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I.

Hermann Stannius
und die Universität Rostock
1837-1854

von

Wilhelm Stieda.

Vignette
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I m Oktober 1837 wurde Hermann Stannius aus Hamburg, damals Assistent am Friedrichstädtischen Krankenhause in Berlin, an die Universität Rostock berufen. Hier hat er als ordentlicher Professor der vergleichenden Anatomie, Physiologie und allgemeinen Pathologie im Verein namentlich mit Karl Friedrich Strempel 1 ) glänzend gewirkt und dazu beigetragen, den Ruf der medizinischen Fakultät insbesondere, sowie der Hochschule überhaupt, zu steigern. Leider setzte eine unheilbare Erkrankung der bedeutsamen akademischen und wissenschaftlichen Tätigkeit des hochbegabten Forschers und Lehrers vorzeitig ein Ende. Aus seiner guten Zeit von 1836-1854 haben sich 29 Briefe an den hervorragenden Fachgenossen Rudolf Wagner, zuerst in Erlangen, dann in Göttingen, erhalten. Sie verdienten, soweit ich den fachwissenschaftlichen Inhalt beurteilen kann, wohl vollständig veröffentlicht zu werden, wozu freilich an dieser Stelle kein Platz wäre. Es sind jedoch in den Briefen Ausführungen über die Universität, an der er zu lehren ausersehen war, enthalten, die gewiß weitere Kreise fesseln können. Sie sollen nachstehend, entweder im Wortlaute des Briefschreibers, oder seiner Erzählung folgend, mitgeteilt werden.

Friedrich Hermann Stannius wurde am 15. März 1808 in Hamburg geboren. Seine Eltern waren der in Neu Gattersleben bei Magdeburg 1777 geborene Kaufmann Johann Wilhelm Julius Stannius, der 1798 nach Hamburg kam, und Johanna Flügge, die 1782 in Hamburg geboren war. Die Großeltern Stannius' waren der spätere preußische Plantagen-Inspektor Friedrich August Stannius zu Tapiau bei Königsberg i. Pr. und dessen Ehefrau Magdalene Juliane, geb. Benecke. Die Eltern der Mutter Stannius' waren Hermann Flügge und Maria Dorothea, geb. Peters, wie es scheint, ebenfalls dem kaufmännischen Berufe angehörig.


1) Joh. K. F. Strempel, 1800-1872, geboren zu Bössow bei Grevesmühlen, gest. in Ludwigslust. Blanck-Wilhelmi, Die Mecklenburgischen Ärzte, 1901, Nr. 481. Willgeroth, Die Mecklenburgischen Ärzte, 1929, S. 252. Allgemeine Deutsche Biographie (später A.D.B. zitiert) 36, S. 573.
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Der Vater Johann Wilhelm starb früh, am 13. November 1813, und hinterließ Frau und Kinder in nicht eben befriedigenden Umständen. Frau Johanna Stannius eröffnete im Jahre 1826 in Hamburg eine Mädchenschule, an der ihre damals 15jährige Tochter Marie Sophie ihr wacker half, auch Musikunterricht erteilte. Bei dem großen Brande von 1842 brannte die Schule ab. Frau Stannius nahm dann den Unterricht in einem Hause außerhalb der Stadt vor dem Tor wieder auf, wohin die meisten Schülerinnen folgten. Die Konzession wurde später, von allen 5 Hauptpastoren unterschrieben, auf die Tochter Sophie übertragen, die eine Zeitlang die Schule fortsetzte, aber schließlich aufgab. Mutter und Tochter fanden dann jedoch in den unterdessen zu guten Stellungen gekommenen Söhnen und Brüdern eine Stütze, so daß sie einen sorgenfreien Lebensabend hatten. Frau Johanna starb am 18. August 1862; das Todesjahr von Fräulein Sophie ist unbekannt 1a ).

Die Eltern Stannius' hatten 5 Kinder, außer dem Professor noch zwei Söhne und zwei Töchter. Eine Tochter Johanna starb 12jährig, ein Sohn im zartesten Kindesalter. Ein am 28. Februar 1810 in Hamburg geborener Sohn Wilhelm wurde Kaufmann, erwarb 1864 in Hamburg das Bürgerrecht, nachdem er längere Zeit im Auslande (Frankreich?) gelebt hatte, und starb in Stuttgart am 25. September 1870. Er namentlich war in der Lage, für Mutter und Schwester sorgen zu können.

Hermann besuchte die Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg und wurde am 1. Mai 1825 in die Matrikel des dortigen akademischen Gymnasiums als Student der Medizin eingetragen. Seit 1828 studierte er in Heidelberg und Breslau und wurde an der letzteren Universität am 26. November 1831 zum Dr. med. promoviert. Darauf wurde er am Friedrichstädtischen Krankenhause in Berlin Assistent und übte gleichzeitig die medizinische Praxis in der Stadt. Aus dieser Zeit hat sich ein liebevoller Brief der Mutter Stannius erhalten, der das Ansehen bezeugt, das Hermann Stannius bereits in jungen Jahren genoß. Die Mutter berichtet ihrem Sohne (im Mai 1837), daß ihr Gartennachbar Pastor Noodt ihr eine Stunde lang von ihm erzählt habe. Der Gewährsmann hob hervor, daß unter allen Gelehrten, die Hamburg ins Preußische abgegeben habe, Hermann Stannius obenan stehe und in


1a) Gef. Mitteilung des Staatsarchivs in Hamburg.
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Berlin allgemeine Achtung genieße. Auch der Buchhändler Enslin in Berlin habe nur Günstiges über ihn erzählt. "In Hamburg," fügte die Mutter mit berechtigtem Stolze hinzu, "ist nur eine Stimme, wenn von Dir die Rede ist. Du seist sowohl als Gelehrter als als Mensch und praktischer Arzt ein höchst schätzenswerter Mann." Mag bei dieser Beurteilung auch Mutterliebe mit im Spiele sein, Stannius' Bedeutung trat doch früh hervor. In Berlin war er trotz seiner Jugend ein beliebter Arzt, der in einem Jahre 1600 Taler an Honoraren verdienen konnte, und seine wissenschaftlichen Publikationen zeugten von ungewöhnlicher Begabung und Schaffenskraft. Schon in Breslau gab er 1832 mit Schummel "Beiträge zur Entomologie" heraus, und in Berlin erschien 1837 der erste Teil eines Lehrbuches der Allgemeinen Pathologie, das er freilich nicht fortgesetzt hat. Diese und andere wissenschaftliche Leistungen verschafften ihm die Professur in Rostock 2 ).

In Rostock war am 19. Januar 1837 der als Arzt und medizinischer Gelehrter zu großer Bedeutung gekommene Professor Samuel Gottlieb von Vogel 3 ) in hohem Alter, beinahe 87 Jahre alt, an der Grippe gestorben. Seit 1789 ordentlicher Professor der Medizin, hatte er als herzoglicher Leibarzt und als Förderer des Seebades von Heiligendamm-Doberan sich um seine zweite Heimat - er stammte aus Erfurt - die größten Verdienste erworben. Nun galt es, so vielseitig und allumfassend seine Tätigkeit gewesen war, an der Universität, die in bezug auf naturwissenschaftliche und medizinische Studienanstalten sehr wenig entwickelt war, Spezialforscher für die einzelnen Gebiete des Medizinstudiums zu berufen. Der erste Professor, der in dieser Richtung gewonnen wurde, war Stannius.

Unter den Vorgeschlagenen befand sich auch der Name von Rudolf Wagner 4 ), der damals Ordinarius in Erlangen war. Indes lagen diesem die Vorlesungen, die er in Rostock hätte auf sich nehmen müssen, fern, und er hatte bei einem ihm


2) Blanck-Wilhelmi, a. a. O., Nr. 557. Willgeroth, a. a. O., S. 256. - A.D.B. 35, S.446.
3) 1750-1837. A.D.B. 40, S. 124. - Heinrich Rohlfs, Deutsches Archiv f. Gesch. d. Medizin u. med. Geographie. - Blanck-Wilhelmi, Nr. 261. Willgeroth, S. 246.
4) 1805-1864; seit 1829 in Erlangen Privatdozent, 1833 a.o. Professor d. Zoologie daselbst, 1840 o. Professor der Physiologie in Göttingen. A.D.B. 40, S. 573.
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vollkommen zusagenden Wirkungskreis eine äußerlich günstige Stellung, so daß sich kaum erwarten ließ, er werde die verhältnismäßig größere Universität mit einer kleineren vertauschen wollen. In diesen Erwägungen lag der Grund, daß Stannius am 23. März 1837 an Rudolf Wagner schrieb und ihn bat für den wahrscheinlichen Fall, daß er selbst einem Rufe nach Rostock zu folgen keine Neigung haben würde, seine Wahl zu fördern. Die Rostocker Vorschlagsliste war einem Berliner Professor unterbreitet worden, der sich über alle Genannten mit Ausnahme von Rudolf Wagner ungünstig geäußert, dafür aber Hermann Stannius in Vorschlag gebracht hatte. "Wieviel mir daran gelegen ist," schrieb dieser an Wagner, "endlich einmal in eine ruhige Situation zu kommen, in der es mir möglich wird, wissenschaftliche Arbeiten vorzunehmen und fortzusetzen, kann ich Ihnen nicht beschreiben; muß man sich aber den ganzen Tag der Praxis wegen in den Straßen des weiten Berlin herumtummeln, so ist abends Lust und Kraft zur Arbeit vergangen. Sie werden daher leicht begreifen, mit welcher gespannten Erwartung ich einem Schreiben von Ihnen, verehrter Herr Professor, entgegensehe, da ich entschlossen bin, allen fremden und eignen Schritten völlig Einhalt zu thun, im Falle Sie ernstlich auf jene Stelle reflectiren."

Auch Karl Theodor von Siebold 5 ), damals als Gynäkolog in Danzig tätig, hatte sich auf die Professur in Rostock Hoffnung gemacht. Er war sogar nach einem Briefe von ihm an R. Wagner vom 6. Juli 1837 in Rostock empfohlen worden, nachdem Wagner den Ruf endgültig abgelehnt hatte. Siebold wäre gern nach Rostock gegangen, schon um aus seiner Tätigkeit, die ihm nicht viel Freude bereitete, nämlich der des praktischen Geburtshelfers, herauszukommen. "Wenn diese Rostocker Professur von der Art ist", schreibt er dem ein Jahr jüngeren Erlanger Kollegen, "daß ein Familienvater sorgenfrei davon leben kann, so würde ich mich freuen, sie ausfüllen zu dürfen, indem ich dann mehr Gelegenheit haben würde, meiner Wissenschaft in einem noch weiteren Umfange zu nützen, als ich es bisher konnte. Könnten Sie zur Erfüllung dieses meines größten Wunsches etwas beitragen, so würde ich mich gegen Ew. Wohlgeboren stets verpflichtet fühlen müssen." R. Wagner hat demnach kaum den Wunsch von Stannius erfüllt, ihn in


5) 1804-1885. A.D.B. 34, S. 186.
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Rostock zu empfehlen. Unter den Brief hat er bemerkt: "Inwieweit kann man mit gutem Gewissen Jemand, den man nicht ganz genau kennt, zu einer solchen Stelle empfehlen?" Dennoch erhielt Stannius den Ruf, vermutlich infolge der warmen Empfehlung eines Mannes in Berlin, der ihn gut kannte und seine Wirksamkeit aus eigener Anschauung zu beurteilen vermochte. Siebold, der damals schon 33 Jahre alt war und den jüngeren Stannius sich vorgezogen sah, mag wohl über das Fehlschlagen seiner Hoffnungen im Innern bedrückt gewesen sein. Er ist jedoch im späteren Leben reich entschädigt worden, indem er als Nachfolger R. Wagners in Erlangen über Freiburg i. Br. 1853 nach München kam, wo er mehr als 30 Jahre wirken konnte, während sein einst glücklicherer Rivale 20 Jahre lang in todesähnlicher Erstarrung lebte.

Für Rostock war damals freilich die Berufung von Stannius ein großer Vorteil, denn die beiden Jahrzehnte, die er der Universität in ungeschwächter Kraft widmen konnte, gehören zu den bedeutsamsten in der Entwicklung der medizinischen Fakultät.

Im November 1837 war Stannius in Rostock eingerichtet, und vom 9. November 1838 ist ein Brief an R. Wagner datiert, der über seine Erfahrungen berichtet. Der Anfang war schwer für ihn. Er fand die Zustände anders, als er erwartet hatte. Der Kreis seiner Pflichtvorlesungen war umfangreich und die vorhandenen literarischen Hilfsmittel erwiesen sich als unzureichend. "Es fügte sich gleich bei meiner Berufung Manches anders, als ich es erwartet hatte. Während in den ersten Briefen, welche ich von hier aus in Berlin erhielt, von einer Wiederbesetzung der Vogelschen Stelle, wie sie bestand, die Rede war, wurde mir bei meiner offiziellen Berufung zur Pflicht gemacht, Physiologie, vergleichende Anatomie und allgemeine Pathologie nebst Encyclopädie und Geschichte der Medizin zu lesen. ... Fast alle diese Fächer waren früher wenig (Physiologie) oder gar nicht berücksichtigt worden. Nun fehlt es auch natürlich in betreff der literarischen Hülfsmittel und der Sammlungen am Nothwendigsten. Glücklicherweise wurden in den Versteigerungen der Bibliotheken von Vogel, Treviranus 6 ),


6) Gottfried Reinhold T. 1776-1837; seit 1797 Professor der Mathematik und Medizin an dem Gymnasium illustre in Bremen; A.D.B. 38, S. 588.
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Hieronymi 7 ) vortreffliche Werke erstanden, die eine bedeutende Lücke ausfüllen. Anderes ward neu acquirirt. Zu einer vergleichenden pathologisch-anatomischen Sammlung ist der Grund gelegt und hoffentlich wird das Werk Unterstützung von seiten der Regierung und somit auch Förderung finden."

Die Medizinische Fakultät, in die Stannius eintrat, war klein und umfaßte im Sommersemester 1837 nur 4 Ordinariate: Johann Wilhelm Josephi 8 ) für Chirurgie und Geburtshilfe, Heinrich Spitta 9 ) für Therapie und Klinik, Carl Friedrich Strempel für Chirurgie und Augenheilkunde, Karl Friedrich Quittenbaum 10 ) für Anatomie und Chirurgie. Außerdem standen 6 Privatdozenten zur Verfügung, wohl alle gleichzeitig praktische Ärzte. In diesem Bestande blieb die Fakultät lange. Erst nach dem 1845 erfolgten Tode Josephis trat Christian Krauel 11 ) in die Fakultät ein und nach dem Abgange Quittenbaums im Sommersemester 1853 Carl Bergmann 12 ) als Anatom. Unter den Privatdozenten war die Verschiebung stärker. Im Sommersemester 1850 waren es ihrer 4: Johann Friedrich Wilhelm Lesenberg 13 ), Johann Schröder 14 ), August


7) Joh. Friedr. Heinz von H. 1767 1836; seit 1794 Leibarzt des Herzogs Carl in Neustrelitz; später Direktor des dort 1812 errichteten Medizinalkollegiums. Blanck-Wilhelmi, Nr. 308. Willgeroth, S. 178.
8) 1763-1845, geboren zu Braunschweig. Seit 1789 a.o. Professor und Prosektor. Am 30. März 1792 o. Professor. Blanck-Wilhelmi, Nr. 294. Willgeroth, S. 247. Gurlt-Hirsch, Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte, 3 (1886), S. 415.
9) Heinrich Helmerich Ludwig S., 1799-1860, Privatdozent in Göttingen, 1. Februar 1825 Professor der Medizin in Rostock. Blanck-Wilhelmi, Nr. 443. Willgeroth, S. 252.
10) 1793-1852, seit 11. Oktober 1821 Prosektor und a.o. Professor der Medizin in Rostock, 7. Februar 1831 o. Professor daselbst. Blanck-Wilhelmi, Nr. 438. Willgeroth, S. 251.
11) 1800-1854, geborener Rostocker, Sohn des dortigen praktischen Arztes, Privatdozent in Rostock, 9. Mai 1838 a.o. Professor, 21. April 1846 o. Professor. Blanck-Wilhelmi, Nr. 490. Willgeroth, S. 251.
12) Carl Georg Lucas Christian B., 1814-1865, Privatdozent in Göttingen, 1843 daselbst a.o. Professor, 2. Oktober 1852 als o. Professor nach Rostock berufen und 29. Oktober 1852 ins Konzil eingeführt. Blanck-Wilhelmi, Nr. 613. Willgeroth, S. 259.
13) 1802-1857, geboren in Ludwigslust, 1830 Privatdozent in Rostock, Stadtphysikus seit 8. Mai 1840. Blanck-Wilhelmi, Nr. 509. Willgeroth, S. 253.
14) Johannes Theodor Ludwig S., 1799-1878. Seit 1833 Privatdozent in Rostock; von 1835-1865 Arzt der Irrenheil- und Pflegeanstalt zu St. Katharinen daselbst. Blanck-Wilhelmi, Nr. 510. Willgeroth, S. 253.
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Kortüm 15 ) und August Strempel 16 ), zu welchen seit dem Wintersemester 1850/51 Ludwig Dragendorff 17 ) als Privatdozent für Geburtshilfe hinzukam.

Mit den Kollegen wußte sich Stannius gut zu stellen. Aus seiner Feder rührte die Gratulationsschrift der Medizinischen Fakultät zum 50jährigen Professorenjubilum von Johann Wilhelm Josephi im Jahre 1839 her.

Es war Stannius' eifrigstes Bestreben, seit er in Rostock war, in diesem Kreise älterer Kollegen, die Sammlungen und die Bibliothek, die dem Unterricht dienen sollten, und die von diesen vernachlässigt worden waren, neu einzurichten und zu vervollständigen. Über alles und jedes, "über jedes kleine Bedürfnis" wollten die Fakultät und die Regierung unterrichtet sein, und der neue Professor hatte vollauf mit Abfassung von Gutachten und Berichten zu tun. Was der übrigens "treffliche, äußerst eifrige College Strempel" an pathologischen Präparaten zusammengebracht hatte, genügte dem jungen Forscher nicht. Auch der geistige Verkehr mit den Berufskollegen befriedigte ihn nicht ganz, und so bat er Rudolf Wagner, im Briefwechsel mit ihm zu bleiben. "Sie glauben nicht, wie sehr ich mich nach solcher Mittheilung sehne."

Rudolf Wagner, der nur wenige Jahre älter war als Stannius, siedelte 1840 nach Göttingen über und scheint dann doch nicht Muße genug gefunden zu haben, um dem Ansinnen zu entsprechen. Wenigstens liegen zwischen diesem Briefe und dem nächsten, vom 25. Mai 1842, Jahre. Entweder blieben also Stannius' Briefe unbeantwortet, oder beide empfanden das Bedürfnis wechselseitigen Verkehrs nicht in dem Umfange, wie es ursprünglich den Anschein hatte. Auch nach 1842 wurde der Verkehr nicht reger, indem Jahre vergingen, ohne daß ein Brief von Stannius bei Wagner eintraf; wenigstens ist kein Brief nachzuweisen, obwohl R. Wagner seine Korrespondenz vollständig aufzubewahren pflegte. Eine solche Pause erstreckte


15) August Karl Friedr. Ludwig K., 1810-1884. Von Herbst 1848 bis Herbst 1853 praktischer Arzt in Rostock, 1849 Privatdozent, seit 1853 Badearzt in Doberan. Blanck-Wilhelmi, Nr. 548. Willgeroth, S. 39.
16) 1822-1852, praktischer Arzt und Privatdozent in Rostock. Blanck-Wilhelmi, Nr. 694. Willgeroth, S. 258.
17) Ludwig Friedrich Christian D., 1811-1856, geborener Rostocker, praktischer Arzt und seit Ostern 1834 Privatdozent. Blanck-Wilhelmi, Nr. 571. Willgeroth, S. 255.
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sich vom April 1844 bis Oktober 1849. Besonders reich war das Jahr 1850 an Briefen; die folgenden Jahre bis zum Schluß des Briefwechsels wiesen dann regelmäßig einige Schreiben auf.

In dem Brief von 1842 warf der Hamburger Brand seinen Schatten. Stannius war im Interesse seiner Familie sofort beim Ausbruch auf den Schauplatz des Unglücks geeilt, wodurch die Beantwortung eines Wagnerschen Briefes verzögert wurde.

Nachgerade fühlte sich Stannius in Rostock nicht behaglich. Die Enge und Kleinheit der Zustände drückte ihn. Auf Veranlassung Wagners hatte er sich für eine Berufung des Juristen Briegleb 18 ) nach Rostock interessiert, ohne Erfolg. Aber da mittlerweile Preußen auf Beselers 19 ) Befürwortung Briegleb zu gewinnen trachtete, meinte Stannius, ihm gratulieren zu sollen, "daß ihm von Rostock aus kein Antrag zu Theil geworden. Ich muß es offen gestehen, die hiesigen Verhältnisse sind kläglich; es fehlt der geistige Schwung und die erforderliche Regsamkeit durchaus. Die Zahl der Strebsamen ist überaus gering; kaum Einen hat jede Fakultät aufzuweisen; der wissenschaftliche Verkehr fällt somit eigentlich völlig weg; die wissenschaftlichen Hülfsmittel sind spärlich vorhanden; das vorhandene wird unregelmäßig administrirt; so erlahmt mancher, der den Hemmnissen nicht entgegenzutreten vermag, und wendet sich ganz den Vergnügungen und Zerstreuungen zu, denen der reiche Ort die Fülle bietet, denen zu folgen fast als Ehrenpunkt gilt. Ein beträchtlicher Theil der Zeit der Strebsamen wird noch durch administrative Geschäfte in Anspruch genommen, denn lange Gutachten werden beständig gefordert, damit man antworten könne: die Vorschläge seien nicht annehmbar. Zwei Ihrer Collegen: Hofmann 20 ) aus Erlangen und Thoel 21 ) sind berufen und werden, wie ich höre, kommen. Beiden will ich wünschen, daß ihre Erwartungen nicht zu hoch gespannt sind."


