des Domscholasters in Gemeinschaft lebten, bis mit dem Aufblühen der Universitäten auch dieser letzte wesentliche Theil der ganzen Institution hinwegfiel". Als scholasticus ergiebt sich somit derjenige Domherr, unter dessen Aufsicht und Leitung das Unterrichtswesen stand, er ist nicht der eigentliche Schullehrer; über diesen, wie er uns in Wismar und Güstrow urkundlich überliefert ist, sind in Schwerin keine Nachrichten erhalten. Als scholasticus ist am 2. Juli 1217 2 ) zuerst


1) Richter a. a. O. S. 366.
2) No. 235 M. U.=B. I.
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Apollonius aufgeführt, dann Eustachius, Rudolph, Nicolaus, Hermann, ferner Moritz, Lüder, Henricus de Porsveldt u. a. m.

Die Nachrichten über diejenigen, die den Unterricht empfingen, die scholares, sind äußerst dürftig. In der Urkunde vom 6. Mai 1343 1 ) wird von der Bede des Dorfes Bandenitz den Schülern und Armen - scholaribus et pauperibus in choro existentibus - eine Summe für gewisse Feste ausgesetzt, und in den Urkunden vom 20. December 1329 und 26. Mai 1330 2 ) wird bezeugt, daß die von den Testamentsvollstreckern des verstorbenen Vicars Markward Kale zu Schwerin errichtete Vicarei von 8 Hufen in Schmakentin, dem Markward, Sohn des Schweriner Rathsherrn Ulrich und dessen Frau Adelheid zugesichert sei. Hieraus läßt sich schließen, daß dieser scholaris Marquardus dem geistlichen Stande bereits angehört hat, daß somit auch hier die scholares nicht Laien, sondern Geistliche waren.

In Betreff der den Domherren obliegenden Pflichten fließen die Quellen auch nur spärlich und unendlich ist es zu beklagen, daß die einzige Nachricht, die wir haben, nicht die Urkunde selbst ist, die sehr eingehend über die Obliegenheiten und Einkommen gesprochen zu haben scheint, sondern nur ein Auszug Clandrian's aus ihr. Es ist dies die Urkunde vom 15. December 1312 3 ). Darnach hatten die Domherren den Gottesdienst zu verrichten, wie dies ja selbstverständlich ist, nach Hederich in choro canere et negotiis capituli equitare. Dies scheint nun den Herren doch mit der Zeit zu lästig geworden zu sein, weshalb sie sich gerne von Schwerin entfernten und anderswo aufhielten, zum Nachtheil der Zurückbleibenden, die nicht nur ihren Geschäften getreulich nachkommen, sondern auch die der Abwesenden mit erfüllen mußten. Besonders scheint es diese nun verdrossen zu haben, daß die Abwesenden, trotzdem sie ein bequemeres Leben führten, doch insofern besser standen, als sie ihr Einkommen ungeschmälert erhielten, jedoch die Lasten, besonders die Verpflegung fremder Gäste, eben wegen ihrer Abwesenheit nicht zu tragen hatten. Jeder Domherr trachtete in Folge dessen sich möglichst schöne Tage zu machen, und nahm das Verreisen mit der Zeit solchen Umfang an, daß alle sich lieber "absentireten als residernten", und dadurch der Gottesdienst über Gebühr vernachlässigt wurde. Das Capitel verschloß sich denn auch


1) No. 6301 M. U.=B. IX.
2) No. 5103 und No. 5147 M. U.=B. VIII.
3) No. 3578 M. U.=B. V.
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den möglichen Folgen einer solchen Handlungsweise nicht, trat zusammen und beschloß, daß "die Präbenden, die ein ieder ein Zeitlang besonders gehabt, in ein corpus geschlagen, wie es zuvor gewesen, dazu sie einen ihres mittelss zum collector geordnet, der sie einfurderen vnd vnter sie ausstheilen solle"; der abwesende Domherr soll jährlich 1 1/2 Last Roggen, 1 1/2 Last Gerste und 3 Last Hafer erhalten. Leider, leider ist nicht berichtet, wie viel auf jeden anwesenden Domherrn kam!

Die Verpflichtung, die fremden Gäste zu beherbergen, ohne die das doch unumgängliche Reisen bei dem in den damaligen Zeiten sehr im Argen liegenden Gasthofswesen fast zu den Unmöglichkeiten hätte gerechnet werden können, muß eine sehr drückende gewesen sein; die meisten Domherren werden, wie Magister Johann von Lütjenburg, eine besondere Wohnung für die Fremden, hospicium, gehabt haben 1 ).

Die Naturalverpflegung hier in Schwerin zeichnete sich schon in diesen grauen Zeiten durch ihre Gediegenheit aus, denn der Propst Heinrich zu Ratzeburg bestimmt, daß seine Domherren Brot und Bier in eben dem Maaße wie die Schweriner erhalten sollen, da seine große Anhänglichkeit und Liebe zu den Brüdern ihn dringend darauf hinführe, ihre tägliche Erquickung besser als bisher zu gestalten 2 ). Er bestimmt also, daß das Brot, panis prebendalis, aus reinem Waizen und in der Reinheit und Größe wie das Schweriner hergestellt werden soll und zwar aus einem Scheffel zwölf Brote; von diesen soll der Domherr an jedem Tage eines, der prior ebenfalls täglich eines, am Sonntag aber zwei erhalten, jeder subdiaconus und conversus bekommt täglich ein Brot von 24 auf den Scheffel. Was das Getränk betrifft, so wird bestimmt, daß das Bier so bekömmlich und vorzüglich gebraut werden soll, daß aus 4 talentis 3 ) Hafer, 2 talentis Gerste und 2 talentis Waizen nur so viel Bier hergestellt wird als 18 Travesche Tonnen gut fassen können, hiervon soll jeder Domherr an jedem Tage 3 Maaß erhalten und zwar in der Größe eines halben Stübchens, der Converse 3 große Becher, Morgens einen, Abends zwei, jeder subdiaconus 4 große Becher Morgens und Abends je 2; der prior aber bekommt an jedem Sonntage 4 Maaß und zwar große.


1) No. 3735 M. U.=B. VI.
2) No. 2759 M. U.=B. V.
3) talentum = 1/12 Last = 8 Scheffel. M. U.=B. IV., Abth. III. Wort=Sach=Register, S. 463, Verb. "punt" sub 3.
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Man wird kaum fehlgehen, wenn man die Bestimmung wegen des Getränkes ebenfalls mit dem Schweriner Gebrauch als übereinstimmend ansieht, wenn auch hier nicht wieder ausdrücklich auf diesen Bezug genommen ist.

Man sieht, Hunger und Durst litten die Domherren jedenfalls nicht, hatten sie doch an jedem Tage ein Faßbrod und 3 Maaß Bier zu bewältigen. Nehmen wir an, daß der Becher der Subdiaconen und Conversen, der ohne Zweifel kleiner als das Maaß der Domherren war, unserem jetzigen Seidel entspricht, das Maaß aber wohl das Doppelte des den Conversen zukommenden Quantums gehalten haben wird, so hatten die Domherren doch 6-7 Seidel täglich zu ihrer Verfügung.

Zur Beschaffung der hiernach erforderlichen Nahrungsmittel war das Capitel täglich einer großen Menge Getreides benöthigt; wenn dasselbe nun auch wohl etwas für den ersten Angriff in Schwerin wird aufgespeichert gehabt haben, so wissen wir doch hier von einem Kornboden, granarium, nichts, wohl aber existirte ein solcher in Hohen=Viecheln, das an der Nordspitze des Schweriner Seees liegt. Die Zehnten und Einkünfte wurden also aus der ganzen Gegend dort gesammelt und von da entweder verkauft und sonst umgesetzt oder zu Wasser nach Schwerin transportirt 1 ).

Ob Papst Innocenz IV. in seiner Bulle vom 8. Juli 1252 2 ) die eben besprochenen täglichen Gaben an Brot und Bier im Auge hat, als er dem Bischof von Camin aufgiebt, darüber zu wachen, daß nur der, der eine Pfründe hat, in der Schweriner Kirche etwas von den täglichen Gaben erhalten soll, oder ob er Geschenke, wie die bei der Verehrung des heiligen Blutes dargebrachten bezielt, deren eines Drittel ja speciell für die Domherren bestimmt war 3 ), muß in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte dahingestellt bleiben. Das sonstige Einkommen der Domherren wird in der Fälschung der Schweriner Dotationsurkunde 4 ) auf 12 Mark Silber außer der Schweriner Pfarre angegeben.

Auch für geistige Speise war im Capitel gesorgt, dasselbe befaß und zwar schon früh eine Bibliothek. Die Bücher des Bischofes Berno, so lautete der Vergleich vom 18. Juni 1195 5 ), sollen der Kirche wiedergegeben und auf die Gerbekammer


1) No. 625, 870 U.=B. I. und II.
2) No. 699 U.=B. II.
3) No. 280 U.=B. I.
4) No. 100 U.=B. S. 98.
5) No. 158 U.=B. I.
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gesetzt werden. Ferner bestimmt Bischof Brunward von Schwerin am 31. März 1222 1 ) den dritten Theil der Gaben, die bei Verehrung des heiligen Blutes dargebracht wurden, auf drei Jahre zur Anschaffung von Büchern. Endlich vermacht der Scholaster Lüder von Wittenburg dem Capitel seine Bücher und zwar nach Hederichs Angabe: libros juris canonici.

Erkrankte einer der Domherren und zwar so, daß er das Zimmer nicht verlassen konnte, so war er vom Chordienst befreit, und herrschte hier in Schwerin wie wohl überall die Sitte, daß ihn der nächstfolgende für die Dauer seiner Krankheit vertrat. Es wird dieser Gebrauch, der ja nur den Grundsätzen der Collegialität entspricht, für Schwerin durch einen Bescheid des Capitels an das Bützower Collegiatstift vom 8. Juni 1297 ausdrücklich mit dem Bemerken bestätigt, daß dies geschähe, quia afflictis non est addenda afflictio, sed pocius miserie miserendum, nee deus punit bis in id ipsum 2 ).

Ebenso sehr liegt es in der Natur der Sache, daß derjenige Geistliche, der im Genusse eines Beneficium ist und ein neues statt des alten erwirbt, so lange den Fruchtgenuß des alten behält, bis er wirklich in den des neuen eintritt. So selbstredend dieser Satz auch ist, so ist er doch durchaus nicht streitlos gewesen, vielmehr erst auf Antrag des Bützower Domherrn Johann Trost in einer Versammlung sämmtlicher Prälaten und Geistlichen der Schweriner Diöcese, die hier im Dom im Jahre 1317 zur Sommerzeit stattfand, beschlossen 3 ).

Daß die Domherren in Errichtung ihres letzten Willens nicht beschränkt waren, erhellt aus zahlreichen letztwilligen Verfügungen dieser Personen.

In Ansehung der erledigten Präbende bestimmte Papst Cölestin III. am 24. October 1191, daß nach dem Ableben eines Domherrn dessen Präbende während der Dauer eines Jahres nicht wieder besetzt werden solle ad exequias et ad tricesimum et ad anniuersarium et ad soluenda debita, ad seruientes remunerandos, eine Bestimmung, die bei der Schweriner Kirche von Alters her beobachtet sei, - sicut ecclesie uestre consuetudinis est. 4 ) Die erledigte Domherrnstelle besetzte das Domcapitel nach seiner freien Wahl, wie ihm solche auch in Bezug auf den Decan und Präpositus zustand.


1) No. 280 M. U.=B. I.
2) No. 2451 M. U.=B. IV.
3) No. 3930 M. U =B. VI.
4) No. 151 M. U.=B. I.
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In jeder Beziehung trifft hier in Schwerin schließlich auch das zu, was Richter von der Entwickelung des Domcapitels sagt 1 ):

"- Die Stifter traten aber -- den Bischöfen als selbstständige, durch eigene Beamten regierte Corporationen gegenüber. - In die Verwaltung der Diöcese griffen sie zuvörderst als bischöfliche Presbyterien, welche dem Bischof ihren Rath, bei wichtigeren Verhältnissen aber ihre Zustimmung zu ertheilen hatten, insbesondere aber durch das im 13. Jahrhundert ihnen nach dem Vorbilde des Collegiums der Cardinäle ausschließlich zugefallene Recht der Bischofswahl ein".

Was zunächst den ersten Punkt betrifft, die Ertheilung des Rathes resp. der Zustimmung des Capitels, so lassen die Urkunden vom 25. September 1299 und vom 11. März 1300 2 ) seine Stellung so deutlich erkennen, daß ein Zweifel nicht Platz greifen kann.

Die Verwaltung des Bisthumes durch Bischof Gottfried I. hatte jedenfalls bedeutende Mißstände zur Folge, die dem Wohlergehen und Gedeihen der Diöcese ernstlichen Schaden zuzufügen drohten. Dieser Umstand bewog das Capitel, am 25. September 1299 zusammenzutreten und, um dem Verfall des Bisthumes entgegenzuwirken, - attendentes Cwerinensem ecclesiam miserabiliter collapsam - vier Personen zu wählen, die zusammen innerhalb Jahresfrist berathen und Maßregeln. ausfindig machen sollten, wodurch das Verderben abgewendet werden könne. Die Beschlüsse dieser Commission versprachen die Domherren unweigerlich zu halten und auszuführen, demjenigen, der von einem Mächtigen Uebeles erfahren, sei es an Person oder an Vermögen, mit vereinten Kräften beizustehen, über Alles aber unverbrüchliches Schweigen zu bewahren. Man sieht, die Sache war ernst und wurde mit Beherzigung des "viribus unitis" angegriffen. Am 11. März 1300 hatte die Commission, deren Mitglieder jetzt genannt werden, nämlich Propst Johann, Decan Otto, Archidiaconus Bertram in Ware[Druckfehler: müßte WARIN heißen; Hinweis mit Bleistift]n und Thesaurarius Hermann, ihr Werk vollendet und publicirte ihr Gutachten, aus dem die Beschwerden des Capitels ersichtlich sind, in Form eines Statutes über die künftige Verwaltung des Vermögens des Bisthumes in einer solchen kategorischen Sprache und Stil, daß schon daraus deutlich und klar die Stellung ersichtlich


1) a. a. O. S. 367 flgd.
2) No. 2573 und 2601 M. U.=B. IV.
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ist, die das Capitel sich vindicirte, und die Macht, die es hatte oder zu haben glaubte. In nomine domini. Amen! so beginnt die Urkunde und fährt dann ohne Umstände und mit vollständiger Beiseitesetzung der sonst üblichen und so gern angewendeten Redewendungen fort:

"Nos p. p. auctoritate nobis commissa a capitulo Zwerinensi presentibus ordinamus, vt per capitulum predictum - moneatur dominus noster Godefridus episcopus" etc.

Der Bischof soll zunächst über sämmtliche Einnahmen und Aufkünfte der bischöflichen Tafel ein im Gewahrsam des Capitels verbleibendes Verzeichniß aufnehmen lassen, in das auch alle Güter, die er ohne Consens des Capitels zu Lehen gegeben, eingetragen werden sollen; Alles, was er ohne diesen ausdrücklichen Consens veräußert hat, auf welche Weise es auch geschehen sein mag, soll er wieder an das Bisthum bringen und allen Schaden, den er diesem und zwar "culpa sua" zugefügt hat, ersetzen, beides binnen einer bestimmten Frist, infra terminum, quem eidem duxerimus statuendum, in Zukunft aber soll er sich jeglicher Veräußerung ohne Zustimmung des Capitels enthalten. Ferner soll er dafür sorgen, daß die beiden Befestigungen, die von seinen Anverwandten mit seiner Zustimmung, aber ohne die des Capitels errichtet sind, aus deren einer die Schweriner Kirche sehr - enormiter - geschädigt ist, abgebrochen werden und endlich soll er die beiden Burgen des Bisthums, Bützow und Warin, in sichere Obhut nehmen. Zur getreuen Beobachtung aller dieser Vorschriften hat der Bischof sich binnen einer Frist bis acht Tage nach Pfingsten vor dem Erzbischof von Bremen zu verpflichten, widrigenfalls das Capitel sich an diesen wenden wird. Sehr vorsichtig und dem Charakter der Zeit entsprechend wird dann noch verordnet, daß der Propst und Decan oder wer von ihnen gerade anwesend ist, mit Zuziehung einiger Domherren, für jede Unbill, die einer von ihnen an Person oder Vermögen Seitens des Bischofes, seiner Verwandten oder anderer auch noch so mächtiger Personen erleidet, auf Kosten des Capitels die entsprechende Genugthuung beitreiben soll. Das Recht zu diesem Statut Zusätze, Veränderungen und Erläuterungen zu erlassen, reservirt sich schließlich die Commission.

Man sieht, das Capitel wollte unter allen Umständen bei jedem wichtigeren Act gefragt sein und insbesondere jede Veräußerung von seiner Zustimmung abhängig machen. Von

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einigem Erfolg werden seine Bestrebungen diesmal begleitet gewesen sein, was jedenfalls von den früheren, die in der Fälschung der Bewidmungsurkunde des Bisthumes Schwerin 1 ) hervortreten und die genau dieselbe Richtung hatten, so wenig gesagt werden kann, wie von der Bestimmung des Vergleiches zwischen den Wenden und dem Capitel wegen der Bischofswahl, nach der "der Bischof nichts von den Stifftsgutern vereussern soll ohne der Bruder und derer vom Adel gemeinen rhatt und Bewilligung". 2 ) Auch die Bestimmung des Kaisers Otto IV. in seiner Bestätigungsurkunde des Bisthumes:

statuimus, vt quicquid de dote ecclesie Zwerinensis aut de prediis auf aliis eius rebus [nisi] communi consilio et consensu capituli, fuerit ab episcopo distractum, datum auf alienatum auf concessum vel commutatum prorsus irritum habeatur 3 ) -

hatte, wie wir sahen, den gewünschten Erfolg nicht gehabt. Erzbischof Burchard von Bremen erkannte das Recht des Capitels, die Veräußerungen von Kirchengut von seiner Zustimmung abhängig zu machen, in vollstem Maße an, indem er am 13. October 1340 dem Bischof Heinrich gestattet, ungeachtet des geleisteten Eides, Verpfändungen vorzunehmen, und zwar exstante tempore et necessitate ingruente, aber nur unter zwei Bedingungen: bei sicherer Aussicht auf Wiedereinlösung und mit Zustimmung des Capitels. 4 )

Was den zweiten Punkt, die Bischofswahl betrifft, so ist zuerst von ihr in der Fälschung der Bewidmungsurkunde des Bisthums Schwerin 5 ) die Rede; es heißt dort:

Liberam electionem in episcopum -- canonicis in ecclesia Zuerinensi ivgiter seruientibus indulsimus.

Auf Grund dieser Fälschung, die in den damals so weit ausgebildeten hierarchischen Bestrebungen wurzelte, wird höchst wahrscheinlich nicht ganz 25 Jahre später der Streit zwischen den wendischen Fürsten und dem Capitel wegen der Bischofswahl durch die Unterhändler, den Bischof Isfried von Ratzeburg, Abt Arnold zu St. Johann in Lübek und Domherr Hermann von dort geschlichtet sein. Es war nach Bischof Berno's Tode von den Wenden


1) No. 100 M. U.=B. I. B. S. 99.
2) No. 158 M. U.=B. I.
3) No. 202 M. U.=B. I.
4) No. 6071 M. U.=B. IX.
5) No. 100 M. U.=B. I. B. S. 98.
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Brunward, von den Domherren Hermann zum Bischof gewählt; die gedachte Commission, die auffallender Weise nur aus Klerikern bestand, bestimmte nun am 18. Juni 1195, obgleich die Bestätigungsurkunde des Papstes Cölestin III. vom 24. October 1191 1 ) dem Capitel nur die Wahl des Präpositus, Decanes und der Domherren, aber nicht die des Bischofes gab, daß die Privilegien der Schweriner Kirche vom Bischof und den Wenden nicht geändert werden sollten, d. h. mit anderen Worten, daß die gefälschte Dotationsurkunde nicht mehr angezweifelt werden sollte, dem entsprechend denn auch festgesetzt wurde: "Die canonici sollen die freie Wall des Bischoffs, Decens vnd der Thumbhern haben;" unter 7 ward weiter bestimmt, daß die Canoniker, wenn sie die Wendischen von Adel dahin erfordert, den Bischof erwählen, welche Wahl die Wenden belieben und gut sein lassen sollen. 2 ) Hieraufhin trat der von den Domherren gewählte Bischof Hermann zurück. Ohne der vergleichsmäßigen Bestimmung zu gedenken, daß die Wenden gegebenen Falles das Capitel zur Bischofswahl zusammenrufen sollen, bestimmt Kaiser Otto IV. am 4. Januar 1211 in seiner Bestätigungsurkunde des Bisthumes:

Canonicos etiam eiusdem loci liberam electionem in episcopos, in prepositos, in decanos, in canonicos habere decernimus.

Hiermit übereinstimmend heißt es endlich im Vergleich des erwählten Bischofes Friedrich von Schwerin mit dem Grafen Gunzelin von Schwerin - die Urkunde ist uns nur in einer Inhaltsangabe Clandrians erhalten - vom 26. Mai 1238:

"An erwelung des Bischoffs soll vom Grauen hinfuro keine Verhinderung geschehen" 3 ),

und dabei blieb es.



1) No. 151, M. U.=B. I.
Preterea liberam electionem in eligendo decanos, prepositos et canonicos et liberam dispositionem in colligendis stipendiis, sicut hactenus habuistis, auctoritate nobis apostolica confirmamus.
2) No. 158 M. U.=B. I.
3) No. 486 M. U.=B. I.
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Das bischöfliche Gebiet in der Stadt Schwerin und die Schelfe.

Von der Bewidmungsurkunde des Bisthumes Schwerin durch Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen existiren 2 Exemplare, das echte, der Text A, und ein falsches, Text B, außerdem noch mehrerere Abschriften aus dem 16. Jahrhundert, Text C. 1 ) Diese Urkunden und die auf ihnen beruhenden Bestätigungen Seitens der Päpste und Kaiser sind für die Stadt Schwerin von höchster Wichtigkeit, da auf sie der Besitzstand des Bisthumes in und bei der Stadt sich gründete.

Nach der echten Urkunde des Herzoges Heinrich erhielt das Bisthum als Geschenk:

"insulam Zverin adiacentem usque ad riuulum et aliam insulam prope Dobin, que Libiz dicitur - nauale teloneum in Zverin - parrochiam in Zverin cum omni iure.

Die Fälschung setzte hinzu: locum et aquam molendinarem in aquilonari parte ciuitatis Zverin und gab - es ist in hohem Maße auffallend, daß in einer Urkunde, die für das Bisthum Privilegien einführt, auch die Einwohner der Stadt berücksichtigt werden - den Schweriner Bürgern das Recht, im Hafen von Wismar mit zwei großen Schiffen, "que koggen appellantur", und kleineren in beliebiger Zahl ohne jemandes Widerspruch zollfrei zu verkehren.

Das echte Exemplar kam nur noch einmal, aber entschieden aus Versehen, zum Vorschein; im Gebrauch war lediglich das falsche, das bald nach Ausstellung der Originalurkunde angefertigt sein muß.

Die etwas summarische Bestätigung des Bisthumes Schwerin durch Papst Alexander III. vom 13.-24. März 1178 2 ) führt als Geschenk des Herzoges an:

"partem insule Zverin secundum distinctionem ipsius ducis, molendinum unum et aliam insulam."

Wir sehen also, daß nach der eigentlichen Schenkung des Herzoges Heinrich das Bisthum von der Stadt Schwerin selbst gar nichts besaß, wobei man jedoch von dem Platz, auf dem das Kirchengebäude stand, und von diesem selbst


1) No. 100 M. U.=B. I.
2) No. 124 M. U.=B. I.
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absehen muß, da diese keinenfalls der Stadt zu irgend einer Zeit gehört haben, wenn sie auch nicht als dem Bisthum zugehörig ausdrücklich ausgeführt sind; es wird als selbstverständlich betrachtet sein, daß der Ort, auf dem die bischöfliche Cathedrale errichtet wurde, sowie diese selbst nur im Eigenthum der Kirche stehen konnte, und ein ausdrückliches Hervorheben dieses Umstandes wurde als überflüssig unterlassen. Zum Bisthum gehörte mithin, vom Dom abgesehen, nach der Schenkung des Herzoges Heinrich in der Stadt Schwerin: die Pfarre, außerhalb der Stadt: die Insel, die mit Schwerin grenzt, bis zum Bach, die Insel Lieps und der Schiffszoll; nach der Bestätigungsurkunde des Papstes Alexander III. ist hieraus geworden: ein Theil der Insel Schwerin nach der vom Herzog Heinrich getroffenen Grenzlinie, und außerhalb der Stadt eine Mühle und eine andere Insel.

Diese Abstimmigkeiten der päpstlichen Bestätigung können wohl als Product der Flüchtigkeit des Concipienten der Urkunde, die, wie schon bemerkt, sehr summarisch gehalten ist, aufgefaßt werden; die Pfarre und der Schiffszoll werden nicht absichtlich weggelassen, sondern lediglich vergessen sein, und bei der Stadt Schwerin hat nur eine, für die spätere Zeit allerdings verhängnißvolle Verwechselung stattgefunden, indem statt Herzogs Heinrich "insulam Zverin adiacentem usque ad riuulum" gesetzt ist "partem insulae Zverin secundum distinctionem ipsius ducis", nämlich usque ad riuulum. Dies Versehen wurde nun durch eine kleine Fälschung nutzbringend gemacht. Die Gelegenheit war so günstig, wie sie sich vielleicht nie wieder bot. Das Capitel besaß die unzweifelhafte, echte Urkunde des Papstes Alexander III., der erklärte, Herzog Heinrich habe dem Bisthum einen Theil der Insel Schwerin nach einer von ihm festgesetzten Grenze geschenkt, es handelte sich somit nur noch darum, diese möglichst passend aufzufinden. Sie ward gefunden. Denn nach der Confirmationsurkunde des Bisthumes durch Papst Urban III. vom 23. Februar 1186 1 ) besaß das Bisthum:

partem ciuitatis Zuerinensis a domo piscatoris cuiusdam, cui nomen erat Suk, ad uetus cimiterium directe tendentem et idem transeuntem usque in Scalam cuius medietatem includit et ultra paludem eidem Scale proximam totam insulam et molendinum a ciuitate in parte aquilonis situm et parrochiam


1) No. 141 M. U.=B. I.
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predicte ciuitatis cum omni iure, - insulam que dicitur Lypiz,

d. h. in der Stadt: die Pfarre und einen bedeutenden Theil der Stadt Schwerin (aus Papst Alexander's: partem insulae Zwerin ist hier geworden: partem ciuitatis Zverinensis), außerhalb der Stadt: einen Theil der Schelfe, die der Schelfe zunächst gelegene Insel, die Insel Lieps und die Mühle. Es sind also die Versehen, die in der Urkunde des Papstes Alexander zu Gunsten der Kirche sich deuten ließen, getreulich benutzt, während die, die zu Ungunsten der Kirche gemacht waren, bis auf den auch hier fehlenden Schiffszoll wieder gut gemacht sind. Die Grenzbestimmung "a domo piscatoris cuiusdam" bezeichnet Papst Urban als secundum distintionem ipsius (ducis Henrici)! Außer dieser Grenzlinie innerhalb der Stadt fällt noch auf, daß hier zum ersten Male die Schelfe aufgeführt wird.

Ebenso im Inhalt, soweit von Schwerin die Rede, lautet die Urkunde des Papstes Clemens III. vom 30. September 1189 1 ) wie auch die zweite Bestätigung von Cölestin III. vom 5. August 1197 2 ), anders dagegen, ganz anders, des letzteren erste Confirmation vom 24. October 1191 3 ); hier heißt es einfach:

insulam Zverin adiacentem usque ad riuulum et aliam insulam prope Dobin que Libiz dicitur - parrochiam cum omni iure - nauale teloneum in Plote;

es war somit dem Papste Cölestin das Original der Bewidmungsurkunde Herzogs Heinrich vorgelegt und auf diese Weise eine Bestätigung zu Wege gebracht, mit der dem Capitel nicht im Mindesten gedient war, auch in Berücksichtigung der Urkunden der Päpste Alexander, Urban, Clemens nicht gedient sein konnte, deshalb wurde Cölestin zur Ausstellung einer anderen Urkunde veranlaßt, so daß von demselben Papste zwei Bestätigungen desselben Bisthumes vorliegen, deren Inhalt durchaus nicht mit einander stimmt, trotzdem zwischen beider Ausstellung nur ein Zeitraum von noch nicht sechs Jahren liegt.

Die letzte Confirmationsurkunde ist die des Kaisers Otto IV. vom 4. Januar 1211. 4 ) Der Kaiser sagt in ihr, es sei ihm die Schenkungsurkunde des Herzoges Heinrich vor=


1) No. 149 M. U.=B. I.
2) No. 162 M. U.=B. I.
3) No. 151 M. U.=B. I.
4) No. 202 M. U.=B. I.
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gelegt, und habe er sich nach ihr gerichtet, dem Bisthum gehöre danach:

insulam Zwerin adiacentem vsque ad riuulum et aliam insulam probe Dobin, que Lipiz dicitur, molendinarem locum et aquam prope Zwerin versus aquilonem, - nauale telonium in Zwerin, parrochiam in Zwerin cum omni iure.

Hieraus ergiebt sich, daß dem Kaiser, der vermuthlich die Vorlegung der Bewidmungsurkunde verlangt und sich nicht mit der letzten päpstlichen Confirmation, die ja viel weiter ging, begnügt hatte, das falsche Exemplar der Bewidmungsurkunde unterbreitet war, wonach den Schweriner Bürgern der freie Verkehr im Hafen von Wismar zustand, ein Recht, das Kaiser Otto denn auch bestätigte.

Erst nach dieser Urkunde wird der den Abschriften der Bewidmungsurkunde vom 9. September 1171 aus dem XVI. Jahrhundert, Text C, 1 ) zu Grunde liegende Text angefertigt sein, da in ihm Alles das als Eigenthum des Bisthumes aufgeführt wird, was dieses auf Grund der Urkunden, die durch Fälschung und schlechte Redaction zu Stande gekommen waren, in Anspruch nahm, nämlich:

insulam Zverin adiacentem et aliam insulam prope Dobin que Liptz dicitur, ipsam civitatem Zuerin a domo piscatoris Suck super australe stagnum posita[m] usque ad antiquum cimiterium et inde protendit in directum usque ad minorem Scalam, cuius medietatem ad areas fratrum deputamus, maiorem uero Scalam usque ad predictam insulam et molendinum in aquilonari parte civitatis situm, - nauale teloneum in Suerin, parrochiam.

Und wie hatte es im Jahre 1171 geheißen?

Insulam Zverin adiacentem usque ad riuuluin et aliam insulam prope Dobin, que Libiz dicitur, nauale teloneum in Zverin, - parrochiam.

Welche Oertlichkeiten sind nun in den Urkunden in Bezug genommen? Das ist die nächste Frage, die interessirt.

Es vernothwendigt sich, hier ausdrücklich auf die Lage Schwerins, wie sie im Anfang der Abhandlung zu schildern versucht ist, besonders auf S. 34 flgd. zu verweisen. Darnach hängt die durch den Ziegelsee und großen See gebildete


1) No. 100 M. U.=B. I.
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Halbinsel Schwerin, die durch den Heidensee und seine Verbindungen mit dem Ziegelsee und dem großen See in zwei Theile, die Stadt mit dem Schelffeld und den Werder, getheilt wird, mit dem festen Lande nur durch die schmale, sumpfige, mit Wasserlauf versehene Strecke zwischen Burgsee und Pfaffenteich, die jetzige Kaiser Wilhelmsstraße, früher Poststraße und Fließgraben, zusammen.

Die Verbindung des Heidenseees mit dem Ziegelsee einerseits und dem großen See andererseits findet sich auch auf der großen Schmettau'schen Karte von Meklenburg vom Jahre 1788; nach dem großen See zu ist sie Natur, bei der Verbindung mit dem Ziegelsee ist dagegen ein Zweifel hieran gerechtfertigt; in Anbetracht des tiefen, sumpfigen Terrains zu beiden Seiten dieses Wasserlaufes bin ich jedoch der Ansicht, daß auch hier die Verbindung eine natürliche ist, der man durch Ausgrabung und Befestigung der Ufer nachgeholfen hat.

Ferner ist noch auf eine große sumpfige Niederung aufmerksam zu machen, die sich vom Ziegelsee und zwar ungefähr von der jetzigen Knaudtstraße zwischen der Schelf= und Bergstraße bis zum Schelfmarkt erstreckt, vor diesem aber noch sich theilt und rechts durch die Apothekerstraße nach dem Pfaffenteich, links durch die Gärten zwischen dem Schelfmarkt und der Bergstraße über den Ziegenmarkt zum großen See sich hinzieht.

Zu diesen durch die Natur gegebenen Scheiden kommt schließlich eine, die zugleich mit einer politischen zusammenfällt. Die Stadt Schwerin hatte in ihrer ältesten Zeit nicht die räumliche Ausdehnung wie jetzt, ihr Thor nach dem Werder zu stand vor der breiten Strecke der Königsstraße zwischen der Scharfrichter= und Friedrichsstraße vor einer Einsattelung des Bodens, von der noch jetzt die Königsstraße nach der Schelfkirche und nach dem Dome zu in die Höhe steigt.

Hiernach kann man sagen, daß das damalige Schwerin, von der Vorstadt und der Paulsstadt abgesehen, auf drei Inseln erbaut ist, wobei man dies Wort in etwas weiterer Bedeutung nehmen muß, nämlich die Insel, auf der das Schloß, die, auf der der Dom mit der Altstadt, und die, auf der die Schelfkirche mit der Neustadt sich befindet. An diese schließt sich der Raum bis zum Heidensee und folgt dann das Land, das jetzt "Werder" genannt wird.

Ueber die Lage der Insel Lieps ist nichts zu sagen, sie, wie ihr Name sind unverändert geblieben.

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Was war nun die "insula Zverin adiacens usque ad riuulum" ? Es können nur zwei Flächen in Betracht kommen, entweder ist es das Schelffeld bis zum Heidensee oder der jetzige Werder.

Die erste Alternative hat entschieden viel für sich, es paßt der Ausdruck "insula Zverin adiacens" auf sie ihrer Lage nach viel besser als auf den Werder, trotzdem aber ist die zweite Alternative vorzuziehen, denn einmal kann man den Ausdruck "adiacens" ohne Zwang auch auf sie anwenden, dann trifft bei ihr die Bezeichnung und Begrenzung "insula usque ad riuulum" in höherem Maße, als bei der anderen Fläche zu, die keine richtige Insel ist, während der Werder (Werder heißt Insel), der durch den Großen und Ziegel=See und durch den Heiden=See mit seinen Wasserläufen nach den beiden erstgenannten Gewässern hin rings vom Wasser umgeben ist, eine richtige Insel bildet. Schließlich läßt sich aus dem Umstand, daß Graf Gunzelin dem Capitel 1238 vierzehn Höfe auf der Schelfe überläßt 1 ) folgern, daß diese dem Capitel noch nicht gehört hat, das hätte aber der Fall sein müssen, wenn diese Räumlichkeit die gesuchte wäre, da Herzog Heinrich das Bisthum ohne jede Einschränkung mit dem Eigenthum der Insel bewidmet hatte, mithin muß als die insula Zverin adiacens Herzogs Heinrich nicht die Schelfe, sondern der Werder angesehen werden.

Unter dem riuulus kann nur die Verbindung des Heidenseees mit dem Ziegelsee und großen See verstanden sein, welcher Auffassung allerdings der Umstand entgegensieht, daß man für gewöhnlich als riuulus ein fließendes Wasser bezeichnet, von einem solchen hier aber, von einigen Strömungen abgesehen, deshalb die Rede nicht sein kann, weil der Ziegel=, Heiden= und große See in einem Niveau liegen. Ist dieses Bedenken auch gewiß geeignet, Zweifeln an der Richtigkeit der aufgestellten Behauptung Raum zu geben, so ist doch andererseits der Umstand von entscheidender Bedeutung, daß von Schwerin ab bis zum Werder und auf diesem selbst - und auf diesem Terrain muß sich doch der riuulus befunden haben - kein weiterer Wasserlauf angetroffen wird.

Zu diesen Besitzungen des Bisthumes, dem Werder - auf dem der Bischof einen Hof befaß 2 ) - und der Insel Lieps traten dann im Laufe der Jahre, wie wir sahen, und wie der Text C der Bewidmungsurkunde von 1171 ergiebt,


1) No. 486 M. U.=B. I.
2) No. 6909 M. U.=B. X.
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die Stadt Schwerin von dem Hause des Fischers Suk bis zu der kleinen Schelfe, deren eine Hälfte für das Capitel bestimmt war, und die große Schelfe, wie auch die Mühle hinzu. Es wird sich empfehlen, vorerst von der Stadt Schwerin und der Mühle abzusehen.

Im Text C tritt eine Unterscheidung auf, die zuerst hier beobachtet wird, die Eintheilung der Schelfe in die kleine und in die große Schelfe.

Was man darunter verstand, ist uns nicht urkundlich hinterlassen, da aber das aus dem ganzen Zusammenhang sich ergiebt, daß die beiden Flächen den Raum von dem nördlichen Thore der Stadt Schwerin bis zu dem eben besprochenen Werder einnehmen, und daß man von Schwerin aus gerechnet erst an die kleine, dann an die große Schelfe kam, so wird man gemäß der vorhin besprochenen Terrainverhältnisse wohl nicht fehl greifen, wenn man die sumpfige Niederung, die von dem Ziegelsee sich südwärts erstreckt und mit einem Arme in den großen See, mit dem andern in den Pfaffenteich mündet, für die Grenzlinie erklärt und danach als die kleine Schelfe den Höhenrücken, den die Schelfkirche krönt, bezeichnet, als die große Schelfe dagegen den daran grenzenden Stadtheil mit dem Schelffelde, welcher Bezeichnung das räumliche Verhältniß beider Flächen völlig entspricht.

Von der Stadt Schwerin selber besaß das Bisthum einen Theil, partem ciuitatis Zuerinensis a domo piscatoris Suk (super australe stagnum posita(m) nach Text C.) ad uetus cimiterium directe tendentem et idem transeuntem usque in Scalam, d. h. den Theil, der sich von dem Hause des Fischers Suk nach dem alten Kirchhof erstreckte, diesen überschritt und bis zur Schelfe hinzog.

Zur Bestimmung dieser Oertlichkeit kommt es darauf an, zwei punkte festzustellen, das Haus des Fischers Suk und den alten Kirchhof.

Der erste Punkt läßt sich mit Sicherheit nachweisen. Aus der Urkunde vom 6. December 1284 1 ) erhellt, daß das Heilige Geist=Hospital dort errichtet war, wo früher das Haus des Fischers Suk stand,

- a domo sancti spiritus, ubi olim fuerit domus cuiusdam piscatoris nomme Suk -.

dieses Heilige Geist=Hospital war nach dem Visitationsprotocolle, das gleich nach dem großen Brande im Jahre 1651


1) No. 1766 M. U.=B. III.
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ausgenommen ward, "in der Stadt an der faulen Gruben (jetzt Wladimir=Straße) bei einem, vndt der Stadt Mawern am andern Ende - gelegen" und hat noch bis in unser Jahrhundert hinein 1 ) zum Armenhause gedient, es steht jetzt an der nordöstlichen Ecke des Durchschnittes der Wladimir= und der Engen Straße. Früher lag die faule Grube östlich von diesem Haufe und wurde erst nach dem Brande von 1651 westlicher gelegt.

Der andere Punkt, vetus cimiterium, ist nicht mehr sicher zu ermitteln. Zunächst ist wohl darin Wigger 2 ) zuzustimmen, daß dieser alte Kirchhof der frühere heidnische gewesen sein wird, denn unmöglich kann bei der damals noch geringen Einwohnerzahl schon im Jahre 1186 von 1161 ab ein christlicher Kirchhof gefüllt gewesen sein. Dieser wird, wie überall sonst, so auch hier um den Dom herum gelegen haben; dort kann also der alte heidnische nicht gewesen sein, er muß, da nördlich und westlich vom Dom innerhalb des Gebietes der Stadt Schwerin das Terrain sumpfig und für einen Kirchhof nicht geeignet war, südlich oder östlich von diesem Bauwerk sich befunden haben. Der Marktplatz nun hat von frühester Zeit an schon auf seiner jetzigen Stelle gelegen und ist nicht anzunehmen, daß derselbe auf einem den damaligen Bewohnern noch bekannten Beerdigungsplatz, auch wenn es ein heidnischer war, angelegt ist, mithin bleibt nur übrig, den Kirchhof östlich vom Dom zu suchen. Geeignetes Terrain ist hier nicht viel, mit der Grünen Straße oder vielmehr schon zwischen dem Raum, den das jetzige Hotel de Paris einnimmt, und der Grünen Straße beginnt der Sumpf. Der alte Kirchhof kann als nur auf dem Raum zwischen der Scharfrichterstraße, der Grünen Straße, dem Marktplatz und dem Dom gelegen haben, bei welcher Folgerung der Umstand von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, daß nach den angeführten Worten der Urkunden, der alte Kirchhof in unmittelbarer Nähe der Schelfe sich befunden hat.

Die Linie also von der Ecke der Wladimir= und Engen Straße südöstlich am Dom vorüber nach dem Hotel de Paris zu war die Grenzlinie zwischen dem Gebiet des Bischofes und dem des Grafen. Ist nun auch nicht ausdrücklich gesagt, welcher Theil der Stadt dem Bisthum gehören soll,


1) Wigger, Jahrbücher XXVIII, S. 201.
2) Jahrbücher XXVIII, 107. Note 3.
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vom Hause des Fischers Suk aus gesehen der links oder rechts dieser Linie befindliche, so ist doch selbstredend, daß der links, nach Westen und Norden zu gelegene, gemeint ist, der den Dom einschloß.

Es konnte nicht fehlen, daß beim Vorhandensein der vorhin besprochenen Anzahl von Urkunden über die Bewidmung des Bisthumes Schwerin, von denen nicht eine mit der anderen genau übereinstimmt, große Streitigkeiten mit den Nachbaren, insbesondere mit dem Grafen, entstanden.

Urkundlich verbürgt finden wir dieselben zuerst am 26. Mai 1238 1 ). Es war ein Streit über die Stellung des Bischofes und seines Sprengels zu dem Landesherrn entstanden, und kam in dieser schon mehrfach angezogenen Urkunde ein Vergleich zu Stande, der der Geistlichkeit eine dem Landesherrn gegenüber fast unabhängige Stellung einräumte. Unter Vermittelung des Erzbischof es von Bremen verglich sich nämlich der erwählte Bischof Friedrich mit dem Grafen Gunzelin von Schwerin dahin, daß der Graf keine anderen Dienste von den Gütern des Bisthumes zu fordern haben solle als die ihm in der Bewidmungsurkunde vorbehalten seien, d. h. gar keine, da in der Bewidmungsurkunde keine derartige Vorbehalte enthalten sind, ferner daß die Geistlichkeit lediglich vor ihrem Richter, nicht vor dem Grafen oder dessen Amtmann Recht nehmen solle, endlich daß den Grafen die Bischofswahl nichts anginge. Das heißt mit anderen Worten, der Graf erkennt an, daß er auf geistlichem Gebiet nichts zu sagen hat.

War die Stellung des Bischofes dem Grafen gegenüber nun auch eine sehr unabhängige, so blieb dieser doch immer noch der Landesherr auch für den in seiner Grafschaft gelegenen Theil des Bisthumes, er muß diese Stellung den Bischof gegenüber zur Geltung zu bringen versucht haben, da neue Streitigkeiten an Stelle der ersten traten. Der Graf mußte danach streben, die schon so sehr gelockerte Herrschaft über das Bisthum nicht ganz zu verlieren, der Bischof, auch diesen letzten Rest abzuschütteln. Es kam hier wie überall in damaliger Zeit, der Bischof siegte, der Graf unterlag und schloß den Vergleich vom 6. December 1284 2 ), der für die Stadt Schwerin, besonders für die Schelfstadt von weittragendster Bedeutung war und bis in unser Jahrhundert hinein blieb.


1) No. 486 M. U.=B. I.
2) No. 1766 M. U.=B. III.
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Abgesehen von anderen nur die Stadt Schwerin interessirenden Abmachungen, die weiter unten erörtert werden, tritt in Betreff des Bischofes und seines Gebietes, sowie seiner bisherigen Stellung zum Landesherrn ein Punkt des Vergleiches hervor:

Et erunt termini episcopales -- cum pleno iure, cum iuditio sanguinis et mutilatione membrorum, que wlgariter nuncupantur iuditium colli et manus, ita quod tam Scala quam etiam ville predicte cum suis terminis et omnia supradicta ad episcopum Cwerinensem pertineant cum omni honore et districtu, quibus terra Butsowensis ad ipsum dinoscitur pertinere nec inhabitatores locorum et terminorum predictorum alicui ad exactiones aliquas uel ad onera seu labores, qui lantwere uel borchwere wlgariter vocantur, teneri debeant nisi soli episcopo Cwerinensi.

Durch diese Bestimmung sind Land und Leute des Bischofes von dem bisherigen Unterthanenverhältniß, so schwach es nur noch bestanden hatte, vollständig getrennt, und die Bischöfe für ihre Lande als Landesherren und Gleichberechtigte anerkannt, was auch dadurch bestätigt wird, daß der Graf Helmold in dieser Urkunde einen Theil der Stadt Schwerin vom Bischofe zu Lehen nimmt.

Es kann dieser Vergleich als das Resultat der Bestrebungen betrachtet und angesehen werden, die den gesammten Klerus der damaligen Zeit beseelten, der sich ebenso von der Hoheit der Landesherrschaften zu emancipiren strebte, wie diese von der Oberhoheit des Kaisers.

Was die damalige Stadt Schwerin angeht, so finden sich in dem Vergleiche zwei Bestimmungen, die den Antheil des Bischofes an der Stadt neu regeln. Die eine bestimmt, daß ab introitu ciuitatis a porta fabrorum in latere sinistro vsque ad fossam iuxta domum Johannis de Colonia omnes aree ad curias canonicorum libere ac expedite pertinebunt. Das Schmiedethor, die porta fabrorum, stand nun in der Schmiedestraße, dort, wo dieselbe in die Kaiser Wilhelmsstraße mündet, der Graben neben dem Hofe Johanns von Cöln ist die Grube, die jetzige Wladimir=Straße, mithin sollen zu den Domherrenhöfen alle Plätze gehören, die von einer am westlichen Ende der Schmiedestraße, dem Schmiedethor, beginnenden und bis zu der Grube, der ersten Querstraße, sich erstreckenden Linie linker Hand, vom Schmiedethor aus gerechnet, sich befanden.

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Weiter heißt es dann in dem Vergleich:

Item a domo Ade canonici, que prius decani fuerat, per oppositam plateam retro domum Johannis Frisonis per directum tendens ad curiam Radolfi vicarii dicti Galeri et eandem includens totum spatium, quod est inter eandem plateam et septa ciuitatatis, - ad ecclesiam pertinebit.

Die Deutung dieser Bestimmung ist leider unmöglich geblieben, da es unbekannt ist, wo die Höfe des Domherrn Adam und des Vicares Rudolph Galerus gelegen haben. Nur dafür scheint viel zu sprechen, daß dieser Gebietstheil der Kirche in der Nähe des eben besprochenen sich befunden hat, weil die Urkunde nicht einmal andeutet, daß jetzt von einer an einem ganz anderen Theil der Stadt befindlichen Oertlichkeit gesprochen wird. Hierzu kommt noch ein anderer Grund: Es ist von einem Raume die Rede, der zwischen einer Straße und der septa ciuitatis sich befunden hat. Eine solche Verpallisadirung hat sich sicher vom Schmiedethore bis zum Schelfthore hingezogen, wahrscheinlich aber vom Mühlenthor, dem westlichen Ende der Schloßstraße, bis in das Moor bei der Scharfrichterstraße, mithin kann der Raum, von dem die Urkunde spricht, auch nur an dieser Linie (Kaiser Wilhelms=, Friedrichs=, Scharfrichter=Straße) gelegen haben; die andere Bedingung, die opposita platea, und zwar opposita der Schmiedestraße, war auch bei dem an der Kaiser Wilhelmsstraße gelegenen Stadttheil vorhanden, nämlich die die Schmiedestraße kreuzende jetzige Wladimirstraße, und so würde sich als Resultat ergeben, falls diese Conjectur Zustimmung fände, daß in dem Vergleich von dem Raum gesprochen wird, der zwischen Wladimir=, Kaiser Wilhelms= und Schmiede=Straße gelegen ist. Es wird hierdurch die frühere auf den Fälschungen der Bewidmungsurkunde beruhende Grenzlinie, die von der Ecke der Wladimir= und der Engen Straße begann, ergänzt. Diese Grenzbestimmung kehrt übrigens, wenn auch in veränderter Gestalt, in diesem Vergleich wieder. Der Bischof giebt nämlich, wie vorhin schon erwähnt, dem Grafen Helmold einen Theil der Stadt Schwerin zu Lehen und zwar:

contulimus in feudum partem ciuitatis Cwerin, que distinguitur a domo sancti spiritus, ubi olim fuerat domus cuiusdam piscatoris nomine Suk, ascendendo sursum per oppositam plateam, et procedendo per medium fori usque ad uetus cimiterium, includendo totum, quicquid est a latere sinistro.

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Dies ist in ihrer Hauptrichtung dieselbe Grenze wie die oben besprochene (vergl. S. 75 flgd.), nur die opposita platea ist neu. Ich verstehe darunter nicht die der Wladimirstraße jetzt parallel laufende Schusterstraße, sondern die von der Wladimirstraße ausgehende, sie durchschneidende Enge Straße, mit deren Aufsteigen nach der bedeutend höher gelegenen Schuster= und dann Königsstraße der Ausdruck "ascendendo" stimmt; von der Engen Straße läuft die Grenzlinie dann durch die Schusterstraße und quer über den Markt nach dem alten Kirchhof zu. Mit Allem, was links dieser Linie lag, vom Heiligen Geist=Hospital aus gesehen, belehnte der Bischof den Grafen Helmold von Schwerin, doch ist anzunehmen, daß der Graf nicht den ganzen der Geistlichkeit gehörenden Theil der Stadt zu Lehen erhielt, sondern nur den Terrainabschnitt, der zwischen dieser letzten Grenzlinie und der ersten im Vergleich aufgestellten sich befand.

Innerhalb der damaligen Stadt Schwerin stellt sich das Verhältniß zwischen Bischof und Grafen also folgendermaßen. Das geistliche Gebiet liegt links einer Linie, die von der Engen Straße, ungefähr wohl wo dieselbe in die Kaiser Wilhelmsstraße mündet, ausgeht, sich durch die engen Straßen in die Schusterstraße hinzieht, diese entlang nach dem Markt zu und über diesen hinüber nach dem alten Kirchhof läuft; der andere Theil der Stadt gehört dem Grafen, der vom Bischof aber noch den eben besprochenen Abschnitt des bischöflichen Gebietes zu Lehen hatte.

Interessant ist es, daß der Bischof im Jahre 1238 noch keine besondere Wohnung in Schwerin hatte, im Vertrag vom 26. Mai 1238 1 wird dieserhalb bestimmt, daß der erwählte Bischof Friedrich sich mit dem Grafen Gunzelin innerhalb eines Jahres zu vergleichen habe, "wo der Bischof seine Wohnung haben solle". Es ist ja nun mögliche daß dies geschehen, und daß schon damals der Domherrenhof, der dort lag, wo jetzt das Postgebäude sich befindet, (vgl. S. 43, Note 1), ein für alle Male zum Bischofssitz bestimmt wurde, indessen haben wir urkundliche Nachrichten hierüber nicht, wenn wir nicht die Urkunde vom 18. October 1331 2 ) als solche nehmen wollen, in der Bischof Ludolph eine kleine Präbende von Hebungen aus seinem Hofe stiftet, "darauff er gewohnet, eh er Bischof geworden". Möglicherweise bezieht sich auf ein Bischofshaus auch die Urkunde vom


1) No. 486 M. U.=B. I.
2) No. 5279 M. U.=B. VIII.
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8. September 1343 1 ), durch die Bischof Heinrich von Schwerin über die Einführung des Pfarrers in Dreveskirchen Bestimmungen trifft: "Datum et actum Zwerin in curia nostra".

Von größter Wichtigkeit ist, wie schon hervorgehoben, der Vergleich von 1284 für die Schelfe, Scala, Schelme, Schilmo.

In Bezug auf sie wird zunächst bestimmt, daß außerhalb des Schelfthores von dem Stadtgraben an die ganze Schelfe, eingeschlossen 9 Höfe, die Graf Helmold zurückkaufen mußte, vollständig und ohne irgend eine Einschränkung zur bischöflichen Tafel gehört. Ihre Bewohner sind von der Stadt Schwerin vollständig, auch in Beziehung der Hölzungen und Weiden, unabhängig, haben jedoch das Recht, da sie keinen Markt für sich allein halten, an dem der Stadt Schwerin Theil zu nehmen, ohne aber zu irgend welchen Lasten und Abgaben herangezogen werden zu dürfen, sonst können sie kaufen und verkaufen in ihren Häusern und vor ihren Thüren wie sie schon bisher dies Recht hatten. Ihren Weg nach dem festen Lande sollen sie immer durch die Stadt nehmen und nicht den neuen Weg durch das Wasser, - uiam nouam ad terras per aquam - den jetzigen Spielthordamm, dazu benutzen. Schließlich wird bestimmt, daß die Schelfleute ihren eigenen Gerichtsstand und zwar vor dem Bischof haben, wie alle die auf bischöflichem Gebiet wohnen; begehen sie außerhalb dieses Gebietes ein Delict und werden sofort ergriffen und eingekerkert, so urtheilt sie das Gericht ab, in dessen Jurisdictionsgebiet das Verbrechen begangen worden ist, sei es das der Stadt oder das des Grafen, anderenfalls aber nimmt der Delinquent vor dem Bischof Recht; umgekehrt hat dieser auch die Jurisdiction über Verbrecher, die auf seinem Gebiete delinquiren und sofort ergriffen und in Gewahrsam gebracht werden. Abgesehen von den Gegenleistungen des Bischofes, die hier nicht so sehr interessiren, - unter anderem zahlte er 1250 Mark und verpflichtete sich, auf der Schelfe wie auf dem Werder keine Befestigung irgend welcher Art anzulegen, - und weiter von Bestimmungen wegen der Bischofsmühle, die später zur Sprache kommen, enthält diese Urkunde den culturhistorischen Nachweis, daß zu dieser Zeit ein Weinberg, vinea, bei Schwerin existirte; er soll sich auf dem jetzigen Stephansberge an dessen südlicher Abdachung befunden haben.


1) No. 6336 M. U.=B. IX.
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Spätere Erwerbungen des Bisthumes auf der Schelfe finden sich ungemein, selten, ein Beweis, daß dieser Vergleich in volle Kraft getreten ist.

Eine Nicolai= Kirche, die nicht mit der jetzigen identisch ist, stand schon sicher 1217 auf der Schelfe. Ueber ihre Gründung und Dotirung sind uns Nachrichten nicht erhalten, das einzige, was wir haben, sind die unter No. 346 und 486 M. U.=B. I. zusammengestellten spärlichen Bemerkungen, nach denen Graf Heinrich von Schwerin der Nicolai= Kirche ein Bild vom Haupte Johannes des Täufers schenkte. Von diesem Grafen Heinrich nimmt man an, daß er die Kirche zum Dank für den Sieg bei Bornhöved am 22. Juli 1227 gegründet habe, indessen ist dieser Sage nicht beizupflichten, vielmehr auf die Urkunde vom 2. Juli 1217 1 ) hinzuweisen. Unter den dort aufgeführten Zeugen geistlichen Standes, die sämmtlich als Schweriner Domherren bezeichnet werden, kommt auch ein Arnoldus sacerdos sancti Nicolai vor, woraus sich ergiebt, daß schon 1217, also 10 Jahre vor der Schlacht bei Bornhöved, hier eine Nicolai=Kirche existirt hat, mithin die Erzählung von der Entstehung der Kirche jedes geschichtlichen Hintergrundes entbehrt. Beyer, Jahrbücher XXXII, S. 84, sagt, daß auf der Stelle der protestantischen (Nicolai=Kirche) die schon vor 1211 erbaute Kapelle dieses Heiligen gestanden habe, und es ist immerhin möglich, falls hier nicht ein Druckfehler vorliegt, daß dies der Fall gewesen, ein urkundlicher Nachweis läßt sich für diese Behauptung indessen nicht erbringen.

Auf der Schelfe wohnte hauptsächlich die Domgeistlichkeit 2 ), die sonst auch auf der Strecke vom Schmiedethor bis zum Schelfthor ihre Wohnungen hatte 3 ), jedoch auch Ritter und andere, denen die enge, alte Stadt und deren zünftiges Wesen nicht zusagen mochte, hatten dort ihren Wohnsitz aufgeschlagen, wo es, vielleicht abgesehen von der Verlängerung der Königsstraße über das Schelfthor hinaus bis zur Schelfkirche und der Fischer= und Münz=Straße, wo die Wenden gewohnt haben Sollen, feste, regelmäßige Straßenzüge nicht gegeben haben wird.

Was den dem Bisthum von Herzog Heinrich verliehenen Schiffszoll in Schwerin anbetrifft, so ist uns von ihm, abgesehen davon, daß statt desselben in der Bestätigung des


1) No. 235 M. U.=B. I.
2) No. 486 M. U.=B. I.
3) No. 3582 M. U.=B. VI.
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Papstes Cölestin III. von 1191 ein nauale theloneum in Plote aufgeführt wird, der dann in der Bestätigung Kaisers Otto IV. dem nauale telonium in Zwerin Platz macht, und von da an nicht wieder erwähnt wird, nichts bekannt. Der große See hat niemals dem Bisthum gehört, das so wenig wie die Stadt Rechte an denselben hatte.

Auch die Pfarre von Schwerin verlieh Herzog Heinrich dem neu bewidmeten Bisthum. Ebenso wie der Schiffszoll wird sie in mehreren der späteren Bestätigungsurkunden noch aufgeführt, dann aber nicht wieder erwähnt, und wissen wir nicht, welche Bewandniß es mit derselben hatte. Das kann man wohl als sicher annehmen, daß dies die Pfarre ist, welcher bis zu der Verlegung des Bisthumes nach hier die Seelsorge in Schwerin obgelegen hat, und daß Herzog Heinrich mit der Pfarre das Patronat derselben übertragen haben wollte, welche nach der Verlegung des Bisthumes in der Art besetzt sein mag, daß einer der Domherren oder Vicare ein für alle Male mit der Besorgung der einschlagenden Obliegenheiten betraut wurde. Hierfür haben wir allerdings keine Nachrichten, nur beweist ein im Anfang des 14. Jahrhunderts geschnittenes Siegel 1 ) eines Pfarrers zu Schwerin, daß zu der Zeit die Pfarre noch als Pfarre existirte.

Vor der Grundsteinlegung des Domes und bis zu seiner Weihe im Jahre 1248 wird der Gottesdienst in einer Capelle stattgefunden haben, die südöstlich vom Dom nach dem Markt zu errichtet war und erst 1693 abgebrochen und als Baumaterial benutzt wurde. 2 ) Ob dies die Capelle ist, in der Graf Heinrich von Schwerin die Urkunde vom 23. Juni 1227 3 ) ausstellte,

- Acta sunt hec - in capella Zwerin -

oder ob diese schon früher untergegangen ist, und von ihr die alten Säulencapitäler und Fundamente stammen, die öfter in der Nähe des Domes gefunden sind, und ob die Heilige Blutscapelle unter dieser capella zu verstehen ist, wird wohl eine offene Frage bleiben.


Straßen, Thore. Befestigung.

Um beurtheilen zu können, welche Ausdehnung die Stadt Schwerin in der ältesten Zeit hatte resp. haben konnte, ist


1) No. 71 M. U.=B. I. S. 67.
2) Lisch, Jahrbücher XIII, S. 148, Note 1.
3) No. 340 M. U.=B. I.
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kurz daran zu erinnern, daß die Stadt östlich und südlich vom großen See resp. Burgsee begrenzt war, ferner floß westlich der Fließgraben vom Pfaffenteich in den Burgsee und nördlich ein anderer Graben, der Stadtgraben, ebenfalls aus dem Pfaffenteich in den großen See. Der erste Wasserlauf ist jetzt noch unter der Kaiser Wilhelmsstraße vorhanden, der letztere ist vor nicht sehr langer Zeit verschüttet resp. überwölbt, er lief nicht ganz parallel mit der Friedrichsstraße und schnitt die Schul= und Königs=Straße, letztere zwischen der Scharfrichter= und Fischer=Straße. Ueber diese beiden Gräben hinaus dehnte sich die Stadt Schwerin nicht aus, denn jenseits des Stadtgrabens begann die bischöfliche Schelfe und jenseits des Fließgrabens waren Gärten. Das erste ist oben auseinandergesetzt, das zweite folgt aus der Urkunde vom 24. November 1338 1 ), in welcher der Ratsherr Radolph Kardorf dem Domcapitel hieselbst seinen Garten verkauft, rechts des Weges, wenn man vom Schmiedethor nach dem "Weddelop" geht, zwischen anderen Gärten gelegen. Bestätigt wird dies durch eine Abbildung Caspar Merians von Schwerin vom Jahre 1640 in Zeiller's Topographie von Niedersachsen, reproducirt in Westphalen monumenta Tom. III., au welcher die Stadt ebenfalls mit dem Schmiedethor und Mühlenthor und dem Fließgraben abschließt, jenseits des letzteren befinden sich nur einige wenige Gebäude, anscheinend Scheunen, sonst freies Feld.

Mithin konnte das damalige Schwerin sich nur über den Raum erstrecken, der von der jetzigen Friedrichsstraße und Scharfrichterstraße bis zum Burgsee sich ausdehnte und rechts vom Fließgraben, links vom großen See begrenzt wurde.

In den frühesten Zeiten nahm aber die Stadt auch diesen Raum noch nicht einmal ein, denn es ist schon am 9. Juni 1266 von einer Neustadt die Rede; Graf Gunzelin und sein Sohn Helmold versprechen hier dem Grafen Adolph von Danneberg, der mit ihnen einen Heiraths= und Freundschaftsvertrag abschloß, als Leibgedinge unter anderen unam curiam Zwerin apud fratres aut in nova ciuitate 2 ), also einen Hof in der Stadt Schwerin und zwar entweder beim Kloster oder auf der Neustadt. Weiter wird in der Urkunde vom 2. April 1326 3 ) dem Kloster Reinfeld von der Stadt Schwerin verkauft


1) No. 5905 M. U.=B. IX.
2) No. 1089 M. U.=B. II.
3) No. 4712 M. U.=B. VII.
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dat rum vppe der nigenstat, also iit begrepen is mit schunen vnde mit spikere vnde mit alleme rume, also it broder Ghert begrepen heft,

es waren diese Speicher und Scheunen aber, wie sicher überliefert ist - vgl. Anmerkung zu No. 4712 -, auf dem Glaisin gelegen, dem Platz, den jetzt die Glaisinstraßen einnehmen. Endlich ist unterm 20. December 1330 von dem verstorbenen Domherrn Marquard Kale die Rede, der zu Testamentsexecutoren den Domherrn Johann von Schwan zu Schwerin und seine Schwester Alheidis, Gemahlin eines Henrici in noua ciuitate, einsetzt, die aus dem Nachlaßvermögen eine Vicarei gründen, welche zunächst Marquardus filius Vlrici consulis in Suerin in noua ciuitate erhalten soll. 1 )

Hiernach ist die Existenz einer Neustadt Schwerin innerhalb der angegebenen Grenzen unzweifelhaft, dieselbe hat auf dem Großen und Kleinen Moor und den Glaisinstraßen gelegen, und ergiebt sich also, daß ursprünglich die alte Stadt Schwerin innerhalb eines Raumes lag, der ungefähr durch den Burgsee, Fließgraben, Friedrichs=, Scharfrichter=, Grüne=, Bader=, Ritter=Straße und durch eine von da wieder zum Burgsee führende Linie begrenzt war.

Diesen Raum bedecken jetzt folgende Straßen:

1) Die Friedrichsstraße.

Dieselbe existirte in dem hier zu besprechenden Zeitraum noch nicht, ist im Gegentheil ganz jungen Ursprunges und datirt aus dem Ende des vorigen, Anfang dieses Jahrhunderts. Sie führt über die früheren Domherrenhöfe.

2) Die Scharfrichterstraße.

Auch diese gab es in der damaligen Zeit noch nicht, vielmehr wird der schon erwähnte Abflußgraben vom Pfaffenteich wenigstens theilweise diese Straße entlang seinen Lauf genommen haben, da sie das beste Gefäll nach dem großen See zu bietet, und die Stadtmauer, soweit eine solche existirte, die jetzige Südseite der Straße bildete, wie die noch vorhandenen Mauerreste an dem Hotel de Paris beweisen, die aus dieser Zeit allerdings wohl nicht mehr stammen. Stadtmauer und Stadtgraben lagen stets dicht bei einander.

