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X.

Bücherbesprechungen.

 

Vignette
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Staatsminister i. R. D Dr. Adolf Langfeld, Mein Leben. Erinnerungen. Schwerin (Bärensprungsche Hofbuchdruckerei) 1930.

Allmählich wächst in unserm Vaterlande eine Generation heran, die von dem alten Deutschland und seinen hervorragenden Leistungen auf allen Gebieten staatlichen und kulturellen Lebens wenig weiß. Die Gründe liegen auf der Hand. Die neue Generation, die bald für das Wohl des Landes verantwortlich sein wird, steckte noch in den Kinderschuhen, als das alte Deutschland blühte und schließlich nach heldenhaftem Kampf den Feinden unterlag. Die ungeheuren technischen Erfolge und sportlichen Leistungen der Gegenwart nehmen ihr Interesse vorwiegend in Anspruch. Dazu steht sie in der Not der heftigen wirtschaftlichen Kämpfe, die unser Land erschüttern. Und doch kann die Tradition in ihrem Wert für die Entwicklung und die Erfolge eines Volkes nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß nach dem Kriege zahlreiche Geschichtswerke und Lebenserinnerungen es sich zur Aufgabe gestellt haben, auf die Leistungen der Vorfahren hinzuweisen, damit die Jugend daraus für die Zukunft lernen kann.

Ein solches Ziel verfolgen auch die Erinnerungen des Staatsministers Langfeld. Er schildert ein in mancher Hinsicht typisches mecklenburgisches Beamtenleben mit großer Liebe und in der klaren Ausdrucksweise, die ihm eigen ist. Bis zur höchsten Stellung im Staate führten ihn selbst hervorragende juristische Begabung und unermüdliche Pflichttreue. Er ist der letzte Staatsminister des alten Mecklenburg gewesen und war als solcher besonders berufen, von der Vergangenheit zu erzählen. Wir danken ihm, daß er sich trotz seines hohen Alters zu den Aufzeichnungen noch entschlossen hat. Sie bieten einen sehr beachtlichen Beitrag zur politischen, Rechts-und Verfassungs-Geschichte Mecklenburgs während der letzten 60 Jahre und gehen auch auf die Beziehungen Mecklenburgs zum Deutschen Reiche ein.

Den reichen Inhalt der Langfeldschen Erinnerungen können wir hier nur streifen. Hingewiesen sei vor allem auf die Schilderungen seines Entwicklungsganges, seiner Arbeiten für das BGB, und für die mecklenburgischen Ausführungsverordnungen und seiner Verhandlungen mit den Ständen um eine zeitgemäße Reform der Landesverfassung. Auf die Gründe, die nach dem Thronfall in Mecklenburg-Strelitz den so sehr wünschenswerten Zusammenschluß der beiden stammverwandten mecklenburgischen Länder, hoffentlich nur vorübergehend, verhindert haben, wirft das Buch ein helles Licht. Langfeld ist geborener Rostocker. In der alten Hansestadt hat er 1854 das Licht der Welt erblickt und eine glückliche Jugend verlebt. Die Universitäten Leipzig, Heidelberg und Rostock waren für ihn, wie für viele andere Mecklenburger, die Bildungsstätten. In Schwerin hat Langfeld dann seinen eigentlichen Wirkungskreis und eine zweite Heimat gefunden. Männer des öffentlichen Lebens aus längst vergangener Zeit und alte heimatliche Einrichtungen

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werden durch sein Buch wieder lebendig. Es ist erstaunlich, wie er alles im Gedächtnis behalten hat. Es sei nur erinnert an die köstliche Schilderung der Sternberger Landtage seligen Angedenkens. Auch von seinem Privatleben und seinen Reisen, die ihn besonders häufig in die geliebten Schweizer Berge geführt haben, wird der Leser gern Kenntnis nehmen. Über der ganzen Darstellung schwebt die abgeklärte Auffassung eines Mannes, der von hoher Warte auf ein reich gesegnetes Wirken zurückblickt.

Das Buch ist 1931 bereits in zweiter Auflage erschienen.

Stuhr.

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Dmitrij Nik. Jegorov, Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert. Bd. I: Material und Methode. Übers. von Harald Cosack. XV u. 438 S. Mit einer Beilage (Ratzeburger Zehntenregister). Bd. II: Der Prozeß der Kolonisation. Übers. von Georg Ostrogorsky. XXI u. 485 S. Mit 2 Karten. Herausg. v. Osteuropa-Institut: Bibliothek geschichtl. Werke aus den Literaturen Osteuropas, Nr. 1, Breslau, Priebatschs Buchhandlung, 1930.

Dieses umfangreiche Werk ist 1915 in russischer Sprache erschienen. Der deutschen Forschung blieb es unbekannt, bis in der Zeitschrift für slavische Philologie II, 1925 eine Besprechung von dem Grazer Gelehrten H. F. Schmid herauskam. Weil es sich allem Anschein nach um ein für die Geschichte der deutschen Kolonisation wichtiges Werk handelte, hat das Breslauer Osteuropa-Institut die vorliegende Übersetzung veranstaltet. die als sehr lesbar zu begrüßen ist.

Der Verfasser hat sich mit den einschlägigen Quellen genau bekannt gemacht und mit Bienenfleiß versucht, sie, besonders durch Untersuchungen über Genealogie und Wappen der auftauchenden Rittergeschlecher und über die Wirkung der Kolonisation auf die Ortsnamen, zu ergänzen. Auch hat er die Literatur in einem Maße herangezogen, wie es weniger sprachkundigen Forschern nicht möglich ist. Es ist ihm auch zuzugestehen, daß eine staunenswerte allgemeine Belesenheit ihn befähigt hat, vergleichende Ausblicke über die Grenzen eines Themas hinaus zu gewinnen. Trotzdem ist das Buch ein Mißerfolg geworden, weil die Quellenforschung ungeachtet aller Mühseligkeit in die Irre geführt hat.

Das Ergebnis des Werkes nämlich geht dahin. daß keine der bisher über die Kolonisation und Germanisierung Mecklenburgs vertretenen Anschauungen recht habe, sondern daß die Wenden selbst seit dem 12. Jahrhundert dazu übergegangen seien. ihren - von Jegorov wider alle Wahrscheinlichkeit angenommenen - Bevölkerungsüberschuß auf dem gerodeten Waldboden, d. h. an den Grenzen ihrer von Wald umgebenen terrae anzusiedeln. Nicht Menschenarmut also habe die Kolonisation im Slavenlande hervorgerufen, sondern eigener Überfluß an Bewohnern. Zwar gesteht Jegorov zu, daß eine deutsche Einwanderung. die sich nun einmal unwiderleglich aus den Quellen ergibt, "in zweifellos bedeutendem Ausmaß" stattgefunden habe (I, S. 404; vgl. II, S. XII), bezeichnet sie aber als "nicht maßgebend"; denn er schiebt alle Initiative bei

