![]() ![]() |
Seite 210 |
![]() ![]() ![]() ![]() |
![]() ![]() ![]() |
|
:
Walter Paatz, Die Lübecker Steinskulptur der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bd. 9 der Veröffentlichungen zur Geschichte der freien und Hansestadt Lübeck, hrsg. vom Staatsarchiv zu Lübeck. Lübeck 1929.
![]() ![]() |
Seite 211 |
![]() ![]() ![]() ![]() |
Die vorzüglich ausgestattete Schrift sucht die schulmäßigen Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen und Meistern der Lübecker Bildhauerkunst einer eng umschriebenen Zeit nach Persönlichkeiten und Werkstätten klarzustellen. Sie beschränkt sich nicht strenge auf Steinskulpturen, sondern umfaßt auch Holzbildwerke und Bronzen, sofern sie aus einer Werkstattgemeinschaft mit den ersteren hervorgegangen sind. Der Anfang des 15. Jahrhunderts hebt sich mit seinen plastischen Werken in Lübeck deutlich von den Schöpfungen der früheren und der späteren Zeiten ab. Es ist die Zeit, in der sich ein Neues in der Skulptur vorbereitet und in den Werken ihres größten Meisters, Johannes Junge, schon in einer gewissen Vollkommenheit erkennbar ist. Man bemerkt den Versuch, etwas Geistiges in die Figuren zu legen, daneben sieht man schon etwas von den Bemühungen um die anatomische Richtigkeit der Bildwerke und um die Natürlichkeit in der Wirkung der Gewandung. Diese Bestrebungen führen vereint in einer späteren Zeit auf das Porträt hin. Das wird hier - ich möchte sagen "zum Glück" - noch nicht erreicht, aber es ist doch schon eine Individualisierung vorhanden, und damit gewinnen die Schöpfungen der Kunst gewissermaßen eine Persönlichkeit. Lübeck nimmt die Steinskulptur verhältnismäßig spät auf; es fehlt an geeignetem, natürlichem Stein, und die Baukunst, von der sich die Bildhauerkunst des Mittelalters noch nicht losgemacht hat, bietet ihr im Backsteinbau nicht den Platz wie in den Werken der Hausteingotik. Dies ist im Wesen des Backsteinbaues begründet. Auch das Verhältnis der Figur zum Block ist in der behandelten Zeit noch kein freies; man sieht den Bildwerken noch die rechteckige Umschreibung an. Erst eine spätere Zeit bestimmt den Block nach der Figur und nicht umgekehrt. Diese Andeutungen werden genügen, um die Einschränkung verständlich zu machen und zu rechtfertigen, mit der der Verfasser sein Thema umrissen hat.
Der erste Hauptteil der Arbeit gibt eine kritische Untersuchung der Werke nach ihrer Herkunft und ihrer Zusammengehörigkeit. Hierbei war die Schwierigkeit zu überwinden, die darin liegt, daß fast keine Namen überliefert sind, die Namen also erst aus den Werken gebildet werden mußten. Auch sind die Arbeiten sehr zerstreut, denn die Lübecker Bildhauerkunst war gewissermaßen eine Exportindustrie, deren Werke über den ganzen Ostsee-Kulturkreis verteilt sind. Teilweise mußten die Hauptwerke eines Meisters auch auswärts an verschiedenen Stellen aufgesucht werden. Überdies befinden sich die Skulpturen heute zum Teil in Museen, können also nicht mehr nach ihrer ursprünglichen Aufstellungsart beurteilt werden. Die ältesten behandelten Bildwerke stammen aus der abgebrochenen Burgkirche. Ihr Verfertiger ist nicht mehr bekannt. Werke ähnlichen Stils und mit den gleichen besonderen Eigentümlichkeiten finden sich an der Wiesenkirche in Soest. Bekanntlich bestanden zwischen dieser Stadt und Lübeck alte Beziehungen, wird doch auch das lübische Recht auf das soester Stadtrecht zurückgeführt. An zweiter Stelle tritt dann schon Johannes Junge mit einem Jugendwerke, dem plastischen Schmuck der astronomischen Uhr in der Marienkirche, in die Erscheinung. Zu Junge lassen sich nun alle anderen Arbeiten der Epoche in irgendeine Beziehung bringen,