3) Die Königsstraße und der Marktplatz.

Die Königs= oder früher Filter=Straße mußte der Lage der Sache nach schon in der allerältesten Zeit existiren, sowohl


1) No. 5191 M. U.=B. B. VIII.
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der Theil von der Schloßstraße zum Markt, wie der vom Markt bis zum Schelfthor. Denn was die letztere Strecke betrifft, so bot er den Schelfbewohnern die einzige ihnen im Vergleich vom 6. December 1284 1 ) garantirte Möglichkeit freien Einganges und Ausganges in und durch die Stadt, da das Schelfthor, in der Königsstraße gelegen, das einzige Thor nach dieser Seite und die Königsstraße der einzige Weg nach dem Schelfthor und der Schelfe war. Ist somit ein Zweifel an der Existenz dieser Straße auch in den ältesten Zeiten schon durch die Lage der Verhältnisse ausgeschlossen, so haben wir doch im vorliegenden Fall eine beruhigende Gewißheit durch urkundliche Bestätigung. In der Schenkungsacte des alten bischöflichen Obstgartens Seitens des Bischofes Hermann an das Domcapitel vom 2. September 1267 2 ) heißt es:

- episcopale pomerium - cuius longitudo protenditur de platea, qua itur versus Schilmonem. -

Daß dieser Ausdruck lediglich auf die Königsstraße, wenn auch möglicherweise nur auf den damaligen nördlichsten Theil vom Markt bis zum Schelfthor paßt, bedarf keiner weiteren Begründung. Die angeschlossene Zeichnung, Tafel B, läßt die Situation klar erkennen. 3 )

Der Marktplatz wird öfter erwähnt, zuerst 1284 im Vergleich des Bischofes Hermann mit dem Grafen Helmold über die Stiftsgüter in der Grafschaft gelegentlich der oben 4 ) besprochenen Grenze zwischen weltlichem und geistlichem Gebiet in der Stadt Schwerin. Nach dem Plan zu Johann Wedel's Memorial, betreffend den Wiederaufbau der abgebrannten Stadt Schwerin von 1651 5 ), hatte er bei Weitem nicht den jetzigen Umfang; die Schusterstraße hatte eine andere Richtung und mündete ungefähr in der Mitte der jetzt zwischen der Ecke des Marktes und der Königsstraße und der anderen Ecke des Marktes und der Schusterstraße gelegenen Häuserreihe, und die Schmiedestraße erstreckte sich bis zur Mitte des jetzigen Platzes.


1) No. 1766 M. U =B. III.
2) No. 1131 M. U.=B. II.
3) Diese Zeichnung ist in der Art entworfen, daß die jetzt vorhandenen Straßenzüge auch als die alten angenommen, dabei aber die Veränderungen, die geschichtlich bekannt geworden sind, beachtet wurden. Im Übrigen ist die Zeichnung, so gut es gehen wollte, nach der Merianschen Abbildung in Westphalen monumenta III. angefertigt und hat nur den Zweck, zur Orientirung zu dienen.
4) Vgl. S. 79.
5) Vgl. Wigger, Jahrbücher XXVIII. 202, Note 1.
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Für die Existenz des südlichen Theiles der Königsstraße, vom Markt bis zur Schloßstraße, liegen urkundliche Nachrichten nicht vor, wenn man nicht die vorhin citirte Stelle "platea qua itur versus Schilmonem" auch auf diese Strecke der Straße beziehen will. Es ist indessen der Lage der Sache nach mehr als wahrscheinlich, daß der Marktplatz mit der Schloßstraße und damit mit der Burg in Verbindung gestanden hat.

4) Die Schloßstraße, früher Mühlenstraße.

Auch für deren Vorhandensein in dieser ersten Zeit liegen direct sprechende urkundliche Nachrichten nicht vor, ebenfalls bedingen hier aber die örtlichen Verhältnisse ihre Existenz mit Sicherheit, da diese Straße für die Bewohner der Burg den nächsten Weg durch die Stadt nach dem festen Lande bildete. Einen indirecten Beweis haben wir in dem Vergleich des Grafen Heinrich sowie des Rathes von Schwerin mit dem Kloster Reinfeld vom Jahre 1339 1 ), in welchem dem Kloster das Vorschütt

- vorescutte iuxta pontem in loco qui dicitur "tho des greuen molen" in fine fossati -

für immer überlassen wird. Es hat also über den Fließgraben bei der Grafenmühle, dort wo die Schloßstraße endigt, eine Brücke zum festen Lande geführt, und ist damit indirect die damalige Existenz der Schloßstraße nachgewiesen, da Brücken bekanntlich nur da errichtet werden, wo Straßen sind. Ein weiterer Beweis für das Dasein der Schloßstraße in dieser Periode liegt darin, daß vor der Brücke ein Thor, das alte Mühlenthor, stand, das den Zugang zu der Stadt zu decken hatte.

Die Schloßstraße erstreckte sich auch in früherer Zeit vom Fließgraben an nur bis zum Alten Garten; dieser gehörte nicht mehr zur Stadt, sondern zur Burg. Nachweisbar ist dies zwar in dieser Periode nicht, indessen wird es zu der Zeit nicht anders gewesen sein als später.

5) Die Klosterstraße.

Die Klosterstraße, früher "hinterm Klosterhof", hat als Straßenzug in der ältesten Zeit wohl noch nicht existirt, doch wird der Raum in der Nähe des Franciskaner=Klosters, das dort, wo jetzt das Regierungsgebäude sich befindet, lag, schon damals bebaut und bewohnt gewesen sein, da in dem Freund=


1) No. 5950 U.=B. IX.
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schafts= und Heirathsvertrag des Grafen Adolph von Danneberg und Gunzelin und Helmold von Schwerin vom Jahre l266 1 ) der Gräfin als Leibgedinge unter anderem ein Hof in Schwerin apud fratres = beim Kloster zugesichert wird.

6) Die Schmiedestraße.

Ihr Vorhandensein in dieser Zeit folgt schon aus der Existenz des Schmiedethores, porta fabrorum, das in dem oft citirten Vergleich des Bischofes Hermann und Grafen Helmold von 1284 2 ) aufgeführt ist, in welchem Vergleich auch von der Straße selber und zwar von der Strecke vom Thore bis zur Grube gesprochen wird, es heißt nämlich:

Ab introitu ciuitatis a porta fabrorum in latere sinistro vsque ad fossam iuxta domum Johannis de Colonia.

Keinem Zweifel unterliegt es, daß die Straße noch weiter bis zum Markt geführt hat.

7) Die Wladimirstraße, früher die Faule Grube.

Ihre Existenz ist urkundlich verbürgt und kann auf die vorhergegangene Erörterung 3 ) hier verwiesen werden. An ihr lag, dort, wo die Enge Straße sie durchschneidet, das Heilige=Geist=Hospital, bei welchem sich die in dem Vertrag zwischen der Stadt und dem Kloster Reinfeld vom 22. August 1331, sowie im Vergleich des Grafen Heinrich und des Magistrates von Schwerin mit demselben Kloster vom 7. Mai 1339 4 ) besprochene neue Schleuse befand:

- nouum gurgustium iuxta pontem Sancti Spiritus intra ciuitatem nostram constitutum. -

Die Grube hatte ihren Namen davon, daß sie das zu den mancherlei Gewerben nothwendige Wasser in die Stadt führte. Ihre äußere Gestalt mag so gewesen sein, wie sie jetzt noch Rostock und andere alte Städte in der Grube und dem Gerberbruch zeigen: in der Mitte das Wasser, an beiden Seiten die Straße und dann die Häuser. Eine Einrichtung, daß das alte durch mannigfachen Gebrauch und die Abflüsse aus den Häusern unbrauchbar und gesundheitsgefährlich gewordene Wasser ab= und frisches zufließen konnte, bestand in der ältesten Zeit nicht, denn die hierzu dienende Schleuse


1) No. 1089 M. U.=B. II.
2) No. 1766 M. U.=B. III.
3) S. 75.
4) No. 5264 M. U.=B. VIII, und No. 5956 M. U.=B. IX.
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wird in dem Vergleich von 1331 noch nouum gurgustium genannt, muß also erst kurz vor jener Zeit errichtet sein. Ueber diese für die Stadt in hohem Maße wichtigen Verhältnisse heißt es in dem Vergleich von 1339, daß das Kloster Reinfeld auf Requisition des Rathes im Bedürfnißfall, das stinkende, schmutzige Wasser ab= und frisches einlassen soll, wogegen ihm die Schleuse, vorescutte, bei der Brücke "tho des greuen molen" überlassen wird, jedoch mit der Beschränkung, daß das Kloster diese Schleuse nur zur Reinigung des Grabens schließen darf.

Vergegenwärtigt man sich nun den Umstand, daß zur Regulirung der Wasserläufe zwei Schleusen dienten, die eine, das Vorschütt, unten im Fließgraben bei der Mühle, die andere in der Grube oben bei der Heil. Geist=Brücke, ferner daß zur Reinigung der Grube reines Wasser durch die letzte einströmen, dagegen die erstere geschlossen werden sollte, so ergiebt sich, daß der Fließgraben mit der Grube durch einen Canal in Verbindung gestanden haben muß, der ziemlich kurz vor, wenn nicht an Stelle der jetzt die Kaiser Wilhelms= und Wladimir=Straße verbindenden Engen Straße gelegen haben wird, da die Schleuse, die dazu dienen sollte, das frische Wasser in die Grube einzulassen, sich an der beim Heiligen Geist=Hospital befindlichen Brücke befand; daraus aber, daß bei der Reinigung der Grube das Vorschütt geschlossen wurde, folgt, daß die Grube nicht noch vor diesem Vorschütt in den Fließgraben wieder eingemündet haben kann, da Fließgraben und Grube dann gleiches Niveau gehabt haben würden und der zur Reinigung erforderliche Strom nicht zu beschaffen gewesen wäre; es muß die Grube entweder hinter dem Vorschütt noch in den Fließgraben oder aber, und das halte ich für das Wahrscheinlichere, in den Burgsee gemündet und so tief gelegen haben resp. ausgegraben gewesen sein, daß das Wasser, das sie für gewöhnlich enthielt, in einem Niveau mit dem Burgsee oder dem Theil des Fließgrabens, der unterhalb der Grafenmühle lag, sich befand. Erwähnung verdient es, daß im Herbst des vorigen Jahres Brunnenmacher beim Bohren der sog. Röhren=Brunnen auf mehreren Höfen der an der Schusterstraße gelegenen Grundstücke in der Tiefe von 18 Fuß auf dicke eichene Balken und auf Steinpflaster stießen, das der alten Grube angehört haben wird, da diese früher näher nach der Schusterstraße hin lag, wie schon oben 1 ) bemerkt ist.


1) S. 70.
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8) Die Schusterstraße.

Die Schusterstraße ist ebenso wie

9) die Enge Straße,

zwischen Grube und Schusterstraße urkundlich nachgewiesen, 1 )

Die Existenz der

10) Engen Straße

von der Schuster= bis zur Königsstraße, ferner

11) der Salzstraße,
12) der Baderstraße,
13) der Ritterstraße,
14) der Schlachterstraße,
15) des großen Moores von der Königsstraße bis zur Grünen Straße, sowie
16) der Gassen beim Rathhause

ist in dieser Periode der Geschichte Schwerins nicht urkundlich verbürgt, doch in hohem Grade wahrscheinlich.

Das war die alte Stadt Schwerin! Hinzu kam noch die Neustadt auf dem Glaisin und den Mooren, von der wir weiter nichts wissen, als daß sie schon in dieser Zeit existirt hat. Die jetzige Neustadt auf der Schelfe gehörte nicht zur Stadt Schwerin.

Die Zeitläufte des 13. und 14. Jahrhunderts waren danach angethan, auf Sicherung seiner selbst und seines Hauses möglichst Bedacht zu nehmen; Krieg und Fehden endigten nicht und das Rathsamste war, bis an die Zähne bewaffnet einherzugehen, wollte man unangefochten bleiben. Die Städte suchten denn auch ihre Lage möglichst fest und uneinnehmbar zu machen. Für Schwerin hatte in dieser Beziehung die Natur das Meiste gethan. Oestlich und südlich war es durch den Großen= resp. Burg=See, westlich durch ein weites sumpfiges Thal und den Fließgraben vor Angriffen geschützt und wohl sicherer als an den beiden Wasserseiten; der schwache Punkt, von dem aus denn auch am Abschluß dieser Periode eine Eroberung der Stadt, allerdings vergeblich, versucht wurde, war die nördliche Seite, wo Schwerin mit dem festen Lande zusammenhing und nicht durch natürliche Hindernisse geschützt war. Wenn irgendwo, so war es hier nöthig, daß die menschliche Tätigkeit der Natur zu Hülfe kam.


1) Vgl. S. 80.
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Von künstlichen Befestigungen in dieser Zeit wissen wir auf der Westseite und Nordseite. Hier waren zunächst die drei Eingänge durch Thore geschützt und zwar durch das Mühlenthor bei der Grafenmühle an dem Westlichen Ende der Schloßstraße, das Schmiedethor an der Einmündung der Schmiedestraße in die jetzige Kaiser Wilhelmsstraße und das Schelfthor, in der jetzigen Königsstraße zwischen der Friedrichs= und der Scharfrichterstraße gelegen. Von dem Mühlenthor und dem Schmiedethor führten Brücken über den Fließgraben, beim Schelfthor ebenso über den dort fließenden Stadtgraben. Die Meriansche Abbildung von Schwerin zeigt außerdem noch Vorwerke und Befestigungen, die jedoch aus dieser Zeit nicht stammen, vielmehr erst nach Entdeckung des Schießpulvers, frühestens im 16. Jahrhundert angelegt sein werden, da im 13. und 14. Jahrhundert noch das weite, eine Annäherung an die Stadt erschwerende sumpfige, tiefe Terrain jenseits des Fließgrabens, der breite fließende Graben und der dahinter liegende Wall mit seinem festen Thurm eine hinreichende Schutzwehr geboten haben. Das Schelfthor mit dem davor liegenden Graben ist durch den schon oft erwähnten Vergleich des Bischofes Hermann und Grafen Helmold über die Stiftsgüter zuerst verbürgt:

Item extra portam ciuitatis ibidem a fossato ciuitatis tota Scala - ad - ecclesiam pertinebit.

Später kommt dieser Graben noch öfter vor gelegentlich der Streitigkeiten des Klosters Reinfeld mit dem Schweriner Capitel wegen der bei dem Thore gelegenen Schleuse.

Die Befestigung bestand in der ersten Zeit nicht aus Mauern, denn Graf Heinrich von Schwerin schenkt in der Urkunde vom 24. August 1340 1 ) der Stadt die innerhalb ihrer Feldmark gelegene "Bollbrück", um die Stadt ,"mit Mawr und anderen bequemen Festungen zu befesten". Hiermit stimmt auch die Urkunde vom 2. September 1267 2 ), wo gesagt ist, daß der frühere bischöfliche Obstgarten sich in der Breite von den Planken (de planctis ciuitatis) bis zum Kirchhof erstrecke, auch 1313 3 ) ist noch von einem Plankenwerk die Rede, während der Vergleich von 1284 4 ) nur allgemein von der "septa ciuitatis" spricht; dagegen erwähnen die Ur=


1) No. 6065 M. U.=B. IX.
2) No. 1131 M. U.=B. II.
3) No. 3582 M. U.=B. VI.
4) No. 1760 M. U.=B. III.
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kunden vom 22. August 1331 und vom 7. Mai 1339 1 ) einer Stadtmauer, es heißt hier von der Grafenmühle: "molendinorum sitorum apud muros ciuitatis", nicht zu verwechseln mit der diese Mühle umgebenden und zu ihr gehörenden, am 3. Mai 1337 2 ) angeführten, zu der Mühle gehörenden Mauer, murus molendini.

Man wird annehmen können, daß die Befestigung der Stadt, für deren Erhaltung die Grafen Gunzelin und Heinrich 1307 dadurch sorgten, daß ein Drittel der wegen Vergehen wider die Geistlichkeit aufgekommenen Bruchgelder zu den Befestigungsarbeiten verwendet werden sollte 3 ), vor 1340 zum großen Theil aus Plankenwerk, an einzelnen, vielleicht besonders gefährdeten Stellen, jedoch aus Mauerwerk bestand. Dies letzte war der Fall bei der Grafenmühle und wohl deshalb, weil dieselbe zwar mit der Stadt auf derselben Seite des Fließgrabens, aber doch nicht innerhalb des städtischen Gebietes lag, von ihr also ein Handstreich immerhin leichter auszuführen war, als von der anderen Seite des Grabens. Auch die Thore und der daran stoßende Theil der Stadtumwallung werden Steinbauten gewesen sein; allerdings ist uns hierüber urkundlich nichts erhalten geblieben. Im Jahre 1344 4 ) ist aber schon die Rede von dem Graben, sito inter Scelmonem Zwerinensem et murum ciuitatis Zwerinensis, es war also hier an Stelle der Plankenbefestigung eine Mauer getreten.

In Betreff des Plankenwerkes ist uns eine Urkunde 5 ) aufbewahrt geblieben, die die einschlagenden Verhältnisse klar darlegt. Es handelt sich um die Errichtung eines Weges bei den Planken van dem Smededore wente tů dem Schiluendore. Auf dieser Strecke, die jetzt ungefähr von der Kaiser Wilhelms= und Friedrichs=Straße eingenommen wird, befanden sich Domherrenhöfe, die an dem sich um die Kirche erstreckenden Domkirchhof lagen und sich von da bis zu dem Plankenwerk erstreckten. Es ward nun zwischen der Stadt und der Geistlichkeit vereinbart, daß hinter den Planken, die so stehen bleiben sollten wie sie standen, ein breiter, mit einem vierrädrigen Wagen bequem zu passirender Weg und zwar in solcher Höhe von vorspringenden Stockwerken frei bleiben sollte, daß ein Reiter mit festgebundenem Helm ihn


1) No. 5204 und 5956 M. U.=B. VIII. resp. IX.
2) No. 5763 M. U.=B. IX.
3) No. 3193 M. U.=B. V.
4) No. 6432 M. U.=B. IX.
5) No. 3582 M. U.=B. VI.
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passiren konnte. Die Planken hatten hinter einer Brustwehr einen Laufgang, der nach dem eben erwähnten Weg und der Stadt zu mit Ricken versehen war, die das Hinunterfallen der Vertheidiger verhüten sollten. Dem Plankenwerk sowohl wie dem Laufgang als Stütze dienten Kreuzbäume, "crucebome", in Kreuzform gelegte Balken. Vermuthlich damit bei einem Angriff die Vertheidiger leicht auf den Laufgang kommen konnten, sollte auf jedem Domhof eine Leiter sich befinden. Dieser Weg bei den Planken war aber nur ein Weg zu Kriegs= und Vertheidigungszwecken, und blieb seine Benutzung in Friedenszeiten ausschließlich durch die betreffenden Domherren, auf dessen Gebiet er lag, ungeschmälert, da die Passage für gewöhnlich durch schloßfeste Thore gesperrt war, die je an der Grenze zwischen zwei Höfen so angebracht waren, daß sie, indem sie den Fahrweg abschlossen, die Grenze über den Weg bildeten; in unruhigen Zeiten wurden diese Thore geöffnet und damit der Weg, zur Benutzung für die Vertheidiger freigelassen, dagegen schloß man dann mit den Thoren den Ausgang aus der Curie auf den Weg, und bildete so hinter den Planken und dem dazu gehörigen Wege durch die geschlossene Reihe von Gebäuden eine zweite Vertheidigungslinie. Um möglichst schnell bei einem Ueberfall an die Befestigung kommen zu können, blieb queer über den Kirchhof ein Weg frei, der möglicherweise den ersten Anfang der Bischofsstraße bildet. Der Schlußpassus der Urkunde, der über die Weiterführung dieses Plankenwerkes spricht, ist nicht klar. Man sieht, daß die alte Befestigung Schwerins hinreichend war, die Stadt gegen einen Handstreich zu schützen, dagegen nicht wohl derart, daß sie eine längere, ernste Belagerung hätte aushalten können, weshalb denn auch das Plankenwerk dem Mauerwerk weichen mußte.


Die Verfassung.

In Betreff der Verfassung, die Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen der Stadt Schwerin bei ihrer Gründung gegeben hat und auch urkundlich hinterlassen haben wird, sind wir, da die Stiftungsurkunde selbst verloren gegangen ist, lediglich auf die gerade nicht zahlreichen Urkunden angewiesen, in denen Schweriner Magistratspersonen als Zeugen angeführt sind oder die die Stadt Schwerin ausgestellt hat.

Als Zeugen kommen vor:

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1178:

Bernardus dictus aduocatus in Zuerin, - de ciuibus: Walwanus, Reingerus, Willelmus, Weszelinus, Ruszelinus. 1 )

1227.

aduocatus Reinboldus (de Driberge oder de Gulitz?) 2 )

1244:

Luderus, Thitmarus frater suus et Ludolfus amborum frater, Hermannus de fossa, Alexander de foro, Conradus Roberti filius, ciues de Zwerin ac fideles. 3 )

1255:

Luderus, A. de foro, C. de Vigle et B. frater suus, C. dictus Vundengot, C. filius Retberti. 4 )

1271:

Jordanus dictus Carnifex, consul Zuerinensis. 5 )

1274:

Johannes aduocatus et Alexander ciuis Zwerinensis. 6 )

1282:

Ludolphus (Hazenkop?) tunc temporis aduocatus, miles, consules autem predicte ciuitatis: Johannes Fischer, Henricus filius Marquardi, Johannes de Lemego, Vhegendardus institor, Wernerus filius Jordani, Wernerus de Lune, Otto magister coquine nostre, Borchardus de Bodenstede, Eggelbertus institor, Bernardus de Sukow, Henricus de Lubbike, Gerding de Stenfeld. 7 )

1291:

Ludolphus, miles, advocatus in Zwerin. 8 ).

1298

Ludolphus de Zwerin, aduocatus, miles. 9 )

1299:

Ludolphus aduocatus, miles. 10 )


1) No. 125 M. U.=B. I.
Dafür, daß diese Personen, die nicht als consules, sondern nur als cives bezeichnet sind, doch ratmannen waren, beziehe ich mich auf Crull, Rathslinie der Stadt Wismar, S. X flgd.
2) No. 340 M. U.=B. I.
3) No. 565 M. U.=B. I.
4) No. 759 M. U.=B. II.
5) No. 1213 M. U.=B. II.
6) No. 1344 M. U.=B. II.
7) No. 1650 M. U.=B. III.
8) No. 2128 M. U.=B. III.
9) No. 2525 M. U.=B. IV
10) No. 2571 M. U.=B. IV.
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1300:

Ludolphus aduocatus, miles. 1 )

1324:

Thidericus de Indagine. 2 )

1328:

HinricusRosenhaghen, aduocatus ciuitatis Zweryn. 3 )

1330:

Viricus consul in Suuerin. 4 )

1331:

Lambert Lorf. 2 )

1332:

Hinricus Rosenhaghen, aduocatus. 5 )

1336:

Hinrik Ro v senhaghen, vnse vo v ghet tů Zwerin. 6 )

1337:

Rosenlhaghen, de vo v ghet. 7 )

Vor 1338:

Ludbertus de Stuke, consul Zwerinensis.

1338:

Radolph.us K.ercdorpp, consul. 8 )

1340:

Hinricus Rosenhaghen, aduocatus nobilis domini nostri comitis Zwerinensis, Hermannus Munther, Jacobus Pywerstorpe et Jacobus Wendelstorpe, nobiscum in consulatu sedentes. 9 )

1343:

Hinricus Rosenhagen, aduocatus. 10 )


1) No. 2611 M. U.=B. IV.
2) Ich verdanke diese Namen der gütigen Mittheilung des Herrn Dr. Crull in Wismar; wegen des Dietrich von Hagen vgl. No. 5153 M. U.=B. VIII, wegen des Lambert Lorf No. 5363 M. U.=B. VIII.
3) No. 4962 M. U.=B. VII.
4) No. 5147 M. U =B. VIII.
2) Ich verdanke diese Namen der gütigen Mittheilung des Herrn Dr. Crull in Wismar; wegen des Dietrich von Hagen vgl. No. 5153 M. U.=B. VIII, wegen des Lambert Lorf No. 5363 M. U.=B. VIII.
5) No. 5354 und 5363 M. U.=B. VIII.
6) No. 5691 M. U.=B. VIII.
7) No. 5736 M. U.=B. IX.
8) No. 5905 M. U.=B. IX.
9) No. 6031 M. U.=B. IX.
10) No. 6309 und 6354 M. U.=B. IX.
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1344:

Hynricus Rosenhaghen, aduocatus in Zweryn. 1 )

1358:

Hermann Wickendorp, borghermestere, vnde Hinrik Teyleman, Cůpeke Wendelstorp, Arnoldus Roghan, Johan Zwerin, Herman Stralendorp, Johannes Pape, ratman.

Vgl. die Anlage.

Die Urkunden, die die Stadt Schwerin ausgestellt hat, sind die No. 759, 2528, 3582, 4712, 4962, 5763, 5905, 5956, 6031, 6065, 6526 und die in der Anlage abgedruckte Erbhuldigung. Je nach den Personen, die in ihnen als Aussteller genannt werden, kann man sie in drei Classen theilen, einmal in solche, bei denen drei Factoren mitwirken, der Graf oder statt seiner der aduocatus, die consules = ratmannen und die uniuersitas burgensium = menheit der borghere. 2 ) Die zweite Classe ist diejenige, bei der zwei Gruppen von Personen handelnd auftreten, dies sind einmal der aduocatus und die consules, dann die consules und die uniuersitas burgensium 3 ), in der dritten Classe kommen die consules allein vor. 4 ) Nach den Rechtsgeschäften, die durch sie uns überliefert werden, zerfallen diese Urkunden in solche, bei denen es sich um städtische Rechte, insbesondere um Veräußerungen handelt, und in andere, die den Vermögensstand der Stadt nicht berühren, welche beiden Abtheilungen sich indessen nicht mit einer der zuerst aufgestellten drei Classen decken, denn wie ganz gleichgültige Urkunden von den consules und der uniuersitas burgensium ausgestellt sind, so documentiren andererseits über wichtige Rechtsgeschäfte, z. B. Veräußerungen, die consules allein, sie allein haben also auch das betreffende Rechtsgeschäft für die Stadt abgeschlossen.

Aus diesen Urkunden, so wenig zahlreich sie sind, folgt doch mit Sicherheit, daß die Stadt durch den Grafen selber und durch dessen aduocatus verwaltet worden ist, sowie durch den borghermestere, die consules und die uniuersitas burgensium, und man kann ohne Bedenken sagen, daß die


1) No. 6409 M. U.=B. IX.
2) No. 2528 und 3582 M. U.=B. IV
Hierher kann man auch die Erbhuldigung rechnen, bei der von Stadtwegen der borghermestere, die ratmannen und die menheit der horghere fungiren.
3) No. 4962, 6031, 759, 6065, 6526 M. U.=B. II. - IX.
4) No. 4712, 5763, 5905 M. U.=B. VII. und IX.
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Personen vom Bürgermeister ab die eigentliche städtische Verwaltung bildeten, während das landesherrliche Aufsichtsrecht durch den Landesherrn selber und statt seiner durch seinen Commissar, den aduocatus, ausgeübt wurde.

Ueber den Grafen ist hier weiter nichts zu sagen.

Der aduocatus oder Vogt wurde vom Landesherrn, wie es scheint, ein für alle Mal auf Lebenszeit zu seinem Amte bestellt, wir finden wenigstens den Ritter Ludolph im Jahre 1282 als Vogt aufgeführt und auch noch im Jahre 1300 fungirend, ferner verwaltet Heinrich Rosenhagen im Jahre 1328 und auch noch im Jahre 1344 dies Amt. Der aduocatus tritt in der Geschichte Schwerins sehr zeitig, schon 1178 auf. Er scheint aus den Straf= und Bruchgeldern eine Art Besoldung erhalten zu haben, 1 )

Der Bürgermeister kommt im Gegensatz zum aduocatus erst sehr spät vor, zuerst in der Person des Hermann Wickendorf im Jahre 1358.

Die consules oder ratmannen finden wir in der ältesten Zeit; im Jahre 1178 werden sie zuerst, fünf an der Zahl, aufgeführt, 1244 und 1255 sind es sechs, und bei dieser Zahl scheint es bis zum Ende der in dieser Abhandlung besprochenen Periode geblieben zu sein, da in der Erbhuldigung für die Stadt der Bürgermeister mit sechs Rathmännern auftritt, und bei dieser für Schwerin und das ganze Land so überaus wichtigen Handlung der Rath in allen seinen Gliedern thätig gewesen sein wird. Freilich steht dem entgegen, daß in der Schenkungsurkunde über die drei Stadtgüter von 1282 1 ) 12 Personen aufgeführt sind und zwar so, daß das ihrem Namen insgesammt vorgestellte "consules autem predicte ciuitatis" auf alle zwölf bezogen werden kann; indessen glaube ich nicht, daß alle diese wirklich Rathmänner gewesen sind, glaube es besonders nicht von Otto, dem Küchenmeister des Grafen, eben wegen dieses seines Amtes, ich bin vielmehr der Ansicht, daß es auch im Jahre 1282 nur sechs Rathmänner gab, und daß Otto, magister coquinae, und die folgenden Personen, die bei der Schenkung mit zugegen gewesen sind, gewissermaßen zu den "et alii quam plures clerici et laici fide digni" gehört haben. Ein ähnliches Beispiel, daß die vor einer Reihe von Personen gestellte Bezeichnung nicht auf alle zu beziehen ist, giebt die Urkunde


1) No. 1650 M. U.=B. III.
1) No. 1650 M. U.=B. III.
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vom 20. October 1332. 1 ) Es heißt dort: "Testes huius rei sunt: - et milites nostri: Wernerus de Haluerstat, Hinricus Rauen, Gerhardus de Zulowe, Hinricus Rosenhagen aduocatus, Lambertus Lorf. Nun folgt aber aus den Urkunden vom 8. September 1336, vom 16. Januar 1337 und Vom 4. Juni 1343 2 ), daß Henricus Rosenhagen, der nach der Urkunde vom 20. October 1332 Ritter sein mußte, kein Ritter sondern nur Knappe war, denn in der Urkunde vom 4. Juni 1343 heißt es:

Presentibus strennuis viris, Hinrico Rauen, milite, Hinrico Rosenhaghen, aduocato Zwerinensi et Arnoldo Rosenhaghen armigeris.

Ebenso war Lambert Lorf civis et consul in Schwerin, aber nie Ritter.

Die Rathmänner wurden nicht für ihre Lebensdauer, sondern nur für eine gewisse Zeitperiode wie in anderen Städten gewählt, denn im Jahre 1326 und 1345 3 ) heißt es:

"Wi ratman van Zwerin olt vnde nige."

Es mag auch hier so gewesen sein wie in den Städten lübischen Rechtes, daß die Hauptlast der Geschäfte den in den Rath neu eingetretenen Personen zufiel, während diejenigen, die schon eine Zeitlang im Rathe gesessen hatten, sich mehr der Ruhe erfreuen konnten 4 ); bestimmte Nachrichten hierüber haben wir nicht, so wenig wie darüber, auf wie lange die Rathmänner gewählt wurden. Nach Crull a. a. O. S. XII Note 4 fand eine alljährliche Erneuerung des Rathes statt, wodurch allerdings eine Wahl der Rathmänner für mehrere Jahre nicht ausgeschlossen ist.

Die vniuersitas burgensium, menheit der borghere, war, was die Worte sagen, die Plenarversammlung der Bürger. Daß diese aber bei den Rechtsgeschäften, die der Rath abschloß, nicht mitzuwirken hatte, folgt daraus, daß sie bei keiner einzigen Veräußerung angeführt wird, sie kommt nur dicis causa vor, denn daß sie nicht bei Erlaß des Schreibens an den Magistrat zu Lübek über die Beendigung des Zwistes mit dem Ritter Dietrich von Eixen gefragt ist, - eine Sache, die, soweit wir wissen, für Schwerin ganz unwichtig war, - liegt auf der Hand, gleichwohl aber heißt


1) No. 5363 M. U.=B. VIII.
2) No. 5691, 5736 und 6309 M. U.=B. VIII. resp. IX.
3) No. 4712 und 6520 M. U.=B. VII. resp. IX.
4) Crull, Rathslinie der Stadt Wismar, Seite XXV.
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es in der betreffenden Urkunde 1 ) "consules cum vniuersitate burgensium".

Es bleibt noch die Frage, welches das Verhältniß des aduocatus zu dem Bürgermeister und den Rathmännern war. Wie schon erwähnt, kommt der Bürgermeister vor 1358 nicht vor, bis dahin fungiren der aduocatus und die consules allein, und zwar wird stets der aduocatus, der einmal als aduocatus nobilis domini nostri comitis Zwerinensis bezeichnet wird 2 ), vor den consules angeführt, bei denen sich noch nicht die Stellung eines städtischen Vorsitzenden, des späteren Bürgermeisters herausgebildet hatte. Der Vorsitzende war der Graf, statt seiner der landesherrliche Vogt, der aduocatus. In hohem Maße ist nun auffallend, daß in der ersten Urkunde, in der ein Bürgermeister erwähnt wird, die Erbhuldigung von 1358, der landesherrliche Vogt nicht mehr vorkommt, sondern Hinrik Růsenhaghen unter den Burgleuten ohne weiteren bezeichnenden Zusatz wie schon 1350 3 ) aufgeführt wird. Seine Identität mit dem früheren Vogt folgt außer aus dem gleichen Namen aus dem Umstand, daß Hinrik Růsenhaghen in der Erbhuldigung genau dasselbe Siegel wie Hinricus Rosenhagen, aduocatus, in der Urkunde vom 10. August 1328 4 ) führt. Es liegt daher die Vermuthung nahe, daß das Amt des aduocatus mit dem Auftreten des Bürgermeisters eingegangen ist; Hinricus Rosenhagen wäre dann der letzte uns bekannte aduocatus gewesen, der erste Bürgermeister war Hermann Wickendorp.


Geld.

Wenn auch nicht gerade häufig, so ist doch öfter von einer moneta Zwerinensis oder von denarii Zwerinenses die Rede. Wir wissen indessen von dieser Münze nur, daß eine Schweriner Mark zur Lübschen Mark sich verhielt wie 14 zu 9

- neuem marcarum denariorum Lubecensium redditus vel quatuordecim marcas denariorum Schuerinensium 5 ) -

sowie daß 18 Pfennige Schweriner Geld gleich einem Sol. Lüb. sind. 6 )


1) No. 759 M. U.=B. II.
2) No. 6031 M. U.=B. IX.
3) No. 7057 M. U.=B. X.
4) No. 4962 M. U.=B. VII.
5) No. 5599 M. U.=B. VIII.
6) No. 6977 M. U.=B. X.
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Darüber, daß der Stadt Schwerin die Münzgerechtigkeit zugestanden habe, ist nichts bekannt und ist auch von der Stadt in der Folgezeit niemals dieselbe ausgeübt, es kann also nur fraglich sein, ob die moneta Zwerinensis vom Grafen oder vom Bischof geprägt wurde. Der erstere konnte sich die Münzgerechtigkeit als Landesherr vindiciren, dem letzteren ist sie im Jahre 1246 vom König Konrad 1 ) verliehen, beiden war mithin die rechtliche Möglichkeit gegeben, Münzen prägen zu lassen. Von Bedeutung für die vorliegende Frage ist die Urkunde vom 27. Juli 1279 2 ), in welcher die Grafen Helmold und Nicolaus von Schwerin den Vasallen der Länder Wittenburg und Boizenburg ihre Rechte und Freiheiten bestimmen; es heißt hier:

Preterea in terra nostra monetarios ad faciendos denarios ammodo non habebimus, sei denarii Lubicenses vel Hammenburgenses erunt in districtu dominii nostri perpetuo usuales,

mithin verzichten beide Grafen für ihre Gebiete - zu dem des Grafen Helmold gehörte bekanntlich auch Schwerin - für die Zukunft auf ihr Recht, Münzen schlagen zu lassen, und bestimmen als Münzfuß lediglich den Lübischen oder Hamburgischen als den in der Grafschaft normirenden. Schweriner Geld ist also Seitens des Grafen nach dem Jahre 1279 nicht mehr geprägt und deshalb mit Sicherheit anzunehmen, daß die in den Urkunden nach 1279 erwähnten denarii Zwerinenses nicht gräflichen sondern bischöflichen Gepräges waren. In der Zeit vor 1279 werden die Grafen geprägt haben, denn in der Urkunde vom 24. Juli 1267 3 ), durch welche die Grafen Gunzelin und Helmold von Schwerin der Stadt Boizenburg das Lübische Recht verleihen, wird von der Stadtgerichtsbarkeit eximirt der Münzmeister in Boizenburg,

- vthgenamen, dat nen vnnser amptlude, he sy munter, tolner edder Jode, wanende in vnser stad Boyssenborch -

dessen Thätigkeit jedoch nicht hervorragend gewesen sein wird, da nicht eine nachweisbar gräfliche Münze auf uns gekommen ist.


1) No. 576 M. U.=B. I.
2) No. 1504 M. U.=B. II.
3) No. 1127 M. U.=B. II.
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Ob wir Münzen bischöflichen Gepräges aus dieser Zeit besitzen, ist mindestens zweifelhaft. Es giebt allerdings Bracteaten mit zwei in Form eines Andreaskreuzes übereinandergelegten, oben gebogenen Stäben, dem Wappenzeichen des Bisthumes Schwerin ähnlich, so daß Evers in seiner Münzverfassung kein Bedenken trägt, dieselben als Münzen des Bisthumes Schwerin zu bezeichnen 1 ), indessen nimmt andererseits die Stadt Colberg dieselben als die ihrigen in Anspruch und sieht in den zwei übereinander gelegten Stäben nicht Bischofsstäbe, sondern Salzhaken. Der Streit muß bis auf Beibringung weiteren Materiales auf sich beruhen bleiben, jedoch darf zu Gunsten Colbergs der Umstand nicht mit Stillschweigen übergangen werden, daß diese Bracteaten nicht in der Nähe von Schwerin, sondern weit mehr in der von Colberg gefunden werden.

Resultat ist also: es hat Schweriner Geld gegeben, das bis zum Jahre 1279 sowohl vom Bischof wie vom Grafen, nach diesem Jahre und dem Verzicht des Grafen auf sein Münzregal, vom Bischof allein ausgeprägt ist; eine unzweifelhafte bischöfliche oder gräfliche Münze aus dieser Zeit existirt nicht, wenigstens ist sie uns nicht bekannt.


Polizei. Armenpflege. Abgaben und Lasten. Gewerbe. Märkte.

Die Ruhe der Stadt scheint nicht immer eine ungetrübte gewesen zu sein, Uebermuth und Gewaltthätigkeit waren an der Tagesordnung, worunter auch die Geistlichkeit schwer zu leiden hatte; theils um hiergegen einzuschreiten, theils um sichere Normen bei etwaigen Competenzstreitigkeiten zu gewinnen, die bei der unmittelbaren Berührung des geistlichen und gräflichen Jurisdictionsbezirkes nicht ausbleiben konnten, bestimmten die Grafen Gunzelin und Heinrich von Schwerin in der Verordnung vom 31. October 1307 3 ), daß wenn eine Person, die sich in Schwerin aufhält, sei sie Bürger oder nicht, irgendwie sich gegen das Kirchengebäude, den Kirchhof, die Domherrenhöfe und Wohnungen der Vicarien vergeht,

- aliquam violentiam quocunque modo fecerint vel in frangendo curias vel aliquam personam ex eis vel de ecclesia vel de cimiterio violenter trahendo -


1) Evers, Münzverfassung II, Seite 14 und Seite 29.
3) No. 3193 M. U.=B. V.
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sie zur Strafe 30 Mark reinen Silbers zu zahlen hat und zwar binnen vier Wochen von der Begangenschaft ab, bei Strafe der Execution. Zahlte der Frevler diese Summe, so war die Sache gut, zahlte er nicht und zwar einmal weil er nicht wollte, dann wurde er in den Thurm - in castelli nostri Suerin carcerem, qui turris dicitur, - gesetzt, bis sein Gemüth zur besseren Einsicht kam, zahlte er aber nicht, weil er nicht und zwar ganz oder theilweise konnte, dann wurde er ebenfalls bis zur Zahlung des Theiles, den er im Vermögen hatte, in Gewahrsam gehalten, für den andern aber blieb er so lange im Gefängniß, bis die Grafen, das Domcapitel und der Magistrat einstimmig erachteten, daß es nun genug sei. Im Uebrigen aber bestimmte diese Verordnung ausdrücklich, daß durch dies Verfahren keine andere Klage des Verletzten ausgeschlossen sei. Von den aufgekommenen Strafgeldern erhielt der Graf, das Kirchenärar, und die Stadt, letztere zu ihren Befestigungsarbeiten, je ein Drittel.

Den ersten Spuren der Armenpflege begegnen wir in den Urkunden betreffend die Dotirung und Gründung der drei Bisthümer im Wendenlande, durch die Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen einmal bestimmt, daß von den Einkünften der zwei aus seinem Allodialvermögen dem Bisthum geschenkten Gütern Virichim und Borist und der beiden Höfe zu Todendorf ein Drittel den Armen zu gut kommen solle, wie auch weiter, daß der Nachlaß der Bischöfe nicht auf ihre Leibeserben verstammen, sondern unter die Armen, die Kirche und den Nachfolger zu gleichen Theilen vertheilt werden solle und zwar dies "secundum sanctionem canonum". 1 ) Die Vorschriften des canonischen Rechtes enthalten diese Norm jedoch nicht, sie bestimmen nur, daß der Bischof dasjenige zu veräußern keine Befugniß haben solle, was er als Bischof erworben, wohingegen sie ihm rücksichtlich des vorher erworbenen Gutes eine solche Beschränkung nicht auferlegten. 2 ) Die Bestimmung des Herzogs Heinrich weicht also einmal darin vom canonischen Recht ab, daß sie ganz allgemein von der Verlassenschaft des Bischofes spricht und dann diese auf eine Weise getheilt wissen will, von der auch nicht eine leise Andeutung im corpus juris canonici gefunden wird. Als Zeuge der Urkunde vom 7. November 1169 3 )


1) No. 90, 96, 100 B M. U.=B. I.
2) C. 1, 2, C. XII. quaest. 5, und Richter, Kirchenrecht §. 316, besonders Note 10 a. E.
3) No. 90 M. U.=B. I.
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wird mit aufgeführt: Berno Szwirinensis episcopus, und nimmt hier ein Berufen auf das canonische Recht um so mehr Wunder, als Bischof Berno ein literarisch gebildeter Mann, Besitzer einer Bibliothek im Jahre 1169 war, also auch die Kenntniß des canonischen Rechtes ihm nicht fern gelegen haben wird. Die vier päpstlichen Bestätigungsurkunden des Bisthumes Schwerin haben denn auch den Abschnitt über die Vertheilung des bischöflichen Nachlasses nicht, wohl aber tritt er in der Bestätigung des Kaisers Otto IV. 1 ) wieder auf. In der Theorie wird dieser Satz hier in Schwerin denn auch wohl unbestritten geherrscht haben, das practische Resultat wird dagegen, jedenfalls in der späteren Zeit, ein außerordentlich geringes gewesen sein; Schätze, die Motten und Rost verzehren, haben die Armen der Stadt auf diese Weise nicht erworben.

Ueber die den Bürgern von Schwerin obliegenden Verpflichtungen giebt die Erklärung der Stadt vom 21. December 1298 2 ) etwas Auskunft; es heißt in ihr, daß das Kloster Reinfeld als Eigenthümer der Mühlen der Stadt zu keinen Leistungen verpflichtet sei, namentlich nicht zum nächtlichen Wachdienst, zu Schoß und Steuer - collectas et tallia -, zur Ausbesserung und zum Bau der Mauern und Brücken und zum Eisen in Winterszeit - hyemis tempore ad glaciem aperiendum-. Die Urkunde vom 21. December 1298 3 ) führt außer diesen Leistungen noch an: das Stellen von Wagen und die Hergabe von Lebensmitteln bei Belagerungen Zwecks gleicher Vertheilung unter alle Bewohner.

An Zollprivilegien besaß die Stadt Schwerin nachweislich nur das der Stadt Lübek,

- nullus civis de Zwerin theloneat Lubeke 4 ) -

das wohl auf der Interpolation der gefälschten Bewidmungsurkunde des Bisthumes Schwerin

- Ciues Zuerinensis ciuitatis in omnibus locis per ducatum nostrum a teloneo liberi similiter erunt et exemti 5 ) -

beruht, dem im Uebrigen aber dasselbe Verhältniß zu Gunsten der Lübeker in der Grafschaft entsprach. 6 ) Ein


1) No. 202 M. U.=B. I.
2) No. 2528 M. U.=B. IV.
3) No. 2525 M. U.=B. IV.
4) No. 273 M. U.=B. I.
5) No. 100 M. U.=B. I. S. 99 B.
6) No. 345 M. U.=B. I.
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= 104 = weiteres Privilegium war das gleichfalls in dieser Fälschung zuerst erwähnte, dann aber von Kaiser Otto IV. in seiner Bestätigung aufgeführte Recht, im Wismarschen Hafen mit zwei großen Schiffen und mit kleinen in beliebiger Anzahl frei und ungehindert zu verkehren. Mit diesem Privilegium wird die Bestimmung in Verbindung gestanden haben, die Fürst Heinrich von Meklenburg mit dem Rath von Wismar über den Zoll daselbst am 14. September 1328 vereinbart hat 1 ), wonach die Schweriner für die Last Hering 2 Schilling Zoll geben sollen, wenn die Stadt an Wismar jährlich zwei Mark zahlt, anderen Falles sollen sie 29 Pfennige Zoll bezahlen.

Eine Handelsstadt war Schwerin nicht, seine Bewohner trieben zum großen Theil Ackerbau, zum anderen Theil Handwerk. Im letzter Beziehung ist das Kostenverzeichniß der Aussteuer für die an den Grafen Johann von Holstein vermählte Merislava, Tochter des Grafen Nicolaus von Schwerin, vom November 1327 2 ) von Interesse, da aus dem Umstand, daß nach demselben einzelne Sachen hier gekauft wurden, zu folgern ist, daß die betreffenden Gewerbe in Schwerin mit Erfolg betrieben wurden. Es wurde gekauft und ausgegeben:

Für einen Kessel 2 Mark - Sol.
an die Kürchner 2 " 4 "
für die Brautschuhe 1 " - "
für ein Paar Schuhe - " 6 "
an den Schneider Nicolaus Kippen 1 " - "
an denSchmied für Wagengeräth 7 " 2 "
für den Wagen an Ludolph Janoitor - " 17 "
für 2 watsacke (Leinwandsäcke) - " 10 "
an die Stellmacher, die am Wagen arbeiteten - " 4 "
für die Sielen (selen) - " 10 "
für Seidenzeug (pro serico) und andere (leider nicht specialisierte) Sachen 12 " - "

Das Schuhmacher= und Schmiede=Handwerk muß demnach in damaliger Zeit hier besonders in Blüthe gestanden haben, womit der Umstand zusammenhängen mag, daß es eine Schuster= und eine Schmiedestraße, aber auch Filter= und Baderstraße gab.


1) No. 4973 M. U.=B. VII. S. 612 und S. 614. Anm. a. E.
2) No. 4870 M. U.=B. VII.
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Abgesehen von dem Viehmarkt im Frühjahr finden in Schwerin am Donnerstage vor dem Grünen Donnerstag, am Mittwoch nach Johannis und Ende October Jahrmärkte statt, die vor dem 4. December 1846 am Tage vor dem Grünen Donnerstag, am 15. Juni und am 9. September abgehalten wurden 1 ) und in dieser Zeitfolge in der engsten Verbindung mit der Geschichte des Domes standen, indem am Grünen Donnerstag 1222 Graf Heinrich dem Bischof und Capitel das aus Palästina mitgebrachte heilige Blut übergab, und Bischof Brunward in seinem zur Verehrung dieser Reliquie entworfenen Regulativ 2 ) bestimmte, daß der Markt, der sonst am Grünen Donnerstag selbst abgehalten wurde, von da an am Tage vorher statthaben solle; am 15. Juni 1248 wurde der Dom geweiht; am 9. September 1171 wurde der Grundstein zum Dom gelegt.

Von Interesse ist es schließlich, zu erfahren, daß die Stadt Schwerin einen "Weddelopp" hatte. Der Rath von Schwerin bezeugt am 24. November 1338 3 ), den Verkauf eines Gartens gelegen rechts des Weges, der vom Schmiedethor zum "Weddelopp" führt. Dieser Platz wird auf dem festen Lande, vermuthlich dem Schmiedethor gegenüber, also in der Gegend der Wismarschen= resp. Lübekerstraße gelegen haben und mag zu Wettläufen, Pferderennen und Volksbelustigungen gedient haben.


Die Stiftungen.

Außer dem Dom, der bischöflichen Cathedrale, gab es in Schwerin, von der nicht zur Stadt gehörenden St. Nicolai=Kirche abgesehen, noch die Kirche des Franciskaner=Klosters, das dort stand, wo jetzt das Regierungsgebäude sich befindet. Dasselbe wurde bald nach 1222 in Angriff genommen und zum großen Theil, wenn nicht ausschließlich, aus den bei Verehrung des heil. Blutes im Dom dargebrachten Opfergaben erbaut, deren erstes Drittel nach der Bestimmung des Bischofes Brunward zur Errichtung eines Klosters verwendet werden sollte. 4 ) Bereits am 24. April 1236 5 ) ge=


1) Lisch, Jahrbücher XIII, S. 153, Note 1, S. 150, Note 3 und S. 147, Note 3.
2) No. 280 M. U.=B. I.
3) No. 5905 M. U.=B. IX.
4) No. 280 M. U.=B. I.
5) No. 450 M. U.=B. I.
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stattet der Minister des Franciskaner=Ordens in Deutschland, Johann, der Gräfin Audacia von Schwerin mit ihren vier Töchtern auf ihre Bitten Beichte, Abendmahl, letzte Oelung und Begräbniß im Kloster zu Schwerin, das also schon damals vollendet gewesen sein muß; von seinen Schicksalen, inneren und äußeren Verhältnissen, insbesondere Vermögensverhältnissen, ist uns aus dieser Zeit nichts überliefert; erwähnt wird dasselbe in den Jahren 1271, 1283, 1289, 1292, 1332 und 1349 1 ) in Urkunden, meistens nur geringfügige letztwillige Zuwendungen an den Orden und das Kloster enthalten. Als Begräbnißort scheint es einen gewissen Vorzug genossen zu haben, da ihm durch die letztwillige Zuwendung vom 15. April 1349. 2 ) Seitens der Wittwe Margarethe Hůreley aus Lübek 5 Mark hinterlassen sind, weil sie dort ihre letzte Ruhestätte sich erwählt habe. Vielleicht im Vergleich zu der Klosterkirche nennt Bischof Hermann von Schwerin unterm 2. September 1267 3 ) den Dom die major ecclesiae.

An Hospitälern waren in Schwerin das Heilige Geist=Hospital und das St. Georgen=Hospital. Ueber beide fließen die Nachrichten in dieser Zeit eben so spärlich wie über das Franciskaner=Kloster.

Die Lage des Heiligen Geist=Hospitales ist oben 4 ) besprochen und erhellt aus dem Vergleich von 1284. 5 ) Zuwendungen, die dem Hospital gemacht sind, betreffen die Urkunden No. 1672, 1829, 2045 und 6952 M. U.=B. III-X.

Das St. Georgen=Hospital, hospitale, domus leprosorum, kommt zuerst am 3. März 1283 vor. Ueber seine Lage sind aus dieser Periode Nachrichten uns nicht erhalten, dasselbe hat jedoch in späterer Zeit in der Rostockerstraße, dort wo die sog. Barca'schen Häuser stehen, gelegen, also außerhalb der alten Stadt, und muß dies in früheren Zeiten ebenso gewesen sein, da alle Anstalten dieser Art, die Hospitäler für ansteckende Krankheiten, stets vor der Stadt gelegen haben. Von ihm, dem Siechenhause, leitet sich möglicherweise der Name des Seeke=Canales her, der in der Nähe dieser Anstalt floß. Die No. 1672, 2045 und 6952 M. U.=B. III-X führen das St. Georgen=Hospital lediglich bei letztwilligen Zuwendungen an.


1) No. 1221, 1672, 2017, 2179, 5338 und 6952 M. U.=B. II-X.
2) No. 6952 M. U.=B. X.
3) No. 1131 M. U.=B. II.
4) Vgl. S. 75.
5) No. 1766 M. U.=B. III.
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Schließlich mag hier Platz finden, daß nach der Urkunde vom 26. Januar 1341 1 ) in Schwerin auch ein Kaland existirte, dem der Vicar Hermann Meitmann 2 Mark 8 Sol. jährlich zuwandte,

in vsus fratrum kalendarum in Zwerin.


Die Stadtfeldmark.

Der Stadtfeldmark von Schwerin geschieht in den Urkunden wenig Erwähnung, einmal gelegentlich des durch die Urkunde vom 22. April 1237 2 ) documentirten Tauschgeschäftes, dann unterm 24. August 1340 3 ). Graf Heinrich von Schwerin schenkt hier der Stadt das in der Stadtfeldmark gelegene "Bollbrück", früher ein gräflicher Pachthof, mit der Befugniß, den Platz vollständig auszuroden. Das Bedürfniß nach einer solchen Zuwendung war ein außerordentlich großes, denn die Feldmark war ungemein klein.

Aus der örtlichen Lage folgt schon, daß dieselbe sich nicht über den großen See auf das östliche Ufer hinüber erstreckt haben konnte, sie mußte mithin nördlich, westlich und südlich von der Stadt sich befunden haben. Nördlich liegt nun zunächst der Raum zwischen dem Großen See und dem Ziegelsee, der Werder und die Schelfe, die, wie wir sahen, dem Bischof gehörten, hier war also für die Stadtfeldmark kein Raum.

Ebenso verhielt es sich mit dem Land zwischen dem Medeweger See und dem Ziegelsee. Der mehrfach besprochene Vergleich von 1284 zwischen Graf Helmold von Schwerin und Bischof Hermann enthält die Grenze:

et erunt termini episcopales deultra molendinum nostrum uersus ciuitatem ab orto ipsius molendini ascendentes versus Leuenberch et comprehendentes ipsum locum Leuenberch, ac deinde procedentes et per gyrum includentes has villas, scilicet Magnum Medewede, Kloteken, Wikkendorp, Hondorp, Lubestorp, Trispete, Galentin et Rambowe.

Von diesen Ortschaften existiren Lewenberch und Kloteke nicht mehr, und ist die Stätte, wo sie einstens standen, mit


1) No. 6109 M. U.=B. IX.
2) No. 465 M. U.=B. I.
3) No. 6065 M. U.=B. IX.
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Sicherheit nicht mehr nachzuweisen. Das geht wohl aus den citirten Worten des Vergleiches von 1284 hervor, daß Lewenberch noch zwischen Schwerin und Gr.=Medewege gelegen hat, da die Grenze vom Mühlgarten, der sich dicht bei der Bischofsmühle befunden haben wird, zunächst nach Lewenberch und von dort nach Gr.=Medewege sich hinzieht; da man weiter von dem Mühlengarten nach Lewenberch zu hinaufgehen soll, - ascendentes - wird man nicht fehlgreifen, wenn man die zwischen der Bahn nach Kleinen und der Chaussee nach Wismar befindliche, auf der neuen Karte von Schwerin und Umgegend mit den Zahlen 170. 180. bezeichnete Kuppe, die auf der Schmettau'schen Karte und noch jetzt im Volksmund "Lehmberg" genannt wird, als die Dorfstätte von Lewenberg auffaßt. Schwieriger liegt die Sache mit Kloteke, es läßt sich nur aus dem Vergleich entnehmen, daß die Ortschaft zwischen Gr.=Medewege und Wickendorf lag, und stimmt hiemit die in der Note zu der Urkunde vom 6. Mai 1291 1 ) referirte Bezeichnung der Nordwestspitze des Schelfwerders auf einer Karte von 1735 mit "Kläter=Horn". Die übrigen Ortschaften existiren noch alle. Medewege wurde früher stets Medewede geschrieben, die jetzt häufiger gehörte Ansicht, daß die Ortschaft in der Mitte eines Weges gelegen sei und hievon ihren Namen habe, ist also unzutreffend; Hondorp ist das jetzige Hundorf, vor 1171 hieß es Lyzcowe, wurde dann aber in Alta Villa=Hohendorf umgetauft.

- Lyzcowe, que mutato nomine Alta Uilla uocatur. 2 ) -

Diese sämmtlich dem Bischof gehörigen Ortschaften nebst Kerkstuke, Paruum Tribbowe, Runse, Metle et Tsikhusen = Kirchstück, Kl.=Trebbow, Rugensee, Meteln und Zickhusen, welche Ortschaften der Graf vom Bischof zu Lehen erhielt, nahmen den ganzen Raum zwischen dem Au=Bach, der durch den Trebbower=, Barnerstücker= und Medeweger See fließt, und dem Ziegelsee resp. Großen See ein, für das Schweriner Stadtfeld bleibt somit hier kein Raum übrig.

Zwischen dem Medeweger= und dem Lankower=See lag die Sache etwas günstiger, denn die Feldmark des Dorfes Lankow, das dem Bisthum, wenn auch nicht ganz, so doch zum großen Theil gehörte, erstreckt sich gegen die Stadt nur in sehr geringer Ausdehnung.


1) No. 2116 M. U.=B. III.
2) No. 100 M. U.=B. I. S. 97.
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Das Dorf Turow, westlich von Schwerin, das mit der Zeit in die Stadtfeldmark aufgegangen ist, wurde von Graf Heinrich von Schwerin am 17. Mai 1330 1 ) der Stadt für eine nicht genannte Summe verkauft; dasselbe wird zwischen dem Lankower=, Neumühler= und Ostorfer=See und zwar an der Stelle gelegen haben, die auf der Schmettau'schen Karte von 1788 mit "Dorfstätte" bezeichnet ist, mithin ging die Stadtfeldmark nach Westen zu in der älteren Zeit bis zu dem Dorfe Turow, also ungefähr bis zu der zwischen dem Lankower= und Ostorfer=See befindlichen Niederung.

Ebenso ungünstig wie im Norden lagen die Verhältnisse im Süden, wo an die Stadt unmittelbar bis an den Burgsee die Feldmark des Dorfes Ostorf und der sog. Hals stieß, der Landrücken zwischen dem Faulen und dem Großen See, der jetzt zu Ostorf gehört. Hier konnte also die Stadtfeldmark sich ebenfalls nicht befunden haben, denn Ostorf wurde, wenn es auch durch die Schenkung des Grafen Helmold von Schwerin an die Stadt Schwerin kam, nicht gelegt, sondern blieb auch im Eigenthum der Stadt eine von ihr vollständig getrennte, selbstständige Gemeinde, den Hals aber reservirte sich Graf Helmold als unbeschränktes Eigenthum.

Hiernach erstreckte sich die Stadtfeldmark von einer Linie, die sich von dem nordöstlichen Ende des Ostorfer Sees durch den Burgsee und Fließgraben in den Pfaffenteich bis zum Einfluß der Au, diesen Bach hinauf bis zu seinem Ausfluß aus dem Medeweger See hinzog, in westlicher Richtung bis an den Lankower See und die Niederung zwischen diesem und dem südlich von ihm liegenden Ostorfer See, und wurde südlich durch dieses Gewässer, nördlich durch die Dorffeldmark Lankow begrenzt; nach dem Jahre 1330 kam noch das Dorf Turow hinzu. Auch dieser so begrenzte Raum stand nicht einmal ganz im Eigenthum der Stadt, da diese am 8. Mai 1345 bezeugt, daß dem Grafen das "Kobelendalen", ein Feld innerhalb der Stadtfeldmark gehöre. 2 ) Außerdem lagen jenseits des Fließgrabens, der Stadt zunächst, Gärten, wie aus dem Verkauf des Gartens des Rathsherrn Radolph Kardorf 3 ) hervorgeht,

- ortum situatum a dextro latere vie, cum itur a valua fabrorum nostre ciuitatis ad locum, qui dicitur Weddelopp. -


1) No. 5142 M. U.=B. VIII.
2) No. 6526 M. U. =B. IX.
3) No. 5905 M. U.=B. IX.
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Dieser Garten lag zwischen anderen und war in 7 Parzelen getheilt, die mit Ausnahme der ersten, deren Pachtgeld sich auf 5 sol. stellte, für je 6 sol. Zwer. verpachtet waren, so daß sich der jährliche Ertrag auf 41 sol. Zweryn. belief, für damalige Zeiten ein Betrag, der auf eine respectabele Größe des Grundstückes einen Rückschluß erlaubt.


Die Stadtgüter.

Daß die Hauptstadt des Landes mit irdischem Gut gesegnet ist, läßt sich gerade nicht behaupten. Wie ihre Feldmark unbedeutend, sind sonstige Besitzungen, deren Erwerb aus verhältnißmäßig später Zeit datirt, auch nur in recht geringer Zahl vorhanden.

Am 8. December 1282 schenkte Graf Helmold von Schwerin der Stadt das Eigenthum der Dörfer Zippendorf, Göhren und Ostorf - Zuppucendorp, Gorne, Osestorp -, und zwar als Dank für die unveränderte Treue, mit der die Stadt zu ihm und seinem Hause gehalten habe. 1 ) Dies sind die einzigen Güter, die Schwerin erworben hat, denn daß nicht auch das Dorf Mueß in diese Schenkung eingeschlossen gewesen, diese Ortschaft der Stadt vielmehr nie gehört hat, bedarf keiner Ausführung mehr; diese Ansicht beruht lediglich auf einem Versehen Hederichs. 2 )

Eigenthümlich müssen die Rechte gewesen sein, die die Stadt an dem südlich von ihr gelegenen großen Holz, dem Buchholz,

- in nemore, quod Bocholt (Buchholt) vulgariter appellatur -

gehabt hat. Es ist leider die Urkunde vom 8. December 1282 die einzige, die von dem Buchholz spricht, und ist aus ihr nicht recht ersichtlich, welcher Natur und wie beschaffen das Recht war, das den in der Urkunde festgestellten Befugnissen als Grundlage diente. Die betreffenden Worte lauten:

Coloni vero dictarum villarum ad omnia iura nostra sicut aliorum vasallorum nostrorum homines tenebuntur; hoc tamen addito et adiecto: si nos in nemore, quod Bocholt vulgariter appellatur, pro lignis illicite deuastatis aliquem impignorare contigerit,


1) No. 1650 M. U.=B. III.
2) Vgl. Note zu No. 1650 M. U.=B. III.
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mulctam siue emendam illius excessus nostris vsibus speciahter reseruamus; item si aduocatus noster aliquem impignoraret ibidem, due partes cedent eidem et tertia ciuitati; si uero predicti consules siue ipsorum nuncius in nemore prenotato pro deuastatione lignorum quempiam racione pignoris innodarent, duas partes in usus ciuitatis conuertent, aduocato, qui tunc pro tempore fuerit, partem terciam presentabunt. Ville vero nemori sepedicte ciuitatis circumquaque adiacentes nihil in eodem iurisdictionis in lignis siue pascuis obtinebunt siue hactenus habuerunt, nisi de nostra et consulum speciali gratia amicabiliter consequantur, exemptis tamen villis ciuitatis superius recitatis. Insulam vero, oue in vulgo Hals dicitur, castro nostro adiacentem, uobis ac nostris heredibus vel successoribus integram ascribimus, et ciuitas sepius dicta nihil iuris obtineat in eadem. Item ligna infructifera in nemore superius expresso, quod Bachholt nuncupatur, mediante nostro consilio inter burgenses prelibatos portione debita equanimiter diuidentur.

Wie man sieht, ist dies hauptsächlich eine Bestimmung über die Vertheilung der aufkommenden Bruchgelder; pfändet der Graf den Forstfrevler selbst, so hat er allein den Bezug der Strafe, pfändet der Vogt der Stadt, so fällt zwei Drittel der Strafe an ihn, ein Drittel an die Stadt, pfändet die Stadt, so kommt zwei Drittel ihr, ein Drittel dem Vogt zu. Die umliegenden Ortschaften haben keine Jurisdictionsbefugniß, ausgenommen die drei der Stadt geschenkten Güter; den Ostorfer Hals reservirt der Graf sich vollständig und allein, und soll unter Erbittung seines Rathes das keine Mast bringende Holz unter die Schweriner Bürger vertheilt werden. Dies ist kurz der Inhalt, und aus ihm folgt jedenfalls das, daß das Buchholz nicht der Stadt allein gehörte, daß es also in diesem Sinne falsch ist, wenn die Urkunde von einem "nemus sepedicte ciuitatis" spricht, vielmehr deutet die Vertheilung der aufkommenden Bruchgelder sowie der Umstand, daß der Graf so gut wie die Stadt das Pfändungsrecht im Betretungsfalle ausüben konnten, darauf hin, daß die Stadt Schwerin an dem Buchholz ein umfassendes Nutzungsrecht hatte, wenn es nicht im gemeinsamen Eigenthume des Grafen und der Stadt stand. Hederich giebt in Westphalen monumenta den Inhalt der Urkunde dahin an, daß der Graf Helmold der Stadt die drei Dörfer und die Hälfte des Buchholzes

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schenke, es ist aber diese Inhaltsangabe entschieden falsch, die Urkunde spricht mit keiner Silbe von einer Schenkung des Buchholzes, sondern lediglich von der Art der Vertheilung der für Forstfrevel aufgekommenen Bruchgelder.