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dem Siedlungswerk dem slavischen Adel zu und betrachtet die Deutschen mehr als geduldete Kömmlinge. In der Ritterschaft seien sie in der Minderheit gewesen, stärker vertreten unter Bürgern ,und Geistlichen, am stärkten unter den Bauern, als welche sie sich unter denselben Bedingungen angesiedelt hätten wie ihre slavischen Nachbarn. Jegorov kehrt also die bisherige Lehre um; nicht die Deutschen hätten kolonisiert, sondern es handele sich um einen innerslavischen Vorgang, eine große Binnensiedlung der Wenden, an der Deutsche eben nur teilgenommen hätten. Es stelle sich heraus, daß die -von Jegorov apostrophierte - "Großtat der Deutschen" im Kolonisationsgebiete "weder eine große noch eine deutsche Tat gewesen" sei (II, S. 438). Und auf die dem gegenüber berechtigte Frage, wie denn Mecklenburg ein deutsches Land geworden sei, antwortet Jegorov (II, S. 474), daß die Germanisierung sich ,,im Laufe einer sehr langen Zeit" vollzogen und "sehr komplizierte Gründe" gehabt habe. "Sie erfolgte," so fährt er fort, "nicht nur infolge des Vorhandenseins oder des ,Übergewichtes' der Deutschen im Lande, sondern auch infolge des Eintritts Mecklenburgs in engeren Verkehr mit dem Westen, entsprechend der Erstarkung des Handels wie auch anderer wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. Durch Vermittlung deutschen Milieus drang der westliche Lebenswandel unaufhaltsam in alle Adern des Volkskörpers ein, während die Abgeschiedenheit von der östlichen slavischen Masse ein nationales Gegengewicht nicht aufkommen ließ." "Den endgültigen Schlag" habe aber erst die ungeheure Verringerung der Bevölkerung durch den Dreißigjährigen Krieg versetzt; sie habe eine "neue Kolonisation" erfordert, die "nun allerdings mit einer Germanisierung gleichbedeutend wurde."

So nimmt Jegorov für die eigentliche Germanisierung eine Zeit an, die 400-500 Jahre später liegt als die Periode, in die man bisher mit gutem Recht die Durchführung der Germanisation verlegte. Wenn früher Ohnesorge 1 ) die nicht weiter von ihm begründete Vermutung ausgesprochen hat, daß "die allerletzten Spuren" des Wendentums in Ostholstein und Mecklenburg durch den Dreißigjährigen Krieg beseitigt seien, so bedient sich jetzt Jegorov dieses Krieges, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, in das ihn seine eigene Forschung gebracht hat. Wer einigermaßen die Quellen übersieht, der weiß, daß Mecklenburg schon in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters ein deutsches Land war, in dem man die deutsche Sprache redete. Daran ändern auch die Reste der slavischen Bevölkerung nichts, die allmählich aufgesogen wurden. Und wenn nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges Bauern aus benachbarten Ländern sich in Mecklenburg seßhaft gemacht haben, so erinnert doch dieser Zuzug nicht von ferne an eine "neue Kolonisation" nebst Germanisierung, wie Jegorov sie für das 17. Jahrhundert aus der Luft zaubern möchte.

168 Seiten des 1. Bandes sind einem Generalangriff auf Helmolds Slavenchronik gewidmet, aus der man früher auf eine besonders schnelle Durchführung der Germanisation schon im 12. Jahrhundert hatte schließen wollen. Daß die vielumstrittene Chronik, so prächtig sie erscheint, ihre Mängel hat und nicht überall als zuverlässig gelten kann, läßt sich kaum verkennen. Jegorov hat


1) Zeitschr. f. lübeckische Gesch.., XII, S. 220.
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sie aufs neue einer sehr eindringenden Kritik unterzogen und hat die Quellen Helmolds, seine Arbeitsweise, seine historische und kirchenpolitische Auffassung mit viel Geist und Geduld untersucht. Das Urteil aber, das er über ihn fällt, ist viel zu hart; es kommt völliger Verwerfung gleich, obwohl er den Chronisten keiner bewußten Tendenz beschuldigt. Er stellt Anforderungen an ihn, die auch andere mittelalterliche Geschichtsschreiber nicht erfüllen, ohne doch deswegen zum alten Eisen geworfen zu werden. Ja, mitunter läuft Jegorovs Kritik fast auf den Tadel hinaus, daß Helmold nicht die Methode moderner Historiker befolgt habe. An der mangelnden oder mangelhaften urkundlichen Forschung, die er ihm vorwirft, leiden manche erzählende Quellen, und wenn es bei Jegorov I, S, 11, Anm. 45 heißt: "Anstelle der Urkunde setzt Helmold den Hergang selbst" so ist an dieser Arbeitsweise des Chronisten jedenfalls nichts auszusetzen.

Der schon bekannten und ohne weiteres einleuchtenden Abhängigkeit der Sprache Helmolds von der Bibel hat Jegorov bis ins einzelne, aber mit überspitzter Kritik nachgespürt. Die Abhängigkeit entspreche der literarischen Zeitrichtung, doch soll das biblische Vorbild Helmold so unwiderstehlich bei seiner Erzählung beeinflußt haben, daß die historische Wahrheit unter dem Schleier der Biblifizierung nicht mehr herauszufinden sei. Auch dies ist eine Übertreibung. Die Vergleiche, die Jegorov zwischen Stellen in der Bibel und bei Helmold zieht, überzeugen nicht immer, und es ist auch nicht einzusehen, warum die Anlehnung an die biblische Sprache zur Verfälschung der auf diese Weise geschilderten Vorgänge geführt haben muß.

Nach Jegorov (I, S. 70 f.) hätte Helmold ,,die Legende der Christianisierung der Slavenlande", "eine kollektive Vita" geschrieben. Aber so wenig der kirchliche Standpunkt des Chronisten zu bezweifeln ist, so sicher schießt dieses Urteil über das Ziel hinaus.

Im Folgenden (I, S. 169-225) gibt der Verfasser eine sehr brauchbare Übersicht über die bisherige einschlägige Geschichtsschreibung. Er wendet sich dann den Quellen zu, auf die er sich nach seiner Ablehnung Helmolds stützen will. Hier steht an erster Stelle das Ratzeburger Zehntenregister von 1229/30, das in einem auf einer Nachzeichnung beruhenden und deshalb mißlungenen Faksimile beigegeben ist. Die Ausführungen, die Jegorov über das Register macht, stehen in starkem Gegensatze zu denen Hellwigs 2 ), sind aber geeignet, uns Zweck und Anlage der wertvollen Geschichtsquelle besser verstehen zu lehren. Ferner wird das von Jegorov so bezeichnete "zusätzliche", den Hilfswissenschaften abzuringende Material behandelt, das er aus den Urkunden, der Genealogie, der Heraldik und der Ortsnamenkunde gewinnt und dem sich dann noch ,,Materialien zweiten Ranges" (Siedlungsformen, Haustypen, Stadtpläne) anreihen, mit denen der Verfasser wenig anzufangen gewußt hat.

Näher auf derartige Untersuchungen einzugehen, die erst die Grundlage für die eigentliche Erforschung der Kolonisation in Mecklenburg abgeben sollen, würde hier viel zu weit führen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die genealogischen Ermittelungen, die für die Familienzusammenhänge der auftauchenden Rittergeschlechter


2) Bd. 69 dieser Jahrbücher
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wichtig sind, auf um so größere Schwierigkeiten stoßen, als wir oft nur die Vornamen aus den Urkunden erfahren. Die Heraldik, der ein starkes Kapitel gewidmet ist, sucht Jegorov zum ersten Male der Geschichtserkenntnis dienstbar zu machen. Es kommt ihm dabei hauptsächlich auf die Frage an, ob sich die örtliche Herkunft der Wappenenembleme bestimmen läßt, um so einen Schluß auf die Nationalität der Adelsfamilien ziehen zu können. Höchst zweifelhaft bleibt aber, ob die Embleme, die Jegorov für slavisch glaubt ansehen zu dürfen, durchaus nur slavisch sein müssen. Mit Recht hat H. Witte in einer eingehenden Besprechung des Jegorovschen Werkes 3 ) darauf hingewiesen, daß die Frage, ob sich die Wappen überhaupt nach Ursprungsgebieten unterscheiden lassen, noch keineswegs gelöst ist. Wahrscheinlich ist sie überhaupt nicht zu lösen.