18) Hans Karl B., 1805-1879. A.D.B. 47, S. 233.
19) Georg Beseler, 1809-1888. A.D.B. 46, S. 445.
20) Joh. Christian Konrad v. Hofmann (1810-1877) wurde 1842 von Erlangen berufen, wo er seit 1838 Privatdozent in der theologischen Fakultät und 1841 zum a.o. Professor ernannt war. A.D.B. 12, S. 631.
21) Johann Heinrich Thoel, 1807-1884, in Lübeck geboren, seit Dezember 1829 Privatdozent in Göttingen, 1837 a.o. Professor daselbst, von Herbst 1842 bis 1849 Ordinarius in Rostock, dann wieder nach Göttingen zurück. A.D.B. 38, S. 47. - Stintzing-Landsberg, Gesch. der Jurisprudenz 3, 2 S. 626; 3, 3 S. 271.
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Wenn auch diese Betrachtungen über die wissenschaftliche Einstellung seiner Kollegen wohl in vorübergehendem Unmut niedergeschrieben waren und sicher über das Ziel hinausschossen, so blieb allerdings die Beschränktheit der Mittel bedauerlich. Aus einem Verzeichnis von Dubletten seiner Bibliothek, deren sich Rudolf Wagner zu entäußern wünschte, will Stannius für 139 1/2 Taler Bücher erwerben, nach denen er teilweise "Jahre lang vergeblich geangelt hatte". Der Betrag verringerte sich später um 5 Taler, da Wagner einige Bücher nicht zu dem vorgeschlagenen Preise ablassen wollte. Doch Stannius bekam weder den größeren, noch den kleineren Betrag zum Ankauf. Man mutete ihm zu, die Bücher auf seinen eigenen Namen zu kaufen, wozu er freilich, vermutlich weil er keinen anderen Ausweg sah, selbst angeregt hatte, und sicherte ihm zu, sie später zugunsten des Instituts ihm abzunehmen. "Ich eilte," schreibt Stannius am 30. März 1843, "damit zu unserem Vice-Kanzler 22 ) und stellte ihm den Antrag, er möge unsere Desideria für die Universitäts-Bibliothek übernehmen. Er erklärte es bei gänzlicher Erschöpfung der Casse vorläufig für unmöglich, genehmigte dagegen meinen Vorschlag, im Laufe von 1 1/2 Jahren durch außerordentliche Bewilligungen mir die Bücher wieder abzunehmen, wenn ich sie jetzt auf meinen Namen übernähme." Er nennt die Titel und fährt dann fort: "Nun möchte ich Sie bitten, mir diese Summe entweder auf den eben genannten Zeitraum oder wenigstens bis Ostern 1844 zu stunden, da ich sie sogleich zu erlegen außer Stande bin. Sollten Sie die Güte haben, auf meinen Vorschlag einzugehen, so würde ich Sie ersuchen, mir die Bücher baldmöglichst zu übersenden."

In demselben Sinne, voller Eifer die Büchersammlung zu erweitern und zu vervollständigen, schreibt er einige Wochen später, am 10. April 1843: "Für Ihre Bereitwilligkeit, mir oder vielmehr unserer Universitäts-Bibliothek einige Ihrer verkäuflichen Bücher unter den von mir proponirten Bedingungen abzulassen, sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Ich hoffe, der einliegende Schein wird Ihrem Verlangen gemäß ausgestellt sein. Auf die Bücher freue ich mich sehr; lieb wäre es mir freilich gewesen, wenn die "Annales des sciences naturelles" mitgekommen wären. Sollten Sie sie später abzustehen geneigt sein, so bitte ich sehr, meiner nicht zu vergessen.


22) Dr. Karl Friedrich v. Both.
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Blainville 23 ) und Swan 24 ) besitzen wir glücklicher Weise. Überhaupt ist für vergleichende Anatomie bei uns viel vorhanden, weil ich die mit in das Fach der Medicin hineinziehen kann, was bei der systematischen Zoologie und bei zoologischen Zeitschriften nicht angeht. Sie erwähnen den Agassiz 25 ), natürlich fehlt er uns; wieviel besitzen Sie von dem Werke und zu welchem Preise sind Sie geneigt, ihn abzustehen? Wollen Sie etwa noch andere, namentlich mit Abbildungen versehene Werke über systematische Zoologie verkaufen?"

War die Unzulänglichkeit der Universitätsbibliothek ein Übelstand, über den Stannius häufig klagen mußte, und der ihm bei seinem vorwärtsstrebenden Forscherdrang besonders lästig wurde, so blieben doch die Lichtseiten in der akademischen Wirksamkeit nicht aus. "Ich habe Aussicht," ließ er sich am 30. März 1843 vernehmen, "unserer Universität ein neues hochwichtiges Institut einzuverleiben: die jetzt in Schwerin bestehende Tierarzneischule. Sollte mir dies gelingen und sollte ich die Direktion gegen eine geringe jährliche Entschädigung erhalten, so würde ich mich in Rostock sehr glücklich fühlen und einen Wirkungskreis haben, den ich schwerlich je mit einem anderen vertauschen würde. Vorläufig bedarf es noch weitläuftiger Verhandlungen, um die Sache in den Gang zu bringen. Dies ganz unter uns."

Die Tierarzneischule in Schwerin, um die es sich vorstehend handelt, wurde 1825 eröffnet und war aus einer etwa 1815 in Carlshof bei Rostock errichteten Anstalt hervorgegangen. Ihr damaliger Direktor, Professor Steinhoff hatte sich, unbekannt aus welchen Gründen, für ihre Überführung nach Schwerin, wo sie dem Marstallamte unterstellt war, lebhaft interessiert. Er hatte dann eine Verordnung vom 27. April 1825 veranlaßt, nach der alle Tierärzte des Landes vom Di-


23) Ducrotay de Blainville, Henri Marie, Zoolog und Anatom, 1778-1850, seit 1812 Professor der vergleichenden Zoologie, Anatomie und Physiologie in Paris.
24) Theodor Schwann, Naturforscher, 1810-1882, geboren in Neuß, seit 1838 Professor der Anatomie in Löwen, 1848 in Lüttich und seit 1858 zugleich Professor der Physiologie ebenda. Starb in Köln.
25) Ludw. Joh. Rud. A., Naturforscher, 1807-1873, zuletzt Professor der Zoologie und Mineralogie in New-Cambridge (Massachusetts, Vereinigte Staaten). Louis A., Leben und Briefe, herausgegeben von Elisabeth Cary A., deutsch von Mettenius, 1886.
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rektor geprüft sein mußten. Nachdem Professor Steinhoff am 28. Februar 1843 gestorben war, wurde der Betrieb der Schule eingestellt, und die praktischen Tierärzte mußten nun ihre Ausbildung auswärts suchen, blieben jedoch verpflichtet, sich einer Prüfung in Schwerin zu unterwerfen. Der Augenblick für eine Rückführung der wichtigen Anstalt nach Rostock war somit sehr günstig. Die Prüfung der Tierärzte nahmen der Kreisphysikus und der Roßarzt am Marstall ab. Leider erreichte Stannius die Verwirklichung seines Wunsches nicht, und er hatte nur die Genugtuung, daß durch Verfügung vom 5. Juni 1845 er, sowie der Tierarzt Urban in Rostock, mit der Abnahme der Prüfung betraut wurden. Er war bereits von seiner akademischen Tätigkeit zurückgetreten, als am 15. Oktober 1863 die Prüfung der Tierärzte der Medizinalkommission in Rostock unter Zuziehung eines bewährten Tierarztes übertragen wurde. Die Bestrebungen des Privatdozenten Dr. Cohn in Rostock, die Tierarzneischule nach Rostock mit Angliederung an die Universität ins Leben zu rufen, hatten ebenfalls keinen Erfolg, weil die Medizinalkommission sich dagegen aussprach und die Kosten zu hoch schienen. Es bezeugt jedoch die Richtigkeit des Stanniusschen Wunsches, daß 1911, also lange nach seinem Tode, die Frage der Errichtung einer veterinärärztlichen Fakultät in Rostock von neuem aufgenommen wurde und wohl glücklich gelöst worden wäre, wenn nicht der Weltkrieg dazwischen gekommen wäre 26 ).

Nicht nur die Bibliothek, auch die Sammlung von Tieren und Präparaten für den akademischen Unterricht erweckten dauernd das Interesse von Stannius. Am 10. April 1843 schrieb er dem Freunde, der offenbar an allem, was in Rostock vor sich ging, Anteil nahm: "Unsere vergleichende anatomische Sammlung hat durch einen Chimpanzen wieder einen wertvollen Zuwachs erhalten; der Großherzog hatte auf einen Specialantrag von mir außerordentlicher Weise eine Summe zu seinem Ankaufe bewilligt. Thiere erlangen sich leichter als Bücher. Aber leider stehen alle unsere Schätze in buntester Unordnung auf dem Boden, der Diele, in Zimmern und Kellern. Alles harrt der Vollendung des neuen für das Museum bestimmten Gebäudes, das hoffentlich Ostern 1844 bezogen werden kann. Ich freue mich sehr darauf, Alles hübsch aufgestellt zu sehen und allseitig benutzen zu können."


26) Gef. Mitteilung des Herrn Ministerialrat Jörn in Schwerin.
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Als Stannius im Herbste 1837 in Rostock eintraf, stand das Institut für vergleichende Anatomie und Physiologie auf dem Papier. Überhaupt sah es mit den zum Studium der Naturwissenschaften bestimmten Instituten, obwohl seit den 30er Jahren ein Umschwung sich gezeigt hatte, recht trübselig aus. Die naturhistorische Sammlung war 1832 durch Professor Strempel im Weißen Colleg neu aufgestellt, dem mathematischen und dem physikalischen Kabinett je ein besonderer Raum zugewiesen und 1834 das Chemische Laboratorium gegründet worden 27 ). Stannius schuf nun Mitte 1838 sein Institut, indem das Naturhistorische Museum die wenigen zootomischen Präparate und zum Skelettieren sich eignenden, in Alkohol aufbewahrten Wirbeltiere abgab. Es wurde in einem Mietshause, in dem Stannius selbst wohnte, untergebracht.

Daß der eifrige Forscher sich dabei nicht beruhigen konnte, lag auf der Hand, und er wählte das richtige Mittel, um Interesse für sein Fach zu erwecken. Er gab im Jahre 1840 einen Bericht heraus, der eine wissenschaftliche Abhandlung enthielt, über die neue Schöpfung sich aussprach und schließlich die inländischen Ärzte zur Einsendung von Präparaten aufforderte. Infolgedessen fühlten sich nicht nur die Inländer bewogen, dem Wunsche zu entsprechen, sondern auch die Universitäten zogen über das in Rostock geschaffene Institut Nachrichten ein. So kam Stannius zu dem Institute, das ihn in seiner Geringfügigkeit auf die Dauer freilich nicht befriedigen konnte.

Erst 1840 wurde das dem Weißen Colleg benachbarte, dem Kloster zum Heil. Kreuz gehörige, am Blücherplatz gelegene Grundstück angekauft und auf ihm ein Gebäude errichtet, das sämtlichen naturwissenschaftlichen Instituten zweckmäßige Räumlichkeiten bot. Damals bekam auch das vergleichende anatomisch-physiologische Institut ein Arbeitslokal in einem hinter dem westlichen Ende des Weißen Collegii erbauten kleinen Gebäude 28 ). Im Herbste 1844 wurde dann das neue Museum der Benutzung übergeben. Im südlichen Saale


27) Herm. Karsten, Zur Geschichte der naturwissenschaftlichen Institute der Universität Rostock. Rektorats-Programm, 1846, S. 3 und 4.
28) Max Braun, Zoologie, vergleichende Anatomie usw. bei den Universitäten Bützow und Rostock. Rostock 1891. Als Manuskript gedruckt. S. 33 ff. A. F. Lorenz, Die Universitäts-Gebäude zu Rostock und ihre Geschichte. Rostock 1919.
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des zweiten Stockwerks des großen Gebäudes kam die Abteilung der zoologischen Sammlung, die die Wirbeltiere aus der Klasse der Amphibien und Fische und die wirbellosen Tiere umfaßte, zur Aufstellung. Die südliche Seite des dritten Stockwerks wurde der anatomisch-physiologischen Sammlung eingeräumt, und dort wurden auch die Vorlesungen gehalten 29 ).

Für die Bibliothek hatte er die Freude, die zuerst schmerzlich vermißten "Annales" doch noch erwerben zu können. Darüber schrieb er am 5. Mai 1843: "Ihr Anerbieten, uns auch die "Annales des sciences naturelles" überlassen zu wollen, hat mich sehr erfreut, und ich übersende Ihnen hiermit den gewünschten Empfangsschein. Leider wird vorläufig wohl schwerlich mehr zu erreichen sein, da die Mittel der Universitäts-Casse in der That völlig erschöpft sind. So gerne ich selbst mir Mancherlei anschaffte, muß ich es doch unterlassen, da ich von meiner Einnahme bei dem theuren Leben in Rostock auch gar nichts dazu erübrigen kann."

Indes Stannius hatte nicht nur Interesse für Bücher und Sammlungen, er hatte auch ein warmes Herz für die neu berufenen Kollegen und verfolgte mit lebhaftem Anteil ihr Einleben. Am 10. April heißt es: "Thoel und Hofmann scheinen sich hier sehr gut zu gefallen. Hofmanns kommen zum Jubiläum nach Erlangen, wo Sie sie wohl sehen werden. Sie gefallen hier sehr. Thoel macht zum Heirathen noch keine Anstalt, er hat im Laufe des Winters viel getanzt, besucht sehr regelmäßig das Theater, arbeitet am zweiten Theile seines Handelsrechtes und scheint es nicht zu bereuen, nach Rostock gekommen zu sein. Daß er einen vortrefflichen Weinkeller besitzt und einen liebenswürdigen Wirth macht, wenn es darauf ankömmt, mit Austern zu tractiren, kann ich bezeugen. Die Geister seiner Weine spucken noch in meinem Körper, - daher die Confusion dieses Briefes."

Etwas später, am 30. September 1843, berichtet er dann, daß Thoel anderen Sinns geworden, sehr bald dem Beispiel Vogels gefolgt sei und sich verlobt habe. Mit wem, unterläßt er zu schreiben.

Die Teuerung in Rostock befremdet ihn, da sie ihn hindert, die kostbaren Bücher zu erwerben, deren er für seine wissenschaftliche Arbeit bedarf. Es ist ihm ein Trost, daß auch der


29) H. Karsten, a. a. O., S. 8.
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Kollege Hofmann "nicht wenig verwundert über die hiesige Theuerung" sich ausgesprochen. Dennoch ist er gastfrei und lädt zum 15. Oktober 1843 Rudolf Wagner und seine Frau zu sich nach Rostock ein. "Es soll mich sehr freuen, Sie im nächsten Jahre hier zu sehen; ich rechne aber mit Bestimmtheit darauf, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin einige Tage bei uns verweilen, d. h. in meinem Hause wohnen. Die See ist auch von Warnemünde aus aufs Schönste in Augenschein zu nehmen. Rostock war im vorigen Sommer von Fremden besucht wie nie zuvor. Baum 30 ) aus Greifswald, war zweimal hier; Michaelis 31 ) aus Kiel, Valentiner 32 ) aus Kiel, viele Berliner Ärzte, Hornschuch 33 ), Kröger 34 ) aus Kopenhagen, Elvers 35 ), Beseler 36 ) und viele andere stellten sich der Reihe nach ein. Flemming 37 ) aus Schwerin präsidierte in einer Versammlung der Mecklenburgischen Ärzte, die meinem Institute eine außerordentliche Unterstützung von 100 Thalern votiert haben."

Auf die Vergrößerung und Erweiterung der Bibliothek und der Sammlungen bleibt Stannius beständig bedacht. Er macht sich zum Vermittler des Wunsches des Kollegen Karsten 38 ), der Agassiz, Poissons fossiles, für die Universitätsbibliothek zu erwerben wünschte. Ausnahmsweise konnte die Zahlung sogleich geleistet werden, da für das betreffende Fach noch Kassenvorrat vorhanden war. Die Werke von Carus und

der Rechte in Rostock. A.D.B. 46, S. 445. Erlebtes und Erstrebtes, Berlin 1884.


30) Wilhelm Baum, 1799-1883, seit 1842 o. Professor der Chirurgie in Greifswald, später in Göttingen. A.D.B. 46, S. 250.
31) Gustav Adolf Michaelis, 1798-1848, seit 1841 o. Professor der Gynäkologie in Greifswald. A.D.B. 21, S. 679.
32) Vielleicht Georg Theodor Valentiner gemeint, 1820-1877, der 1843 in Kiel Dr. med geworden war und später Oberarzt der Schleswig-Holsteinischen Marine wurde.
33) Christian Friedrich Hornschuch, 1793-1850, o. Professor der Botanik in Greifswald. A.D.B. 13, S. 158.
34) Kroeger, nicht nachweisbar, wer gemeint.
35) Christ. Friedr. Elvers, 1777-1858, von 1828-1841 o. Professor der Rechte in Rostock. A.D.B. 6, S. 75.
36) Georg Beseler, 1809-1888, von 1837-1842 o. Professor
37) Karl Friedr. Flemming, 1799-1880, dirigierender Arzt der Heilanstalt Sachsenberg bei Schwerin seit ihrer Eröffnung im Jahre 1830. Blanck-Wilhelmi, Nr. 473. Willgeroth, S. 340.
38) Hermann K., 1809-1877; seit 1836 Professor der Mathematik und Physik in Rostock.
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d'Alton 39 ), die Wagner offenbar auch in der Lage war abgeben zu können, besaß die Universitätsbibliothek bereits. ..."Überhaupt sind wir an comparativ-anatomischen Werken im ganzen reich; nur das Fach der Zoologie ist verwaiset. - Den "Naumann" hätte ich äußerst gerne; im vorigen Jahre wurde uns ein schönes Exemplar von Finke in Berlin angeboten zu 94 Thaler pr. Cour.; es war aber leider kein Geld in Cassa."

Die Zahlung konnte dann leider doch nicht, wie in dem Briefe vom 15. Oktober 1843 in Aussicht gestellt, sofort erfolgen, sondern erst im April des folgenden Jahres. "Die Zahlung für Agassiz," heißt es in einem Briefe vom 6. April 1844, "ist erfolgt. Wir bitten Sie um Übersendung der beiden letzten Hefte. Die Zahlung für die übrigen Bücher hat in diesen Tagen stattgefunden; ich habe das Geld erst vorgestern erhalten und sogleich dem zweiten Bibliothekar, Baron Nettelbladt, zur Absendung an Voß übergeben; ob es abgeschickt ist oder nicht, weiß ich nicht; gestern sagte mir N., es sei kein preuß. Courant am Orte zu haben. Ich möchte Sie ersuchen, mir sogleich nach Empfang der Anzeige von Ankunft des Geldes eine Quittung auszustellen, die ich, da das Geld eine Extra-Bewilligung ist, bei der Regierung einreichen muß."

Über die Sammlungen berichtet er im Oktober 1843: "Sie machen schöne Fortschritte; neben dem Chimpanzen habe ich jetzt auch einen Orang-Utang aufzuweisen." So große Freude ihm deren Vergrößerung bereitete, so stimmte doch die wachsende, mit ihrer Ausdehnung verbundene Arbeitslast ihn gelegentlich traurig. Sie hält ihn von der Vollendung begonnener Untersuchungen ab. "Eine ganze Reihe von Aufsätzen liegt unvollendet da und immer kömmt Neues," schreibt er am 7. November 1844, "das mich abzieht, da es augenblicklich absolvirt sein will. Es ist eine eigne Lage, eine große Sammlung gründen sollen und in Ermangelung eines Assistenten überall selbst Hand anlegen müssen. Da vergehen ganze Tage mit technischen Arbeiten. Bis Ostern muß außerdem ein Grundriß der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere vollendet sein." Mit dem Chirurgen Neese, den er infolge der Zuwendung der Mecklenburgischen Ärzte hatte einstellen können, war er zunächst zufrieden, bald aber beschwerte er sich über die Unzuverlässigkeit

Jahrbuch des Vereins f. mecklb. Gesch. LXXXXIII.


39) Eduard d'Alton, 1803-1854, seit 1834 Professor der Anatomie in Halle.
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des Assistenten und Aufwärters. Seufzend klagt er im Jahresbericht für 1843/44 über "beständige Unreinlichkeit des Arbeitszimmers, Abwesenheit des Aufwärters, mangelhafte Verpflegung der Thiere, absichtliche Verstümmelung der Scelete, Fortschaffen von Präparaten und Instrumenten" 40 ). Und einige Jahr später heißt es in einem Briefe vom 9. Dezember 1849: "Man ist hier in Rostock in Bezug auf die neuesten literarischen Erscheinungen in trauriger Lage; sie kommen leider oft sehr spät, auch wohl gar nicht. Überhaupt fehlt Communication. So bleibt Manches liegen, weil man nicht sicher weiß, ob wirklich neu, oder in Verlegenheit geräth, wenn es mitzutheilen sein dürfte." So erklärt er, daß er erst im Dezember 1849 seine Schrift über das peripherische Nervensystem der Fische, die schon vor Jahren erscheinen sollte, überreichen kann. Sie ist als Rektoratsprogramm erschienen. Das Titelblatt hat bei seinem Namen den Zusatz: d. 3. Rektor. Das Vorwort datiert vom Oktober 1849 und bringt den Dank zum Ausdruck, daß es ihm an seinem Wohnsitze, der derartige Forschungen begünstige, gelungen sei, die Arbeit zu vollenden. "Die folgende Arbeit", heißt es, "ist das Ergebnis langjähriger, aber häufig durch anderweitige Studien und Berufsgeschäfte unterbrochener Forschungen, deren Versuche sich durch den für ichthyologische Untersuchungen so trefflich geeigneten Wohnort des Verfassers begünstigt ward."