Das Dorf Ostorf ist nicht lange im Besitze der Stadt Schwerin gewesen; wann es in andere Hände gekommen ist, wissen wir nicht. Beyer 1 ) giebt an, daß es "bald nach der Zeit von 1282 wahrscheinlich tauschweise gegen andere der Stadt bequemer gelegene Ländereien auf der Westseite in das ursprüngliche Verhältniß wird zurückgekehrt sein", leider ohne die Gründe für diese seine Ansicht anzuführen; jedenfalls ist am 15. August 1357 Ostorf wieder im Besitz der Grafen, da an diesem Tage Graf Nicolaus unter anderen auch den Hof Ostorf den Gebrüdern von Tzule verpfändet.


Die Mühlen.

Bei den schlechten Wegen der damaligen Zeit, dem ungenügenden Transportwesen und den mißlichen Zeitverhältnissen war es für jede Ortschaft von bedeutendem Interesse, bei den größeren, den Städten, aber Existenzfrage, in unmittelbarster Nähe der Stadt, womöglich innerhalb der Mauern, diejenigen Anstalten zu besitzen, die zur Bereitung des wichtigsten Lebensbedürfnisses, des Mehles, dienten, die Mühlen. Theils dieser ihrer großen Wichtigkeit halber, theils wegen der so mannigfache Interessen berührenden Wasserverhältnisse, welche ebenso wie in jetziger Zeit die größten, nie endenden Streitigkeiten hervorriefen, finden sich über die Mühlen Urkunden in einer Zahl wie bei keiner anderen gewerblichen Anlage.

Für die Bedürfnisse der Stadt Schwerin sorgten zwei Mühlen, die Bischofsmühle und die Grafenmühle, erstere nördlich in der Nähe der Stadt, letztere unmittelbar bei der Stadt, an deren südlichem Ende gelegen.

Bevor die hier einschlagenden und interessirenden Verhältnissen erörtert werden können, müssen wir noch einmal uns kurz die Lage der die Stadt umschließenden Seeen, deren Ab= und Zuflüsse vergegenwärtigen. Vgl. Tafel A.

Das Hauptwasserbecken ist der im Osten der Stadt gelegene Große oder Schweriner See, dessen Spiegel nach der neuen amtlichen Specialkarte der Umgegend von Schwerin 116 Toisenfuß über den Nullpunkt des Ostseepegels der


1) Jahrbücher XXXII, S. 77.
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Stadt Wismar sich befindet. Mit ihm paralell laufend und in Verbindung stehend liegt in demselben Niveau nördlich von der Stadt der Ziegelsee, dessen südliches Ende durch einen Damm, den Spielthordamm, abgetrennt ist und den Namen Pfaffenteich führt; des letzteren Spiegel befindet sich 121,5 Toisenfuß über der Ostsee. Von ihm nordwestlich, von dem Ziegelsee westlich, sehen wir den Medeweger See 123 Toisenfuß hoch, der durch einen Bach, die Au, mit dem Pfaffenteich in Verbindung steht. Der Ostorfer See ist südlich der Stadt 124 Toisenfuß hoch im Niveau gelegen und hat einen Abfluß durch den Seeke=Canal in die Bucht des Großen Sees, die den Namen Burgsee führt und unmittelbar südlich bei Schwerin gelegen ist und wie der ganze Große See 116 Toisenfuß über den Nullpunkt des Ostseepegels liegt. Dieser Seeke=Canal läuft in grader Richtung zuerst nördlich hinter der jetzigen Rostocker Straße, biegt sich dort, wo die Helenenstraße in den Marienplatz mündet, und fließt erst östlich hinter der Helenenstraße, dann in südlicher Richtung unter der Kaiser Wilhelmsstaße in den Burgsee. Dort wo diese Biegung nach Süden stattfindet, steht er mit dem jetzt in seiner ganzen Ausdehnung überwölbten, unter der Kaiser Wilhelmsstraße befindlichen Fließgraben in Verbindung, der vom Pfaffenteich kommt. Es fließt also das Wasser des Medeweger Seees durch die Au in den 1,5 Toisenfuß tiefer gelegenen Pfaffenteich, das des Ostorfer Seees durch den Seeke=Canal in den 8 Toisenfuß tiefer gelegenen Burgsee, das Wasser des Pfaffenteiches durch den Fließgraben und die Seeke in den 5,5 Toisenfuß tiefer gelegenen Burgsee. Der Umstand, daß augenscheinlich jetzt Wasser aus dem Fließgraben in den Pfaffenteich strömt, ist kein Beweis dafür, daß die Niveauverhältnisse, wie sie angegeben, unrichtig sind, da durch bauliche Anlagen der Abfluß des Wassers aus dem Pfaffenteich in den Burgsee gehindert sein kann und wird, so daß die Seeke jetzt einen Theil ihres Wassers rechts hinunter in den Burgsee, den anderen links in den Pfaffenteich sendet. Auf dem Plane der Stadt Schwerin von 1812 sind noch die alten Wasserläufe mit dem Ausfluß des Pfaffenteiches in den Burgsee angegeben. Der Pfaffenteich hatte früher noch einen Abfluß in östlicher Richtung bei dem Schelfthore vorbei in den Großen See, derselbe ist indessen jetzt verschüttet; der mit einer Schleuse versehene nördliche Abfluß durch den Spielthordamm in den Ziegelsee kommt nicht in den Urkunden vor und wird jüngeren Datums sein. Diese Verhältnisse lassen als zu Mühlenanlagen geeignet einmal

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den Platz erscheinen, wo der Fließgraben und die Seeke in den Burgsee abfließen, und dann den am westlichen Ende des Spielthordammes gelegenen Einfluß der Au in den Pfaffenteich. Diese beiden Plätze sind denn auch benutzt und zwar der letztere zu der zunächst zu erörternden Bischofsmühle, der erste zu der Grafenmühle.


Die Bischofsmühle.

Die Bischofsmühle lag nordwestlich der Stadt, dort wo das noch so genannte Mühlengehöft sich befindet, jedoch war das Werk in dem seitwärts an dem Mühlenteiche belegenen jetzigen Wohnhause aufgestellt. Dieser Teich war von dem Au=Bach, um dessen Stauung zu ermöglichen, durch einen starken Damm getrennt. In dem Original der oft citirten Bewidmungsurkunde Herzogs Heinrich von Bayern und Sachsen wird diese Mühle noch nicht erwähnt, die Geistlichkeit mit ihrem practischen Blick erkannte indeß bald die Bedeutung dieser Anlage, und führte in dem falschen Exemplare B. aus dem 12. Jahrhundert unter den dem Bisthum verliehenen Gütern die Mühle mit auf:

- locum et aquam molendinarem in aquilonari parte ciuitatis Zverin. -

In den Exemplaren C dieser Urkunde heißt es nur molendinum in aquilonari parte civitatis situm. In den Bestätigungsurkunden und zwar

1) des Papstes Alexander III. von 1178 wird gesagt: "molendinum unum,"

2) des Papstes Urban III. und Clemens III. von 1186 und 1189: "molendinum a ciuitate in parte aquilonis situm,

3) Papst Cölestin III. spricht 1191 nur von 2 "wichskepel," die von molendino in aquilonari parte Zverinensis ciuitatis posito an das Decanat gegeben werden sollen, und läßt es ungewiß, ob die Mühle bischöfliches Eigenthum ist oder nicht, während er

4) in der Bestätigungsurkunde von 1197 ganz unzweideutig molendinum a ciuitate in parte aquilonis situm unter den Besitzungen des Bisthumes aufführt.

Sie alle sprechen also im Gegensatz zu dem doch sonst gebrauchten gefälschten Exemplar B. der Bewidmungsurkunde

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nur von der Mühle allein, während dieses auch die aqua molendinaris mit enthält.

Ihm folgte:

5) Kaiser Otto IV. in seiner Bestätigungsurkunde von 1211, indem er als Besitzungen des Bischofes anführt molendinarem locum et aquam prope Zwerin versus aquilonem.

Was kann man nun unter molendinaris aqua = Mühlwasser verstehen? Nach gewöhnlichem Sprachgebrauch ist dies der Mühlenteich, möglicher Weise auch das für den Mühlenbetrieb aufgestaute Wasser. Diese Auslegung fand indessen das Bisthum zu eng und in dem oben besprochenen Vergleich zwischen Bischof Hermann von Schwerin und dem Grafen von Schwerin vom Jahre 1284 1 ) wurde bestimmt, daß der Ziegelsee vom Mühlendamme, d. i. dem Spielthordamm ab - stagnum quod Tegelse wlgariter dicitur, ab aggere molendini nostri - bis zu seiner Verbindung mit dem Großen See zur bischöflichen Tafel gehören soll. Weiter heißt es dann:

Similiter stagnum, quod molendino nostro affluit, ascendendo sursum vsque in stagnum de Magno Medewede et ipsum stagnum vsque ad lacum in utraque parte litoris nostrum erit.

In dieser Bestimmung sind drei Gewässer aufgeführt, einmal dasjenige, das die Mühle zunächst treibt, dann ein Wasser, das in dieses mündet, und von dem Medeweger See, dies ist das dritte, namentlich aufgeführte, Gewässer, abfließt. Dieser Abfluß kann nur der Au=Bach sein und dessen teichartige Erweiterung vor und bei der Bischofsmühle ist der stagnum, quod molendino nostro affluit.

Der Spielthordamm ist der alte agger molendini nostri des Vergleiches, denn es giebt weiter keine andere ähnliche Vorrichtung bei dem Ziegelsee, der doch dem Bischof vom Mühlendamm ab gehören soll. Dieser Damm wird im Vergleich von 1284 auch als uia noua ad terras per aquam aufgeführt und in Betreff seiner bestimmt, daß die Schelfbewohner ihn nicht benutzen, sondern ihren Weg durch die Stadt nehmen sollen. Die Erhaltungspflicht des Dammes lag dem Grafen ob, denn nachdem im Vergleich die Grenze des geistlichen Gebietes in der Stadt festgesetzt und betreffs der Schelfe


1) No. 1766 M. U.=B. III.
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bestimmt wird, daß diese dem Bischof gehöre, wird sogleich hinzugefügt, daß jedoch der Graf und seine Erben von dem schon erwähnten Weinberg die zu der Ausbesserung des Dammes erforderliche Erde solle nehmen können. Diese Bestimmung ist in hohem Maße auffallend. Wie kam es, daß der Graf diese lästige Verpflichtung übernahm, von der er wenigstens nach den Urkunden gar keinen Nutzen hatte? Wir sind hier lediglich auf die Conjectur angewiesen. Um Licht in die Sache zu bringen, muß man sich klar machen, wem der Mühlendamm nützte. Zunächst wird jeder hierbei an den Bischof denken, da der Damm in der Urkunde als der zu der Bischofsmühle gehörige Mühlendamm aufgeführt wird; betrachtet man aber die Verhältnisse näher, so wird man zu einem anderen Resultat gelangen. Die Bischofsmühle wurde durch das Wasser getrieben, das durch den Au=Bach aus dem Medeweger See strömte, dasselbe konnte durch einen Damm, der vor der Mühle in der Verlängerung des Spielthordammes lag, gestauet werden und floß, nachdem seine Kraft ausgenutzt war, in den tiefer gelegenen Pfaffenteich, mithin war das Wasser dieses Teiches für die bischöfliche Mühle nicht mehr nutzbar zu machen, und hätte die Einschüttung des Spielthordammes für den Bischof keinen anderen Zweck haben können als den, für die Schelfbewohner einen bequemeren und näheren Zugang zu ihrer Mühle und zum festen Lande herzustellen als der durch die Stadt war. Gerade diesem Zweck aber, dem einzigen, der für den Bischof ein Interesse darbot, sollte der Damm nicht dienen,

- homines de Scala uiam nouam ad terras per aquam non habebunt, sed - habebunt introitum et exitum ciuitatis et transitum per eandem.

Dagegen wissen wir, daß der 5,5 Toisen=Fuß höher als der Burgsee gelegene Pfaffenteich durch den Fließgraben in den Burgsee abfließt; dieser Fließgraben bildete aber die westliche Grenze der Stadt, und ein für die damalige Zeit bedeutendes Vertheidigungsmittel und Bollwerk, ferner trieb das Wasser des Pfaffenteiches durch den Fließgraben die Grafenmühle, ferner speiste der Pfaffenteich den Stadtgraben zwischen Schwerin und der Schelfe, der Stadt Schwerin also und durch sie den Grafen von Schwerin kam der ganze große Nutzen des Spielthordammes zu Gute. Wenn dieser Damm, der noch im 13. Jahrhundert errichtet sein wird, da er im Vergleich "uia noua" genannt wird, nicht existirt hätte, so wäre der Pfaffenteich ein Theil des Ziegelseees und

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mit diesem im gleichen Niveau geblieben, und wären damit alle eben aufgeführten Vortheile des höheren Wasserstandes des Pfaffenteiches nicht möglich gewesen. Der Mühlendamm, der jetzige Spielthordamm, war also, obgleich er agger molendini nostri, d. i. der Mühle des Bischofes, genannt wird, doch nicht der Damm für diese sondern für die Grafenmühle, die ohne ihn unmöglich war; nicht mehr als billig war es daher, daß der Graf die Verpflichtung, diese für ihn so wichtige Anlage zu unterhalten, übernahm, um so mehr als der Pfaffenteich nach dem Vergleich nicht dem Bischof, sondern ihm gehörte, denn der Bischof sollte haben:

stagnum, quod Tegelse wlgariter dicitur, ab aggere molendini nostri ex vtraque parte litoris usque ad lacum (!) ubi lacus magnum stagnum influit, ad mensam episcopalem libere pertinebit.

Also der Ziegelsee soll dem Bischof gehören und zwar nur vom Mühlendamm ab, nicht auch der durch den Damm abgetrennte Theil dieses Seees, der Pfaffenteich, der blieb dem Grafen. Man könnte auf den ersten Blick hierüber zweifelhaft sein und die Worte "ab aggere - ex utraque parte litoris" so verstehen, daß damit gesagt sein sollte, vom Mühlendamm ab nach dessen beiden Seiten hin, indessen kommt die Redewendung "in utraque parte litoris" auch gleich nachher bei dem Medeweger See, der keinen Damm hat, vor, bedeutet also nichts weiter, als daß der See bis zu seinen beiden Ufern dem Bischof gehören soll.


Die Grafenmühle.

Am südwestlichen Ende der Stadt, am Fließgraben, dicht vor dessen Austritt in den Burgsee, war die Grafenmühle gelegen, und geht aus den urkundlichen Nachrichten, wenn auch nicht genau der Platz, auf dem sie gestanden hat, so doch das hervor, daß sie in der Gegend von früh her sich befunden hat, wo die Merian'sche Abbildung sie zeigt und wo sie noch in unserer Zeit zu sehen war, beim Eintritt in die Stadt hart rechts vom Mühlenthor, dort wo jetzt das erste Haus in der Schloßstraße rechter Hand, von der Kaiser=Wilhelmsstraße aus gerechnet, liegt.

Aus der vorhergehenden Darstellung ergiebt sich, daß diese Mühle erst nach Vollendung des Spielthordammes errichtet sein kann, mithin im 13. Jahrhundert. In den

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Urkunden kommt sie zuerst unterm 2. Juli 1217 1 ) vor, wo Graf Gunzelin aus ihr eine Rente von 8 sol., de molendino prope Zuerin, anweist.

Im Jahre 1298 am 21. December wurde die ganze Anlage von den Grafen Gunzelin und Heinrich von Schwerin (letzterer war noch minderjährig, weshalb sein Oheim, Graf Nicolaus von Schwerins Wittenburg, sich für die Genehmigung dieses Verkaufes nach erreichter Volljährigkeit verbürgte 2 ), an das Kloster Reinfeld für die Summe von 1624 Mark Lüb. verkauft, welchen Preis das Kloster den Grafen sofort baar auszahlte 3 ). Die Mühle gehörte lediglich den Grafen von Schwerin, die Stadt hatte nicht das kleinste Recht an ihr, - nichil iuris uel proprii haheamus in molendinis adiacentibus nostre ciuitati, - so, daß sie dieselbe auch nicht zu irgend welchen städtischen Abgaben oder Diensten heranziehen konnte. Auch verhieß die Stadt, das Kloster weder beim Stauen, noch beim Ablassen des Wassers, noch irgendwie an den Wasserläufen in oder außerhalb der Stadt zu stören, und versprach, den Damm der Mühle - es ist hier nicht an den vorhin besprochenen Spielthordamm, sondern an einen Damm, ein Wehr, im Fließgraben zu denken - nicht mit Vieh oder Wagen zu passiren und, wenn an dem Mühlenwasser noch eine Mühle gebaut werden sollte, wie dies in dem Kaufcontracte vorgesehen, dieselbe gegen feindliche Angriffe als eine Vormauer der Stadt zu vertheidigen 4 ).

- nos tarn illud, quod foris esset, quam quod intus est, sicut propugnacula, ciuitatis defendere teneremur.

Durch diese Wendung könnte möglicherweise die Ansicht hervorgerufen werden, daß die Grafenmühle auf städtischem Grund und Boden und innerhalb der Stadtmauer gelegen gewesen wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Die Mühle lag allerdings mit der Stadt auf derselben Seite des Fließgrabens und unmittelbar bei dem Mühlenthore, aber doch nicht innerhalb der Stadtmauern, denn die Stadt spricht in der Urkunde vom 21. December 1298 5 ) von molendinis adiacentibus nostre ciuitati, und in der Urkunde vom 2. April 1326 6 ) wird von der Stadt verkauft


1) No. 235 M. U.=B. I.
2) No. 2526 M. U.=B. IV.
3) No. 2527 M. U.=B. IV.
4) No. 2528 M. U.=B. IV.
5) No. 2528 M. U.=B. IV.
6) No. 4712 M. U.=B. VII.
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"dat rum buten der stat, dar de mole vppe steyt"; es sollen die Worte "tam illud quod foris esset quam quod intus est," nur bedeuten, daß die Mühlenanlage, die möglicherweise jenseits des Fließgrabens errichtet würde, ebenso wie die mit der Stadt diesseits gelegene vertheidigt werden sollte.

Dem Kloster Reinfeld wurde von den Grafen verkauft der Grund und Boden, die Häuser, die Schleuse und alle Einkünfte der Mühle, nämlich 15 Last harten und 8 2/3 Last weichen Getreides, mit dem vollen Gericht zu "manrecht," so daß weder sie, die Verkäufer und ihre Nachfolger, noch die Stadt irgend welche Dienste von der Mühle zu fordern berechtigt sin sollten; auch wurde dem Kloster das Recht eingeräumt, frei kaufen und verkaufen zu können und ihr Getreide und den Zins von ihren Besitzungen ungehindert und frei von Zoll zu verschicken. Ferner verpflichteten sich die Grafen, dem Kloster das zum Bau und zur Ausbesserung der Gebäude wie des Dammes nöthige Material an Holz und Erde an bequem gelegenen Ortschaften anzuweisen und die Anlage einer anderen Mühle, Wasser= oder Windmühle innerhalb des Raumes einer halben Meile von der Stadt nicht zu genehmigen. Das Recht des Fischfanges unterhalb oder oberhalb der Mühle auf Steinwurfweite erhielt das Kloster gleichfalls.

Was nun die Mühleneinrichtungen selbst angeht, so erhellt aus der Urkunde, daß die Mühle vier Räder hatte, daß die Wasserstandshöhe sich nach dem vom Grafen selbst gesetzten und gezeichneten Pfahle richten, und daß das Kloster das Recht haben sollte, wenn es noch weitere Mühlenanlagen machen wollte, dieselben an der Stelle, wo sie früher gewesen waren, zu errichten und die Schleuse anzulegen.

- addicientes, ut, si preter illas quatuor rotas, que nunc sunt, alias facere uoluerint in eodem loco ubi prius fuerant, gurgitis eiusdem liberam habeant facultatem. -

Die Mühle hat also früher an einem andern Ort gestanden, den wir nicht mehr kennen.

Erst am 2. April 1326 ist wieder von ihr die Rede; der Rath der Stadt Schwerin bekennt, daß er dem Kloster Reinfeld dat rum vppe der nigenstat, also iit begrepen is mit schunen vnde mit spikere vnde mit alleme rume, also it broder Ghert begrepen heft - vnde dat rum buten der stat, der de mole vppe steyt, binnen deme tune bi beyden

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sit des grauen eweliken tů beholdende na bůrrechte 1 ) überlassen habe. Hiernach scheint das Kloster Reinfeld von der Befugniß, die Mühlenanlage auf der alten Stelle wieder zu errichten, Gebrauch gemacht zu haben, da die Urkunde von einen Raum spricht, der zu beiden Seiten des Grabens gelegen und mit einem Zaun abgegrenzt ist. Auffallend und im Widerspruch mit der Urkunde vom 21. December 1298 2 ) ist der Umstand, daß die Stadt jetzt rechte an der Mühle veräußert, während ihr doch früher ihrer eigenen Angabe nach gar kein Recht an derselben zustand, ferner daß der Klosterbruder, der jedesmal in der Schweriner Mühle ist, dem Rath von Schwerin am Michaelistage jeden Jahres 12 Schilling geben soll, was ganz wie eine Recognition aussieht. Es bleibt nur die Möglichkeit, anzunehmen, daß die Stadt inzwischen doch gewisse Rechte an der Mühle erworben hat, eine Annahme, die bei den guten Verhältnissen des Klosters Reinfeld allerdings nicht recht wahrscheinlich ist.

Auf eine neue Anlage des Klosters bei der Grafenmühle möchte auch das Zeugniß des gräflichen Vogtes Heinrich Rosenhagen vom 10. August 1328 3 ) zu beziehen sein, nach welchem der Schweriner Bürger Hermann Wend seinen Ansprüchen auf eine Schleuse bei der Grafenmühle - quoddam gurgustrium situatum loco, qui wlgo dicitur des Greuen molen - entsagt hat, womit sein Streit mit dem Kloster Reinfeld beigelegt ist.

Der Mühlen= oder Fließgraben diente, wie wir sahen 4 ), auch dazu, die Grube mit frischem Wasser zu versehen und zu reinigen, zu welchem Zweck dieselbe mit dem Fließgraben in Verbindung stand, die mit einer Schleuse bei der Heiligen Geist=Brücke abgesperrt werden konnte. Damit nun das Wasser der Grube nicht in Fäulniß überging, verpflichtete sich das Kloster, frisches Wasser zur Reinigung und zum Besten der Stadt durch die Grube strömen zu lassen, wenn dasselbe ohne Schaden und Nachtheil für den Mühlenbetrieb entbehrt werden könnte. 5 ) Das letztere scheint nun nicht gerade häufig der Fall gewesen zu sein, denn am 7. Mai 1339 6 ) ist abgemacht, daß das Kloster die neue Schleuse bei der Heiligen Geist=Brücke auf Requisition des Rathes


1) No. 4712 M. U.=B. VII.
2) No. 2528 M. U.=B. IV.
3) No. 4962 M. U. = B. VII.
4) Vgl. S. 88.
5) No. 5264 M. U.=B. B. VIII.
6) No. 5956 U.=B. B. IX.
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"sobald es nöthig" - cum necesse fuerit - öffnen und das alte, faulige Wasser ab= und neues zulaufen lassen soll, dafür aber sich eine Schleuse an der Brücke bei der Grafenmühle am Ende des Fließgrabens anlegen kann,

- gurgustium, quod communiter vorescutte dicitur, iuxta pontem in loco, qui dicitur "tho des greuen molen" -

die es nur schließen darf, wenn die Reinigung der Grube dies erforderlich macht.

Schließlich bedarf es noch der Erwähnung, daß die Mühle durch eine zu ihr gehörige, zum Theil auf städtischem Gebiet errichtete Mauer von der Stadt getrennt war; der Rath von Schwerin verkauft nämlich unterm 3. Mai 1337 dem Kloster Reinfeld einen Theil des Badstüberplatzes, partem aree stupe, mit der Befugniß resp. Verpflichtung, die Mauer, murus molendini, wegen der Feuersgefahr noch höher aufzuführen, 1 )

Die letzten Nachrichten über die Mühlen= und Wasserverhältnisse in dem hier behandelten Zeitabschnitte beziehen sich auf die Schleuse des Grabens inter Schelmonem Zwerinensem et murum ciuitatis Zwerinensis. Dieser Graben floß aus dem Pfaffenteich, an dem Schelfthore vorbei, in den Großen See. Im Jahre 1344 wollte das Kloster Reinfeld nun die Schleuse neu bauen, wurde aber durch das Schweriner Domcapitel daran verhindert, das über die Construction und den Wiederaufbau derselben verbriefte Rechte zu haben behauptete, trotzdem das Kloster dem Capitel mit der "scrotwaghe" vormaß, daß die neu zu erbauende Schleuse weder höher noch tiefer liegen würde als die alte. Das Capitel konnte allerdings durch die durch einen Neubau möglicherweise bewirkte größere Ausstauung des Wassers - der Streit wird in dem schließlichen Vergleich des Bischofes und des Klosters vom 30. Juli 1344 und sonst "questio super instagnacione aque molendina - pellentis" genannt - an den am Pfaffenteich belegenen Theil der Schelfe geschädigt werden, und wird auch die Sache wohl ihren Haken gehabt haben, denn das Kloster versprach schließlich, die neue Schleuse in derselben Höhe zu bauen wie die alte und dem Capitel den Betrag von 100 Mark zu zahlen. Die desfallsige Quittung datirt vom 4. April 1345. 2 )


1) No. 5703 M. U.=B. IX.
2) No. 6432, 6438, 6439 und 6513 M. U.=B. IX.
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Dies sind die Nachrichten, die uns über die Grafenmühle aus dieser Periode ihrer Geschichte erhalten geblieben sind. Es fällt auf, daß des Seeke=Canales dabei mit keiner Silbe Erwähnung geschieht, und steht deshalb zu vermuthen, daß er zu der Zeit noch nicht erbaut war, denn wenn dieser Canal schon damals existirt hätte, so würde er unbedingt in der Verkaufsurkunde Erwähnung, gefunden haben, sei es, daß er als mit verkauft oder als vom Verkauf ausgenommen aufgeführt wäre. Auf der Merian'schen Abbildung von Schwerin ist der Seeke=Canal angegeben, er mündet in den Festungsgraben.


Aeußere Schicksale.

Ueber die äußeren Schicksale der Stadt Schwerin in dieser unruhigen Periode sind urkundliche Nachrichten nicht erhalten geblieben. Jedenfalls aber wird die Stadt in den kriegerischen Zeitläuften gegen Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts, in jenen Zeiten, wo Dänemark sich in Norddeutschland zeitweilig mit Erfolg festzusetzen versuchte, und seine Bestrebungen erst durch die bekannte mannhafte, kühne That des Grafen Heinrich von Schwerin in der Nacht vom 6./7. Mai 1223, die Gefangennahme Königs Waldemar von Dänemark, und durch die Schlacht bei Bornhövede am 22. Juli 1227 ihr Ende erreichten, jedenfalls wird die Stadt in diesen Zeiten auch manche Drangsal erlitten haben.

Ob Graf Heinrich den König Waldemar hier in Schwerin gefangen hielt, ist eine Frage, die urkundlich sich nicht entscheiden läßt; Eike von Repgow berichtet, Graf Heinrich habe den König zuerst nach Lenzen, dem Brandenburgischen Lehen Heinrichs, gebracht, was durch die Bulle vom 4. November 1223 1 ) bewahrheitet wird, zuletzt nach Schwerin. Hier wird auch der in der Schlacht bei Bornhövede gefangene Herzog Otto von Braunschweig in Gewahrsam gehalten sein, den Graf Gunzelin nach seines Vaters, des Grafen Heinrich, im Jahre 1228 erfolgten Tode seiner Haft entließ. 2 )

Eine Belagerung, die resultatlos verlief, hatte Schwerin im Jahre 1322 auszuhalten, als Graf Heinrich von Schwerin dem Fürsten Heinrich den Löwen von Meklenburg, in dessen Händeln wider seine zahlreichen Gegner zur Seite stand,


1) No. 297 M. U.=B. I.
2) No. 364 M. U.=B. I.
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dann aber 1358 die Belagerung durch Herzog Albrecht von Meklenburg. Auch er konnte Schwerin nicht zwingen, das vom April bis zum December seinen Bemühungen widerstand, trotzdem der Herzog die Belagerung so ernsthaft wie möglich trieb und vor Schwerin auf der Schelfe eine Burg "castrum nouum Schwerin" errichtete. Die Belagerung war eine Episode in den Kämpfen zwischen den Herzogen von Meklenburg und der Wittenburgischen Linie der Grafen von Schwerin um die Grafschaft. Zum besseren Verständniß dieser für das ganze Land Meklenburg, insbesondere aber die Stadt Schwerin so wichtigen Ereignisse vernothwendigt sich ein kurzer Blick auf die Landesgeschichte.

Graf Gunzelin III. 1 ) von Schwerin, ein Enkel des Grafen Gunzelin, den Herzog Heinrich von Bayern und Sachsen mit der Grafschaft Schwerin belehnte, ein Sohn des Grafen Heinrich, der den König Waldemar fing, vereinigte in seiner Hand die ganze Grafschaft und hinterließ bei seinem 1274 erfolgten Tode zwei Söhne 2 ), Helmold III.


1) Es ist bei der folgenden Darstellung die Stammtafel der Grafen von Schwerin nach der Abhandlung des Herrn Archivrathes Dr. Wigger, Jahrbücher XXXIV, S. 82 flgd. zu Grunde gelegt.
2) Zur leichteren Uebersicht folgt hierunter der Stammbaum der Grafen, bei dem, wie schon ja aus der Darstellung ersichtlich, alle nicht zum Verständniß nothwendigen Personen fortgelassen sind.
Stammbaum
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und Nicolaus I., die sich in die Grafschaft so theilten, daß der ältere, Graf Helmold III., (1295) Schwerin, Neustadt, Marnitz, der jüngere Nicolaus I., († 1323) Wittenburg, Boizenburg, Selesen mit der Stadt Crivitz erhielt. Schon mit Graf Helmolds Sohn, Heinrich III., starb 1344 der ältere Zweig des Grafengeschlechtes aus. Graf Nicolaus I. hinterließ zwei Söhne, Gunzelin VI. († 1327) und Nicolaus II. († 17. Mai 1349), die sich nach ihres Vaters Tode in seine Lande so theilten, daß Graf Gunzelin Wittenburg, Graf Nicolaus Boizenburg und Selesen übernahm. Graf Gunzelin VI., vermählt mit der Gräfin Richardis von Tecklenburg, starb im Jahre 1327 und hinterließ die Söhne Nicolaus III. und Otto I., die sich über die väterliche Erbschaft so verständigten, daß der ältere, Nicolaus III., die Grafschaft Tecklenburg, der jüngere Otto I., Wittenburg erhielt, es war also die alte Grafschaft Schwerin 1344, vor dem Tode des Grafen Heinrich III., in 3 Händen: Graf Heinrich III. besaß Schwerin, Neustadt und Marnitz, sein Vetter Graf Nicolaus II. Boizenburg und Selesen, sein Großneffe Otto I. Wittenburg. Dessen Bruder Nicolaus III. hatte von der Grafschaft Schwerin nichts, sondern war mit der mütterlichen Erbschaft, der Grafschaft Tecklenburg, abgefunden. Nun erlosch 1344 mit dem Tode Heinrichs III. die Schweriner Linie der Grafen, und verständigte sich die nachbleibende Wittenburger Linie, Otto I. und Nicolaus II., so über die Lande Heinrichs III., daß Graf Otto I. dessen Besitzungen übernahm, dagegen sein Land Wittenburg seinem Oheim Nicolaus II. übergab. So weit war Alles klar und bestand kein Streit, der begann, als Gras Nicolaus II. am 17. Mai 1349 kinderlos das zeitliche segnete, nachdem er Boizenburg und Crivitz einmal am 19. April 1326 seinem Vetter Heinrich III. zur Erbhuldigung überlassen, dann am 7. März 1343 mit den damaligen Fürsten, späteren Herzogen, Albrecht und Johann von Meklenburg einen Successionsvertrag geschlossen hatte. Hierauf gestützt, erhoben die Herzoge von Meklenburg nach dem Ableben des Grafen Nicolaus II. Ansprüche auf die Grafschaft, die die Grafen von Schwerin bestritten, es kam zum Kampf, in welchen nach dem im Jahre 1356 erfolgten Tode des Grafen Otto I., der ebenfalls ohne Hinterlassung männlicher Erben verstorben war, dessen Bruder Graf Nicolaus III. von Tecklenburg mit seinem Sohne, Graf Otto II., eintrat. Dies war der Kampf, in dessen Verlauf die Stadt Schwerin die lange Belagerung auszuhalten hatte, und der damit endete, daß die Grafen Nicolaus III. und Otto II.

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die ganze Grafschaft Schwerin dem Herzog Albrecht von Meklenburg nach dem vor dem 1. December 1358 erfolgten Friedensschluß am 7. December 1358 zu Plüschow für 20000 Mark Silbers verkauften. Damit war die Stadt Schwerin wieder unter die Hoheit des angestammten meklenburgischen Fürstenhauses gekommen, sie öffnete ihre Thore ihrem neuen Landesherrn, Herzog Albrecht I. von Meklenburg, der den queer getheilten Schild der Grafen von Schwerin seinem Wappen zufügte und seinen Einzug in die Stadt hielt, die ihm bereits am 1. December 1358 auf Geheiß der Grafen Nicolaus III. und Otto II. von Tecklenburg Erbhuldigung geleistet hatte 1 ), und die von da ab stets die Haupt= und Residenzstadt des Hauses und Landes Meklenburg blieb.



1) Die betreffende Urkunde hat mir in einer vom Herrn Geh. Archivrath Dr. Lisch schon vor vielen Jahren für die Jahrbücher angefertigten Abschrift vorgelegen und ist in der Anlage abgedruckt, da ihre Veröffentlichung im Urkundenbuch wohl noch einige Zeit ausstehen wird.
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Anlage.


Die Burgmänner des Schlosses, die Vasallen des Landes und die Stadt Schwerin leisten dem Herzog Albrecht von Meklenburg und dessen Söhnen Heinrich, Albrecht und Magnus auf Geheiß der Grafen Nicolaus III. und Otto II. von Tecklenburg und Schwerin Erbhuldigung

Schwerin d. 1. December 1358.

Wy Otto van Tzychusen, Hennyngh Haluerstad, Matthias Rauen, Ghotschalk van Tzůlowe vnde Hinrik Růsenhaghen, borchlude des hůses tů Zwerin, Vlrich van Dryberghe ridder, Hennyngh Knop, Antonius van Schonenuelde vnde Johan Bercheteheyle, knapen, vnde de menen man des landes tů Zwerin vnde wi borghermestere Herman Wickendorp vnde Hinrik Teyleman, Cůpeke Wendelstorp, Arnoldus Roghan, Johan Zwerin, Herman Stralendorp vnde Johannes Pape, ratman vnde de ganze menheyt der stad tů Zwerin bekennen vnde betůghen openbar in dessem ieghenwardighen breue vor allen luden, de en seen odder høren, dat wi van hete vnde van bode vser heren, hern Nicolaweses vnde iuncheren Otten sines sønes, greuen tů Zwerin vnde Tekeneborch, vnde na vůlbort erer neghesten vnde erer rathgheuen, hebben ghehuldighet vnde ghesworen, huldighen vnde sweren in desme breue den dorluchtighen vorsten her Alberte, Hinrike, Alberte vnde Magnus, sinen sønen, hertoghen tů Mekelenborgh, tů Stargarde vnde Rostok heren, vnde eren sone eruen ene rechte eruehůuldinghe in desser wis: were dat vse vorbenomeden heren vorstoruen sunder sone eruen, dat got vorbede, dat wi ghenzliken den vs scolen holden vnde bliuen bi den vorbenomeden hertoghen vnde eren sone erven vnde bi en důn also trůwe borchman, man, borchermestere, ratman vnde menheyt bi eren heren; were ok dat vse vorbenomeden heren oder ere sone eruen dit vorscreuen hus, stad, man vnde land tů Zwerin bi creme leuende vorkopen vnde vorlaten wolden, deme kope vnde vorlatende scolen de vorbenomeden hertoghe vnde ere sone eruen neghest wesen, deste se vnde ere sone eruen vsen vorbenomenden heren vnde eren sone eruen dar vmme důn also vele, also se van

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enem anderen dar vmme hebben moghen edder also vele, dat en ghenôghe, vnde were dat dat wanner scheghe so scole wi vnde willen vns ok an de vorbenomeden hertoghen vnde ere eruen holden vnde ghenzliken bi en bliuen vnde bi en důn also trůwe borchman, man, borchermestere, ratman vnde menheyt tů rechte bi eren heren důn scolen. Vnde dat wi al desse dink stede vnde vast holden willen, dat lowe wi, reden vnde sweren dat in den hilghen vor vns vnde vse nakomehnge den vorbenomeden hertoghen vnde eren sone eruen mid hande vnde mit můnde vnde mit vprichteden vingheren vnde hebben tu ener merer bekantnisse vnde tůghinghe desser dink wi borchmam vnde man vorscreuen vse ingesegele vnde wi ratman vser stad ingeseghel vor dessen ieghenwardighen breef laten vnde heten henghen, de ghegheuen vnde screuen is tů Zwerin na godes bort důsent iar drehůndert iar in dem achte vnde veftighesten iare, des sůnauendes na sunte Andreas daghe des aposteles.

Auf Pergament in cursivischer Minuskel. An Pergamentstreifen hangen folgende Siegel:

1) Siegel

Helm mit beblümten Römern im Schilde.

2) ist zerbrochen.

3) Siegel

links gekehrter Rabe im Schilde, klar und bestimmt.

4) Siegel

schraffirter Querbalken im Schilde.

5) Siegel

zwei ins Kreuz gelegte Rosenbüsche im Schilde.

6) ist abgefallen.

7) Siegel

schräggevierteter Schild im Dreipaß.

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8) Siegel

schraffirter Queerbalken im Schilde.

9) Siegel

aufgerichteter Löwe im Schilde im Dreipaß.

10) Das große alte Siegel der Stadt Schwerin.

 

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Inhalt:

B.

Jahrbücher

für

Alterthumskunde.



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I. Zur Alterthumskunde

im engern Sinne.


1. Vorchristliche Zeit.

a. Steinzeit.


Steingeräth=Werkstätte von Eldenburg.

Nachtrag zu Jahrb. XLI, S. 161.

Im Herbst 1876 hat der Herr Gymnasiallehrer Struck zu Waren die in Jahrb. XLI, S. 161 flgd. beschriebene Stelle der Steingeräth=Werkstätte von Eldenburg bei Waren noch einmal abgesucht und hier folgende Alterthümer gefunden und dem Vereine geschenkt.

7 kleine Feuersteinsplitter wie Pfeilspitzen, meistentheils mit Schlagmarken, darunter auch noch eine größere abgeschlagene Platte oder ein Bruchstück eines Kerns mit einigen schmalen Schlagflächen.

1 kleiner Keil von Feuerstein, 8 Centim. lang, an der Schneide schön geschliffen, gut gearbeitet und erhalten.

1 großer Keil aus Diorit, 14 Centim. lang, überall geschliffen und gut erhalten.

2 Topfscherben mit vertieften Parallellinien um den Bauch verziert. Scherben dieser Art gehören nach Verzierung, Thon und Farbe der letzten heidnischen Zeit an. Die Werkstätte scheint also zu allen Zeiten des Heidenthums benutzt worden zu sein.

G. C. F. Lisch.


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Begräbnisse der Steinzeit von Dargun.

Bei Dargun liegt rechts am Wege von der Darguner "Neubaute" nach Lehnenhof auf Darguner Feldmark eine Anhöhe, in welcher eine Sandgrube ist. Bei Gelegenheit von Sandgraben fand Herr Landdrost von Pressentin zu Dargun im April 1875 Reste von menschlichen Gebeinen, namentlich zuerst eine Schädeldecke, welche durch flache Scheitelbeine und niedrige Stirn auffiel. In der Sandgrube und in dem ausgefahrenen Sande wurden trotz der sorgfältigsten Nachsuchungen keine von Menschenhand gefertigten Geräthe und keine Spur von menschlicher Thätigkeit gefunden. Jedoch fand Herr v. Pressentin im Juni noch mehrere Bruchstücke von dem Schädel, namentlich Kiefer, und andere zerbrochene menschliche Knochen, auch einige unbedeutende Kohlenbrocken. Deutlich war zu erkennen, daß an zwei Stellen in der Grube "kein ungerührter Urboden" war.

Nach der ganzen Beschaffenheit und Farbe der Knochen weise ich diesen Schädel der Steinzeit zu. Er scheint einem Menschen von mittlerem Lebensalter angehört zu haben. Die Zähne sind klein, ziemlich abgeschliffen und schon etwas morsch.

Zur bessern Erkenntniß sandte ich die Schädeldecke an den Herrn Professor Dr. Virchow zu Berlin, welcher darüber folgende wissenschaftliche Beschreibung und Beurtheilung giebt.

Schwerin.

G. C. F. Lisch.


Die leider sehr zertrümmerten Stücke des Schädeldaches bestehen eigentlich nur aus Stirnbein, beiden Scheitelbeinen und dem größern Theile der Hinterhauptsschuppe; kleine Ueberreste der Nasenwurzel sitzen noch am Stirnbein an. Alle Urtheile sind daher von sehr zweifelhaftem Werthe.

Die Knochen machen den Eindruck eines nicht allzuhohen Alters (d. h. nach dem Tode des Individuums). Das äußere Knochenblatt löst sich überall in Form gelber Häute, welche sich umrollen, also noch eine gewisse Elastizität haben. Auch kleben diese Theile wenig an der Zunge. Nur die tiefern Schichten der Diploë sehen weiß und brüchig aus. Auch die innere Tafel hat eine gelbbraune Farbe.

Das Individuum war offenbar ein noch jugendliches. Dafür spricht die Dünnheit der sämmtlichen Knochen, die Glätte ihrer Oberfläche und der Mangel tieferer Eindrücke

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an der inneren Tafel. Indeß kann es nicht zu jung gewesen sein. Abgesehen von dem Umfange, welcher für einen völlig ausgewachsenen Zustand Zeugniß ablegt, besteht eine vollständige Verknöcherung der innern Theile der Nähte.

Wahrscheinlich war es ein junges Weib. Die niedrige, aber volle Stirn, deren vordere Fläche sehr steil und gegen den hintern Abschnitt des Stirnbeins in einen fast rechten Winkel gestellt ist, die flachen Curven der Scheitellinien, der Mangel ausgesprochener Höcker sind Merkmale des weiblichen Schädels.

Die äußern Nähte sind sehr gezackt, die geöffnete Stirnhöhle groß, jedoch fehlt jede stärkere Vermittlung der Stirn= oder Orbitalwulste. Der Nasenansatz ist voll. Alle Formen machen den Eindruck der Weichheit.

Größte Länge 181 Millimeter.
Größte Entfernung der Stirnwölbung von der größten Verwölbung des Hinterhauptes 122 Millimeter.
Sagittalumfang des Stirnbeins 123 Millimeter.
Länge der Pfeilnaht 126 Millimeter.
Unterer Frontaldurchmesser 82 Millimeter.

Die Breite läßt sich nicht sicher bestimmen, da die Knochen in der betreffenden Gegend sehr zerbrochen und zugleich stark verbogen sind.

Aller Wahrscheinlichkeit nach war jedoch der Schädel mehr lang und von relativer Niedrigkeit, also im allgemeinen von germanischer Form.

Berlin im Juli 1875.

R. Virchow.


In der ersten Hälfte des Monats Juli ward in derselben Grube noch ein Menschenschädel gefunden, über welchen Herr Landdrost von Pressentin in dem Oeffentlichen Anzeiger für die Aemter Dargun, Gnoien u. s. w. 1875, Nr. 58, 21. Juli, Folgendes berichtet:

"In voriger Woche ist in derselben Sandgrube wieder ein Menschen=Schädel gefunden, aber trotz des sorgfältigsten, wiederholten Suchens weiter nichts von menschlichen Gebeinen und kein von menschlicher Hand gefertigter Gegenstand. Dieser Schädel ist ebenfalls der eines Erwachsenen (über Stirn und Hinterkopf gemessen hat er 51 Centimeter Umfang) und an demselben gleichfalls eine niedrige, flache Stirn (von 29 Millimeter Höhe) und eine geringe Scheitel=

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höhe (62 Millimeter) bemerkenswerth. Wir sind geneigt, diese Schädel den allerältesten Bewohnern unseres Landes, von welchen Spuren bis auf unsere Zeit gekommen sind, zuzuschreiben. -- Aus dem Gefundenen sind indessen sichere Ergebnisse noch nicht zu ziehen, erst wenn noch mehr gefunden werden sollte, besonders Gegenstände menschlicher Kunstfertigkeit, lassen sich sichere Angaben machen über die gefundenen Gebeine."

Dargun.

C. v. Pressentin.


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Angelsenker von Pinnow.

Herr Archivrath Dr. Wigger zu Schwerin schenkte aus dem Nachlasse seines verstorbenen Schwiegervaters, des Präpositus Dr. Schencke zu Pinnow bei Schwerin, eines eifrigen Mitgliedes des Vereins, einen kleinen, sonderbar geformten, zu Pinnow am fischreichen See gefundenen Stein, wie es scheint aus Sandstein oder hart gebranntem Thon. Der abgerundete Stein ist oval, 17 Gramm schwer und 2 1/2 Centimeter lang und 1 3/4 Centimeter dick, ähnlich einer großen Haselnuß oder einer Olive. Um die breitere Seite ist ringsherum eine kleine Rille eingegraben, wahrscheinlich zur bessern Befestigung einer Schnur. Nilsson (Steinalter oder die Ureinwohner des Skandinavischen Nordens, Hamburg 1868, S. 26 flgd.) hält solche Steine für Angelsenker und bildet Taf. XI, Fig. 217, einen solchen Stein aus Pensylvanien ab, welcher an Größe und Gestalt dem Pinnower fast ganz gleich ist. Von den in Schweden gefundenen Angelsenkern, auch mit Rillen, welche Nilsson Taf. II, Fig. 33, 34 und Tafel XI, Fig. 216, abbildet, mögen einige wohl zu Netzsenkern gedient haben, da sie für Angelsenker zu groß, also zu schwer erscheinen. Ferner schenkte der Herr Dr. Wigger aus derselben Hinterlassenschaft eine vollständig runde steinerne Kugel, gegen 5 Centimeter im Durchmesser und gegen 1/4 Pfund schwer, die ebenfalls eine Rille in ihrem Umfange hat, welche jedoch nur flach und unregelmäßig ist und nicht gerade über die Mitte läuft. Vielleicht mag diese Kugel auch zur Fischerei gedient haben.

G. C. F. Lisch.


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Kugelförmiger Streithammer von Neukalen.

Bei der Grabung des Kanals von Neukalen nach dem Cummerower See ward ein seltenes Stück gefunden und von dem Herrn Burgemeister Mau zu Neukalen dem Vereine geschenkt. Es ist dies ein völlig regelmäßig gearbeiteter und auf der ganzen Oberfläche sauber geschliffener Stein aus feinem, schwarzem Gneis in Form einer etwas platt gedrückten Kugel, 2 1/4 Zoll hoch und 3 Zoll im größten Durchmesser. Der Stein ist in der Höhe von 2 1/4 Zoll mit einem Loche von 7/8 Zoll Weite durchbohrt, jedoch ist die Bohrung in der Mitte noch nicht ganz vollendet und das Loch noch nicht ausgeschliffen. Wahrscheinlich hat dieser Stein als Waffe gedient, nach der Weise der modernen sogenannten "Todtschläger".

G. C. F. Lisch.

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b. Bronzezeit.


Bronze=Waffen von Woosten.

Zu Woosten bei Goldberg ward im Herbste 1871 in einer moorigen Wiese die Klinge eines Bronze=Schwertes, welches einen hölzernen Griff gehabt haben wird, gefunden und von dem Pächter Herrn Carls an die großherzoglichen Sammlungen eingereicht. Die Klinge, welche 38 Centim. oder 15 3/4 Zoll lang ist, ist "löffelförmig" ausgebaucht, wie die meisten alten Bronze=Schwerter; das kurze Heft zum Einnieten ist nur 5 Centim. oder 2 Zoll lang; in dem Hefte sitzen noch die 3 Niete mit großen gewölbten Köpfen. Die Klinge, welche ganz glatt ist und keine verzierenden Längsstreifen hat, ist völlig neu, ohne allen Rost und sehr scharf.

Nicht lange darauf ward in derselben Torfgrube die wohl erhaltene Klinge eines Bronze=Dolches gefunden und durch den Herrn Forstcontroleur Angerstein den Sammlungen zugewandt. Die Klinge ist sehr schmal und verhältnißmäßig lang, ungefähr 18 Centim. lang und durchschnittlich, außer der Spitze, 1 3/4 Centim. breit. Die Klinge ist ebenfalls zum Einnieten in einen kurzen hölzernen Griff bestimmt gewesen; in dem kurzen, ungefähr 3 1/2 Centim. langen und breiten Hefte sitzen noch die bronzenen 4 Niete.

G. C. F. Lisch.


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Bronzeschwert von Damshagen.

Zu Damshagen bei Grevismühlen ward im Mai 1864 auf dem trigonometrischen Fixpunkt Nr. 1 der Landesvermessung ein stark gerostetes Bronze=Schwert, jedoch nur in einem Bruchstück der Klinge von 9 Zoll Länge mit alten Bruchenden, von dem Unterofficier Drall gefunden und durch den Herrn Obristlieutenant Köhler zu Schwerin eingereicht.


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Bronzene Lanzenspitze von Rutenbek.

Am 6. Mai 1875 ward zu Rutenbek bei Crivitz auf dem Schulacker beim Urbarmachen und Sandgraben eine

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bronzene Lanzenspitze ausgegraben und von dem Herrn Lehrer Th. Linshöft zu Rutenbek dem Vereine geschenkt. Die schön geformte Lanzenspitze ist hohl gegossen, 7 Zoll oder 18 Centimeter lang, stark gerostet und mit glänzendem, "apfelgrünem" edlen Rost bedeckt. Leider, oder vielmehr glücklicherweise, ward die Lanzenspitze beim Graben quer durchstochen. Denn jetzt zeigte sich, daß in dem Schaftloche der ganzen Länge nach noch die wohl erhaltene, hellfarbige hölzerne Schaftspitze steckt, welche mit einer dünnen bräunlichen, zerreiblichen Hülse umwickelt ist, die in Rutenbek beim Finden als Leder erkannt ward. Dieser überraschende Fund ist äußerst selten und findet kaum seines gleichen.

G. C. F. Lisch


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Bronzene Lanzenspitze von Lübtheen.

Im Jahre 1849 ward zu Lübtheen in einem Moder= oder Torflager die merkwürdige, hohl gegossene Krone von Bronze gefunden und Sr. Königlichen Hoheit dem Großherzoge von dem Herrn Sanitätsrath Dr. Becker geschenkt, wie in Jahrb. XIV, S. 315 berichtet ist. In demselben Lager, einige hundert Schritte vom Fundorte dieser Krone, ward beim Torfstechen noch eine bronzene Lanzenspitze gefunden und von dem Herrn Dr. Becker der großherzoglichen Sammlung geschenkt. Die Lanzenspitze ist 8 Zoll lang, hohl gegossen und enthält in der Spitze der Höhlung noch den Rest des hölzernen Schaftes, wird also mit dem ganzen Schaft in das Torflager gekommen sein. Die Auffindung dieser Lanzenspitze scheint darauf hinzudeuten, daß dieses Moor an seltenen und wichtigen Alterthümern der Bronzezeit reich ist oder daß diese in besonderer Veranlassung hineingekommen sind.

G. C. F. Lisch.


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Bronzenes Beil von Meyenburg.

Der Herr Pastor Ragotzky zu Triglitz schenkte dem Verein ein Beil aus Bronze, welches er aus der Gegend von Meyenburg, also dicht vor der meklenburgischen Grenze, ungleich mit einem steinernen Hammer erhalten hat. Das Geräth ist voll gegossen, also ohne Schaftloch, aber auch ohne Schaftrinne, in Gestalt eines Beiles ohne Loch, mit

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breiter Schneide, ohne Rost. Der Guß ist rauh und uneben und das Metall etwas röthlich und daher leicht für Kupfer zu halten; jedoch erscheint es, neben Kupfer gehalten, doch noch gelblich und ist härter als Kupfer. Das Metall ist daher ohne Zweifel eine alte Bronze mit sehr wenig Zinn, wie sich ähnliche bronzene Beile von röthlicher Bronze auch in der Schweiz, namentlich im Bodensee finden.

G. C. F. Lisch.

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c. Eisenzeit.


Heidnischer Begräbnißplatz bei Neukloster.

Im Jahre 1867 ward von dem damaligen Seminarlehrer Herrn Dr. Krüger zu Neukloster, jetzt Pastor zu Boddin, die heidnische Dorfstelle der alten Burg Kussin in dem jetzigen Seminargarten zu Neukloster entdeckt. Vgl. Jahrb. XXXIX, S. 159 flgd. Die dort gefundenen zahlreichen Scherben von Thongefäßen aus der letzten heidnischen Zeit stammen ohne Zweifel von Geräthen zum häuslichen Gebrauche.

Jetzt ist nun auch ein heidnischer Begräbnißplatz von Kussin bei Neukloster entdeckt. Beim Bau der Chaussee von Neukloster nach Reinstorf stieß man im Frühling 1876 bei einem Durchschnitt auf diesen Begräbnißplatz ("Wendenkirchhof"), dessen Beaufsichtigung der Herr Ingenieur Szalla, damaliger Baumeister der Chaussee, übernahm und auch die Einsendung genauer Nachrichten und der bei der Aufgrabung gefundenen Alterthümer sogleich besorgte. Der Platz liegt nicht weit von Neukloster in dem jetzigen Neuklosterschen Forst=Reservat, zwischen der Neuklosterschen und der Nakenstorfer Feldmark und dem alten Reinstorfer und Wariner Landwege. Herr Szalla berichtete Folgendes:

Beim Bau der Chaussee ward im Frühling 1876 ein "Wendenkirchhof" durchschnitten. Man fand eine Brandstelle, ein Feldsteinpflaster, mit schwarzer Erde, Asche und Kohlen (darunter auch Eichenholzkohlen) bedeckt. Im Kreise umher standen 7 Urnen, meistentheils hellbraun, ohne Verzierungen, mit zerbrannten Knochen und Asche gefüllt, von denen jedoch die meisten zertrümmert wurden. In einer Urne lag eine stark gerostete Heftel von Eisen, in 4 Stücke zerbrochen. Sonst wurden bei dieser Aufgrabung keine andern Alterthümer gefunden.

Später sind beim Fortschritt der Arbeit in einiger Entfernung wieder Urnen gefunden, welche ungefähr 4 Fuß tief auf einem Steinpflaster mit Kohlen standen. Dies mag eine Höhlenwohnung gewesen sein.

Die Alterthümer, welche Herr Szalla bei der ersten Aufgrabung gerettet und eingeliefert hat, sind folgende:

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1 Urne, glatt, ganz schwarz von Farbe und glänzend, ohne Verzierungen, bis auf einige Brüche am Rande vollständig erhalten.

1 Urne, glatt, hellbraun von Farbe, mit eingeritzten senkrechten Liniengruppen am Bauche verziert, nur in einer Seitenansicht erhalten.

1 Urne, hellbraun von Farbe, auf der Oberfläche rauh mit hervorstehenden Kiesstückchen, noch nicht mit geschlämmtem Thon überzogen und geglättet, am Rande mit leichten Linien und Punkten verziert, nur in einer Seitenansicht erhalten. Unter dem Rande stehen zwei durchbohrte Knötchen oder Oehren zum Durchziehen einer Schnur.

Eine feine Heftel von Eisen in 4 Stücke zerbrochen.

Nach allen Umständen scheint dieser Begräbnißplatz der letzten Wendenzeit angehört zu haben.

G. C. F. Lisch.


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Schwarze Urne mit Punktlinienverzierung.

Nachtrag zu Jahrb. XXXVII, S. 236.

Nach Mittheilung des Herrn Raths Dr. Brückner zu Neubrandenburg ward im Jahre 1873 beim Bau der Berliner Nordbahn auf der Feldmark des Gutes Cammin bei Stargard eine glänzende schwarze Urne mit gradlinigen Verzierungen von Punktlinien aus viereckigen Punkten bestehend gefunden, ähnlich den zahlreichen Urnen von Camin bei Wittenburg. Leider ist die Urne zerbrochen, jedoch ein ausreichendes Bruchstück in die Neubrandenburger Sammlung gekommen, von welchem Herr Dr. Brückner eine Zeichnung zur Ansicht eingesandt hat.

Diese Urne ist also die östlichste von dieser Gattung von Urnen in Meklenburg.

G. C. F. Lisch.


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Eine silberne Bommel

oder Schmuckperle mit Oese, rund, 1 Centim. im Durchmesser, hohl, mit gerippter Oberfläche, gefunden zu Diestelow bei Goldberg auf einem Urnenfriedhof zwischen Urnenscherben, ward geschenkt von Fräulein Margarethe Klockmann aus Hoppenrade bei Güstrow. Muthmaßlich ist diese feine Arbeit aus dünnem Silberblech eine römische aus der ersten Eisenzeit.

G. C. F. Lisch

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d. Alterthümer anderer Europäischer Völker.


Riesenurne von Ladowitz in Böhmen.

Herr Baurath Wachenhusen aus Meklenburg, jetzt zu Chemnitz im Königreich Sachsen, hat den Schweriner Sammlungen im Jahre 1877 einige thönerne Gefäße aus der heidnischem Zeit, darunter eine sogenannte Riesenurne 1 ), geschenkt, welche im Jahre 1876 auf dem Braunkohlenwerke seines Schwiegersohnes auf der Feldmark Ladowitz bei Dux in Böhmen gefunden wurden und durch Geschenk in seinen Besitz kamen.

Die Riesenurne stand etwa 1 Klafter (6 Fuß) tief in einer ungefähr 2 Klafter mächtigen Kiesschicht über der die Braunkohle deckenden Lettenschicht und ward beim Abräumen zur Herstellung eines sogenannten Tagebaues gefunden. Einige kleine Gefäße standen dabei, welche jedoch, mit Ausnahme von 2 Geräthen, bei der Erdarbeit zerschlagen wurden.

Die Riesenurne war auch zerbrochen, ward jedoch auf Anordnung des Vorstandes des Kohlenwerkes zusammengeleimt und mit Drath umwunden, so daß sie vollständig vorhanden ist, und von Herrn Wachenhusen nach Chemnitz gebracht, wo derselbe sie verpacken ließ und nach Schwerin schickte, wo sie auch trotz der Zerbrechlichkeit, des großen Gewichts und des bedeutenden Umfanges glücklich und unversehrt angekommen ist.

1) Die Riesenurne

ist von Thon, nach heidnischer Weise mit Kies gemischt, aufgebaut, cylindrisch von Gestalt, und hellbraun von Farbe. Sie ist 61 Centimeter (2 1/4 Fuß) hoch, hat 2 Meter 10 Centim. (3 3/4 Ellen) Umfang in der größten Bauchweite und eine


1) Ich behalte diese Benennung gegenwärtig bei, weil ich sie in den Jahrbüchern öfter gebraucht habe. G. C. F. Lisch.
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Oeffnung von 41 Centim. im Durchmesser. Am obern Bauchrande unter dem kurzen Halse sind zur Verzierung zwei parallele, schmale und dünne Bänder aus feinem Thon wie eine gedrehte Schnur erhaben modellirt. Unter diesen Bändern umher sind fünf erhabene Kreise mit einer eingedrückten runden Vertiefung in der Mitte, von deren jedem vier eingeritzte, kurze wellenförmige Linien hinablaufen.

Die Wandungen sind nach oben hin 1 Centim. dick, nach unten hin dünner, bis 1/2 Centim.; der Rand ist 2 Centim. breit.

Bei dieser Größe und Stärke hat das Gefäß das außerordentlich große Gewicht von 200 Pfund. Auf dem Eisenbahn=Frachtbriefe ist das Gewicht der Urne mit der Packkiste zu 121 Kilogramm angegeben. Da nun im Handel das Gewicht einer Packkiste ungefähr von der Größe der hier in Frage stehenden zu 40 Pfund als Tara angenommen zu werden pflegt, so werden für die Urne ungefähr 200 Pfund Gewicht übrig bleiben.

In dem Gefäße lagen viele kleine Klumpen schwarzer Erde, ein schwarz gefärbtes, zerschlagenes und gespaltenes Bruchstück von einem Thierknochen, wahrscheinlich Unterschenkelbein vom Rind 1 ), und viele kleine Knochensplitter.

Bei der Riesenurne lagen mehrere kleine Gefäße von gleicher Beschaffenheit, von denen aber der größere Theil zertrümmert, zwei jedoch fast ganz erhalten waren.

2) Ein Tragetopf.

Ein kleines, kugelförmiges Gefäß, 11 1/2 Centim. hoch und 36 Centim. weit im Bauchdurchmesser. Unter dem Rande sind 2 Knoten, welche durchbohrt sind zum Durchziehen einer Schnur oder eines dünnen Seils. Das Gefäß hat also zum Tragen und Heben an einer Schnur gedient und ist ungefähr das, was plattdeutsch "sêlpott", d. i. Seiltopf oder Tragetopf, heißt.

3) Eine Henkelkanne.

Ein schlankes, gehenkeltes Gießgefäß, 12 Centim. hoch und 31 Centim. weit im Bauchdurchmesser. Der Henkel ist abgebrochen, jedoch sind die Ansätze noch vorhanden.

Wahrscheinlich ist es, daß diese Gefäße aus der letzten Bronzezeit oder aus der ersten Eisenzeit stammen.


1) Ein ganz gleicher Knochen, wissenschaftlich als Knochen vom Rind bestimmt, fand sich auch in einer Meklenburgischen Höhlenwohnung aus der Steinzeit zu Pölitz; Vgl. Jahrb. XXXIV, S. 203 flgd.
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Die Fundstelle.

Grabgefäße für verbrannte Leichen sind diese Gefäße, namentlich die Riesenurne, sicher nicht gewesen. Dazu ist die Riesenurne zu unhandlich und roh und stand zu tief. Ich halte die Fundstelle für eine Gruben= oder "Höhlenwohnung" 1 ) mit unterirdischem Feuerherd, die Riesenurne für einen Vorrathstopf und die kleinen Gefäße für Küchengeräth und Hausrats. Der Fußboden der sogenannten "Höhlenwohnungen" 2 ) liegt nach vielfältigen Beobachtungen in Meklenburg, wie in den Jahrbüchern oft dargestellt ist, gewöhnlich 4 bis 5 Fuß unter der Erdoberfläche, und ungefähr eben so tief hat auch die Riesenurne in Böhmen gestanden. Die "Wilden" in Afrika pflegen noch heute ihre Vorräthe an Lebensmitteln in großen Töpfen neben ihren Hütten aufzubewahren. Ueberhaupt dienten in heidnischen Zeiten, beim Mangel modernen Mobiliars, ohne Zweifel Töpfe zur Aufbewahrung von Habseligkeiten aller Art.

Mit diesen Erfahrungen und Beobachtungen über Gruben= oder Höhlenwohnungen stimmen auch alte schriftliche Nachrichten überein. Tacitus sagt in seiner Germania 16: "Die Germanen pflegen sich unterirdische Höhlen zu graben und diese mit viel Mist (oder Rasen?) zu bedecken, zur Zuflucht im Winter und zum sichern Aufbewahrungsort für die Feldfrüchte."

Taciti Germ. cap. 16.

"Solent subterraneos specus aperire eosque multo insuper fimo onerant, suffugium hiemi et receptaculum frugibus, quia rigorem frigorum ejusmodi locis molliunt. Si quando hostis advenit, aperta populantur, abdita autem et defossa ignorantur aut eo ipso fallunt, quod quaerenda sunt."

Vergleichungen in Meklenburg.