Bei seinen Betrachtungen über die Ortsnamen oder das "toponomastische Material" betont Jegorov, daß es weniger auf die rein sprachliche Deutung der Namen ankomme, als darauf, festzustellen, wie die Kolonisation auf die Namengebung eingewirkt habe. Äußerst verblüffend und unzutreffend ist es aber, daß er die Zahl der "neuen Namen" für "sehr gering" erklärt (I, S. 360). Damit läßt sich die große Menge der deutschen Ortsnamen nicht beiseite schieben. Allerdings meint Jegorov, daß viele, die deutsch klängen, in Wirklichkeit krypto-slavisch seien; doch sind solche sprachlichen Umwandlungen der Namen gerade der beste Beweis für eindringendes Deutschtum 4 ).

Wenn der Inhalt des 1. Bandes als "Material und Methode" bezeichnet wird, so sind doch in ihm schon manche der Thesen Jegorovs angedeutet und ausgesprochen, die wir im 2. Bande wiederfinden, der sich mit dem "Prozeß der Kolonisation" beschäftigt. Dieser zweite Band wird in der Hauptsache (S. 1-418) durch äußerst diffizile und dadurch fast unlesbar gewordene Untersuchungen über die Ortschaften und Personen ausgefüllt, die im Ratzeburger Zehntenregister vorkommen. Und in diesem wesentlichen Teile des Werkes, der sich dem eigentlichen Thema zuwendet, hat der beste Kenner der mecklenburgischen Kolonisationsgeschichte, H. Witte, ein mehr als bedenkliches Maß von Irrtum und Willkür festgestellt 5 ). Das gilt für Einzelheiten dieser Sonderuntersuchungen, die Witte nachgeprüft hat. Es gilt aber auch für das Schlußkapitel des Werkes (S. 419-475), in dem Jegorov die Summe seiner "Ergebnisse" mitteilt. Mit Recht hat Witte getadelt, daß der Verfasser aus der Fülle der deutschen Personennamen nicht den einzig richtigen Schluß zieht, daß er deutsche Namen "gewaltsam" zu slavischen stempelt, daß er von den Zunamen fast nur die von Ortschaften abgeleiteten berücksichtigt. Und so deutsch viele Namen dieser Art auch erscheinen mögen, so nimmt doch Jegorov ihre Träger für das Slaventum in Anspruch, mögen sie nun aus Holstein stammen oder aus westlich von der Elbe liegenden Gegenden, die noch eine slavische Bevölkerungs-Unterschicht hatten oder die


3) Deutsche Hefte für Volks- und Kulturbodenforschung, Jg. 1 1930, H.2, S. 105 f.
4) So auch Witte a. a. O. S. 110.
5) A. a. O. Heft 4, S. 243 ff.
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Jegorov ohne viel Umstände slavisiert. So läßt er das Harzgebiet slavisch werden und verwendet zu diesem Zwecke komischer Weise eine genealogische Studie v. Mülverstedts, aus der nichts dergleichen herauszulesen ist 6 ). Im ganzen ist er jedoch der Meinung, daß die Einwanderer selten aus westelbischen Gebieten gekommen seien, sondern ihrer Mehrzahl nach aus dem "rechten Hinterelbien", aus slavischen Landen (II, S. 420 ff.). Dabei bleibt es natürlich ein Rätsel, woher nun eigentlich die vom Verfasser selbst nicht geleugnete deutsche Einwanderung herrühren soll.

Unbeachtet gelassen ist übrigens auch die lehrreiche Tatsache. daß so viele der im 13. Jahrhundert noch slavischen Ortschaften zu Wüstungen geworden und verschwunden sind 7 ).

Ein großer Widerspruch zieht sich durch das ganze Werk, der darin liegt, daß die starke deutsche Einwanderung zwar nicht bestritten, ihr aber keine für die Germanisierung durchschlagende Bedeutung beigemessen wird. Die Wirkung der Kirche für das Deutschtum wird als "kaum wahrnehmbar" bezeichnet (II, S. 459). Den Lokator hat es "gar nicht oder so gut wie gar nicht gegeben" (II, S. 470, vgl. 445 f.), Und indem Jegorov die Anzeichen übersieht oder verkennt, die für die deutsche Abstammung der eindringenden Ritter sprechen, läßt er die Kolonisation so gut wie ganz ein Werk slavischen Adels sein. Der deutsche Bauer durfte zwar ins Land einziehen, mußte sich aber "den Forderungen und Interessen anderer" anpassen (II, S. 470). Man wundert sich nur, daß der deutsche Bauer nicht slavisiert wurde.

Die vaterländische Forschung wird sich gewiß noch des weiteren mit dem Werke beschäftigen, und dabei dürfte am Ende offenbar werden, daß die Geschichtserzählung des vielgescholtenen Helmold der Wahrheit näher kommt als die Thesen Jegorovs.

Wenn ein russischer Historiker wie der Verfasser sich mit der Kolonisationsgeschichte eines vormals slavischen Landes befaßt, so ließe sich das an sich verstehen. Er vermöchte unser Wissen auf diesem Gebiete um so eher zu bereichern, als Beherrschung slavischer Sprachen ihm bei der Arbeit nur förderlich sein kann. Aber es darf kein politischer Eifer ihn irreleiten und nicht Liebe zum Slaventum ihm den Blick trüben, so daß er zwischen Wissenschaft und Tendenz nicht mehr unterscheidet. Daß Jegorov wenigstens der letzten Gefahr nicht entgangen ist, muß leider angenommen werden. Das Breslauer Osteuropa-Institut hat wohl daran getan, dem zweiten Bande einen Zettel vorzukleben, wonach es das Werk nur der deutschen Wissenschaft zugänglich machen und eine Kritik ermöglichen wolle, sich aber "in keiner Weise mit dem Inhalt und der Tendenz der Arbeit" identifiziere.

W. Strecker


6) II, S. 132, vgl. S.421. S. 269 ist die Studie richtiger verwertet, doch ist immer noch am wahrscheinlichsten, daß die Frau des Detlev von Gadebusch aus dem Geschlecht von Schwanebeck stammt. Ganz abwegig ist Jegorovs Deutung des Schwanebeckschen Wappens, S. 270, Anm. 229. Hier ist die Tendenz wieder mit Händen zu greifen.
7) Mit Recht hat dies Wentz in seiner Besprechung des Buches im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, 79. Jg., 1931, Nr. 1, Sp. 70, getadelt.
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Gerd Dettmann, Johann Joachim Busch, der Baumeister von Ludwigslust. Mecklenburgische Monographien, Rostock [1929].