Zu alledem kam, daß früh sich Vorboten der schweren Krankheit, die ihn später heimsuchte, geltend gemacht haben müssen. Nachdem vom 5. Mai 1843 an der Briefwechsel einige Monate geruht hatte, läßt er sich am 30. September folgendermaßen vernehmen: "Nach langer Unterbrechung unseres Briefwechsels, die zum theil durch überhäufte Geschäfte, zum theil durch anhaltendes Kränkeln herbeigeführt war, komme ich endlich wieder zum Schreiben." Und im November desselben Jahres glaubt er den Vorschlag Wagners, die Nerven-Physiologie für sein Handbuch bearbeiten zu wollen, ablehnen zu müssen, sofern der Ablieferungstermin des Manuskripts auf Pfingsten 1844 festgesetzt wäre. Auch wegen eines anderen Beitrages, mit dem er im Rückstande geblieben war, entschuldigte


40) M. Braun, Zoologie, vergleichende Anatomie und die entsprechenden Sammlungen bei den Universitäten Bützow und Rostock. Rostock 1891. S. 35. Als Manuskript gedruckt.
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er sich: "Sie müssen es mir nicht übelnehmen, wenn ich auch mit dem Artikel "Lebensperioden" im Rückstande bleibe; im vorigen Winter hätte ich ihn gerne geliefert, da fehlte es weder an Zeit noch an Kräften. Jetzt habe ich noch mit ernsten Nachwehen meiner letzten Krankheit zu kämpfen, und dabei lasten andere Arbeiten sehr auf mir." Er hat dann tatsächlich für das Handwörterbuch der Physiologie, von dem 1842 der erste Band ausgegeben wurde, nicht mehr als den Beitrag "Fieber" (S. 481-484) geliefert.

In geradezu düsterer Stimmung aber schreibt er am Weihnachtsabende 1844 dem verehrten Freunde: "Mir ist's traurig ergangen, seit ich meinen letzten Brief an Sie schrieb; sonst würde ich prompter in Beantwortung Ihrer später empfangenen Zeilen gewesen sein. Das fortdauernde Kränkeln, dem ich seit der Mitte des vorigen Sommers ausgesetzt war, hat eine Verstimmung des Gemüthes nach sich gezogen, die mich zu jeder ernsten Thätigkeit lange Zeit unfähig machte, und die ich noch immer nicht ganz zu überwinden vermag. Die völlig divergirenden Urtheile zweier consultirten Ärzte über den Grund meines Krankseins führten ein dumpfes Grübeln über meinen körperlichen Zustand herbei und widerwärtige Berührungen von außen her mußten natürlich diesen Unmuth und die damit verbundene Reizbarkeit aufs höchste steigern. Wenn ich nun auch mehr und mehr einsehe, daß die von einem meiner Ärzte und mir selbst gehegten Befürchtungen übertrieben und vielleicht selbst grundlos waren, so bin ich doch immer noch nicht in der Fassung, irgend eine Arbeit zu unternehmen. Dazu fehlt aller Muth. Ich muß Sie daher dringend bitten, mir vorläufig die versprochenen Artikel zu erlassen, denn Sie glauben nicht, wie der bloße Gedanke daran gegenwärtig mich noch peinigt. Später wirds wieder gehen. Wählen Sie die Überschrift "Perioden des Lebens" oder "Umlauf des Lebens", dann kann ichs nach einigen Monaten bearbeiten. Denn wenn ich jetzt wieder anfange, thätig zu sein, so ist's die vergleichende Anatomie, der ich mich zuwende, und von der schon im Herbste 6-7 Bogen vollendet waren." Am Schlusse dieses Briefes aber heißt es: "Es ist ein trauriges Loos, im äußersten Winkel Deutschlands zu sitzen, wo jedes selbständige wissenschaftliche Organ fehlt, und es auf die Gnade eines fremden Potentaten ankommen lassen zu müssen, ob eine Mittheilung zu tage gefördert werden soll oder nicht."

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Mehrere Jahre verstrichen, ohne daß Briefe gewechselt wurden. Nach dem Briefe vom 6. April 1844 liegt ein kürzerer Brief erst wieder vom 9. Dezember 1849 und ein sehr ausführlicher vom 1. Februar 1850 vor. Es hatte sich zwischen beiden Fachgelehrten eine Spannung entwickelt, die das Freundschaftsverhältnis zu ersticken drohte. Stannius hatte bei seinen Studien über die vergleichende Anatomie, der er sich immer mit besonderer Neigung zuwandte, Rud. Wagners Lehrbuch der vergleichenden Anatomie benutzt, das 1834/35 ausgegeben war, und dabei gleich anderen Forschern es als einen Mangel empfunden, daß keine neue Auflage den mittlerweile erreichten höheren Stand der Wissenschaft berücksichtigt hatte. Unter diesem Eindrucke hatte er Wagner nahegelegt, eine neue Auflage in Angriff zu nehmen, für die er ihm in uneigennütziger Weise die Ergebnisse seiner bisherigen Forschungen zur Verfügung gestellt hatte. Wagner hatte jedoch dankend abgelehnt und sich dahin geäußert, daß er von einer neuen Auflage absehe. Daraufhin hatte Stannius sich mit Siebold verständigt und mit ihm zusammen ein Lehrbuch der vergleichenden Anatomie in Angriff genommen. Während dieses Buch in Arbeit war - der zweite Teil erschien unter dem Titel "Lehrbuch der vergl. Anatomie, Wirbelthiere", Berlin 1846 -, besann sich Wagner anders und ließ unter dem Titel "Lehrbuch der Zootomie" zum größten Erstaunen von Stannius in den Jahren 1843-47 eine zweite Auflage erscheinen. In ihr fand Stannius einige veraltete Anschauungen, die durch seine eigenen Beobachtungen, die Wagner unberücksichtigt gelassen hatte, widerlegt worden waren. Im Unmute darüber hatte er sich in einer Wagner offenbar verletzenden Auseinandersetzung seines eigenen Lehrbuches über dessen irrtümliche Auffassung geäußert. Wagner hatte ihn deswegen zur Rede gestellt, und in dem eingehenden Briefe vom 1. Februar 1850 wurde nun die Differenz in freundschaftlicher Weise beglichen. Man setzte sich freimütig sachlich auseinander, und die Fortdauer der Freundschaft und des Sachverständnisses für die beiderseitigen Forschungsergebnisse war nicht in Frage gezogen. In diesem Briefe nimmt Stannius auf seinen leidenden Zustand mehrfach Bezug. Die heftigsten Neuralgien hätten ihn heimgesucht und alles habe ihn, der "damals schwer krank gewesen", irritiert.

Wie ihn sein ehrlicher Wahrheitssinn schnell zu einer Aussöhnung mit Wagner kommen ließ, so hatte er auch das Be-

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dürfnis, sich anderer anzunehmen und für andere einzutreten. Aus irgendeinem Grunde war Thoel, der mittlerweile nach Göttingen übergesiedelt war, zu Wagner in ein Mißverhältnis geraten. Stannius bedauerte es und fügte hinzu: "Ich habe Thoel hier sehr lieb gewonnen, und es hatte sich zwischen uns ein sehr inniges Verhältnis gebildet. Wir sahen uns täglich. Was um so eher geschehen mußte, als auch unsere Frauen vollständig miteinander harmonirten. Hoffentlich werden Ihre Differenzen bald und leicht ausgeglichen sein." Gern hätte Stannius Göttingen besucht, wohin "Sie, Thoel, Baum 41 ), Hansen 42 ), Ribbentropp 43 ) und Andere ihn zogen". Er sah jedoch kaum die Möglichkeit zu einer solchen Reise, "indem ich, wenn überhaupt eine solche möglich sein wird, an eine Seeküste eilen werde, die mir größere Ausbeute verspricht, als unsere verhältnismäßig sehr arme Ostsee".

Eine Hiobspost konnte er sich nicht enthalten am Schluß dem Fachgenossen mitzuteilen, wenn sie auch zunächst an Schrecken verloren hatte. Sie betraf die drohende Schließung der Universität. "Unserer Universität wurde eine Zeit lang mit Aufhebung gedroht. Die Gefahr ist - Dank sei unserem Großherzoge - wenigstens vorläufig vollkommen beseitigt. Die zu Ostern vakant werdende chemische Professur ist denn auch durch Professor Schulz 44 ) aus Greifswald glücklich, und wie ich hoffe, sehr gut wieder besetzt worden. Ich habe harte Kämpfe in dieser Angelegenheit mit unserem Ministerium mit großem Erfolge durchgekämpft, bin aber auch abgespannt und kränkelnd von meiner Mission nach Schwerin zurückgekehrt. Mich greifen dergleichen Dinge immer auch körperlich an." Der Grund, daß Stannius in die Berufung eines Mitgliedes der philosophischen


41) Baum war im Frühjahr 1849 von Greifswald nach Göttingen übergesiedelt.
42) Sollte der Nationalökonom Georg Hanssen, 1809-1894, gemeint sein, der seit 1848 o. Professor in Göttingen war.
43) Georg Julius Ribbentropp, 1798-1874, seit 1832 o. Professor des Römischen Rechts in Göttingen.
44) Franz Ferdinand Schulze (nicht Schulz, wie Stannius schreibt), 1815 in Naumburg geboren, starb als Professor in Rostock schon am 14. April 1873. Ursprünglich der Theologie, dann den Naturwissenschaften, insbesondere der Zoologie zugewandt, wurde er Assistent in Eilhard Mitscherlichs Laboratorium und seit 1837 Lehrer der Chemie und Physik an der Akademie zu Eldena und gleichzeitig Privatdozent in Greifswald. A.D.B. 34, S. 750.
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Fakultät so stark eingriff, dürfte wohl darin gelegen haben, daß er seit dem Sommersemester 1850 die Rektoratsgeschäfte führte. Im Index Lectionum in Academia Rostochiensi ist er erstmalig im Sommersemester 1850 als Rektor geführt. Aber schon am 5. März 1850 berichtete er von den Rektoratsgeschäften, daß sie "ganz ungewöhnlich groß, weitläuftig und zeitraubend" seien. Im Frühjahr 1850 folgte Franz Ferdinand Schulze, der seit 1837 als Privatdozent und bald darnach als außerordentlicher Professor für Chemie und Technologie angestellt war, dem Rufe nach Rostock als ordentlicher Professor für Physik, Chemie und Pharmacie. Demnach muß Stannius schon vor dem Antritt des Rektorats mit der Berufung amtlich zu tun gehabt haben. Sonst hätte er auch nicht ihretwegen in Schwerin sein müssen. Eine Reise dorthin war in jenen Tagen keinenfalls so bequem wie heute, und demnach war seine körperliche Angegriffenheit erklärlich. In demselben Briefe äußert sich Stannius übrigens in höchst charakteristischer Weise über sich selbst: "Ich bin weder rasch in Publicationen, noch sehe ich auf Andere herab oder bin mir der Schwächen meiner nicht bewußt. Der Brief, den ich an die Uebersetzer meiner vergleichenden Anatomie geschrieben, ist beinahe heftig und grob ablehnend, weil ich mich schäme, daß sie 5 Jahre nach ihrem Entstehen in alter Gestalt und mit solchen Lobhudeleien versehen in die Welt tritt. Von demjenigen, was ich entschieden Neues geliefert, mag ich allerdings gerne, daß es als solches anerkannt und nicht umgangen werde, oder so angeführt, als fände ein blindes Huhn auch einmal eine Erbse. Ich könnte Ihnen Beispiele von unverdientem Lobe, wie auch von unverdientem Tadel und Aehnlichem genug aufweisen. Sie werden mir indessen schwerlich nachweisen können, daß ich in öffentliches Gezänke solcher Art mich je eingelassen habe. Manchmal ärgere ich mich aber wirklich über Angaben, die mir aus der Luft gegriffen scheinen, wie sie z. B. in den Arbeiten von Valentin 45 ), Budge 46 ),


45) Gabriel Gustav Valentin, 1810-1883. Professor der Physiologie in Bern seit 1836, wo er 45 Jahre segensreich als Forscher und Lehrer wirkte.
46) Ludwig Julius Budge, 1811-1888. Seit 1842 Privatdozent in Bonn für Anatomie und Physiologie, seit 1847 daselbst Extraordinarius. A.D.B. 47, S. 337.
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Harleß 47 ), meiner auf wiederholte Prüfungen sich stützenden Ansicht nach, genug vorkommen. Ich habe in meinen Tagebüchern Material genug, um gegen gewisse Versuche von Valentin und Budge, wie gegen andere von Harleß, ganz umfassende Aufsätze zu schreiben. Aber was wäre im Grund damit genützt?"

Für seine Studien fand Stannius nicht immer den geeignetsten Boden. Am 26. März 1850 beklagt er, sich kein ausreichendes Material verschaffen zu können, und entschuldigt sich bei Wagner, ihm nichts Reiferes und Abgeschlossenes auf neurologischem Gebiete überweisen zu können. "Leider bin ich auch nicht um einen Schritt weiter gelangt, als ich es bereits im Mai vorigen Jahres war. Der Grund davon ist einfach folgender: im Winter hatte ich wenig Neigung, die begonnenen Untersuchungen fortzusetzen, und jetzt, wo es seit Wochen weder an Zeit noch an Lust gebricht, mangelt es an allem geeigneten Materiale. Nur in den 3 Frühlingsmonaten April, Mai und Juni kann ich zu solchen Fischen gelangen, die mir besonders geeignet zu dergleichen Arbeiten erscheinen. Wenn ich auch jetzt täglich auf den Markt schicke, erhalte ich nichts, was mir brauchbar wäre; immer erfolgt die Antwort: der Wasserstand sei zu hoch, an den Küsten werde nicht gefischt, weil Alles mit Ausrüstung der Seeschiffe beschäftigt sei, und jetzt, wo die Warnow mit dünnem Eise belegt ist, ist sogar die Communication mit Warnemünde gehemmt. Die Zeit des Ueberflusses wird bald genug kommen, vielleicht aber erst dann, wenn Vorlesungen und Sitzungen wieder begonnen haben, denn unsere Ferien sind jetzt den Ihrigen ganz conform. So muß ich mich schon gedulden, so gerne ich immer wieder an die Arbeit ginge." Und 5 Tage später, am 31. März 1850, drückt ihn wieder die Enge der kleinen Hochschule. Er hat keinen guten Zeichner zur Verfügung. Dankbar erkennt er an, daß seine Frau 48 ) ihm hilft, aber sie vermag es nicht bei mikroskopischen Objekten, zumal seine eigenen Skizzen allzu


47) Kann Johann Christian Friedrich Harleß, 1773-1853, gemeint sein? Seit 1818 Professor der Medizin in Bonn und viel beschäftigter Arzt. Sein "Versuch einer vollständigen Geschichte der Hirn- und Nervenlehre" erschien deutsch 1801. A.D.B. S.10, S. 605.
48) Frau Berta Stannius, geb. Fromm, starb 7. Mai 1905 im 87. Lebensjahre.
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dürftig seien. "Dann kann ich auch zu wenig frei über meine Zeit disponieren, um zu einem bestimmten Termine eine größere Arbeit zu liefern. Ich muß immer auf alle möglichen Störungen gefaßt sein, und auf Hülfe kann ich von keiner Seite her rechnen. Ich habe keinen Prosector, keinen Assistenten, nicht einmal einen für gröbere Arbeiten brauchbaren Aufwärter, und nur selten findet sich ein Studirender, der ein halbes Interesse für Zootomie und Physiologie hätte. Das sind die Nachtseiten der kleinsten deutschen Universität! Es hat lange innere Kämpfe gekostet, bis ich die gehörige Resignation gefunden und über all den Schattenseiten auch manche Lichtseiten des Hierseyns erkannt und mich mit ihnen befreundet habe. Infandum regis jubes renovare dolorem!"

Bei alledem hing er an der Hochschule, deren Gedeihen seine ganze Kraft und Liebe gewidmet war. Es klingt wie ein Triumphschrei, als er 26. März 1850 schreibt: "Unsere Universität, deren Fortbestand zweifelhaft war, ist gerettet. Ich habe ein Paar Reisen nach Schwerin nicht scheuen dürfen, und gewisse Pläne sind als gescheitert zu betrachten. In wenigen Tagen erwarten wir zwei neue Professoren, den Juristen Budde 49 ) aus Halle und den Chemikar Schultze aus Greifswald. Auf letzteren freue ich mich besonders. Sein Vorgänger Blücher 50 ) war ein vortrefflicher Mensch und College, aber zu sehr mit seinem großen Gute beschäftigt, als daß er anderen Interessen sich hätte zuwenden können. Es ist wieder eine juristische Professur vakant. Würde Ihr Zachariae 51 ) zu haben sein? Würde er allzu hohe Bedingungen aufstellen? Er soll in Hannover nicht besonders angesehen sein. Bitte lassen Sie diese Angelegenheit aber vorläufig ganz unter uns. Würde Zachariae wirklich zu kommen geneigt sein, so könnte ich jetzt sehr thätig dafür sein."


49) Johann Friedrich B., erscheint erstmalig im Index lectionum f. d. S.-S. 1850.
50) Hans Helmuth Friedrich v. B., 1805-1862. Von 1831 bis 1850 Professor der Chemie und Pharmazie in Rostock; dann Gutsbesitzer von Wasdow.
51) Heinrich Albert Zachariae, 1806-1875. Seit 1842 o. Professor des Staatsrechts und Kriminalprozesses in Göttingen. A.D.B. 44, S. 617.
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Die zeitlich nun folgenden Briefe sind rein fachwissenschaftlicher Natur. Am 13. Mai 1850 heißt es: "Ich habe jetzt vollauf zu thun, da es an Fischen nicht mangelt. Diese Zeit muß benutzt werden, denn sie ist leider von kurzer Dauer. Fast war ich entschlossen, Sie zu Pfingsten zu besuchen. Ein Schwager Thoel's hatte mich dringend gebeten, mit ihm unsern schreibfaulen Freund zu überraschen, und ich hatte schon zugesagt, als ein Besuch, der sich mir ankündigte, den Plan vereitelte."

Im Herbst kam es doch zu einer Erholung. Die Reise führte auch nach Göttingen, wo ihm viele Beweise entgegenkommender Güte von Rudolf Wagner und seiner Frau zuteil wurden. Dafür dankte er am 4. Oktober desselben Jahres in einem Briefe, der deswegen besonders anziehend ist, weil er über seine Wünsche und Hoffnungen sich äußert. Es scheint, als ob Wagner ihm einige Aussicht zu einer Professur in Göttingen eröffnete. Vielleicht war damals davon die Rede, daß Wagner nach München berufen werden sollte. Denn für ihn und Stannius gleichzeitig war kaum die Möglichkeit gegeben. "So wäre ich denn heimgekehrt in mein stilles Rostock", schreibt er am genannten Tage, "und bewege mich wieder in den gewohnten Verhältnissen. Die Reise hat einen äußerst wohlthuenden Eindruck auf mich gemacht und hätte nur freundliche Erinnerungen mir hinterlassen, wäre sie nicht zuletzt noch durch den Unfall meines Hermann 52 ) etwas getrübt worden. Der arme Junge hat sich den Fuß verstaucht und muß noch immer ruhen. Indessen gehts heute schon bedeutend besser. - So viele deutsche Universitäten ich bis jetzt auch näher kennen gelernt habe, - nirgends haben mich alle Verhältnisse so angesprochen als in Ihrem freundlichen Göttingen. Ich wiederhole Ihnen, was ich bereits früher ausgesprochen, Ihre Universität hat, meiner vollsten Überzeugung nach, eine reiche schöne Zukunft zu erwarten. Sie wird, sie muß mehr noch erlangen, als sie jemals hatte. Wie ganz anders bei Ihnen, als auf den preußischen Universitäten, als in Heidel-


52) Der älteste, 1842 geborene Sohn, der nach vollendetem juristischem Studium sich der Konsulatslaufbahn zuwandte und längere Zeit Generalkonsul des Deutschen Reichs in Smyrna war. Er starb 1912. Rostocker Anzeiger vom 25. September 1912. Willgeroth, S. 256.
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berg, als in Würzburg und München. Sie haben die tüchtigsten Lehrkräfte, die nicht durch anderweitige Ansprüche zersplittert werden, die nicht auf die Bahnen falschen Ehrgeizes abgelenkt werden, die allein auf Lehre und Wissenschaft sich concentriren. Sie besitzen wissenschaftliche Anstalten, zum Theil großartig, zum Theil ausreichend für Unterricht wie für eigene Forschungen. Ihre Universität behauptet dem Ministerium wie dem Lande gegenüber eine würdige Stellung. Das Alles ist ausreichend, Ihnen Ihren Rang anzuweisen, und, wie die deutschen Verhältnisse liegen, Sie werden ihn unbestritten behaupten. Daß bei solchen Eindrücken unsere letzte Unterredung zehnmal und hundertmal schon in meinem Kopfe sich wiederholt hat, daß manches Ihrer Worte hin und her gedeutet ist, werden Sie begreiflich finden. Aber selbst auf die Gefahr hin, sie falsch verstanden, irrig gedeutet zu haben, wiederhole ich Ihnen, daß ich mich äußerst glücklich schätzen würde, in Ihrem Kreise zu wirken, daß ich gewisse Opfer, die ein Verlassen und Aufgeben meiner gegenwärtigen Verhältnisse nothwendig nach sich ziehen müßte, nicht scheuen würde, falls es mir vergönnt sein könnte, Ihnen anzugehören. Sie werden mich nicht mißverstehen; es sind nicht äußere Verhältnisse, die mich locken; es ist das Verlangen, einer Universität im eigentlichsten Sinne des Wortes eingegliedert dort zu werden."