![]() ![]() |
Seite 212 |
![]() ![]() ![]() ![]() |
mögen sie auch nicht von ihm selbst oder in seiner Werkstatt geschaffen sein. Er muß eine überragende künstlerische Persönlichkeit gewesen sein, der das Leben und die Menschen zu erfassen und den Geist, den sie offenbaren, in ihre Erscheinung zu legen wußte. Junge führte als erster etwas Genrehaftes in die Bildhauerkunst ein; seine bemalten Kreuzigungsreliefs weisen Staffage und Hintergründe wie gemalte Tafeln auf. Daß auch er Beziehungen zur westfälischen Kunst hatte, nimmt Verfasser an; wie diese letzten Endes auf die französische Bildnerkunst zurückgeht, die im Mittelalter an erster Stelle stand, ist nicht in den Einzelheiten verfolgt. Recht interessant ist ausgeführt, wie sich ein Abstieg in den Werken Junges erkennen läßt. Unter dem Einfluß eines Gehilfen, der an die Stelle des aristokratisch Vornehmen das bürgerlich Derbe setzt, steigt er in der Zeit um 1440 von seiner einstigen Höhe herab. Um Junge gruppieren sich noch einige weitere, nicht mit ihren Namen bekannte Bildhauer, mit denen die Schrift abschließt. Nur mit kurzen Worten wird noch auf Bernt Notke hingewiesen, dessen Wirken schon einer neuen, anderen Zeit angehört. An diesen umfangreichsten ersten Teil der Arbeit ist noch ein Anhang angeschlossen, der die benutzten Steine und sonstigen Werkstoffe, den Werkstattbetrieb, das Verhältnis, in dem die Skulptur zur Architektur steht, die Tracht und namentlich der Faltenstil der Zeit und ähnliche Dinge bespricht. Dem ist eine übersichtliche synchronistische Tabelle angefügt.
Der für die praktische Benutzung des Buches wichtigste ist der zweite Teil, der Katalog. Dies darf aber nicht als ein Werturteil über die wissenschaftliche Bedeutung des ersten. Teils aufgefaßt werden, sondern nur als die Äußerung eines Mannes, der den größten Teil seines Lebens in der Praxis eines technischen Berufes gestanden hat. In dem Katalog sind, alphabetisch nach den Orten, wo sie sich jetzt befinden, geordnet, die Werke genannt, die in die behandelte Zeit gehören. Es sind etwa 50 namentlich aufgeführt. Bei jedem sind die wichtigsten Maße angegeben, ferner Datierung, Werkstoff, Bemalung, ursprüngliche und jetzige Aufstellung und Erhaltungszustand, am Schlusse die Zuschreibung. Bei letzterer sind außer der eigenen Feststellung oder Ansicht auch die Ergebnisse fremder Forschungen objektiv mitgeteilt. In einem Anhange sind die irrtümlich der Gruppe der Lübecker Steinbildwerke zugeschriebenen Skulpturen ebenso behandelt. Unter diesen ist auch der Krämeraltar von St. Marien in Wismar - Anhang Nr. 2 -während sich im Hauptverzeichnis folgende mecklenburgische Stücke befinden: Nr. 25 a, Terrakottareliefs an der Marienkirche in Parchim; 26, Ratzeburger Dom, Taufbecken; 27, Passionsaltar dort; 30, Passionsaltar im schweriner Museum; 42, Wismar, Madonna im Museum; 43, Terrakotten an St. Nikolai und St. Jürgen in Wismar; 44, Zarrentin, Salvator mundi. Von diesen werden 25 a, 26 und 44 dem Johannes Junge oder seiner Werkstatt zugeschrieben. Der dritte Teil enthält auf 82 Seiten die Abbildungen in vorzüglicher Wiedergabe. Zweiter und dritter Teil sind durch ihre Nummern miteinander in Beziehung gebracht, so daß der Wert des einen durch den andern Teil erhöht wird. Im ersten Teile muß man sich die Abbildungen erblättern oder mit Hilfe des Kataloges suchen, Hinweise im Text würden aber den Zusammenhang sehr gestört haben.
Johann-Friedrich Pries.