In Meklenburg sind früher auch Riesenurnen von derselben Größe und Beschaffenheit und unter gleichen Umständen, jedoch nur selten, gefunden:

1) Zuerst zu Gr.=Medewege nahe bei Schwerin, 2 Fuß im Bauch=Durchmesser; 1847 beim Bau der Eisen=


1) Wahrscheinlich ist diese Höhlenwohnung, nach dem schwarz gefärbten Erdklumpen und Knochenbruchstücken zu urtheilen, durch Brand untergegangen.
2) Ueber Höhlen= und Grubenwohnungen in Meklenburg vgl. Jahrb. XXXIV, S. 203 flgd.
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bahn in einem Durchschnitt tief in der Erde, zerbrochen, aber in einer ganzen Seitenansicht wieder zusammengesetzt. Vgl. Jahrb. XIII, 1848, S. 378.

2) Darnach zu Satow bei Kröpelin, im Acker, ein starkes Randstück, nach dessen Schwingung die Oeffnung 1 1/2 Fuß weit gewesen ist, also ungefähr so weit, als die Oeffnung des böhmischen Gefäßes. Vgl. Jahrb. XVIII, 1853, S. 261.

3) Schon früher bei Wittenburg, 1839 beim Chaussee=Bau, Bruchstücke 3 Fuß tief in der Erde. Vergl. Jahrb. V, 1840, B, S. 64.

G. C. F. Lisch.


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Siebenbürgische Alterthümer.

Der Herr Major a. D. Baron von Nettelbladt zu Güstrow schenkte vor mehreren Jahren dem Vereine mehrere Alterthümer, welche von demselben zu Deva in Siebenbürgen gefunden sind und in Bereitungsweise den alten norddeutschen Alterthümern gleichen:

1 ganz kleinen Napf aus Thon, nach altheidnischer Weise mit Granitgrus durchknetet, aus freier Hand geformt, nur 1 1/4 Zoll (3 Centim.) hoch und weit;

1 Scherbe von einem ungewöhnlich großen und starken Vorrathstopf, 1 Zoll (2 1/2 Centim.) dick, ebenfalls mit Granitgrus oder Grand durchknetet;

1 ganz kleinen, überall geschliffenen Keil mit schräger Schneide, wie es scheint von grauem Kieselschiefer, nur 2 1/4 Zoll (5 Centim) lang und 3/4 Zoll (1 3/4 Centim.) breit.

G. C. F. Lisch.

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2. Christliches Mittelalter

und neuere Zeit.


Thürring an der Marien=Kirche zu Neubrandenburg.

Nach den Berichten des Herrn Burgemeisters Ahlers zu Neubrandenburg ist an der südlichen Thür der Marien= Kirche zu Neubrandenburg, früher an der äußeren, jetzt an der inneren Seite, ein aus Bronze (Messing?) gearbeiteter Eberkopf angebracht, welcher einen Ring im Maule trägt. Man hält diesen Kopf für das älteste "Wahrzeichen" der Stadt und hat ihn durch eine in Niederhöffer's Meklenburgischen Volkssagen I, S. 96 in dichterischer Form wiederholte sogenannte Volkssage verherrlicht, welche aber nichts weiter ist als eine Fabel neuerer Zeit. Nach dieser Sage soll ein wüthender Eber zur Zeit der Messe in die Kirche eingebrochen, aber vor dem entgegen gehaltenen Crucifix zu Boden gestürzt und zahm geworden sein.

Dieser einen Ring tragende Eberkopf ist aber eben nur ein Thürring oder Thürklopfer, wie es deren viele giebt, indem man es im Mittelalter liebte, die Thürringe an erhaben gearbeiteten Köpfen von Thieren (z. B. Löwen) und auch von Menschen, oft auch nur an gothisch durchbrochenen Scheiben zum Schmuck anzubringen.

Die Bildung des Kopfes mag Kunstwerth haben. Von sprachlichem Werth ist jedenfalls eine um den Kopf stehende Anschrift in alter sogenannter Mönchsschrift, durch welche sich der Erzgießer in stark alliterirenden plattdeutschen Reimen mit Namen kundgiebt. Diese Inschrift lautet nach Lesung des Herrn Ahlers:

Inschrift

d. h. wenn ich einen Ring im Maule habe.

Das Wort zam oder hochdeutsch sam bedeutet = wie, gleichwie.

Der Personenname ramt oder ram ist bis jetzt noch nicht bekannt.

G. C. F. Lisch.


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Kachel= Form von Wismar.

In der Stadt Wismar ward in einem Keller eine Kachelform gefunden und in das städtische Museum gegeben, und der Herr Dr. Crull schenkte dem Verein einen Gypsausguß aus der Form. Die Form, welche wie gewöhnlich die Kachelformen der Töpfer aus Thon besteht, ist die Form zu einer langen Kachel, mehr hoch als breit, 12 Zoll (29 Centim) hoch und 8 Zoll (19 Centim.) breit. Die Kachel ist eine "Bildkachel" 1 ). Sie stellt das Bild der Herzogin Anna Sophia (1555 † 1591), Gemahlin des Herzogs Johann Albrecht I. von Meklenburg († 1576) dar. Das Bild der Herzogin (en face), fast Kniestück mit beiden Armen und Händen, steht unter einem auf zwei Säulen ruhenden schönen Bogen im Renaissance=Baustyl, als sähe sie aus einem Fenster. Auf einer Brüstung unter dem Bilde steht:

ANNA . SOPHIA.
H. ZV. MEKELN.

Die Arbeit ist sehr gut und sorgfältig. Es ist die Frage, welcher Zeit die Kachel angehört. Sie wird in der letzten Zeit des Lebens der Herzogin oder nach ihrem Tode zum Andenken gemacht sein. Die Tracht ist völlig abweichend von der gewöhnlichen strenge landschaftlichen Tracht der Fürstin in den ersten Zeiten ihrer Ehe, von welcher noch mehrere Original=Bilder vorhanden sind. Die Tracht ist vielmehr freier und moderner und erinnert stark an die Tracht der Königin Elisabeth von England. Die Kachel wird also frühestens in das letzte Viertheil des 16. Jahrhunderts fallen.

Die ganze Darstellung und Architektur, sowie die ungewöhnliche Höhe der schmalen Kachel, auch die starke Umrahmung lassen vermuthen, daß sie in ihrer jetzigen Gestalt nicht zu Oefen, sondern zur Einmauerung in die Wand eines Gebäudes zum Andenken bestimmt gewesen ist, wie sich ähnliche eingemauerte Kacheln in alten Städten Norddeutschlands, z. B. in Rostock, noch finden.

Vielleicht sind aber einzelne Theile der Urform zur Benutzung zu Ofenkacheln eingerichtet gewesen. Durch die Mitte der Figur, durch den linken Ellenbogen und den Gürtel, geht nämlich eine feine Fuge, so daß die Urform,


1) Ueber Bildkacheln, besonders von Wismar, vgl. Jahrb. XXXIX, S. 172 flgd.
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vielleicht aus Holz, aus mehreren Stücken zusammengesetzt gewesen ist. Man hat also die obere Hälfte mit dem Brustbilde der Figur auch zu den herkömmlichen viereckigen Ofenkacheln benutzen können. Jedoch ist es nicht unmöglich, daß auch die ganze Kachel zu obern Abtheilungen von Oefen benutzt worden ist.

Auf der Rückseite der Form ist HW mit Bogen und eine Hausmarke eingeritzt, wahrscheinlich die Zeichen des Töpfers. Ein Töpfer mit diesen Anfangsbuchstaben seines Namens hat sich aber durch den kundigen Herrn Dr. Crull in den Papieren der Stadt nicht ermitteln lassen.

Kachelformen dieser Art sind außerordentlich selten; in Meklenburg giebt es wohl kein zweites Stück, obgleich alte Kacheln, ganz und in Bruchstücken, in großen Mengen gefunden sind.

Herr Bankier Salomon Cohn zu Lübek, ein gewiegter Münzforscher, besitzt aber zehn Stück aus gebranntem Thon, wohl erhalten, welche nach dessen Bericht im Jahre 1875 in der Stadt Lübek beim Umbau eines Hauses gefunden wurden, wo früher vermuthlich eine Töpferei gewesen ist. Die Kacheln sind, nach dem ausführlichen Berichte des Herrn Cohn, alle kleine Bildkacheln von quadratischer Form durchschnittlich ungefähr 17 Centim. (7 Zoll) im Quadrat groß. Die Kacheln enthalten theils symbolische Darstellungen, theils menschliche Brustbilder. Einige Kacheln enthalten auch historische Portraits in Brustbildern, so z. B. eine Kachel mit der Inschrift: HERZOG HANS FRIDERICH KORFVRST (von Sachsen, † 1554) und eine andere mit der Inschrift: SIBILLA (Gemahlin des Kurfürsten, † 1554), beide mit gleicher Einfassung. Die Sammlungen zu Schwerin besitzen auch glasurte Kacheln mit denselben Darstellungen und von gleicher Größe, aus der Stadt Wismar, z. B. eine fast ganz erhaltene Kachel mit einem männlichen, bärtigen Brustbilde und der Inschrift: H . IOHAN . CHVRFVR[ST] († 1532) ohne Verzierungen, gelb, weiß und dunkel= und hellblau auf gelbem Grunde malerisch glasurt. Ein Bruchstück derselben Kachel ist ganz grün. Diese Wismarsche Kachel stimmt nicht ganz mit der Lübekischen überein.

Auf der Rückseite einer Form stehen die Buchstaben F. S. zu beiden Seiten einer Hausmarke, welche von der Wismarschen abweicht.

Herr Cohn setzt die Entstehung dieser Formen in die Zeit um das Jahr 1550 und vermuthet, daß diese Kunst

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aus Wismar gekommen sei, da erweislich Baukünstler und Bildner um die Mitte des 16. Jahrhunderts von den Schloßbauten in Wismar und Schwerin nach Lübek gingen. Vorherrschend scheinen die Bilder der Fürsten aus der Zeit der Reformation, namentlich der sächsischen Fürsten, zu sein.

Herr Cohn erinnert sich bis jetzt nur im Gewerbe=Museum zu Berlin Bildkacheln dieser Art in kleiner Anzahl gesehen zu haben, unter Andern auch Kachelformen mit den Brustbildern von Johann Friedrich und Sibilla, jedoch von geringerem künstlerischen Werthe.

G. C. F. Lisch.


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Ein von Flotow'scher Koffer.

Die Frau Oberlehrer Werner zu Schwerin schenkte durch Vermittelung des Fräuleins Custodin A. Buchheim den großherzoglichen Sammlungen einen großen Koffer mit Eisenbeschlag und Malerei.

Der Koffer ist von Eichenholz mit gewölbtem Deckel, ähnlich den noch viel im Lande vorhandenen Leinenzeugkoffern aus dem vorigen Jahrhundert, jedoch etwas kleiner.

Werthvoll ist dieser Koffer durch den kunstreichen Eisenbeschlag, welcher noch Anklänge der Gothik enthält und für ein hohes Alter spricht. Hiernach wird der Koffer noch aus der Zeit vor dem dreißigjährigen Kriege, vielleicht aus dem Ende der Renaissancezeit, aus dem Ende des 16. Jahrhunderts stammen.

Auf der Vorderwand des Deckels steht über älterer Schrift übergemalt:

Sopfia Margarete von Vlotow

vielleicht auch noch 1710 jedoch nicht ganz deutlich. Dies ist also wohl die letzte Besitzerin des Koffers aus der Familie v. Flotow, aus deren Aussteuer, gewesen.

Auf der Vorderwand des Koffers stehen zwei v. Flotow'sche Wappen gemalt, welche über ältern Wappen in grünen Kränzen übergemalt sind: heraldisch rechts mit den Buchstaben P. F. V. F. und links mit den Buchstaben S. M. V. F. Alle diese Malereien sind durch die geschickten Bemühungen des Fräuleins Custodin A. Buchheim aus vielfacher Verdeckung ans Licht gebracht. Das Wappen links ist also das Wappen der Sophie Margarete Von Vlotow von Stuer, welche nach Genealogien des vorigen Jahrhunderts an Paschen Friedrich Von Flotow auf Altenhof bei Stuer

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(geb. 29. Juli 1664, gest. 9. Jan. 1727) verheirathet war. Der Koffer gehörte also zur Aussteuer zu dieser Heirath im ersten Viertheil des 18. Jahrhunderts.

Die Genealogie dieser beiden Eheleute gestaltet sich nach alten Stammbäumen also:

Stammbaum

Also ist der Koffer älter als Sophie Margarethe v. Flotow.

Da nun auch durch das übergemalte Wappen der Sophie Margarethe v. Flotow das v. Blüchersche Wappen mit zwei gekreuzten rothen Schlüsseln im weißen Schilde durchschimmert, so ist wohl nicht zu bezweifeln, daß der Koffer schon der Mutter der Sophie Margarethe v. Flotow, Katharine Sophie v. Blücher, vielleicht als Aussteuer, gehörte und von dieser durch Geschenk oder als Erbstück auf ihre Tochter überging.

Bemerkenswerth sind die beiden v. Flotow'schen Wappen auf der Vorderseite des Koffers, welche vielleicht die ältesten kolorierten Wappen der Familie sind. Das Wappen zeigt im Weißen Felde ein durchgehendes "gemeines", rechtwinkliges rothes Kreuz mit vier rothen Ringen in den Winkeln und auf dem Helme zwei in Weiß und Roth übereck geteilte, oben von einem grünen Kranze umwundene Hörner, zwischen denen ein schwarzer Vogel mit einem goldenen Ringe im

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Schnabel. Dies wird die richtige Färbung des Wappens sein.

Eben so bildet der Genealoge und Heraldiker Johann Heinrich v. Heinckhusen († 1746) in seinem im Staats=Archive aufbewahrten, aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammenden Meklenburgischen Wappenbuche das Wappen in Farben ab. Ihm folgt v. Gamm in seinen ebenfalls im Staats=Archive aufbewahrten Adels=Genealogien (1780).

Seit den Zeiten der modernen Heraldiker sind aber die Farben des Wappens verkehrt, wahrscheinlich durch Siebmacher's Wappenbuch, und zeigen im rothen Schilde ein weißes Kreuz mit goldenen Ringen. So giebt das Wappen noch Masch in seinem Mecklenburgischen Wappenbuch, 1837, und nach ihm v. Lehsten im "Adel Mecklenburgs, 1864." Diese Darstellung ist ohne Zweifel nicht richtig, da sich kein Beweis dafür beibringen läßt.

G. C. F. Lisch


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Napoleonische Wappentafeln.

Nachdem nach der unglücklichen Schlacht von Jena (14. Octbr. 1806) die französischen Truppen im November 1806 in Meklenburg eingerückt waren, nahmen am 28. Nov. 1806 die Franzosen Besitz von den Meklenburgischen Landen. In Folge dieses schweren Ereignisses wurden am 19. Decbr. 1806 die Meklenburgischen Wappen von den öffentlichen Gebäuden abgenommen und durch den französischen Adler ersetzt. 1 ) Vgl. Wedemeier, Abriß der Meklenburgischen Geschichte in Raabe Meklenburg. Vaterlandskunde II, 1863, S. 1102. Es giebt noch solche abgenommene Französische Steuer= und Zolltafeln im Lande. Dies sind hölzerne Tafeln von ungefähr 3 Fuß Höhe und 1 1/2 Fuß Breite, welche auf weißem Grunde den gelben Napoleonischen Adler unter einer gelben Krone zeigen. Das großherzogliche Amt Dömitz hat an die großherzoglichen Alterthümersammlungen zwei solche Tafeln eingeschickt, welche sich noch auf dem Hausboden des Amtes gefunden haben, von denen die eine von


1) Ich selbst bin als Knabe gegenwärtig gewesen, als eine solche Tafel über der Thür der Steuerstube zu Güstrow 1807 angebracht ward. In neuern Zeiten habe ich eine gleiche Tafel auch noch im Alterthums=Museum zu Hannover gesehen. G. C. F. Lisch.
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dem Landzoll=, die andere von dem frühern Elbzoll=Amte stammt, beide mit dem beschriebenen Napoleonischen Adler und der Unterschrift: Allhier giebt man Zoll. 1806.

Im großherzoglichen Archive wird auch eine gleiche Tafel aufbewahrt, welche mit alten Acten aus der Regierungs=Registratur dahin gekommen ist, mit der Unterschrift: Steuer-Stube.

Nach und nach wurden bald noch viele Tafeln ins Land gebracht, von denen mehrere, wohl zu Vorbildern, der noch in Andenken stehende Maler Nipperdey zu Schwerin malte. Im großherzoglichen Archive hat sich unter verworfenen Acten in neuerer Zeit noch eine Quittung gefunden über "16 Thaler N2/3 für Malen von fünf französischen Wappen, Schwerin 25. März 1807, G. H. Nipperdey."

G. C. F. Lisch.


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Kleines Glasgefäß von Viez.

Zu Viez bei Hagenow fand der Herr Lehrer Lau in loser Erde auf einer Wiese ein kleines, sonderbares Glasgefäß, welches er dem Vereine schenkte. Das Gefäß ist aus ganz dünnem, grünlichem, durchsichtigem Glase und hat die Gestalt einer ein wenig länglichen Halbkugel, welche nur 1 Zoll im Durchmesser und 5/8 Zoll Höhe hat, so daß man ungefähr die Spitze eines Fingers hineinlegen kann. Nach vorne hat das Gefäß unten 2 ganz kleine Füße, durch welche es, horizontal gelegt, ziemlich gerade stehen kann; am entgegengesetzten Rande hat es eine ganz kleine (zerbrochene) Oese, durch welche ein Faden gezogen werden kann, nicht einen Henkel. Wenn man das Gefäß senkrecht, mit der Oeffnung auf der Seite, hinstellt, so steht es auf dem Rande und den beiden Füßen ganz gut und sicher und die Oese, welche vielleicht zum Aufhängen gedient hat, sitzt dann oben. - Das kleine Gefäß ist räthselhaft. Es kann ein mittelalterliches Spielwerk, es kann aber auch römische Arbeit, vielleicht ein Salbengefäß, sein, da bekanntlich vor vielen Jahren bei Hagenow viele römische Alterthümer gefunden sind. Einstweilen läßt sich wohl nichts bestimmen.

G. C. F. Lisch.


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Pulverhorn von Krakow.

Beim Ausgraben eines Kellerraumes neben dem Wohnhause des Herrn Posthalters Busch zu Krakow ward 7 bis 8 Fuß tief neben Mauerwerk von alten starken Mauerziegeln und neben ungewöhnlich großen Dachziegeln im Jahre 1869 ein Pulverhorn aus Hirschhorn gefunden und von dem Herrn Busch dem Vereine geschenkt. Das Pulverhorn ist an einer Seite sauber in Relief geschnitzt und zeigt unter einem Bogen die ganzen Figuren eines Mannes in spanischer Tracht und einer Frau, im Style ungefähr aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Die Rückseite zeigt die natürliche Hirschhornoberfläche. Dieses Pulverhorn gleicht dem im Jahre 1849 bei Röbel gefundenen Horne; vgl. Jahrb. XIV, S. 350.

G. C. F. Lisch.

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II. Zur Baukunde.


Christliches Mittelalter.

Kirchliche Bauwerke.


Ueber den Capitelsaal des Klosters Rehna.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


In den Jahrbüchern XV, S. 287-305 und XX, S. 333 -357, sind die Kirche und das Nonnen =Kloster Rehna ausführlich und gründlich beschrieben und untersucht. Namentlich ist in den Jahrb. XX, S. 350-355 eine frei stehende, noch wohl erhaltene gewölbte Halle beschrieben, welche schließlich dort der "Capitelsaal" genannt wird. Die Halle (ähnlich einer Capelle) hatte nach ihrer ganzen Einrichtung sicher keine kirchliche Bestimmung, sondern diente ohne Zweifel zu Versammlungen des Kloster=Convents oder Kapitels; deshalb habe ich das Gebäude den Capitelsaal genannt.

Das Kloster Rehna hatte schon lange vor der Aufführung dieser Halle ein eigenes "Capitelhaus". Eine Urkunde des ganzen Kloster=Convents und des zuständigen Bischofs Volrad von Ratzeburg vom 9. September 1346 ist datirt vom Kloster Rehna im "Capitelhause" ("Datum

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et actum in claustro Rene in domo capitulari"). Vgl. Meklb. Urk.=Buch X, Nr. 6678, p. 56, wo auch von der Wohnung und dem Hofe des Propstes die Rede ist.

Der Saal steht in gleicher Flucht an dem noch stehenden bis zum Frühling des Jahres 1875 von dem wailand Herrn Oberforstmeister v. Lehsten bewohnten "Amtshause", wahrscheinlich dem alten Verwaltungshause (oder der Propstei) des ehemaligen Klosters und ward von diesem als "Wagenschauer" benutzt.

Mir war dieses Gebäude, da es neben dem modernisirten Hauptgebäude liegt und gewöhnlich verschlossen war, unbekannt geblieben und ich nahm deshalb in Jahrb. XX, S. 350 flgd., eine Beschreibung meines Freundes Masch zu Demern auf, da dieser in der Nähe wohnt, und begleitete diese Beschreibung S. 354 mit einigen urkundlichen Forschungen zur Zeitbestimmung. Am 14. October 1867 hatte ich die große Freude, in Begleitung des Herrn Oberforstmeisters v. Lehsten zu Rehna, des Herrn Archivraths Masch aus Demern, des Herrn Amtmanns von Koppelow aus Gadebusch, als zuständigen Baubeamten, und des Herrn Kirchen=Provisors Neumann zu Rehna den Saal untersuchen zu können und meine hohen Erwartungen in mancher Hinsicht übertroffen zu sehen. Der Saal hat zwar in den Jahrb. XX, S. 350 seine Beschreibung gefunden. Es ist aber zum Verständniß nöthig, die Beschreibung hier gleich nach der Besichtigung im Jahre 1867 kurz zu wiederholen.

Die Halle bildet eine Oblongum von drei Gewölben Länge und zwei Gewölben Breite; sie hat also im Ganzen sechs Gewölbe, an jeder Seite drei, welche innerhalb des Raumes von zwei Monolithen, an den Wänden und in den Ecken aber von zehn Kragsteinen oder Consolen getragen werden. Die Gewölbe sind schlank und sauber, die Rippen fein profilirt.

Was aber den Saal zu einem der ausgezeichnetsten Kunstwerke des Landes macht, ist der bildliche Schmuck, welcher ihn zieret und zu den schönsten Erzeugnissen des Mittelalters in seiner Art gerechnet werden kann. Masch hat ihn zwar andeutend beschrieben, jedoch ist er bis jetzt noch nicht klar erkannt worden, und dies ist doch zur richtigen Würdigung nothwendig.

Der Hauptschmuck liegt in den zehn Kragsteinen, welche weibliche Brustbilder als Büsten darstellen. Dies sind nämlich die fünf klugen und die fünf thörichten Jungfrauen (Ev. Matth. 25, 1 flgd.) in feinen, angemessenen

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Verzierungen und Umgebungen. Am Eingange beginnen die fünf klugen Jungfrauen von links nach rechts herum, darauf folgen die fünf thörichten Jungfrauen, so daß in den beiden schmalern Wänden in der Mitte an einem Ende eine kluge und an dem andern Ende eine thörichte Jungfrau steht. Die Jungfrauen sind alle sehr schön modellirt und tragen Lampen in den Händen, welche wie Glocken gestaltet sind, wie man es auch anderswo wohl sieht. Die klugen Jungfrauen, welche fast alle zum Schmuck Kronen auf dem Haupte haben, halten die Lampen mit der Oeffnung, aus welcher ein Docht hervorragt, gerade nach oben gekehrt. Die thörichten Jungfrauen halten die Lampen umgestürzt und erscheinen alle mit betrübten, weinerlichen Gesichtern und wankenden Kronen; einer z. B. fällt die Krone vom Haupt, andere raufen das Haar. Alle sind aber doch edel, künstlerisch und fein gebildet, ohne irgend eine Uebertreibung oder Verzerrung.

Dieser Schmuck, von dieser Seite betrachtet, ist jedenfalls vor vielen anderen Kunstwerken der höchsten Beachtung würdig.

Einen zweiten Schmuck hat die Kapelle in den sechs Schlußsteinen der Gewölbe, die mit runden Scheiben belegt sind, welche sehr schöne Reliefverzierungen tragen, theils Wappen, theils symbolische Darstellungen. Auch diese Bildwerke sind in den Jahrb. a. a. O. schon zur Sprache gekommen. Die sechs Scheiben oder Schilde tragen nachstehende Darstellungen,

1. Wappen 2. Wappen
der von Bülow der Mölenknecht.
(Priorin.) (Propst.)
3. Wappen 4. Wappen
der vom Lohe. der Dartzow.
5. Segnende  6. Christuskopf.
Hand (Gottes).

Die Wappen geben zugleich die Bauzeit an, welche zwischen 1422-1430 fällt (vgl. Jahrb. XX, S. 355). Die Darstellungen find folgende:

1. Ein Schild mit 14 Kugeln, das bekannte Wappen der v. Bülow. Adelheid v. Bülow war Priorin des Klosters 1430-1439 und wahrscheinlich schon früher, nach 1422 (vgl. Jahrb. XX, S. 356).

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2. Ein gespaltener Schild, rechts mit einem Stern, links mit einem halben Mühlrade, das Wappen der Mölenknecht. Johann Mölenknecht war 1422-1423, vor 1430, Propst des Klosters Rehna (vgl. Jahrb. XX, S. 354).

3. Ein Schild mit einem Rad. Dies ist das Wappen der adeligen Familie vom Lohe oder Loe, welche auf Scharfstorf bei Wismar wohnte und am Ende des 16. Jahrhunderts ausstarb (vgl. Lisch, Gesch. des Geschl. v. Oertzen II, S. 175 und 272). Ob die Familie sich besonders beim Bau auszeichnete, ob eine Jungfrau des Geschlechts vielleicht Unterpriorin des Klosters war, ob ein Priester vom Loe im Kloster lebte, läßt sich nicht ermitteln. Im Jahre 1439 lebte noch ein Priester Eggerd vom Loe, Bruder des Knappen Johann vom Loe auf Scharfstorf, zu Wismar und führte nichts weiter als denselben Schild im Siegel.

4. Ein Schild mit einem geschachten Andreaskreuz mit einem bärtigen Menschenkopf im obern Winkel, das Wappen der lübeker Patricierfamilie von Dartzow oder Dertzow, welche auch zur Wölbung des Schiffes der Kirche seit 1430 beisteuerte und daher ihr Wappen auch auf die Kragsteine der Kirche setzte (vgl. Jahrb. XV, S. 292 flgd.)

5. Im Kreise eine segnende Hand (Gottes, Gott bedeutend), welche auch sonst oft vorkommt.

6. Im Kreise ein Christuskopf in flachem Relief, höchst ausgezeichnet und vielleicht das schönste Werk in dem ganzen Saale, welches hoher Beachtung werth ist.

Durch die also sicher erforschte Bauzeit erhalten die Kunstwerke einen noch größeren Werth.

Außerdem ist die Kapelle auf den Wänden und auch wohl in den Gewölben noch auf weißer Kalktünche bemalt gewesen, jedoch läßt sich dies ohne Entfernung der wohl schwer abzunehmenden Kalktünche nicht beurtheilen. Rankenwerk ist hin wieder bloß gelegt.

Auf meinen konservatorischen Antrag vom 25. Mai 1875 hat die hohe Kammer in den Jahren 1875 und 1876 umfassende und gründliche Veranstaltungen zur Conservirung des Capitelsaales und Restaurirung desselben und des anstoßenden Kreuzganges getroffen, den Capitelsaal dem wirthschaftlichen Gebrauche entzogen und zu einem später sich ergebenden höhern Bedürfnisse zur Verfügung gestellt.


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Zur Baugeschichte des Schweriner Domes.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


Im Rathsarchive der Stadt Wismar ward nachfolgendes Schreiben der Meklenburgischen Herzoge vom 25. August 1484 gefunden und von dem Herrn Dr. Crull zu Wismar dem Vereine in Abschrift mitgetheilt. In diesem Schreiben ersuchen die Herzoge Magnus und Balthasar (1480-1503) den Rath der Stadt Wismar, den Vorstehern der Domkirche zu Schwerin den Ankauf einer Schiffsladung ungebrannten Kalkes zum Bau der Domkirche, "to hulpe der buwete der kerken", zu gestatten.

Es ist die Frage, was unter Bau (buwete) zu verstehen ist; da das Domkirchengebäude im Jahre 1375 vollendet ward. Das Wort "Bau" kann im Allgemeinen Bauverwaltung oder Bauamt bezeichnen, was in lateinischer Sprache durch "structura" ausgedrückt ward. Am 31. October 1307 bestimmten die Grafen Gunzelin und Heinrich von Schwerin ein Drittheil der Geldstrafen für Gewaltthätigkeiten und Verbrechen auf dem kirchlichen Gebiete Schwerins zum Bau ("structura") der Kirche. Vgl. Meklenb. Urkunden=Buch V, Nr. 3193. Die großen Kirchenverwaltungen hatten immer Baumaterialien in Vorrath. Noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts war in der Schweriner Domverwaltung ein "Structuarius", der sich freilich gerne nur damit beschäftigte, von Zeit zu Zeit, namentlich für "Festlichkeiten", die Sockel, Dienste und Gewölberippen der ausgeweißten Kirche mit Kienruß in Branntwein überstreichen zu lassen.

Das herzogliche Schreiben lautet folgendermaßen:

Die Herzoge Magnus und Balthasar von Meklenburg ersuchen den Rath der Stadt Wismar, den Vorstehern der Domkirche zu Schwerin den Ankauf einer Schiffsladung ungebrannten Kalkes zum Bau der Domkirche in der Stadt Wismar zu gestatten.
D. d. Schwerin, 1484. Aug. 25.

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Magnus vnde Balltzar, gebrudere, von gots gnaden hertogen to Mekelenborg, fursten to Wenden, grauen to Zwerin, Rosztock vnde Stargarde etc. der lande herenn.

Vnnszenn gunst vnde guden willen. Erszamenn vnde wiszen, huen getruwen. Alszo wy jw ermals gebeden hebben, to nottorft vnnszer domkerken to Zwerin mochten vorgunnen, binnen juwer stadt vngebrenden kalk to kopende, bogeren wy noch van jw, den vorstenderenn vnnszer domkerken to Zwerin willen gunnen to kopende eyn schipp vull kalkes to hullpe der buwete der kerken. Dar werden gy dat Ion von gade entfangen vnnde wy sindt des willig gunsthken to erkennende. Datum Zwerin, amme Middeweken na Bartolomei, vnnder vnnszeme ingesegel, anno etc. lxxxiiij to .

Denn erszamenn vnnszenn liuenn getruwen borgermeisteren vnnde radtmannen vnnszer stadt Wisszmer.

Auf Papier im Wismarschen Raths=Archive.

Dieses Schreiben kann aber auch vielleicht auf einen bestimmten Bautheil am Dome zielen. Das Kirchengebäude war zur Zeit des Schreibens schon hundert Jahre fertig.

Es kann also nur, wenn unter Bau ein Neubau verstanden wird, der Kreuzgang gemeint sein. Von dem Kreuzgange war aber nur der östliche Flügel, das Refectorium, jetzt Schulgebäude fertig, welches nach der Bau=Inschrift 1392 gebaut ist. Es könnte hier nur der lange, nördliche Flügel, durch welchen eine Straße geht, gemeint sein. Der Bau dieses Flügels ward im Jahre 1463 unter dem Bischofe Werner (1458-1475) angefangen und unter dem Bischofe Conrad Loste (1483-1504) vollendet, wie dessen an der Nordseite des Flügels eingemauertes, großes steinernes Wappen bezeugt. Vgl. Jahrb. XIII, S. 158. Das herzogliche Schreiben fällt also gerade in die Zeit der Erbauung des größten Theiles des Kreuzganges, welcher allerdings für eine so späte Zeit ein ungewöhnlich gutes Bauwerk des gothischen Baustyls ist.

Von großer Wichtigkeit für die Baukunde ist in dem herzoglichen Schreiben die Nachricht, daß ungebrannter Kalk eingeführt ward. Im Mittelalter wurden nur ungebrannte Kalksteine eingeführt und jeder große Bau hatte eine eigene

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Kalkbrennerei. Vgl. Jahrb. XV, S. 327. Der Schweriner Dom hatte schon früh einen Kalkofen. Vgl. Jahrb. XVI, S. 182.


Aehnlichen Inhalt hat das im Folgenden mitgetheilte Schreiben, welches ich vor sieben Jahren im Schweriner Archive unter verworfenen Papieren im halb vermoderten Zustande durch Zufall gefunden habe. Am 20. Mai 1497 bittet Hans Bevernest, wahrscheinlich ein adeliger Hofdiener, den Herzog Magnus, die 30 Last ungebrannten Kalkes, welche für den Herzog in Wismar lagern und dort im Wege liegen, abholen zu lassen.

Hans Bevernest bittet den Herzog Magnus von Meklenburg, die 30 Last ungebrannten Kalkes, welche für den Herzog zu Wismar lagern, abholen zu lassen.
                                 D. d. Wismar, 1497. Mai 20.

Irluchtige, hoegeborne furste. Myne vnderdanigenn, willigen, vorplichtigen dinsth sint Juwen furstliken gnaden nu vnnd to allen tiiden voran bereith. Gnedige leue here. Szodan beuele my Juwe furstlike gnade beuole to weruende an den [R]ath tor Wiszmer von behaluen desz kalkes, szo hefft Juwe gnade dar liggen XXX teste kalkes vngebrenth vnnd licht eme in dem wege. Szo moth Juwe furstlike gnade dar by schicken, wente szodan kalk moth man wegen. Izo moten fort von stunth szodan wagen sin vnnd laden den kalk von der wacht na der munth. Ock moth eyn by den wagen szyn, de dar to nyt, wente id is stein, de bure laten ene liggen, wenner er von dem wagen fallet. Got [welle Juwe] furstlike gnade fristen vnnd sparen sunnth vnnd gluckselig to langen [i]aren. Datum Wiszmar in Juwer furstliken. [gnaden] [houest]at, amme auende Trinitatis, Anno XCVII.

[Juwer furstliken gnaden] arme dener

Hans Beuernesth.

Dem Irluchtigen Hoegebornnen fursten vnnd herenn heren Magnus hertogen to Megkelnborg, fursten to Wenden, greuen to Szwerin, Rostock vnnd Stargarde etc. der lande here, mynem gnedigen leuen heren dinstliken geschreuen.

Nach dem sehr stark Vermoderten und schwer zu lesenden Original im Geh. und Haupt=Archive zu Schwerin. Das runde Siegel enthält einen Schild mit einem gestümmelten Baumast; umher liegt ein Band mit der Umschrift:

Umschrift

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Hans Bevernest gehörte zu der Märkischen Adelsfamilie, welche seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch in Meklenburg ansässig ward. Hans war "von seiner Jugend an" bei dem Herzoge Heinrich IV. († 1477) und darauf bei dessen Söhnen Magnus und Balthasar in "Dienst" gewesen. Am 11. November 1483 wohnte er zu Santow bei Grevesmühlen und besiegelte, "Hans Beuernest to Santkow", als Zeuge bei Mathias v. Schönfeld auf Schönfeld, welcher auch Santow besaß und dessen Geschlecht im Anfange des 16. Jahrhunderts ausstarb, eine Urkunde mit demselben Siegel, mit welchem der vorstehende Brief versiegelt ist. Er wird also wohl einen Dienst auf dem Amte Grevesmühlen oder auf dem Fürstenhofe zu Wismar gehabt haben. Am 27. September 1489 schenkten die Herzoge ihm zur Belohnung seiner Dienste die Eventual=Belehung mit den Gütern des Geschlechts Holtebütel, welches bald darnach ausstarb. Dadurch gelangte Hans Bevernest in den Besitz des Gutes Golm im Stargardischen Vgl. Jahrb. XXIII, S. 52 und 251. Hans Bevernest starb vor dem Jahre 1519.

Das Wort "munth" ist außerordentlich undeutlich geschrieben. Ich kann jedoch, wie es den Anschein hat, nicht hunth lesen, sondern nur "munth".

Das Wort "mund" bedeutet: "Mündung des Brennofens" und den "Brennofen" selbst. So z. B. führt Frisch in seinem Teutschen Wörterbuch auf: "Ofen=Munt: Mündung eines Backofens". Schon im 14. Jahrhundert kommen "munt kalk" zum Brennen vor, z. B. 1344, April 23, im Wismarschen Zeugebuche, wo in einer Eintragung von Holzlieferungen zum Ziegel= und Kalkbrennen die Rede ist: "ad quamlibet fornacem duo mund cimenti" und "pro quolibet mund"; vgl. Meklenb. Urk.=Buch IX, Nr. 6407, S. 552, Vgl. Nr. 6517, S. 651.

Möglich ist es, daß diese Kalksteine noch Ueberreste von der Schiffsladung waren, welche der Herzog 1484 in Wismar zum Schweriner Dombau ankaufen lassen wollte. Möglich ist es aber auch, daß sie zu den Schweriner Schloßbauten bestimmt waren, welche der Herzog Magnus (1477 † 1522) am Ende des 15. Jahrhunderts ausführen ließ. Vgl Jahrb. V, S. 23 und 41.


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Kirche zu Teterow.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


Nachdem die allerdings nothwendige Restauration der Kirche zu Teterow im Jahre 1870 beschlossen ist 1 ), habe ich Veranlassung genommen, die Kunstwerke derselben wiederholt genauer zu untersuchen und theile ich in Fortsetzung meines Berichts in Jahrb. XII, S. 464 im Folgenden meine Forschungen mit.

1.
Der Hochaltar.

Der Altar der Kirche zu Teterow ist eines der schönsten, edelsten und ältesten kirchlichen Kunstwerke in seiner Art und überhaupt im Lande und noch recht gut erhalten. Alle Figuren und sonstiges Schnitzwerk ist edel und einfach und im reinen gothischen Style gehalten. Das Kunstwerk wird in der frühen Zeit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wahrscheinlich unter dem Pfarrer Gerhard Vogelsang, 1360 -1380 (vgl. unten) ausgeführt sein, und darnach ist der Altar zugleich auch einer der ältesten im Lande. Der Teterower Altar gleicht außerordentlich dem ungewöhnlich großartigen Hochaltar, welcher im vorigen Jahrhundert aus der Jacobi=Kirche zu Lübek an die ausgebrannte Kirche zu Neustadt geschenkt, hier verworfen und schon seit vielen Jahren im großherzoglichen Antiquarium zu Schwerin aufgestellt ist; dieser Altar gehört ebenfalls der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an. Möglich ist es, daß beide Altäre Werke desselben Künstlers sind, nur daß der Teterower Altar nach den Verhältnissen der Kirche kleiner ist.

Der Altar von Teterow ist ein Doppelflügelaltar, in der vordem Ansicht mit geschnitzten und vergoldeten und bemalten Figuren, auf den Rückwänden mit Gemälden geschmückt.

In der Vorderansicht enthält die Mitteltafel in der Mitte Christus und Maria, beide Figuren sitzend (die


1) Die Restauration und theilweise Erweiterung und Veränderung der Kirche soll jetzt, 1877, in Angriff genommen werden.
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"Krönung Mariä"). Zu jeder Seite stehen unter Baldachinen 3 Apostel in ganzen Figuren. Jeder Flügel enthält auch 3 Apostel und an jedem Ende eine Heiligenfigur, zur Rechten eine apostelähnliche Figur (vielleicht Paulus) mit einem geschlossenen Buche im Arme, zur Linken die Figur eines Diakons (vielleicht Stephanus) mit einem offenen Buche in der Hand, beide ohne weitere Attribute. Die ganze Darstellung ist also eine durchaus würdige und altkirchliche. Die Apostelfiguren sind gegen 3 Fuß hoch.

Unter dieser großen Darstellung ist eine Reihe von kleinen Heiligenbildern, in Brustbildern oder halben Figuren von 1 Fuß Höhe, welche theils mit der Geschichte Christi, theils mit der Geschichte der christlichen Kirche, auch mit den besonderen Heiligen der Teterower Kirche zusammenhangen. Die Reihe dieser Figuren, welche keine Baldachine über sich haben, tritt in der Erscheinung als untergeordnet gegen die große obere Reihe zurück.

Unter der Mitteltafel stehen 9, unter jedem Flügel 4 Figuren.

Diese Figuren sind in der Ansicht von links nach rechts folgende:

im Flügel zur Rechten:

1) der H. Nicolaus, Bischof mit dem Bischofsstabe in der linken Hand und einem Brot im rechten Arm;

2) der H. Otto 1 ), Bischof mit dem Bischofsstabe in der linken Hand und segnend mit der rechten Hand, sonst ohne Attribut;

3) der H. Erasmus (?), Nothhelfer mit dem Bischofsstabe in der rechten Hand, über dem linken Arme die Manipel;

4) der H. Mauritius in schwarzer Hautfarbe, mit einer Fahnenlanze in der Hand und Schild und Schwert zur Seite;

in der Mitteltafel:

5) der H. Georg, Nothhelfer, ein Jüngling in Rittertracht, der einem Drachen ein Schwert in den Rachen stößt;


1) Die Bestätigung einer Teterow'schen Vikarienstiftung durch den Caminer Bischof Friedrich ist zu Demmin 1331 an der Octave des Heiligen Otto Bischofs datirt. Der Heilige Otto von Bamberg, der Apostel Pommerns, ist zwar ein besonderer Heiliger Pommerns: aber Teterow gehörte zum Bisthume Camin und daher mag der Tag des Heil. Otto mit besonderer Rücksicht auf Teterow gewählt sein.
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6) der H. Laurentius 1 ), ein Diakon mit einem Rost in der Hand;

7) der H. Johannes der Täufer, mit dem Lamm auf einem Buche;

8) der H. Michael, ein Engel mit Flügeln, der ein Schwert schwingt gegen einen Teufel zu seinen Füßen;

9) die H. Anna mit Maria und dem Christkinde zur Seite ("Sanct Anna selbdritte"), in der Mitte der ganzen Reihe gerade unter Maria und Christus;

10) die H. Maria Magdalena 2 ), mit Lockenhaar und mit einer Salbenbüchse in der Hand;

11) die H. Katharina 3 ), Nothhelferin und Braut Christi, gekrönte Jungfrau, mit Schwert und Rad;

12) die H. Margaretha, Nothhelferin, gekrönte Jungfrau, mit einem Drachen auf dem linken Arm und einem Kreuz in der rechten Hand;

13) die H. Dorothea, gekrönte Jungfrau, mit einem Korbe mit Blumen und einem Rosenzweig in der Hand;

im Flügel zur Linken:

14) die H. Barbara, Nothhelferin, gekrönte Jungfrau, mit einem Thurm neben sich;

15) die H. Gertrud, Frau im Kopftuch, mit einem Hospitalmodell im Arme;

16) die H. Christine, gekrönte Jungfrau, mit einem Palmzweig in der rechten und einem offenen Buche in der linken Hand;

17) die H. Elisabeth, Frau im Kopftuche, mit einem Teller mit 2 Fischen in der rechten und einem Brot (?) in der linken Hand.

Die Rückseiten enthalten auf den Flügeln Gemälde aus dem Leben Christi. Jeder Flügel ist vierfach getheilt, so daß im Ganzen 16 Gemälde vorhanden sind. Nach der


1) In der Kirche zu Teterow war auch ein Altar des Heil. Laurentius, welcher im Jahre 1380 Von dem Pfarrer Gerhard Vogelsang gestiftet war.
2) Die Kirche hatte auch einen Altar Maria Magdalenä.
3) Auch ein Altar S. Katharinä war in der Kirche.
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Zeitfolge laufen die Gemälde durch die ganze Breite in zwei Reihen. Die Gemälde sind recht gut und ziemlich gut erhalten und noch zu restauriren. Die Gemälde sind in der Aufeinanderfolge folgende:

 1) Christi Einzug in Jerusalem;
 2) Christi Abendmahl;


 3) Christi Gebet am Oelberge;
 4) Christi Verrath (Judaskuß);


 5) Christi Verspottung;
 6) Christus vor Pilatus;


 7) Christi Geißelung;
 8) Christi Dornenkrönung;


 9) Christi Darstellung (Ecce homo);
10) Pilatus wäscht sich die Hände;


11) Christi Kreuztragung;
12) Christus wird ans Kreuz geschlagen;


13) Christi Kreuzigung;
14) Christi Grablegung;


15) Christi Auferstehung;
16) Christi Himmelfahrt.


Die Predelle ist jetzt ein dunkel angestrichenes Brett. Es ist aber möglich, daß unter diesem Brett noch der alte Predellenschmuck steckt, wie dies im Lande oft vorkommt, welcher auch zu erhalten wäre. Jedoch läßt sich dies erst nach Abnahme des Altars beurtheilen und untersuchen.

Ueber dem Altare steht jetzt ein großes Crucifix mit den Bildsäulen der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes, welches früher ohne Zweifel im oder am Triumphbogen gestanden hat. Das Crucifix ist alt und gut; das Kreuz ist an den vier Enden mit den vier Evangelisten=Symbolen, die Ränder sind mit großen Blättern besetzt. Die Figuren der Maria und des Johannes sind von geringerem Werthe und vielleicht aus jüngeren Zeiten.

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Nebenaltäre
der Kirche zu Teterow.

Nach dem Visitations=Protocoll vom Jahre 1552 wurden "noch elf Altäre zu dem hohen Altare" in der Kirche gefunden:

 1) Altar des Heil. Kreuzes;
 2) Altar S. Petri mit S. Annä=Commende;
 3) Altar S. Katharina;
 4) Altar S. Laurentii;
 5) Altar S. Magdalenä;
 6) Altar S. Andreä und Johannis Ev.;
 7) Altar in der Marienkapelle im Thurm;
 8) Altar S. Bartholomäi;
 9) Altar S. Jacobi;
10) Altar S. Maria (Frühmessen=Altar);
11) Altar der H. Drei Könige.

Der Marien=Altar.

Von allen diesen Nebenaltären ist noch einer erhalten, welcher jetzt an der Ostwand des südlichen Seitenschiffes angebracht ist. Er enthält Maria in der Sonne und vier Heilige. Dies ist ein kleiner Flügelaltar von unbedeutendem Werthe. Wahrscheinlich ist dies der "Altar aus der Marienkapelle im Thurm".

2.
Der Leichenstein

des
Pfarrers Gerhard Vogelsang.

Vor dem Altare liegt ein alter Leichenstein auf dem Grabe des Pfarrers Gerhard Vogelsang, † 1380, welcher an und für sich gut und dadurch von Werth ist, daß er das Andenken einer der wenigen geschichtlichen Persönlichkeiten aufbewahrt, welche Teterow überhaupt aufzuweisen hat.

1) Der Leichenstein (vgl. Jahrb. XII, S. 464) enthält das Bild eines den Kelch weihenden Priesters unter einem gotischen Baldachin. In den vier Ecken des Steines stehen die vier Evangelisten=Symbole, zu den Füßen der Figur lehnt ein Schild mit einem Vogel. Die Inschrift lautet:

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Inschrift

Der Pfarrer Gerhard Vogelsang starb also entweder im Jahre 1380 oder nicht lange darauf. Hinter der Jahreszahl ist eine Lücke zur Eintragung der nähern Zeitbestimmung frei gelassen. Wahrscheinlich hat Vogelsang in der Erkenntniß seines nahen Todes sich selbst sein Grab erwählt und selbst den Stein legen lassen; es ist aber nach seinem Tode versäumt worden, den Tag einzumeißeln.

Der Pfarrer Gerhard Vogelsang war in vielfacher Hinsicht ein Wohlthäter der Kirche.

2) In der Erwartung seines nahen Todes stiftete er nach der Original Urkunde im Geheimen und Haupt=Archive einen Altar zu Ehren Gottes, der Jungfrau Maria, des H. Laurentius und der H. Katharina ("hujus altaris primus fundator"), welchen der Caminer Weihbischof am S. Georgentage (23. April) 1380 weihete. Es ist möglich, daß die Kirche noch heute Hebungen aus dieser Stiftung besitzt.

3) Noch heute besitzt die Kirche als ein Geschenk von Gerhard Vogelsang einen schönen Kelch (vgl. Jahrb. XXI, S. 287), mit der Inschrift:

Inschrift

und auf den sechs Knäufen des Griffes mit den Buchstaben:

Inschrift

4) Höchst wahrscheinlich ist es, daß, wenn Gerhard Vogelsang lange im Amte war, durch ihn auch der schöne Hochaltar geschenkt oder besorgt ist, weshalb er denn auch wohl vor diesem Altare begraben ist. Er wird 1360-1380 Pfarrer gewesen sein und diese Zeit stimmt ganz zu dem Kunststyle des Altars. Vogelsangs wahrscheinlicher Vorgänger war Johann Sternberg, welcher 1359 sein Testament machte (vgl. Jahrb. XXIV, S. 46). Dieser war zugleich Domherr zu Güstrow, wo er auch gewohnt zu haben scheint, und hielt in Teterow wahrscheinlich einen Vikar. Die Pfarre zu Teterow war später der Pfarre zu Malchin und einer Domherrnstelle zu Güstrow incorporirt (vgl. Jahrb. XIL, S. 16 flgd.

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5) Der Leichenstein hat außerdem einen besondern, wenn auch nur negativ geschichtlichen Werth, indem er seit dem Anfange des 17. Jahrhunderts in der Stadt Teterow die Veranlassung zu einer Sage geworden ist, welche man erst in den allerneuesten Zeiten aufzugeben angefangen hat. Die Stadt Teterow führte früher und jetzt wieder im Siegel den Helm des Wappens ihrer ehemaligen Landesherren und Gründer, der Fürsten von Werte: einen vorwärts gekehrten Stülphelm und auf demselben zwei gekreuzte Pfauenfedern. Im 16. und 17. Jahrhundert erkannte man aber den Helm nicht mehr als solchen und stellte nach Verlust der alten Siegelstempel statt des Helmes ein einem Blumentopf ähnliches Geräth dar und statt der zwei Pfauenfedern drei Rosenzweige (vgl. Jahrb. XXI, S. 65). Hierauf ward, wahrscheinlich erst von einem Stadtschreiber im Anfange des 17. Jahrhunderts folgende Sage gemacht. Ein Ritter von Vogelsang sei General des Herzogs Heinrich des Löwen von Braunschweig gewesen und habe für diesen die Schlacht bei Demmin (Verchen 1164) gewonnen. Zum belohnenden Zeichen habe der Herzog ihm drei Rosen an den Helm gesteckt, worauf dieser dann die Stadt Teterow gegründet und derselben die Rosen im Siegel verliehen habe. - Der Pfarrer Gerhard Vogelsang hatte seinen Namen wohl von dem nahen Landgute Vogelsang und gehörte nicht zu der vorpommerschen adeligen Familie von Vogelsang, welche ein ganz anderes Wappen führt. Das Wappen Gerhard's ist sicher ein redendes Wappen einer bürgerlichen Familie. In Meklenburg lebte keine einheimische adelige Familie v. Vogelsang.


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Die
S. Marienkirche auf der Neustadt Parchim.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.



Nachträge zu Jahrb. XXXIII, S. 164.


Erster Nachtrag


In den Jahrbüchern XXXIII, 1868, S. 164 flgd. habe ich durch die bischöfliche Urkunde nachgewiesen, daß die S. Marien= Kirche auf der Neustadt Parchim am 19. Juni 1278 eingeweihet ist. Der noch stark romanisirende Bau, so wie er jetzt äußerlich erscheint, stammt also aus diesem Jahre, mit Ausnahme des jungem weiten Anbaues an der Nordseite. Im Innern deuten aber viele Spuren darauf hin, daß in dem Bau von 1278 ein noch älterer Bau steckt; namentlich sprechen die beiden starken Halbsäulen mit Würfelkapitälern am Triumphbogen stark für eine ältere Zeit.

Im Jahre 1869 fiel von den Gewölben des Chores über dem Altare Kalkputz herunter, und so ward man auf den Zustand der Gewölbe aufmerksam. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, daß die Wände ausgewichen und die Gewölbe dadurch baufällig geworden waren. Es mußte daher der Chor sogleich abgesperrt werden, und es wurden sogleich zwei starke Pfeiler an den beiden äußern Ostecken des Chors aufgeführt. Als man nach Vollendung derselben im Innern an die Ausbesserung und Sicherung der Gewölbe und Wände ging, entdeckte man unter der jungen Kalktünche alte Wandmalereien, und legte die Wände so viel als möglich frei. Leider ließ sich nicht viel mehr erkennen. Im September 1869 nahm ich persönlich eine Untersuchung vor und fand den erwarteten alten Zustand. Alle drei Wände sind ganz mit Gemälden bedeckt. Diese bestehen aus lebensgroßen Figuren unter Baldachinen. Ich konnte in der Höhe zwei Reihen über einander erkennen. An der Nordwand war noch ein alter, bärtiger Mann zu erkennen, mit einem langen Dolchmesser in der Hand: also der Opferversuch Abrahams. An der Südwand hatte eine Figur

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ein Spruchband in der Hand, auf welcher deutlich die Buchstaben Spruchband zu erkennen waren. Dies wird also eine Darstellung des Apostels Paulus gewesen sein, nach Apostel=Geschichte 9,4: "Saul, Saul, was verfolgest Du mich". Nach den ganz alten Schriftzügen auf diesem Spruchbande gehörte die Malerei dem Ende des 13. Jahrhunderts an, und ist sicher älter als 1350, stammt also aus der Zeit der Vollendung der Kirche. Leider ließ sich nichts erhalten.

Diese Malereien sind denen sehr ähnlich, welche im Dome zu Schwerin auf den Pfeilern hinter dem Hochaltare, der Heiligen=Bluts=Kapelle gegenüber, stehen und noch ziemlich erhalten sind. Auch diese werden ungefähr aus jener Zeit stammen.

Nach diesem Beispiele so wie aus sehr vielen andern, wird es immer sicherer, daß im Lande fast alle, sicher die meisten Kirchen des romanischen und des Uebergangs=Styls bis in die altgothische Bau=Periode hinein mit Kunstmalereien geschmückt waren.

Mit dieser Kirchweih mag der Sommer=Jahrmarkt auf der Neustadt Parchim am 17. Juli zusammenhangen, welcher also die Kirmeß sein würde. Freilich scheint der Monat jetzt verschoben zu sein.

Zweiter Nachtrag.

In den neuesten Zeiten ist eine Entdeckung gemacht, welche die vorstehenden und früher mitgetheilten Forschungen zu bestätigen scheint. Im Jahre 1876 entdeckte Herr Advocat Kahle zu Parchim, Provisor der S. Marien=Kirche auf der Neustadt, in einer alten Kiste im Kirchenarchiv eine zusammen gefaltete kleine Pergament=Urkunde. Diese in der Anlage mitgetheilte Urkunde ist ein Ablaßbrief des Schweriner Bischofs Hermann für die S. Marien=Kirche vom Jahre 1277. Der Bischof Hermann, ertheilt hierdurch allen Gläubigen, welche die Marien=Kirche auf der Neustadt Parchim am Tage der Kirchweihe (in anniversario dedicationis) jährlich in Andacht besuchen, den ungewöhnlichen Ablaß auf ein Jahr. Da nach der in Jahrb. XXXIII, S. 165 mitgetheilten Urkunde die Einweihung (consecratio) der jetzt noch stehenden fertigen Kirche am 19. Juni 1278 vollzogen war, so wird unter der durch die neu entdeckte Urkunde vom Jahre 1277 beglaubigten Einweihung oder Widmung (dedicatio) wohl eine ältere oder vielmehr die erste Gründungs=Weihung der Kirche zu verstehen sein.

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Möglich ist es freilich, daß der Bischof im Jahre 1277 in Voraussicht des nahe bevorstehenden Ausbaues den Ablaß ertheilt hat. Aber die Urkunde beweist doch klar, daß schon vor dem Jahre 1278 eine Marien=Kirche auf der Neustadt stand. Die ermittelten Reste eines alten Baues werden also viel älter sein, als 1277.

Anlage.
-----------

Hermann, Bischof von Schwerin, verkündigt allen Gläubigen, welche die Marien=Kirche in der Neustadt Parchim am Jahrestage der Kirchweihe jährlich zur Andacht besuchen, Ablaß auf ein Jahr.
                              D. d. 1277.

Hermannus dei gracia episcopus Cwerinensis vniuersis Christi fidelibus salutem in domino. Splendor paterne glorie, qui sua mundum illuminat ineffabili claritate, pia uota fidelium de clementissima ipsius maiestate sperancium tunc primum benigno fauore prosequitur, cum ipsorum deuota humilitas sanctorum meritis et precibus adiuuatur. Cupientes igitur, ut ecclesia sancte dei genitricis et virginis Marie Noue Ciuitatis de Parchem in anniuersario dedicacionis eius die ab omnibus Christi fidelibus congrua deuocione frequentetur et eis ibidem crescat assecucio beneficii specialis, nos de omnipotentis dei misericordia confisi omnibus vere penitentibus, qui eandem ecclesiam in dicto die congruis honoribus frequentauerint annuatim, vnum annum de iniuncta eis penitencia misericorditer relaxamus. Datum anno domini Datum LXXVH°.

Nach dem Original auf einem schmalen Pergamenistreifen in einer kleinen, gedrängten Minuskel im Archive der Marienkirche zu Parchim, von dem Herrn Advocaten Kahle zu Parchim, Provisor der Kirche, im Archive in einer alten Kiste vereinzelt gefunden und zur Abschrift mitgetheilt. Ein aus der Charte geschnitten gewesener schmaler Pergamentstreifen zur Anhängung eines Siegels ist abgeriffen. - Wahrscheinlich ward dieser Ablaß während des Ausbaues der jetzt noch stehenden Kirche gegeben, da die fertige Kirche erst am 19. Junii 1278 eingeweihet ward; vgl. Lisch in Jahrb. XXXIII, S. 164 flgd. Die vorstehende Urkunde ist auch schon 1876 vorweg gedruckt in Meklb. Urk.=Buch Bd. X, Nr. 7197. - (Ueber römische große Ablaßbriefe für die S. Georgen=Kirche zu Parchim vgl. (Cordes) Cleemann Chronik von Parchim S. 20.) -

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Dritter Nachtrag.

Der Altarschrein der S. Marien-Kirche zu Parchim

und

Die Jagd des Einhorns.

In Folge der Beschreibung kirchlicher Werke in den Jahrb. XXXIII, 1868, hat der seitdem verstorbene Pastor Koch an der S. Marien=Kirche zu Parchim 1868 einen von ihm früher gehaltenen Vortrag über den Altar dieser Kirche zur Ansicht und Benutzung mitgetheilt, welchem wir auszugsweise die unten folgende Beschreibung entnehmen. Der Altar ist ein reicher, sinnreicher Doppelflügelaltar. Auf den innern Flügeln ist in Malerei auch die "Jagd auf das Einhorn" dargestellt.

"Auf der Tafel zur Linken steht rings von Waldung und blauen Bergen umgeben die kräftige Gestalt eines Engels mit ausgebreiteten bunten Flügeln und einem wehenden rothen Mantel. In seiner Rechten hält er einen Speer und in der Linken ein langes, gebogenes goldenes Horn, das er mit vollen Backen bläst. Darüber liest man auf einem aufgerollten Bande die Worte: "Ave Maria, gratia plena, dominus tecum." Vor ihm weg springen drei schlanke Hunde von rother, schwarzer und weißer Farbe, und über ihnen flattern wieder drei Bänder mit den Worten: Spes, fides, caritas. Nun erhebt sich vor ihnen ein hohes Brettergehege, in brauner Farbe, oben im Zickzack ausgeschnitten, und zieht sich um einen grünen blumigen Hügel (Garten). Man sieht eine verschlossene Thür. Auf der Mitte des Hügels sitzt die heilige Jungfrau. Mit beiden Händen umfaßt sie die Vorderfüße eines schlanken, weißen Einhorns, das sich vor ihr erhebt und sich umsieht, als horche es auf den Klang des Horns und auf die heranspringenden Hunde. Links steht ein rother, vorn geöffneter Altar nach alter Weise, zu dem Stufen hinaufführen. Ein leinenes Tuch mit goldener Borte ist darüber gebreitet und darauf stehen 12 Lichter, davon das mittelste sich oben in drei Rosen theilt (die grünende Ruthe Aarons). Daneben auf der Erde liegt der Laib eines weißen Brotes. Auf der andern Seite dagegen steht ein Brunnen mit drei Röhren, aus denen Wasser in ein Kübel fließt, aus welchem es dann wieder hervorquillt. Vor dem Brunnen steht ein goldener Eimer mit schwarzen Bändern. Hinter dem Brunnen sieht man meinem grünen

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Busch Gott den Vater. Am Fuße des Busches taucht die goldene Sonne aus mit einem Gesicht darin, dessen große Augen eben noch sichtbar werden. Strahlen gehen von ihr aus."

Dieses Altarbild gleicht also ganz der Darstellung auf dem Altare in der Kirche zu Lübbersdorf bei Friedland, welche in Jahrbüchern XXXIII, 1868, S. 169 flgd. genau beschrieben und beurtheilt ist.


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Die Kirche zu Granzin,

Amts Lübz, war ein ganz kleines, oblonges Gebäude, mit dreiseitigem Chorschluß, unregelmäßig aus Feldsteinen und Ziegeln aufgeführt, ohne Thurm und Anbauten, ohne allen künstlerischen und geschichtlichen Werth und Schmuck, ungefähr gegen das Ende des 15. Jahrhunderts gebaut, wahrscheinlich im Jahre 1486, da die Glocke diese Jahreszahl hat. Die Pforten und Fenster waren ohne künstlerische Gliederungen aus gewöhnlichen Backsteinen aufgeführt und hatten keine andern Profilirungen, als die rechtwinkligen des Backsteins. Gewölbe waren beabsichtigt, aber nicht zur Ausführung gekommen, und die Bretterdecke war verfallen. Da nun die Kirche für die Gemeinde viel zu klein, und dazu noch baufällig und werthlos war, so ward der Bau einer neuen Kirche beschlossen und die alte Kirche abgebrochen. Beim Abbruche der Kirche fand sich in den Fundamenten nirgends ein als solcher bezeichneter Grundstein, da der Herr Pastor Malchow sorgfältige Aufmerksamkeit darauf verwandt hat.

Die Kirche hatte folgende Geräthe, welche zum größten Theil ins Antiquarium zu Schwerin versetzt sind.

Der Altar ist ein kleiner Doppelflügelaltar, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, auf der Vorderseite mit geschnitzten Figuren, auf den Hinterseiten mit Gemälden bedeckt; Schnitzerei und Malerei sind schlecht und ohne besonderen Werth. Die Vorderseite hat gemusterten Goldgrund, unten mit blau=roth=weißen Franzen, wie viele Altäre aus jener Zeit.

Die geschnitzte und bemalte Vorderseite hat auf der Mitteltafel die Jungfrau Maria mit dem Christkinde, über welchem ein kleiner anbetender Engel schwebt. Die Maria ist ziemlich gut, aber das Christkind ist sehr schlecht und im höchsten Grade manierirt, eben so der Engel. An jeder Seite der Maria stehen auf der Mitteltafel 2 Heiligen=

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figuren, deren Namen auf die Heiligenscheine gemalt sind, von ziemlich guter Arbeit:

oben: rechts: die H. Anna, die Mutter der Maria, mit dem Christkinde auf dem rechten Arme und einer kleinen Maria links neben sich, welche zum Christkinde hinauflangt, mit der Inschrift: S A NCT A   A NN A OR.

oben: links: die H. Katharine, die Braut Christi, ein Schwert mit beiden Händen fassend; das Rad fehlt und ist auch nicht vorhanden gewesen: Inschrift: S A NCT A K A TERIN A OR.

unten: rechts: der H. Nicolaus, einer der 14 Nothhelfer, ein Bischof, mit der rechten Hand segnend, auf dem linken Arm ein geschlossenes Buch haltend, auf welchem drei runde Brote liegen; Inschrift: S A NCTVS NICOL A VS;

unten: links: der H. Erasmus, ein Bischof, auf dem rechten Arm ein geöffnetes Buch haltend, mit der linken Hand einen Bischofsstab, welcher freilich verloren gegangen, von welchem jedoch noch das Tuch (Sudarium) vorhanden ist; andere Attribute sind nicht vorhanden gewesen; Inschrift: S A NCTVS ER A SMUS.

Auf den Flügeln stehen die 12 Apostel, von ganz schlechter Arbeit, deren Namen auf den Sockelleisten auf blauem Grunde stehen.

Die zweiten Flügel, wenn die Vorderseite zugeklappt ist, enthalten die Leidensgeschichte Christi in 8 Gemälden, ohne künstlerischen Werth; die Flügel sind queer getheilt, so daß auf jeder Tafel zwei Gemälde stehen; die Gemälde sind in folgender Ordnung, in der Ansicht von links nach rechts, folgende:

oben: 1) Christi Gebet am Oelberge,
2) Christi Gefangennehmung,
3) Christus vor Pilatus, welcher sich die Hände wäscht,
4) Christi Geißelung,
unten: 5) Christi Dornenkrönung,
6) Christi Hinausführung in der Dornenkrone (Ecce homo),
7) Christi Kreuztragung,
8) Christi Kreuzigung.