Leider mußte dieser Wunsch unerfüllt bleiben. Wagner kam nicht nach München und die Stelle des vergleichenden Anatomen und Zoologen wurde anders besetzt. Offenbar kam es Stannius damals nicht darauf an, Rostock verlassen zu können, weil es ihm dort nicht behagte. Vielmehr blieb er der Hochschule, die ihn aus seiner anstrengenden praktischen Tätigkeit für die Wissenschaft gewonnen hatte, dankbar verpflichtet und unterließ nichts, was ihm in seiner Lage möglich war, namentlich in der Zeit seines Rektorats, zu ihrer Hebung beizutragen. Das Schicksal der Universität lag ihm immer am Herzen. Aber die Begrenzung der Möglichkeit zu wissenschaftlicher Betätigung erlaubte ihm nicht, seine Fittige so zu entfalten, wie er es sich wünschte. Das Ministerium mußte mit den knappen zur Verfügung stehenden Mitteln haushalten. Erst sehr viel später, als die Stände die Bedeutung der Universität für das ganze Land richtiger würdigen lernten, entschlossen sie sich, den landesherrlichen Mitteln entgegenzukom-

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men und sie durch ihre finanzielle Mithilfe zu verstärken. Dadurch wurde ein Aufschwung des medizinischen Unterrichts möglich in neu errichteten schönen Kliniken, die Stannius seiner Zeit vermißte. 53 ) Daß Stannius nicht um jeden Preis Rostock aufzugeben geneigt war, beweist sein Brief vom 5. Novbr. 1850 als Antwort auf eine Aussicht, nach Breslau berufen zu werden, die ihm Rudolf Wagner erschlossen hatte. Göttingen blieb sein Ideal. Die Hoffnung auf Breslau beglückte ihn nicht, und die Zumutung, sich um die dortige Professur zu bewerben, wies er weit von sich. "Ihr letzter Brief hat gewisse Hoffnungen, welche zu nähren ich anfing, verscheucht. Gerade die mögliche Aussicht, der vergleichenden Anatomie, in Verbindung mit Zoologie, ausschließlich mich widmen zu können, gerade der Wunsch, es in Göttingen zu können, waren es, die mich hoben, aufregten und zu jenem Briefe vermochten. Ich dachte es mir schön, an einer Universität, wie Göttingen, zu wirken, wo so viele edle Kräfte versammelt sind. Sie eröffnen eine entfernte Aussicht auf Breslau; Sie ermuntern zu direkten Schritten. Nach reiflicher Überlegung werde ich dies keinenfalls thun. Bewirbt man sich um eine solche Stelle, so muß man, meiner Ansicht nach, die feste Absicht haben, sie eventuell zu übernehmen. Und ob ich das in Breslau dürfte, weiß ich nicht. Die zu bringenden Opfer müßten immer sehr groß sein, und solche Opfer bringt man nur gegen andere erhebliche Vortheile. Zu solchen würde ich zählen: die durch ausgezeichnete Collegen zu erwartende Anregung, die Anwesenheit jüngerer wissenschaftlich strebender Docenten, eine größere Anzahl befähigter und eifriger Studirender; große wissenschaftliche Hülfsmittel, einen angenehmen Aufenthaltsort. Inwiefern das Alles in Breslau sich finden würde, darüber bin ich zweifelhaft, und eben deshalb verhalte ich mich so stille, daß ich einen Brief, den ich in anderen Angelegenheiten an Siebold geschrieben haben würde, ungeschrieben lasse. Kömmt ohne meine directe oder indirecte Theilnahme eine Vocation, so wird mir das jedenfalls erfreulich sein, mag ich sie annehmen oder ablehnen, worüber ich mir augenblicklich selbst keinerlei Rechenschaft zu geben ver-


53) Richard N. Wegner, Zur Geschichte der anatomischen Forschung an der Universität Rostock, Wiesbaden 1917, S. 139 ff. Auch unter dem Titel: Merkel und Bonnet, Anatomische Hefte, 165. Heft.
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mag. Wenn eine Aufhebung unserer Universität wirklich in Aussicht stände, dann würde ich nicht schwanken." Bei alledem darf man nicht vergessen, daß die Zeit seines Rostocker Aufenthalts eine in wissenschaftlicher Hinsicht außerordentlich fruchtbare war, es ihm also durchaus gelang, trotz entgegenstehender Schwierigkeiten allgemein anerkannte Leistungen zu schaffen. Sein "Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere" wurde in Rostock fertig (1846 in Berlin gedruckt), und das Aufsehen erregende "peripherische Nervensystem der Fische, anatomisch und physiologisch untersucht," erschien 1849 54 ).

War er mithin durchaus nicht geneigt, unter allen Umständen Rostock zu verlassen, wo er nunmehr bereits 16 Jahre tätig war, so war er gleichwohl nie völlig ausgesöhnt mit den Zuständen. Es beunruhigte ihn das Cliquenwesen unter den Kollegen, das kein rechtes Behagen aufkommen ließ. Am 25. Januar 1851 erkundigt er sich nach dem Wohlergehen und den Arbeiten, mit denen Wagner augenblicklich beschäftigt sei, und fährt dann fort: "Ich meinersseits habe nur bis gegen Anfang December sie (sc. die Arbeiten) observiren können; von da an sind Zeit und Kräfte durch so mannichfache geschäftliche Arbeiten in Anspruch genommen, daß ich mich seit einigen Tagen völlig erschöpft fühle. Ich fühle mich nicht leicht durch eine Geschäftslast gebeugt und gedrückt, wenigstens nicht, so lange ich mir von ihrer Übernahme ersprießliche Folgen versprechen kann; wenn sie aber durch Parteiumtriebe unnütz vergrößert wird, so wird sie mir widerlich, und dies Stadium ist da oder steht wenigstens, allem Anscheine nach, nahe bevor. Die divergirenden Richtungen, welche im Großen unser Vaterland zu zersplittern drohten und noch drohen, geben in engeren Kreisen sich auch kund." In dieser Beziehung hatte schon Georg Beseler, der von 1837-41 in Rostock eine Professur bekleidete, zu klagen gehabt. Er schreibt in seinen Erinnerungen 55 ), daß er, obwohl seine Frau einer in Mecklenburg sehr angesehenen und verbreiteten Familie angehörte, doch nicht recht warm im Lande geworden sei. Die Schuld daran schob er dem engen Partikularismus, der sich


54) Nachweis seiner sämtlichen Veröffentlichungen bei A. Blanck-Wilhelmi, Nr.551, und bei Wegner, a.a.O., S. 129.
55) Erlebtes und Erstrebtes, 1884, S. 38.
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allenthalben breit mache, und den Zerwürfnissen und Parteiungen an der Universität zu. Daran mochte sich in dem Jahrzehnt, seit Beseler Rostock verlassen hatte, nicht viel geändert haben.

Es scheint mir, daß bei den mitunter hart ausfallenden Urteilen über die Landesuniversität wohl auch der Kränklichkeit von Stannius Rechnung getragen werden muß. Als geborener Hamburger hätte ihm das Klima nichts anhaben sollen, aber wenn er manchesmal Personen und Dinge zu scharf ansah. so warf wahrscheinlich seine spätere Krankheit ihre Schatten voraus. Jedenfalls war er im Frühjahr 1851 wieder krank. "Ein heftiger Anfall von Grippe hatte mich sehr mitgenommen; eine Unvorsichtigkeit bei einer sehr starken Blutentziehung hätte sehr böse Folgen haben können; eine hartnäckige Augenentzündung ist es aber, die mich noch immer von aller Thätigkeit zurückhält und, allem Anscheine nach, noch längere Zeit zu halber Unthätigkeit zwingen wird. Die laufenden Geschäfte absolviren, herumschlendern, meinen Hermann unterrichten, - das ist Alles, was ich mir gestatten darf. An wissenschaftliches Arbeiten ist nicht zu denken, und mein Programm wird ungeschrieben bleiben. Schöne Aussichten für einen Sommer, in dem ich recht eifrig zu arbeiten dachte! Ich werde mich nun auf meine Vorlesungen zu beschränken haben, für die eine größere Anzahl von Zuhörern als in den letzten Jahren sich einzufinden scheint."

Einen damals, wie es scheint, verbreiteten Mißstand an deutschen Universitäten berührt er am Schluß mit kurzen Worten, die zugleich seine ehrenhafte und redliche Gesinnung bekunden, die jeden Umweg, auf dem man zu einer Professur gelangen könnte, verabscheut. "Ihre Meldungs-Nachrichten für die Langenbecksche Stelle 56 ) haben mich sehr unangenehm


56) Konrad Johann Martin Langenbeck, 1776-1851, war seit 1814 o. Professor der Anatomie und Chirurgie in Göttingen. Im Jahre 1848 mußte er auf Wunsch der Regierung seine Stellung als Lehrer der Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Klinik aufgeben und wurde auf die anatomische Professur beschränkt. Obwohl er im 72. Lebensjahre stand, besaß er eine solche Rüstigkeit des Körpers und Frische des Geistes, daß er den Verzicht bitter empfand. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Baum aus Greifswald. A.D.B. 17, S. 667; 46, S. 251.
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berührt. Ich hasse dies Meldungs-System, das immer mehr überhand zu nehmen scheint. An die Greifswalder Facultät sind, wie ich höre, nicht weniger als 14 Gesuche der Art betreffend die Hornschuch'sche Professur eingegangen. Ein Professor muß sich rufen lassen, muß gewünscht werden; sonst bekömmt er meist eine schiefe Stellung. Und was kömmt bei solchen Meldungen heraus? Die tüchtigsten Männer werden unter nichtigen Vorwänden allenfalls perhorrescirt. So ist es z. B. Rathke 57 ) in Bonn gegangen, wo Troschel 58 ) ihm vorgezogen ward; so früher schon Baer 59 ) in Halle, der d'Alton 60 ) nachstehen mußte." Die trübe Stimmung, die Stannius heimsuchte, wollte nicht mehr weichen. Im Herbste war er auf einer Versammlung in Berlin gewesen, wo er mit Rud. Wagner zusammengetroffen war. Darauf hin schrieb er am 10. November 1851: "In Berlin konnte ich Ihnen am letzten Abende nicht mehr Lebewohl sagen, was mir sehr leid that; ich war müde und abgespannt und mußte das Bett suchen. Unterwegs hierher hatte ich noch die große Freude, Thöls auf einige Augenblicke zu begrüßen. Es ist außerordentlich wohlthuend, die alten Freunde, wenn auch nur auf Momente, wiederzusehen. Hier bin ich isolirter als je, und werde es fast vollständig sein, wenn Leist's 61 ), dem ein Ruf nach Tübingen drohen soll, uns verließen. Ich lese diesen Winter wenig; nur vergleichende Anatomie und Histologie. Da bleibt mir Zeit zu Arbeiten und ich benutze sie."

Aus den Jahren 1852 und 1853 liegt nur je ein Brief vor. Das Schreiben vom 9. Januar 1852 enthält die Klage, daß er sich körperlich und geistig abgespannt fühle, "wie mich schon


57) Martin Heinrich Rathke, 1793-1860, Anatom und Embryolog. A.D.B. 27, S. 352.
58) Franz Hermann Troschel wurde 1844 Privatdozent in Berlin nud 1847 in Bonn a.o. Professor, am 8. April 1881 daselbst Ordinarius.
59) Karl Ernst v. Baer, 1792-1876, berühmter Naturforscher. A.D.B. 46, S. 207.
60) Eduard d'Alton, 1803-1854.
61) Burkhard Wilhelm Leist, 1819-1906; 1842 Privatdozent in Göttingen, 1846 a.o. Professor daselbst, 1847 o. Professor in Rostock, 1853 nach Jena. J. Bekker, B. W. Leist und seine Äqualen, in Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Rom. Abt. 28. Stintzing-Landsberg, Geschichte der Jurisprudenz 3, 2, S. 350.
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Frau Thöl hier sah und ich es täglich mehr werde." Im übrigen ist weder in diesem, noch in dem Briefe aus dem folgenden Jahr eine Bemerkung über Rostock gemacht. Dann kommt am 9. Januar 1854 ein Seufzer über seine Zurückgezogenheit in Rostock. Er übersendet Wagner eine neue Arbeit und bittet um nachsichtige Beurteilung, die gewiß nicht nötig war. Er meint jedoch: "in der ultima Thule wird es Einem schwer, den in den Capitalen der Wissenschaft Thronenden genug zu thun, und doch geräth ein Strebender gar leicht in die Versuchung, von Zeit zu Zeit zu dokumentiren, daß er des Fortschritts sich befleißigt; ob er dabei auf rechtem Wege sich befindet oder in Holzwege sich hat ablenken lassen, darüber erwartet er den Ausspruch Anderer." Im übrigen lebte er damals in entsetzlicher Spannung und Unruhe. Sein Sohn war an einem Darmleiden erkrankt, und er fürchtete für sein Leben. Die Sorge um das Kind dauerte einige Zeit, und er gab ihr erneut in einem undatierten Briefe, der wohl noch aus dem Anfang Januar 1854 stammt, rührenden Ausdruck. Eben dieser Brief ist von anerkennender warmer Dankbarkeit der Hochschule gegenüber, an der er seinen wissenschaftlichen Ruf begründet hatte, wenn er auch nicht frei von schmerzlich berührenden Eingeständnissen ist. "Eine andere Sorge neben dieser um meinen Sohn habe ich nicht. Seit ich die Erfahrung gemacht, daß eine Theilnahme an wissenschaftlichen Untersuchungen von solchen, bei denen sie vorausgesetzt werden dürfte, versagt werden kann, bin ich hier ganz zufrieden und beruhigt, und so war z. B. meine Stimmung auch während der Paar Tage, die ich im vorigen Herbste in Göttingen verbrachte. Thöls und Leists versicherten, mich nie ruhiger, zufriedener und heiterer gesehen zu haben. Sie wissen, ich habe mich oft fortgesehnt von hier; dabei war und blieb das wesentlichste Motiv immer das eine: aus meiner wissenschaftlichen Isolirung herauszukommen, meine Untersuchungen Anderen demonstriren, Urtheile Anderer darüber unmittelbar entgegennehmen zu können, an wissenschaftlichem Material und Umgang keinen Mangel zu leiden. Daneben tauchte dann auch der Wunsch auf nach einem größeren Auditorium, denn als Lehrer blos von zweien oder dreien zu wirken, ist nicht angenehm. Mit Ausnahme dieser Punkte bin ich hier zufrieden; eine im ganzen nicht bureaukratische Regierung, ein tüchtiger braver Men-

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schenschlag, Umgangsverhältnisse mannichfacher Art, Freunde in weiten Kreisen und wenn auch weniger nahestehende in der eigenen Facultät, so doch sehr eng verbundene aus anderen Facultäten, dabei eine mäßige, aber vor Sorgen schützende Einnahme. Erwäge ich diese, durch langjährige Erfahrung erprobten Vorzüge und daneben die Ungewißheit, ob ich an einer größeren Universität die gewünschte Theilnahme Anderer an meinen wissenschaftlichen Bestrebungen wirklich finden würde, so stellt sich nothwendig ein Gefühl der relativen Zufriedenheit heraus, und das hat mich, abgesehen von dem entsetzlichen Unglück, das mich getroffen, nicht verlassen. Mit Ausnahme der letzten Monate habe ich über Jahr und Tag gearbeitet mit soviel Lust und Liebe, wie nie zuvor, habe, mit Ausnahme der Vorlesungen und Sitzungen, die Stadt Rostock kaum betreten, in meinem Garten mit meinen Kindern und einigen Freunden die nicht der Arbeit gewidmete Zeit verbringend. Die Liebe zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen und, wie ich hoffe, auch die Pietät gegen die Natur hat zugenommen. Da ich einmal zu einer neuen Ausgabe meines Handbuches mich hatte entschließen müssen, war ich genöthigt, Vieles im Zusammenhang durchzuarbeiten, und das ist immer fruchtbar, wenn auch, bei minder interessanten Abschnitten, beschwerlich. Das Arbeiten ist meine Freude; liegt mein Machwerk fertig da, dann verwünsche ich es, und es ist nicht meine Schuld, daß meine beiden letzten Publicationen ausgegeben sind; ohne einen nicht abgegebenen Brief wäre die erste nie erschienen, und in betreff des Handbuches müssen Berliner Gönner thätig gewesen sein, denn noch Mitte December schrieb ich den Verlegern unter Anbietung vollen Ersatzes für die Druckkosten etc. auf eine Weise, daß ich alles eher als eine sehr artige Antwort und Einsendung der Freiexemplare erwartet hätte. Mein Unmuth und meine Unzufriedenheit mit dem Handbuche sind durch einen äußerst freundlichen Brief J. Müller's 62 ) gewichen, der schon die Aushängebogen eingesehen hatte.


62) Johannes Müller, 1801-1858, der große Anatom und Physiolog, Professor in Berlin. Von dem durch v. Siebold und Stannius in Angriff genommenen Handbuch der Zootomie erschien der von Stannius bearbeitete Teil, Handbuch der Wirbeltiere, in 2. Auflage 1854 und das dazu gehörende 2. Buch, Zootomie der Amphibien,
(  ...  )
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Was speciell Breslau anbetrifft, so will ich nicht läugnen, daß es mir lieb gewesen wäre, wenn man mich gerufen hätte. Unter günstigen Anerbietungen wäre ich auch wahrscheinlich hingegangen. Aber ich bin ja nicht einmal vorgeschlagen, und doch haben sich angeblich so Viele für meine Berufung interessirt. Nun auch Frerichs! 63 )

Deutschland hat eine Universität und die heißt Göttingen. Das ist mein alter Satz, von dem ich nicht weiche; nicht daß ich persönliche Wünsche mehr hätte oder hoffte oder gar beneidete. Sie wissen: die Sterne, die begehrt man nicht, man freut sich ihrer Pracht."

Diesem Briefe ist noch einer, vom 26. Oktober 1854, gefolgt, der indes, lediglich fachwissenschaftlichen Inhalts, für weitere Kreise kein Interesse bietet. Wie es gekommen sein mag, daß der Briefwechsel aufhörte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Briefnachlaß und die Tagebücher von Hermann Stannius, die er einmal erwähnt, die vielleicht Aufschluß geben würden, haben sich nicht erhalten. Wahrscheinlich ist der Grund in der zunehmenden Kränklichkeit zu suchen. Sie wurde Veranlassung, daß am 2. Oktober 1852, nach Quittenbaum's Tode am 14. August 1852, Professor Bergmann 64 ) aus Göttingen als ordentlicher Professor der Anatomie nach Rostock berufen werden mußte. Ihm fiel 1863 die Vertretung der Physiologie zu.

Im Herbste 1861 fühlte der oft kränkelnde Mann sich wieder einmal behaglich. In einem durch seinen Zustand kaum gerechtfertigten Vorgefühl eines nahenden Todes schrieb er


(  ...  ) ebenfalls in 2. Auflage 1856. Die 2. Auflage des Handbuches der Wirbeltiere erschien Berlin 1854. In dem Vorwort, das aus Rostock von Ende Juli 1853 datiert ist, wünscht er sich für die neue Bearbeitung eine ähnliche Nachsicht, wie sie der ersten Auflage zuteil geworden wäre. Der zweite Abschnitt, Zootomie der Amphibien, erschien in 2. Auflage 1856 mit einer von Ostern 1856 datierten Widmung.
63) Friedrich Theodor v. Frerichs, 1819-1885. Seit 1852 o. Professor der Medizin in Breslau, seit 1859 in Berlin. A.D.B. 21, S. 782.
64) Carl Bergmann, 1814-1865. Seit 1843 Extraordinarius in Göttingen, seit 2. Oktober 1852 in Rostock. M. Braun, Zoologie usw., S.36 Anm. 1. - Blanck-Wilhelmi, Nr. 613. - R. N. Wegner. a. a. O., S. 130.
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auf einem Zettel eine "Disposition für den Fall meines baldigen Ablebens". Das eigenhändig geschriebene und "H. Stannius Rostock November 1861" unterzeichnete Schriftstück, dem eine eingehendere Ausführung nicht gefolgt zu sein scheint, lautet: "Da ich einen baldigen Tod zu erwarten habe, so bitte ich meine liebe Frau und meine lieben Kinder, mich in liebevollem Andenken zu behalten, meine gute liebe Frau namentlich, manche Schwäche mir zu vergeben und die Überzeugung zu bewahren, daß ich sie als meinen Schutzengel auf meinem Lebenspfade verehrt habe und verehre. Meinem Sohn Hermann empfehle ich Fleiß, Ausdauer und Treue im Kleinen wie im Großen. Was er auch werden möge, er gebe sich dem Berufe mit Liebe und Treue hin.