Gerd Dettmann hat durch diese Arbeit einem der größten Künstler Mecklenburgs das verdiente Denkmal gesetzt, das man längst in einer zusammenhängenden Schilderung der um das Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Kunstentwicklung des Landes vermißt. Um so mehr, als Busch'ens künstlerische und berufliche Nachfolger Barka und Severin bereits ihre Würdigung gefunden haben 1 ), Diesen gegenüber muß Busch, schon wegen der Art und des Umfanges der ihm erteilten Aufträge, eine überragende Stellung zugewiesen werden. Über das persönliche Leben des Busch mußte sein Biograph, da sehr wenig davon bekannt ist, kurz hinweggehen, doch konnte die Begabung für die Kunst aus der Familientradition für ihn selbst und auch mit einiger Sicherheit für seine Gattin nachgewiesen werden. Um so gründlichere Behandlung haben seine Werke erfahren, als deren wichtigste die Kirche und das Schloß in Ludwigslust auch hier genannt seien. In diesen Werken sind alle Einzelheiten auf ihren Ursprung hin mit gründlichem Quellenstudium verfolgt und nachgewiesen. Weiter ist auch der Einfluß, den der Herzog Friedrich auf die unter seiner Regierung geschaffenen Kunstwerke gehabt hat, treffend gewürdigt. Dessen Regierung fällt in eine Zeit, die bei äußerer Dürftigkeit neuen, idealen Zielen zustrebte, die nur durch eine verständige Wirtschaft, wie sie der Herzog eben führte, erreicht werden konnten. Der die Künste und Wissenschaften mit Sachkenntnis fördernde Herzog, der selbst seine Kenntnis auf einem Studium aller wichtigen Literaturerscheinungen seiner Zeit gründete, hat auf die Werke Johann Joachim Buschs einen überall spürbaren Einfluß geübt. Busch hatte das Unglück, für seine künstlerischen Neigungen zu spät geboren zu sein. Er ragte mit seiner Kunst in zwei Epochen hinein, deren ältere mehr seinem eigenen Empfinden entsprach, während die neue von dem weiter blickenden und den Geist der Zeit besser abschätzenden Herzog gefördert wurde. Pastor D Dr. Schmaltz sagt gelegentlich der Besprechung der Ludwigsluster Kirche 2 ): "Zwei Seelen wohnen in diesem auf der Grenzlinie zweier Epochen stehenden Manne, auf der einen Seite die der barocken, in ihrer Leidenschaft die Schranken des Diesseits durchbrechenden Raumphantasie, auf der andern der Geist des kommenden Klassizismus mit seiner strengen Form und seinem in schöner, ausgeglichener Ruhe schwebenden Gleichmaß." So weist auch Dettmann in interessanter Weise nach, wie Busch immer wieder aus dem Barock, insbesondere aus dem Louis XVI., schöpft und sich seine Werke eine Wandlung zum Klassizismus gefallen lassen müssen. Wenn daher diese Werke in ihrer Hauptsache klassizistisch entworfen sind, so kommt doch in manchen Einzel-


1) Vgl. Dobert, J. P.: Bauten und Baumeister in Ludwigslust, Magdeburg 1920, und Thielke, Hans: Die Bauten des Seebades Doberan-Heiligendamm um 1800 und ihr Baumeister Severin, Doberan 1917.
2) Schmaltz, Karl: Die Kirchenbauten Mecklenburgs (S. 83), Schwerin 1927.
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heiten, so namentlich bei manchen kirchlichen Ausstattungsstücken, immer wieder ein romantischer Zug durch. Ich möchte noch weiter gehen als Dettmann und, was dieser nur andeutet, unterschreiben: Busch war wahrscheinlich im Grunde seines Herzens Romantiker, vielleicht unbewußt. Unter den Akten der Kirchenökonomie Waren fand ich um 1900 einen von Busch gezeichneten ersten Entwurf zu einem Orgelprospekt für die dortige Marienkirche, der in einem so glänzenden Rokoko gehalten war, wie es nur jemand entwerfen kann, der romantisch empfindet. Freilich hat es für die exakte Forschung Bedenken, einen Künstler nach seinen Entwürfen zu beurteilen,. und so ist das auch mit Recht von Dettmann vermieden. In der Kunstgeschichte können nur die ausgeführten Werke für die Stellung des Künstlers innerhalb der Kunst seiner Zeit maßgebend sein. Aber der Verfasser wolle es nicht mißverstehen, wenn ich die Bemerkung über eine Äußerung von mir 3 ) mit vorstehender Begründung zurückweise. Aus der ausgesprochenen Vermutung ist überdies eine Behauptung gemacht und nicht berücksichtigt, daß es sich nicht um einen Neubau handelt, sondern um eine "Schürze", die durch die alten Gebäude zu Kompromissen genötigt war, so daß ich nicht anerkennen kann, daß sich in der Güstrower Rathausfassade nichts dem Geiste Buschs Verwandtes finden lasse. Grade das ist, wie auch von Dettmann richtig erkannt, eine besondere Größe des Busch, daß er sich in die verschiedensten Stilrichtungen, häufig sich fremden Wünschen fügend, einzuarbeiten verstand, namentlich aber, daß er dem Wert jeder Aufgabe angemessen Rechnung trug. In seinen Friedhofsbauten wußte er die Stimmung der Zeit einem Friedhof gegenüber richtig wiederzugeben, den Bürgerhäusern verlieh er eine ihrer Bedeutung entsprechende Gestaltung und brachte sie in einen sehr glücklichen Gegensatz zu dem Schloß des Landesherrn. Welche Schwierigkeiten die kirchliche Kunst damals dem schaffenden Künstler bot, ist von Dettmann bei Schilderung der Ludwigsluster Kirche überzeugend dargelegt, so daß man erkennt, weshalb die Aufgabe letzten Endes ungelöst bleiben mußte. Auf die liturgische Bedeutung des dem Kirchenbaukongreß in Dresden 1906 um mehr als ein Jahrhundert vorauseilenden Baues einzugehen, würde wohl zu weit geführt haben. Berichtigend ist zu bemerken, daß der rosa Anstrich in der Vorhalle der Kirche erst aus dem Anfange dieses Jahrhunderts stammt. Ich kenne die Kirche noch mit völlig weißem Anstrich; wie dieser ursprünglich war, ist nicht bekannt. Daß Dettmann den jetzigen Anstrich für den ursrünglichen hält, ist ein Zeichen, daß der Ton stilgerecht getroffen ist. Die Dettmannsche Schrift gibt den Künstler Busch, wie er sich in seinen Werken darstellt, richtig und in ansprechender Form wieder, so daß ihm dafür der Dank der interessierten Kreise des Landes gebührt und gesagt sei.

Johann-Friedrich Pries.

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Walter Paatz, Die Lübecker Steinskulptur der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bd. 9 der Veröffentlichungen zur Geschichte der freien und Hansestadt Lübeck, hrsg. vom Staatsarchiv zu Lübeck. Lübeck 1929.


3) S. 62 Fußnote.
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Die vorzüglich ausgestattete Schrift sucht die schulmäßigen Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen und Meistern der Lübecker Bildhauerkunst einer eng umschriebenen Zeit nach Persönlichkeiten und Werkstätten klarzustellen. Sie beschränkt sich nicht strenge auf Steinskulpturen, sondern umfaßt auch Holzbildwerke und Bronzen, sofern sie aus einer Werkstattgemeinschaft mit den ersteren hervorgegangen sind. Der Anfang des 15. Jahrhunderts hebt sich mit seinen plastischen Werken in Lübeck deutlich von den Schöpfungen der früheren und der späteren Zeiten ab. Es ist die Zeit, in der sich ein Neues in der Skulptur vorbereitet und in den Werken ihres größten Meisters, Johannes Junge, schon in einer gewissen Vollkommenheit erkennbar ist. Man bemerkt den Versuch, etwas Geistiges in die Figuren zu legen, daneben sieht man schon etwas von den Bemühungen um die anatomische Richtigkeit der Bildwerke und um die Natürlichkeit in der Wirkung der Gewandung. Diese Bestrebungen führen vereint in einer späteren Zeit auf das Porträt hin. Das wird hier - ich möchte sagen "zum Glück" - noch nicht erreicht, aber es ist doch schon eine Individualisierung vorhanden, und damit gewinnen die Schöpfungen der Kunst gewissermaßen eine Persönlichkeit. Lübeck nimmt die Steinskulptur verhältnismäßig spät auf; es fehlt an geeignetem, natürlichem Stein, und die Baukunst, von der sich die Bildhauerkunst des Mittelalters noch nicht losgemacht hat, bietet ihr im Backsteinbau nicht den Platz wie in den Werken der Hausteingotik. Dies ist im Wesen des Backsteinbaues begründet. Auch das Verhältnis der Figur zum Block ist in der behandelten Zeit noch kein freies; man sieht den Bildwerken noch die rechteckige Umschreibung an. Erst eine spätere Zeit bestimmt den Block nach der Figur und nicht umgekehrt. Diese Andeutungen werden genügen, um die Einschränkung verständlich zu machen und zu rechtfertigen, mit der der Verfasser sein Thema umrissen hat.