Auf der Rückseite der zweiten Flügel ist in zwei durchgehenden, großen Figuren die Verkündigung Maria in etwas besserer Malerei dargestellt: in der Ansicht rechts: die Maria, vor einem Betpulte knieend, links der Engel mit einer Urkunde in der Hand, an welcher drei Siegel hangen

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und auf welcher in drei Zeilen steht:AVE S R A  │ CI A PLE │ N A DOMI

Auf dem Kirchenboden fand sich ein sehr großer Belt (Opferstock), welcher größer ist als gewöhnlich und nicht zum Herumreichen, sondern nur zum Aufstellen gedient haben kann, da er ungefähr 2 Fuß hoch und sehr schwer ist. Auf einem hervorragenden Sockel steht eine regelmäßig ausgeschnittene und bemalte Hinterwand, vor welcher die hohe Figur eines Bischofs mit den Füßen in einem Grapen (dreibeinigen Kessel) steht; er erhebt die rechte Hand zum Segnen und hat in der linken Hand ein jetzt fehlendes Attribut (einen Bischofsstab oder eine Winde) gehalten. Dieser in einem Grapen stehende Bischof ist der H. Erasmus, Welcher in einen Kessel mit siedendem Pech gesetzt ward, und welchem schließlich die Eingeweide ausgewunden wurden; das Attribut des Grapens beim H. Erasmus, welches in Meklenburg oft vorkommt, scheint Norddeutschland eigenthümlich zu sein (vgl. Jahrb. XXIV, S. 344). Neben der Bischofsfigur stehen auf dem Belt zwei kleinere männliche Figuren, zur Rechten eine nackte, zur Linken eine mit Hemd und Mütze bekleidete Figur, von denen jede ein kurzes, viereckiges Stück Holz (? von der Winde?) in den Händen hält.

Diese Heiligenfigur, welche sicher der H. Erasmus ist, ist also dieselbe Figur, welche auf dem Altar mit dem Namen des H. Erasmus dargestellt ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß die Kirche zu Granzin dem H. Erasmus geweihet war.

In der Kirche fanden sich noch zwei Flügel von einem andern Doppelflügelaltare, welche auf einer Seite jeder mit einer großen Figur bemalt sind; auf dem einen Flügel steht die H. Gertrud im Schleier, mit Heiligenschein, ein Hospital auf den Händen tragend; auf dem andern Flügel steht eine reich geschmückte Jungfrau in einem rothen Hut mit vielen großen weißen Federn, ohne Heiligenschein, eine brennende Kerze in der linken Hand haltend.

An der Nordseite neben dem Altare stand ein hohes Wand=Tabernakel: über einem kleinen Wandschranke erhob sich an der Wand ein recht gut gearbeiteter und erhaltener gothischer Thurm von ungefärbtem Eichenholz, 12 Fuß hoch, welcher aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, also aus der Zeit der Erbauung der Kirche stammt. Durch die umsichtige Fürsorge des Pastors Malchow ist dieses hübsche Tabernakel unbeschädigt abgebrochen und eben so gut erhalten nach Schwerin transportirt worden.

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An der südlichen Chorpforte der abgebrochenen Kirche war eine heidnische Quetschmühle als Weihwasserbecken eingemauert.

Die Kanzel war in dem schlechtesten Style der Zopfzeit erbaut und ohne allen Werth.

Eine Glocke hat die Inschrift:

Inschrift

Wahrscheinlich ist diese Glocke zur Zeit der Erbauung der Kirche gegossen.

Alle im Vorstehenden beschriebenen Alterthümer werden gleich alt sein und aus der Zeit der Erbauung der abgebrochenen Kirche, nach der Jahreszahl der Glocke wahrscheinlich aus dem Jahre I486, stammen.

G. C. F. Lisch.


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Die Kirche zu Lübsee bei Rehna.

Da in der Gegend der Stadt Gadebusch die ältesten romanischen Kirchen stehen (Gadebusch, Vietlübbe, Rehna) und der Ort Lübsee schon 1236 und die Kirche daselbst schon 1263 genannt wird, so waren in der Kirche zu Lübsee noch alte Baureste zu vermuthen. Diese Erwartung hat sich aber nicht ganz bestätigt.

Die Kirche besteht aus einem quadratischen Chor mit einem Gewölbe und einem oblongen Schiff von zwei Gewölben Länge.

Das Schiff besteht aus zwei ganz verschiedenen Hälften.

Die westliche Hälfte ist ganz aus Feldsteinen erbaut, welche sorglich gespalten und an den Ecken behauen sind. Dieser Theil enthält geringe Spuren von rundbogigen Oeffnungen in Pforten, welche zugemauert, und in Fenstern, welche ausgebrochen sind. In jungem Zeiten ist dieser Theil durch Ziegel erhöht, um ihn mit dem östlichen Theile zur beabsichtigten Wölbung in gleiche Höhe zu bringen. Dieser kleine Theil mag früher romanischen Baustyl gehabt und allein das Schiff einer kleinen Kirche gebildet haben. In

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noch Jüngern Zeiten sind die alten Fenster ausgebrochen und dafür zwei gleiche große Fenster, an jeder Seite eines, mit einfacher Ziegeleinfassung eingesetzt worden. Diese Fenster tragen ganz den junggothischen Charakter des 15. Jahrhunderts.

Die östliche Hälfte des Schiffes ist aus großen, alten Ziegeln aufgeführt, auf einer Unterlage von vier Schichten von Feldsteinen. In diesem Theile ist an jeder Seite ein großes Fenster und eine Pforte, alle ziemlich reich und kräftig gegliedert und sehr gut, wenn auch einfach, construirt. Alle tragen den Charakter des altgothischen Styls, etwa aus dem Ende des 13. oder dem Anfange des 14. Jahrhunderts. Auch dieser Theil hat noch keine Strebepfeiler, sondern nur Lissenen an den Ecken.

Das Innere des Schiffes hat, mit Ausnahme der Fensterformen, vielleicht zur Zeit der Erbauung der östlichen Hälfte gleiche Wände und gleiche Höhe erhalten und ist auf Wölbung angelegt, welche jedoch nicht zur Ausführung gekommen ist.

Im Osten steht ein kleiner quadratischer Chor, welcher gewölbt ist. Dieser hat in der östlichen Altarwand drei Fenster, von denen das mittlere höher ist, als die beiden anderen, mit schräge und glatt eingehender und leise gespitzter Laibung, ohne Schmuck, im Uebergangsstyle, als wäre die Construction aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Da es aber wahrscheinlich ist, daß wegen der östlichen Hälfte des Schiffes der ganze Bau von Westen nach Osten vorgeschritten ist, so wird dieser Chor im Uebergangsstyl wohl ein letzter Anklang, vielleicht gar eine Nachahmung des Uebergangsstyls sein. Denn der dazu gehörende Triumphbogen und die jetzt im Innern durch eine Empore halb verdeckte, im Aeußern in dem Vorbau aber ganz sichtbare Nordpforte sind im altgothischen Style gewölbt und die Gewölberippen tragen auch keinen alten Charakter. In der Südwand des Chors haben ohne Zweifel zwei gekuppelte Uebergangsfenster, wie die Altarfenster, gestanden, welche aber in neueren Zeiten zu einem modernen viereckigen Fenster umgeschaffen sind, das bei der (1867) bevorstehenden Restauration 1 ) vernichtet werden soll. In der Nordwand sind diese Fenster schräge über der Pforte nur durch zwei kurze Nischen angedeutet.


1) Am 1. November (Reformationsfest) 1874 ist die Kirche nach vollendeter gründlicher Restauration feierlich eingeweiht worden. Vgl. Mecklenb. Anzeigen 1874, Nr. 257, November 3.
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Nach einigen unter der Kalktünche entdeckten Rankenverzierungen in den Gewölbezwickeln war das ganze Chorgewölbe bemalt.

 

Der Altar

Altargliederung
der Kirche ist ein alter Flügelaltar 1 ) mit doppelten Flügeln. Der Altar ist alt, nach dem noch ziemlich rein gehaltenen gothischen Schnitzwerk der Baldachine aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, hat jedoch durch Unbill sehr stark gelitten und ist im Jahre 1741 ganz und schlecht mit Wasserfarben überschmiert, wie eine prahlende Inschrift auf der übermalten Predelle angiebt; bei der Gelegenheit sind denn auch alle Flügel hinten auf allen Seiten überpinselt, so daß von denselben gar nicht mehr die Rede sein kann.
Die Vorderseite enthält aus Holz geschnitzte Figuren in nebenstehender Anordnung in der Ansicht:
In der Mitte ist die Krönung Mariä in zwei großen, durchgehenden, sitzenden Figuren, wie Gott (in der Gestalt des Sohnes) die Jungfrau Maria krönt, in herkömmlicher Darstellung. Ueber den beiden Figuren ist ein kurzer Wolkenbogen, auf welchem sieben kleine musicirende Engel in Brustbildern mit musikalischen Instrumenten angebracht sind.
An jeder Seite dieser Darstellung stehen auf dem Mittelstück an jeder Seite vier kleine Figuren in zwei Reihen übereinander, nämlich:
zur Rechten:
S. Anna, mit den kleinen Figuren Mariä und Christi ("selbstdritte")
S. Stephanus, in Diakonentracht, mit drei Steinen auf dem Arme;
S. Nicolaus?, ein segnender Bischof, ohne bezeichnendes Attribut, also schwer zu bestimmen;

1) Dieser Altar ist während der Restauration der Kirche als unbrauchbar in das Antiquarium zu Schwerin versetzt worden.
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S. Christina, eine schwer zu erkennende Figur, mit einem Mühlsteine;

zur Linken:

S. Georgius, mit einem Drachen neben sich;

S. Katharina?, eine gekrönte Jungfrau, ohne Attribut;

S. Johannes der Täufer, mit einem Lamm auf einem Buche im Arme;

S. Maria Magdalena, im Kopftuche, mit der Salbenbüchse.

In jedem Flügel sind sechs Apostel in je zwei Reihen über einander. Abweichend von den gewöhnlichen Bildern sind alle sitzend dargestellt. Die Attribute fehlen alle.

Alle Figuren sind flach und ausdruckslos, und nur mittelmäßig geschnitzt.

Außer dem Altar hat die Kirche an alten Geräthen noch einen sehr alten und großen Taufstein (aus Granit), in runder Kelchform, jedoch ohne alle Verzierungen, leider mit Oelfarbe überschmiert.

Ein noch im Gebrauche befindlicher "Belt" hat eine sehr geschnörkelte Figur und ist verhältnißmäßig jung und schlecht.

Am Westende der Kirche steht jetzt ein wenn gerade nicht ausgezeichneter, doch beachtenswerther, alter Predigerstuhl, welcher früher unter der Kanzel gestanden hat. Der Stuhl hat vorne eine Brüstung, welche vier Füllungen hat, und an jeder Seite eine Thür mit einer Füllung. Der ganze Stuhl ist mit Leimfarben bemalt und für die Zeit und die Geschichte der Pfarre nicht ohne Werth.

Auf der Füllung der Thür rechts steht ein Wappen und die Inschrift:

ANNO 1626.
I. K.
H. IOHAN KVCHMEISTER
ROSTOCHIENSIS
PASTOR.

Auf der Füllung der Thür links steht auch ein Wappen und die Inschrift:

ELISABETH
KVCHMEISTERS.
ANNO 1626.
CHM
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Der Pastor Küchmeister 1626 ist bisher unbekannt gewesen und in den Archiv=Acten und Visitations=Protocollen nicht zu finden.

Auf den vier Füllungen der Brüstung stehen folgende Bilder:

1) zuerst rechts neben der Thür rechts ein Crucifix, zu dessen Füßen der Pastor und seine Frau betend knieen; neben dem Pastor knieet ein kleiner Sohn; dann folgen der Reihe nach: 2) die Hochzeit zu Canaan; 3) die Himmelfahrt Christi; 4) das Abendmahl.

Eine Glocke ward nach dem Berichte des Herrn Dr. Crull zur Restauration im Jahre 1867 in Wismar umgegossen. Inschrift: Um den Hals las man in einer Zeile:

Inschrift

d. i. Anno domini mcccc hundert en unde lx. help got unde Maria.

G. C. F. Lisch.


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Glockengießer.

Matthäus David, Bürger zu Rostock bietet dem Rathe von Lübek seine Dienste als Glockengießer an.
Rostock. 1464. Octbr. 22.

Mynen willigben denst to juwer erwerdighen beheghelicheyd. Erwerdighen leuen heren, my is to wetende worden, wo gy ghebreck hebben an juwer besten klocken een to vnser leven Vrouwen myt juw vnde dar enes meysters to behof hebben etc. So do ik juwer erwerdicheyd to wetende, were id juw to willen, so wolde ik juw myt der hulpe godes dar ynne denen, de klocken. wedder to ghelende, dat gy my dancken scholden, vnde wolde juw ene klocke gheten, de juw beheghelik scholde wesen van lude vnde van formen, wo gy se van stemmen hebhen wolden by de andere, ene note hogher ofte syder, dat se concorderden. Bouen alle wen de klocke rede were vnde were so nicht van lude vnde van formen, so vor screuen steyd, so en wolde ik nicht enen pennynck van deme godeshuse to lone hebben, wente ik my in anderen steden in sodane arbeyde bewyset Iiebbe, dar ik ere tuchnysse in open beseghelden breuen vp hebbe, also benomelken to Reuel, to der Parnouwe vnde to Wenden alle in Lyflande begegnen, dar ik klocken ghegoten hebbe van xxx vnde van xxiiij schippunde vnde ok van xvj etc. Ok in dessen landen to Vredelande, to Witstok, to Pryswalk vnde ok to der Wilsnacke, ok to der Nygenstad in deme lande to Mekelenborch, dar ik ok klocken ghegoten hebbe van xxvj schippunden van xx vnde van xvj, also gy dit in eren openen beseghelden breuen wol seende werden, is dat wy to samende komen etc. Leuen erwerdighen heren, wes juw hyr ane to willen is, dat vorscryuet my. Hyrmede syt gode beuolen to syme denste. Screuen to Rotzstock, des mandaghes na der xi[h]m juncvrouwen daghe in deme lxiiij jare vnder myme inghesegel.

Mattheus Dauyd            
borgher to Rotzstok.         

Nach dem Original im Lübischen Archive mitgeteilt vom Staatsarchivar Dr. Wehrmann zu Lübek.

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Diese seltene und merkwürdige Urkunde ist für die Kulturgeschichte von großer Wichtigkeit. Sie wird hier ohne weitere Bemerkungen mitgetheilt, da sich solche schwer machen lassen. Von Bedeutung würde es sein, wenn sich von den in der Urkunde aufgeführten großen Glocken noch die eine oder andere entdecken ließe. - Ueber alte Glocken in Meklenburg vgl. Jahrb. XL, S. 195-204, und früher in den Jahrbüchern an vielen Stellen, nach dem vierten Register, 1806, S. 510. G. C. F. Lisch.


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Die Kirche zu Cambs bei Schwaan.

An der Kirche zu Cambs zwischen Bützow und Schwaan war nur der Chor alt und kommt daher bei einer geschichtlichen Untersuchung allein zur Berücksichtigung. Das Schiff war von Fachwerk mit Holzdecke, der Thurm von Holz; beide waren werthlos und wurden seit dem Jahre 1865 neu gebaut.

Der Chor ist ein altes Gebäude von quadratischer Form, von Ziegeln mit Feldsteinen. Er trägt noch Spuren eines alten Baustyls. An den Ecken stehen Lissenen und im Innern sind die Gewölbeansätze und eine Pforte rundbogig. Der Bau wird also noch aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammen. Die Fenster sind jedoch in jüngeren Zeiten erweitert und tragen den Charakter des 15. Jahrhunderts. Das eine Gewölbe, mit welchem der Chor bedeckt ist, hat quadratische Rippen. Die Wände sind roth mit weißlichen Fugen bemalt gewesen; auf dieser Malerei stehen die alten bischöflichen Weihkreuze. Hinter dem Altare sind auf weißem Grunde Reste von rother Rankenmalerei, welche jedoch jünger sein mag, als die Bemalung der Seitenwände. Die ganze Kirche war im Innern mit Kalk übertüncht, ward jedoch im Jahre 1863 restaurirt.

Die Kirche hat einen alten geschnitzten und vergoldeten und bemalten Flügelaltar, welcher im Anhange beschrieben ist.

Chor und Altar sind 1863-64 restaurirt.

Eine sehr große Seltenheit ist die Kanzel aus Eichenholz, welche noch aus der katholischen Zeit und wahrscheinlich noch aus dem 15. Jahrhundert oder doch spätestens aus dem ersten Anfange des 16. Jahrhunderts stammt. Sie ist aus dem Sechseck construirt und zeigt vier Seitenwände, die fünfte Seite liegt in der Wand und die sechste Seite dient der Treppe und Thür. Die vier hervorstehenden Seiten

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sind durch gothische Pfeiler, welche die Fugen bedecken, getrennt. Zwischen den Pfeilern stehen vier gothische Baldachine, unter denen ohne Zweifel die Bildsäulen der vier Evangelisten gestanden haben, welche jetzt fehlen und 1709 durch Malerei auf dem Grund ersetzt sind. Die Kanzel ist allerdings sehr schadhaft und zerbrochen, so daß sich nur aus einzelnen Resten die ganze Construction erkennen läßt; dennoch ist sie sehr wichtig, da sie wohl die einzige Kanzel aus dem Mittelalter im Lande und gut construirt ist. Der Fuß, die Treppe und der Schalldeckel, welcher schlecht zu der Kanzel paßt, stammen aus einer Renovation vom Jahre 1709. Bei der Restauration der Kirche sind die Reste der Kanzel, als ganz unhaltbar, ins Antiquarium nach Schwerin versetzt.

Außerdem war in der Kirche bei Seite gesetzt, ein frei stehendes Tabernakel aus Eichenholz, in Gestalt eines durchbrochenen Thurmes, von viereckiger Grundfläche; die Spitze fehlt und das Uebrige ist sehr beschädigt. Auch diese Reliquie ist ins Antiquarium versetzt.


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Der Altar

der Kirche zu Cambs bei Schwaan

ist ein achtungswerthes Werk aus dem 15. Jahrhundert, ein Doppelflügelaltar. Die Architektur der Vorderseite ist nur einfach und mittelmäßig, die durchbrochenen Ornamente sind meistentheils Fischblasen. Die Figuren, welche, außer der Maria, 2 Fuß hoch sind, sind aber in der Haltung und Gewandung gut gearbeitet, in den Gesichtern weniger. Der Altar, welcher 5 Fuß Höhe hat, ist 13 Fuß breit und macht eine gute Wirkung.

In der Mitte der Mitteltafel steht durch die ganze Höhe reichend Maria mit dem Christkinde in einem Wolkenkranze. Die Flächen zu beiden Seiten der Maria auf der Mitteltafel und die Flügel sind queer getheilt und enthalten im Ganzen 24 Heiligenfiguren. Zu den Seiten der Maria stehen noch auf der Mitteltafel 8 Figuren und in jedem Flügel wieder 8 Figuren.

In der Mitte der Mitteltafel steht die Jungfrau Maria, in der Sonne, auf dem Monde, mit der Sternenkrone, das Christkind auf dem linken Arme haltend. Sie ist umgeben von einem schmalen, elliptischen, blauen Wolken=

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kranze, aus welchem an jeder Seite drei Engel hervorragen, welche singen und musiciren. Oben über dem Wolkenkranze in den Zwickeln stehen in kleinen Figuren: zur Rechten: Jehovah im feurigen Busch und Moses die Schuhe ausziehend (2. Mos. 3, 2 flgd.); zur Linken: der Prophet Ezechiel vor dem verschlossenen Thore auf einem Felsen (Ezech. 44, 2 flgd.).

Die 24 Heiligenfiguren zu den Seiten sind scheinbar ohne Ordnung durch einander gestellt. Diese scheinbare Unordnung ist aber ursprünglich, da der ursprüngliche Goldgrund der Hinterwand noch vorhanden ist und die charakterischen Umrisse der Figuren in den Kreidegrund eingerissen sind, um die Grenze der Vergoldung zu bestimmen. Es lassen sich also die Figuren und ihre Stellung genau bestimmen, um so mehr, da sie noch nicht abgebrochen gewesen sind, sondern noch in ihrer alten Befestigungsweise (durch einen Nagel über dem Kopfe) stehen. Viele Figuren waren noch an den Attributen und Verzierungen zu erkennen, viele haben aber Hände und Attribute verloren.

So viel ergab sich nach den noch vorhandenen Attributen und Eigenthümlichkeiten mit Sicherheit, daß unter den 24 Figuren auch die 12 Apostel waren, und daß diese in der Mitte standen. Es waren an Attributen und Gestalten noch sicher Petrus, Andreas, Jacobus d. ä., Johannes, Thomas, Jacobus d. j., Philippus, Bartholomäus zu erkennen; es blieben also nur Matthäus, Simon, Judas Thaddäus, Mathias übrig, welche einander sehr ähnlich und deren Stellen an den Umrissen auf dem Hintergrunde um so leichter zu erkennen waren, als sie an anderen Stellen keinen Platz finden konnten. Die 12 Apostel waren alle in der Mitte aufgestellt, jedoch nicht nach herkömmlichen Rangordnungen, auch nicht ganz ungemischt mit anderen Figuren. Denn oben rechts von der Maria stehen die Heiligen Johannes der Täufer und H. Georg, denen zwei Apostel haben reichen müssen. Diese beiden Heiligen sind also wahrscheinlich die Localheiligen der Kirche. Die übrigen Heiligen haben ihre Stellen an den Seiten erhalten.

Es folgen hier die Beschreibungen der Heiligen, wie sie sich in der Ansicht von links nach rechts darstellen, da sich eine bestimmte Rangordnung von der Mitte aus nicht gut begründen läßt.

Es stehen:

Oben, von der Linken zur Rechten:

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Flügel:

1) Der H. Erasmus, Nothhelfer, in Bischofskleidung, mit der Bischofsmütze, im Grapen stehend, in der linken Hand die Winde haltend, (in der rechten Hand den Bischofsstab) 1 ).

2) Der H. Antonius, in Priesterkleidung, mit viereckiger Mütze, in der linken Hand ein geschlossenes Buch und eine Glocke haltend, (in der rechten Hand einen Stab mit dem Antoninskreuz T), am linken Fuße von einem Schwein begleitet.

3) Der H. Thomas, Apostel, mit bartlosem Gesichte, langem blonden Haar, aufgeschürztem Gewande, einem Buche im Arme, (mit der Lanze in der rechten Hand).

4) Der H. Matthäus, Apostel, in langem, schlichtem Haar, mit einem Buchbeutel, (mit der Hellebarde in der Hand).

Mitteltafel:

5) Der H. Georg, Nothhelfer, im Harnisch, auf dem Drachen stehend, die linke Hand auf einen Schild gestützt, mit der rechten Hand (ein Schwert) schwingend.

6) Der H. Johannes der Täufer, ein Kamelfell, welches das ganze linke Bein bedeckt, als Untergewand tragend, im linken Arme ein Buch, auf welchem ein Lamm liegt, mit der rechten Hand darauf hinweisend.

(In der Mitte: Maria).

7) Der H. Petrus, Apostel, mit krausem, dunklem Haar, im linken Arme ein geschlossenes Buch haltend, (in der rechten Hand einen Schlüssel).

8) Der H. Andreas, Apostel, mit kahlem Kopf und langem Bart, in der linken Hand einen Buchbeutel tragend, vor sich (das Schrägekreuz) haltend, welches zwar fehlt, dessen Anlage aber ersichtlich ist.

Flügel:

9) Der H. Philippus, Apostel, mit langem Haar, mit geschlossenem Buche im Arme, (das Doppelkreuz haltend).

10) Der H. Stephanus, erster Märtyrer, in Diakonenkleidung, ohne Kopfbedeckung, in jugendlicher Gestalt, ohne


1) Die Einklammerung in ( ) bedeutet die Restauration des Fehlenden.
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Bart, mit drei eckigen Steinen Symbol im linken Arme, (in der rechten Hand eine Palme haltend).

Der H. Nicolaus mit den drei Broten im Arme kann diese Figur nicht sein, da dieser immer als Bischof dargestellt wird.

11) Der H. Laurentius, ganz wie der H. Stephanus, in Diakonenkleidung, ohne Kopfbedeckung, in jugendlicher Gestalt, ohne Bart, im rechten Arme ein geschlossenes Buch haltend, in der gesenkten linken Hand (einen Rost).

12) Der H. Mauritius, als Mohr, mit schwarzem, krausen Haar, ganz im Harnisch, die linke Hand auf einen Schild stützend, (in der rechten Hand eine Fahne haltend),

Unten, von der Linken zur Rechten:
Flügel:

13) (Der H. Dionysius), Nothhelfer, ein Bischof, mit der Bischofsmütze auf dem Kopfe, im linken Arme eine zweite Bischofsmütze (scheinbar mit einem Theile der Stirn) tragend, (in der rechten Hand den Bischofsstab haltend). Der H. Dionysius wird sonst gewöhnlich ohne Kopf dargestellt, wie er sein abgeschlagenes, mit der Bischofsmütze bedecktes eigenes Haupt im Arme trägt. Die Darstellung auf dem Cambser Altare mag eine Milderung dieser Darstellung sein, da sie sich sonst nicht gut deuten läßt.

14) (Der H. Jodocus), Patron der Feldfrüchte, in Priester= oder Abt=Kleidung, mit viereckiger Mütze, ohne Bart, (in der rechten Hand einen Stab haltend, da dieser dem H. Jodocus zukommt, und kein anderer Heiliger für diese Figur zu ermitteln war).

15) (Der H. Valentin), ein Bischof, mit Bischofsmütze, die rechte Hand zum Segnen erhoben, (in der linken Hand einen Bischofsstab haltend).

16) Der H. Simon, Apostel, mit einem geschlossenen Buche im Arme, (eine Säge haltend).

Mitteltafel:

17) Der H. Bartholomäus, Apostel, mit kurzem Haar, mit aufgeschürztem Gewande, (ein Messer haltend).

18) Der H. Jacobus d. ä., Apostel, im Pilgerhut mit der Muschel, (einen Pilgerstab haltend).

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(In der Mitte: Maria).

19) Der H. Jacobus d. j., Apostel, einen Buchbeutel tragend, (mit einem Walkerbaum).

20) Der H. Mathias, mit einem geschlossenen Buche im Arme, (mit einem Beutel).

Flügel:

21) Der H. Judas Thaddäus, Apostel, mit aufgeschürztem Gewande, (mit einer Keule).

22) Der H. Johannes Ev., in jugendlicher Gestalt, ohne Bart, mit dem Kelche in der linken Hand.

23) Die H. Maria Magdalena, in weißem Kopftuche, mit der rechten Hand das Gewand, in der linken Hand eine große Salbenbüchse haltend.

24) Der H. Ulrich, ein Bischof, mit Bischofsmütze, in der rechten Hand einen Stock haltend, (in der linken Hand einen Bischofsstab).

Die ersten Rückseiten des Doppelflügelaltars haben nach einigen Spuren die Leidensgeschichte Christi in Gemälden enthalten, welche aber ganz abgefallen sind.

Die letzten Rückwände sind nur mit schwarzen Sternen auf hellem Grunde bemalt gewesen.

Die Predelle hat die Darstellung des Abendmahls in schlechter Malerei aus junger Zeit.

G. C. F. Lisch.


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Die Kirche zu Cambs bei Röbel

ist ein sehr kleiner, unansehnlicher, mit einer Bretterdecke bedeckter Feldsteinbau in Oblongumform, an den ein Thurm von Feldsteinen in gleicher Breite angebaut ist, dessen unterer Raum mit zur Kirche gezogen ist. Die Kirche ist nur von Feldsteinen gebaut, welche an den Ecken des Gebäudes behauen sind; der Thurm und eine im Süden angebaute Vorhalle sind an den Ecken und Oeffnungen mit Ziegeln eingefaßt. Die Kirche hat durch eine in den neueren Zeiten vorgenommene Restauration im Styl so sehr gelitten, daß von den alten Baueigenthümlichkeiten wenig übrig geblieben ist. Nur ein Fenster zeigt noch den Uebergangs=

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styl, ebenso der große, starke Bogen, welcher sich zwischen Kirche und Thurm öffnet. Die südliche Pforte, vor welche die Vorhalle vorgebaut ist, ist im Rundbogenstyl aus Ziegeln gut gegliedert gebaut. Die Kirche wird daher in die Zeit der Erbauung der Kirche zu Alt=Röbel fallen, (also gegen das Ende des ersten Viertheils des 13. Jahrhunderts).

Der Altar, ein Schnitzwerk aus dem Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts, ist sehr klein, schlecht gezeichnet und ausgeführt, auch in den durchbrochenen Sockeln und Baldachinen, sowie in den Attributen der Heiligen sehr verstümmelt und zerbrochen. Der Altar hat eine Mitteltafel und zwei Flügel. Die Mitteltafel hat eine durchgehende Darstellung und an jeder Seite in queer getheilten Räumen unter Baldachinen zwei sitzende Figuren unter einander. Die Flügel sind queer getheilt und haben in jeder Abteilung ebenfalls nur eine sitzende Figur. Die durchgehende Hauptdarstellung der Mitteltafel ist eine Kreuzigung Christi in schlechter Ausführung. Daneben sind oben zwei Apostel oder Evangelisten, rechts mit einem Buche im Beutel, links mit einem aufgeschlagenen Buche, - unten rechts Johannes der Täufer mit dem Lamm auf einem Buche, links Johannes der Evangelist, dessen Arme abgeschlagen sind. In den Flügeln ist rechts oben der Apostel Paulus, unten eine männliche Figur mit einem Winkelmaaß (der Evangelist Matthäus), und links oben die H. Barbara mit dem Thurm, unten ein Apostel. Es scheint, als wenn in neuern Zeiten die Figuren versetzt sind und die 4 Evangelisten und vier andere Heilige: Johannes der Täufer, (der Apostel Petrus), der Apostel Paulus und die H. Barbara, haben dargestellt sein sollen. Die Malereien auf den Rückwänden der Flügel sind abgefallen. Die Kanzel, aus neuern Zeiten, ist über dem Altar angebracht, da die Kirche sehr klein und an den Seitenwänden mit Emporen gefüllt ist.

G. C. F. Lisch.


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Die Kirche zu Bruderstorf.

Die nur kleine alte Kirche zu Bruderstorf bei Dargun, deren Abbruch zum Zweck eines Neubaues nothwendig war, war aus Feldsteinen mit Ziegeln vermischt sehr einfach gebaut und gänzlich verfallen und im Laufe der Zeiten sehr verunstaltet. Sie wird am Ende der Zeit des Uebergangs=

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styls aufgeführt sein, ist im Chore gewölbt und im Schiffe mit einer Balkendecke bedeckt und hat kein einziges Glied von irgend einem architektonischen Werthe. Es ist 1861 der Abbruch dieser alten und der Bau einer neuen Kirche beschlossen und im Jahre 1863 ausgeführt.

Von dem Mobiliar der alten Kirche verdient nur Beachtung:

1) Der Altar, ein alter Flügelaltar mit doppelten Flügeln. Die Vorderseite, ohne Queertheilung hat jetzt noch fünf ziemlich große und gute Figuren weiblicher Heiligen, alle mit einer Krone auf dem Haupte: Maria, Maria Magdalene(?) (mit einem Gefäße), Barbara (mit einem Thurme), Margaretha (mit einem Drachen) und Gertrud (mit einem Hospital); zwei Figuren fehlen. Sowohl der Schrein, als die Figuren sind in jüngeren Zeiten auf abschreckende Weise von Stubenmalern mit Wasserfarben übermalt. Oben auf dem Altare waren noch ein Marienbild und acht kleine geschnitzte Figuren und im Schiffe noch zwei Figuren, wahrscheinlich von Nebenaltären, aufgestellt.

2) In der Sakristei steht ein alter, großer, runder Taufstein aus Kalkstein, welcher zwar ohne alle Verzierungen, aber recht gut geformt und erhalten ist.

3) Bei dem Abbruche des Altars im Jahre 1863 wurden auch die Reliquien gefunden, leider nicht in Anwesenheit eines Gelehrten. Es waren sieben ganz kleine Knochenstücke, deren jedes in ein kleines Läppchen von losem, sehr altem, hellfarbigem Seidenzeuge, das ganze aber in einen großen Lappen von ähnlichem Seidenzeuge von rother oder violetter Farbe gewickelt war. Diese Reliquien lagen in einer sogenannten "Urne", von etwa 1 1/2 Zoll Durchmesser, welche beim Herausnehmen zerfiel. Bei näherer Untersuchung der noch erhaltenen Bruchstücke war dieses kleine Gefäß von ungeläutertem Wachs geformt, welches ziemlich mehlig geworden war. Außer den Reliquien lag in der Urne ein Siegel, welches aber leider von den Arbeitern so rein gebürstet ist, daß die Namen der Umschrift nicht gelesen werden können. Das Siegel hat offenbar nicht an einer Urkunde gehangen, da jede Spur von einem Siegelbande fehlt. Das Siegel ist ohne Zweifel ohne Urkunde lose hineingelegt, um aus demselben die Zeit zu erkennen; es kommen gleiche Fälle vor; in diesem Falle ist aber der Zweck nicht erreicht. Das Siegel ist ein kleines, parabolisches Siegel aus ungeläutertem Wachs, ungefähr 2 1/4 Zoll lang und 1 3/8 Zoll breit in der Mitte: unter einem

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einfachen Baldachin sitzt die Figur eines Bischofs, welcher die Rechte zum Segnen erhebt, und in der Linken den Bischofsstab hält; die untere Spitze des Siegels ist abgebrochen, die obere undeutlich. Von der Umschrift in gothischer Majuskelschrift ist noch zu lesen:

Umschrift

Es ist unmöglich gewesen, dieses Siegel zu bestimmen. Ein Siegel des zuständigen Bischofs von Camin wird es nicht sein; wahrscheinlich ist es das Siegel irgend eines fremden, reisenden Weihbischofes. Nach dem Styl des Baldachins, der Figur und der Buchstaben wird das Siegel in die Zeit um das Jahr 1300, vielleicht vor dieses Jahr fallen. Am Sonntag Lätare (9. März) 1309 zu Camin ward von dem Bischofe Heinrich von Camin die Kapelle zu Bruderstorf, welche bis dahin Filial von Röknitz gewesen war, zu einer Pfarrkirche erhoben und mit zwei Hufen dotirt und am 23. Mai 1309 ward die von dem damals lebenden Abte Johann von Dargun erbaute Kirche von dem Herzoge Otto von Pommern mit dem freien Eigenthum der Dotation beschenkt. - Vielleicht gehört das Siegel dem Caminer Weihbischofe Petrus (1299) an; vgl. Lisch, Meklb. Urk. I, Nr. C, S. 211: Das Siegel des Caminer Weihbischofs Conrad, 1335, (vgl. Jahrb. XXX, S. 176 flgd.) ist dieses Siegel nicht.

G. C. F. Lisch.


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III. Zur Münzkunde.


Münzfund von Wismar.

Als im November 1872 zu Wismar bei Herstellung der Anlagen auf dem S. Marien=Kirchhofe an der westlichen Thurmseite zwecks Reparatur des Sockels abgegraben wurde, fanden die dabei beschäftigten Arbeiter in der Erde, etwa einen Fuß tief, eine Urne, bedeckt von mehreren grünen Ofen=Kacheln. Die Urne - von gewöhnlicher Form, ohne Henkel, außen glasurt und 6 Zoll hoch - war mit einem zusammengerollten Lederstücke verschlossen, und enthielt:

  1. Ein kleines Schmuckstück, - eine geriefelte kleine Kugel, oben und unten mit einer Oese, in letzterer ein kleines Herz hangend - anscheinend Silber und vergoldet;
  2. mehrere kleine Korallen=Perlen, wahrscheinlich von einem Rosenkranze, und
  3. eine große Menge kleiner Silber=Münzen, von denen jedoch ein erheblicher Theil zerbrochen, vom Rost zerfressen oder doch ganz unkenntlich war. Die übrigen Münzen sind folgende:

I. Bracteaten (mit gestrahltem Rande).

  1) 2 kleine Wismar'sche,

  2) 25 größere und 3 kleinere Meklenburgische,

  3) 1 größerer Lübeker,

  4) 1 größerer und 37 kleinere Hamburger,

  5) 1 größerer der Stadt Lüneburg, und 34 kleinere (Scherfe),

  6) 1 größerer und 68 kleinere der Stadt Salzwedel,

  7) 13 kleinere von Dänemark.

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II. Zweiseitige Münzen.

  8) 2 Wittenpfennige Lübek.

  9) 1 Solidus Hamburg

       1/2 Solidus Hamburg

10) 1 Pfennig - 1/8 Schilling, Stadt Dortmund - 15. Jahrhundert.

11) 15 Kreuz = Witten - Stadt Malmö - Dänemark, während des Interregnums vom 6. Januar-28. September 1448.

12) 71 Kreuz =Witten - Stadt Malmö - Dänemark, Christian I. 1448-1481.

13) 91 Kreuz = Witten der Stadt Malmö - Dänemark, Johann I. 1481-1513.

14) 7 Kreuz = Witten - Norwegen - Johann I. 1481-1513.

15) 1 Witten= Pfennig der Stadt Stettin.

16) 1 Denar (undeutlich), wahrscheinlich Italien.

Wismar, im November 1876.

F. J. Briesemann, Advocat, Oeconomus.


Von diesen Münzen schenkte Herr Advocat Briesemann dem Verein:

Stück  von  Nr.    2.
2    " von Nr.   4.
2    " von Nr.   5.
2    " von Nr.   6.
1    " von Nr.   7.
1    " von Nr. 11.
2    " von Nr. 12.
2    " von Nr. 13.
--- -------
13 Stück

 

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XLII, 1.

Quartalbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Schwerin, im October 1876.


I. Wissenschaftliche Tätigkeit.

In dem ersten Quartal des 42sten Vereinsjahres, welches durch die zahlreich besuchte Quartalversammlung am 2. d. M. seinen Abschluß fand, nahmen die wissenschaftlichen Arbeiten des Vereins ihren gewöhnlichen stillen Fortgang. Der Druck des 41sten Jahrbuches gelangte bis zum letzten Bogen, so daß die Versendung zu der üblichen Zeit zu erwarten steht.

Somit sind denn nun schon 11 Bände wiederum gedruckt, seitdem das letzte Register zu den Jahrbüchern I-XXX erschien; und der Mangel eines Registers über die letzten Jahrgänge macht sich bereits recht fühlbar. Es ward daher in der letzten Quartalversammlung beschlossen, dem Herrn Secretair L. Fromm hieselbst, der seine Bereitwilligkeit zur Uebernahme dieser mühevollen Arbeit erklärt hatte, die Ausarbeitung eines Orts=, Personen= und Sachregisters zu den Bänden XXXI-XL zu übertragen.

Von dem 10. Bande des Meklenburgischen Urkundenbuches ward der Haupttheil, welcher die Urkunden aus den Jahren 1346-1350 enthält, Michaelis im Drucke vollendet und damit das Schlußjahr der zweiten Abtheilung dieses weitangelegten Werkes, welche die Urkunden aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts umfassen sollte, erreicht.

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Es sind bis dahin 7143 Nummern gedruckt. Doch wird der zehnte Band sicher nicht vor dem Ende dieses Jahres die Presse verlassen und zur Versendung kommen können, da während des Erscheinens der Bände V-X noch mehr als 240 aus Meklenburg bezügliche Stücke aus dem Zeitraume von 1142-1350, theils Originalurkunden, theils Abschriften aus den meklenburgischen Archiven, namentlich aus dem reichen Rostocker Rathsarchive, zu Tage gefördert, theils in auswärtigen Archiven aufgefunden und entweder abschriftlich hieher mitgetheilt oder in neuen Urkundenwerken gedruckt sind, und diese in chronologischer Folge als Nachträge dem zehnten Bande angefügt werden sollen, damit sie noch in dem Orts=, dem Personen= und dem Sachregister über die letzten sechs Bände, welche den XI. Band des Werkes füllen werden, Berücksichtigung finden können.

Da Herr Archivrath Dr. Beyer bedauerlichst in der letzten Generalversammlung seine langjährige Thätigkeit als zweiter Vereinssecretair beschließen zu müssen erklärt hatte und aus dem Vorstande des Vereins ausgetreten war, so ward an seiner Stelle in der letzten Quartalversammlung der unterzeichnete Redacteur des Urkundenbuches in die Urkundenbuchs=Commission wieder gewählt, welcher außerdem seit dem Beginn des Werkes der erste Secretär des Vereins, Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch, als dirigirendes Mitglied, und seit einem Jahre der Repräsentant Herr Ministerialrath Burchard angehören.

Wie in den früheren Quartal= und Jahresberichten von Zeit zu Zeit der Fortschritte gedacht ist, welche das von unserm Bibliothekar wailand Oberlehrer Dr. Schiller in Gemeinschaft mit dem Herrn Dr. A. Lübben zu Oldenburg unternommene ausführliche "Mittelniederdeutsche Wörterbuch" gemacht hatte, so freuen wir uns mittheilen zu können, daß Herr Dr. Lübben, welchem die sehr reichen und wohlgeordneten Sammlungen seines verstorbenen Mitherausgebers zur Verfügung stehen, mit großer Rüstigkeit und Ausdauer die Redaction und den Druck zu fördern fortfährt. Es sind nun bereits zwei starke Bände, die Buchstaben A.-L. umfassend, vollendet, und auch von dem dritten Bande sind schon zwei Hefte (M-overeindragen) erschienen. Da auch das übrige Material der beiden Verfasser gesammelt und geordnet vorliegt, so dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, das ganze Werk in nicht gar ferner Zeit vollständig, gedruckt zu sehen. Wir nehmen darum um so mehr Gelegenheit, unsern Mitgliedern die Subscription auf dieses treffliche, bei historischen

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und sprachlichen Forschungen gleich unentbehrliche und für alle Freunde des niederdeutschen Dialekts hochinteressante Werk bestens zu empfehlen.

II. Die Sammlungen des Vereins.

A. Die Alterthümersammlung.

Die Bereicherungen, welche unsere Sammlung vaterländischer Alterthümer in dem verflossenen Quartal erfahren hat, sind weder durch die Zahl noch durch die Vortrefflichkeit der einzelnen Stücke hervorragend gewesen. Doch bricht, wie wir uns freuen constatiren zu können, unter den Mitgliedern und Freunden des Vereins sich mehr und mehr die Erkenntniß Bahn, daß es nicht allein von Werth ist Prachtexemplare in allen Gattungen zu besitzen, sondern daß oft unscheinbare und unvollkommene Arbeiten der Vorzeit, wenn sie einer Sammlung einverleibt werden, für Forscher eine nicht unerhebliche wissenschaftliche Bedeutung gewinnen und darum keinesweges mit Gleichgültigkeit zu übergehen sind, sondern ebenfalls ihren Platz in den Vereinssammlungen verdienen und hier sehr willkommen sind. Wir verdanken mehreren Gönnern des Vereins die nachfolgenden Geschenke.

1) Aus der Steinzeit.

1 vom Herrn Oberzolldirector Oldenburg bei Warnemünde am Ostseestrande gefundener und dem Verein geschenkter kleiner Feuersteinmeißel, 8 Centimeter lang, 2 Cent. breit und 1-2 Cent. dick. Dieser Meißel ist ein ziemlich regelmäßiges Naturgebilde, an den breiteren Seiten und an der Schneide unbearbeitet; in den kleinen Vertiefungen der etwas rauhen Oberfläche sieht man noch viel Kreide. Dagegen sind, zur Verbesserung oder Herstellung der Form, an den beiden schmalen Seiten von Menschenhand lange Späne abgeschlagen, so daß diese Seiten glatte, glänzende Flächen bilden. Der Geh. Archivrath Lisch verweist zur Vergleichung auf das Feuersteinmesser vom Heiligen Damm bei Doberan, wovon in Jahrb. XLI, S. 162 gehandelt ist.

1 Keil aus Feuerstein, 9 Cent. lang, gleichfalls eine Naturbildung, nur an den beiden schmalen Seiten abgeschlagen, gefunden zu "Weinberg" am Inselsee bei Güstrow, dem Verein geschenkt vom Herrn Senator Beyer zu Güstrow.

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1 Keil aus hellgrauem Feuerstein, roh behauen und nicht geschliffen, jedoch in den Formen regelmäßig, gefunden im Sommer d. J. zu Niendorf bei Travemünde am Ostseestrande von dem Herrn Amtmann Birkenstädt hieselbst und dem Verein geschenkt von demselben.

1 halbe Streitaxt aus einem natürlichen Granitgeschiebe, 13 Cent. lang und 7 Cent. breit, noch ohne alle Bearbeitung, weil sie quer durch das Schaftloch, als dessen kegelförmige Bohrung auf der einen Seite erst angefangen ward, zerbrochen ist. Fundort Priborn bei Röbel. Geschenk des Herrn Gymnasiallehrers Struck zu Waren.

30 Feuerstein=Späne und Splitter, 1 Bruchstück von einer durchbohrten Streitaxt aus Diorit, 1 kleiner geschliffener Keil aus Gneis, 3 Urnenscherben mit Verzierungen der Steinzeit: sämmtlich gefunden auf einer von dem Herrn Gymnasiallehrer Struck neu entdeckten Steingeräth=Manufacturstätte zu Eldenburg bei Waren und dem Vereine geschenkt von demselben.

2) Vielleicht römische Arbeit

ist eine kleine melonenförmige Bommel oder Perle von dünnem Silberblech, zugleich mit zahlreichen alten Scherben gefunden bei Distelow unweit Goldberg und dem Verein geschenkt von Fräul. Margarete Klockmann aus Hoppenrade.

3) Mittelalterliche Arbeiten.

1 Netzsenker in Form einer durchbohrten Kugel aus rothgebranntem Thon, gefunden beim Aufgraben eines Baugrundes am Pfaffenteich in der Marienstraße zu Schwerin. Geschenk des Herrn Advocaten Beyer zu Schwerin.

1 Mühlstein von Granit, welcher als Schwelle vor einem vor einigen Jahren wegen Baufälligkeit abgebrochenen Bauernhause zu Sietow (an der Müritz) gedient hat. (Geschenk des obengenannten Herrn Gymnasiallehrers Struck).- Der Stein ist viereckig und mißt ungefähr 40 Cent. im Quadrat. Es ist ein Bodenstein. Der Boden mit dem Hauschlage ist vertieft, durch den erhöhten Rand geht an einer Seite ein Ablauf. Dieser Stein hat also wohl zu einer Senfmühle gehört.

B. Die Münzsammlung.

Zu dieser wurden im verflossenen Quartal folgende Münzen geschenkt:

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1) vom Herrn Archivrath Dr. Beyer hieselbst:

10 silberne und
2 kupferne Scheidemünzen verschiedener Art, gefunden zu Parchim beim Wiederausbau der Rasenack'schen Papiermühle in der Baugrube.

2) vom Herrn Bürgermeister Völkers zu Eutin:

1 preußischer halber Silbergroschen von 1867.

3) vom Herrn Oberzahlmeister a. D. Schmarsow zu Schwerin:

1 meklenburgischer Silber=Bracteat mit gestrahltem Rande, aus dem 14. Jahrhundert,
1 dänischer Doppel=Royalin für die indischen Besitzungen, von 1773,
1 nordamerikanischer Kupfer=Cent von 1859.

4) von Frau Cammercanzlist Börncke zu Schwerin:

2 sächsische Groschen, gefunden zu Grittel bei Eldena auf dem Felde.

C. Die Bildersammlung.

Durch ein Geschenk des Herrn Rentiers Heinr. F. Albrecht zu Grevesmühlen wurde unsere Bildersammlung im abgelaufenen Quartal um 30 Blätter vermehrt:

a. Bildnisse.

  1) Heinrich V., Herzog von Meklenburg, genannt der Friedfertige.
  2) Friedrich Franz I., Großherzog von Meklenburg=Schwerin.
  3) Georg, Großherzog von Meklenburg=Strelitz.
  4) Alexandrine, Prinzessin von Preußen, Erbgroßherzogin von Meklenburg=Schwerin.
  5) Helene, Prinzessin von Meklenburg=Schwerin, Herzogin von Orleans, zu Pferde.
  6) Charlotte Sophie, Prinzessin von Meklenburg=Strelitz, Gemahlin Georgs III. von Großbritannien.
  7) Georg III., König von England.
  8) Louise, Prinzessin von Meklenburg=Strelitz, Gemahlin König Friedr. Wilhelms III. von Preußen.
  9) Dieselbe.
10) Kayser, Abraham.
11) Nicolai, Daniel, meklenb. Geheimrath.
12) Hauswedel, Joh. Chr.

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13) Tarnow, Petr.
14) v. Blücher, G. L., Fürst von Wahlstatt.
15) Derselbe.
16) Posselius, Joh.
17) Schaper, Joh. Ernst.
18) Clüver, Joh.
19) Coler, D. Joh.
20) Klein, Joh.
21) Scharf, David Jonathan.
22) Grüneberg, Joh.

b. Ansichten.

23) Wismar.
24) Rostock.
25) Das Seebad Doberan.
26) Doberan, von Althof gesehen
27) Der Harmonie=Tempel auf dem Kamp in Doberan etc .
28) Das Großherzogliche Palais am Kamp in Doberan etc .
29) Frankfurt a. d. O.
30) Wittenberg.

Wir können nicht unterlassen, das Beispiel des Herrn Albrecht unsern Landsleuten zur Nachahmung bestens zu empfehlen. Denn ohne Zweifel befinden sich im Privatbesitze noch mancherlei Abbildungen von neuerdings abgebrochenen oder umgebaueten Bauwerken und viele Doubletten von Portraits bereits verstorbener oder noch lebender Meklenburger, welche durch schriftstellerische oder praktische Thätigkeit irgendwie hervorgetreten sind. Der Verein würde solche Ansichten und Bildnisse dankbar zur Vervollständigung seiner Bildersammlung entgegennehmen.

D. Die Büchersammlung.

Die Zahl der Schriften, welche der Verein in dem ersten Quartal theils durch Austausch, theils als Geschenke empfangen hat, beläuft sich auf 27; darunter sind aber nur drei Meclemburgica. Wie es scheint, wird der Bibliothek des Vereins von unsern Landsleuten noch nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Es mag darum hier in Erinnerung gebracht werden, daß auch kleine Schriften älterer und neuerer Zeit, welche meklenburgische Verhältnisse, Personen, Institute, Gesellschaften u.s.w. betreffen, dem Verein stets sehr erwünscht sind.

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Die eingegangenen Druckschriften sind folgende:

I. Amerika.

  1. Annual report 9. of the trustees of the Peabody museum of American archaeology and ethnology. Cambridge 1876. 8°. (Geschenk des gen. Museums.)

II. Niederlande.

  1. Het rijks-museum van oudheden en het rijks ethnographisch museum te Leiden gedurende het jaar 1875. (Geschenk des Berichterstatters, Herrn Museum=Directors C. Leemans zu Leiden.)

III. Russische Ostseeprovinzen.

  1. Hausmann, R.: Archivstudien zur livländischen Geschichte, II. Das Dörptsche Rathsarchiv. Dorpat 1873. 8°.
  2. Derselbe: Ueber den codex Dorpatensis der Chronik des Balthasar Rüssow. Dorpat 1875. (Nr. 3 und 4 Geschenke des Herrn Verf., Prof. H. aus Dorpat.)

IV. Oesterreich=Ungarn.

  1. Mittheilungen der geographischen Gesellschaft in Wien, Bd. XVIII. Wien 1875. (Tauschexemplar der gen. Gesellschaft.)
  2. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. VI, Nr. 3 und 4. (Tauschexemplar der gen. Gesellschaft.)
  3. Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich. Jahrgang IX. Wien 1875.
  4. Topographie von Niederösterreich. Heft 9. Wien 1875. (Nr. 7 und 8 Tauschexemplare des unter Nr. 7 gen. Vereins.)
  5. Monumenta medii aevi historica res gestas Poloniae illustrantia. Tom. III., cont. codic. diplom. Poloniae minoris 1178-1386. Cracoviae 1876. (Tauschexemplar der Akademie der Wissenschaften zu Krakau.)
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V. Allgemeine deutsche Geschichts= und Alterthumskunde.

  1. Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts= und Alterthumsvereine. 1876. Nr. 5, 6, 7 und ein Extrablatt (zwei Exemplare).
  2. Schiller, K., und A. Lübben: Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Bd. III, Heft 2. Bremen 1876. (Angekauft.)

VI. Bayern.

  1. Sitzungsberichte der philosophisch=philologischen und historischen Classe der königl. baierischen Akademie der Wissenschaften zu München. 1876, Bd. I, Heft 2. (Tauschexemplar der gen. Akademie.)
  2. Verhandlungen des historischen Vereines von Oberpfalz und Regensburg, Bd. 31. Stadtamhof 1875. (Tauschexemplar des gen. Vereins.)
  3. Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte, herausgegeben von dem historischen Vereine von und für Oberbayern, Bd. 34, Heft 3; Bd. 35, Heft 1. München 1874-1876. (Tauschexemplar des gen. Vereins.)
  4. Die Wartburg, Organ des Münchener Alterthumsvereins. Jahrg. III, Nr. 11 und 12. 1876. IV, Nr. 1 und 2. 1876/77. (Geschenk des gen. Vereins.)

VII. Würtemberg.

  1. Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. Jahrg. 1875, Theil 1 und 2, nebst Anhang. Stuttgart 1876. (Tauschexemplar des statist.=topogr. Bureaus zu Stuttgart.)
  2. Correspondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben. 1876, Nr. 7 und 8, nebst einer Kunstbeilage.

VIII. Preußen.

  1. Mittheilungen des Vereins für die Geschichte und Alterthumskunde von Erfurt. Heft 7 mit Beilagen: Weißenborn, Erinnerungen an Karl M. E. Herrmann, Erfurt 1875, und 2 latein. Festoden, 1875 und 1876. (Tauschexemplar des gen. Vereins.)
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  1. Zeitschrift des Harz=Vereins für Geschichte und Alterthumskunde. 9. Jahrg. Wernigerode, 1876. (Tauschexemplar des gen. Vereins.)
  2. Altpreußische Monatsschrift. Bd. XIII, Heft 4. Königsberg 1876. (Tauschexemplar der Alterthumsgesellschaft Prussa.)
  3. Mestorf, J.: Ueber hölzerne Grabgefäße und einige in Holstein gefundene Bronzegefäße. (Geschenk der Verfasserin, Fräul. J. M. in Kiel.)

IX. Anhalt.

  1. Mittheilungen des Vereins für anhaltische Geschichte und Alterthumskunde. I, Heft 5. Dessau 1876. (Tauschexemplar des gen. Vereins.)

X. Hansestädte.

  1. Beneke, O.: Geschlechtsregister der Hamburgischen Familie Moller (von Hirsch). Hamburg 1876. Prachtexemplar. (Geschenk des Verf., Herrn Archivars Dr. O. B. zu Hamburg.)
  2. Bremisches Jahrbuch, herausgegeben von der historischen Gesellschaft des Künstlervereins. Bd. 8. Bremen 1876. (Tauschexemplar der gen. Gesellschaft.)

XI. Meklenburg.

  1. Crull, Dr.: Die Bisthums= und Kirchspiel=Grenzen bei und in Wismar. Separatabdruck aus Jahrb. XLI. Schwerin 1876. (Geschenk des Herrn Verfassers.)
  2. Verhandlungen der 30. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Rostock. Leipzig 1876. (Geschenk des Präsidiums der gen. Versammlung.)
  3. Tages=Ordnung der 4. Versammlung mecklenburgischer Schulmänner zu Rostock am 6. Juni 1876, nebst illustrirter Speisekarte. (Geschenk des Herrn Directors Krause.)

III. Die Matrikel des Vereins.

Der Verein ist im abgelaufenen Quartal so glücklich gewesen, von seinen ordentlichen Mitgliedern keins durch

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den Tod oder durch Austritt zu verlieren. Dagegen sind demselben im August d. J. zwei Mitglieder beigetreten, nämlich Herr Freiherr A. von Maltzan auf Krukow und Wusstrow und Herr Staatsrath von Bülow zu Schwerin.

In Bezug auf die correspondirenden Vereine und Mitglieder sind keine Veränderungen zu erwähnen.

Archivrath Dr. F. Wigger,      
zweiter Secretair des Vereins.          

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XLII. 2.

Quartalbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Schwerin, im Januar 1877.


I. Wissenschaftliche Tätigkeit.

Im Laufe des verflossenen Quartals ist den Mitgliedern des Vereins der 41ste Jahrgang unserer Jahrbücher nebst dem Quartalbericht über das Vierteljahr vom Juli bis Michaelis 1876 zugesandt worden. Für den 42sten Jahrgang sind bereits zwei Abhandlungen eingereicht, nämlich:

1) "Die Frau Fineke (zu Greese)", vom Herrn Dr. med. Crull zu Wismar, und
2) "Schwerin bis zum Uebergang der Grafschaft Schwerin an das Haus Meklenburg", vom Herrn Ministerial=Registrator F. W. Lisch in Schwerin.

Der Druck des X. Bandes unsers Meklenburgischen Urkundenbuches nahet sich mit starken Schritten seiner Vollendung. Er ist bis zum 77. Bogen vorgerückt; es fehlen nur noch wenige Bogen, namentlich eine übersichtliche Zusammenstellung der mehr als 200 Holzschnitte von meklenburgischen Siegeln aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, welche in Band V-X eingedruckt sind. Diese in sphragistischer Hinsicht ohne Zweifel höchst interessante Uebersicht schließt sich unmittelbar als Fortsetzung an die Zusammenstellung der meklenburgischen Siegel aus dem 12. und dem 13. Jahrhundert an, welche dem vierten Bande des Urkundenbuches beigefügt ward, und wird wie diese auch in einem Separatabdruck, als zweites Heft der "Meklenburgischen

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Siegel", ausgegeben werden. Es erschien zweckmäßig, diese 36 Siegeltafeln noch dem zehnten Bande beizugeben, damit Bd. XI. ganz dem Herrn Dr. Crull für das Ortsregister und dem Herrn Rector Römer für das Personenregister und das Sachregister, welche sehr umfänglich zu werden versprechen, zur Verfügung bleibe. Da schon von mehreren Seiten fast ungeduldige Anfragen wegen der Register zu Bd. V-X an die Redaction ergangen sind, so wird die Nachricht willkommen sein, daß unsere beiden genannten Herren Mitarbeiter bei ihrer höchst mühsamen Arbeit unter großer Aufopferung für das Urkundenbuch gleichen Schritt mit dem Druck der sechs Bände gehalten haben, so daß die Register im Wesentlichen als vollendet anzusehen sind und ihre Drucklegung in den nächsten Monaten beginnen kann. Selbstverständlich wird aber wegen der unendlichen Menge von Zahlen der Druck nicht ganz schnell fortschreiten, so daß die Ausgabe des Registerbandes erst im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten sein wird.

II. Die Sammlungen des Vereins.

A. Die Alterthümersammlung.

Das abgelaufene Quartal hat keine bedeutende Funde aufzuweisen; doch ist das Antiquarium durch eine sehr ansehnliche Sammlung heidnischer Alterthümer bereichert worden, und zwar die Großherzogliche Sammlung. Dieser schenkte nämlich Herr Pastor Schmidt zu Lübsee mehr als 40 Stücke, welche er aus dem Nachlasse des am 15. Mai 1876 im Alter von 76 Jahren zu Lübsee verstorbenen Küsters Splitter erworben hatte. Splitter hatte diese Sammlung, welche fast durchgehend Alterthümer der Steinzeit, aus Feuerstein, Diorit u. s. w. gearbeitete, zum Theil sehr schöne Streitäxte, Keile, Dolche, Lanzen, Messer, Kornquetschen, Spindelsteine etc . enthält, während seiner langen Dienstzeit in der Gegend von Lübsee und Rehna mit nachahmungswürdigem Eifer und großer Mühe zusammengebracht und den nun erfüllten Wunsch gehegt, daß sie dem Vaterlande erhalten bleiben möchte.

Ganz leer ist aber auch die Alterthümersammlung unsers Vereins nicht ausgegangen.

Herr Stud. med. Beyer aus Schwerin schenkte nämlich dem Verein
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1 keilartig geformtes Instrument aus schwarzer Hornblende, gefunden beim Schanzengraben an der Wohlenberger Wiek, und

1 kleine Kugel von Thon, gefunden im Acker bei Proseken unweit Wismar.

Auch hat Herr Lehrer Struck in Waren, unser thätiges Mitglied, die im Jahrbuch XLI, S. 161 flgd. beschriebene Steingeräth=Werkstätte bei Eldenburg (unweit Waren) noch einmal, und nicht ohne Erfolg, besucht. Zu den a. a. O. und im vorigen Quartalbericht verzeichneten Alterthümern hat er dort noch folgende aufgefunden und zur Vereinssammlung geschenkt:

7 kleine Feuersteinsplitter wie Pfeilspitzen, meistentheils mit Schlagmarken;

1 kleinen Keil von Feuerstein, 8 Centimeter lang, an der Schneide schön geschliffen;

1 großen Keil aus Diorit, 14 Centimeter lang, überall geschliffen und gut erhalten;

2 Topfscherben, mit vertieften Parallellinien um den Bauch verziert.

Genauere Nachrichten werden hierüber im nächsten Jahrbuche erfolgen.

Dem Mittelalter gehören vielleicht schon 2 Spindelsteine aus getrocknetem Thon, an, der eine weiß, der andere braun, welche bei Granzin (unweit Boizenburg) auf dem sogenannten Töpferkamp gefunden und dem Verein vom Herrn Pastor Reisner zu Granzin geschenkt sind.

Endlich schenkte Herr Dr. Crull zu Wismar unserer Sammlung einen Gypsabguß aus einer Kachelform, die dadurch sehr interessant ist, daß sie ein Reliefbild von der (1591 verstorbenen) Herzogin Anna Sophie, Gemahlin Herzog Johann Albrecht's I. von Meklenburg, zeigt. Die Kachelform ist in einem Keller zu Wismar aufgefunden und wird jetzt im städtischen Museum daselbst aufbewahrt.

Sehr erfreulich ist es, daß die im Großherzoglichen Antiquarium vereinigten Sammlungen nicht nur vielfach von einheimischen Liebhabern von Alterthümern besucht werden, sondern auch trotz aller neuen Theorien noch immer die alte Anziehungskraft auf gründliche Forscher des Auslandes ausüben. Auf seiner Rückkehr vom Besuche des internationalen Archäologen=Congresses, der im Sommer 1876 zu Pesth gehalten ward, studirte Herr Professor Waldemar Schmidt aus Kopenhagen wiederum längere Zeit die ihm schon von früher her wohlbekannten Alterthümer des Schwerinschen

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Antiquariums. Und späterhin traf auch der durch seine Schrift über die nördlichsten aller bis jetzt entdeckten Römergräber (in Norwegen) unter den Archäologen bereits bekannte Herr Ingvald Undset, Attaché am Reichsarchiv und am archäologischen Museum zu Christiania, auf seiner Forschungsreise durch Dänemark, Deutschland und Oesterreich=Ungarn hier ein, um einige Tage auf unsere Alterthümer der Bronzezeit und der Eisenzeit zu verwenden.

B. Zur Münzsammlung

schenkte Herr Archivrath Dr. Beyer hieselbst

1 Medaille aus Britannia=Metall auf die Enthüllungsfeier des Moltke=Denkmals zu Parchim.

1 dänischen Sechsling (von 1660), gefunden zu Güstrow bei der Planirung des Walles, wandte Herr Senator Beyer zu Güstrow unserer Sammlung zu.

C. Die Büchersammlung

ward im abgelaufenen Quartal durch folgende Schriften bereichert:

I. Numismatik.

  1. Bahrfeldt, M.: Ueber Einstempelungen auf Silbermünzen der römischen Republik. Bremen.
  2. Ders.: Stempelvertauschungen bei römischen Familien=Münzen. Bremen. (Aus der Zeitschrift für Numismatik IV., Nr. l und 2. Geschenke des Herrn Verf.)

II. Heraldik.

  1. Hohenlohe=Waldenburg, Fürst zu: Das heraldische und decorative Pelzwerk. Neue, ganz umgearbeitete Auflage. Stuttgart 1876. (Geschenk des Herrn Verf., mit eigenen handschriftlichen Nachträgen.)

III. Italien.

  1. Atti e Memorie delle RR. Deputazioni di storia patria per le provincie Modenesi e Parmensi. Vol. VIII, fasc. 5, in 4°. Modena 1876. (Tauschexemplar des Museums zu Parma.)

IV. Russische Ostseeprovinzen.

  1. Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv=, Est= und Kurlands. Bd. XII, Hft. 2. Riga 1876.
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  1. Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands aus dem Jahre 1875. (Nr. 5 und 6 im Austausch von der unter Nr. 6 genannten Gesellschaft erhalten.)