Meinen geringen Nachlaß mögen Frau und Kinder sich theilen. Vor Allem aber wünsche ich, daß es Hermann während seiner Studienzeit an nichts fehle.

Von meinen Büchern wünsche ich, daß wenigstens die kleinen Schriften und Dissertationen dem zootomischen Institute der Universität als Andenken an mich übergeben werden. Auch anderes Einzelne, das interessiren könnte, stelle ich der Universität zur Disposition."

Dieser kurzen Aufzeichnung sind aus dem Mai 1862 noch folgende Zeilen auf dem gleichen Blatt angereiht: "Meine Papiere wünsche ich vernichtet! Desgleichen meine Briefe; wenigstens soll keinerlei Mißbrauch damit getrieben werden. Auch das Manuscript mit Excerpten aus Göthe."

Dauernd gehörte also sein warmes Interesse der Hochschule, die ihn aus der ihm nicht zusagenden medizinischen Praxis befreit hatte. Ihr vermachte er einen Teil seiner Bücher. Daß er in seinen kargen Mußestunden sich gern in Goethe zu vertiefen pflegte, erfährt man nur aus dem Nachtrage. Gewiß im höchsten Grade bedauerlich, daß auch diese Papiere, seinem Wunsche gemäß, haben vernichtet werden müssen. Über seinen Zustand irrte er sich. Zwar wurde er kränker, aber der Tod kam nicht so schnell. Im Jahresbericht vom 30. Oktober 1862 klagte Stannius über Krankheit, die ihn nötigte, um vorläufige Entbindung von den Vorlesungen über Physiologie zu bitten und einen Teil der Objekte, Instrumente und der Etatssumme an Professor Bergmann abzutreten. Im Sommer 1863 übernahm Bergmann in der Tat

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die Direktion des Instituts, für das er freilich wenig mehr tun konnte, da er selbst krank und längere Zeit von Rostock abwesend sein mußte. Die pathologischen Vorlesungen waren wohl schon durch Ackermann 65 ), der 1856 Privatdozent und seit 24. Mai 1859 außerordentlicher Professor der Medizin in Rostock geworden war, übernommen.

Zehn Jahre nach dem letzten Briefe von Stannius starb Rudolf Wagner in Göttingen. Daß Stannius sein Nachfolger hätte werden können, war bei seinen unterdessen erreichten Lebensjahren ausgeschlossen. Ihn hatte im Jahr vorher der geistige Tod ergriffen, ein schweres Schicksal für den arbeitslustigen und ideenreichen Mann, der in diesem traurigen Zustande noch zwei Jahrzehnte verbringen mußte.

Aus dem Institut für vergleichende und pathologische Anatomie und Physiologie, das Stannius mit so großem Verständnis und warmer Liebe für die von ihm vertretene Wissenschaft schuf und ausbaute, sind später drei Universitätsinstitute geworden. Der pathologische Teil wurde zuerst 1863 abgetrennt und Professor Ackermann übertragen, der bis 1873 die ordentliche Professur der Pathologie verwaltete und der erste Direktor des pathologischen Instituts wurde. Sein Nachfolger war Emil Ponfick, der 1876 nach Göttingen übersiedelte. Das anthropologische und das vergleichend-anatomische Institut wurde nach Bergmann's Tode seit 1865 von Franz Eilhard Schulze verwaltet, der seit 1863 Prosektor am anatomischen Institut und zugleich Konservator am Zoologischen Museum war. Er wurde am 26. August 1865 Professor extraordinarius der vergleichenden Anatomie und Direktor des für den Lehrbetrieb derselben vorgesehenen Instituts (des einst von Stannius begündeten und ausgebauten). Im Jahre 1871 wurde Schulze zum ordentlichen Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie ernannt und damit war die notwendig gewordene Trennung des Lehrgebietes der beiden Schwesterwissenschaften, der menschlichen Anatomie und der vergleichenden Anatomie, durchgeführt. Schulze's Nachfolger wurde 1873 Hermann Grenacher. Die Physiologie wurde dann 1865 von


65) Hans Conrad Carl Theodor Ackermann, 1825-1896. Seit 1865 o. Professor der Medizin in Rostock und seit Michaelis 1873 in Halle. Blanck-Wilhelmi, Nr. 718. Willgeroth, S. 259.
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der vergleichenden Anatomie getrennt und mit der Berufung von Professor Henke auf den Lehrstuhl der Anatomie ein neues Ordinariat für Physiologie in der medizinischen Fakultät errichtet. Die neue Professur erhielt am 21. Juli 1865 Hermann Aubert 66 ).

 

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66) M. Braun, a. a. O., S. 36. R. N. Wegner, a. a. O., S. 135.
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II.

Die Rostocker Stadtverfassung
bis zur Ausbildung der
bürgerlichen Selbstverwaltung
(um 1325)

von

Paul Meyer.

 

Vignette

 

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Die Arbeit ist von der philosophischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen.
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Inhaltsverzeichnis.

I. Kapitel: Die Entwicklung der Stadt Rostock bis zur Entstehung einer Gesamtgemeinde 41
II. Kapitel: Die Verfassung unter vorwiegend landesherrlichem Einfluß 47
a) Die Bewidmung der Stadt mit dem Lübischen Stadtrecht und die Entstehung des Rates 47
b) Grundzüge der Stadtverfassung um 1218 52
1. Die Stellung des Vogtes 52
2. Die Befugnisse des Rates 53
III. Kapitel: Stadt und Landesherr im Kampfe um die Stadtherrschaft 57
a) Erweiterung der Stadtfeldmark und Beseitigung der fürstlichen Burgen 58
b) Erwerbung des Fischerei- und Strandrechtes 60
c) Steuer- und Finanzverwaltung 62
d) Zoll- und Münzwesen 67
e) Geleitsrecht- und Judenregal 71
f) Gerichtswesen 73
IV. Kapitel: Die Verfassung Rostocks seit der Ausbildung der bürgerlichen Selbstverwaltung 77
a) Das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn 78
b) Der Rat als Organ der Selbstverwaltung 81
1. Die soziale Zusammensetzung des Rates 81
2. Das aktive und passive Wahlrecht 93
3. Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratsherren 94
4. Der Kompetenzbereich des Rates 97
5. Ratsdeputationen und städtische Beamte 106
c) Die Gemeinde 112

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Kapitel I.

Die Entwicklung der Stadt Rostock
bis zur Entstehung einer Gesamtgemeinde.

Während die wendische rechts der Warnow gelegene Burg Rostock bereits im Jahre 1160 durch den Chronisten Saxo Grammaticus erwähnt wird 1 ), besitzen wir das erste schriftliche Zeugnis für das Bestehen der deutschen Stadt Rostock erst für das Jahr 1218, als nämlich Fürst Heinrich Borwin I. ihr den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigte 2 ).

Man hat verschiedentlich die Meinung vertreten, daß bereits durch eine Urkunde des Fürsten Niklot aus dem Jahre 1189 die Anfänge einer deutschen Siedlung links der Warnow bezeugt werden, nämlich in der Gegend, wo sich heute die Petrikirche befindet. Diese Ansicht ist jedoch äußerst anfechtbar, und die neueren Forschungsergebnisse haben sie nicht bestätigt. Es handelt sich hierbei um das viel zitierte Privilegium des Slavenfürsten Niklot für das Kloster Doberan, in dem es zum Jahre 1189 heißt: "Concessi insuper eisdem fratribus, quatinus emant vel vendant libere in foro nostro (nämlich Rostock) absque teloneo; homines autem illorum, qui sunt negociatores, pellifices, sutores, mercatores vel aliarum artium, ut habeant necessitatem cotidie vendendi aut emendi, dent ad annum sex denarios, et de cetero absque teloneo negocientur in foro nostro 3 )." Den Klosterbrüdern von Doberan wurde also auf dem Markte des Fürsten Niklot Zollfreiheit im Handel gewährt, desgleichen ihren Leuten, den Krämern, Kürschnern,


1) Ex Saxonis gestis Danorum, ed. 1892 Pertz, M.G., SS. XXIX S. 108.
2) M.U.B. (Mecklenburgisches Urkundenbuch) I Nr. 244.
3) M.U.B. I Nr. 148.
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Schuhmachern, Kaufleuten und anderen Handwerkern, unter der Bedingung, daß sie jährlich 6 Pfennige Zoll zahlten. Die strittige Frage ist die: Ist unter dem "foro nostro" der alte wendische Markt rechts der Warnow zu verstehen oder bereits ein deutscher Markt links der Warnow und damit das spätere deutsche Rostock. Lisch und Mann, welche zum ersten Male gründliche Forschungen hierüber angestellt haben 4 ), sind schon damals zu der Überzeugung gelangt, daß sich dieser Ausdruck keinesfalls auf einen deutschen Markt beziehen könne. Dieselbe Ansicht vertritt K. E. H. Krause in seinem Aufsatz "Rostock im Mittelalter" 5 )5). Demgegenüber hat Herrlich nachzuweisen versucht, daß man es hier bereits mit einem Unternehmen deutschen Charakters zu tun habe 6 ). Diese Meinung vertritt auch Koppmann 7 ), desgleichen, ihm folgend, Schlie 8 ). Jedoch in der neueren Forschung ist man zu der ursprünglichen Auffassung zurückgekehrt, so Hofmeister in seinem Aufsatz: "Zur historischen Topographie Rostocks" 9 ) und vor allem Ludwig Krause in seiner umfangreichen 1925 erschienenen Arbeit: "Zur Rostocker Topographie" 10 ). Die ursprüngliche schon von Lisch und Mann vertretene Meinung erscheint hiernach als die bei weitem wahrscheinlichere.

Unsere Kenntnis von einer deutschen Stadt Rostock beginnt also erst mit dem Jahre 1218. Am 24. Juni d. Jahres beurkundete * ) Heinrich Borwin I., daß er sich mit Zustimmung seiner Söhne Heinrich und Nikolaus entschlossen habe, die


4) Vgl. Lisch und Mann, Beiträge zur älteren Geschichte Rostocks, Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte (im Folgenden zitiert: Jahrbücher) Bd. 21 (1856) S. 3 ff. -
5) Hansische Geschichtsblätter (im Folgenden zitiert: Hans. G.B.), Jahrg. 1884 S. 44
6) Vgl. Herrlich, Geschichte Rostocks im 13. Jahrhundert (bei Schirrmacher, Beiträge zur Gesch. Mecklenburgs Bd. I 1872) S. 4 f.
7) Vgl. Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock (1887) S. 2 und Jahrbücher Bd. 52 S. 186.
8) Vgl. Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Bd. I S. 1.
9) Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock (im Folgenden zitiert: Beiträge) Bd. IV, 4 S. 3.
10) Beiträge Bd. XIII S. 22.
*) Die Echtheit der Urkunde wird von Dr. W. Biereye-Rostock bestritten. Da seine Abhandlung zur Zeit, als Dr. Meyers Arbeit gedruckt wurde, noch nicht veröffentlicht war, ist es nicht möglich gewesen, schon hier zu seinen Ergebnissen Stellung zu nehmen.
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Stadt Rostock auszubauen (Rozstok oppidum delegimus astruendum). Er gewährte den Einwohnern Zollfreiheit in seiner ganzen Herrschaft und bestätigte ihnen den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes 11 ). Man darf die Urkunde nicht in dem Sinne interpretieren, daß man etwa annimmt, Heinrich Borwin habe im Jahre 1218 erst angefangen, die Stadt gewissermaßen aus dem Nichts heraus zu errichten. Eine derartige Annahme wäre nur berechtigt, wenn es im Text der Urkunde nicht "astruendum" sondern "exstruendum" hieße. Das letztere bedeutet "errichten, erbauen", "astruendum" dagegen "ausbauen". Wir haben es nicht mit einer Neugründung, sondern mit dem Ausbau und der Förderung einer schon im Jahre 1218 vorhandenen Siedlung zu tun. Die Worte der zum Jahre 1218 ausgestellten Urkunde: "Lubicensis civitatis juris beneficio habito nunc et habendo stabilientes confirmamus" 12 ) weisen außerdem deutlich daraufhin, daß das Lübische Stadtrecht bereits vor 1218 von den Einwohnern gebraucht wurde, so daß in dieser Zeit eine Gemeinde schon vorhanden gewesen sein muß 13 ). Das Bestehen einer Stadtgemeinde wird schließlich noch dadurch bezeugt, daß in der Zeugenreihe der Urkunde neben einem Priester Stephan 14 ), wahrscheinlich dem an der Petrikirche tätigen Geistlichen 15 ), 10 Ratmänner (consules) von Rostock namentlich aufgeführt werden.

Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, wann und wie die Siedlung und spätere Stadt Rostock entstanden ist, so lassen uns die Quellen hierbei vollständig im Stich. Wir sind deshalb lediglich auf Vermutungen angewiesen. Nach den von Ludwig Krause angestellten Forschungen dürften wir berechtigt sein, die Anfänge des deutschen Rostocks in die letzten Jahre des 12. Jahrhunderts zu verlegen 16 ). Mit der Aus-


11) M.U.B. I Nr. 244. - Die Urkunde ist zitiert Kap. II, S. 47 f.
12) M.U.B. I Nr. 244.
13) Vgl. Herrlich a. a. O. S. 6 Anm. 1.
14) M.U.B. I Nr. 244: "Stephano sacerdote".
15) Der Priester Stephan wird noch in 2 Urkunden vom Jahre 1219 erwähnt, und zwar ausdrücklich mit der Bezeichnung "in" bzw. "de Rodestoc" (M.U.B. I Nr. 254 u. 255). Vgl. Lisch und Mann a. a. O. S. 12 u. Koppmann, Jahrbücher Bd. 52 S. 187.
16) Vgl. zum Folgenden Ludwig Krause a. a. O. S. 26 ff.
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breitung der sächsischen Macht durch Heinrich den Löwen war es damals dem deutschen Handel gelungen, den bis dahin in Mecklenburg überwiegenden nordischen Einfluß allmählich zu verdrängen. Um diese Zeit hatten die deutschen Kaufleute im Rheinland, in Westfalen und an der Elbe bereits mehrfach gemeinsame auswärtige Handelsniederlassungen begründet. Wahrscheinlich sind sie damals auch über Lübeck an die Warnow vorgedrungen, um hier feste Handelsfaktoreien zu begründen und sich dauernd niederzulassen. Das rechts der Warnow gelegene Gelände des wendischen Marktes bei St. Clemens war wegen des naßkalten nebligen Klimas und wegen der häufigen Überschwemmungsgefahr nicht verlockend für eine Ansiedlung. Dagegen bildete das Gelände der heutigen Altstadt Rostock einen weit besser geeigneten Ort für eine Niederlassung. Die Lage dieses Platzes bot neben den natürlichen geographischen Vorzügen noch den Vorteil, daß die Deutschen hier abseits von den Wenden ihre Wohnsitze aufschlagen konnten. So wird hier um 1200 eine Ansiedlung deutscher Kaufleute entstanden sein. War erst einmal durch den deutschen Kaufmann ein fester Grundstock gelegt, so wird es an Nachzüglern aus dem Westen Deutschlands nicht gefehlt haben; denn gerade in jener Zeit, als durch die Befestigung der dänischen Herrschaft in den Ostseeländern eine Pause in den Kämpfen zwischen Deutschen und Wenden eingetreten war, lebte erneut die deutsche Siedlungstätigkeit von Wagrien bis Pommern mächtig auf 17 ). Nachdem die Ansiedler festen Fuß gefaßt hatten, wird sich ihr natürliches Streben darauf gerichtet haben, die nötige Bewegungsfreiheit für eine gedeihliche Weiterentwickelung ihrer Gemeinde zu erlangen, und das gelang ihnen durch das Privileg Borwins vom Jahre 1218, durch welches der Stadt der Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigt wurde.

Infolge der geographisch äußerst günstigen Lage und wohl auch wegen der bedeutenden Vorteile, welche das Lübische Recht den Einwohnern Rostocks gewährte, vergrößerte sich die Stadt sehr schnell. Wenn bisher von der Stadt Rostock die Rede war, so handelte es sich lediglich um die Altstadt mit der Petrikirche. Jedoch schon im Jahre 1252 war aus der kleinen


17) Vgl. Witte, Mecklenburgische Geschichte, Wismar 1925 I S. 120 ff.
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Ansiedlung eine dreigliedrige Stadtgemeinde geworden. Neben der Altstadt waren in rascher Folge zwei neue Stadtgebilde unabhängig von der ersten Gründung entstanden, und zwar die Mittelstadt mit der Marienkirche und die Neustadt mit der Jakobikirche 18 ). Die Marienkirche wird urkundlich zuerst 1232 erwähnt 19 ); sie muß aber schon 1 Jahr früher bestanden haben, denn in der Zeugenreihe einer Urkunde vom Jahre 1231 werden zwei Rostocker Pfarrer genannt 20 ), von denen der eine wahrscheinlich sein Amt in der Marienkirche ausübte 21 ). Im Jahre 1252 wird dann neben den Geistlichen von St. Petri und St. Marien auch ein Pfarrer von St. Jakobi genannt 22 ), ein Beweis, daß damals auch schon die Jakobistadt - das ist die dritte Gemeinde - bestand. Im Jahre 1252 führen demnach drei Einzelgemeinden nebeneinander je ein gesondertes Dasein. Die einzelnen Städte bildeten nicht nur getrennte Pfarrgemeinden, sondern auch die innere Verwaltung wurde gesondert durchgeführt.

Die neu entstandene Jakobistadt aber konnte den beiden übrigen Städten, besonders der nunmehr zwischen Alt- und Neustadt eingeschlossenen Mittelstadt sehr gefährlich werden. Sie konnte ihren Schwesterstädten infolge ihrer günstigen Lage den gesamten Landverkehr nach Westen hin, wenn auch nicht ganz abschneiden, so doch wesentlich behindern und erschweren. Vielleicht setzten auch aus diesem Grunde Verhandlungen ein, mit dem Ziel, eine Vereinigung der Einzelgemeinden zu vollziehen. Fürst Borwin III. gab bereits im Jahre 1262 im Ein-


18) Diese Art der Stadterweiterung durch Gründung einer Schwesterstadt neben der alten Ansiedlung war ein damals vielfach üblicher Brauch. So entstand in Brandenburg, Quedlinburg, Hildesheim, Herford und zahlreichen anderen Städten neben der Altstadt eine Neustadt. An der Spree lagen sich die Schwesterstädte Berlin und Köln als selbständige Gemeinwesen gegenüber und in Braunschweig wurde die herzogliche Burg sogar von fünf Weichbildern umschlossen. - Vgl. S. Rietschel, die Städtepolitik Heinrichs des Löwen, Histor. Zeitschrift Bd. CII, S. 254 ff.
19) M.U.B. I Nr. 318: "in S. Marienkirchen zu Rostogh".
20) M.U.B. I Nr. 391: "Walterus, Gerhardus plebani de Roztoc."
21) Die Auffassung von Lisch und Mann, wonach der eine der Pfarrer der Nikolaikirche zuzuweisen ist (Lisch u. Mann a. a. O. S. 15), kann nicht aufrecht erhalten werden. Vgl. hierüber Hofmeister a. a. O. S. 10 und Ludwig Krause a. a. O. S. 30.
22) M.U.B. II Nr. 686: "Johannes de sancto Petro, prepositus Amilius de sancta Maria, Heinricus de sancto Jacobo."
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verständnis mit den Fürsten Nikolaus von Werle und Heinrich von Mecklenburg seine Genehmigung zum Zusammenschluß der einzelnen Städte. In der hierüber ausgestellten Urkunde heißt es: "statuimus et dedimus, ut unum consilium sit tocius civitatis et iudicium, quod prius erat in duo divisum" 23 ). Der tatsächliche Zusammenschluß ließ indessen noch einige Jahre auf sich warten, wahrscheinlich, weil man sich über die Art und Weise der praktischen Durchführung nicht so schnell verständigen konnte. Vielleicht hat der im Jahre 1264 stattgefundene Brand Rostocks 24 ) den Gang der Verhandlungen beschleunigt, denn am 29. Juni 1265 einigten sich die Gemeinden in der Form, daß Gericht und Rat von ganz Rostock nach dem Markte der Mittelstadt verlegt werden sollten 25).

Unter den Zeugen dieser Einigungsurkunde wird außer den Geistlichen von St. Petri, St. Marien und St. Jakobi auch ein Pfarrer non St. Nikolai erwähnt 26 ), so daß damals auch die Nikolaigemeinde schon ein Bestandteil der Gesamtstadt gewesen sein muß. Die Nikolaigemeinde wird zum ersten Male 1257 erwähnt 27 ). Wann und wie diese Siedlung entstanden ist, wissen wir nicht, doch dürfte es sich hierbei wohl nicht um eine ursprünglich deutsche, sondern um eine wendische Siedlung handeln, die später in der deutschen Stadt aufgegangen ist 28 ).

Es ist nun merkwürdig, daß in den uns erhaltenen Urkunden, die Rostock vor 1265 erteilt worden sind, nirgends die Rede ist non den Einzelstädten, sondern immer nur von der Stadt Rostock, mit Ausnahme der Urkunde vom Jahre 1262.