Der erste Hauptteil der Arbeit gibt eine kritische Untersuchung der Werke nach ihrer Herkunft und ihrer Zusammengehörigkeit. Hierbei war die Schwierigkeit zu überwinden, die darin liegt, daß fast keine Namen überliefert sind, die Namen also erst aus den Werken gebildet werden mußten. Auch sind die Arbeiten sehr zerstreut, denn die Lübecker Bildhauerkunst war gewissermaßen eine Exportindustrie, deren Werke über den ganzen Ostsee-Kulturkreis verteilt sind. Teilweise mußten die Hauptwerke eines Meisters auch auswärts an verschiedenen Stellen aufgesucht werden. Überdies befinden sich die Skulpturen heute zum Teil in Museen, können also nicht mehr nach ihrer ursprünglichen Aufstellungsart beurteilt werden. Die ältesten behandelten Bildwerke stammen aus der abgebrochenen Burgkirche. Ihr Verfertiger ist nicht mehr bekannt. Werke ähnlichen Stils und mit den gleichen besonderen Eigentümlichkeiten finden sich an der Wiesenkirche in Soest. Bekanntlich bestanden zwischen dieser Stadt und Lübeck alte Beziehungen, wird doch auch das lübische Recht auf das soester Stadtrecht zurückgeführt. An zweiter Stelle tritt dann schon Johannes Junge mit einem Jugendwerke, dem plastischen Schmuck der astronomischen Uhr in der Marienkirche, in die Erscheinung. Zu Junge lassen sich nun alle anderen Arbeiten der Epoche in irgendeine Beziehung bringen,

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mögen sie auch nicht von ihm selbst oder in seiner Werkstatt geschaffen sein. Er muß eine überragende künstlerische Persönlichkeit gewesen sein, der das Leben und die Menschen zu erfassen und den Geist, den sie offenbaren, in ihre Erscheinung zu legen wußte. Junge führte als erster etwas Genrehaftes in die Bildhauerkunst ein; seine bemalten Kreuzigungsreliefs weisen Staffage und Hintergründe wie gemalte Tafeln auf. Daß auch er Beziehungen zur westfälischen Kunst hatte, nimmt Verfasser an; wie diese letzten Endes auf die französische Bildnerkunst zurückgeht, die im Mittelalter an erster Stelle stand, ist nicht in den Einzelheiten verfolgt. Recht interessant ist ausgeführt, wie sich ein Abstieg in den Werken Junges erkennen läßt. Unter dem Einfluß eines Gehilfen, der an die Stelle des aristokratisch Vornehmen das bürgerlich Derbe setzt, steigt er in der Zeit um 1440 von seiner einstigen Höhe herab. Um Junge gruppieren sich noch einige weitere, nicht mit ihren Namen bekannte Bildhauer, mit denen die Schrift abschließt. Nur mit kurzen Worten wird noch auf Bernt Notke hingewiesen, dessen Wirken schon einer neuen, anderen Zeit angehört. An diesen umfangreichsten ersten Teil der Arbeit ist noch ein Anhang angeschlossen, der die benutzten Steine und sonstigen Werkstoffe, den Werkstattbetrieb, das Verhältnis, in dem die Skulptur zur Architektur steht, die Tracht und namentlich der Faltenstil der Zeit und ähnliche Dinge bespricht. Dem ist eine übersichtliche synchronistische Tabelle angefügt.

Der für die praktische Benutzung des Buches wichtigste ist der zweite Teil, der Katalog. Dies darf aber nicht als ein Werturteil über die wissenschaftliche Bedeutung des ersten. Teils aufgefaßt werden, sondern nur als die Äußerung eines Mannes, der den größten Teil seines Lebens in der Praxis eines technischen Berufes gestanden hat. In dem Katalog sind, alphabetisch nach den Orten, wo sie sich jetzt befinden, geordnet, die Werke genannt, die in die behandelte Zeit gehören. Es sind etwa 50 namentlich aufgeführt. Bei jedem sind die wichtigsten Maße angegeben, ferner Datierung, Werkstoff, Bemalung, ursprüngliche und jetzige Aufstellung und Erhaltungszustand, am Schlusse die Zuschreibung. Bei letzterer sind außer der eigenen Feststellung oder Ansicht auch die Ergebnisse fremder Forschungen objektiv mitgeteilt. In einem Anhange sind die irrtümlich der Gruppe der Lübecker Steinbildwerke zugeschriebenen Skulpturen ebenso behandelt. Unter diesen ist auch der Krämeraltar von St. Marien in Wismar - Anhang Nr. 2 -während sich im Hauptverzeichnis folgende mecklenburgische Stücke befinden: Nr. 25 a, Terrakottareliefs an der Marienkirche in Parchim; 26, Ratzeburger Dom, Taufbecken; 27, Passionsaltar dort; 30, Passionsaltar im schweriner Museum; 42, Wismar, Madonna im Museum; 43, Terrakotten an St. Nikolai und St. Jürgen in Wismar; 44, Zarrentin, Salvator mundi. Von diesen werden 25 a, 26 und 44 dem Johannes Junge oder seiner Werkstatt zugeschrieben. Der dritte Teil enthält auf 82 Seiten die Abbildungen in vorzüglicher Wiedergabe. Zweiter und dritter Teil sind durch ihre Nummern miteinander in Beziehung gebracht, so daß der Wert des einen durch den andern Teil erhöht wird. Im ersten Teile muß man sich die Abbildungen erblättern oder mit Hilfe des Kataloges suchen, Hinweise im Text würden aber den Zusammenhang sehr gestört haben.

Johann-Friedrich Pries.

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Oskar Eggert, Die Wendenzüge Waldemars I. und Knuts VI. von Dänemark nach Pommern und Mecklenburg. Baltische Studien, N. F. Bd. XXIX (1927), S. 1-149. Mit 1 Karte. Diss., Greifswald. - Dänisch=wendische Kämpfe in Pommern und Mecklenburg (1157 - 1200). Ebd. Bd. XXX, 2 (1928), S. 1-74.

Den Abschnitt der deutsch-dänischen Geschichte, mit dem sich die beiden Aufsätze beschäftigen, haben schon viele, meist landesgeschichtliche Werke geschildert. Wenn der Verfasser sich trotzdem entschlossen hat, diese neue Bearbeitung vorzulegen, so rechtfertigt sich das nicht allein dadurch, daß die bisherigen Schilderungen in mancherlei Hinsicht überholt oder allzu kurz gefaßt sind, sondern vor allem dadurch, daß der Verfasser die bedeutende nordische Literatur herangezogen hat, die von den neueren deutschen einschlägigen Geschichtswerken kaum berücksichtigt ist.

Die zweite der beiden Arbeiten bietet die eigentliche Geschichtserzählung. Die erste bildet die kritische Grundlage dafür. Hier werden zunächst die chronikalischen Quellen nordischer und deutscher Herkunft in erschöpfender Übersicht vorgeführt und unter Berücksichtigung der bisherigen Quellenkritik bewertet, ebenso die Darstellungen seit Suhms Geschichte von Dänemark. Große Schwierigkeit macht die Chronologie der Wendenzüge, weil gerade die Hauptquellen in diesem Punkte ungenau sind. Der Verfasser hat sich daher bemüht, das chronologische Gerippe für die Jahre 1157 - 1199 festzustellen. Auch hat er die slavischen Ortsnamen, die in den Quellen entstellt wiedergegeben werden, sorgfältig geprüft und gedeutet.