V. Dänemark.

  1. Schmidt, Vald., Le Dänemark, à l'exposition universelle de 1867 étudié principalement au point de vue de l'archeologie. Paris 1868.
  2. Ders. Notice sur les musées archéologiques et ethnographiques de Copenhague. Copenh. 1875. (Nr. 7 und 8 Geschenke des Herrn Verf.)
  3. Aarbøoger for nordisk oldkyndighed og historie 1875, Heft 1-4; 1876, Heft 1 und 2. Kiøbenhavn.
  4. Tillaeg til aarbøger etc., aargang 1874. (Nr. 9 u. 10 Tauschexemplare der Gesellschaft für nordische Alterthumskunde zu Kopenhagen.)

VI. Niederlande.

  1. Overijsselsche stad-, dijk- en markeregten. III, 9. Zwolle 1876.
  2. Verslag van de handelingen der 37 vergadering, gehouden te Kampen den 13 Junij 1876. ZwoIIe 1876.
  3. Verzamelingen van stukken, die betrekking hebben tot overijsselsch regt en geschiedenis, afd. II, stuk 10. Zwolle 1876. (Nr. 11-13 Tauschexemplare des overysselschen Vereins.)

VII. Schweiz.

  1. Argovia. Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau. Bd. IX. Aarau 1876.
  2. Katalog der Bibliothek der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau. Aarau 1874. (Nr. 14 und 15 Tauschexemplare der genannten Gesellschaft.)
  3. Der Geschichtsfreund. Mittheilungen des historischen Vereins der fünf Orte Lucern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Bd. XXXI. Einsiedeln, New=York, Cincinnati und St. Louis 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

VIII. Österreichs=Ungarn.

  1. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. VI, Nr. 5, 6, 7. 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
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  1. Jahresbericht des Lesevereins der deutschen Studenten Wiens über das V. Vereinsjahr 1875-1876. Wien 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)
  2. Bericht 33 und 34 über das Museum Francisco-Carolinum. Nebst Lieferung 28 und 29 der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Ens. Linz 1875. 1876. (Tauschexemplar des genannten Museums.)
  3. Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. 3. Folge, Heft 20. Innsbruck 1876. (Tauschexemplar des Ferdinandeums.)
  4. Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark. Heft 24. Graz 1876.
  5. Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen. Jahrg. 13. Graz 1876. (Nr. 21 und 22 Tauschexemplare des histor. Vereins für Steiermark.)
  6. Dimitz, Aug.: Geschichte Krains von der ältesten Zeit bis auf das Jahr 1813. Bd. I. und II. Laibach 1875 und 1876. (Tauschexemplar des histor. Vereins für Krain.)
  7. Bibliographische Berichte über die Publicationen der Akademie der Wissenschaften in Krakau. Heft 1. Krakau 1876. (Tauschexemplar der genannten Akademie.)

IX. Allgemeine deutsche Sprach=, Geschichts= und Alterthumskunde.

  1. Schiller, K., und Lübben, A.: Mittelniederdeutsches Wörterbuch III, 3. Bremen 1876. (Angekauft.)
  2. Franck's, Seb., Erste namenlose Sprichwörtersammlung vom Jahre 1532, mit Erläuterungen herausgeg. von Friedr. Latendorf. Poesneck 1876. (Geschenk des Herausgebers.)
  3. Historische Zeitschrift, herausgegeben von H. v. Sybel. Bd. 33 und 34. München 1875. (Von einem Leseverein angekauft.)
  4. Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts= und Alterthumsvereine. 1876, Nr. 8-11. (Zwei Exempl.)

X. Bayern.

  1. Sitzungsberichte der philosophisch=philologischen und historischen Classe der k. bay. Akademie der Wissenschaften zu München. 1876, Bd. I, Heft III. und IV. (Tauschexemplar der genannten Akademie.)
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  1. Die Wartburg. Organ des Münchener Alterthumsvereins. Jahrg. 4, Heft 3-5. 1876. 77. (Geschenk des genannten Vereins.)

XI. Würtemberg.

  1. Correspondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben. 1876, Nr. 9-11. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

XII. Hessen.

  1. Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. XIV, Heft 2. Darmstadt 1876. (Tauschexemplar des hessischen histor. Vereins.)

XIII. Reuß.

  1. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des vogtländischen alterthumsforschenden Vereins zu Hohenleuben nebst dem 44., 45. und 46. Jahresbericht und Festbericht.
  2. Dass. Thl. II, Dunger, Herrn., Der vogtländische gelehrte Bauer. (Nr. 33 und 34 Tauschexemplare des genannten Vereins.)

XIV. Sachsen=Altenburg.

  1. Mittheilungen des Vereins für Geschichts= und Alterthumskunde zu Kahla und Roda, Heft 4. Kahla 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

XV. Anhalt.

  1. Mittheilungen des Vereins für anhaltische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. I, Heft 6. Dessau 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

XVI. Preußen.

  1. Altpreußische Monatsschrift. XIII, 5. 6. Königsberg 1876. (Tauschexemplar von der Alterthumsgesellschaft Prussia.)
  2. Zeitschrift des historischen Vereins für den Reg.=Bezirk Marienwerder. Marienwerder 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)
  3. Schriften der physikalisch=oekonomischen Gesellschaft zu Königsberg. XVI, l. 2. Königsberg 1875. 76. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
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  1. Märkische Forschungen. Herausgegeben von dem Vereine für Geschichte der Mark Brandenburg. Bd. XIII. Berlin 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)
  2. Geschichts= Blätter für Stadt und Land Magdeburg. XI, 3. Magdeburg 1876. (Tauschexemplar des betreffenden Vereins.)
  3. Jahresbericht, 53ster, der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Breslau 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
  4. Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande. Heft 57 und 58. Bonn 1876. (Tauschex.)
  5. Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde in Hohenzollern. IX. Jahrg. Sigmaringen 1876. (Tauschexemplar.)

XVII. Bremen.

  1. Bremisches Urkundenbuch II, 4. Bremen 1876. (Geschenk des Archivs der freien Hansestadt Bremen.)

XVIII. Oldenburg.

  1. Statuten des Oldenburger Landesvereins für Alterthumskunde.
  2. Bericht über die Thätigkeit des Oldenburger Landesvereins für Alterthumskunde vom 1. März 1875 bis dahin 1876. Oldenburg. (Nr. 46 und 47 Tauschexemplare des neu gestifteten Vereins zu Oldenburg.)

XIX. Meklenburg.

  1. Lisch, G. C. F., Die Kirche und Pfarre zu Vellahn. Schwerin 1876. Separatabdruck aus den Meklenb. Jahrb. 41. (Geschenk des Herrn Verf.)
  2. Wigger, F., Festschrift zur Feier 50jähriger Amtsführung, am 12. October 1876 dem Herrn Archivrath Dr. G. M. C. Masch dargebracht von dem Verein für Meklenb. Geschichte und Alterthumskunde. (Ueber die Abstammung der Gräfin Adelheid von Ratzeburg.) Schwerin 1876.

III. Die Matrikel.

Der Personalbestand unsers Vereins hat in dem abgelaufenen Quartal bedauerlichst eine empfindliche Verminderung erlitten. Beigetreten ist nur ein neues Mitglied, Se. Exc. der Herr Oberjägermeister v. Bülow auf Kühren zu Schwerin.

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Dagegen verlor der Verein von seinen ordentlichen Mitgliedern eins durch Austrittserklärung, nämlich Herrn Dr. Schnelle, vormals auf Buchholz, jetzt zu Rostock, und vier durch den Tod, nämlich zunächst Herrn Gutsbesitzer M. F. Maue auf Gr.=Siemen, der dem Verein seit 1851 angehörte. Ferner starb am 14. December Herr Hofbuchdrucker Dr. Sandmeyer zu Schwerin, der 1863 dem Verein beigetreten war und sich durch rege Mitwirkung bei der Herausgabe des "Archivs für Landeskunde" um die patriotische Litteratur verdient machte. Wenige Tage später, am 19. December, starb zu Schwerin Herr Regierungsrath Dr. Prosch, der sich schon bei der Gründung des Vereins eifrig betheiligte, bei der Redaction der Statuten thätig war, zu den ersten Repräsentanten (1835-1836) gehörte und 1864-69 wiederum das Amt eines Repräsentanten verwaltete, auch allzeit den Bestrebungen des Vereins mit großer Aufmerksamkeit folgte. Endlich traf kurz vor der Quartalversammlung hier noch die Nachricht ein, daß am 5. Januar 1877 der Herr Landrath v. Rieben Exc. auf Gahlenbeck bei Friedland sein thätiges Leben beschlossen hat. War die Wirksamkeit des Verewigten auch vornehmlich den ständischen Angelegenheiten zugewandt, denen er, zuletzt als dirigirender Landrath, seine volle Kraft mit seltener Hingebung und Pflichttreue widmete, so beschäftigte er sich doch auch gern mit der Landesgeschichte und war stets bereit, Forschungen in derselben zu fördern. Der Verein, der ihn seit 1846 zu seinen Mitgliedern zählte, hat ihm namentlich ein lebhaft bethätigtes Interesse für das Zustandekommen und Gedeihen des Meklenburgischen Urkundenbuches nachzurühmen.

Nachträglich bleibt hier zu erwähnen, was im letzten Jahresbericht übersehen ist, daß der am 29. April 1876 verstorbene Senator Viereck zu Güstrow gleichfalls unser langjähriges Mitglied war.

Auch aus der Reihe unserer correspondirenden Mitglieder hat der Tod einen unserer ältesten Gönner hinwegnommen. Am 7. October 1876 starb nämlich zu München in seinem 82. Lebensjahre der als Herausgeber der Monumenta Germaniae historica und als Biograph des Reichsfreiherrn v. Stein und des Feldmarschalls Gr. Neithardt v. Gneisenau berühmte Historiker, langjährige Vorsteher der Königl. Bibliothek in Berlin, Geh. Regierungsrath Dr. G. H. Pertz. Seine großen Verdienste um die deutsche Geschichte und um die Ausbildung junger Historiker gebührend zu würdigen, ist hier nicht der Ort. Es sei hier nur bemerkt,

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daß er einer der ersten 40 correspondirenden Mitglieder war, welche unser Verein am 5. October 1835 ernannte, und daß er in dem langen Zeitraume von 41 Jahren unsern Bestrebungen stets mit sichtlichem Beifall folgte, sie auch wiederholt gern mit Litteratur unterstützte.

Nach der Aufzählung aller dieser herben Verluste gedenken wir des erfreulichen Ereignisses, daß eins der ältesten Mitglieder, seit 1860 Ehrenmitglied des Vereins und einer unserer eifrigsten Mitarbeiter, Herr Senior Archivrath Dr. Masch, Pastor zu Demern, nach gesegneter 50jähriger Amtsführung am 12. October 1876 sein Jubiläum feierte. Der Vorstand beglückwünschte den Jubilar im Namen des Vereins mit einer von dem Unterzeichneten verfaßten "Festgabe": "Ueber die Abstammung der Gräfin Adelheid von Ratzeburg". -

Zum Schlusse verdient noch angeführt zu werden, daß mit dem zu Oldenburg 1875 gestifteten "Oldenburger Landesverein für Alterthumskunde" auf dessen Wunsch ein Schriften=Austausch eingeleitet ist und derselbe seinen ersten Jahresbericht (1876) hieher eingesandt hat.

Archivrath Dr. F. Wigger,      
zweiter Secretair des Vereins.          

Vignette
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XLII. 3.

Quartalbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Schwerin, Mitte April 1877.


I. Wissenschaftliche Tätigkeit.

Wie im vorigen Quartalbericht schon angekündigt war, ist im Laufe dieses Winters der X. Band des Meklenburgischen Urkundenbuches im Druck vollendet und auch bereits an die Abonnenten versandt worden. Derselbe zerfällt in zwei ungleiche Abtheilungen; die erste, größere Hälfte enthält in den Nummern 6603-7143 die Urkunden aus den Jahren 1346-1350 und schließt mit einem sehr umfänglichen Proceß, der freilich erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geführt ist, meines Erachtens aber schon hier mitgetheilt zu werden verdiente, da er seinem Ursprunge nach enge mit der Judenverfolgung in Veranlassung des "schwarzen Todes" im Jahre 1350 zusammenhängt und zu den wenigen Stücken, welche wir sonst über dieselbe zu geben hatten, eine wesentliche Ergänzung bildet. Mit dieser zweiten, größeren Hälfte des X. Bandes war das Ziel der zweiten Hauptabtheilung des ganzen Urkundenwerkes erreicht, der meklenburgische Urkundenschatz aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in 4420 Nummern zum Abdruck gebracht. Indessen wurden während des Druckes unserer letzte sechs Bände nach und nach, zum Theil gerade in Veranlassung unserer Publication, noch manche uns interessirende neue Documente in auswärtigen Archiven bemerkt und von den

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Herren Archivaren freundlichst eingesandt; ferner ergaben fast alle neu erschienenen norddeutschen Urkundenwerke Actenstücke, die ich aus den verschiedensten Gründen berücksichtigen zu müssen glaubte; und bei dem fortgesetzten Studium von Urkundenwerken aus ferneren Gegenden, in denen ich im Allgemeinen kaum Meklenburgisches vermuthen konnte, stieß ich doch hie und da noch auf beachtenswerthe Diplome, welche in irgend einer Beziehung zu Meklenburg standen. Endlich wurden auch im Großherzoglichen Geh. und Haupt=Archiv noch hie und da unvermuthet in Acten jüngere Abschriften von bisher unbekannten Texten sichtbar, und bei einer neuen Durchforschung des reichen Rostockischen Raths=Archives, welche mir von E. E. Rath gütigst gestattet wurde, fand ich im J. 1875 an einer früher übersehenen Stelle noch über 80 kleine Obligationen, welche verschiedenen Rostocker Kaufleuten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von meklenburgischen Fürsten und Edelleuten ausgestellt und, wenn auch nach geleisteter Zahlung fast alle schon cassirt (und darum der Siegel leider beraubt), doch in den Händen der Kaufleute verblieben und später ins Stadt=Archiv gekommen sind. Ein Theil dieser Schuldverschreibungen, welche für die Genealogie des Adels und für die Culturgeschichte von erheblichem Werthe sind, konnten, weil sie in das fünfte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts fielen, noch in den damals eben unter der Presse befindlichen IX. Band und in die erste Hälfte des X. Bandes an richtiger Stelle nach ihrem Datum eingereihet werden. Die übrigen aber wurden mit allen jenen oben erwähnten neu entdeckten Urkunden in den "Nachträgen" zum Abdruck gebracht, welche hiedurch auf 257 Nummern stiegen. Diese zweite Abtheilung des X. Bandes enthält Urkunden und Regesten aus den Jahren 1107-1350, also Ergänzungen zu den sämmtlichen 10 Bänden. Der Leser findet unter denselben auch noch manche Inschriften, deren vollständige Aufnahme, weil sie meistentheils schon in den Jahrbüchern abgedruckt waren, ursprünglich nicht beabsichtigt wurde, sich hernach aber doch der Vollständigkeit halber als wünschenswerth herausstellte. Insonderheit dürfte dies von den unter Nr. 7399 vereinigten Parchimschen Grabstein=Inschriften in hebräischer Sprache gelten. Die meisten derselben hatte schon der berühmte Orientalist Tychsen in seinen "Bützowschen Nebenstunden" publicirt, und andere Gelehrte haben diesen Abdruck späterhin wiederholt; aber Tychsens "Nebenstunden" sind bereits selten geworden, und die späteren Abdrücke den Historikern wenig zugänglich, auch

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giebt keiner die vollständige Reihe aller bisher aufgefundenen Inschriften. Für die Texte derjenigen Grabsteine, welche früher im Kreuzthore zu Parchim vermauert waren, blieb Tychsens Kupferstich auch jetzt noch unsere einzige Quelle, da diese bei dem Abbruche des Thores keiner Beachtung werth gehalten und zerstreut sind. Dagegen die andern jüdischen Grabsteine, welche in der Marienkirche zu Parchim eingemauert und dadurch erhalten sind, hat Herr Oberlehrer Dr. Freybe die Güte gehabt noch einmal gründlich zu revidiren, und nicht ohne Erfolg. Endlich ließ sich eine der ersten Auctoritäten auf diesem Gebiete, Herr Professor Dr. Franz Delitzsch zu Leipzig, mit bekannter Gefälligkeit bereit finden, die sämmtlichen Texte und Tychsens Uebersetzung noch einmal zu prüfen und mit Erläuterungen und kritischen Bemerkungen auszustatten, welche unserm Abdruck einen besonderen Werth verleihen.

Einen Anhang zum X. Bande bildet eine Zusammenstellung der sämmtlichen in Bd. V.-X. abgebildeten "Meklenburgischen Siegel aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts", welche sich an die dem IV. Bande beigegebene Uebersicht der Siegel aus dem 13. Jahrhundert anschließt und auch wie diese in einem Separatabdruck käuflich ist. Wie es bei der ersten Abtheilung geschehen war, schien es wiederum angemessen, auch die zur Erläuterung einzelner Siegel beigefügten Holzschnitte von späteren mittelalterlichen Siegeln und sonstigen Wappenabbildungen mit abzudrucken. Die Zahl der sämmtlichen Abbildungen in den bisher herausgegebenen zehn Bänden beläuft sich auf nicht weniger als 374; und dennoch möchte man, in Hinsicht auf die große Bedeutung der Siegel für die Erforschung der Herkunft und Verwandtschaft mancher Adelsgeschlechter und auf die Vergänglichkeit der Wachssiegel, wohl wünschen, daß es möglich gewesen wäre, noch mehr Siegel von erloschenen Familien abzubilden. Indessen hoffen wir, daß die Siegelbeschreibungen, auf welche bei der Bearbeitung unserer Urkunden die möglichste Sorgfalt verwandt ist, dafür einen einigermaßen genügenden Ersatz bieten.

Das Ortsregister zu Bd. V.-X. unsers Urkundenbuches hat Hr. Dr. Crull bereits soweit gefördert, daß der Druck desselben noch in diesem Monat in Angriff genommen werden soll; und es steht zu erwarten, daß nach der Vollendung desselben auch Herrn Rector Römers Personen=Register sofort unter die Presse gehen kann. -

Was die zweite Hauptthätigkeit unsers Vereins, die Fortsetzung der Jahrbücher, betrifft, so fördert der erste

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Vereins=Secretär, Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch, den Drucke des 42. Jahrganges mit gewohntem Eifer; wie es in den früheren Jahren der Fall war, so steht zu hoffen, daß auch in der diesjährigen Generalversammlung die erste Abtheilung des neuen (42.) Bandes (die Jahrbücher für Geschichte) schon vollständig gedruckt wird vorgelegt werden können. Nähere Mittheilungen über den Inhalt derselben versparen wir uns auf den nächsten Quartal= und Schlußbericht. Es sei hier nur noch bemerkt, daß Herr Secretär Fromm bereits an den Registern über die Jahrgänge 31-40 arbeitet und dieselben hoffentlich in Jahresfrist wird zu Ende führen können.

Von Werken, welche, wenn auch nicht auf Anregung des Vereins und auf Kosten desselben, so doch von unsern Mitgliedern herausgegeben werden und deshalb unsere lebhafte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, erwähnen wir zunächst wiederum das "Mittelniederdeutsche Wörterbuch", welches unser verewigter Bibliothekar, Herr Oberlehrer Dr. K. Schiller, in Gemeinschaft mit dem Herrn Oberlehrer Dr. A. Lübben in Oldenburg unternahm und Letzterer nun allein weiterführt; wir können mittheilen, daß jüngst das 17. Heft erschienen ist, in welchem der Schluß des 3. Bandes (M-R) und der Anfang des 4. Bandes vereinigt sind. Möge es Herrn Dr. Lübben vergönnt sein, mit gleicher Rüstigkeit nun auch den vierten Band und damit das ganze bedeutende Werk zu vollenden!

Ferner können wir nicht unterlassen, hier auf ein anderes Buch hinzuweisen, das freilich zunächst mehr zu einem praktischen Zwecke verfaßt ist und eine Darstellung aus der Gegenwart geben soll, aber wegen seines eingeflochtenen historischen Materials eine hervorragende Stelle in der neueren Litteratur über die meklenburgische Geschichte einnimmt; wir meinen den eben ausgegebenen I. Band der "Finanzverhältnisse in Meklenburg=Schwerin, mit besonderer Berücksichtigung ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt von C. W. A. Balck." Wenngleich in demselben uns erst zwei Abtheilungen des ganzen Werkes, nämlich die "Organisation der Finanzen" und die "Haupteinnahmen und Verwaltungs=Ausgaben der Domänen", vorliegen, dagegen alle übrigen Einnahme= und Ausgabepositionen der Staatsfinanzen, namentlich auch die Steuern und Zölle, noch dem zweiten Bande vorbehalten sind: so dürfen wir doch schon jetzt die sichere Erwartung aussprechen, daß diese Arbeit des Herrn Revisionsraths Balck, unsers thätigen Vereins=Mit=

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gliedes und =Repräsentanten, dem längst empfundenen Mangel an einer Geschichte der Finanzen Meklenburgs, also eines sehr wesentlichen Factors in unserer Landesgeschichte, gründlich abhelfen wird. In knapper, und doch klarer und geschmackvoller Kürze hat der Herr Verfasser, in der richtigen Ueberzeugung, daß die Gegenwart nur aus der Vergangenheit zu verstehen ist, den Gang der Finanzverwaltung im Allgemeinen und der einzelnen Zweige derselben in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis auf die Gegenwart verfolgt und dann in ihrem dermaligen Bestande dargestellt, z. B. gleich zu Anfang die Umbildung des einheitlichen Finanzsystems zu der ständischen Mitverwaltung und deren Verlauf, den allmählichen Uebergang der Naturalwirthschaft zur Geldwirthschaft u. s. w. Als höchst bedeutend heben wir hervor die auf umfänglichen archivalischen Forschungen beruhenden Mittheilungen über die Verwaltung und die Erträge der Domänen in den verschiedenen Zeiten, über die Verpfändungen der einzelnen Aemter und die Verhältnisse der Bauern und der übrigen Bevölkerung der Domänen nach allen Richtungen hin. Es ist hier eben keine Seite der Domanialverwaltung unbeachtet geblieben, und hierauf legen wir ein nicht geringes Gewicht. Denn wenn auch der Historiker sich bei einzelnen Untersuchungen veranlaßt fühlen wird, noch weitere Specialitäten aufzusuchen, so ist hier doch in aller Kürze ein so bedeutendes Material, so wie es die Oekonomie des Buches erforderte, bald ausführlicher, bald in kurzen Andeutungen aufgehäuft, zum Theil wenigstens in den von großer Belesenheit zeugenden Anmerkungen nachgewiesen, und was nicht hoch genug zu schätzen ist, Alles in systematischem Zusammenhange mit andern Verhältnissen richtig gewürdigt und klargestellt, daß dies Werk nach seiner Vollendung für alle einschlagenden Forschungen als Grundlage dienen wird.

II. Die Sammlungen des Vereins.

A. Zur Alterthümersammlung

sind in dem verflossenen Quartal von Neujahr bis Ostern nicht gerade viele, aber doch einige recht bemerkenswerthe heidnische Alterthümer hinzugekommen. Dahin rechnen wir namentlich

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a. einige Bronzealterthümer,

und an erster Stelle eine 1875 beim Sandgraben auf dem Schulacker zu Rutenbek bei Crivitz gefundene und dem Verein vom Herrn Lehrer Linshöft daselbst geschenkte

bronzene Lanzenspitze, welche dadurch sehr merkwürdig ist, daß in derselben noch die wohl erhaltene hölzerne Schaftspitze steckt.

Ferner erwarb der Verein durch gütige Vermittelung des Herrn Dr. Crull zu Wismar zwei bronzene Schmucksachen, nämlich

einen gewundenen Halsring und

einen mit Querreifen verzierten Armring,

beide ohne Rost. Sie waren von einem im Dorfe Meklenburg wohnhaften Aufkäufer an einen Gürtler zu Wismar veräußert.

b. Aus der Eisenzeit stammen

1 gut erhaltene schwarze Urne,

2 halbe braune Urnen und

1 zerbrochene Heftel von Eisen,

gefunden 1876, beim Bau einer Chaussee, auf einem heidnischen Begräbnißplatze in dem Forstreservat von Neukloster und von dem damaligen Chaussee=Baumeister Herrn Ingenieur Szalla hieher eingeliefert.

c. Aus dem Auslande

ist uns als ein sehr werthvolles Geschenk eines unserer Mitglieder, des Herrn Bauraths Wachenhusen, jetzt zu Chemnitz, ein sehr merkwürdiger Fund zugegangen, welcher neuerdings auf dem Braunkohlen=Bergwerke zu Ladowitz bei Dux in Böhmen, 6 Fuß tief unter der Erdoberfläche, in einem Kieslager entdeckt ward. Das wichtigste Stück ist

eine "Riesenurne" von 61 Centimetern Höhe und 210 Cent. Umfang, wohl gegen 200 Pfund schwer. In dieser großen Urne fanden sich außer Knochenfragmenten

ein kleiner rundlicher Tragetopf, 11,5 Cent. hoch, und

eine kleine Henkelkanne von 12 Cent. Höhe.

Ueber diesen Fund ist eine Abhandlung vom Herrn Geh. Archivrath Dr. Lisch zu erwarten.

B. Die Münzsammlung

ward gleichfalls mit einigen Geschenken bedacht.

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Es wurden zu derselben beigesteuert:

a. von Frau Pastorin Matthesius zu Schwerin:

1 gehenkelte Silbermedaille des Herzogs Joachim Ernst von Sachsen=Saalfeld auf die Säcularfeier der Reformation im J. 1717.

b. von Herrn Archivrath Dr. Beyer:

1 brandenburg=clevesche Denkmünze von Bronze, gefunden bei Schwerin in einer Sandgrube. Die Schrift auf derselben ist nicht mehr zu lesen.

c. von Herrn Premier=Lieutenant v. Zawadzky zu Schwerin:

5 norddeutsche und dänische silberne Scheidemünzen aus dem 17. Jahrhundert.

C. Die Büchersammlung

erhielt im abgelaufenen Quartal folgenden Zuwachs:

I. Nord=Amerika.

  1. Annual report of the board of regents of the Smithsonian institution for the year 1875. Washington. 1876. (Tauschexemplar des gen. Instituts.)

II. Italien.

  1. Atti e Memorie delle RR. Deputazioni di storia patria per le provincie Modenesi e Parmensi. Vol. VIII, fasc. 6. Modena 1876. (Tauschexemplar des Museums zu Parma.)

III. Russische Ostseeprovinzen.

  1. Beiträge zur Kunde Ehst=, Liv= und Kurlands, herausgegeben von der Ehstländischen Literarischen Gesellschaft. Bd. II, Heft 2. Reval 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)

IV. Dänemark.

  1. Worsaae, J. J. A., discours prononcé devant la société royale des antiquaires du nord, à 1' occasion du 50 e anniversaire de sä fondation dans la séance
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du 28 Janv. 1875, traduit du danois par P abbe L. Morillot. (Geschenk des Herrn Verf.)

V. Schweiz.

  1. Jahrbuch für schweizerische Geschichte, herausgegeben auf Veranstaltung der allgemeinen geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz. Bd. I. Zürich 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)

VI. Oesterreich=Ungarn.

  1. Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch=historische Classe. Bd. LXXX, Heft 4, Bd. LXXXI, Heft 1-3, Bd. LXXXII, Heft 1-2. Wien 1875, 1876.
  2. Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 54, 1. Hälfte. Wien 1876.
  3. Fontes rerum Austriacarum. Oesterreichische Geschichtsquellen. Bd. 38. Wien 1876.
  4. Mittheilungen der K. K. Central=Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst= und historischen Denkmale, Bd. I und II. Wien 1875, 1876. (Mit No. 6, 7 und 8 Tauschex. der gen. Akademie.)
  5. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. VI, No. 10. 1876. VII, No. 1-3, 1877. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
  6. Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen. Bd. XIV, 3, 4. XV, 1, 2. Prag 1876.
  7. Wilhelm von Wenden. Ein Gedicht Ulrichs von Eschenbach, herausgegeben von Wendelin Toischer. Prag 1876.
  8. Stadtbuch von Brüx bis zum Jahre 1526. Bearbeitet von Dr. Ludw. Schlesinger. Prag 1876. (No. 11-13. Tauschex. des unter No. 11 genannten Vereins.)

VII. Allgemeine deutsche Sprach=, Geschichts= und Alterthumskunde.

  1. Schiller, K., und Lübben, A. Mittelniederdeutsches Wörterbuch. III, 4 und IV, 1. Bremen 1876, 1877. (Angekauft.)
  2. Monumenta Germaniae historica. Deutsche Chroniken des Mittelalters, Bd. II [Hannover 1877]. (Geschenk des Ministeriums des Innern.)
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  1. Literarische Correspondenz, herausgegeben von Hans Adam Stöhr. Leipzig 1877. No. 1. Probenummer.
  2. Literarischer Handweiser, zunächst für das katholische Deutschland. Jahrg. 16, No. 3. 1877. (Tauschex. der Redaction.)
  3. Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts= und Alterthumsvereine. 1876, No. 12. 1877, No. 1 und 2. (Zwei Exempl.)

VIII. Baiern.

  1. Bericht 38. über Bestand und Wirken des historischen Vereins für Oberfranken zu Bamberg im Jahre 1875. Bamberg 1876. (Tauschex. des gen. Vereins.)
  2. Die Wartburg. Organ des Münchener Alterthumsvereins. Jahrg. IV, Heft 6-8. 1876, 77. (Geschenk des gen. Vereins.)
  3. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Bd. 23, Jahrg. 1876. (Tauschex. des germanischen Museums zu Nürnberg.)

IX. Würtemberg.

  1. Correspondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben. 1876, No. 12. 1877, No. 1 und 2. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

X. Sachsen=Meiningen.

  1. Hennebergisches Urkundenbuch, herausgegeben von G. Brückner. Thl. VII. Meiningen 1877. (Tauschex. des Hennebergischen Vereins zu Meiningen.)

XI. Preußen.

  1. Altpreußische Monatsschrift XIII, 7, 8. Königsberg 1876. (Tauschex. der Alterthumsgesellschaft Prussia.)
  2. Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 52, Heft 2. Görlitz 1876. (Tauschex. der oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften.)
  3. Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a. M., 1875, 1876.
  4. Battonn, J. G. Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main. Heft 7 herausgeg. von L. H. Euler. Frankfurt a. M. 1875.
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  1. Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a. M. V. Bd. No. 2. 1875.
  2. Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein am Liebfrauenstifte über die Vorgänge seines Capitels und die Ereignisse der Reichsstadt Frankfurt a. M. in den Jahren 1520 bis 1548, herausgeg. von G. Ed. Steitz. Frankfurt a. M. 1876. (No. 26-29 Tauschex. des unter No. 26 genannten Vereins.)
  3. Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Alterthümer zu Emden. Bd. II, Heft 2. Emden 1877. (Tauschex. der gen. Gesellschaft.)

XII. Bremen.

  1. Bremisches Urkundenbuch, herausgeg. von D. R. Ehmck und W. v. Bippen. III. Bd., 1. Lief. Bremen 1877. (Geschenk des Archivs der freien Hansestadt Bremen.)

XIII. Meklenburg.

  1. Großherz. Meklenburg=Schwerinscher Staats=Kalender, Jahrg. 102. 1877. (Geschenk des Verlegers, des Herrn Dr. Bärensprung in Schwerin.)
  2. Archiv des Vereins der Freunde der Naturgeschichte in Meklenburg, 30. Jahrg. (1876). Neubrandenburg 1876. (Tauschex. des gen. Vereins.)
  3. Schröder, Ferd. Der Dichter F. W. Rogge und seine Beziehungen zu dem Großherzog von Mecklenburg=Schwerin. Leipzig 1877. (Geschenk des Fräuleins A. Buchheim in Schwerin)
  4. Programm der großen Stadtschule zu Rostock 1877. (Inhalt: Labes, E. Comparantur inter se Philippi Melanthonis loci theologici et Joannis Calvini institutio religionis Christianae.) Geschenk des Herrn Directors Krause.
  5. Programm der Domschule zu Güstrow 1877. (Inhalt: Fritzsche, Th., Beiträge zur Kritik des Horaz.) Geschenk des Herrn Direct. Dr. Raspe.
  6. Programm des Gymnasiums zu Parchim 1877. (Inhalt: Klapp, Alb. L'avare ancien et moderne tel qu' il a été peint dans la littérature.) Geschenk des Herrn Direct. Dr. Meyer.
  7. Programm der Realschule zu Schwerin 1877. (Inhalt: Nöldeke, Wilh. De Rhesi fabulae aetate et forma.) (Geschenk des Herrn Directors Dr. Adam.)
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  1. Programm des Gymnasiums zu Schwerin 1877. (Inhalt: Hense, C. C. Beseelende Personification in griechischen Dichtungen mit Berücksichtigung lateinischer Dichter und Shakspere's. (Abth. 2.) Geschenk des Herrn Directors Dr. Hense.

D. Die Bildersammlung

des Vereins ist auch nicht ganz leer ausgegangen; Herr Archivrath Dr. Beyer schenkte zu derselben

eine Ansicht der Stadt Rostock in Holzschnitt, aus dem Parvurn theatrum urbium authore Adriano Romano, Francof. 1595. 4°.

III. Die Matrikel des Vereins

ist im abgelaufenen Quartal leider durch kein einziges neues Mitglied bereichert; dagegen haben nicht weniger als fünf ordentliche Mitglieder ihren Austritt angemeldet, nämlich:

Herr Stadtsecretair Trotsche zu Güstrow, Herr v. Lützow auf Tessin, Herr Rettich auf Rosenhagen, Herr Volksschul=Director Pastor Peters und Hr. Rentier Dehns hieselbst.

Von unsern correspondirenden Mitgliedern haben mir einen langjährigen Gönner durch den Tod verloren, den königl. preußischen Geh. Regierungsrath und Conservator der Kunstdenkmäler Ferd. v. Quast auf Radensleben († am 11. März d. J., fast 70 Jahre alt). Unserm Verein gehörte er seit 1854 als correspondirendes Mitglied an und schrieb für den 23. Band unserer Jahrbücher eine Abhandlung über "Grabplatten von Ziegeln in der Klosterkirche zu Doberan", machte auch sonst manche werthvolle kunsthistorische Mittheilung.

Dagegen ward Herr Advocat Lorange, der Conservator an dem Museum zu Bergen in Norwegen, nachdem er den Wunsch mit uns in Verbindung zu treten ausgesprochen hatte, in der Quartalversammlung am 9. d. M. zu unserm correspondirenden Mitglied erwählt.

Die Zahl der mit dem unsrigen correspondirenden Vereine hat sich jüngst um einen vermindert, indem der "Historische Verein" zu Münster hieher den Beschluß gezeigt hat, "mit Rücksicht auf die Zeitschrift des Münster=

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schen Alterthumsvereins, sowie auf die Rheinisch=Westph. Monatsschrift von Pick", seine eigene Zeitschrift eingehen zu lassen und den Schriftenaustausch aufzuheben.

Archivrath Dr. F. Wigger,      
zweiter Secretair des Vereins.          

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XLII, 4.

Quartal= und Schlussbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.


Schwerin, 11. Juli 1877.


I. Wissenschaftliche Tätigkeit.

Die heutige Generalversammlung des Vereins ward unter dem Vorsitze des Vicepräsidenten, Herrn Staatsraths Dr. Wetzell Exc., abgehalten.

Zunächst verlas der unterzeichnete zweite Secretair folgenden Jahresbericht:

"Wenn wir auf den Verlauf des 42. Vereinsjahres heute am Schlusse zurückblicken, so dürfen wir dasselbe als ein im Ganzen recht glückliches und für die Thätigkeit und Wirksamkeit des Vereins gedeihliches bezeichnen, während es in andern Beziehungen in der nunmehr schon langen Reihe von Jahren, welche der Verein zurückgelegt hat, keineswegs eine hervorragende Stelle einnimmt, weder durch eine Vermehrung der Mitgliederzahl noch durch bedeutende Bereicherungen unserer Sammlungen oder durch wichtige Entdeckungen auf unserm Arbeitsfelde. In ersterer Beziehung ist sogar bedauerlichst zu constatiren, daß die Zahl unserer ordentlichen Mitglieder, welche am Schlusse des vorigen Jahres auf 272 angegeben ward und in Wirklichkeit 271 betrug, im Laufe des 42. Vereinsjahres auf 262 heruntergegangen ist. Nämlich außer den in den drei früheren

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Quartalberichten aufgeführten dreien ist nur noch ein neues Mitglied zu nennen, Herr Archivassistent Saß hieselbst. Dagegen haben wir sechs ordentliche Mitglieder durch den Tod verloren, nämlich die Herren Gutsbesitzer Maue auf Gr.=Siemen, Hofbuchdrucker Dr. Sandmeyer hieselbst, Regierungsrath Dr. Prosch, Landrath v. Rieben auf Galenbek und im letzten Quartal den Herrn Kaufmann Wilh. Dumrath zu Rostock († 18. April) und Herrn Grafen Ludwig v. Blücher († zu Wiesbaden am 15. Mai); und zu den sechs Mitgliedern, welche bis Ostern ihren Austritt angezeigt hatten, ist seitdem noch Herr Hofrath Müller, Bürgermeister zu Penzlin, hinzugekommen. Es steht also dem Beitritt von nur vier Mitgliedern der Verlust von dreizehn gegenüber.

Von unsern 56 correspondirenden Mitgliedern sind, wie schon in den früheren Quartalberichten gemeldet ist, zwei gestorben, nämlich die beiden Geh. Regierungsräthe Pertz und v. Quast. Dagegen sind Herr Lorange, der Conservator am Museum zu Bergen in Norwegen, und in der letzten Vorstandsversammlung unser berühmter Landsmann, der durch seine Ausgrabungen von Troja und Mykenä um die Archäologie hochverdiente Dr. Heinrich Schliemann, wiederum in die Zahl der correspondirenden Mitglieder aufgenommen, welche zur Zeit also wiederum 56 beträgt.

Unter den Geschichtsvereinen und Instituten, welche mit uns in Correspondenz und Schriftenaustausch stehen, hat einer, der historische Verein zu Münster, seine Auflösung angezeigt; dagegen ist ein neuer Schriftenaustausch angeknüpft mit dem Oldenburgischen Landesverein für Alterthumskunde, mit der Norwegischen Alterthums=Gesellschaft und mit dem Königl. Norwegischen Reichs=Archiv zu Christiania.

Rücksichtlich unserer neuen Erwerbungen für die Sammlungen des Vereins habe ich aus dem letzten Quartal keine neue Eingänge für die Alterthümer=Sammlung zu erwähnen. An Münzen waren uns bis Ostern 27 Stücke zugegangen; einige neuere werden im nächsten Quartalbericht zur Anzeige kommen. Die Bildersammlung hat einen Zuwachs von 40 Blättern erhalten; darunter sind die neuerdings von Herrn Dr. Crull zu Wismar geschenkten acht Blätter und eine vom Herrn Gastwirth Stern hieselbst geschenkte Photographie des langjährigen Vorstehers der Sammlung, des weil. Herrn Architekten Stern, bereits eingerechnet. (S. Anlage A.)

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Die Urkundensammlung des Vereins beschenkte Herr Gutsbesitzer Glantz auf Wölzow mit einer Originalurkunde auf Pergament aus dem Jahre 1618, den Ehepacten zwischen Katharine Elisabeth, einer Tochter des Herzogs Augustus von Braunschweig=Lüneburg, postulirten Bischofs des Stifts Ratzeburg, und Jürgen v. Lützow auf Wölzow.

Die größte Vermehrung hat auch in diesem Jahre die Vereins=Bibliothek aufzuweisen, nämlich 157 Nummern, von denen, wie Anlage B. nachweist, 43 auf das letzte Quartal entfallen. Die meisten derselben sind die durch Austausch gewonnenen auswärtigen Vereinsschriften; die Zahl der Meclemburgica beträgt nur 15.

Erscheinen nun in dieser statistischen Uebersicht einige Angaben nicht eben günstig, so würde es doch irrig sein, wollte man aus denselben den Schluß ziehen, als ob das Interesse für die Bestrebungen unsers Vereins unter unsern Landsleuten matter zu werden drohete. Geringe Schwankungen in der Zahl der ordentlichen Mitglieder sind auch früher vorgekommen. Und wenn uns weniger Alterthümer als in manchen früheren Jahren zugegangen sind, so beruht dies ja zum Theil natürlich auf Zufall, weil im Laufe dieses Jahres gerade weniger Funde gemacht sind; anderntheils aber ist nicht zu verkennen, daß eben unser Verein erst den Sinn für Alterthümer erweckt hat, und dieser jetzt manchen Liebhaber von Antiquitäten zurückhält, sich seiner Schätze, deren Werth ihm nun erst erschlossen ist, zu entäußern. Dazu kommt, daß das Vorbild unsers Vereins bereits mehrere Localvereine hervorgerufen hat, die freilich manches Stück dem Untergange entreißen, andererseits aber unsers Erachtens förderlicher wirken würden, wenn sie sich auf Gegenstände beschränkten, die wirklich nur ein locales Interesse haben, dagegen solche von allgemeiner Bedeutung, namentlich heidnische Alterthümer, an die Vereinssammlung abgeben wollten. Denn viele Stücke werden erst in ihrem rechten Werthe erkannt, wenn sie in einer Sammlung von verwandten Erscheinungen ihre Stelle finden.

Wie allmählich Sinn und Verständniß für unsere Alterthümer steigt, ergiebt sich am besten aus dem Besuch des Antiquariums durch Einheimische und Fremde. Mehrere auswärtige Gelehrte, welche unsere Alterthümer im Laufe des Jahres studirten, haben wir schon früher genannt. Es sei hier nur noch erwähnt, daß auch JJ. DD. die Prinzessinnen Alexandrine und Marie von Windischgrätz am 30. April und wieder am 2. Mai d. J. sich die seltenen Schätze des

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Antiquariums eingehend erklären ließen und durch ihre Sachkenntniß, namentlich in Bezug auf die älteste Bronzezeit, die Custodin Frl. Buchheim überraschten.

Wenden wir uns nunmehr zu den Arbeiten des Vereins, so können wir erfreulicher Weise berichten, daß diese ihren ungestörten Fortgang genommen haben. Wie gewöhnlich, ward das fällige Jahrbuch, bereits der 41. Jahrgang, im Spätherbst 1876 an die Mitglieder versandt. Ebenso konnte im Frühling dieses Jahres der X. Band des Meklb. Urkundenbuches ausgegeben werden, mit welchem die zweite Abtheilung des ganzen Werkes ihr Ziel, das Jahr 1350, erreichte. Der Druck der lange entbehrten Register zu der zweiten Abtheilung, welche den XI. Band füllen werden, hat nach Ostern mit dem Ortsregister des Herrn Dr. Crull begonnen und ist bis zum 7. Bogen, etwa bis zur Hälfte, vorgeschritten; das sehr ausführliche Personen=Register, welches sich demselben anschließt, unterwirft Herr Rector Römer zu Grabow bereits einer Schlußredaction.

Endlich ist auch das neue Jahrbuch, der 42. Jahrgang, wie die Vorgänger, vom Herrn Geh. Archivrath Dr. Lisch schon soweit im Druck gefördert worden, daß der Generalversammlung 11 Druckbogen desselben vorgelegt werden können. Die erste Abtheilung, die "Jahrbücher für Geschichte", sind bereits vollendet. Sie bringen uns 1) eine kulturhistorisch sehr interessante und geschmackvoll geschriebene Abhandlung unsers fleißigen Mitarbeiters Herrn Dr. Crull über die "Frau Fineke", jene durch ihren Reichtum und Luxus der Sage anheim gefallene Katharina v. Fineke, geb. v. d. Lühe, auf Greese, welche 1540 oder 1541 gestorben ist. Als Seitenstücke zu ihrem sehr reichen Inventarium theilt 2) Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch ein Verzeichniß der baaren Kosten mit, welche das Begräbniß des Vicke v. d. Lühe auf Buschmühlen und Thelkow († 1671) verursachte, und eine Uebersicht von dem Aufwande, mit welchem der Oberst und Hauptmann Claus v. Peccatel 1605 seine Hochzeit mit Elisabeth v. Sperling auf dem Schlosse zu Ivenack begangen hat. 3) folgt eine ausführliche und frisch geschriebene Abhandlung des Herrn Ministerial=Registrators F. W. Lisch zu Schwerin über "Die Stadt Schwerin bis zum Uebergange der Grafschaft Schwerin an das Haus Meklenburg", in welcher der Verfasser, anknüpfend an Herrn Geh. Archivrath Lischens Forschungen über das Schloß und den Dom und des Referenten Forschungen über die erste Anlage von Schwerin,

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die Stadtgeschichte bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts auf Grund des Meklenb. Urkundenbuches fortführt.

Die zweite Abtheilung bilden die "Jahrbücher für Alterthumskunde"; sie enthalten eine Reihe kleinerer antiquarischer Aufsätze des Herrn Herausgebers über neuaufgefundene Alterthümer, sowie neue Nachrichten über den Capitelsaal zu Rehna und über andere Gebäude. Doch ist diese Abtheilung noch nicht abgeschlossen.

Wenn ich nun nach der löblichen Sitte meines Vorgängers noch kurz die anderweitig erschienenen Beiträge zur Aufklärung der meklenburgischen Geschichte berühre, so kann ich das abgelaufene Vereinsjahr als ein verhältnismäßig recht ergiebiges bezeichnen. Mit Bezug auf den letzten Jahresbericht habe ich zunächst zu erwähnen, daß die dort besprochene Discussion über die prähistorischen Alterthümer des Nordens und überhaupt diesseit der Alpen, welche Herr Dr. Hostmann im 8. Bande des Archivs für Anthropologie gegen Herrn Hans Hildebrand begonnen hatte, im 9. Bande jener Zeitschrift lebhaft, mitunter sogar nicht ohne Leidenschaft fortgeführt ist. Herr Sophus Müller stellt in einer Abhandlung, betitelt: "Dr. Hostmann und das nordische Bronzealter", die Frage so: Hat im Norden ein Bronzealter existirt, eine Periode, in welcher die Bronze zu Waffen und Geräthschaften angewandt ward, das Eisen aber noch unbekannt war? Und er bejaht diese Frage, indem er annimmt, daß die alte Bronzecultur nach Dänemark - nur nicht über die Alpen - allerdings eingeführt sei, dort aber eine eigenthümliche Ausbildung empfangen habe. - Hierauf hat Herr L. Lindenschmit (S. 142) eine "Entgegnung" folgen lassen, worin er an einer Zweitheilung, einer vormetallischen und einer Metallzeit (in der Eisen und Bronze neben einander vorkommen), festhält, in der Einheit der Bronzearbeiten und der Rohheit der gleichzeitigen Töpferei aber ein unüberwindliches Hinderniß findet, den ersteren überall einen nordischen Ursprung beizumessen, und es für unmöglich erklärt, daß die feinen, "mit Gravirungen" (?) versehenen alten Bronzen ohne Stahlwerkzeuge, nur mittels des Stein= oder Bronzehammers und des Schleifsteins, hergestellt seien.-Endlich hat auch Herr Dr. Hostmann (S.185 f.) eine neue Erörterung: "Zur Kritik der Culturperioden" in demselben Bande veröffentlicht, worin er mit großem Scharfsinn besonders die technischen Schwierigkeiten gegen die Annahme Müller's hervorhebt. Die Streitfrage ist aber meines Erachtens hiermit noch nicht zum Austrag

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gekommen. Die nordischen Gelehrten haben eingeräumt, daß die ältesten Bronzen vom Auslande her eingeführt wurden; andererseits ist es ihren Gegnern aber bisher noch nicht gelungen, die eigenthümlichen Formen der ältesten nordischen Bronzen in Italien nachzuweisen; die ursprüngliche Heimath der nordalpinischen Bronzen ist noch nicht entdeckt, doch weisen viele Spuren auf eine Einführung derselben über Ungarn aus dem griechischen Culturgebiete hin. Sind sie aber von einem südlichen Culturvolke gearbeitet, so ist es fast eine müssige Frage, ob sie sich ohne Stahlwerkzeuge herstellen ließen. Uebrigens wird die Technik der ältesten Bronzen noch näher von Sachverständigen zu untersuchen sein, namentlich die Herstellung jener Ornamente, die man, wie der Augenschein zeigt, unrichtig als "Gravirungen" auffaßt. Daß Steingeräthe auch noch neben der Bronze und später neben dem Eisen fortbenutzt sind, und daß jüngere Bronzen italischen (römischen) Ursprungs zahlreich neben dem Eisen vorkommen, bestreitet niemand; aber in Hünengräbern weiß auch Herr Dr. Hostmann trotz seiner bewundernswürdigen Belesenheit nur so wenig Fälle von Eisenfunden nachzuweisen, daß diese bei der unendlichen Zahl von aufgedeckten Gräbern als verschwindend seltene Ausnahmen erscheinen, welche die Annahme eines Steinalters nicht zu erschüttern vermögen und in einer späteren, neuen Benutzung einzelner Hünengräber viel eher ihre Erklärung finden. So lange die Unterschiede der Formen und des Inhalts der Hünengräber, der Kegelgräber und der Urnenfriedhöfe nicht wegzudemonstriren sind, wird die auf langjährige und vielfältige Beobachtung gegründete Unterscheidung zwischen einer Steinzeit, einer Bronzezeit und einer Eisenzeit ihre volle Berechtigung behalten.

Die prähistorischen und überhaupt die ausgestorbenen Jagdthiere in Meklenburg hat Herr Forstgeometer Bölte in einem Vortrage auf der 4. Versammlung der meklenb. Forstmänner besprochen. Diese sorgfältige Arbeit ist hernach in dem Bericht über jene Versammlung auch gedruckt und hat verdienten Beifall gefunden. Indessen in Bezug auf seine Deutung des Stierkopfes im meklenburgischen Wappen vermag ich dem Herrn Verfasser nicht beizustimmen. Nämlich ausgehend von der Behauptung der Naturforscher, daß der Bos primigenius mehr in dem gebirgigen Deutschland, dagegen der Wisent (Bos [Bonassus] Bison) mehr in der großen germanisch=sarmatischen Ebene gelebt habe, erkennt Herr Bölte in dem Stierkopfe des Wappens einen Wisentkopf, und in dem, was man bisher

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für abgerissenes Halsfell hielt, den Bart des Wisents. Dieser Deutung steht 1) entgegen, daß hier im Lande wohl oft Gebeine vom Bos primigenius, aber noch nie vom Wisent gefunden sind, und 2) zeigen die ältesten großen Siegel unserer Fürsten des 13. und 14. Jahrh., auf denen zuerst das in Zweifel gezogene Halsfell erscheint, daß dieses der Zeichnung nach gar nicht für einen Bart gehalten werden kann.

Indem wir nun zur historischen Zeit vorschreiten, begegnen wir zuerst einem sehr umfänglichen Werke des auch sonst als Historiker bekannten Bibliotheksrathes Dr. Böttger zu Hannover: "Diöcesan= und Gaugrenzen Norddeutschlands - von Ort zu Ort schreitend festgestellt, nebst einer Gau= und einer dieselbe begründenden Diöcesankarte". In der 3. Abth., welche 1875, und in der 4. Abth., welche 1876 erschien, hat der Herr Verfasser die meklenburgischen Gau= und Bisthumsgrenzen ausführlich besprochen, und auf diese Partie beschränke ich hier, von sonstigen Bedenken absehend, mein Urtheil. Sicherlich behält dieses höchst mühsame Werk immer den großen Werth, eine unendliche Fülle urkundlichen Materials in sich zu vereinigen; aber in Bezug auf Meklenburg kann man Unkundige vor Böttger's Resultaten nur dringend warnen. Denn die von ihm gesammelten Quellenstellen sind bei weitem nicht ausreichend; er hat zur Deutung der ältesten Urkunden die späteren ganz ungenügend herangezogen und darum unbegreifliche Fehler begangen, die er leicht hätte vermeiden können, wenn er nur von dem Anhang zu meinen "Mekl. Annalen" und meinen Bestimmungen der Schweriner Sprengelgrenzen im 28. Jahrbuche, sowie von Beyer's trefflicher Abhandlung über das Land der Redarier hätte Kenntniß nehmen wollen. Um unsere Behauptung nur mit wenigen Beispielen zu belegen, so hat Böttger die Gaue der Polaben und der Circipaner bis an die Ostsee ausgedehnt, dagegen versetzt er das Kessinerland zwischen Trebel und Oder. Das Gut des Bischofs von Schwerin im Lande Müritz sucht er in Müritz bei Rostock, das Gut im Lande Warnow in Warsow bei Neukalen (III, 295); den Werder Schwerin, d. h. die Insel, auf welcher die Stadt Schwerin angelegt ward, findet Böttger (S. 290) in der Halbinsel zwischen dem Plauer See und Schweriner See, mit Alt=Schwerin, und die Insel bei Dobin (es ist bekanntlich die Lieps im Schweriner See) sucht er im Krakower See u. s. w.

Eine recht erfreuliche Bereicherung der Litteratur über unsere Wendengeschichte bietet uns dagegen Georg Dehio

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in seiner Geschichte des Erzbisthums Hamburg=Bremen bis zum Ausgang der Mission (2 Bde. Berl. 1876-77). Wie schon der Titel erwarten läßt, hat der Herr Verfasser vornehmlich der Missionsthätigkeit des Erzbisthums seine Aufmerksamkeit zugewandt und die Ergebnisse seiner gründlichen und umsichtigen Forschung mit Geschmack dargestellt. Die Wendische Missionsgeschichte ist dabei gebührend berücksichtigt, mehrere Excurse, welche zur Begründung von des Verfassers Ansichten über einzelne schwierige Fragen dienen sollen, zeugen von besonnener Kritik.

Dieselbe Zeit, namentlich Helmold's Darstellung derselben, behandelt Herr Prof. Dr. Schirren in seinen "Beiträgen zur Kritik älterer holsteinischer Geschichtsquellen" (Lpz. 1876). Dieses Buch verlangt eine ausführlichere Besprechung. Ich bitte, meine Ansicht von demselben hernach vortragen zu dürfen.

Ueber einen andern meklenburgischen Quellenschriftsteller, den Marschalk Thurius (der bekanntlich 1525 zu Rostock verstarb), verbreitet sich Herr Dr. E. Müffelmann in einer recht fleißig gearbeiteten Rostocker Inaugural=Dissertation, betitelt: "Die Reimchronik des Marschalk Thurius und ihre Quellen". Ueber die von Marschalk fingirten Ahnen unsers Fürstenhauses faßt sich Herr Dr. Müffelmann mit Recht kurz; es hieße Zeit verschwenden, wollte man für diese Partie Marschalks Quellen alle aufsuchen. Das wesentlichste Verdienst des Verfassers ist vielmehr, dargethan zu haben, daß Marschalk der Reimchronik Kirchberg's, die ihm noch lückenlos vorgelegen hat, bis zu ihrem Schlusse gefolgt ist, und daß er sie mit großer Willkür und Liederlichkeit benutzt hat. Dies warnt natürlich davor, dem Marschalk dort zu trauen, wo wir seine Quellen nicht mehr vergleichen können, also gerade in der Partie, welche für uns vornehmlich Werth haben könnte. Herr Dr. Müffelmann schließt daraus, daß Marschalk einstweilen noch in demselben Tone forterzählt, es müsse ihm eine etwa bis 1412 reichende gereimte Fortsetzung der Kirchberg'schen Chronik vorgelegen haben, und vermuthet in dieser das von Kirchberg erwähnte Herzog=Albrechts=Buch, das dann aber, als es Marschalk zu Händen kam, anderweitig fortgesetzt sein müßte. Hier wird eine spätere Untersuchung einsetzen und durch eine genaue Vergleichung mit allen urkundlichen und annalistischen Nachrichten feststellen müssen, in wie weit Marschalk in der Reimchronik und in den Annales Herulorum da, wo er zu controliren ist, zuverlässiger arbeitete, um danach zu bemessen, ob er da, wo uns das

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Material zur Prüfung fehlt, etwa Nekrologien und andere sichere Quellen gewissenhaft benutzt hat.

Unter allen neueren auswärtigen Publicationen, welche auch die ältere Geschichte Meklenburgs angehen, nehmen bei weitem den ersten Rang ein die Druckschriften des Vereins für hansische Geschichte. Die hohe Bedeutung dieser Publicationen auch für die Bestrebungen unsers Vereins darzuthun, wird sich ein ander Mal mehr Muße finden. Hier sei nur kurz bemerkt, daß außer dem jüngsten Jahrgange (1875) der hansischen Geschichtsblätter im Laufe des verflossenen Jahres der erste Band des von Dr. Höhlbaum bearbeiteten hansischen Urkundenbuches, der bis 1300 reicht, ausgegeben ist. Man muß staunen über die Energie, mit welcher der Vorstand des Vereins seine Unternehmungen fördert. Von den hansischen Geschichtsquellen sind bereits mehrere Bände erschienen, darunter bekanntlich die Wismarsche Rathslinie unsers verehrten Mitgliedes Dr. Crull. Zum Anschlusse an die Hanse=Recesse bis zum Jahre 1430, welche Herr Dr. Koppmann im Auftrage der Münchener Commission trefflich bearbeitet und bereits bis zum Jahre 1386 in drei starken Bänden der Oeffentlichkeit übergeben hat, sammelt Herr Dr. von der Ropp die Hanse=Recesse seit dem Jahre 1431, und hat 1876 bereits den ersten Band, in gleicher Weise bearbeitet, erscheinen lassen. Dieser umfaßt aber nur erst wenig Jahre; es ist daher nur sehr zu loben, daß der Vorstand des Vereins für hansische Geschichte die Sammlung und Bearbeitung der Recesse aus dem Ende des 15. und aus dem 16. Jahrhundert von Herrn Dr. von der Ropp's Schultern genommen und einem andern bewährten Forscher in der Geschichte der Hanse, Herrn Dr. Dietrich Schäfer aus Bremen, übertragen hat. Wie die Leistungen des hansischen Vereins in der Gelehrtenwelt überall laute Anerkennung gefunden haben, verdient derselbe auch in weiteren Kreisen mehr Berücksichtigung und Theilnahme, als er bei uns bisher gefunden zu haben scheint.

Der Erinnerung an Herzog Albrecht II. von Meklenburg ist, um damit die Schriften über das Mittelalter zu beschließen, ein Vortrag des Herrn Dr. C. Brecht gewidmet, gehalten im Verein für die Geschichte Berlins am 30. December 1876 über das Thema: Herzog Albrecht von Meklenburg rettet Berlin im Jahre 1319. Im engsten Anschlusse an Klöden's bekanntes Werk über den Markgrafen Waldemar erzählt der Verfasser den Zug des Herzogs nach Berlin im Jahre 1349 und erwartet von seinen Mitbürgern, daß sie diese That

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durch die Benennung eines neuen Platzes als: "Herzog=Albrechts=Platz" ehren mögen.

Den wichtigsten Beitrag zur neueren meklenburgischen Geschichte: "Die Meklenburgischen Finanzen" des Herrn Revisionsraths Balck, habe ich schon in dem 3. Quartalbericht besprochen. Zu erwähnen bleiben hier nur noch einige Beiträge zur Geschichte des Herzogs Carl Leopold. Nämlich zunächst hat Herr Professor J. G. Droysen in einer seiner "Abhandlungen zur neueren Geschichte" (Lpz. 1876) dargethan, daß die Wiener Alliance vom 5. Januar 1719 zwischen dem Kaiser, dem Könige von Polen und dem Könige von England als Kurfürsten von Hannover keineswegs, wie man nach den veröffentlichten Artikeln glauben mußte, nur den Schutz ihrer Lande zum Zweck hatte, daß vielmehr die geheimen Artikel und die Correspondenzen über das Bündniß zeigen, wie die Contrahenten es auf eine Demüthigung Preußens abgesehen hatten, und namentlich der hannoversche Minister Freiherr von Bernstorff den Plan verfolgte, "das weiße Roß bis an die Ostsee weiden zu lassen", d. h. Meklenburg für Hannover zu annectiren. Die hannoversch=braunschweigische Reichsexecution gegen den Herzog Carl Leopold im Jahre 1719 empfängt hiedurch eine eigenthümliche Beleuchtung.

Einen ferneren schätzbaren Beitrag zur Geschichte dieses Herzogs hoffte ich in einem vom Herrn Geheimen Rath Peter v. Goetze in der Russkaja starina veröffentlichten Aufsatze zu finden. Doch ergab sich aus einer gütigen Aufklärung des Herrn Verfassers und aus einem von ihm eingesandten Separatabdruck, den Herr Hauptmann Baron von Langermann = Erlenkamp die Freundlichkeit hatte aus dem Russischen zu übersetzen, daß diese Abhandlung nur einen Auszug giebt aus den ungedruckten, aber in mehreren Abschriften vorhandenen Briefen des ritterschaftlichen Agenten v. Beehr an den Baron v. Bernstorff über den Herzog Carl Leopold, die noch einer genaueren Kritik rücksichtlich ihrer Glaubwürdigkeit zu unterwerfen sind.

Von großem Interesse sind dagegen die vom Herrn Professor Brückner zu Dorpat ursprünglich in der "Russischen Revue" veröffentlichten Artikel, die dann auch unter dem Titel: "Die Familie Braunschweig in Rußland im 18. Jahrhundert" zu Petersburg in einem besonderen Abdruck erschienen sind. Sie geben uns sehr ausführliche Nachrichten über die unglückliche Tochter des Herzogs Carl Leopold, Elisabeth (Anna) Leopoldowna, Gemahlin des Herzogs

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Anton Ulrich von Braunschweig, namentlich auch über ihre und ihrer Familie langjährige Gefangenschaft auf der Insel Cholmogory.

Schließlich mag hier noch erwähnt sein, daß die Biographie unsers Landsmannes, des Dichters Joh. Heinrich Voß, von Herbst, mit dem Erscheinen der 2. Abtheilung des 2. Bandes ihren Abschluß gefunden und die Erwartungen, zu welchen der Name des Verfassers berechtigte, auch erfüllt hat. Für uns wird der erste Band, die Jugendgeschichte des Dichters, weil sie in Meklenburg spielt, einen besonderen Reiz behalten. In einem unerfreulichen Contrast steht zu dieser ausgezeichneten Dichterbiographie die unter dem Titel: "Ein seltenes Leben, von Paul Welf" in Zürich 1876 erschienene Lebensgeschichte des Dichters Fr. W. Rogge, der bekanntlich viele Jahre in Schwerin verlebte. Doch gehen wir auf dieses Buch voll Eitelkeit, Undankbarkeit und Indiscretion hier um so weniger ein, da es wenigstens nach einer Seite hin schon die verdiente Abfertigung durch eine Brochure des Herrn Ober=Schulraths Dr. F. Schröder gefunden hat."-


Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch legte der General=Versammlung den X. Band des Urkundenbuches und den 42. Jahrgang der Jahrbücher, soweit er gedruckt ist, zur Ansicht vor.

Der Cassenführer des Vereins, Herr Hofrath Dr. Wedemeier, erstattete hierauf seinen Bericht über die Verwaltung der Vereinscasse (s. Anlage C.), aus welcher sich durch eine Vergleichung mit dem vorjährigen Rechnungsabschluß leider herausstellt, daß das Vermögen des Vereins

von ........................................... 7086 Mark  20 Pfg.
gesunken ist auf ........................ 6952     "  57   " 
----- ----- -- ---
mithin eine Verminderung von 133  Mark 63 Pfg.
eingetreten ist.  

Die Verhandlungen über das abgelaufene Vereinsjahr wurden hiermit geschlossen, das neue ward, da von den Beamten keiner sein Amt niedergelegt hatte, wie gewöhnlich mit der statutenmäßigen Wahl der vier Repräsentanten eröffnet. Die Herren Revisionsrath Balck, Ministerialrath Burchard und Herr v. Kamptz wurden wieder gewählt; als vierter Repräsentant trat Herr Rittmeister v. Weltzien hinzu. Sein Vorgänger, Herr Prorector Reitz, welcher seit 1848 alljährlich auf's Neue zum Repräsentanten erwählt war, hatte sich seines hohen Alters wegen bedauerlichst

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genöthigt gesehen, eine neue Wahl zu verbitten. Den Vorstand des Vereins bilden hiernach folgende Mitglieder:

Präsident: Herr Minister=Präsident Graf v. Bassewitz, Exc.
Vice=Präsident: Herr Staatsrath Dr. Wetzell, Exc.
Erster Secretair: Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch.
Zweiter Secretair: Archivrath Dr. Wigger.
Cassenführer: Herr Ministerial= Secretair Hofrath Dr. Wedemeier.
Aufseher der Münzsammlung: Herr Archivrath Senior Dr. Masch zu Demern.
Bibliothekar: Herr Oberlehrer Dr. Latendorf.
Aufseher der Bildersammlung: Herr Ministerial=Registrator Lisch.
Repräsentanten: die Herren

Revisionsrath Balck,
Ministerialrath Burchard,
v. Kamptz und
Rittmeister v. Weltzien.

Ferner ward Herr Archivrath Dr. Beyer, der sich durch 30jährige Führung des zweiten Secretariats und durch seine ebenso gründlichen als ansprechenden Beiträge zu den Jahrbüchern um die Bestrebungen des Vereins so hohe Verdienste erworben hat, in schuldiger Anerkennung derselben zum Ehrenmitgliede ernannt.