23) M.U.B. II Nr. 959. - Da nach dem Wortlaut der Urkunde nur 2 getrennte Verwaltungsorgane bzw. 2 Gerichte vorhanden waren, müssen wir annehmen, daß die Jakobistadt es bis zu dieser Zeit noch nicht zu einer organisierten Verwaltung gebracht hatte.
24) Eine Urkunde vom 12. Oktober 1264 beginnt mit den Worten: "Cum igitur dilectos burgenses civitatis nostre Roztoe afflictos incendio graviter videremus" ..... (M.U.B. II Nr. 1021).
26) "dominus Ludowicus de sancto Nycolao."
27) Stadtbuch, Fragment I, 2 (an späteren Stellen zitiert: St.-B.-Fragm.), gedruckt Beiträge Bd. III, 1 S. 3.
28) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 29 f.
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Ebenso ist bei den angeführten Ratsmitgliedern nie ersichtlich, im Namen welcher Einzelstadt sie handeln. Diese Tatsache legt die Vermutung nahe, daß die einzelnen Gemeinden auch schon vor ihrer Vereinigung nach außen als ein geschlossenes Ganzes auftraten. Hierfür mußten Gründe vorhanden sein, und diese werden uns bei folgender Erwägung klar: Genau genommen waren durch das Privileg vom Jahre 1218 nur den Bürgern der Petristadt das Lübische Stadtrecht urkundlich bestätigt und die Zollfreiheit verliehen worden. Dagegen konnten die Bewohner der später gegründeten Mittel- und Neustadt rechtlich keinen Anspruch auf diese Freiheiten machen, wenn sie den Fürsten als vollkommen gesonderte Einheiten gegenübertraten. Um sich den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes und die sonstigen Vorteile zu sichern, werden sie vorgezogen haben, nach außen gemeinsam mit der Petristadt aufzutreten. Erst als im Jahre 1252 durch fürstliche Verleihung der Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes auf die gesamte Stadtfeldmark ausgedehnt wurde 29 ), trat in dieser Situation eine Änderung ein. Trotzdem blieben sich die Einwohner der Petristadt dessen bewußt, daß nur ihre engere Stadtgemeinde der eigentliche Träger der der Stadt Rostock von fürstlicher Seite verliehenen Privilegien war, denn in der Einigungsurkunde vom Jahre 1265 wurde ausdrücklich bestimmt, daß die Privilegien der Stadt an einem sicheren Orte "in parochia sancti Petri" aufbewahrt werden sollten 30 ).

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Kapitel II.

Die Verfassung
unter vorwiegend landesherrlichem Einfluß.

a) Die Bewidmung Rostocks mit dem Lübischen Stadtrecht
und die Entstehung des Rates.

Wie bereits erwähnt, bestätigte am 24. Juni 1218 Fürst Heinrich Borwin I. den Einwohnern der Stadt Rostock den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes. Die hierüber ausgestellte Urkunde lautet: "Notum sit ..., qualiter ego Bor-


29) M.U.B. II Nr. 686.
30) M.U.B. II Nr. 1051.
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winus, necnon filii mei ... Rozstok oppidum divina prosperante clementia delegimus astruendum. Ut vero predicti loci excultores eum securius appetentes pace firma libertate fulciantur omnimoda, tam presentes quam futuros in edificiis, areis, terris cultis et incultis ... omnimoda in iuriditione nostra thelonii exemptione Lubicensis civitatis juris beneficio habito nunc et habendo stabilientes confirmamus ..." 31 ). Dieses Dokument ist uns nicht im Original, sondern nur als Transsumpt in einer Bestätigungsurkunde erhalten, welche der gleichnamige Enkel Heinrich Borwins der Stadt im Jahre 1252 ausstellte 32 ). In dem Privileg von 1218 ist nicht von einer Bewidmung der Stadt mit dem Lübischen Stadtrecht die Rede, sondern lediglich von einer Bestätigung des schon im Gebrauch befindlichen Rechtes. Man könnte aus dieser Tatsache den Schluß ziehen, daß der Stadt schon zu einer früheren Zeit das Lübische Recht durch ein Privilegium verliehen worden war und wir es bei der 1218 ausgestellten Urkunde nur mit der Bestätigung einer früheren Bewidmungsurkunde zu tun haben. Diese Annahme hat jedoch wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Erstens fehlt die urkundliche Nachricht über das Vorhandensein eines früheren Freiheitsbriefes, und zweitens würde dieser Annahme der Wortlaut der Bestätigungsurkunde von 1252 widersprechen, in der ausdrücklich gesagt wird: "Noverint ... Borwinum civitatem Rozstok ... primitus condidisse, quam in hunc modum firmitate sui privilegii stabilivit: ...", worauf das der Stadt 1218 erteilte Privileg im Wortlaut folgt 33 ). Der Ausdruck "confirmamus" kann vielleicht so erklärt werden, daß es sich in der Urkunde von 1218 um die Bestätigung von Rechtszuständen handelt, die sich unter fürstlicher Billigung in der neu entstandenen Siedlung gebildet hatten und erst später durch das uns erhaltene Privileg volle Rechtsgültigkeit erhielten 34 ).

Das lübische Stadtrecht muß sich zu damaliger Zeit eines hohen Ansehens erfreut haben; denn nachdem es Rostock ver-


31) M.U.B. I Nr. 244.
32) M.U.B. II Nr. 686.
33) M.U.B. II Nr. 686.
34) Vgl. Herrlich a. a. O. S.6 Anm. 1.
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liehen worden war, folgten bald zahlreiche andere Städte nach, so 1234 Stralsund 35 ), 1250 Greifswald i. Pommern 36 ), 1266 Wismar 37 ), und ferner bediente man sich auch in Ribnitz des Lübischen Stadtrechtes 38 ). In welchem Jahre das Lübische Stadtrecht in Rostock eingeführt worden ist, läßt sich nicht sagen. Wir können nur feststellen, daß es 1218 bereits im Gebrauch war.

In der Urkunde von 1218 tritt uns Rostock als Territorialstadt der mecklenburgischen Fürsten entgegen. Der Fürst des Territoriums war zugleich der Herr der neu entstandenen Stadt. Als äußeres Zeichen der landesherrlichen Gewalt sind die fürstlichen Burgen in der Stadt anzusehen. Von einer Burg in der Altstadt wissen wir nur der Sage nach. Irgendwelche sicheren Nachrichten über Entstehung, Lage und Untergang dieser Burg sind nicht bekannt. Vermutlich lag sie zwischen der Wenden-, Gärtner-, Faulen Straße und dem Amberg 39 ). In der Mittelstadt kündet der noch heute vorhandene Straßenname "Am Burgwall" von dem einstigen Vorhandensein einer Burg. Diese lag wahrscheinlich am Warnowabhang zwischen der Koßfelder Straße und dem "Burgwall", dort, wo der letztere noch heute die Krümmung aufweist 40 ). Zum Bau einer fürstlichen Burg in der Neustadt ist es nicht mehr gekommen. Die nach Selbständigkeit und Freiheit strebenden Bürger erreichten im Jahre 1266 von Fürst Waldemar, daß der zum Bau einer Burg am Bramower Tor errichtete Wall abgetragen wurde 41 ).

Als persönlichen Vertreter der landesherrlichen Gewalt finden wir den "advocatus" oder den Vogt in der Stadt. Dieser stadtherrliche Beamte läßt sich in Rostock urkundlich erst seit 1229 nachweisen. In der Zeugenreihe einer Urkunde aus diesem Jahre wird ein Vogt Bertram von Rostock aufgeführt 42 ), der 1231 auch als Kastellan von Rostock bezeichnet


35) M.U.B. I Nr. 424: "eandem iustitiam et libertatem contulimus, que civitati Rostok est collata."
36) M.U.B. II Nr. 1011.
37) M.U.B. II Nr. 1078.
38) M.U.B. I Nr. 794.
39) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 38.
40) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 39.
41) M.U.B. II Nr. 1096. - Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 40.
42) M.U.B. I Nr. 368: "Bertrammus de Roztock advocatus."
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wird 43 ). Seit welcher Zeit ein fürstlicher Vogt tatsächlich in Rostock vorhanden war, läßt sich nicht feststellen; doch dürfen wir wohl annehmen, daß dieses Amt vom Landesherrn geschaffen wurde, sobald die neu entstandene Gemeinde sich als lebens- und entwickelungsfähig erwiesen hatte.

Neben der landesherrlichen Gewalt tritt uns in dem Privilegium von 1218 der Stadtrat entgegen. Unter den Zeugen der Urkunde werden 10 Rostocker Ratmannen namentlich aufgeführt, und zwar heißt es: "eiusdem opidi consulibus Heinrico Fabro, Heinrico Pramule, Hermanno, Rodolfo, Ludero, Bertrammo, Wizelo, Lamberto, Bodone, Heinrico Lantfer" 44 ). An dieser Stelle wird zum ersten Male ein Rostocker Ratskollegium urkundlich erwähnt. Da nach dem Wortlaut des Privilegiums der Gebrauch des Lübischen Rechtes vor 1218 anzusetzen ist, muß auch die Institution des Rates bereits vor diesem Jahre in Rostock vorhanden gewesen sein; seit welcher Zeit, wissen wir allerdings nicht. Die Ratsmitglieder haben wahrscheinlich auch schon vor 1218 den Titel "consules" geführt, denn in Lübeck tritt diese Bezeichnung bereits im Jahre 1201 auf 45 ).

Die Frage, auf welchem Wege der Rat in Rostock entstanden ist, läßt sich nicht sicher beantworten. Werfen wir einen Blick auf die entsprechenden Verhältnisse in anderen Städten, so finden wir, daß hier und dort der Rat sich aus oder doch im Zusammenhang mit einem bereits bestehenden Schöffenkollegium entwickelt hat, das zunächst neben den gerichtlichen auch kommunale Funktionen ausübte 46 ). Ein derartiger Vorgang kommt für Rostock nicht in Frage, aus dem einfachen Grunde, weil es hier kein besonderes Schöffenkollegium gegeben hat. In einer Urkunde aus dem Jahre 1301 heißt es zwar einmal:


43) M.U.B. I Nr. 391: "Bertrammus castellanus de Roztock."
44) M.U.B. I Nr. 244.
45) Vgl. Reincke-Bloch, der Freibrief Friedrichs I. für Lübeck und der Ursprung der Ratsverfassung in Deutschland, Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Gesch. u. Altertumskunde Bd. XVI, 1914, S. 14.
46) Vgl. Schröder - v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Auflage 1922, S. 692 f., Rietchel, die Städtepolitik Heinrichs des Löwen, Histor. Zeitschr. Bd. CII, S. 263 ff. u. Eberle, Das Ratskollegium in den deutschen Städten des Mittelalters bis zur Zeit der Zunftkämpfe (Freiburger Dissertation 1914) § 9.
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"discr. viros et honestos consules, scabinos et universitatem tocius civitatis Ruzstok" 47 ), jedoch sind wir nach meiner Meinung nicht berechtigt, hieraus das Bestehen eines Schöffenkollegiums abzuleiten, von dem sonst niemals die Rede ist. Mit dem Ausdruck "scabini" sind sicherlich die Ratsherren gemeint, die das Amt eines Beisitzers im Gericht ausübten. Hierfür spricht auch die Tatsache, daß die Urkunde aus der Kanzlei des Markgrafen von Brandenburg stammt. Die "scabini" sind daher wahrscheinlich aus Unkenntnis der Rostocker Verhältnisse besonders neben Rat und Gemeinde aufgeführt worden.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Entstehung des Rates aus einem sogenannten Unternehmerkonsortium. So sucht Rörig nachzuweisen, daß die im Jahre 1157 erfolgte Wiedergründung Lübecks unter Heinrich dem Löwen die Tat eines "Unternehmerkonsortiums" gewesen sei. Dieses Konsortium ist nach Rörigs Meinung als der Vorläufer des Lübecker Rates anzusehen. Einen ähnlichen Gründungsakt nimmt Rörig auch für Freiburg i. B. an 48 ). Nach dem für Rostock vorhandenen Quellenmaterial glaube ich nicht, einen ähnlichen Gründungsakt bzw. eine entsprechende Entstehung des Rates für Rostock annehmen zu dürfen.

Es ist als wahrscheinlich anzusehen, daß die Mitglieder des ersten Ratskollegiums in Rostock von dem Landesherrn in ihre Ämter eingesetzt worden sind. Diese Annahme läßt sich durch spätere uns bekannte Ereignisse rechtfertigen. Als im Jahre 1314 acht Rostocker Ratsherren, die infolge innerer Wirren aus Rostock vertrieben waren, mit dem Landesherrn Fürst Heinrich von Mecklenburg in Verbindung traten, um die verfassungsrechtlichen Zustände in der Stadt wiederherzustellen, wurde urkundlich festgesetzt, daß der Landesherr gemeinsam mit den acht Ratsherren einen neuen Rat einsetzen sollte 49 ). Ferner war der Rostocker Rat, wie aus einer Urkunde vom Jahre 1314 hervorgeht, alljährlich nach seiner Umsetzung ver-


47) M.U.B. V Nr. 2749.
48) Vgl. F. Rörig, Der Markt von Lübeck, Hansische Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, Breslau 1928, S. 40 ff.; vgl. auch ebend. S. 25, 254, 268, 269 Anm. 33 über die Gründung Rostocks.
49) M.U.B. VI Nr. 3669. - Die einschlägige Stelle der Urkunde ist zitiert Kapitel IV, b, 2, S. 93.
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pflichtet, dem Landesherrn den Huldigungseid zu leisten. In der Urkunde heißt es: "adicientes quoque, quod nostri successores, consules eiusdem civitatis Roztoch consequente seu succedente tempore singulis annis, quando electi de novo fuerint, per iuramenta fidelitatis homagyum facient" 50 ). Diese Tatsachen lassen daraut schließen, daß die Amtsgewalt der Ratsherren abgeleitet ist aus der landesherrlichen Gewalt. Wir sind demnach wohl zu der Annahme berechtigt, daß der Landesherr die Mitglieder des ersten Ratskollegiums in Rostock in ihre Ämter eingesetzt hat 51 ). Ob bei der Einsetzung der ersten Ratsherren auch die Bürgergemeinde beteiligt war, vielleicht dergestalt, daß ihr ein Vorschlagsrecht zugebilligt war, läßt sich nicht entscheiden.

b) Grundzüge der Stadtverfassung um 1218.

1. Die Stellung des Vogtes.

Die Verwaltung der Stadt hat um 1218 unter dem vorwiegenden Einfluß des Landesherrn gestanden. Der fürstliche Vogt, der die landesherrliche Gewalt in der Stadt vertrat, hatte in jener Zeit eine mächtige Stellung inne. Wahrscheinlich hatte er seinen Sitz auf der fürstlichen Burg 52 ), wodurch seine Position schon äußerlich als machtvoll und überragend gekennzeichnet wurde. Der "advocatus" war der Vertreter des Gerichtsherrn und führte daher den Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit 53 ). Ferner standen ihm auch wichtige administrative Befugnisse zu. Das letztere können wir daraus schließen, daß in Urkunden des Rates aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Vogt verschiedentlich neben Rat und Gemeinde an erster Stelle genannt wird, und zwar handelt es sich um folgende Fälle: 1. Vogt, Rat und Gemeinde urkunden über eine von Rostock und Lübeck


50) M.U.B. VI Nr. 3674.
51) Rörig a. a. O. S. 254 schreibt: "von dem um 1218 gegründeten Rostock, wo von vornherein als bürgerliche Behörde die consules auftreten, vermutlich auch hier im engsten Zusammenhang mit dem Gründungsvorgang stehend"; S. 268: "Rostock beginnt gleich mit der fertigen Ratsverfassung, wie sie in Lübeck damals längst sich durchgesetzt hatte."
52) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S.39.
53) M.U.B. III Nr. 1671: "sedente pro tribunali Dethardo advocato ..."
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gegenseitig erfolgte Verzichtleistung auf Schadenersatzansprüche (1257) 54 ), 2. Vogt und Rat bezeugen, daß die Bürger von Ribnitz sich des zu Lübeck und Rostock üblichen Rechtes bedienen (1257) 55 ), 3. ein Schreiben rechtlichen Inhalts ist von Lübeck gerichtet an den Vogt und den Rat von Rostock (ca. 1267) 56 ). Diese drei Fälle beziehen sich sämtlich auf den Verkehr des Rostocker Rates mit anderen Städten und zeigen, daß der Rat in der ersten Zeit seiner Tätigkeit nicht als der ausschließliche Vertreter der Stadt auftrat, sondern vom fürstlichen Vogt überwacht wurde.

Auch in der inneren Verwaltung muß der Vogt um 1218 eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Allein die Tatsache, daß sich damals wahrscheinlich noch sämtliche Regalien in der Hand des Landesherren befanden, weist auf ein umfangreiches Kompetenzgebiet des fürstlichen Beamten hin. Da an den Vogt noch in späterer Zeit häufig die Bede 57 ) bezahlt wurde 58 ), hatte er wahrscheinlich auch dafür zu sorgen, daß die von der Stadt an den Landesherrn zu zahlenden Abgaben pünktlich einkamen.

2. Die Befugnisse des Rates.

Die Befugnisse, welche dem Rate um 1218 zustanden, waren wahrscheinlich noch nicht sehr umfangreich. Nach den uns erhaltenen Quellen dürfen wir wohl annehmen, daß die Überwachung und Regulierung des Marktverkehrs einen Teil seiner ersten Rechte bildete. Dem Rate stand wahrscheinlich eine Marktgerichtsbarkeit zu, die sich in der Hauptsache auf


54) M.U.B. II Nr. 786.
55) M.U.B. II Nr. 794.
56) M.U.B. II Nr. 1106.
57) Über "Bede" vgl. Kap. III, c, S. 62.
58) M.U.B. II Nr. 1140 (Jahr 1268). Ratsarchiv Rostock, Stadtbuch-Fragment (im Folgenden zitiert: St. B. Fragm.) III, 1, fol. 8 a (ca. 1274/75): "dabuntur advocato de petitione pasche ..."; ebd. fol. 14 b (ca. 1270/75): "Domino Georgio de Maiorken (d. i. der Vogt) date sunt 30 mr. de petitione ..."; ebd. fol. 17 a (ca. 1270 bis 1275): "Cum dominus Georgius de Maiorken recepit VI mr. et duos solidos, fatebatur, peticionem domini W. de pasca totam datam." - St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 1 a. (1279): "civitas dedit domino Frederico de Kerichtorp advocato 40 mr." - Rostocker Stadtbuch (im Folgenden zitiert: St.-B.), I. fol. 68 a (ca. 1270): "De peticione domini Waldemari, que erit Michaelis, dabuntur Bernardo scriptori 36 1/2. Si autem Bernardus non fuerit, dabuntur domino Georgio ..."
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Maß, Gewicht und Qualität der Waren erstreckte. Daß der Rat ein derartiges Aufsichtsrecht besaß und ausübte, ist aus einem 1275 entstandenen Geldbußenregister ersichtlich, worin es u. a. heißt: "Ecghehardus sutor emendavit 12 sol. de malo coreo, Monec 6 sol. de parvis vitris, Lutfridus Wullenwewer 10 sol. pro falso pondere, Rapesulver 10 sol. de malo ardorio" 59 ). Es ist anzunehmen, daß die hier aufgeführten Vergehen selbständig vom Rate gesühnt wurden, und daß die gezahlten Strafgelder der Stadtkasse zugute kamen; ein Ratsbeschluß aus dem Jahre 1275 besagt: "Consules arbitrati sunt, quod, quicunque vadiaverit 20 sol., illos dabit civitati. Si autem poterit gratiam consequi, non dabit minus quam 10 sol." 60 ). Der Rat hatte wahrscheinlich auch das Aufsichtsrecht darüber, daß die marktgesetzlichen Bestimmungen, wie das Verbot des Vorkaufs usw., beachtet wurden. Hierauf beziehen sich folgende Aufzeichnungen: "Jacobus magnus piscator totiens excessit in preempcione piscium" 61 ), "Pistor in domo Wasmodi emit carnes in navi. Engelbertus Buckelberg et faber in domo Frisonum emerunt ferrum in navi" 62 ).

Die uns erhaltenen Verordnungen über die allgemeine Regulierung des Marktverkehrs sind ebenfalls auf die Tätigkeit des Rates zurückzuführen, so daß diesem wahrscheinlich auch das Verordnungsrecht in Marktangelegenheiten zustand. Die erste uns erhaltene Bestimmung dieser Art stammt aus dem Jahre 1265 und war durch die damals erfolgte Vereinigung der Einzelgemeinden notwendig geworden. Es wurde in dieser Verordnung vom Rate und der Gemeinde festgesetzt, daß die Marktverhältnisse in der Petri- und Mariengemeinde durch die Zusammenlegung der einzelnen Städte nicht geändert werden sollten. Die Vieh- und Pferdemärkte sollten nach wie vor auf dem Markte der Jakobigemeinde stattfinden, wohin außerdem der Haupthopfenhandel verlegt wurde 63 ). Im Jahre 1278 bestimmten "consules cum senioribus civitatis", daß die städtischen Verkaufsbuden im Rat-


59) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b, 6 a, z. T. veröffentlicht M.U.B. II. Nr. 1374.
60) M.U.B. II. Nr. 1379.
61) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b (ca. 1274/75).
62) St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 1 a (ca. 1278).
63) M.U.B. II Nr. 1051.
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hause zweimal jährlich unter den Interessenten ausgelost werden sollten 64 ), wahrscheinlich, um eine einwandfreie Verteilung zu gewährleisten. Wenn auch die uns erhaltenen Quellen über die Tätigkeit des Rates in der Überwachung und Regulierung des Marktverkehrs nur bis 1274/75 bzw. 1265 zurückreichen, so ist es doch wahrscheinlich, daß dieser Zweig der städtischen Verwaltung mit zu der ursprünglichen Kompetenz des Rates gehört hat, zeigt doch der Entwicklungsgang in zahlreichen anderen Städten, daß die Überwachung des Marktverkehrs vielfach die erste Aufgabe des neu entstandenen Rates gewesen ist 65 ).