Die auf diesen kritischen Untersuchungen aufgebaute Geschichtserzählung enthält viele Einzelheiten, bleibt aber immer lebendig und anregend. Den Schauplatz der Kämpfe, um die es sich handelt, bilden mehr Rügen und Pommern als Mecklenburg. Daß aber die Pommerschen Ereignisse jener Zeit auch die mecklenburgische Geschichte stark berühren, ist eine bekannte Tatsache, die sich in unseren heimischen Geschichtswerken längst Geltung verschafft hat.

Die Burg des Otimar, die König Waldemar 1171 zerstörte, hat seinerzeit Lisch auf der Insel im Teterower See angenommen, Giesebrecht dagegen suchte sie auf einer Insel im Lübchiner See, Quandt auf einer Insel des Borgwall-Sees, Eggert (a. a. O. XXX, 2, S. 52 Anm. 1) hält Giesebrechts Meinung für die wahrscheinlichste. Es ist aber unzweifelhaft die Insel im Teterower See gemeint; vgl. auch die Arbeit von R. Asmus: Der Burgwall von Teterow und seine Eroberung durch die Dänen im Jahre 1171, Zeitschr. Mecklenburg, 22. Jg., 1927, S. 120 ff.

W. Strecker.

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Die Große Stadtschule zu Rostock in 31/2 Jahrhunderten. Eine Jubiläumsschrift, herausg, von Studiendirektor Dr. Walter Neumann. Rostock 1930.

Den ersten Teil dieser Veröffentlichung (S. 1-95) bildet die Geschichte der Stadtschule, verfaßt von dem gegenwärtigen Direktor, Dr. Neumann. Nach einer ersten Gründung durch Joh. Olden-

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dorp im Jahre 1534, die aber in den Anfängen stecken blieb, wurde die Schule mit fünf Klassen 1580 unter dem Rektor Nathan Chytraeus eingerichtet. Reformation und Humanismus wiesen ihr den Weg. Anregend schildert der Verfasser, wie Schulbetrieb und äußere Schulverhältnisse sich im Laufe der Jahrhunderte gestalteten und wie der Wechsel der Bildungsziele, der wissenschaftlichen und ästhetischen Anschauungen, aber auch die Not schwerer Zeiten sich im Schicksal der Schule widerspiegeln. Nicht verschwiegen werden, auch die Mängel, unter denen sie nicht selten zu leiden hatte: wir erfahren von allerhand Unordnung, menschlicher Schwäche, vergeblicher Mühe. Einen Wendepunkt bildet die Reform von 1828; mit ihr beginnt für die seitdem mächtig sich vergrößernde Schule eine neue Zeit. Neumanns Arbeit hat Anspruch darauf, über das Lokalinteresse hinaus als wertvoller Beitrag zur Geschichte des höheren Schulwesens in Deutschland überhaupt betrachtet zu werden. Sie reiht sich würdig den verschiedenen Schulgeschichten an, die in den letzten Jahren, besonders in den Zeitschriften der Deutschen Geschichtsvereine, erschienen sind.

Auf S. 96-l12 behandelt Oberbaurat Ad. Friedr. Lorenz die Baugeschichte der Schule, von den alten, mehrmals umgebauten Räumen im Johanniskloster, in dem die Schule fast 300 Jahre blieb, bis zu dem stattlichen Neubau von 1864 mit dem Anbau (Turnhalle und Aula) von 1897. - Ein Verzeichnis der Leiter und Lehrer seit 1580 gibt Studienrat Dr. J. Becker, ein Verzeichnis der Abiturienten seit Ostern 1859 Studienrat F. Niemeyer.

W. Strecker.

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Karl Oldenburg, Aus Bismarcks Bundesrat. Berlin (Reimar Hobbing) 1929.

Der vorliegende Band enthält Aufzeichnungen des Oberzolldirektors Oldenburg, zweiten Bevollmächtigten Mecklenburg-Schwerins beim Bundesrat, aus den Jahren 1878-1885, die der bekannte Bismarckforscher Professor Schüßler im Auftrage der Familie Oldenburg herausgegeben und mit einleitenden und erklärenden Bemerkungen versehen hat. Die Aufzeichnungen schildern lebhaft die Stellung Bismarcks zum Bundesrat, besonders bei den Verhandlungen über die Zoll- und Finanzreform und die Sozialpolitik, und zeigen den großen Kanzler in seiner rücksichtslosen Energie bei der Verfolgung seiner Ziele zum Besten des deutschen Vaterlandes. Auch Oldenburg hatte zeitweise darunter zu leiden. Als Bismarck 1880 mit Oldenburgs Tätigkeit im Bundesrat unzufrieden war, aber seine Abberufung beim Großherzog Friedrich Franz II. und dem Ministerpräsidenten Grafen Bassewitz nicht durchsetzen konnte, wurde Oldenburg wenigstens aus dem Zollausschuß herausgedrängt und so zur Wirkungslosigkeit verurteilt, bis er dann 1882 die Genugtuung erlebte, in den Zollausschuß wieder aufgenommen zu werden. Die Politik Bismarcks hat Oldenburg bei aller seiner Verehrung für den Kanzler häufig abfällig beurteilt, weil er, wie viele andere patriotische Männer, dem umwälzend Neuen in Bismarcks Plänen damals noch kein genügendes Verständnis entgegenbringen konnte. Seine Aufzeichnungen sind als die eines Augenzeugen recht wertvoll.

Stuhr.

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Dr. Friedrich Techen, Geschichte der Seestadt Wismar. Gedruckt im Jahre MCMXXIX im Auftrage der Seestadt Wismar (Eberhardtsche Hof- und Ratsbuchdruckerei, Wismar). XVI u. 510 S. 76 Tafeln m. Abb.

Friedrich Techens Lebenswerk liegt vor uns. Etwa 40 Jahre ist es her seitdem er den Plan faßte, die Geschichte seiner Vaterstadt zu schreiben. Nach verschiedenen Vorarbeiten und nach gar mancherlei andern Arbeiten kam Techen im Frühjahr 1914 dazu, die Ausarbeitung zu beginnen. Das Werk, an dem er "hernach nur wenig geändert oder hinzugesetzt" hat, wurde im Sommer 1917 abgeschlossen.

12 Jahre später bewilligten die städtischen Behörden die Kosten der Drucklegung, nachdem im Jahre 1922 Techen seinen knappen, aber aufschlußreichen Abriß der Geschichte der Stadt Wismar veröffentlicht hatte. Die Grundlagen für Techens Werk bilden die veröffentlichten Quellen, die Literatur und das Wismarer Ratsarchiv. "Andere Archive heranzuziehen schien nicht durchaus notwendig, und ein weiteres Verschieben hätte die Ausführung des Planes leicht gefährden können", schreibt Techen in dem Vorwort.

Der Stoff ist in 24 Kapitel übersichtlich gegliedert. Die Darstellung ist anschaulich, hat vielfach chronikartigen Charakter, ist aber andererseits gelegentlich sehr prägnant, knapp und vorsichtig im Urteil. Sie vermittelt eine Fülle von wertvollsten Beobachtungen und Ergebnissen.