Ein Vortrag des Unterzeichneten über die jüngste Kritik Helmold's, welcher etwas weiter ausgeführt in Anlage D. folgt, beschloß die Verhandlungen der diesjährigen General=Versammlung.

Archivrath Dr. F. Wigger,      
zweiter Secretair des Vereins.          

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Anlage A.
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Verzeichniß
der seit Ostern 1877 eingegangenen Bilder.


1) Von Herrn Dr. Crull zu Wismar sind dem Vereine als Geschenk übergeben folgende Bilder:

S. K. H. der Großherzog Friedrich Franz I.
Königin Louise von Preußen.
Kammerherr v. Vieregge.
Bürgermeister Haupt zu Wismar.
Bürgermeister v. Breitenstern zu Wismar.
Dr. Crull daselbst.
Professor Dahlmann.
Der heilige Damm.

2) Der Herr Hotelbesitzer Stern hieselbst schenkte:

das Porträt seines verstorbenen Bruders, des Architecten G. Stern.

F. W. Lisch.

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Anlage B.
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Verzeichniß
der neu erworbenen Bücher.

(Ostern bis Johannis 1877)


I. Russische Ostseeprovinzen.

  1. Sitzungsberichte der gelehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat. 1876. Dorpat 1877. (Tauschex. der genannten Gesellschaft.)

II. Norwegen.

  1. Foreningen til Norske Fortidsmindesmaerkers Bevaring. Aarsberetning for 1846-1853. Christiania 1847-1854. 4°.
  2. Foreningen til Norske Fortidsmindesmerkers Bevaring. Aarsberetning for 1854. 1857-1875. Christiania 1855. 1859-1876. 8°.
  3. Nicolaysen, N., Register til Selskabets scrifter, derunder indbefattet aarsberetningen for 1875, i forbindelse med statistiske fundoversigter. Kristiania 1876. 8°.
  4. Norske Fornlevninger. En oplysende fortegnelse over Norges Fortidslevninger, aeldre end reformationen og henforte til hver sit sted af N. Nicolaysen. Heft I -V. Kristiania 1862-1866. 8°. (Nr. 2-5 Tauschex. von der genannten, neuerdings in Schriftwechsel und Austausch mit unserm Verein eingetretenen Gesellschaft.)
  5. Chr. C. A. Lange, Carl R. Unger og H. J. Huitfeldt: Diplomatarium Norvegicum. I, 1 -IX, 1. Christiania, 1847-1876. 17 Bände. 8°. (Tauschexemplar des k. Norwegischen Reichsarchivs zu Christiania.)

III. Niederlande.

  1. De vrije Fries. Mengelingen, uitgegeven door het friesch genootschap van geschied-, oudheid- en taalkunde. 13 Deel. Leeuwarden1876.
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  1. Verslag 48. der handelingen van het friesch genootschap over het jaar 1875-1876. (Tauschex. der gen. Gesellschaft. Mit Nr. 7.)
  2. Handelingen en medelingen van de maatschappij der nederlandsche letterkunde te Leiden over het jaar 1876. Leiden 1876.
  3. Levensberichten der afgestorvene medeleden van de maatschappij der nederlandsche letterkunde. Leiden 1876.
  4. Alphabetische lijst der leden van de maatschappij der nederlandsche letterkunde te Leiden, opgemaakt den 15 Juni 1876. (No. 9-11 Tauschex. der genannten Gesellschaft.)
  5. Vereeniging tot beoefening van overijsselsch regt en geschiedenis. Verslag van de handelingen der 38. vergadering gehouden te Zwolle den 31. October 1876. Zwolle 1877.
  6. Overrijsselche Stad-, Dijk- en Markeregten. Deel III, Stuk 10 en 11. Zwolle 1877 (Nr. 12 und 13 Tauschex. des Overysselschen Vereins zu Zwolle).

IV. Luxemburg.

  1. Publications de la section historique de l'institut royal grandducal de Luxembourg, année 1876. Luxembourg 1877.
  2. Charles de la famille de Reinach, déposées aux archives du grand duché de Luxembourg. Fasc. I. Luxemb. 1877. (Nr. 14 und 15 Tauschex. der archäol. Gesellschaft zu Luxemburg.)

V. Oesterreich=Ungarn.

  1. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. VII. Nr. 4 und 5. Wien 1877. (Tauschex. der genannten Gesellsch.)
  2. Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie. Herausgegeben von dem Geschichtvereine für Kärnten. Jahrg. 13. Klagenfurt 1876.
  3. Carinthia, Zeitschrift herausgegeben vom Geschichtverein und naturhistor. Landesmuseum in Kärnten. Jahrg. 65.
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1875. Klagenfurt (Nr. 17 und 18 Tauschex. des gen. Vereins).

  1. Sitzungsberichte der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. Jahrg. 1876.
  2. Jahresbericht der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, ausgegeben am 12. Mai 1876.
  3. Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften vom Jahre 1875 und 1876. Prag 1877. 4. (Nr. 19 und 20 Tauschex. der gen. Gesellschaft.)

VI. Allgemeine deutsche Geschichts= und Alterthumskunde.

  1. Correspondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Geschichts= und Alterthumsvereine. Jahrg. 25. (1877.) Nr. 3 und 4. (Zwei Ex.)
  2. Literarischer Handweiser, zunächst für das katholische Deutschland. Jahrg. 16 (1877), Nr. 4-7. (Tauschex. der Redaction.)

VII. Baiern.

  1. Sitzungsberichte der philosophisch=philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München. 1876. Heft V. (Tauschex. der gen. Akademie.)
  2. Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von Oberfranken. Bd. XIII, Heft 2. Bayreuth 1876. (Tauschex. des betr. Vereins.)
  3. Die Wartburg. Organ des Münchener Alterthumsvereins. Jahrg. IV, 9-12. München 1877. (Geschenk des genannten Vereins.)

VIII. Würtemberg.

  1. Korrespondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthümer in Ulm und Oberschwaben. 2. Jahrg. 1877, Nr. 3-5. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

IX. Sachsen.

  1. Vierter Bericht des Museums für Völkerkunde in Leipzig. 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)

X. Preußen.

  1. Altpreußische Monatsschrift. Bd. XIV. Heft 1 und 2. Königsberg 1877. (Tauschexemplar der Alterthumsgesellschaft Prussia.)
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  1. Hensche, Dr. W., Wappen und Siegel der Königl. Haupt= und Residenzstadt Königsberg. Königsberg 1877. Fol. (Geschenk des Herrn Verf.)
  2. Schriften der naturforschenden Gesellschaft in Danzig. Bd. IV, I. Heft. Danzig 1876. (Tauschexemplar der genannten Gesellschaft.)
  3. Jahresbericht 38. und 39. der Rügisch=Pommerschen Abtheilung der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde von 1874-1877. Greifswald 1877. (Tauschexemplar der betreffenden Gesellschaft.)
  4. Pommersche Genealogien. Nach den urkundlichen Forschungen von Dr. Theodor Pyl in den Greifswalder Stadtbüchern und anderen Quellen. Herausgegeben von E. R. Schoepplenberg. Bd. 3. Die Patricierfamilie Schoepplenberg in Greifswald. Berlin und Greifswald 1878.
  5. Schoepplenberg, E. R., Die Familie Schoepplenberg. I. Berlin 1870. (Als Manuscript gedruckt.) - Nr. 33 und 34 Geschenke des Herrn Dr. Pyl.
  6. Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Jahrg. 1876. Hannover 1876. (Tauschexemplar des genannten Vereins.)
  7. Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 53. Heft I. Görlitz 1877. (Tauschexemplar der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften.)
  8. Scriptores rerum Silesiacarum. Herausgegeben vom Vereine für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Bd. X. Breslau 1877. 4.
  9. Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens. Bd. XIII. Heft 2. Breslau 1877. (Nr. 37 und 38 Tauschexemplare des betreffenden Vereins.)

XI. Anhalt.

  1. Mittheilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. I. Heft 7. Dessau 1877. (Tauschexemplar des betreffenden Vereins.)

XII. Lübeck.

  1. Urkunden=Buch der Stadt Lübeck. Herausgegeben von dem Verein für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde. Theil V. Lieferung 5 und 6. Lübeck 1876. 4°.
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  1. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. III. Heft 3. Lübeck 1876. (Nr. 40 und 4l Tauschexemplare des genannten Vereins.)

XIII. Meklenburg.

  1. Meklenburgisches Urkunden=Buch, herausgegeben von dem Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde. Bd. X. Schwerin 1877. 4°.
  2. Meklenburgische Siegel. Heft 2. Siegel aus den Jahren 1301-1350. Separat=Abdruck aus dem X. Bande des Meklenburgischen Urkunden=Buches. Schwerin 1877. 4°.

F. Latendorf, Dr. Oberlehrer,     
als Bibliothekar des Vereins.                 

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Anlage C.
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Auszug
aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877.


Auszug aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877. Einnahme - Ausgabe

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Auszug aus der Berechnung der Vereins=Casse vom 1. Juli 1876 bis zum 30. Juni 1877. Abschluß - Uebersicht des Vereins-Vermögens

Schwerin, den 30. Juni 1877.

F. Wedemeier

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Anlage D.
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Ueber die neueste Kritik des Helmold.


Möge es mir vergönnt sein, etwas genauer einzugehen auf Herrn Prof. Schirrens "Beiträge zur Kritik älterer holsteinischer Geschichtsquellen" (Lpz. 1876)! Denn hier werden nicht allein ausschließlich holsteinische Quellen einer Prüfung unterzogen, sondern der größte Theil des Buches ist der für Meklenburgs und Holsteins Geschichte gleich wichtigen Wendenchronik Helmolds gewidmet, und nebenbei werden auch unsere ältesten meklenburgischen Bisthumsurkunden berührt.

Freilich über unsere Urkunden erfahren wir hier nichts Neues. Ueber den Stiftungsbrief Heinrichs des Löwen für das Bisthum Ratzeburg vom Jahre 1158 bemerkt der Herr Verfasser S. 66: "Man braucht sich mit den wohlerwogenen Gründen Boll's nicht zu begnügen, und wird ihm doch Zustimmen"; er bestreitet nicht die äußeren Merkmale der Echtheit; aber (meint er S. 168) "in den Zeilen des Protocolls und der Disposition drängen sich - die inneren Merkmale der Lüge." Bedauerlichst hat der Kritiker sich jedoch weder herbeigelassen seine Ansichten zu beweisen, noch die Gründe zu entkräften, mit denen ich in Jahrb. XXVIII. Bolls Angriffe widerlegt zu haben glaube. In der That hilft auch kein Streiten, so lange es nicht gelingt, die Schrift und das Siegel Heinrichs des Löwen an unsern Bisthumsurkunden als unecht nachzuweisen. Und verstehen wir den Herrn Professor recht, so bestreitet er auch im Grunde nicht deren Echtheit; sondern Anstoß erregen ihm vornehmlich die im Fundationsbriefe für das Bisthum Ratzeburg gegebenen Andeutungen über vormalige Kirchenstiftungen in den Wendenlanden, die natürlich nicht durch den Namen des Ausstellers gedeckt werden, sondern ebensowohl der historischen Kritik unterliegen wie die Angaben eines Annalisten.

Wenn nun der Herr Professor schon die Originale in dieser Weise beurtheilt, so darf man sich nicht wundern, daß er (S. 106) den nur abschriftlich auf uns gekommenen Bestätigungsbrief Kaiser Friedrichs I. für das Bisthum

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Schwerin (M. U.=B. I., Nr. 91), der bisher noch unangefochten dastand, gleichfalls als eine "Urkunde von zweifelhafter Echtheit" bezeichnet. Doch giebt er wiederum seine Gründe für solche Verdächtigung nicht an, und anscheinend sind jene Worte auch nicht so ernst gemeint. Wenigstens sagt er in Bezug auf dieses Privilegium an einer andern Stelle (S. 101): "Wie lebhaft man auch für die Echtheit des Zeugnisses" (über Berno's Zug nach Rügen im Jahre 1168) "eintreten möge, man wird nicht bestreiten, daß durch den Mund des Kaisers doch auch der Bischof spricht." Das kann man natürlich zugeben, obgleich Bernos Thätigkeit dem Kaiser ohne Zweifel auch auf anderm Wege bekannt ward. Für die Echtheit oder Unechtheit der kaiserlichen Urkunde ist hieraus nichts zu folgern. Wir kommen übrigens hernach auf dieselbe zurück.

Viel wichtiger sind nun aber Herrn Prof. Schirrens Erörterungen über den Helmold. Das ganze Buch hätte auch fast den Titel tragen können: "Wider Helmold;" denn es hat vornehmlich den Zweck, diesem Geschichtschreiber alle Glaubwürdigkeit zu entziehen, und zwar nicht etwa darum, weil er leichtgläubig, unkritisch, beschränkten Geistes gewesen sei, sondern weil er mit vollem Bewußtsein, durch Entstellung der Ueberlieferungen und durch Erdichtung von Thatsachen, die Geschichte gefälscht habe, weil (S. 37) "die Geschichte der Slavenbekehrung unter seinen Händen zu einer aus Wahrheit und Dichtung gemischten Parteischrift" werde. Als Helmolds Tendenz bezeichnet Schirren (S. 79): "dem Bisthum Lübeck von den ältesten Zeiten her vor allen Nebenbuhlern den Vorrang zu sichern, in der Vergangenheit Alles, was dazu in Beziehung gesetzt werden konnte, zu verklären, zu vergrößern, in der Gegenwart Alles, was dem im Wege stand oder damit concurriren mochte, zu verschweigen oder zu verkleinern", - "Lübeck heben, Bremen zurückdrängen, Schwerin nicht aufkommen lassen." Und zwar soll Helmold damit einen praktischen Zweck verfolgt haben. "Eifersüchtiger Nachbarn", bemerkt unser Kritiker S. 79, "gab es genug. Am gefährlichsten waren die Fürsten der Obotriten -; ihre alten Ansprüche mochten einmal mit andern Waffen aufgenommen werden, und unter Umständen wurden Bischöfe und Mönche schlimmere Nachbarn als heidnische (?) Fürsten. In dieser Lage gab es für eine geistliche Macht, welcher ein eigenes Schwert nicht zur Verfügung stand, außer Gebet, Ermahnung, Drohung, Bann, nur echte oder gefälschte Ur=

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kunden, Legenden, allenfalls eine Chronik. Eine solche Chronik übernahm Helmold zu schreiben."

Diese Ansicht ist neu. Bisher galt Helmold für einen nicht gerade sehr hochbegabten und sehr scharfsichtigen, aber doch ehrlichen Schriftsteller, der in allen Fragen freilich nirgends seinen eigenen Standpunkt verhehlt, der den heidnischen Wenden gegenüber für die christlichen Sachsen Partei nimmt, in den Differenzen zwischen Päpsten und Kaisern den kirchlichen Standpunkt vertritt, in dem Investiturstreit zwischen Herzog Heinrich dem Löwen und dem Erzbischof von Bremen sich auf die Seite des Ersteren und seines lieben Lehrers und Bischofs Gerold von Lübeck stellt, der aber andererseits auch nicht unterläßt, die große Tapferkeit, die Gastfreundschaft der Wenden (I, 83), ihren Familiensinn und ihre Mildthätigkeit (II, 12) zu loben, ihre Anhänglichkeit an den von den Vätern überkommenen Glauben hervorzuheben, der sich nicht scheut, die Erfolglosigkeit der Bemühungen um ihre Bekehrung immer wieder der Habsucht der Sachsen Schuld zu geben, und der dabei auch den Herzog Heinrich den Löwen nicht mit seinem Tadel verschont, der endlich auch die Metropolitanrechte der Erzbischöfe von Hamburg über das Stift Oldenburg=Lübeck offen anerkennt.

Man hat früher Helmold wohl getadelt, daß er allzu sorglos um die chronologische Klarstellung der Thatsachen ist, daß er sich hie und da wiederholt, gelegentlich in untergeordneten Dingen sich auch einmal widerspricht. Wenn er seine Hauptquelle, den Adam von Bremen, nicht sklavisch ausschreibt, sondern hie und da einen Ausdruck wählt, der ihm richtiger oder passender erscheint, wenn er bei Adam übergeht, was er für seine Wendenchronik nicht nothwendig hält, wenn er in der Anordnung des Stoffes manchmal abweicht, verschiedene Stellen zusammenzieht und die Scholien zum Adam hineinfügt: so hat man bisher darin eben nur eine Freiheit gesehen, die man sonst jedem verständigen Schriftsteller gönnt und die täglich geübt wird. Neuerdings hat nun aber C. Hirsekorn in der fleißigen Abhandlung: "Die Slaven=Chronik des Presbyter Helmold" (1874) alle derartigen Abweichungen mit achtungswerthem Scharfsinn, doch nicht eben in wohlwollender Weise aufgespürt und darin nicht allein eine Absicht Helmolds gefunden, sondern auch eine unerlaubte Berechnung. Diese Anschauung von dem Charakter des Chronikenschreibers theilt nun Herr Professor Schirren, geht jedoch über seinen Vorgänger noch weit hinaus. Ihm sind selbst Wiederholungen verdächtig; er hält

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Helmold für äußerst verschmitzt. "Man wird", äußert er S. 70, "überall, wo Helmold sich in dergleichen Wiederholungen" (wie über den alten Bischofszins) "gefällt, eine Fälschung, zum mindesten eine bedenkliche Absicht versteckt finden".

Und der neueste Kritiker ist seiner Sache sehr sicher; er glaubt (S. 113), "die Berechnungskunst, mit welcher Helmold fälscht, erwiesen" zu haben. - Ist das keine Selbsttäuschung oder Selbstüberschätzung, so müssen wir wenigstens von da an, wo Adam uns verläßt, fortan auf die Vorstellung von der Wendengeschichte, wie wir sie bisher vornehmlich durch Helmold gewonnen hatten, einfach verzichten. Selbst die Geschichte, welche der Chronist als Zeitgenosse erzählt, wird dann völlig schwankend und zweifelhaft; denn Saxo Grammaticus, dem wir gleichfalls bisher für viele Nachrichten aus dem 12. Jahrhundert danken zu müssen glaubten, soll auch den Helmold benutzt haben, und die Urkunden aus jener Zeit sollen die "inneren Merkmale der Lüge" tragen. Helmold ist für die meklenburgische Geschichte aber eine viel zu wichtige Quelle, als daß wir solche Behauptungen ungeprüft lassen dürften, zumal wenn sie von einem holsteinischen Geschichtsprofessor ausgehen und mit großer Gelehrsamkeit und mit blendendem Scharfsinn vorgetragen werden.

Schon von vorne herein erregt es freilich einiges Mißtrauen, daß Helmold von dem angeblichen "Oldenburgischen Primat" gar nichts äußert; - denn daß Oldenburg zeitlich das erste Wendenbisthum in unsern Gegenden war, und daß Erzbischof Adalbert den Sprengel desselben in drei Bisthümer: Oldenburg, Ratzeburg und Meklenburg zerlegte, das wissen wir ja auch durch Adam. Wo hätte denn der Bischof von Lübeck auch je Primatrechte gegen den Bischof von Schwerin geltend gemacht? Ebenso wenig zeigt sich - bis Schirren eine Beweisstelle beigebracht haben wird - irgend eine Spur davon, daß Helmold Schwerin habe "nicht aufkommen lassen" wollen; es gab dazu eben gar keine Gelegenheit. Und warum soll denn Helmold nur gegen das Bisthum Schwerin so übelwollend gewesen sein, und nicht auch gegen das Stift Ratzeburg? Dieses letztere läßt Schirren ganz aus den Augen.

Ferner, die staats= und kirchenrechtlichen Zustände der Wendenlande zu Helmolds Zeit beruhten auf den Einrichtungen Herzog Heinrichs des Löwen, wie sie sich in dessen Urkunden und Ordnungen darstellten, die größtentheils schon vorlagen, als Helmold seine Chronik zu schreiben anfing.

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Sein Zeugniß vermochte dagegen gar nichts und war bei etwa ausbrechenden Streitigkeiten neben den Urkunden ohne jede rechtliche Bedeutung. Auch standen die Obotritenfürsten mit den Lübischen Bischöfen und Domherren in keiner andern rechtlichen Beziehung, als daß Pöl zum Sprengel des Bischofs von Lübeck gehörte; und dies Diöcesanrecht über Pöl erwähnt Helmold nicht einmal, sondern es beruht auf den Urkunden Heinrichs des Löwen! Man dürfte übrigens zweifeln, ob die Obotritenfürsten die Insel in kirchlicher Beziehung nicht ebenso gern unter den Bischöfen von Lübeck sahen, als unter dem Stift Schwerin, das Schon im 12. Jahrhundert Gefahr lief, in eine gewisse Abhängigkeit von den Grafen von Schwerin, den unwillkommenen Nachbaren der Obotritenfürsten, zu gerathen.

Theilen wir also nicht Schirrens unbegründete Ansicht von der praktischen Tendenz Helmolds, so können wir uns doch nicht der Verpflichtung entziehen, seiner Kritik im Einzelnen zu folgen. Wir unterscheiden dabei zunächst des Chronisten Darstellung seiner eigenen Zeitgeschichte, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts beginnen mag (obwohl Helmold schon früher, in seiner Jugend [als adolescentulus I, 149], in Holstein war, und es nicht einmal feststeht, ob er dort nicht auch seine Kindheit verlebte) - und seine Mittheilungen über seine Vorzeit; letztere zerfällt dann wieder in die beiden Perioden vor und nach dem Jahre 1066, weil ihm für die erstere als Hauptquelle die um 1075 geschriebene Chronik Adams von Bremen diente.

Gerade diese früheste Periode ist nun für Schirrens Zweck die Wichtigste; er findet (S. 112) eben "in Adam die richtige Basis für die Kritik Helmolds"; "nirgends", so versichert er, "decken sich seine geheimen Motive so verrätherisch auf, als wo er den Adam ausschreibt und ändert". Der Kritiker kommt (S. 77) zu dem Ergebniß: "daß Helmold von den alten Bischöfen von Oldenburg mit verschwindenden Ausnahmen nichts Glaubwürdiges zu berichten weiß, was nicht schon in Adam zu finden wäre". - Dies möchte man hingehen lassen, insofern bei Helmold mancherlei Sagenhaftes zu lesen steht; aber Schirren setzt dann hinzu: "Den großen Rest hat er" (Helmold) "erdichtet".

Eine solche Beschuldigung, die ärgste, welche einen Chronikenschreiber treffen kann, muß natürlich auf's Strengste bewiesen werden; man darf sie nur aussprechen, wenn sich zeigen läßt, daß Helmold keine Quelle neben Adam gehabt

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haben kann. Zum Beweise seiner überraschenden Behauptung unterwirft Schirren zunächst die Angaben Adams und Helmolds über die alten Oldenburgischen Bischöfe (- 1066) einer Vergleichung.

Da springt dann gleich in die Augen, daß beide von dem anderweitig bezeugten Bischof Reinher (1023-29) nichts Wissen, Adams Reihe also auch nicht vollständig ist, daß ferner Helmold die von Adam aufgezählten neun Bischöfe in derselben Reihenfolge wie Letzterer aufführt, daß er aber vor dem ersten, vom Erzbischof Adeldag von Hamburg=Bremen geweiheten Bischof Euagrius, von dem Adam nicht weiß, ob er auf deutsch Evrac oder Evarg oder Egward geheißen habe, noch einen Oldenburgischen Bischof angiebt, den Marco, den Adam nicht nennt. Helmold erzählt bekanntlich (I, 12), Kaiser Otto der Große habe der Oldenburg diesen Marco zum Bischof gegeben und ihm die ganze obotritische Provinz bis zur Peene und Demmin hin unterstellt, auch Schleswig seiner Seelsorge anvertraut; Marco habe Wagrier= oder Obotritenvölker getauft; nach seinem Tode aber sei Schleswig mit einem besonderen Bischof beehrt, und für Oldenburg (besonders) sei Ecward vom Erzbischof Adeldag von Hamburg ordinirt.

Der Marco ist uns nun, aber allerdings nur als Bischof zu Schleswig, nicht zu Oldenburg, auch anderweitig aus zwei Quellen bekannt. Wir finden ihn 1) in "Ordo et nomina Sieswicensium episcoporum", einer etwa bis zum Jahre 1070 reichenden und wahrscheinlich auch um jene Zeit verfaßten Liste, welche wir hier (nach Pertz, Scr. VII, p. 392, und Archiv IX, S. 397) einrücken:

"Horedus episcopus XI. kalendas Maii. Sedit annos XXIV." [also Ende 947-972.]
Adaldagus episcopus IV. non. Maii. S. a. XII. [- 984.]
Folcbertus episcopus XVIV. kal. Januarii. S. a. VII. [-991. ]
Marco episcopus III. id. Nov. S. a. XX. [- 1011.]
Poppo episcopus XIV. kal. Aug. S. a. V. [- 1017.]
Esico episcopus II. id. Febr. S. a. XI. [-1028.]
Rodulfus episcopus II. non. Nov. S. a. XVIV.
Ratolfus episcopus." (Noch ohne Todestag!)

2) berichtet Saxo Grammaticus p. 506: "lisdem temporibus Popponi Rimbrandus Henrico 1 ) Marcus pontificii


1) Saxo meldet X, p. 499. 500: "Quam ob rem Poppo a maximo pontifice Bremensi Adaldago apud Arusiam honorem gerendi pontincii, vitae atque operibns suis perquam debitum, impetravit. Eodem offcii nomine Henrico Slesvicum, Lefdago Ripae cesserunt." Die Ed. pr. giebt aber nicht "Henrico", sondern "Harico Seuiscus cum." Daraus geht bervor, daß Saxo p. 500 und p. 506 nicht Henrico, sondern Harico oder (da t und c im Mittelalter so häufig verlesen sind) Harito geschrieben hat. Es ist mir auch nicht zweifelhaft, daß Harig, den Adam II, 23 unter den Bischöfen mit unbekannter Residenz aufführt und der nach Adam II, 62 "(Harich") Zu Bremen begraben liegt, kein Anderer ist als "Horit vel Haredus", der erste Bischof von Schleswig, Saxos "Haric" oder "Harit". Diese Namensformen stehen noch nicht so weit auseinander wie "Euraccum vel Ewargum, quem latine dicimus Euagrium" (Ad. II, 14) oder Evargus (II, 24), der bei Helmold Ecwardus und bei Trithem Egwardus genannt wird.
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religione successit; pro Lefdago Fulbertus sacerdocio fulsit, post quem Othincarus Albus" -. Zur Erklärung bemerken wir, daß nach Saxo (p. 500) "Henricus" oder richtiger Haricus 1 ) der erste Bischof von Schleswig, wie Lefdagus der erste zu Ripen war. - Auch Adam berichtet an zwei Stellen (II, 4. 23) von den ältesten dänischen Bischöfen, Erzbischof Adaldag von Hamburg=Bremen habe zuerst (947) Horit oder Hared nach Schleswig, Liafdag nach Ripen, Reginbrond nach Aarhuus gesetzt; wo aber "nach ihnen Harig, Stercolf, Folgbract, [Adelbrect], Merka und Andere" gesessen hätten, bekennt Adam nicht zu wissen, vermuthet auch, sie mögen noch keinen festen Sitz gehabt haben.

Schirren ist nun (S. 57) der Meinung: "Adams Merka empfahl sich ihm" (Helmold) "als herrenloses Gut, dessen sich Jeder ungestraft bemächtigen durfte." Helmold hat seinen Marco (S. 56) "zwar erdichtet, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen", d. h. also, er hat ihn durch eine Namensentstellung aus dem Merka Adams gebildet. Indessen wäre es doch ein wunderlicher Glücksfall, wenn Helmold, ohne eine andere Quelle als den Adam vor sich zu haben, von den 4-5 vagirenden Bischöfen, die bei diesem zur Auswahl standen, gerade den rechten für Schleswig herausgegriffen und seinen Namen Merka auch durch Zufall richtig in Marco umgebildet hätte. An dergleichen Zufälle wird nicht leicht jemand glauben; Helmold hat vielmehr aus einer andern Quelle, sei es aus mündlicher oder aus schriftlicher Ueberlieferung, geschöpft. Wie diese lautete, entzieht sich freilich völlig unserer Kenntniß; wie können wir also ohne Weiteres den Schriftsteller, der diese Nachricht zuerst aufgezeichnet hat oder dessen Aufzeichnung die älteste auf uns gekommene ist, für den Erfinder derselben ansehen


1) Saxo meldet X, p. 499. 500: "Quam ob rem Poppo a maximo pontifice Bremensi Adaldago apud Arusiam honorem gerendi pontincii, vitae atque operibns suis perquam debitum, impetravit. Eodem offcii nomine Henrico Slesvicum, Lefdago Ripae cesserunt." Die Ed. pr. giebt aber nicht "Henrico", sondern "Harico Seuiscus cum." Daraus geht bervor, daß Saxo p. 500 und p. 506 nicht Henrico, sondern Harico oder (da t und c im Mittelalter so häufig verlesen sind) Harito geschrieben hat. Es ist mir auch nicht zweifelhaft, daß Harig, den Adam II, 23 unter den Bischöfen mit unbekannter Residenz aufführt und der nach Adam II, 62 "(Harich") Zu Bremen begraben liegt, kein Anderer ist als "Horit vel Haredus", der erste Bischof von Schleswig, Saxos "Haric" oder "Harit". Diese Namensformen stehen noch nicht so weit auseinander wie "Euraccum vel Ewargum, quem latine dicimus Euagrium" (Ad. II, 14) oder Evargus (II, 24), der bei Helmold Ecwardus und bei Trithem Egwardus genannt wird.
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oder ihn (mit Hirsekorn) auch nur der "Mitwissenschaft bei seiner Erfindung" bezichtigen?

Ganz verfehlt scheint mir auch Schirrens Vermuthung über den Beweggrund Helmolds; er meint nämlich (S. 80), dieser habe seine Marcosage erfunden, um "die Kirche Lübeck=Aldenburg von Anfang an über alle Ansprüche, welche aus Osten (?) und Westen concurriren, hinauszurücken, nicht als bloße Dienerin (?) Bremens, sondern als fast ebenbürtig neben Hamburg hinzustellen und als vormals bestimmt Herrin (!) über Schwerin zu sein." (Nicht auch über Ratzeburg?) - Schirren schließt sich damit im Grunde nur Hirsekorn an, der (S. 18) Marco als eine "mythische Person" ansah, welche Helmold "benutzt habe, um für sein Bisthum Oldenburg=Lübeck" "eine ursprüngliche Unabhängigkeit von dem Erzbisthum Bremen=Hamburg geltend zu machen."

Wie schon bemerkt ward, hat es mit dem angeblichen Anspruch Oldenburg=Lübecks auf einen Primat über Schwerin nichts auf sich. Und was Bremen angeht, so ist Helmold diesem Bischofssitze allerdings abhold, namentlich jedoch nur den beiden Erzbischöfen Adalbert, der zu seinem großen Schmerz die Oldenburger Diöcese in drei zerspalten hatte, und Hartwig, der diese Dreitheilung wieder aufnahm und in dem Investiturstreit mit Heinrich dem Löwen Vicelins Ausgleichung mit dem Herzoge hemmte und den Bischof Gerold anzuerkennen Schwierigkeiten machte. Im Uebrigen theilt Helmold diese Abneigung gegen Bremen mit der ganzen höheren Geistlichkeit diesseit der Elbe; bekanntlich haben nicht nur die Domherren zu Hamburg, sondern auch die drei nordelbischen Bischöfe bis ins 14. Jahrhundert hinein Processe mit den Bremischen Erzbischöfen geführt, weil sie nicht in Bremen, sondern nur in Hamburg den Sitz der ihnen übergeordneten Metropolitangewalt erblickten. Weit entfernt, Oldenburg=Lübeck, wie Schirren vermuthet, "als fast ebenbürtig neben Hamburg zu stellen", hält Helmold jenen nordelbischen Standpunkt durchaus correct fest; ja in diesem Sinne ändert er sogar an mehreren Stellen Adams Worte. Wenn Letzterer z. B. (I, 29) sagt, das Bremische und das Hamburgische Bisthum seien durch päpstliche Gewalt zu einem verbunden, so braucht Helmold den Ausdruck, das Bremische Bisthum sei der Hamburgischen Kirche zugelegt (ut Bremensis sedes, quae tunc defuncto pastore vacabat, Hammemburgensi ecclesiae adiceretur), um Hamburgs erzbischöfliche Würde gegen Bremens nur bischöfliche hervorzuheben; wenn Adam (I, 56) einen Vers

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anführt, der Unni als den neunten (Bremischen) bezeichnet, so führt ihn Helmold (I, 6) als den sechsten (Hamburgischen Erz=) Bischof auf. Die Beziehungen des Wendenfürsten Gottschalk zum Erzbischof Adalbert übergeht Helmold mit Stillschweigen, entweder, weil der Kirchenfürst ihm (wie schon vielen Zeitgenossen) zuwider war, oder auch, weil er an der Wahrheit des Berichtes zweifelte. Vielleicht aus dem letzteren Grunde übergeht er auch die Nachricht Adams (I, 15) über des Bremischen Bischofs Willerich Predigt in Holstein vor Ansgar und von seinen häufigen Besuchen der Kirche in Meldorf, wie denn auch Schirren (S. 88) hierin eine "Berechnung" Adams vermuthet. - Ganz unerwiesen aber ist es, daß Helmold Thatsachen erfunden hätte, um Bremen "zurückzudrängen". Und dem Verdacht, daß er Hamburgs Metropolitanrechte über die drei Wendenbisthümer je hätte bestreiten oder verkürzen wollen, hätten seine gestrengen Kritiker um so weniger Raum geben sollen, da er nicht nur eben so gut wie Mag. Adam von dem Oldenburgischen Bischof Egward und seinen Nachfolgern erzählt, sie seien von den Hamburgischen Erzbischöfen geweihet, sondern noch viel bestimmter als Adam Hamburgs Metropolitanrecht begründet. Denn während Letzterer nur sagt, Oldenburg sei bei der Stiftung des Erzbisthums Magdeburg von den sechs Wendenbisthümern allein, und zwar nur um der größeren Nähe Willen, dem Erzbisthum Hamburg, und nicht Magdeburg, unterstellt (II, 14), so berichtet Helmold vielmehr (I, 11), der Kaiser habe ursprünglich auch dieses Bisthum, also sämmtliche wendische diesseit der Saale und Elbe, Magdeburg untergeben wollen, Adeldag habe aber auf das Metropolitanrecht seiner Kirche über dasselbe auf Grund alter Privilegien Anspruch erhoben. Und das mag richtig sein; wir wissen, wie schwer sich Mainz und Halberstadt dazu verstanden haben, ihre Rechte zu Gunsten Magdeburgs beschränken zu lassen, und daß Adeldag sich sein Metropolitanrecht bis an die Peene eigens vom Kaiser Otto I. beurkunden ließ. Daß aber der Kaiser das Bisthum Oldenburg dotirt und somit gegründet haben muß, versteht sich ganz von selbst, mochte nun zuerst Ecward oder Marco dasselbe empfangen, und ebenso wahrscheinlich ist es in beiden Fällen, daß der Kaiser bei der Besetzung des Bisthums seine Rechte hier, wie in ähnlichen Fällen, wahrnahm. Uebrigens sagt Helmold nirgends, daß Ecward der erste von dem Hamburgischen Erzbischof ordinirte Oldenburgische Bischof gewesen sei, er läßt Adams primum (II, 14) oder primo (II, 24)

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aus; es bleibt uns also nach seiner Darstellung durchaus frei, auch den Marco als vom Hamburgischen Erzbischof geweiht zu denken, und vielleicht nur, weil dies selbstverständlich war, ist ihm gar nicht eingefallen es noch ausdrücklich zu erwähnen.

Auch Lappenberg hatte früher (Pertz, Archiv IX, S. 388) einmal den Gedanken hingeworfen, daß die Sage von der Combination der beiden Sprengel Oldenburg und Schleswig unter Marco vielleicht "erst aus der Zeit der Erneuerung des Bisthums Oldenburg durch Herzog Heinrich den Löwen stamme"; sie möge aufgebracht sein, "um Ansprüche" (des Stifts Oldenburg=Lübeck) "auf Schleswig zu begünstigen". Den Helmold selbst beschuldigt Lappenberg, vorsichtiger als Schirren, aber nicht. Und mit Recht; denn gab es damals, als dieser den Stoff zu seiner Chronik sammelte, nicht auch noch andere Männer, die gleichfalls ein Interesse an der Geschichte und ein noch größeres als er für Rechte und Prätensionen des Stifts Oldenburg hatten? Hat ihn nicht Gerold, den er als seinen Lehrer und Bischof so hoch verehrte, zur Abfassung seiner Stiftsgeschichte ermuntert?

Aber ich kann überhaupt nicht an den von Lappenberg vermutheten Beweggrund für solche Erfindung um die Mitte des 12. Jahrhunderts glauben. Denn wer hätte damals, als das Bisthum Schleswig längst unter dem Erzbischof von Lund stand, noch die Hoffnung fassen können, daß ein Suffraganbischof des Hamburg=Bremischen Erzbischofs zu seinem Stift noch je ein dänisches von dem dänischen Erzbischof erlangen könnte! Eher hätte (wenn überall eine absichtliche Erdichtung angenommen werden dürfte) eine solche Combination beider Bisthümer als möglich erscheinen und durch die Erfindung einer solchen vormaligen Combination beider Sprengel erleichtert werden mögen, als auch Schleswig noch unter dem deutschen Erzbischof stand; und dann wäre die Erfindung am leichtesten in Schleswig selbst gemacht, und zwar zu einer Zeit, als - nach 1066 oder nach des letzten Bischofs Tode - das Stift Oldenburg nicht wieder besetzt war.

Das Mißliche solcher Vermuthung wird sich auch Lappenberg selbst klar gemacht haben. Denn er "möchte eher annehmen, daß dem (deutschen) Markgrafen der dänischen Grenze Schleswig sowie Oldenburg zum Schutze übertragen worden, und daß dadurch die Sage von einem Marco, Bischofe von Oldenburg und Schleswig, entstanden ist".

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"Selbst die unabsichtliche Auslassung eines Buchstaben im Titel marchio kann", wie er meint, "den Grund zu dieser Erzählung, so weit sie Schleswig betrifft, gelegt haben."

Annehmlicher erscheint mir freilich Waitzens Vermuthung (Schl.=Holst. Gesch. I, 31), wenn er die Entstehung der Oldenburgischen Marcosage darauf zurückführt, daß die deutsche Mark zwischen der Eider und der Schlei, der man später unrichtig die Stadt Schleswig beigezählt hätte, bis dahin, daß sie (im Jahre 1027?) an König Kanut von Dänemark abgetreten ward, in kirchlicher Beziehung nicht unter dem dänischen Bischofe zu Schleswig, sondern unter dem Oldenburgischen gestanden habe, und danach erst dem Bischof von Schleswig untergeben sei. In der That wissen wir nicht, wie Otto I. und Adeldag bis zur Errichtung des Bisthums Oldenburg für die geistlichen Bedürfnisse der in der schleswigschen und in der wagrischen Mark angesiedelten Christen (deren Spuren Helmold [I, 12] noch verfolgte) gesorgt haben. Immerhin ist es denkbar, daß dort Marco (wenn auch freilich nicht als Bischof von Oldenburg) thätig gewesen wäre, sei es als Bischof von Schleswig oder vor seiner Erhebung zu dieser Würde.

Der Vermuthung Lappenberg's steht entgegen, daß ja zu Schleswig wirklich ein Bischof Marco regiert hat. - Oder kann dieser nicht hierher gezogen werden, weil er nach der oben S. 26 mitgetheilten Schleswigschen Bischofsliste erst etwa 991 zur Bischofswürde gelangt sein soll? Die Liste verdient eine erneuerte Prüfung.

So viel ist auf den ersten Blick klar, daß weder die Regierungsjahre in derselben zuverlässig angegeben sind, noch die Reihenfolge der Bischöfe richtig ist, (während die Todestage auf Nekrologien beruhen mögen). Denn entweder ist Ekkehard, der meistgenannte Schleswigsche Bischof aus dieser Zeit, in der Liste ganz ausgelassen, oder er ist identisch mit dem hier aufgeführten Esiko. (Der Name Eziko ist dann also aus Ekkehard und Ezo entwickelt, wie aus Gotthard oder Gottfried oder Goswin: Götz, Gözeke, aus Hinrich: Hinz, Hinzeke und ähnliche zwiefache Kosenamen gebildet sind.) Ekkehard aber hatte schon im Jahre 1000 seinen Aufenthalt zu Hildesheim genommen, weil sein Bischofssitz und sein Sprengel verheert waren (Thangmar, vita Bernw. 18. 20), und er blieb dort auch bis an sein Ende († 1026), wozu stimmt, daß Adam (II, 47) erzählt, Esiko habe müßig daheim gesessen (Esico domi sedit), während Odinkar d. j. und Poppo auf ihrem

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schweren Posten aushielten. Wäre die Angabe der Liste von der Regierungszeit Esikos zuverlässig, so müßte er aber nicht schon im Jahre 1000 oder früher, sondern erst etwa 1017 zur bischöflichen Würde gelangt sein! Oder dürften wir wenigstens die Dauer von 11 Jahren als glaubwürdig hinnehmen, so würde, da Ekkehard im Jahre 1000 sein Bisthum bereits aufgegeben hatte, der Anfang seiner Regierung frühestens ins Jahr 989 (also 28 Jahre vor 1017!) fallen; und dazu würde stimmen, daß er (nach Adam II, 44) vom Erzbischof Libentius ordinirt war, der 988 zur Regierung gelangte. Erst nach Esiko aber sollte in der Liste Adaldag (der als der zweite Bischof zu Schleswig genannt ist!) folgen, wenn er überall in derselben seinen Platz haben sollte - nämlich nur als Stellvertreter des in Hildesheim verbliebenen Esiko. Denn Adaldag ist der Taufname des Odinkar d. j., Bischofs von Ripen (Odinkar junior -- Adaldagus vocatus est. Ad. II, 34); eigentlicher Bischof von Schleswig ist er nie gewesen. Wenn er sich aber als stellvertretender Bischof die Aufnahme in die Liste verdiente, so gilt Gleiches vielleicht vom Folkbert, der nach Saxos Bericht (s. S. 27) ebenfalls Bischof zu Ripen war. Uns bleiben mithin als für Schleswig ordinirte Bischöfe zur Zeit Adeldags, d. h. von 947 oder 948 bis zum Jahre 988, nur drei übrig: Hored, Marco, Poppo, und Saxo hatte Recht, wenn er den Marco als den zweiten Bischof zu Schleswig bezeichnete, Poppo ging später nach dem Norden, zunächst nach Aarhuus, wo ihn Saxo kennt, und empfing nach Adam II, 44 den Esiko in Schleswig zum Nachfolger. Wann Poppo aber den bischöflichen Stuhl zu Schleswig bestiegen hatte, ist nicht ganz genau zu bestimmen, jedoch annähernd. Denn nach Adam II, 33 war er bereits für Schleswig ordinirt (tunc ad Sliaswig ordinatus), als er mit Aufträgen des Kaisers und des Erzbischofs sich nach Dänemark zum König Harald Blauzahn begab und vor diesem das vielfach gerühmte Wunder ausführte, durch welches der König bekehrt ward. Siegbert von Gembloux sagt, Harald sei 966 getauft (Pertz, Scr. VI, 351), nach Ruotger (ib. IV, 270) geschah es noch beim Leben Brunos, also vor dem 11. October 965. Dazu stimmt, worauf W. Giesebrecht (Kaiserzeit I, S. 832) aufmerksam macht, daß Poppo nach den Annales Ryenses (Scr. XVI, 399) damals, als er Harald taufte, "cappellanus domini papae" war, d. h. Caplan des Papstes Benedict V., welcher 964 abgesetzt war und seinen vom Kaiser angewiesenen Verbannungsort

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Hamburg 965 erreichte. - Der älteste Zeuge für Poppos Wunder, Widukind, der (III, 65) es als Zeitgenosse erzählt, sagt freilich, daß Poppo damals noch nicht Bischof gewesen sei (clericus quidam, nunc vero religiosam vitain ducens episcopus nomine Poppa); und das mag richtiger sein. Doch Adams Ausdruck läßt die Deutung zu, daß er schon für Schleswig ordinirt war, sein Amt daselbst aber erst nach der Rückkehr von König Harald antrat. Vielleicht mag Schleswig damals, 965, nach dem großen Kriege Ottos I. mit Harald (den ich mit Dahlmann in dieses Jahr setze und als die Veranlassung zur Mission Poppos ansehe) ohne Bischof gewesen, und die Seelsorge daselbst vom Bischof Folkbert von Ripen eben damals mit besorgt sein. So wie so ist die Angabe der Bischofsliste, daß Hored 24 und Marco 20 Jahre (vor Poppo!) das Bisthum Schleswig verwaltet hätten, ganz unhaltbar.

Meines Erachtens fallen alle Schwierigkeiten fort, wenn man, worauf die Nachrichten über Poppo hinführen, den Bischöfen Hored und Marco die Zeit von 947-965 zuweist; und das wird um so mehr gestattet sein, wenn unsere Annahme (S. 27 Anm.) von der Identität Hareds oder Horeds mit Harich oder Horic statthaft ist, der erste Bischof zu Schleswig also nicht in seiner bischöflichen Residenz, sondern zu Bremen sein Leben beschlossen hat. Die Neuordnung der Grenzmarken an der Eider und in Wagrien wird den Kaiser Otto den Großen veranlaßt haben, jetzt - nach Marcos Tode - in Oldenburg ein besonderes Wendenbisthum aufzurichten, während Marco, und vielleicht schon Hored, als Bischof von Schleswig die schleswigsche und die wagrische Mark in kirchlicher Hinsicht mitverwaltet hatte. Daraus aber, daß man von Marcos bischöflichem Walten in dem späteren Sprengel von Oldenburg Kunde hatte, entsprang dann leicht die Sage, daß er dort in der Oldenburg auch seinen Bischofssitz gehabt habe, ganz wie man auch Folkbrecht und Adaldag=Odinkar wegen ihrer Vertretung im Schleswigschen Sprengel später unter die Schleswigschen Bischöfe rechnete, und der Bischof Egward von Oldenburg, ehedem "monachus sancti Aurelii Hirsaugiensis", wahrscheinlich darum, weil er die Mark gegen Schleswig mitverwaltete, auf Kaiser Ottos Befehl Bischof von Schleswig geworden sein soll (jubente Ottone imperatore magno, episcopus Sleswicensis in finibus Saxoniae factus est, Trithem im Chron. Hirsaug. ad a. 965). - Die Oldenburgische Marcosage kommt also der historischen Wahrheit anscheinend ziemlich

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nahe. Woher sie aber auch zu Helmolds Kenntniß gekommen sein mag, aus derselben Quelle werden ihm auch die Nachrichten über die ältesten Kirchen und Klöster zur Zeit Egwards (I, 12) zugeflossen sein, soweit er sie nicht aus Adam II, 17 und 24 entnahm.

Der Hauptangriff Schirrens gegen Helmolds Ehrlichkeit, den er auf die aus Adam angeblich construirte Marcosage gründet, ist also gescheitert; der Chronist hat offensichtlich eine Quelle neben Adam benutzt. Es ist aber auch sonst dieses Kritikers Ansicht, daß Helmold außer Adam keine Quelle für die ältesten Wendenbischöfe gekannt hätte, ganz unrichtig. Für die Zeit König Heinrichs IV. u. s. w. ist neuerdings aus der Verwandtschaft seiner Nachrichten mit denen der Annales Disibodenbergenses und der Annales Rosenveldenses nachgewiesen, daß dem Helmold eine sächsische Quelle vorgelegen hat, die noch nicht wieder aufgefunden und vermuthlich auch nicht mehr erhalten ist (Hirsekorn S. 24 flgd.) Wie weit sie zurückreichte, ist nicht zu sagen; auch kann es mir nicht einfallen, behaupten zu wollen, daß Helmold diese schon für die Zeit Kaiser Heinrichs II. benutzt habe. Immerhin aber zeigt ein solcher Fall, daß dem Schriftsteller des 12. Jahrhunderts auch für die frühere Zeit schriftliche Aufzeichnungen, die wir nicht mehr haben, bekannt gewesen sind; und er mahnt zur Vorsicht in dem Urtheil über die Ehrlichkeit des Pfarrers von Bosau.

Jedenfalls kann Schirren selbst (S. 54) nicht in Abrede nehmen, daß Helmold in Bezug auf den Bischof Bonno von Oldenburg noch andere Ueberlieferungen benutzt hat als den Adam, der ihm nichts als den Namen dieses Bischofs bot. Denn Helmold berichtet von Bennos Ende (I, 18), daß er bei der Weihe der Hildesheimer Michaeliskirche, die sicher am 29. Septbr. 1022 stattfand (Ann. Hild., Thangmar) mitwirkte, dabei aber im Volksgedränge so schwer beschädigt ward, daß er davon "nach wenigen Tagen" den Tod nahm, und daß er in derselben Kirche sein Grab fand. Nun ist aber auch anderweitig, in den Hildesheimer Quellen, bezeugt, daß Benno in der That bei jener Kirchweihe thätig war, und mehrfach wird berichtet, daß er 1023 gestorben ist, und zwar (nach dem Lüneburger Todtenbuche) am 13. August. Irrig ist hiernach freilich Helmolds Angabe, daß Benno "post paucos dies" gestorben sei; die Todesursache mag aber allerdings jene Verletzung geworden sein. In den uns bekannten Quellen wird sie nicht erwähnt; es ist klar, daß

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Helmolds Angabe aus einer uns unbekannten Ueberlieferung stammt.

Auch was uns Helmold über Bennos vergebliche Versuche, durch Fürsprache des Herzogs Bernhard II. von Sachsen und des Kaisers Heinrich II. die durch den Aufstand und den Abfall der Wenden verlorenen bischöflichen Güter und Hebungen wiederzuerlangen, mittheilt, ist ja nicht aus Adams Chronik geflossen. Wir kennen auch hierfür Helmolds Quelle nicht; daß die Sache aber keineswegs eine freie Erdichtung desselben ist, ersieht man aus Thietmars Angabe (VIII, 4), wonach Benno schon 1018, auf die erste Kunde von dem Wendenaufstande, sofort beim Kaiser Schritte that, seine Angelegenheit damals aber noch verschoben ward. Den Thietmar selbst hat Helmold, wie auch Schirren (S. 53) annimmt, nicht gekannt; er hätte sich sonst sicherlich Thietmars Nachricht über Bischof Reginbert (VI, 30) und den Benno als confrater Parthenopolitanus (VIII, 4) nicht entgehen lassen. Will man aber Alles, was Helmold von Benno zu berichten weiß, auf mündliche Sage zurückführen, so muß man die Sicherheit derselben in Einzelheiten noch nach zwei Jahrhunderten in der That bewundern.

Daß wir jenen Abschnitt seiner Chronik nicht controliren können, erschwert die Kritik Helmolds ungemein. Jene Verhandlungen des Herzogs und des Kaisers mit den Wenden sind für die Geschichte dieses Volkes aber von der größten Bedeutung. Denn Helmold meldet bekanntlich (I, 18), der Sachsenherzog habe dem Bischof Benno die alten Einkünfte, wie sie Kaiser Otto ursprünglich festgestellt hatte - nämlich (I, 12, 14) von jedem Wendenpflug (aratrum) jährlich ein Maß (mensura) Korn (granum, nicht Weizen, wie Schirren S. 68 übersetzt), 40 Risten Flachs und 12 Pfennige nebst einem Pfennig für den Einsammler - nicht wieder verschaffen können, sondern es sei dafür nur eine Haussteuer von 2 Pfennigen zugesagt, und von den ursprünglichen Besitzungen, deren Zahl Helmold nicht kannte (I, 12), seien dem Bischof nur 2 Höfe, nämlich Bosau und Nezenna (Gnissau), zurückgegeben, die entfernteren dagegen, wie Derithsewe (Dassow), Moritz (im Müritzerland) und Cuzin, welche nach "Erwähnung der alten Zeit" (antiquitas commemorat) dem Stift gehört hätten, seien ihm verloren geblieben; die Wenden hätten freilich zu Werben vor dem Kaiser des Bischofs Anrecht auf jene Burgen mit den vor denselben liegenden Orten (praedia, urbes cum suburbiis, welche

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letztere später Wiken genannt wurden) und auf den Zins anerkannt, jedoch nichts geleistet.

Woher weiß denn Helmold nun überhaupt, daß der Kaiser Heinrich II. je zu Werben Tage mit den Wenden zu halten pflegte? Denn den Thietmar, der solche Zusammenkünfte (zum Jahre 1005) erwähnt, kannte er ja nicht, und Adam erzählt davon nichts. Auch das ist ein Anzeichen einer andern Quelle für Helmold, sei es, daß er schriftlicher oder daß er mündlicher Ueberlieferung folgte.

Freilich nach Schirrens Vermuthung ward jener angeblich von Kaiser Otto I. eingeführte Zins erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts "ersonnen", und zwar, "um den Zinsanspruch einer spätem Zeit zu unterstützen"; und in dem 13. Pfennig für den Einsammler erkennt der Kritiker nur "eine sinnreiche Anordnung, welche jedenfalls einem Herzenswunsche der Geistlichkeit zu Helmolds Zeit entgegen gekommen wäre." - Indessen, die Richtigkeit solcher Vermuthungen einmal vorausgesetzt, wäre Helmold mit seiner Erfindung ja zu spät gekommen, weil die biscopnitza schon 1158 festgestellt war. Und hätte der Pfarrer die ihm untergeschobene Tendenz gehabt, so wäre es doch recht thöricht von ihm gewesen, zu erdichten, daß jener Zins schon zu Anfang des 11. Jahrhunderts vertragsmäßig durch den geringeren Hauszins ersetzt sei. Ueberdies wissen wir nicht einmal, wie sich der Betrag der im 12. Jahrhundert eingeführten biscopnitza zu dem des alten Wendenzinses verhielt, ob die drei Curitze des 12. Jahrhunderts zusammen mehr, oder ob sie weniger betrugen als eine mensura des 10. Jahrhunderts. Der 13. Pfennig für den Einsammler blieb im 12. Jahrhundert weg; statt der 12 Pfennige fein, die Kaiser Otto I. dem Bischof zuerkannt hatte, wurden nun nur 12 Pfennige gangbarer Münze gefordert. Helmold berichtet auch gar nicht, daß der alte Zins wieder eingeführt sei, sondern ein Zins, der dem bei den Polen und Pommern üblichen gleichkam (I, 87).

Nicht günstiger betrachtet Schirren, wie man erwarten durfte, was Helmold von den alten Besitzungen des Bisthums Oldenburg berichtet. Dem Kritiker liegt (S. 62) "die Vermuthung nahe, daß mit dem angeblich alten Anspruche auf" Derithsewe, Cuzin und Morize "auch nur ein jüngerer Anspruch hat gestützt werden sollen", daß das Stift Oldenburg=Lübeck solchen auf die "Landschaften" Cuzin und Moriz gegen Heinrich den Löwen geltend gemacht und

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dafür wirklich den Zins und Zehnten von Pöl empfangen habe.

Aber ich muß bekennen, der Herr Professor scheint mir sein Wild allzu hitzig zu verfolgen und dem unglücklichen Helmold selbst einen Ausweg zu bereiten. Denn Wendenzins und Zehnten von Pöl waren dem Domcapitel zu Lübeck bereits beigelegt, als der Pfarrer von Bosau seine Chronik schrieb; und Helmold spricht ja nicht einmal davon! Ueberdies, wenn, wie Schirren (S. 172) selbst anerkennt, Grundbesitz zur Stiftung jedes Bisthums nothwendig und ein canonisches Erforderniß war, so verstand es sich von selbst, daß auch die Stifter Schwerin und Ratzeburg bei der Theilung des Oldenburgischen Sprengels in drei Bisthümer ihren Antheil von dem ursprünglichen Stiftsgut, das durch den Sprengel zerstreut lag, empfangen, und damit Oldenburg seinen Anspruch auf die entfernteren Güter verloren hatte. Endlich aber scheint Schirren den Helmold gar nicht richtig verstanden zu haben. Denn dieser spricht nicht von "Landschaften" (terrae, pagi), die Kaiser Otto den Bischöfen von Oldenburg verliehen hätte, sondern von Burgen mit ihren Vororten (de urbibus vero aut praediis aut curtium numero, I, 12; illa vero praedia, quae fuerunt in remotiori Sclavia . . ., memoratas urbes cum suburbiis, I, 18). Ganz verfehlt sind darum auch Schirrens Betrachtungen über die Landschaft Dassow. Er bemerkt freilich ganz richtig: "Jedenfalls wäre die Landschaft für Lübeck von ungemeinem Werthe gewesen"; aber von einer Abtretung derselben an Lübeck, sei es an das Stift oder an die Stadt Lübeck, ist nie und nirgends die Rede gewesen. Und recht bedenklich finde ich Schirrens weitere Betrachtung über den Nutzen der Landschaft Dassow für Lübeck. "Sie hätte", meint er, "ihm den Fluvius Ducius (l. Ducis!) einverleibt (Mekl. U.=B. Nr. 88), Hafen und Grenze gesichert und den Wohlstand unverhältnißmäßig erhöht." Doch der "Fluvius ducis", bekanntlich der unbedeutende Landgraben, die alte Hertogenbeke, welche die Bisthümer Lübeck und Ratzeburg auf eine kurze Strecke schied, lag vom Lande Dassow noch meilenweit entfernt, zwischen dem Lübischen Gebiete und dem Lande Dassow breitete sich noch das Land Boitin aus, die dos des Bischofs von Ratzeburg! - Und wenn wirklich das Bisthum Lübeck hätte für ein praedium im Lande Dassow (wo der Bischof von Ratzeburg das Vorwerk vor dem Burgorte Dassow empfing) entschädigt werden sollen, so bekam das Domcapitel zu Lübeck bekanntlich sogar

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zwei Dörfer im Lande Dassow (Seedorf und Johannsdorf) zugleich mit den Hebungen aus Pöl; letztere können also nicht als Entschädigung dafür angesehen werden. Für die ganzen Landschaften Cutzin und Müritz wären aber die geistlichen Hebungen von Pöl ein gar schwacher Ersatz gewesen.

Kurz, daß Helmold zu einem praktischen Zwecke den ursprünglichen Wendenzins und das ursprüngliche Oldenburgische Stiftsgut erfunden haben sollte, ist eine ganz unstatthafte Annahme. Es ist möglich, daß er seine Nachrichten darüber aus derselben Quelle empfing, die ihm die Kunde von den Verhandlungen Kaiser Heinrichs II. und des Herzogs Bernhard mit den Wenden zuführte. Aber es ist andererseits auch nicht undenkbar, daß man in Bremen im 12. Jahrhundert noch urkundliche Nachrichten über den alten Zins und den vormaligen Güterbesitz des Stifts Oldenburg hatte. Denn es ist unzweifelhaft, daß Oldenburg so gut wie die Bisthümer Havelberg, Brandenburg u. s. w. einen Stiftungsbrief empfangen hat; und wenn auch das Original bei einer der Zerstörungen des Bischofssitzes seinen Untergang gefunden haben mag (die Bischöfe selbst kamen freilich immer glücklich davon), so wird doch im Archiv des Erzbischofs von Bremen eine Abschrift davon aufbewahrt sein. Es ist mir sogar nicht unwahrscheinlich, daß Adam aus der Grenzbeschreibung in diesem Fundationsbrief seine Angaben über die Grenze dieses Stifts mit dem Hamburgischen, den limes Saxoniae (quem quidem ipsi Saxones a tempere primi Ottonis unquam possessione vel etiam nomine tenere videbantur, M. U.=B. I, Nr. 25) entnommen hat. Daß man zu Bremen im 12. Jahrhundert noch viele Urkunden, die wir nicht mehr kennen, wenigstens abschriftlich aufbewahrte, ist nicht fraglich; z. B. gilt dies von Kaiser Ottos I. Privilegium über die Ausdehnung des erzbischöflichen Sprengels von Hamburg bis an die Peene, welches noch 1158 dem Kaiser Friedrich I. vorgelegt ward (Mekl. U.=B. I, Nr. 63). Man wird ferner nicht bestreiten, daß, als der Erzbischof Adalbert die drei Wendenbisthümer herstellte, neue Urkunden entstanden sein müssen, in denen die Grenzen und Besitzungen und Einkünfte jedes Bischofs festgestellt waren. Sollte man davon in Bremen nicht Concepte oder Abschriften aufbewahrt haben? Als aber Erzbischof Hartwig daran ging, auf eigene Hand die Bisthümer wieder aufzurichten, und es sich darum handelte, den Bischöfen wieder Güter und Hebungen zu ihrem Unterhalte zu verschaffen, hat er doch sicher in seinem Archiv Nachforschungen

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über die vormaligen Verhältnisse angestellt. Helmold selbst freilich hat die Documente nicht gesehen; er sagt auch vorsichtig von den alten Stiftsgütern nur: "quae olim ad Oldenburgense episcopium pertinuisse antiquitas commemorat", was man doch nicht ohne Weiteres nur für "mündliche Ueberlieferung aus alter Zeit" nehmen darf; es ist aber höchst wahrscheinlich, daß man in Neumünster von Bremen aus wohl unterrichtet war, und daß auch Bischof Gerold Helmold über die Thatsachen aufklärte.

Das sind freilich nur Muthmaßungen, und für mehr gebe ich sie auch nicht aus; ich führe sie auch nur an, um zu zeigen, wie mißlich es ist, Helmold sofort der tendenziösen Erfindung zu beschuldigen, wenn wir nicht anderweitig eine ältere Quelle zur Hand haben. Die wenigen Trümmer des alten erzbischöflichen Archivs von Bremen=Hamburg, welche uns bekannt sind - und in welchem Zustande! - lassen gewiß kaum eine Vorstellung von dem ehemaligen Reichthum zu; gerade diejenigen Acten, an denen wir die Genauigkeit der Ueberlieferungen, die Helmold empfing und uns wiedergiebt, zu prüfen vermöchten, fehlen uns. Diese große Lückenhaftigkeit unsers Quellenschatzes hat Herr Professor Schirren, wie mich dünkt, nicht hoch genug in Anschlag gebracht.

Ferner aber scheint er mir auch den Umfang und die Bedeutung der mündlichen Ueberlieferung ganz zu verkennen. Wie weit sie an Glaubwürdigkeit auch hinter schriftlicher Aufzeichnung zurücksteht, und wie mancherlei Umbildungen die Thatsachen im Munde des Volkes auch ausgesetzt sind, immerhin sind die historischen Sagen nicht unwillkommen, wenn eine schriftliche Fixirung der geschichtlichen Vorgänge fehlt. Wer will Helmold es verübeln, wenn, wie vor ihm Adam des Königs Svend Mittheilungen, so auch er die Erzählungen der Holsteiner und der Wenden in seiner Gegend aufzeichnete und in sein Werk einreihete, so gut es eben ging? Rühmt er doch (I, 16) den alten Leuten unter den Wenden dasselbe nach, was Adam von König Svend sagt: sie hätten alle alten Geschichten der Barbaren im Gedächtniß! und dies schon bei seiner Erzählung von dem ersten Abfall der Wenden. Aber, wiewohl sich aus solcher Tradition auch die chronologische Unklarheit in Helmolds Darstellung, die hier noch größer ist als schon bei Adam, genugsam erklärt, läßt sie Schirren doch nicht zu. Und nach seinem einmal eingenommenen Standpunkt müßte man sich auch wundern, wenn er nicht auch die wendische Sage von dem

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Fürsten Billug, seiner Gemahlin, ihrer Tochter Hodika u. s. w. für eine "Fiction" Helmolds (S. 151) ausgegeben hätte, erfunden "zu besserer Beglaubigung des oldenburgischen Anspruchs auf Güter und Zins im Lande der Slaven" (S. 70). Schirren spürt glücklich bei Thietmar (dessen Kenntniß er bei Helmold anderswo richtig in Abrede nimmt!) zwei verschiedene Damen Namens Oda auf, schmelzt sie zusammen und gewinnt dadurch ungefähr eine Gestalt wie Helmolds Hodika. Aber warum nennt sie denn Helmold so befremdend Hodika, und nicht Odeke? Und wenn er fälschen wollte, warum giebt er dem Wendenfürsten den an Billung so verdächtig erinnernden Namen Billug, da ihm ja eine Auswahl von ganz unverdächtigen Wendennamen zu Gebote stand? Warum macht er sich auch nur überall die Mühe, diese Geschichte so ungeschickt einzuschalten, da es ja aus der Erzählung vom Untergange des Christenthums am Ende des 10. und im Anfange des 11. Jahrhunderts schon klar genug ward, wie die alten Bischofsgüter verloren gingen? - Schirren hat uns auch hier nicht überzeugt; und noch unglaublicher erscheinen uns die auf S. 150 flgd. vorgetragenen angeblichen Parallelen und Warnungen, die Helmold mit diesen angeblichen Erdichtungen beabsichtigt hätte, nämlich den Herzog Heinrich den Löwen vor verwandtschaftlichen Verbindungen mit dem Wendenfürsten Pribislav zu warnen!