Auf dem Gebiete der Rechtspflege gehörte wahrscheinlich die freiwillige Gerichtsbarkeit zum anfänglichen Kompetenzbereich des Rates. Schon nach dem ältesten uns erhaltenen Stadtbuchfragment, das vermutlich noch vor 1257 entstanden ist, finden die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit "coram consulibus" statt 66 ). In dem Stadtbuchblatt von 1257/58 finden sich in den Aufzeichnungen über die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit folgende Ausdrücke: "coram consulibus universis", "in presencia consulum", "consules testantur" oder "notum sit universis consulibus" 67 ), welche sämtlich darauf hinweisen, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit vom Rate gehandhabt wurde. Dieselben Ausdrücke kehren auch in späterer Zeit in den Aufzeichnungen über die einzelnen Tatbestände der freiwilligen Gerichtsbarkeit stets wieder 68 ), Ein weiteres Recht des Rates war die Teilnahme an der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. Das für Kriminalsachen zuständige fürstliche Vogtgericht setzte sich aus dem "advocatus" als Vorsitzendem und mehreren Ratsherren, welche als Beisitzer fungierten, zusammen. Eine Aufzeichnung vom Jahre 1283 über eine Verfestung führt neben dem Vogt 4 Ratsherren als Gerichtspersonen an 69 ). Seit 1301 werden stets nur noch


64) M.U.B. II Nr. 1447.
65) Vgl. Schröder- v. Künßberg a. a. O. S. 693 u. Eberle a. a. O. § 8.
66) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 3 a, 3 b, 4 b und öfter.
67) St.-B.-Fragm. I, 2 veröffentlicht: Beiträge Bd. III, 1 S. 3 ff.
68) St.-B. I fol. 1 b, 2 a, 2 b usw., auch sehr häufig in anderen Stadtbüchern.
69) M.U.B. III Nr. 1671: "sedente pro tribunali ...... Henrico Monacho, Johanne de Bruneswich, Alberto de Cosveld et Euerhardo Nachtraven."
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2 Ratsherren als Beisitzer genannt 70 ). Die dem Rate um 1218 zustehenden Befugnisse dürften hiermit wohl erschöpft sein.

Im Anschluß hieran müssen wir noch zu einer von Lisch und Mann geäußerten Ansicht Stellung nehmen: Aus dem Jahre 1360 ist uns ein Aktenstück erhalten, das sich auf den Streit der Stadt Rostock mit dem Lübischen Domherrn Heinrich von Femern bezieht. Hierin heißt es: "Quod proconsules et consules dicti opidi a fundatione ipsius et a tempore, cuius in contrarium memoria hominum non existit, potuerunt et consuerunt facere et fecerunt statuta, precepta et mandata et collectas inponere opidanis in opido Rozstok, prout eis tamquam ad hoc iuratis super possessionibus, domibus et hereditatibus in dicto opido et in districtu eorum constitutis visum est expedire. Super quibus statutis, preceptis, mandatis et consuetudinibus dictis proconsulibus et consulibus nunquam fuit facta vel mota contradictio, precipue in foro ecclesiastico ...." 71 ). Lisch und Mann haben auf Grund dieser Stelle die "ursprünglichen Rechte" des Rates folgendermaßen umschrieben: "Repräsentation und Vertretung der Stadt, die volle Verwaltung des Stadtvermögens ..., die Annahme der neuen Bürger, der Beisitz im Gericht, die Feststellung der Bürgersprache und der Amtsrollen, sowie die Erlassung der sonstigen Verordnungen" 72 ). Diese Auffassung muß nach meiner Meinung zurückgewiesen werden. Erstens stammt dieses Aktenstück aus viel späterer Zeit und ist schon deshalb als historische Quelle für die ältere Zeit mit Vorsicht zu benutzen, und zweitens haben wir es hier mit den Worten eines Autors zu tun, der höchst wahrscheinlich nach einseitigen Gesichtspunkten urteilte. Es handelt sich bei diesem Aktenstück um Ausführungen, die von dem Anwalt des Rostocker Bürgermeisters, also einer Partei des Prozesses gemacht worden sind mit dem Zwecke, die geistliche Gerichtsbarkeit als unstatthaft zurückzuweisen. Wir dürfen aus diesem Grunde bei dem Autor den Willen zu wirklicher Objektivität nicht voraussetzen.

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70) M.U.B. V Nr. 2731, 2763 und häufiger.
71) M.U.B. XIV Nr. 8749, 2.
72) Vgl. Lisch und Mann a. a. O. S. 13, Anm. 3.
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Kapitel III.

Stadt und Landesherr
im Kampfe um die Stadtherrschaft.

Das Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn hat während des 13. Jahrhunderts und der folgenden Jahrzehnte beträchtliche Umgestaltungen erfahren. Wir können die Beobachtung machen, daß im Laufe der Zeit wichtige Hoheitsrechte des fürstlichen Stadtherrn in die Hände der "civitas" übergehen. Der Kompetenzbereich des Stadtrates nimmt dadurch allmählich an Umfang zu, während die ursprünglich überragende Machtstellung des Landesfürsten in der Stadt schwindet. Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung ist neben anderen der Geldmangel der Fürsten gewesen. Wie wir noch sehen werden, hat die Stadt in vielen Fällen Rechte und Liegenschaften durch Kauf aus fürstlicher Hand erworben. Schon diese Tatsache läßt wohl auf ein dringendes Geldbedürfnis der Fürsten schließen. Die finanzielle Bedrängnis der Fürsten kommt außerdem auch in anderer Form zum Ausdruck. So besagt eine Stadtbuch-Notiz aus den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts, daß Fürst Borwin der Stadt mit über 100 Mark "alter Schulden" verpflichtet ist 73 ). Fürst Waldemar verpfändete im Jahre 1282 gegen ein Darlehn von 300 Mark 40 Mark jährlicher Rente aus der Rostocker Bede 74 ). Er nahm also Kapitalien zu einem Zinsfuß von über 13 % auf, während damals bei derartigen Renten nur ein Zinsfuß von 10 % üblich war 75 ). Sein Sohn Nikolaus überließ im Jahre 1286 der Stadt umfangreiche Ländereien. Als Gegenleistung mußte die Stadt die Schulden seines Vaters bezahlen 76 ). Auch diese Tatsachen lassen auf die finanzielle Not der Fürsten schließen.


73) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 7 b: "... dominus Borwinus tenetur civitati 100 mr. et 9 mr. de antiquo debito."
74) M.U.B. III Nr. 1634.
75) Vgl. St.-B. II fol. 48 a, 48 b, 54 a, 59 a, 66 b, 74 a und öfter.
76) M.U.B. III Nr. 1836.
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Bevor wir uns nun mit der rechtlichen Seite des Verhältnisses der Stadt zum Landesherrn befassen, werfen wir einen Blick auf die Gestaltung der Stadtfeldmark.

a) Erweiterung der Stadtfeldmark und Beseitigung der fürstlichen Burgen 77 ).

Die Begründung der Stadtfeldmark geht auf das Privilegium von 1218 zurück, das den Einwohnern Rostocks das Lübische Stadtrecht bestätigte für ihre "Ländereien, Äcker, Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Fischereien und Jagden, Gewässer und Wasserläufe, Wege und Unwege, Ab- und Zugänge" 78 ). Diese langatmige Aufzählung der verschiedenen Geländearten in der Urkunde beruht allerdings nur auf einem damals üblichen Kanzleigebrauch 79 ), und man darf hieraus nicht schließen, daß die Ansiedler im Jahre 1218 alle diese Geländearten tatsächlich schon besessen hätten. Es ist vielmehr anzunehmen, daß das ursprüngliche Eigentum der Stadt wahrscheinlich nicht über die Zingeln vor dem Stein- und Kröpeliner Tor und vor dem Petri- und Mühlentor nicht über die Warnow hinausgegangen ist 80 ). Ausdrücklich als solche erwähnt wird die Stadtfeldmark erst im Jahre 1252, als Borwin III. den Geltungsbereich des Stadtrechtes auf die gesamten der Stadt gehörigen Ländereien ausdehnte 81 ). Der Grund und Boden innerhalb der Stadtgrenze wurde damit dem Rate als Obrigkeit unterstellt. Am 12. Oktober 1264 überließ Fürst Borwin den Bürgern auch seine sonstigen Rechte, die er noch an deren Feldmark hatte. Es heißt in der Urkunde: "Preterea iura per portum ipsorum in Warnemunde et per omnes terminos dicte civitatis versus campum, qui vulgariter markschede nuncupatur, sepedictis burgensibus nostris damus cum sua utilitate eternaliter possi-


77) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 37 ff. und S. 54 ff.
78) M.U.B. I Nr. 244.
79) Vgl. M.U.B. III Nr. 1784, 1788, 1792, 1812, 1817, 1847 und öfter.
80) Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 56.
81) M.U.B. II Nr. 686: "Volumus insuper, ut in omnibus terminis suis, qui vulgariter markescede vocantur, iure gaudeant civitatis."
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denda" 82 ). Hierdurch hatte die "civitas" die ausschließliche Verfügungsgewalt über die Stadtfeldmark erhalten. Es geht weiter aus der Urkunde hervor, daß das Warnemünder Hafengebiet damals schon zum Eigentum der Stadt gehörte.

Die erste uns überlieferte Erweiterung der Stadtfeldmark fand im Jahre 1252 statt. Damals erwarb die Stadt von Fürst Borwin für einen Kaufpreis von 450 Mark das Gebiet der Rostocker Heide 83 ). Im Jahre 1264 schenkte derselbe Borwin der Stadt den fürstlichen Anteil an dem Bruche vor der Petristadt 84 ), und am 21. Dezember 1275 verkaufte Fürst Waldemar den Rostockern das Dorf Nemezow mit der gesamten Lype 85 ). Im Jahre 1286 überließ Fürst Nikolaus der Stadt dafür, daß sie die Schulden seines Vaters bezahlte, das Dorf Wendisch Wik, den Burgwall mit der sich bis zum Mühlendamm erstreckenden Wiese und die Pferdewiese bei Warnemünde 86 ). Im Jahre 1323 schließlich kaufte die Stadt von Fürst Heinrich von Mecklenburg das Dorf Warnemünde 87 ). Auf diese Weise war der Geltungsbereich des Stadtrechtes und damit auch der Herrschaftsbereich des Stadtrates ganz beträchtlich in die Breite gewachsen.

Ebenso wie die Stadt bestrebt war, die städtischen Liegenschaften auf Kosten des landesherrlichen Besitzes zu vermehren, war sie erfolgreich bemüht, die befestigten Anlagen der Fürsten in bzw. bei der Stadt zu beseitigen, um sich desto ungehemmter entwickeln zu können. Wann die vermutlich in der Altstadt gelegene Burg und die Burg in der Mittelstadt von den Fürsten aufgegeben worden sind, wissen wir nicht. Wie bereits erwähnt, erreichten die Bürger im Jahre 1266 von Fürst Waldemar, daß die Vorbereitungen für den Bau einer fürstlichen Burg am Bramower Tore, das ist in der damaligen Neustadt, für immer eingestellt wurden 88 ). Seit dieser Zeit


82) M.U.B. II Nr. 1021. - Herrlich a. a. O. S. 17 f. interpretiert diese Stelle folgendermaßen: "Borwin erneuert die Verzichtleistung auf alle Zölle und Abgaben im Warnemünder Hafen." Diese Interpretation hat durchaus keine Berechtigung.
83) M.U.B. II Nr. 686.
84) M.U.B. II Nr. 1021.
85) M.U.B. II Nr. 1381.
86) M.U.B. III Nr. 1836.
87) M.U.B. VII Nr. 4422.
88) M.U.B. II Nr. 1096.
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mußten sich die Landesfürsten damit begnügen, einen unbefestigten Fürstenhof in der Stadt zu unterhalten, der später - etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts - in Privatbesitz überging 89 ). Ein weiterer Fortschritt zur Selbständigkeit der Kommune erfolgte im Jahre 1278. Damals brachte die Stadt den Grund und Boden der fürstlichen Hundsburg an der Warnow in ihren Besitz und erhielt gleichzeitig das Versprechen, daß in Zukunft von Seiten des Landesherrn keine Befestigungen an der Warnow im Umkreis einer Meile errichtet werden sollten 90 ). Auch in späterer Zeit war die Stadt bemüht, irgendwelche in ihrer Interessensphäre von den Fürsten errichtete befestigte Anlagen zu schleifen. So erwarb sie im Jahre 1322 auf Abbruch die von den Dänen erbaute Festung zu Warnemünde 91 ).

Während die fürstlichen Befestigungen in und bei der Stadt beseitigt wurden, schritten die Bürger ihrerseits dazu, die Stadt mit einer Mauer zu umgeben. Wann die Stadtmauer errichtet worden ist, läßt sich nicht feststellen. Um 1270/75 wird gebucht: "14 mr. date sunt pro lapidibus ad murum" 92 ). Wir finden ferner um 1280 verschiedentlich Aufzeichnungen, wonach von Bürgern Geldbeträge "ad murum" an die Stadt bezahlt worden sind. Es heißt z. B.: "Hillebrandus faber 1 mr. ad murum in pascha persolvet" oder "Hinricus Jampesvar sutor I (Druckfehler) mr. ad murum" 93 ), Ähnliche Aufzeichnungen treffen wir häufiger in dieser Zeit an 94 ).

b) Erwerbung des Fischerei- und Strandrechtes.

In den Besitz des Fischereirechtes auf der Unterwarnow gelangte Rostock im Jahre 1252. Borwin III. überließ damals der Stadt die Fischerei auf der Warnow bis Warnemünde und


89) Die urkundlichen Nachrichten über den Fürstenhof sind zusammengestellt M.U.B. II Nr. 1422, Note. - Vgl. auch Ludwig Krause a. a. O. S.41.
90) M.U.B. II Nr. 1474. - Vgl. Ludwig Krause a. a. O. S. 43 ff.
91) M.U.B. VII Nr. 4377.
92) St.-B.-Fragm. III 1 fol. 16 b.
93) St.-B.-Fragm. III, 5 (1278-1294) fol. 1 b.
94) St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 2 a, 2 b, 3 a. - St.-B.-Fragm. III, 2 (1279-1280) fol. 3 a.
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darüber hinaus auf dem offenen Meer, soweit die Witterung es gestattete. Es heißt in der Urkunde: "... a ponte aquatico proximo ecclesie sancti Petri et sic per alveum fluminis Warnowe usque Warnemunde, necnon extra portum in marinis fluctibus eos tanto dotamus beneficio piscature, quantum pre intemperie aeris audeant attemptare" 95 ). Im Jahre 1323 bestätigte Fürst Heinrich von Mecklenburg der Stadt den Besitz dieses Rechtes 96 ). Daneben erlangte die Stadt auch noch andere Fischereigerechtigkeiten, die z. T. später verpachtet oder auch verpfändet wurden 97 ).

Das Strandrecht für den Rostocker Hafen ging ebenfalls im Jahre 1252 aus der Hand des Fürsten in die der Stadt über. In jenem Jahre versprach Fürst Borwin, daß er hinfort auf alle Rechte an den im Rostocker Hafen gestrandeten Schiffen verzichte. Die einschlägige Stelle der Urkunde lautet: "Si vero in portu ipsorum ... navis collidatur, nobis in ea vel rebus attinentibus nichil iuris penitus usurpamus" 98 ). Das Strandrecht hatte zu damaliger Zeit wahrscheinlich schon seine ursprüngliche Bedeutung, wonach Schiffbrüchige mit Leib und Gut dem Strandherrn verfallen waren, verloren, denn bereits im Jahre 1220 hatte Borwin I. das Strandrecht in dieser Form in seiner ganzen Herrschaft aufgehoben 99 ). Es wird damals wohl nur noch auf herrenloses Strandgut oder gegenüber reklamierenden Eigentümern auf den Bergelohn angewendet worden sein 100 ).


95) M.U.B. II Nr.686.
96) M.U.B. VII Nr. 4422.
97) M.U.B. V Nr. 3134. - St.-B.-Fragm. II, 5 fol. 6 b (1312): "Civitas posuit Heyen piscariam supra quatuor rotas pro 40 mr. den. Et quando civitas sibi 40 mr. solverit, tunc piscaria est libra." - Vgl. auch Ahrens, Die Wohlfahrtspolitik des Rostocker Rates, Rostocker Diss. 1927, Beiträge Bd. XV S.24.
98) M.U.B. II Nr. 686.
99) M.U.B. I Nr.268: "Igitur ne tam abhominanda consuetudo in posteros nostros quasi heredetario iure radicem figat, ipsam radicitus decrevimus exstirpari, statuentes, ut, si quis naufragium apud littora nostra perpessos molestaverit in rebus aut personis, tamquam violator pacis atque iusticie contemptor reus iudicio deputetur." - Vgl. Herrlich a. a. O. S. 15.
100) Vgl. Schröder-v. Künßberg a. a. O. S.580.
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c) Steuer- und Finanzverwaltung.

Die "civitas" als Gesamtheit war ihrem Stadtherrn zur Zahlung von Geldabgaben verpflichtet. Diese Steuer, welche in den Stadtbüchern meistens als "petitio" (Bede) bezeichnet ist, wird schon im ältesten Stadtbuch-Fragment mehrfach erwähnt. Sie war eine direkte Steuer und wurde von dem Rate an den Landesherrn oder auch an dessen Vertreter, den "advocatus" 101 ), gezahlt. Es heißt z. B. "Consules concesserunt domino meo de peticione paschali 20 mr." 102 ), oder "Consules dederunt domino terre de peticione Michaelis 40 mr." 103 ). In der Praxis war es häufig so, daß der Landesherr die Bede z. T. im voraus an seine Gläubiger verpfändet hatte. Die "petitio" wurde dann am fälligen Termin gleich an diese ausgezahlt, wie es aus folgenden Inskriptionen ersichtlich ist: "De petitione Michaelis demonstravit dominus meus primo Johanni Albo 15 1/2 mr. 1 sol. minus, item Ludolfo Stormclocke 7 mr. et Herbordo Meibom 9 mr., item domino Johanni Peniz 20 mr." 104 ), oder "Dominus Johannes de Brunswic recipiet de peticione a nunc pascha per annum 100 mr. den." 105 ). Die Höhe der Summe, welche die Stadt vor dem Jahre 1262 an den Landesherrn an Bede zahlen mußte, ist uns nicht bekannt. Im Jahre 1262 wurde dann diese Steuer auf eine jährlich zu zahlende Pauschalsumme von 250 Mark festgesetzt 106 ). Aus Stadtbuch-Inskriptionen von ca. 1268-1279 und mehreren Quittungen, die dem Rat in der Zeit von 1324-1343 von den Fürsten über gezahlte Bede oder "Orbör" 107 ) ausgestellt wurden, geht hervor, daß die Steuer in zwei Raten zu Ostern und Michaelis


101) Vgl. Anmerkung 58.
102) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 2 b.
103) M.U.B. II Nr. 878 (Jahr 1260).
104) St.-B.-Fragm.I, l fol. 2 b.
105) Ebendort fol. 6 a. - Vgl. auch fol. 7 b.
106) M.U.B. II Nr. 959: "statuimus et dedimus ...., ut petitionem nostram nobis singulis annis persolvant, videlicet ducentas et quinquaginta marcas denariorum eiusdem civitatis monete."
107) Der Name "Orbör" für "Bede" findet sich zuerst 1324: "nostros annuos redditus, qui vulgo orbore dicuntur." (M.U.B. VII Nr. 4527).
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fällig war 108 ). In einer Empfangsbescheinigung, die Fürst Albrecht dem Rate im Jahre 1346 über 500 Mark gezahlter Orbör (für 2 Jahre) ausstellte, werden als Zahlungstermine die Tage Philippi und Jakobi (1. Mai) und Martini (11. Nov.) namhaft gemacht, und zwar waren am 1. Mai 160 Mark und am 11. November 90 Mark fällig 109 ). Irgendwelche Nachrichten über die Erhebung weiterer fürstlicher Steuern in der Stadt sind nicht überliefert, und wir können daher wohl annehmen, daß die Bede die einzige von der Stadt an den Landesherrn zu zahlende direkte Steuer war.

In diesem Zusammenhang ist eine Stadtbuch-Inskription von Wichtigkeit, welche vermutlich in das Jahr 1268 zu setzen ist und u. a. zwei Eintragungen folgenden Wortlauts enthält: "Item quinquaginta marce date sunt domino Waldemaro de petitione, que erit Michaelis. In pascha de ipsa petitione 32 marcas pro vino et pro allecibus 21 m." 110 ). Bei der ersten Buchung kann es sich nur um eine im voraus geleistete Abschlagszahlung auf die Bede handeln. Die Worte der zweiten Buchung "de ipsa petitione" sollen offenbar darauf hinweisen, daß es sich ebenfalls um eine Bedezahlung handelt, außerdem aber werden "vinum" und "alleces" angegeben. Der Sinn dieser Notiz ist nicht klar zu erkennen. Es ist möglich, daß wir es hierbei mit einer Bedezahlung zu tun haben, die in Form von Naturalien, nämlich Wein und Heringen, geleistet wurde.