Ganz besonderes Interesse beansprucht das 1. Kapitel, das die Anfänge der Stadt behandelt. Techen stützt sich hier in der Hauptsache auf ältere Forschungen, die Crull und er angestellt haben, insbesondere auf seine in den Hansischen Geschichtsblättern (Jahrgang 1903) veröffentlichte Arbeit über die Gründung Wismars. Vor über 50 Jahren hat Crull in seiner Einleitung zur Ratslinie der Stadt Wismar (S. XIII) die Vermutung ausgesprochen, daß die Anwesenheit der Enkel Heinrich Borwins in Lübeck am 15. Februar 1226 in Zusammenhang mit der, nach Crulls Ansicht von Lübeck geförderten, Gründung der Stadt Wismar stehe: "Die mündliche und förmliche Gutheißung des neuen Unternehmens" durch die mecklenburgischen Landesherren sei da erfolgt. Einen früher hiergegen gemachten Einwand hält Techen nunmehr nicht mehr für stichhaltig. Auch er sieht jetzt das Jahr 1226 als das mutmaßliche Gründungsjahr Wismars an und betont besonders die starke Beteiligung der Lübecker bei der Gründung.

Nach Techens Darlegungen ist Wismar als eine planmäßige Neugründung anzusehen. Die Stadt hat sich nicht aus einem Dorfe heraus entwickelt. Ein älteres - slavisches - Dorf (Alt-Wismar) bestand zwar, aber es war etwas über 1 km vom Zentrum der Stadt entfernt und durch einen Bach (aqua Wissemara die Wismaraa) von dieser getrennt, der überdies seit 1167 die Grenze wischen den Bistümern Ratzeburg und Schwerin bildete. Die Stadt Wismar und das östlich davon gelegene Dorf Alt-Wismar gehörten also zu zwei verschiedenen Diözesen! (S. 1, 114). - An und für sich wäre ja noch an die weitere Möglichkeit zu denken, daß Wismar

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als Vorläufer ein deutsches Bauerndorf gehabt hätte, wie es, um nur ein Beispiel zu nennen, nach Ausweis des Ratzeburger Zehntenregisters bei dem benachbarten Grevesmühlen der Fall ist. Aber der Stadtplan Wismars gibt hierfür keinen Anhalt, und die Wismarer Ackerflur hatte keine Hufeneinteilung. Die den Bürgern gehörigen Teile der Feldmark lagen vielmehr in Morgen, das eigentliche Stadtfeld wurde in Ackerlose geteilt und alle 7 Jahre unter die Bürger verlost (S.7/8, 63/64).

Nun zählt aber Hoffmann in seiner Arbeit über die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis 14 Jahrhundert (im 94. Jahrgang dieser Jahrbücher) Wismar zu den Städten, die wahrscheinlich aus einer schon in slavischer Zeit bestehenden deutschen Kaufmanns- (bzw. Hafen-) Siedlung sich allmählich zur Stadt entwickelt haben (S. 156, 162, 175). Allerdings konnte Hoffmann weder bei Wismar noch bei Rostock besondere Untersuchungen anstellen. Er zog beide Städte nur gelegentlich heran "nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung", wobei bemerkt sei, daß Hoffmanns Arbeit vor dem Erscheinen von Techens Werk vollendet wurde.

Gegen Hoffmanns Ansicht ist zunächst einzuwenden, daß für das Herauswachsen Wismars aus einer ständigen Kaufmannssiedlung, wie es aller Wahrscheinlichkeit nach z. B. bei Schwerin der Fall ist (Hoffmann S. 12/23), die wichtigste Voraussetzung fehlt, nämlich die fürstliche Burg, die Schutz und Anknüpfung an einen primitiven Handel mit den ständigen Naturallieferungen der slavischen Untertanen gewährleistete. Die Reihe der Burgen Niclots zog sich ja östlich von der Wismarer Gegend dahin: Schwerin, Dobin, Mecklenburg, Ilow, Alt-Gaarz. Wismar selbst lag im Burgbezirk (terra) Mecklenburg, und diese Burg besaß offensichtlich einen eigenen Markt (Hoffmann S. 174).

Weiterhin findet sich im Wismarer Stadtplan keinerlei Anhalt, daß die Stadt aus einer fleckenähnlichen Marktsiedlung hervorgegangen sei. Weder der Marktplatz noch das Stadtviertel um St. Nikolai läßt sich als ein solches Element im Stadtplan ansprechen, das aus der vor-städtischen Zeit stammen könnte.

Nun hebt allerdings Hoffmann (S. 162) hervor, daß für Wismar die urkundliche Überlieferung für das Vorhandensein einer Kaufmannskolonie "insofern am günstigsten ist. als ein Wismarer Hafen bereits im Jahre 1209, ungefähr 20 Jahre vor der Stadtwerdung Wismars, in einer deutschen Königsurkunde genannt wird". Dem gegenüber hat Techen bereits im Jahre 1903 in seiner vorhin genannten grundlegenden Abhandlung über die Gründung Wismars (S. 126) den Wert dieser Nachricht (in portu, qui Wissemer dicitur) mit dem kurzen Hinweis auf den Hafen Golwitz (portus Gholvitze, portus, qui dicitur Gholvicze) auf das richtige Maß beschränkt. Bei der Golwitz, dem Meeresarm zwischen der Insel Poel und dem östlich davon gelegenen Festlande, handelt es sich um einen einfachen. natürlichen Hafen, in dem Schiffe bei Bedarf ankerten und wo eine Art von fliegendem Handelsplatz, aber keine ständige Kaufmannssiedlung war. So werden wir uns auch die Verhältnisse bei dem in der Urkunde von 1209 genannten Hafen Wismar zu denken haben.

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Demgemäß sehen wir in Übereinstimmung mit Techen Wismar als eine Neugründung, als eine Gründung "aus frischer Wurzel" an.

Wie gesagt, planvoll und überdies großzügig: mit großem Markt, mit breiten Straßen und gleich mit zwei Kirchspielen versehen, wurde Wismar angelegt. Der Stadtplanforscher würde an und für sich zunächst geneigt sein, das nördliche Viertel der Stadt, die Gegend um St. Nikolai, mit der Grube als südlicher Grenze, als den ältesten Teil der Stadt anzusehen. Dem gegenüber sei aber hervorgehoben, daß Techen mit voller Klarheit ausspricht (S. 2), daß sich keine Spur davon findet, daß das St. Nikolai-Kirchspiel älter sei als das von St. Marien. "Wollte man durchaus scheiden, so würde man St. Marien den Vorrang zuerkennen müssen. Denn St. Marien war und ist die Kirche des Rates, und in diesem Kirchspiel liegt der Markt. Eine Stadt aber ohne Markt ist undenkbar." Außerdem ist die Grube nie eine Scheide und nie eine Kirchspielsgrenze gewesen. Die Grube wird vielmehr "bald nach der Gründung der Stadt gegraben sein, sowohl um die Anlegung einer Wassermühle zu ermöglichen, wie um Wasser hineinzuschaffen".

Knappe, aber sehr wichtige Feststellungen, die zeigen, wie vorsichtig der Stadtplanforscher sein muß, und wie nur unter Heranziehung alles urkundlichen Materials und nur bei genauester Kenntnis der örtlichen Verhältnisse durch Rückschlüsse aus späteren Zuständen einwandsfreie Ergebnisse erzielt werden können.

Noch größere Bedeutung sind Techens Feststellungen über die Heimat der Bevölkerung Wismars beizumessen (S. 4): Nach dem ältesten Stadtbuch (von etwa: 1250 bis 1272) "sind bei weitem die meisten Bürger aus dem Mecklenburgischen gekommen, außerdem beträchtlicher Zuzug aus Sachsen, Friesland und Westfalen, noch nennenswerter aus Holstein und Lauenburg, vom Niederrhein, aus Holland und Flandern, aus der Altmark, der Mittelmark und der Prignitz, endlich aus Dänemark und Schleswig. Der Name Wend (Wenede, Slavus, Slavica) kommt nur dreimal vor, so daß die Bevölkerung der Stadt als rein deutsch angesprochen werden kann".