Mündlicher Ueberlieferung verdankt nun unsers Erachtens Helmold auch alles dasjenige, was er mehr als Adam von dem Wendenfürsten Gottschalk zu erzählen weiß; und er durfte auf diese um so eher Rücksicht nehmen, als Gottschalks Ende nicht einmal ein volles Jahrhundert, sondern nur 60-70 Jahre vor der Zeit lag, da Helmold als Kind oder heranwachsender Jüngling in Holstein verkehrte.

Anders Schirren. - Der Kritiker ist schon mit Adam an dieser Stelle recht unzufrieden; er beschuldigt denselben (S. 117) der Uebertreibung in seinen Angaben über die Ausbreitung des Christenthums unter König Gottschalk (III, 18, 19). Doch für Adam, der als Zeitgenosse eher hätte seine Berichte prüfen können, und dem sie Helmold nur in gutem Glauben nachgeschrieben hat, weiß er sofort eine Entschuldigung vorzubringen. "Man würde", bemerkt er (S. 118), "Adams Glaubwürdigkeit zu nahe treten, wenn man aus diesen beiden Capiteln, die nur Phrasen (??) enthalten, einen Maßstab für den Geschichtschreiber Adam

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entnehmen wollte." Es kam jedes Mal auf die Quelle an, bei Adam sowohl wie bei Helmold. "Es sind eben Auswüchse", setzt Schirren hinzu, "die einfach wegzuschneiden sind, eine Operation, die für Helmold gefährlich ist, während Adam sie zu überleben vermag." Wir unsererseits vermissen in diesen Worten die erforderliche Unparteilichkeit und Unbefangenheit der Kritik. Schirren scheut sich (S. 115) nicht, zu behaupten: "Sicher haben Helmold und Saxo, was nicht von ihnen hinzugedichtet worden ist, mittelbar oder unmittelbar aus Adam von Bremen."

Es ist für den Kritiker natürlich störend, daß Saxo Grammaticus an mehreren Stellen Helmolds Erzählungen mehr oder weniger bestätigt. Ein solcher Entlastungszeuge muß daher beseitigt werden. An dieser Stelle läßt Schirren es zweifelhaft, ob der dänische Geschichtschreiber direct aus Adam geschöpft habe, an einer späteren aber (S. 136) will er - nicht etwa, wie es ihm doch zukäme, beweisen, daß und wo Saxo den Helmold benutzt habe, sondern den "Beweis abwarten, daß Saxo nicht Alles" (was er von Gottschalks Sohn weiß) "aus Helmold geschöpft habe." Wir werden in Bezug auf den Wendenfürsten Heinrich diesen Beweis später führen. Aber auch in Rücksicht auf die Geschichte Gottschalks erweist sich Schirrens Behauptung als unhaltbar; die Differenzen zwischen dem dänischen und den deutschen Chronikenschreibern sind zu groß. Z. B. gleich zu Anfang nennen diese Gottschalks Vater: Uto, bei Saxo (S. 523) heißt er: Pribignev; nach Adam war der Vater ein Scheinchrist (male christianus), der Däne nennt ihn einen frommen Christen, der es vergeblich versucht habe, sein abtrünniges Volk zum Glauben zurückzuführen u. s. w. Saxo weiß nur, daß Gottschalk auf die Nachricht von des Vaters gewaltsamem Tode die Schule (Lüneburg nennt er nicht) verläßt, an den nordelbischen Sachsen Rache nimmt und dann in König Kanuts Heer eintritt. Konnte er das denn nicht ebenso gut wie so vieles Andere aus mündlicher Ueberlieferung in Dänemark erfahren, zumal Gottschalk später durch seine Vermählung mit einer dänischen Königstochter das Interesse der Dänen zwiefach erregt hatte? Von der Loslassung Gottschalks durch den Sachsenherzog spricht Saxo gar nicht, wohl aber hernach von des Wendenfürsten Heimkehr. Freilich von dieser ganz abweichend von den Deutschen. Man vergleiche nur, wie sehr schon sein Bericht über die Niederlage der Wenden (S. 545) im Kampfe mit den Dänen abweicht! Dem Gottschalk macht er bittere Vor=

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würfe über seinen Abfall von Svend, während die Deutschen zwischen diesen gar keine Beziehungen kennen, Helmold den Wendenfürsten sogar schon nach Kanuts Tode († 1035) heimkehren läßt. Dann berichtet Saxo von Gottschalk nur noch, daß er sich durch verschiedene Kämpfe das Wendenland unterwirft und abermals zur Rache für seinen Vater das Sachsenland bekriegt, während dieser nach der deutschen Erzählung sich gerade an die Sachsen anlehnt. Von Allem, was Adam und Helmold von Gottschalks Herrschaft und Missionsbestrebungen aufzeichneten, ist bei Saxo keine Spur. Hätte er von diesen etwas erfahren, wie hätte er den Wendenfürsten als einen Sachsenfeind hinstellen können?

Doch dies Letzte verschlägt für Schirren wohl nicht viel. Denn - gegen alle Quellen! - ist Gottschalk für ihn kein Herrscher über die Wendenlande bis zur Peene geworden, sondern "unstreitig", wie er (S. 126) versichert, nur ein "slavischer Bandenführer im Wickingerstil", ein "Parteigänger um Sold (!) und Beute gewesen, und nur, weil er Hamburg besonders erfolgreich gedient haben mag, von Adam gepriesen." Den Beweis für diese Anschauung ist der Kritiker aber schuldig geblieben.

Seiner Herkunft nach hält er (S. 116) Gottschalk für einen Elbwenden, einen südlichen Polaben, obwohl es keine Quelle meldet und der junge Fürst so gut z. B. von der Meklenburg als von Ratzeburg aus auf die Schule zu Lüneburg geschickt werden konnte. Die "vielen Tausende" von nordelbischen Sachsen, welche er nach Adam (II, 64) an der Spitze wendischer Schaaren zur Sühne für den Vater hinmordete, wohnten nach Schirren alle im südlichen Lauenburg (schon damals, als noch die Stadt Lauenburg nicht existirte, der Sachsenwald noch viel größer war und Einfälle der Wenden das Grenzgebiet unsicher machten!) - und nicht in Holstein; denn in Holstein soll Helmold Gottschalk nur thätig sein lassen, um ihn unvermerkt aus der Elbgegend nach Wagrien zu versetzen (S. 120): "Der Winulerfürst von der Elbe ist völlig vergessen, in Wagrien sitzt ein Fürst aus altem Geschlecht"!!

Dieser ganzen Schirrenschen Hypothese fehlt nun aber jede Grundlage. Helmold berichtet mit keinem Worte, daß Gottschalk seine Residenz in Wagrien gehabt habe; nach Adams Vorgange erzählt er nur, es sei je eine Mönchs= oder Nonnen=Congregation zu Lübeck, Oldenburg, Ratzeburg und Lenzen gewesen, dagegen drei zu Meklenburg; hier in der Meklenburg verweilte auch seine Gemahlin Siritha

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mit ihren Frauen (Ad. III, 50; Helmold I, 24), als 1066 die Wenden abfielen und Gottschalk zu Lenzen ermordeten: die Meklenburg tritt dem unbefangenen Leser sofort als der Hauptsitz des Fürsten entgegen. Aber einmal von Mistrauen erfüllt, tadelt Schirren sogar, daß Helmold und die Abschreiber Adams unter Lëubice (Alt=)Lübeck verstehen; er weist auf ähnlich klingende Namen in der Prignitz und bei Jericho hin, selbst auf "Lubowe" bei Meklenburg, das doch eine ganz andere Endung hat; ja er hält es noch für eine "ungelöste Frage, wann der Name Bukowec durch den Namen Lübeck verdrängt worden ist", obwohl bekanntlich Helmold (I, 51) mit dürren Worten erzählt, daß Graf Adolf den Namen der bei der Einmündung der Schwartau in die Trave untergegangenen Stadt Lübeck auf seine neue, auf dem Hügel Buku, zwischen der Trave und der Waknitz, angelegte Stadt übertrug. -

Jene irrige Idee vom "Wagrischen Principat" tritt dann auch noch weiter bei Schirren hervor. Bekanntlich weicht Helmold (I, 21) in mehreren Stücken ab von Adams, auf Mittheilungen eines glaubwürdigen Nordalbingiers beruhender Erzählung von dem gemeinsamen Zuge Gottschalks, des Dänenkönigs und des Sachsenherzogs gegen die Redarier (III, 2l), namentlich, insofern nach Helmold die Kessiner nicht auf Seiten der Redarier und Tholenser, sondern auf Seiten der Circipaner standen. Am einfachsten erklärt sich Helmolds Abweichung, zumal er auch die Dauer des Zuges anders angiebt, daraus, daß er abweichende mündliche Sagen gekannt hat. Schirren sieht dagegen (S. 146 und 147) auch hierin wieder eine Tendenz: Gottschalk soll von Helmold um so mehr verherrlicht sein, indem dieser ihn "ein obotritisches Stammland unter den wagrischen Principat zwingen läßt" u. s. w. Was es mit dem Wagrischen Principat auf sich hat, sahen wir schon; die Kessiner aber waren kein "obotritisches Stammland", sondern sie waren Liutizen. Aufrichtig gestanden, scheint uns Helmolds Bericht correcter als der von Adam; ob historisch richtiger, lassen wir dahin gestellt. Beide beklagen, daß die Sieger - denn die Circipaner unterlagen - nur an Beute oder Geld gedacht hätten, vom Christenthum dabei nicht die Rede gewesen sei. Soll das heißen, die Sieger haben von den Besiegten die Annahme des Christenthums nicht verlangt? Aber beide Chronisten haben schon vorher erzählt, daß die Kessiner und die Circipaner sich bereits zum Christenthum verstanden hatten; Adam widerspricht sich also, indem er die

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Circipaner noch wieder als Heiden (pagani) bezeichnet, und bei ihm gehen die Worte: "de christianitate nullus sermo" also wenigstens mit auf diese. Helmold dagegen vermeidet diesen Widerspruch, setzt für "paganorum" vielmehr "hominum". Wenn er aber dennoch hernach schreibt: "De christianitate nulla fuit mentio", so will er also nur sagen: Die christlichen Herren haben ihren Verbündeten, den Redariern, den Inhabern des berühmten Tempels (zu Rethra), die Annahme des Christenthums nicht zur Bedingung gemacht, es kam den Dänen und Sachsen nur auf's Geld an.

Wir haben hiermit die Punkte erledigt, welche Herr Professor Schirren hervorgehoben hat, um zu zeigen, daß sich Helmolds Geschichtsfälschung vornehmlich aus der Vergleichung mit dem Adam erweise; wir haben diesen Beweis aber durchaus nicht stichhaltig befunden.

Für die spätere Zeit wird dem Herrn Professor die Begründung solcher Anklage jedoch noch viel schwerer, weil es uns erstens an der Controle durch einen andern Schriftsteller fehlt, und weil zweitens wir uns immer mehr der Zeit nähern, aus welcher Helmold durch mündliche Berichte alter Männer (quae longaevis viris referentibus percepi, sagt er in der Widmung) über die Erlebnisse ihrer Großväter und Väter Vieles erfahren konnte. Unser Kritiker empfindet den Mangel eines "unabhängigen Textes zur Vergleichung" auch allerdings, tröstet sich jedoch (S. 145) damit: "Helmold richte sich selbst." Er macht übrigens große Anstrengungen und schlägt einen ganz neuen Weg ein, um Helmolds Erzählungen von dem Wendenfürsten Heinrich, dem Sohne des Fürsten Gottschalk, für welchen Herr Schirren den Namen "Slavenheinrich" erfunden hat, als eine Tendenzschöpfung Helmolds hinzustellen.

Ihm sind nämlich "die mehreren Heinriche" (S. 150) des 12. Jahrhunderts aufgefallen. Er stellt (S. 157 flgd.) 5 Fürstenpaare zusammen: Heinrich den Löwen und Mechthild, Heinrich=Burwin und Mechthild, Pribislav und Woislava, Heinrich=Pribislav von Brandenburg und Petruschka, endlich den Slavenheinrich und die Slavina. Er entdeckt eine "Heinrichssucht" unter den Mönchen, die zu Helmolds Zeit "aller Wahrscheinlichkeit nach" "schon mehr als ein Opfer gefordert" (S. 160), und erklärt dann (S. 158) alles Weitere aus einem "Legendenkriege" dieser Mönche; und zwar so: "Ein Heinrich genügte, alsbald einen zweiten und dritten auf die Bühne zu rufen. Rühmten die Cistercienser von

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Schwerin sich ihres Burewin" [aber wo hätten sie das gethan? und sie saßen ja nicht unter Burwin, sondern unter Graf Gunzel von Schwerin, und jener regierte überhaupt noch nicht, als Helmold schrieb!] "oder, was durchaus nicht unwahrscheinlich ist, schon ebenso vorlaut (sic!) seines Vaters, so blieben die Prämonstratenser von Brandenburg mit einem Heinrich=Pribislaw gewiß nicht lange in Rückstand. Hatte der eine seine Frau und war zu beneiden, so fanden sich die andern gewiß bald gleichfalls versorgt, und konnte man mit auswärtigen Frauen nicht concurriren, so standen einheimische Dobrawen" [auf wen geht das?], "Woislaven, Slavinen vollauf zur Verfügung." Schirren nimmt es mit dieser Phantasie in der That. ernst; er empfiehlt (S. 189), die Geschichte "möge sich eine Zeitlang mit einigen berechtigten Heinrichen weniger behelfen." Aber andererseits hat er doch nicht ganz so schlimme Absichten, wie man hiernach denken sollte; denn da jene Heinriche alle durch Zeitgenossen hinlänglich beglaubigt sind, so zweifelt er nicht an ihrer Existenz; nur das, was von ihnen berichtet wird, hält er meistens für reine Tendenzdichtung. Härter geht er dagegen mit den Frauen um. Nur Heinrichs des Löwen Gemahlin läßt er frei passiren. Als Heinrich Burwins Gemahlin nennt freilich schon ihr jüngerer Zeitgenosse Arnold von Lübeck (III, 4) Mechthild, Tochter Herzog Heinrichs des Löwen; dennoch aber "wäre es" nach Schirren (S. 155) "möglich, daß ihm vor Allem von den Mönchen der Doppelname und seiner Frau der Name Mechthildis beigelegt wurde." "Die Mönche wollten es so haben, und das entscheidet." - Solche Behauptung wird wohl kaum Beifall finden. - Die Petruschka, deren Geschichte für Schirren eine verdächtige Aehnlichkeit mit der der Semiramis zeigt, mögen die Brandenburger vertheidigen! Für die Woislava rede, bemerkt Schirren, "sogar ein Ziegel, während man sich in Meklenburg sonst wohl auch mit einem Brett begnüge." (S. 157.)

Ein Kritiker, der sich solchen Hohn erlaubt, verwirkt den Anspruch auf eine höfliche Polemik! Denn jeder Historiker weiß, daß ein späteres Zeugniß - und jene Doberaner Ziegelinschrift auf dem Grabe der Woislava stammt allerdings frühestens aus dem Ende des 13. Jahrh. - weniger gilt als ein zeitgenössisches, und bemißt danach den Werth; aber ebenso bekannt ist, daß Klöster ihre Stifter und Stifterinnen dankbar im Gedächtniß behielten. Es wäre auch wohl der Beachtung werth gewesen, daß die Woislava in der von Kirchberg aufgezeichneten Ueberlieferung nicht als eine

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"einheimische", sondern als eine "normannische" Fürstentochter erscheint; und mehr als sein Spott hätte, es der Wissenschaft genützt, wenn Herr Professor Schirren die bisher geäußerten Vermuthungen über die Herkunft dieser Fürstin einer ernsten Prüfung unterzogen und widerlegt oder bestätigt hätte. Endlich in Bezug auf die Slavina meint Schirren (S. 158), schon ihr Name verrathe die Fabrik, ohne daß er auch nur in Erwägung gezogen hätte, ob nicht oder warum nicht der Name eine Ableitung von dem wendischen Worte slava = Ruhm sein könnte.

Also, um auf den "Slavenheinrich" zurückzukommen, "der Heinrich Adams ist" auch für Schirren (S. 160) "historisch" und ihm (S. 159) "darum unverdächtig, weil Adam mit diesem Heinrich" (der, als Adam schrieb, 1075, nach Schirren noch nicht volle zwanzig Jahre zählte!) "weiter nichts anzufangen gewußt hat." Aber er setzt hinzu: "Wo Adam von ihm schweigt, hebt die Tendenzdichtung an." "Wo Schwerin und Brandenburg concurrirten, durfte Lübeck nicht fehlen." "Seine Tendenz schrieb ihm (Helmold) gebieterisch vor, Vicelin wirklich und in der That zum Slavenheinrich nach Lübeck zu führen" (S. 166). - Hier verräth aber Schirren seine eigene Tendenz. Um zu bestreiten, daß Vicelin nach Lübeck zu König Heinrich gekommen sei - eine ebenso unverdächtige, als verhältnißmäßig untergeordnete Mittheilung -, soll Heinrichs Lebensgeschichte eine Tendenzdichtung sein; dies war übrigens auch schon das Motiv Schirrens, den Wagrischen Principat Gottschalks zu erfinden und des Fürsten Heimath an die Elbe zu verlegen. (Vgl. S. 123. 424.)

Wer aber den Helmold unbefangen liest, wird leicht begreifen, warum Heinrich zu Lübeck seine Residenz aufschlug. Die dem christlichen Gottschalk feindliche, heidnisch gesinnte Nationalpartei unter den Wenden hatte nach Gottschalks Tode den Kruto zu ihrem Fürsten gewählt, und diesem war es gelungen, Gottschalks ältesten Sohn Butue trotz der Begünstigung durch die Sachsen zu vertreiben und durch List um's Leben zu bringen. Heinrich vergalt das Kruto auf höchst unedle Weise; aber er fühlte die Schwäche seiner Herrschaft, wagte nicht einmal einen Missionsversuch wie sein Vater und nahm seinen Sitz in der Nähe der Holsteiner, auf deren Kraft er sich stützte und stützen mußte, zumal seitdem weiter im Osten die Gegenpartei zu Krutos Nachfolger einen unversöhnlichen Christenfeind wählte (Helmold I, 24), dessen Namen Helmold nicht nennt (obwohl man sich, wäre er der, für den ihn Schirren ansteht, wundern

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müßte, daß er keinen Namen für ihn erfunden hätte). Erst der Sieg bei Schmielau, der mit der Hülfe der Sachsen errungen wird, verschafft Heinrich die Herrschaft über östliche Slavengebiete. Der Mittelpunkt der wendischen Opposition ist Rügen, von dort her geschieht später der Angriff auf Lübeck; die Niederlage der Ruyaner vor Lübeck durch Heinrich ist eben darum von so großer Wirkung. Der Streit um die Oberherrschaft endet vorerst mit Heinrichs Tode (I. 38) - was in Schirrens Augen eine "wunderliche Motivirung" ist -; Heinrichs Söhne treten nicht in die volle Macht des Vaters ein, doch Zwentepolch erobert die Burgen Werle und Kessin. Der Kampf zwischen Heinrichs Haus und Krutos Haus setzt sich noch fort, als Heinrichs Nachkommenschaft erloschen ist und seines Bruders Sohn Pribislav die Herrschaft wenigstens im Westen behauptet, Race aus Krutos Stamm diesem aber Lübeck zerstört.

Es ist für Schirrens ganze Anschauung ohne Zweifel sehr drückend, daß auch Saxo den Fürsten Heinrich gerade in Wagrien auftreten läßt; er behauptet ja aber, Saxo habe den Helmold gelesen.

Vergleichen wir also die beiden Chronisten! Der dänische berichtet (p. 618) zunächst nur Beziehungen Heinrichs zu den Dänen und zwar meistens Ereignisse, von welchen Helmold kein Wort erwähnt. Nach Saxos Darstellung ist Heinrich, der Sohn der dänischen Siritha, von König Niels seiner mütterlichen Erbschaft in unwürdiger Weise beraubt, verheert das südliche Schleswig und veranlaßt dadurch Niels zu einer Landung bei Lütjenburg, besticht jedoch dessen Reiteranführer und schlägt die Dänen in zweitägigem Kampfe, 9. und 10. August (1113?), fetzt seine Verheerungen fort und greift selbst die Stadt Schleswig an. Dadurch fühlen sich auch Friesen, Holsteiner und Dithmarsen zu Raubzügen ermuntert, und sogar ein vornehmer Däne treibt solch Geschäft. Dieser mag derselbe sein, den nach Helmold (c. 49), der sonst von allem Erwähnten gar nichts bringt, Kanut Laward, trotz seiner Verwandtschaft, seiner hohen Abkunft halber am höchsten Mast aufknüpfen ließ; hätte aber Saxo diese Stelle des Helmold gekannt, er hätte bei seiner Vorliebe für Pointen diese Erzählung gewiß nicht verschmäht. In Bezug auf die Jugendgeschichte Kanut Lawards weichen Saxo und Helmold wieder völlig von einander ab; von Helmolds Bericht (c. 49), wonach König Erich der Gütige bei seiner Abfahrt von Dänemark sein Reich und seinen Sohn dem Bruder Niels befahl, mit der eidlichen Verpflichtung,

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Kanut, wenn er erwachsen, das Reich zu übergeben, weiß Saxo nichts, berichtet dagegen (p. 609), wer des Prinzen Erzieher wird, ferner (p. 619), wie Kanut sich in der schon erwähnten unglücklichen Schlacht gegen Heinrich den Wenden auszeichnet, wovon wieder nichts bei Helmold vorkommt. Dagegen von Helmolds Angabe, Kanut sei in seiner Jugend vor dem Oheim Niels zu Kaiser Lothar entwichen, ist bei Saxo nichts zu lesen; nach Helmold empfing Kanut bei der Heimkehr vom Oheim den "ducatus totius Daniae", nach Saxo (p. 623) erkaufte er sich die Statthalterschaft in Schleswig. Von Kanuts glücklichen Kriegszügen gegen Heinrich den Wenden erzählt Saxo (p. 624 flgd.) ausführlich, Helmold erwähnt sie gar nicht. Endlich berichtet der deutsche Chronist ziemlich weitläufig (I, 48), daß auf Heinrich seine Söhne Zwentepolch und Kanut in der Regierung folgen, in Feindschaft leben, Kanut zu Lütjenburg ermordet wird, Zwentepolch im Bunde mit dem Grafen Adolf die Burgen Werle und Kessin erobert, die Ruyaner dagegen Lübeck zerstören, Zwentepolch vom Daso, sein Sohn Svinike bei Artlenburg ermordet wird, und damit Heinrichs Nachkommenschaft, wie er selbst geahnt, erlischt, Kanut Laward aber vom König Lothar die wendische Krone als Lehn um viel Geld erwirbt. Ganz anders Saxo. Nach seiner Darstellung soll vielmehr Heinrich der Wende, weil er seine Söhne für unfähig zur Regierung angesehen, dem Herzog Kanut das Reich vermacht, dieser es zögernd angenommen und nach Heinrichs Tode sofort besetzt und des Kaisers Gunst durch ein mit goldenen Hufeisen geschmücktes Pferd gewonnen haben.

Was soll denn nun Saxo dem Helmold verdanken? - Schirrens Behauptung ist eben ganz unbegründet.

Sehr beachtenswerth ist es nun aber, daß, wie Saxo nur Beziehungen Heinrichs zu den Dänen kennt, Helmold uns fast nur solche Dinge erzählt, bei welchen die Sachsen, namentlich die Holsteiner, in des Wendenfürsten Geschichte hervortreten. Gleich von Butues Untergang weiß er viel zu melden, weil dieser in Holstein geschah; er ward nur dadurch möglich, daß die Holsteiner nicht eingreifen wollten (c. 25, 26); sie werden nun auch vom Kruto unterjocht, mehr als 600 Familien von ihnen wandern nach dem Harze aus; Kruto setzt sich in Wagrien fest, wo seine Gegenwart in der That am nötigsten war. Weiter weiß Helmold auch von Kruto dann nichts mehr, als dessen gewaltsamen Untergang, und anscheinend hievon auch nur, weil Heinrichs

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Angriffe sich vorzugsweise gegen Oldenburg und die wagrische Küste, gerichtet hatten. Was Helmold darauf zunächst hervorhebt, ist dies, daß Heinrich, sobald er dem Sachsenherzoge Magnus den Eid der Treue geleistet hat, mit den Holsteinern Frieden schließt und treue Freundschaft mit ihrem, anscheinend nun erst nach Krutos Tode eingesetzten, Grafen hält. Der Chronist berichtet (I, 34) weiter von der Tapferkeit, welche die Lüneburger (Barden) und die Holsteiner bei Schmielau gegen die Wenden bewiesen, und beruft sich dabei für eine Einzelheit geradezu auf die Erzählung solcher, deren Väter dabei gewesen. Er entwickelt dann die Folgen des Sieges, wie Heinrich die jetzt gehorchenden Wenden vom Räuberleben zur Arbeit zurückführt, und welchen Einfluß dies auf die Verhältnisse Holsteins gehabt habe. Aber er fügt doch hinzu, daß in Heinrichs Reich nur eine Kirche, die zu Lübeck, gewesen sei, wo der Fürst mit seinem Hause am meisten verweilte, und vergißt nicht zu zeigen, wie unsicher seine Herrschaft war, wie Beutemacher den holsteinischen Grafen Gottfried ermorden, wie die feindliche Wendenpartei unter Führung der Rujaner die Burg (Alt=) Lübeck angreift, aber von Heinrich mit Hülfe der Holsteiner geschlagen wird. Bei Heinrichs Zuge gegen Havelberg (c. 37) führt sein Sohn Butue die günstige Entscheidung herbei durch 300 Wenden und durch 200 Sachsen; bei der Erzählung von dem Zuge in's Rujanerland (c. 38) meldet uns Helmold ziemlich genau, auf welchem Wege die Sachsen aus Holstein und Stormarn dahin gezogen sind, was mit ihnen Fürst Heinrich gesprochen hat, wie er auf sie allein sein Vertrauen setzt; sie treten als die Hauptabtheilung des Heeres hervor, von den Wenden im Heere ist nur nebenbei die Rede, und diesen mißtraut der Fürst. Selbst Helmolds übertriebene Angabe von der Ausdehnung des Wendenreiches über Pommern bis an's Polenland (I, 36) wird auch nur auf die Erzählung der Sachsen zurückzuführen sein, die bis Wolgast gelangten, also in ein Gebiet, das im 12. Jahrhundert zu Pommern gerechnet ward.

Es springt, denke ich, klar genug in die Augen, woher die von Schirren (S. 131) gerügte "Armseligkeit" der Geschichte Heinrichs bei Helmold entsteht. Helmold weiß von dem Fürsten nur zu berichten, was ihm Sachsen in Holstein von ihren eigenen und von ihrer Väter Erlebnissen und Thaten erzählt haben, wie er sich denn ja an einer Stelle auf solche mündliche Erzählung geradezu beruft. Aus der mündlichen Tradition erklären sich auch die chronologischen

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Schwierigkeiten, welche uns seine Berichte verursachen. Mitunter (z. B. S. 129) kommt Schirren der Gedanke, Helmold möge kurze schriftliche Aufzeichnungen vor sich gehabt und sie nach Gefallen ausgeschmückt haben; aber er hat nichts davon nachzuweisen gewußt. Seine ganze Anschauung von jener Zeit ist nun einmal irrig; Heinrich ist ihm (S. 126), wie sein Vater, nur ein wendischer Bandenführer im Wickinstil u. s. w.

Daß der Heinrich Helmolds nicht der Heinrich Adams sei, vermag er aber gar nicht darzuthun. Wenn Helmold Adams um 1075 gemachte Aeußerung (III, 50) wiederholt, daß beide Söhne Gottschalks den Wenden zum Verderben geboren seien, und doch erzählt, Heinrich sei - als Kind (auch nach Schirren noch nicht 11 Jahre alt), ohne Zweifel mit der Mutter - 1066 nach Dänemark entflohen, so sehe ich darin gar keinen Widerspruch. Denn was hindert anzunehmen, daß Heinrich als Jüngling aus Dänemark zurückeilte, um sich an den Kämpfen seines Bruders und der Sachsen gegen die feindliche Wendenpartei zu betheiligen? - Die Ermordung Krutos ist für Schirren (S. 132) eine "nackte Dichtung", eine "Fabel", "deren Vorbild man um so leichter irgenwo im Norden finden mag." Leider hat er jedoch trotz seiner großen Belesenheit und seiner Liebe zu Vergleichungen, die ihn, wie wir sahen, sogar auf die Semiramis zurückgreifen ließ, kein Vorbild aufgesucht oder aufgefunden. Und warum konnte in Wagrien nicht Aehnliches geschehen wie im Norden?

Ueberhaupt hinken die Vergleichungen Schirrens meistentheils. Die "sogenannte Schlacht auf dem Smilowerfelde" leugnet er nicht geradezu, aber er vermuthet (s. 257), Helmold habe sie "mit einem ganzen Gewebe von Dichtung umsponnen." Wenn dieser unter Berufung auf Söhne von Kämpfern in dieser Schlacht mittheilt, den Wenden sei es im Streite sehr nachtheilig gewesen, daß ihnen die Abendsonne in's Gesicht schien, so soll dies Helmold dem Widukind "nachgedichtet" haben, der bekanntlich berichtet, im Jahre 929, in der Schlacht bei Lenzen, sei in der Morgensonne von den in der vorigen Nacht vom Regen durchnäßten Kleidern der Wenden ein Qualm aufgestiegen, der sie eingehüllt, während die Deutschen hellen Sonnenschein um sich gehabt hätten! Schirren scheint selbst zu fühlen, wie wenig dieser Vergleich ganz verschiedener Dinge leistet; er giebt uns deshalb (S. 258) ein anderes, seiner Versicherung nach "minder leicht abzufertigendes Beispiel." Nämlich Helmold

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soll für seinen Bericht über die Schlacht wider die Rugier am 1. August, für welche dieser sich auf den Ranenberg und das Gedenkfest beruft, "sein Vorbild entlehnt" haben von K. Heinrichs IV. Flucht aus der Harzburg am 9. August 1073 und dessen Sieg an der Unstrut am 9. Juni 1075, der Ranenberg aber erinnert Schirren an jenes Runibergun, welches nicht etwa in jenem Streite König Heinrichs, sondern bei Widukind (I, 9) in den sagenhaften Kämpfen des Frankenkönigs Dietrich mit dem Thüringerkönig Irminfried vorkommt und nach Schirren "nicht allzuweit von der Unstrut" lag, was aber noch etwas zweifelhaft ist. Nach Schirrens Zusammenstellung einiger Auszüge aus Helmold und Lambert, von dessen Kenntniß freilich Helmold keine Spur verräth, sollte man denken, selbst in der Zeitbestimmung (August), in der Zweizahl und Vierzahl herrsche eine auffallende Uebereinstimmung; liest man aber jene Stellen im Zusammenhange, so löst sich das Nebelbild sofort wieder auf. Es ist richtig, Heinrich der Wende wird durch seine Feinde in seiner Burg belagert wie Heinrich IV, und beide entkommen, um sich Hülfe zu suchen, jener im Juli, dieser 9. August (also nicht in demselben Monat!). Ist solche Flucht etwas Charakteristisches? Der Wende hat zwei, der deutsche König aber drei Begleiter; die Zweizah l ist also auch schon zu streichen. Der Wende befiehlt seinen Leuten die Burg bis zum vierten Tage zu halten, und ist dann auch mit seiner Hülfe zur Stelle. Der deutsche König flieht drei Tage lang durch die Wälder, erreicht am vierten Eschewege, am fünften Hersfeld und wartet hier vier Tage auf das von Mainz heranziehende Heer (das giebt also 9 Tage). Jener besiegt am 4. Tage die Feinde, dieser erst nach beinahe 2 Jahren. Was bedeutet denn nun die parallele von den 4 Tagen? Richtig ist, daß bei Lübeck wie an der Unstrut die Feinde überrascht wurden; aber in wie viel hundert Treffen ist das nicht geschehen! Man vergleiche einmal Helmolds eigene Berichte von der Schlacht an der Unstrut im Jahre 1075 (I, 27) und von der Schlacht auf dem Ranenberge, so sieht man sofort, daß es mit Schirrens Parallelen nichts auf sich hat. - Dies sind aber die Einwendungen alle, welche unser Kritiker gegen Helmolds Erzählungen von den Kämpfen bei Schmielau und bei Lübeck vorzubringen weiß.

Nicht stichhaltiger ist, was er gegen den ersten Zug Heinrichs des Wenden nach Rügen bemerkt, den uns Helmold nach mündlicher Tradition wiedergiebt. Wenn Helmold

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dabei in den Reden des Fürsten und der Holsteiner einmal ungeschickt war, wer wird darum mit Schirren (S. 260 flgd.) gleich den ganzen Zug in Zweifel ziehen? Uebrigens ist es doch noch fraglich, ob der hervorgehobene Widerspruch dem Helmold oder seinem Kritiker zur Last fällt. Jener erzählt, der Zug sei im Winter unternommen, Heinrich sei vom Festlande über das Eis auf die Insel Rügen gelangt; als ihm nun ein sächsischer Kundschafter das Herannahen der Feinde, der Rujaner, meldet, redet der Fürst seine sächsischen Bundesgenossen an: . . . "Seht, wir sind ringsum vom Meere eingeschlossen, Feinde vor uns, Feinde hinter uns" (ecce mari undique conclusi sumus, hostes ante nos, hostes post nos), ein Entkommen, fährt er fort, sei unmöglich, es gelte zu siegen oder zu sterben. Schirren deutet dies triumphirend: "Das offene Meer" - das soeben noch als gefroren geschildert war - "versagt den Rückzug"! Er findet hier ein "Phantasiegebilde, bei welchem die Phantasie der Controle entschlüpft." Unsers Erachtens sagt aber der Fürst Heinrich bei Helmold nur: Vor uns stehen die feindlichen Rujaner, hinter uns die mir feindselig gesinnten Wenden, die leicht mit jenen gemeinschaftliche Sache machen können. Jenseit des schmalen Sundes finden wir, wenn wir geschlagen werden, nur diese feindseligen Wenden, anderswohin entfliehen, anderswoher, aus Dänemark oder Holstein, Hülfe herbeirufen können wir nicht, weil wir vom Meere umschlossen sind. Daß das ganze Meer gefroren gewesen sei, sagt aber Helmold nicht und ist auch nicht glaublich. Doch wie man auch jene Worte auffasse, als eine Gedankenlosigkeit des Schriftstellers oder als eine wohlüberlegte Aufzeichnung, es bedeutet für Helmolds Ehrlichkeit nichts. Mit Bedauern bekennen wir, bei Schirren über den Wenden Heinrich keine neuen Aufschlüsse oder eine haltbare Auffassung gefunden zu haben.

Wir sind bereits bei einem Zeitraum angelangt, aus welchem ältere Männer dem Chronisten die Thatsachen aus eigener Anschauung oder doch als ihre Erlebnisse mittheilen konnten. Hier tritt uns dann auch der Bischof Vicelin entgegen, dessen Leben Helmold, der Bedeutung des Mannes entsprechend, verhältnißmäßig ausführlich behandelt, - "ne posteros lateat". Er hat schon selbst den Bischof gekannt und öfter sprechen hören (I, 42), über dessen Jugendgeschichte auch anscheinend Aufzeichnungen in Versen vor sich gehabt; seine meisten und wichtigsten Mittheilungen wird er aber

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mündlicher Ueberlieferung zu Faldera verdanken. In diesen biographischen Angaben hat nun der Scharfsinn neuerer Gelehrten Unrichtigkeiten entdeckt, mit Hülfe anderer Angaben, wie sie dem Helmold freilich noch nicht zu Gebote standen, und namentlich hat neuerdings Schirren in seinen Erörterungen gegen Höhlbaum (Forschungen z. d. Gesch. XVII) sich in dieser Hinsicht ein sehr anzuerkennendes Verdienst erworben. Doch sind die Gelehrten uneins darüber, wo der Hauptfehler bei Helmold steckt; und wenn nicht neues Material entdeckt wird, mag eine Einigung auch für die Zukunft unwahrscheinlich sein. Daß Vicelin als magister scholae von Bremen und noch als Akoluth mit seinem Lieblingsschüler Thetmar nach Frankreich gezogen ist, um dort in Laon Anselm († 1117) und Radolf zu hören, finde ich meinestheils unbedenklich und kann mir nicht vorstellen, daß man in Holstein den beiden hervorragendsten Geistlichen daselbst sollte eine solche Reise nach Frankreich angedichtet haben. Auf den in Frankreich gefaßten Entschluß, sich einer Askese, die noch über die Anforderungen der Augustinerregel hinausging, und eifrigerer Pflege des Gottesdienstes zu weihen, scheint sich auch die Bezeichnung Vicelins als religiosus in der bekannten Einzeichnung des Cod. Vicelini (Pertz, Scr. II, 378) zu beziehen. Eben diese steht aber auch, indem sie Vicelin weiter als canonicus Bremcnsis ecclesiae bezeichnet, zu Helmold im Widerspruch; denn Letzterer erzählt, Vicelin habe, als er nach dreijährigem Aufenthalte in Frankreich nach Bremen zurückgekehrt war, eine ihm angebotene Domherrenstelle zu Bremen abgelehnt, sei noch in demselben Jahre zum Erzbischof Norbert von Magdeburg gezogen und von diesem zum Priester geweiht. Jene Worte sollen nach Ausweis der Handschrift im 12. Jahrh. in den Codex Vicelini eingetragen sein; daß sie erst nach 1123 aufgezeichnet sind, scheint der unbestimmte Eingang: "Temporibus d. Hamukonis Patherburnensis abbatis" (1118- † 1123) zu beweisen, und der Ausdruck quidam religiosus spricht für eine etwas spätere Zeit. Helmolds Nachrichten zeigen hier aber allerdings eine Lücke; ich zweifle nicht, daß Vicelin nach seiner Rückkehr aus Frankreich einige Jahre Domherr zu Bremen gewesen ist und als solcher auch die Zwischenstufen bis zur Priesterwürde durchlaufen hat. Ja, wenn die bei Lappenberg, Hamb. U.=B. Nr. 131, abgedruckte undatirte Urkunde des Erzbischofs Friedrich von Bremen († 1123), welche uns nur in einer Abschrift vorliegt, wirklich, wie Schirren (S. 24.) versichert, "unter den vielen

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verdächtigen Urkunden jener Zeit gerade von dem Verdacht einer Fälschung frei ist", so ist Vicelin in Bremen sogar bis zur Würde eines Scholasticus emporgestiegen, da in jener Urkunde: "Adelbertus custos, Vicelinus scholasticus" als Zeugen vorkommen. Mir fehlt das Material zur Prüfung der Echtheit, oder der Genauigkeit jener Abschrift; auffällig ist mir nur, daß hier gegen die Regel, wonach die Prälaten dem Range gemäß geordnet zu werden pflegen, der Custos dem Scholasticus vorangeht, und daß Vicelin in dem Cod. Vicel. schlechthin nur canonicus, nicht scholasticus betitelt wird. Indessen lege ich auf diese Frage weniger Werth, da, wie Schirrens sehr gelehrte Erörterungen beweisen, der Scholasticus nicht schon Priester sein mußte, Helmolds Angabe von der Priesterweihe Vicelins durch Norbert, der erst 1126 den erzbischöflichen Stuhl zu Magdeburg bestieg, also dadurch nicht widerlegt wird, auch nichts dagegen spricht, daß Vicelin durch Norbert den Impuls zur Mission empfing. - Kurz, über die Zeit von etwa 1120-26 hatte Helmold aus Vicelins Leben keine Nachrichten, er erfuhr nichts von seiner Domherrnwürde und glaubte, daß er gleich nach der Heimkehr nach Magdeburg gezogen sei. Auch hat unser Chronist bei seiner Schwäche für Zeitbestimmungen die Dauer von Vicelins Aufenthalt in Holstein bis zur Bischofsweihe unrichtig auf 30 Jahre angeschlagen, wo 22 das Richtige waren. - Aber um jener einen Lücke willen möchte ich doch nicht mit Schirren (S. 22) gleich, "was Helmold erzählt, großen Theils in das Gebiet der Legende verweisen." Legendenhaft mochte Schirren nennen, was Helmold von Erscheinungen und Wundern erzählt (in dieser Hinsicht ist der holsteinische Chronist nicht unbefangener als andere mittelalterliche, Thietmar etc .), und legendenhaft auch den Ton der Darstellung, der sich für solche Biographien nach Legenden bildete; aber absichtliche Umbildungen, Entstellungen und Erfindungen in der wahren Lebensgeschichte Vicelins (S. 22) vermag ich bei Helmold und den Zeitgenossen nicht vorauszusetzen, und erwiesen sind sie nicht.

So sehr ich auch Schirrens Scharfsinn anerkenne und so sehr ich die Fruchtbarkeit seiner Erfindungsgabe bewundere, ich vermisse die zwingende Kraft seiner Ausführungen und noch häufigeren bloßen Behauptungen, und kann mich an denselben nicht erfreuen, da sie nur den Zweck haben, einen Schriftsteller als einen Lügner hinzustellen. Es fehlt an Raum, um auf alle einzugehen, aber einige zu berühren kann ich mir nicht versagen. Z. B. ohne jeglichen ersicht=

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lichen Grund bezweifelt er die für uns ganz gleichgültige Angabe Helmolds (I, 45), daß der Probst Adalbert zu Bremen ein Verwandter Vicelins gewesen sei; ebenso willkürlich (S. 19), daß Helmold den Dietrich, seinen Gewährsmann für eine Angabe (I, 43), erfunden habe, weil der Chronist nicht hinzufügt, wo er ihn gesprochen! Wenn der Verfasser der (S. 53) erwähntem Notiz im Codex Vicelini, der vielleicht erst 30-40 Jahre später schrieb, nichts weiß oder erwähnt von Vicelins ehemaligem Schulbesuch zu Paderborn, so schöpft Schirren daraus (S. 215) sofort wieder Verdacht gegen Helmold! - Der Chronist soll ferner, um dem Bischof Gerold von Lübeck, der "magister scole et canonicus" in Braunschweig gewesen war, einen Vorzug vor Vicelin zu gönnen (S. 34), des letzteren Domherrnwürde verschweigen! - Der Kritiker muß nun einmal sein Opfer überall bemängeln; er tadelt sogar, daß Vicelin (I, 53) calvus genannt wird, obwohl er doch als Priester die Scheiteltonsur hatte! Ja, Wenn Helmold (I, 14) erzählt, Segeberg sei auf dem vormals so genannten Oilberg erbaut, den schon das Scholion 13 zum Adam Alberc nennt, so hält Schirren (S. 252) dies für falsch; Oilberg sei der Berg erst genannt, seitdem 1172 Heinrich der Löwe auf dem Oelberg bei Jerusalem gestanden habe! Und das Scholion muß nun natürlich "zweifellos jünger" sein. Sollte denn Helmold jene Notiz noch nachträglich in sein erstes Buch (das spätestens 1168 vollendet war) eingeschaltet haben, um sich vor seinen zeitgenössischen Landsleuten als Lügner bloßzustellen?

Je weiter die Erzählung Helmolds vorschreitet, desto mehr ermattet sichtlich der Kritiker in seinen Angriffen, und desto unglaublichere Motive schiebt er jenem unter; es verlohnt sich kaum, sie alle zu berücksichtigen. Helmold kann es ihm eben nirgends recht machen. Lobt er (I, 40) mit wenigen, aber sehr warmen Worten den Missionar Otto von Bamberg, dessen er ja, weil er seinem Thema fern lag, kaum zu gedenken brauchte, so tadelt ihn Schirren S. 91 (nach Hirsekorns Vorgang), daß er sich gegen Otto "kühl verhalte"; ja er soll seiner Erwähnung thun, "nicht um ihm den Ruhm zu gönnen, der ihm etwa gebührte, sondern um (ihm), einem gefährlicheren Nebenbuhler (Vicelins), den Ruhm, den dieser in Anspruch nahm (?), nach Kräften zu schmälern" - und (denn der verschmitzte Helmold schlägt zwei Fliegen mit einem Schlag) um Berno damit entgegen zu treten! Doch davon hernach.

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In Bezug auf den Kreuzzug vom Jahre 1147 "befindet sich Helmold, wie es" Schirren S. 96 "scheint, mit den Thatsachen" (welch ein Zugeständniß!) "und jedenfalls mit der Stimmung weiterer Kreise in Einklang"; aber Helmold soll doch nur darum über den Erfolg so ungünstig geurtheilt haben, weil der h. Bernhard "einen Kreuzzug an die Peene nicht hätte predigen und dem Interesse Lübecks nicht zu nahe treten sollen." Dem Interesse Lübecks? 1147 gab es ja noch kein Bisthum Lübeck, und hernach stand ja das Peenegebiet nicht unter Lübeck, sondern unter Schwerin!

Wenn Helmold II, 12 den Zug nach Rügen im Jahre 1168 mit großer Theilnahme schildert und als den Erfolg derselben die Bekehrung Jarimars und seines Volkes berichtet, so "räumt er" doch nach Schirren S. 97 nur "ein, was sich nicht hat verschweigen lassen", "ist weit entfernt es feiern zu wollen; bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, rächt er sich an der Thatsache, welche ihm nicht genehm ist (!), so weit er es wagt und der Stil des Chronisten es gestaltet, mit Spott und Hohn", - indem er nämlich hernach einfach meldet, wie Heinrich der Löwe, um einen Beuteantheil zu erlangen, die Wenden gegen Dänemark losläßt! Ja Wenn der Chronist voll tiefen Unwillens die Beutegier der Wenden schildert (II, 13): "et saturati sunt Sclavi post diutinam inediam divitiis Danorum" etc . und von Hörensagen (audivi a referentibus) hinzufügt, die Wenden hätten in Meklenburg 700 dänische Gefangene zum Verkauf gestellt, so findet Schirren vielmehr (S. 98): "der Chronist freut sich und spottet zugleich ihres Erfolges in einem Anfalle mönchischer Wildheit"! Dabei tadelt er Helmold S. 18 noch obenein, daß er nur von Hörensagen berichte, "obgleich dergleichen wohl auch aufgezeichnet zu finden war." Und zwar - in den Ann. Magd. zum Jahre 1164! [Ipso die in Magnopoli civitate occisa et captivata est multitudo christianorum a Sclavis.] Dabei passirt es Schirren dann noch gar, daß er selbst unrichtig citirt. Denn jene Worte der Ann. Magd. betreffen gar nicht jenen Zug der Wenden gegen die Dänen, sondern, wie die genaue Zeitangabe (1164, 14. kal. Martii) unwiderleglich darthut, den bei Helmold II, 2 von demselben Tage datirten Angriff Pribislavs auf die Meklenburg.

Eigenthümlich ist endlich auch Schirrens Erörterung über Helmolds Angaben vom Götzen Swantewit. Bekanntlich hatten die Corveyer, und wahrscheinlich nicht sie allein, die Meinung, Swantewit sei der zum Götzen gewordene St. Vit;

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sie hatten deshalb erdichtet, daß ihre Vorgänger einst die Insel bekehrt und ihres Klosterheiligen Dienst dahin verpflanzt, König Ludwig oder Kaiser Lothar ihnen das Land geschenkt habe, die Rujaner aber hernach abgefallen, und der Heilige zum Götzen geworden sei. (Vgl. meine Mekl. Ann. I, S. 16, 144.) Spätestens in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts muß die Entstehung der Gleichung St. Vit = Swantewit fallen; denn natürlich nur deshalb setzten die Corveyer auf den Kreuzzug vom Jahre 1147 die Hoffnung, die Insel zu erlangen (vgl. M. U.=B. I, Nr. 46); aber der Kreuzzug mißlang bekanntlich, man erreichte die geheimnißvolle Insel nicht und bekam das Götzenbild mit den vier Gesichtern nicht zu schauen. Die Sage war aber so bekannt, daß König Waldemar 1168 gerade am St. Veitstage (15. Juni) den Fall Arkonas erwartete (Saxo p. 828) und deshalb an diesem Tage angriff; die Burg und das Götzenbild fielen. Auch in dem Privilegium Kaiser Friedrichs vom Jahre 1170 (M. U.=B. I, Nr. 91) heißt es: "maximo ydolo eorum Szuentevit destructo in die beati Viti." Die Vernichtung des Suanteviz-Bildes berichtet auch die Knytlingasaga (c. 122), und ebenso Helmold. Letzterer erzählt jene Corveyer Sage zweimal, das erste Mal (I, 6) als "veterum antiqua relatio", hernach (II, 12) als "tenuis fama", was auf Zweifel bei ihm schließen läßt. Neuere Gelehrte haben wohl vollends nicht gezweifelt, daß die Sage von der Identität Swantewits und St. Vits ihren Grund in einer zufälligen Namensähnlichkeit habe, Swantewit ein wendischer Götzenname sei. Auch die böhmische Mater verborum nimmt den Suatouytt, Zuatouit, Suatouit (S. 3, 13) nicht anders und vergleicht ihn einem altrömischen Gotte. An Analogien in wendischen Namen fehlt es nicht; den ersten Stamm haben wir in Zwantepolch, Zwantwustrow u. s. w., den zweiten in den rujanischen Götzennamen Rugiaevith (bei Saxo 842, Rinvit oder Rutvit in der Knyti. 122) und Porevith (in der Knytl. Puruvit, Prunvit) und auch in dem Namen des Gerovit, dem bei Ankunft des h. Otto zu Havelberg ein Fest gefeiert ward. Diese Analogien behalten ihre Bedeutung, auch wenn Schafarik und angeblich neuerdings Miklosich -vit nicht aus dem Slavischen zu deuten vermocht haben. Hat man denn schon alle Namen der griechischen, römischen und germanischen Götzen genügend deuten können? - Aber anscheinend hat Miklosichs angebliches Bedenken (S. 252) Schirren sofort für die Meinung bestimmt, Swantewit sei kein echt wendischer Götze gewesen, sondern

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(S. 103) "im Grunde nichts als ein gestürzter St. Vitus." Den Helmold hält er für fähig, "das Kloster (Corvey) mit dem Geschichtchen von ehemals, c. 6, aufzuziehen." "Saxo bleibt billig bei Seite", urtheilt er S. 254, obwohl der Däne doch das Datum von der Vernichtung des Götzenbildes und seine Erzählung von der Weihe eines Geschenkes an den Swantewit durch Svend, Waldemars Nebenbuhler, der dafür (1157) elend verstorben sei (S. 825), nicht bei Helmold fand (und denselben überhaupt nicht gekannt hat); "und die Mater verborum" meint Schirren, "vermag mit ihrem Suatovit an sich (?) nicht viel, am wenigsten für Rügen, zu beweisen." Dies Letztere verstehe ich nicht, am wenigsten, warum sie nichts für Rügen beweisen soll; denn war der Name in Böhmen slavisch, so wird er es auch in Rügen sein. - Wie kann übrigens bei so vielen Zeugnissen Schirren S. 254 schreiben: "daß Swantewit ein rügischer Gott gewesen sei, behauptet außer Helmold nur Mekl. U.=B. 91"? Er beachtet "die Affectation (?), mit welcher Mekl. U.=B. 91 das Bild des Swantewit, als habe sich der ganze Feldzug einem berechneten Theatercoup anpassen müssen, genau am Tage des h. Vitus gefällt werden läßt." Aber der Herr Professor beachtet nicht Saxo p. 828 (s. o.), wo er die Aufklärung für den "Theatercoup" findet. Oder soll Saxo gar auch jene Urk. Nr. 91 gekannt haben?

Schirren ist nun um die Deutung der Sage in ersichtlicher Verlegenheit. Er weiß nicht, ob er sie für einen "Witz auf Corvey" (S. 252) nehmen soll, oder für einen "slavischen Witz". "Dem slavischen Genius," meint er S. 254, "wäre es ganz angemessen gewesen, allzu dringender Empfehlung des S. Vitus" [durch wen? wann?] "mit der Antwort zu dienen: seht her, das hier ist unser Swantewit! der Gott mochte im Uebrigen heißen, wie er wollte; und im Verkehr mit Christen hätten sie dann den einmal gemachten Witz" - also einen Spitznamen für ihren höchsten Götzen - "um so unermüdlicher wiederholt" - das soll wohl heißen: durch das ganze Gebiet der Ostsee=Wenden bis in Wagrien hinein verbreitet, so daß niemand den andern, eigentlichen Namen erfuhr? - "je sicherer ihn die Christen ihrerseits, obwohl zu anderer Nutzanwendung, adoptirt haben mochten". Also Mystification der Christen von Seiten des gesammten, zum Verschweigen des wahren Götzennamens gleichsam verschworenen Wendenvolkes", oder gar gegenseitiges Versteckspiel? - Auch Schirren selbst kann sich das Unwahrscheinliche dieser Hypothese nicht verbergen. Seine unerschöpfliche

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Phantasie erfindet also eine neue Vermuthung: von den Schwerinern ist die Gleichung ausgegangen, sei es nun "auf eine Verspottung (!) des S. Vitus abgesehen gewesen" - oder auf eine Ueberbietung Corveys. Herr Professor Schirren scheint sich nicht zu vergegenwärtigen, daß bei dem Kreuzzuge v. J. 1147, als die Gleichung S. Vitus = Swantewit sicher schon existirte, Schwerin noch tief im Heidenthum steckte. - Aber einmal im Zuge, stürzt er mit dem Swantewit sofort auch noch einen zweiten Wendengötzen. " Gerade im Meklenburgischen und unter Berno scheint" ihm "zu solchen Gleichungen besondere Neigung geherrscht zu haben." "Die Gleichungen: S. Vitus = Swantewit und Godehardus = Goderac verrathen" meint er S. 255, "neben einander zu sehr die Manier, als daß aus Arnold. Lub. V, 24: Berno - lucos succidit et pro Gutdracco Godehardum episcopum venerari constituit, mit gutem Fuge ein neuer slavischer Gott deducirt werden dürfte, da sich - der Gutdraccus am einfachsten (?) als ein Godehardus in slavischem Munde deutet." Ich weiß nun allerdings nicht, wie der Name Godehardus im Slawischen gelautet haben würde, erinnere jedoch daran, daß es in Herzog Heinrichs des Löwen Urkunde von 1171 (Mekl. U.=B. I, Nr. 100, S. 97) heißt: "uillam sancti Godehardi, que prius Goderac dicebatur", daß auch Papst Alexander (Nr. 124) 1178 diese Worte wiederholt, daß Saxo den Warnowfluß (p. 762) "Gudacram amnem", die Knytl. (c. 119) ihn auch "Gudacra" - nach dem an demselben belegenen Tempelort der Kiziner - nennt; solche Namen pflegen aber nicht schnell eingeführt und abgeschafft zu werden, und ich sehe nicht ein, wie die heidnischen Wenden zur Kenntniß und zur Verehrung des h. Godehard gekommen sein sollten.

Doch sind dies mehr Einzelheiten. Falsche, erdichtete Thatsachen hat Schirren dem Helmold auch aus seiner Zeit gar keine nachgewiesen. Dagegen bemüht er sich, bei dem Chronisten versteckte Motive und daraus entsprungene Parteilichkeit in der Darstellung zu enthüllen. Richtig ist, aber nicht neu, zunächst Schirrens Wahrnehmung, daß Helmold ein Gegner der wendischen Fürsten ist. Daraus macht er selbst gar kein Hehl. Er scheut sich nicht (I, 52), Niklot und den Polabenfürsten Pribislav als "truculente bestie, cristianis valde infesti", zu bezeichnen und ist entrüstet über Niklots trotziges Widerstreben gegen die Annahme des Christenthums. Er läßt allerdings Niklot zu Worte kommen und seine Lage schildern, aber er achtet es nicht genug, daß der Fürst ohne

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Verständniß für die neue Lehre war und von derselben die völlige Unterwerfung seines Volkes unter die Sachsen fürchtete. Und dennoch blickt aus den Reden Niklots, die uns Helmold giebt, ein gewisses Interesse des Chronisten an des Fürsten Klugheit und Tapferkeit hervor. Die Abneigung gegen Pribislav, Niklots Sohn, verhindert den Schriftsteller, sich genauer nach dessen persönlichen Schicksalen zu erkundigen; wir erfahren nicht einmal, wann er zum Christenthum übergetreten ist. Helmold macht ihm (II, 4) zum Vorwurf, daß er durch seinen Friedensbruch 1164 die Erhängung seines Bruders Wartislav durch Herzog Heinrich den Löwen verschuldet habe; indessen erzählt er doch auch (II, 2), daß sein Bruder ihn dazu bewogen hatte, und die Motive, welche die beiden Fürsten 1164 leiteten, läßt Helmold genugsam in ihren Reden hervortreten. Wenn Schirren (S. 144) argwöhnt, es möge in Helmolds Erzählung von diesem Jahr, zu welcher die Nachrichten ihm doch erst aus zweiter oder dritter Hand zukamen, "ein Meisterstück höhnischer Fiction" vorliegen, so erklärt sich dies aus des Kritikers unrichtiger Gesammtanschauung von "Helmolds Art". Das ganze Unternehmen Pribislavs im Jahre 1164, den Versuch dem mächtigen Sachsenherzog zu widerstehen, nennt Helmold einen Wahnsinn (insania, II, 6); er ist ersichtlich zufrieden damit, daß der Fürst sich völlig unterwirft und von des Herzogs "Gnade" sein Erbe fast ganz zurückempfängt (II, 7). Er erwähnt auch, daß er auf des Herzogs Befehl an dem Zuge nach Rügen theilnahm (II, 12), und bemerkt am Schlusse beifällig, daß derselbe nicht mehr versuche wider den Stachel zu lecken, sondern seine Burgen baue und in ihren Gebieten sein Volk wieder ansiedele. Gunzels Strenge gegen die Wenden hebt Helmold hervor; er ist anscheinend damit zufrieden, weil sie den wendischen Räubereien ein Ende machte.

Dies sind Dinge, die man offen bei Helmold lesen kann. Und wer möchte ihm, der selbst mitten in der Mission stand, der Zeuge eines langen und heftigen Kampfes um die höchsten Principien war, einen Vorwurf daraus machen, wenn er dem Gange der Dinge nicht mit jener Unparteilichkeit und Unbefangenheit folgte, die dem späteren Historiker allerdings Pflicht, aber auch eine viel leichter zu erfüllende Aufgabe ist? - Daß Schirren (S. 151-155) nun bei Helmold auch noch versteckte Absichten herausklügelt, Winke für Herzog Heinrich den Löwen, sich in keine verwandtschaftliche Beziehungen zu Pribislavs Haus einzulassen, kann nicht auffallen; ich vermag sie aber in Helmolds Worten nicht zu

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erkennen. Da sie bisher noch niemand entdeckt hatte, bezweifle ich auch, ob sie Heinrich der Löwe - wenn ihm die Chronik je zu Gesicht kam - erkannt hat, jedenfalls hat er sie nicht beachtet. Auch dürfte man zweifeln, ob Helmold schon die Eitelkeit heutiger Publicisten theilte, als ob mächtige Fürsten durch solche Winke sich in ihrer Politik bestimmen ließen.

Die Sucht, hinter Helmolds Worten immer noch eine geheime Absicht aufzuspüren, hat dann endlich Schirren auch verleitet, bei dem Chronisten (S. 245) "Eifersucht auf die Cisterciensermission unter den Obotriten" als "ein vielbestimmendes Motiv" und Spott gegen Bernos Missions=Thätigkeit anzunehmen (S. 100 flgd.); er hat sich nun einmal eine Opposition des Bisthums Lübeck gegen Schwerin eingeredet. So sieht er denn in Helmolds Erzählung von Bernos Gefahr und Rettung zu Meklenburg im Jahre 1164 (II, 3) nur Spott. Vornehmlich findet er aber einen Widerspruch zwischen der Urkunde Kaiser Friedrichs vom Jahre 1170 (Mekl. U.=B. I, Nr. 91) und dem Chronisten in Bezug auf Berno; auf des Kaisers Lob: daß Berno der erste Prediger in jener Gegend zu jener Zeit sei, der erste Bischof, daß er durch Predigt Volk und Fürsten bekehrt habe, soll Helmold nach Schirren nicht "direct (!), aber zuletzt, wenn die Summe gezogen werde, auf alle mit einander nicht ohne schneidenden Hohn (!) geantwortet" haben. Es gehört in der That Schirrens argwöhnischer Scharfblick dazu, um dies zu entdecken; im Grunde spitzen sich des Kritikers Bemerkungen zu einer Anklage gegen den kaiserlichen Brief zu. Aber mit Unrecht. Wenn der Kaiser bezeugt, Berno habe als primus predicator nostris temporibus die Wenden bekehrt, so steht dem die vormalige, vorübergehende Mission Ottos von Bamberg nicht entgegen; wie kann denn die frühere, von den Capiteln, die über Berno handeln, weit entfernte Erwähnung desselben bei Helmold eine Widerlegung sein sollen? Wie kann Helmolds Angabe vom Bischof Emmehard, der nie zur Wirksamkeit in seinem Sprengel gelangt war, etwas dagegen bedeuten? Ward denn nicht wirklich erst Berno durch die Einsetzung des Herzogs Heinrich und durch die Annahme von Seiten Pribislavs und der Pommernfürsten der erste Bischof des Wendenvolkes? Wenn der Kaiser Berno nachrühmt, daß er mit Hülfe Kasimars dessen Lande alle bekehrt habe, und wenn Helmold (I, 40) von Ottos Wirksamkeit sagt, daß sie bis auf seine Zeit fruchtbar geblieben sei: so ist da kein anderer Widerspruch, als daß

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Helmold anscheinend die Erfolge Ottos zu hoch anschlägt, wenn er ihm schon die Bekehrung des ganzen Volkes beimißt. Und doch soll er sich nach Schirren gegen Otto "kühl verhalten" haben! Wenn der Kaiser sagt, die drei Fürsten Bogislav, Kasimar und Pribislav seien durch Bernos Predigt tief ergriffen (compuncti) und hätten seiner mühevollen Arbeit den wärmsten Antheil gezollt (pacienter compassi sunt), ihn gütig aufgenommen und zum Bischof angenommen, liegt denn darin: "Berno will die drei slavischen Fürsten bekehrt haben?" Bekehrt waren die zwei sicher schon und allem Anscheine nach (durch ihn) auch Pribislav. Wenn der Kaiser den Bischof Berno "gleichsam als Bannerträger" auf dem Zuge nach Rügen bezeichnet - hat ihm und Bischof Absalon nicht auch Helmold (II, 12) nachgerühmt, daß sie dem König Waldemar "mit allem Fleiß" zur Gründung des Christenthums unter dem "ungeschlachten und verkehrten Volk" behülflich gewesen sind? War es denn angemessen, daß der Kaiser, wo er dem Berno seine Anerkennung aussprechen wollte, im Eingange zu seiner Urkunde über die Gründung des Bisthums Schwerin, auch gleich den Bischof Absalon und den Fürsten Jarimar und König Waldemar hineinzog?

Daß Helmold über Evermod (I, 77, 87) und über Berno nicht weitläufiger berichtet, können wir nur lebhaft bedauern; er hat nun aber einmal sein Werk auf die Geschichte des Bisthums Oldenburg=Lübeck beschränken wollen; und es ist auch fraglich, ob er viele Einzelheiten über die benachbarten Wendenbischöfe erfahren hat. Aber von der angeblichen Eifersucht und Scheelsucht auf das Bisthum Schwerin und auf den Cistercienser Bischof Berno vermag ich bei dem Chronisten, der selbst nicht einmal einem Orden angehörte, eben so wenig etwas zu entdecken wie von einer Vorliebe für den Prämonstratenser Bischof Evermod zu Ratzeburg.

Herrn Professor Schirrens und meine Ansichten von Helmolds Charakter und von der Zuverlässigkeit seiner Chronik, in so weit sie auf dem redlichen Willen des Schriftstellers beruht, stehen, wie meine Ausführungen zeigen, einander gerade gegenüber; ich darf daher kaum hoffen, meinen Gegner selbst durch meine Erörterungen von der Richtigkeit meiner Auffassung zu überzeugen. Dennoch glaubte ich meine Gegengründe nicht zurückhalten zu sollen, nachdem ich des Kritikers Gründe für seine Verurtheilung des Chronisten nicht stichhaltig befunden hatte. Denn der Gegenstand erscheint mir zu wichtig, als daß er nicht zur Discussion gezogen werden müßte. Jeder Historiker weiß nur zu gut,

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wie es bei jeder einzelnen Untersuchung störend wirkt, wenn eine Hauptquelle, sei es eine Chronik oder eine Urkunde, dem Verdacht absichtlicher Fälschung unterliegt. Es ist besser, wenn die von Schirren angeregte Helmoldfrage bald zur Klarheit gelangt, als wenn das Mißtrauen gegen die Chronik einwurzelt. Ohnehin ist schon zu fürchten, daß das alte Wort: "semper aliquid haeret" auch hier eine Bestätigung finden wird.

Dr. F. Wigger,
Archivrath     

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