Der Platz für die neue Stadt war so günstig gewählt und der Zustrom an Fremden war so stark, daß bereits vor 1250 die Stadt (Altstadt) eine Erweiterung durch die sog, Neustadt (das Viertel um St. Georg) erfahren mußte. Urkunden über Gründung und Erweiterung der Stadt sind ja für Wismar nicht überliefert. Leider lassen sich auch durch Rückschlüsse nicht die Bedingungen der Ansetzung in der eigentlichen Stadt, die Ausstattung der Stadt, der Kirchen und der einzelnen Bürger mit Land rekonstruieren. Der bezeugten Wurtzinse sind zu wenige, um daraus Schlüsse ziehen zu können (S. 3/4).

Die ursprüngliche Wismarer Ackerflur kann man nur als recht klein bezeichnen. Das hängt mit dem Wesen der Stadt zusammen, in der von Anfang an Schiffahrt, Handel und Gewerbe durchaus den Vorrang hatten. Das Hauptgewerbe für den Ausfuhrhandel war übrigens in späterer Zeit (14. bis Ende 17. Jahrhunderts) die Brauerei (S. 64 ff.).

Die Kapitel 2-4 behandeln in der Hauptsache äußere Geschichte: Verhältnis der Stadt zu den eigenen und fremden Landesherrn und zur Hanse. Gelegentlich sind hier, wie auch in den späteren histo-

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rischen Kapiteln, kleinere kulturgeschichtliche Betrachtungen eingestreut. Hingegen haben die nächstfolgenden drei Kapitel rein kulturgeschichtlichen Charakter: Verfassung und Verwaltung der Stadt, Bauten und Erwerbsleben, geselliges Leben. Diese Kapitel und das neunte (Kirchenwesen bis zur Reformation) bieten für alle, die sich mit der inneren Geschichte mittelalterlicher Städte beschäftigen wollen, eine Fülle von Tatsachen, Belehrungen und Anregungen.

Der Geistes- und Kulturgeschichte ist auch Kapitel 10 (Reformation) und der inneren Politik Kapitel 12 (Innere Zwistigkeiten und Bürgerverträge) gewidmet. Das 8. Kapitel behandelt in der Hauptsache die fehdereiche Zeit unter Heinrich IV., seinen Söhnen und Enkeln (etwa l435-l537), das 11. die Zeit bis zum 30jährigen Kriege. Dann werden in den Kapiteln 13-16 die Schicksale Wismars im 30jährigen Krieg und unter schwedischer Herrschaft bis zur Abtretung an Mecklenburg (Vertrag von Malmö 1803) erzählt. In den Kapiteln 17-23 behandelt Techen Wismars Entwicklung und Aufschwung im 19. Jahrhundert, im Schlußkapitel den Weltkrieg, die Revolution und den sich anbahnenden Niedergang der Stadt.

Überaus reichhaltig ist die Ausstattung des Werkes mit Abbildungen: Stadtpläne, Ansichten des Stadtbildes, Hafenbilder, Straßen und Plätze, einzelne Gebäude, architektonische und kulturgeschichtliche Einzelheiten und Porträts. Bürgermeister Raspe übernahm die Auswahl.

Steinmann.

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Festschrift zur 500-Jahrfeier der Schola Fridlandensis. Im Namen des Kollegiums des Gymnasiums zu Friedland (Mecklbg.) herausgegeben von Studienrat Dr. R. Lunderstedt. Friedland i. Mecklbg., 1929.

Der Feier der ersten bekannten Errichtung eines Schulgebäudes in Friedland vor einem halben Jahrtausend (im Jahre 1429) ist diese Schrift gewidmet. Sie will und kann keine vollständige Geschichte des Friedländer Gymnasiums sein, sondern nur einige wichtige Bilder aus dessen Vergangenheit sowie Bausteine für die Zukunft darbieten.

Von Dr. Lunderstedt stammen die ersten beiden Aufsätze: Zur Geschichte des Gymnasiums in Friedland: Die Zeit von 1337 bis 1560, und: Geschichte des Schulgebäudes (von 1429 bis zur Gegenwart). - Eingehende und gründliche quellenmäßige Studien unter Darbietung der wichtigsten Belegstellen. - Die Bedeutung der mittelalterlichen Stadt Friedland in der Politik und Wirtschaft und vor allem im geistlichen Leben des Landes (Sitz des Propstes des Landes Stargard im engeren Sinne) sowie die Analogien von andern Städten Mecklenburgs nötigen an und für sich schon zur Annahme, daß auch Friedland bereits lange vor 1429 eine höhere Schule, eine gehobene Pfarrschule, besaß, von der die Schüler zur Universität gehen konnten. Die 1337 zuerst und hernach noch häufiger erwähnte fraternitas sacerdotum et scolarium verleihen der Annahme die Sicherheit.

An dritter Stelle wird ein Teil der Arbeit des 1921 verunglückten Oberlehrers Bosselmann über die Geschichte des Turnplatzes zu Friedland veröffentlicht, und zwar der 1. Teil, die Zeit von 1814 bis 1818, bearbeitet von Dr. Lunder-

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stedt. Der Aufsatz behandelt die Begründung des Turnens in Friedland durch den Prorektor Leuschner und die Zeit von dessen Turnwartschaft. - Nur durch gründliche und mühsame lokale Forschungen nach Art der vorliegenden lassen sich die Anfänge der modernen Sportbewegung ergründen. Die Registraturen und Archive der zentralen Behörden ergeben so gut wie nichts darüber. - Friesland kann sich rühmen, eine der ersten Städte in Deutschland und die erste in Mecklenburg gewesen zu sein, wo nach dem vom Turnvater Jahn in Berlin gegebenen Vorbild die Leibesübungen Eingang fanden. "Der Turnplatz zu Friedland ist für Mecklenburg die eigentliche Pflanzstätte des Turnens gewesen; er ist einer der wenigen in Deutschland, auf dem seit seiner Gründung ununterbrochen bis auf den heutigen Tag geturnt wird."

An vierter Stelle behandelt und veröffentlicht Oberstudiendirektor Portmann "Eine Friedländer Schulkomödie vom Jahre 1668". Diese Komödie ist ein lateinisches Osterspiel mit eingelegten hoch- bzw. plattdeutschen weltlichen Zwischenspielen. und wurde von Schülern der Friedländer Latein-Schule aufgeführt. Die witzigen, z. T. aber auch recht derben, ja unflätigen Zwischenspiele erregten Anstoß bei der Geistlichkeit und verursachten arge Streitigkeiten und Kämpfe zwischen Kirche, Rat und Schule. Dem Umstand, daß schließlich Herzog Gustav Adolf von Güstrow in den Streit eingriff, verdankt die Komödie ihre Erhaltung im Neustrelitzer Archiv. - "Wir haben hier das älteste Dokument einer theatralischen Aufführung an den Schulen unseres Landes vor uns. Gleichzeitig ist es meines Wissens überhaupt das älteste Zeugnis für eine Theateraufführung im Lande Stargard. Schon dieser Umstand rechtfertigt es, daß es der Vergessenheit, in der es bis dahin ruhte, entrissen wird", bemerkt Portmann zutreffend.

Verzeichnisse der Direktoren und Lehrer sowie der Schüler von 1857 bis 1929 bilden den Schluß der Festschrift. Man begegnet da so manchen aufrechten und wackeren Mann und lieben Bekannten, dem die Schola Fridlandensis zur ultima Thule wurde.

Steinmann.

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