Die Quellen über die Steuer- und Finanzverwaltung Rostocks beginnen ungefähr mit dem Jahre 1260/62 und zeigen, daß die "civitas" seit der Zeit in diesem Zweige der städtischen Verwaltung weitgehende Selbständigkeit besaß. Als wichtigste städtische Steuer wurde die "collecta" erhoben, die auch "tallia" oder "schot" (Schoß) genannt wurde 111 ). Über den Charakter dieser Steuer erfahren wir Näheres aus


108) St.-B. I fol. 67 b, 86 b. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 8 a, 13 b, 14 b, 17 a. - St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 1 a. - M.U.B. VII Nr. 4527, 4894, VIII Nr. 5674, 5688, IX Nr. 6312.
109) M.U.B. X Nr. 6637.
110) M.U.B. II Nr. 1140.
111) M.U.B. VI Nr. 3743: "tallie, que schot communiter nuncupatur." - M.U.B. XIV Nr. 8547: "collecta, dicta vulgariter schod." - Vgl. auch M.U.B. V Nr. 3144, 3184.
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einer Urkunde vom Jahre 1279: Ein Ritter erwirbt ein Grundstück und übernimmt außer anderen Lasten die Pflicht, für das Grundstück "collecta" zu zahlen. Er darf das Grundstück außerdem nur an einen Bürger weiterverkaufen 112 ). Es geht hieraus hervor, daß die Bürger der Stadt steuerpflichtige Personen sind, und daß Grund und Boden Steuerobjekt ist. Die "collecta" ist demnach eine direkte Vermögenssteuer 113 ).

Zum ersten Male tritt uns die "collecta" in einem Stadtbuch-Fragment entgegen, das nach Dragendorff etwa 1260/62 entstanden ist und eine Abrechnung der Stadt mit einer Reihe von Gläubigern enthält. Die Stadt hatte von zahlreichen Bürgern Anleihen erhalten, und die Abtragung der Schuld erfolgte zum Teil in der Weise, daß die Gläubiger solange von ihrer Schoßpflicht befreit waren, bis ihr Guthaben erschöpft war 114 ). Es heißt z. B.: "Andreas de Cosfelt prestitit puram marcam. Quam demit pro duabus collectis", oder "Gerlagus de Cosfelde prestitit 5 mr. den. Illas demit pro 2 collectis" 115 ). Der Steuereinnehmer für die "collecta" ist hiernach die "civitas". Zahlreiche Stadtbuch-Inskriptionen beweisen außerdem, daß die Stadt oder der Rat als Träger der Verwaltung selbständig über die Einnahmen aus der "collecta" verfügte. Zum Jahre 1284 lesen wir im Stadtbuch: "Notum sit, quod Salathiel Judeus civitati prestitit 400 mr., quas sibi debet solvere civitas sub hac forma, quod recipiet in proxima collecta 100 mr. et in secunda collecta 100 mr. et sic de aliis collectis, donec sibi dicta


112) M.U.B. II Nr. 1480: "Reimboldus vendidit domino Redago militi hereditatem suam tali pacto, quod de ea vigilet et collectam faciat ....; et si eam vendere voluerit, nulli eam vendere potest, preterquam uni civium."
113) Vgl. Staude, Die direkten Steuern der Stadt Rostock im Mittelalter. (Jahrbücher Bd. 77) 1912 S. 133 ff.
114) Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. III, 1 S. 29 f.
115) Beiträge III, 1 S. 37. - In ähnlicher Weise verfuhr die Stadt auch häufig in späterer Zeit, um Schulden zu tilgen, z. B. St.-B.-Fragm. IV, 2 fol. 158 b: "Civitas tenetur Conrado 50 mr. den. .... Tres mr. defalcavit pro collecta." - Ebendort fol. 159 b: "Civitas vendidit Gerwino Wilden 5 mr. redditus pro 50 mr. den. ....... Et consules deputabunt sibi ad talliam hos redditus." - Vgl. auch ebendort fol. 161 b. - St.-B.-Fragm. II, 3 fol. 5 a. - St.-B.-Fragm. II, 4 fol. 5 b und St.-B. III fol. 150 a.
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pecunia totaliter sit soluta" 116 ). In besonderen Fällen stand es auch der Stadt zu, Befreiung von der Schoßpflicht zu erteilen 117 ).

Neben der "collecta" hatte der Rat auch das Recht, Verbrauchssteuern für einzelne Marktartikel zu erheben, was aus der im Jahre 1275 erlassenen Verordnung über die Hopfensteuer ersichtlich ist. Der hierüber gefaßte Beschluß des Rates lautet: "Item quicunque voluerit humulum vendere assidue, debet habere dolium in foro, et inde dabit in anno 1 mr. Si duo simul stant et vendunt, dabunt 2 mr.; et si quatuor socii de uno dolio vendunt, dabunt 4 mr. in anno" 118 ). Es hat den Anschein, als ob eine ähnliche Steuer auch für Butter erhoben wurde, denn wir finden hin und wieder verzeichnet, daß Gewerbetreibende Abgaben "de butyro" zahlten 119 ).

Die übrigen städtischen Einnahmen setzten sich aus Abgaben privatrechtlichen Charakters zusammen. Die "civitas" tritt uns als Eigentümer des Marktplatzes entgegen, und daher kamen ihr die von den Gewerbetreibenden für die Marktplätze zu zahlenden Standgelder zu. Die Stadt war ferner im Besitz zahlreicher Marktbuden, welche an die Krämer der Stadt vermietet wurden. Über diese Verhältnisse gibt uns ein Kämmerei-Register vom Jahre 1325 Aufschluß, das u. a. einen "liber de redditibus civitatis, quos officiales ac manuales de locis suis perpetuo singulis annis temporibus solutionis determinatis erogabunt", enthält 120 ). Es finden sich hierin u. a. folgende Aufzeichnungen: "Primo pannicide unam marcam de quolibet loco in theatro dabunt singulis annis . . . ., sed pannicide in propriis domibus


116) M.U.B. III Nr. 1756. - Ähnlich häufiger, z. B. St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 41 a: "refundet eidem de prima collecta." - St.-B.-Fragm. IV, 2 fol. 161 b: "de prima talia dictos denarios recipiet ..." - St.-B.-Fragm. II, 4: "Quas (nämlich 30 Mark) recipiet de prima talia. - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1856, 2122; V Nr. 3374; VI Nr. 4241.
117) M.U.B. III Nr. 1709: "Notum sit, quod ipsum, quamdiu in civitate manserit a collecta supportavit." - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1719; V Nr. 3144.
118) M.U.B. II Nr. 1379.
119) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a: "Hermannus de Ruda dedit 6 sol. de butyro." "Tidemann Volmann niger 8 sol. de butyro" und öfter.
120) M.U.B. VII Nr. 4608.
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pannum vendentes octo solidos eodem termino civitati erogabunt. Cerdones de palude de locis suis universis supra theatrum dabunt triginta marcarum redditus ... civitati annuatim. Item notandum, quod albi cerdones, qui witgherwer dicuntur, de locis suis dabunt civitati in universo duas marcas denariorum ..." 121 ). Die Gelder, welche als Pacht für die öffentlichen städtischen Wagen gezahlt wurden, flossen ebenfalls in die Stadtkasse 122 ). Weiter verfügte die Stadt über Einnahmen aus Schlachthäusern 123 ), Türmen und Torhäusern 124 ), die ebenfalls an Gewerbetreibende vermietet wurden.

Ferner bildete die Stadtfeldmark eine wichtige Einnahmequelle für die Stadtkasse. Die "civitas" war im Laufe der Zeit in den Besitz umfangreicher Liegenschaften gelangt. Diese Ländereien verpachtete die Stadt zu einem großen Teil nun ihrerseits an die Bürger. Es handelt sich hierbei um Gärten, Wiesen, Äcker und auch ganze Bauernhöfe in den städtischen Dörfern. So lautet eine Stadtbuchnotiz von 1273: "Arnoldus et Johannes ... habent de civitate ortum unum apud Nemezov, de quo singulis annis ... civitati dabunt 8 mr. perpetuo" 125 ). Sehr häufig finden sich Abgaben der sogenannten "graminarii", d. h. der Wiesenpächter 126 ), in den Stadtbüchern, etwa in folgender Art: "Anno domini


121) Ebendort S. 256.
122) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 1 b (1270/75): "De libra super aquam 3 mr. dabit Petrus et optinebit eam ad duos annos." - Ebendort fol. 4 a: "Thidericus cum kalibe convenit libram civitatis ad duos annos pro 20 mr." - Vgl. auch M.U.B. II Nr. 1175, Note; St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 4 b, St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 8 a, St.-B.-Fragm. III, 5 fol. 3 a; St.-B. VII fol. 55 b; M.U.B. VI Nr. 4064, VII Nr. 4844.
123) M.U.B. III Nr. 2194: "Hermannus fartor convenit domum mactatoriam pro 5 1/2 mr. den." Ähnlich öfter.
124) M.U.B. III Nr. 2256: "Arnoldus rasor habet duas testudines in muro retro domum suam, de quibus solvet annuatim civitati 12 sol. ...." - "Nycolaus de Molendino convenit turrim iuxta portam supra quatuor rotas ad 12 annos, de qua dabit annis singulis 24 sol. ..." Ähnlich öfter.
125) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 12 b. - Ähnlich häufiger, vgl. St.-B.-Fragm. III, 3 fol. 2 a. - St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 1 b, 8 b; M.U.B. III Nr. 1992.
126) Über "graminarii" vgl. Dragendorff, Rostocks älteste Gewerbetreibende, Beiträge II, 4, 1899 S. 30.
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1281. Graminarii dederunt 7 mr. et 4 sol. Item 6 mr. et 2 sol ... etc." 127 ). Nicht minder zahlreich sind Pachteingänge für städtische Äcker gebucht. Zum Jahre 1284 heißt es z. B.: "Johannes Molkenere recepit a civitate 3 iugera, que habebit 3 annos gratis. Quarto anno dabit de quolibet iugere 1 mr." 128 ). Seltener dagegen finden wir städtische Bauernhöfe in Pacht gegeben. So heißt es 1292: "Gerhardus carnifex tenet curiam supra Wich ... et dabit annis singulis 12 mr. 129 ).

Die Selbständigkeit der Stadt in der Finanzverwaltung zeigt sich endlich auch in den zahlreichen städtischen Anleihen, die vom Rate aufgenommen wurden. Die erste Anleihe dieser Art, von der wir Kunde haben, fällt in das Jahr 1262 130 ), weitere folgen 1283 131 ), 1284 132 ) und 1286 133 ).

d) Zoll- und Münzwesen.

Als Borwin im Jahre 1218 den Einwohnern Rostocks den Gebrauch des Lübischen Stadtrechtes bestätigte, erteilte er ihnen zugleich Zollfreiheit in seinem ganzen Herrschaftsbereich 134 ). Dagegen hatten die auswärtigen Kaufleute, wenn sie nach Rostock kamen, für ihre Waren einen bestimmten Zoll an den Landesherrn zu entrichten, wobei es sich in der Hauptsache wohl um Importzölle gehandelt hat. Im Jahre 1252 versprach Fürst Borwin der Stadt, den freien Handel nicht zu stören, jedoch fügte er im Hinblick auf die auswärtigen Kaufleute ausdrücklich den Vorbehalt hinzu: "dummodo adstricti iuri theloneario erogent, quod tenentur" 135 ). Auch das


127) St.-B.-Fragm. III, 3 fol (Druckfehler) 1 a. - Vgl. ebendort fol. 2 a. - St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 5 b, 7 a, 7 b; M.U.B. III Nr. 2195 und öfter.
128) St.-B.-Fragm. III, 4 fol. 4 b (es folgen 6 Eintragungen ähnlichen Charakters). - Vgl. auch ebendort fol. 6 a. - St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 38 b. - M.U.B. III Nr. 1742, 1992.
129) St.-B.-Fragm. III, 8 fol. 41 b. - Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1901, Note, 1918, 2155.
130) M.U.B. II Nr. 962.
131) M.U.B. III Nr. 1683, 1693.
132) M.U.B. III Nr. 1756.
133) M.U.B. III Nr. 1856.
134) M.U.B. I Nr. 244: "omnimoda in iuridictione nostra thelonii exemptione."
135) M.U.B. II Nr. 686.
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Recht der Zollbefreiung stand dem Landesherrn zu. So erteilte Fürst Waldemar im Jahre 1267 den Lübeckern Befreiung vom Zoll für Rostock und die anderen Orte seines Herrschaftsbereiches 136 ).

Seit dem Jahre 1311 finden sich in steigendem Maße in den Stadtbüchern Aufzeichnungen über den An- bzw. Verkauf von Renten aus dem Rostocker Zolle durch Private. So wurden z. B. 1311 verpfändet "30 mr. redditus, quos habet in theloneo" 137 ), oder zum Jahre 1313 heißt es: "Johannes ... posuit 1 mr. redditus in theloneo pro 10 mr." 138 ). Diese "redditus in theloneo" waren jährliche Zahlungen aus dem Rostocker Zolle, die vom Landesherrn an Private verpfändet worden sind und nun weiterverkauft wurden. Derartige Fälle mehren sich besonders stark seit 1315 139 ). Mitunter ist in den Aufzeichnungen ausdrücklich die Bedingung hinzugefügt, daß dem Landesherrn das Rückkaufsrecht für die Renten zusteht 140 ), ein deutliches Zeichen dafür, daß die Fürsten bestrebt waren, nach Möglichkeit die Zolleinnahmen ungeteilt für sich zu erhalten.

Es gelang auch der Stadt vorläufig nicht, sich in den Besitz des Zollrechtes zu setzen. Noch unter dem 8. April 1347 verschrieb Herzog Albrecht einem Gläubiger für eine Schuld von 500 Mark 30 Mark jährlicher Rente "in deme tollen to Rozstoke" 141 ), d. h. der Landesherr verfügte damals noch selbständig über die Zolleinnahmen in Rostock.

Für das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn hinsichtlich des Zollwesens ist noch eine urkundliche Bestimmung von 1264 wichtig. Damals schenkte Borwin III. den Bürgern Rostocks


136) M.U.B. II Nr. 1125, VII Nr. 4810.
137) St.-B.-Fragm. II, 5, fol. 5 a.
138) St.-B.-Fragm. II, 6 fol. 7 a.
139) St.-B. V fol. 137 b, St.-B. VI fol. 17 b, 23 b, 33 a und öfter; St.-B. VII fol. 12 a, 15 a, 16 a, 22 a und öfter. - St.-B.-Fragm. II, 7 fol. 1 b, 5 a, 7 b; St.-B.-Fragm. II, 9 fol. 1 b, 2 b. - M.U.B. VII Nr. 4819, VIII Nr. 5307.
140) St.-B. VI fol. 24 b (1215): "Decem mr. redditus ... sicut ipse tenuit in theloneo Rozstoc, quos, dominus rex (der dänische König hatte damals vorübergehend die Herrschaft über Rostock erworben) redimere poterit. - Vgl. auch ebendort fol. 25 a, 25 b. - M.U.B. VII Nr. 4640, 4746.
141) M.U.B. X Nr. 6746.
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"freie Fuhr zu allen Mühlen" (vecturam per omnia molendina sua liberam dictis burgensibus ... indulgemus) 142 ). Diese Bestimmung deutet darauf hin, daß die Bürger Rostocks bis zum Jahre 1264 zur Zahlung eines landesherrlichen Zolles, vielleicht eines Straßenzolles oder einer ähnlichen Abgabe, verpflichtet waren, wenn sie ihr Korn nach den Mühlen fahren wollten. Näheres läßt sich hierüber nicht feststellen.

Die Rostocker Münze wird bereits in dem ältesten Stadtbuch-Fragment häufig erwähnt. Die Aufzeichnungen lassen den Schluß zu, daß die fürstliche Münze schon in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts zwar nicht in das Eigentum, wohl aber in die Verwaltung der Stadt übergegangen war. Es heißt z. B.: "Dominus meus (d. i. der Landesfürst) recepit de moneta: primo domino Reimberto 62 mr., item Conrado de Godebuz 6 mr. ..., item Conrado de Darzowe 6 mr. ..." 143 ), oder an anderer Stelle: "Dominus meus premonstravit domino Reinberto 9 mr. de moneta. Item domino Bertrammo Institori 14 mr. Item Stormclocke 15 mr. ... etc." 144 ). Es handelt sich bei diesen Buchungen um Zahlungen an verschiedene Bürger der Stadt, die der Rat "de moneta" im Auftrage des Landesfürsten leistet. Der Rat wird ausdrücklich an mehreren Stellen als zahlende Instanz angeführt, so z. B. 1259/60: "Consules dederunt domino Burwino de moneta 100 mr." 145 ) oder etwa 1270/75: "Consules promiserunt H. Sapienti, Conrado Parvo et Johanni de Luneburg 70 mr. unam minus de moneta istius anni, sicut domino Burwino dare tenentur" 146 ). Ähnliche Aufzeichnungen finden sich häufig 147 ). Die Zahlungen des Rates "de moneta" sind wahrscheinlich die von der Stadt an den Landesherrn zu zahlenden Abgaben für die Überlassung der Münze. In der Praxis wurden anscheinend die Zahlungen - ebenso wie bei der Bede 148 ) - häufig in der Weise geleistet, daß der Rat


142) M.U.B. II Nr. 1021.
143) St. -B.-Fragm. I,1 fol. 2 a.
144) Ebendort fol. 4 b.
145) Beiträge Bd. II, 2.
146) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 16 b.
147) Vgl. St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 2 a, 2 b, 4 b, 6 a. - M.U.B. II Nr. 1140. - St.-B. I fol. 71 a. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 15a, 16 b.
148) Vgl. Kap. III, c, S. 62.
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die fälligen Beträge auf Anweisung des Fürsten direkt an Gläubiger des letzteren auszahlte.

Die Annahme, daß die fürstliche Münze bereits seit den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts unter der Verwaltung der "civitas" stand, wird außerdem dadurch gerechtfertigt, daß um 1260 in Rostock ein "magister monete" vorhanden war, der, nach verschiedenen Stadtbuch-Inskriptionen zu urteilen, ein städtischer Beamter gewesen sein muß. Dieser Münzmeister bewohnte nämlich ein Haus, dessen innere Einrichtung städtisches Eigentum war. Zum Jahre 1260 heißt es: "Cum magister monete in lecto egritudinis jaceret et communicasset et iniunctus esset, recognovit, quod universa bona, que habebit in domo, in culcitris, pulvinaribus, ollis eriis, cocliaribus, et quicquid ibi erat, haberet de civitate" 149 ). Um dieselbe Zeit wird gebucht, daß der Münzer Silber empfangen hat, das zum Nutzen der Stadt verwendet werden soll 150 ).

Als Rat und Bürger Rostocks im Jahre 1323 dem Fürsten Heinrich von Mecklenburg gehuldigt hatten, bestätigte dieser der "civitas" ihre Rechte hinsichtlich der Münze in folgender Weise: "adicientes, quod monetam nostram in ipsa civitate habeant et de nostro consensu et scitu custodiant et nusquam alias in terris nostris in locis inconsuetis denarii fabricentur" 151 ). Die landesherrliche Münze ging dann im Jahre 1325 mit sämtlichem Zubehör für einen Kaufpreis von 1000 Mark in den Besitz der Stadt über, und gleichzeitig erwarb diese damit das alleinige Münzprägerecht für die gesamte fürstliche Herrschaft Rostock 152 ). In der Verkaufsurkunde wurde bestimmt, daß in keinem anderen Orte des Herrschaftsbereiches wie Ribnitz, Sülz, Marlow, Tessin, Kröpelin, Warnemünde oder in Dörfern und Vogteien Münzen hergestellt werden durften, sondern die Rostocker Münze mußte


149) Beiträge II, 2 S. 18.
150) M.U.B. IV Nr. 2683. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 3 S. 80.
151) M.U.B. VII Nr. 4449.
152) M.U.B. VII Nr. 4675: "vendidimus rationabiliter ac dimisimus ..... monetam nostram ibidem cum omni fructu et utilitate, cum campsuris ac libertate et cum omnibus aliis attinenciis ...."
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in der ganzen Herrschaft Rostock als verbindliches Zahlungsmittel angenommen werden 153 ).

Im engen Zusammenhang mit der Münze stand das Wechselgeschäft. Schon etwa 1270 wird in einem Kämmerei-Register verzeichnet, daß die Wechsler Abgaben an die Stadt bezahlt haben 154 ). Das Wechselgeschäft als solches wird 1304 zum ersten Male urkundlich erwähnt, und zwar unterstand es hiernach der Verfügungsgewalt der Stadt. Es heißt: "Civitas dimisit Johanni Scilling illos sexdecim mr. redditus, quos Bernardus filius Arnoldi de Kyra solvere tenetur de campsura" 155 ). Im Jahre 1319 vergab der Rat das Wechselgeschäft auf 3 Jahre an Nikolaus von Kyritz. In der Aufzeichnung hierüber wird ausdrücklich bemerkt: "Finitis tribus annis campsura ad civitatem revertetur" 156 ).

e) Geleitsrecht und Judenregal.

Quellenmäßige Belege dafür, daß das Geleitsrecht für Rostock ursprünglich im Besitze des Landesherrn gewesen ist, sind uns nicht erhalten. Nach den uns überlieferten Quellen finden wir den Rat im Besitze des Geleitrechtes am Ende des 13. Jahrhunderts. In einer Urkunde vom 26. November 1299, durch welches sich "consules universi, novi et veteres, necnon communitas civitatis" verpflichteten, an mehrere Fürsten 5000 Mark zu zahlen, heißt es: "Promittimus etiam eisdem, nos una cum domino nostro Nicolao de Rostoc conducere bona fide pro omnibus, qui faciunt vel dimittunt aliquid nostri causa, ad locum, quem prefati principes duxerint eligendum" 157 ). König Erich von Däne-


153) Ebendort: "quod nusquam locorum extra civitatem nostram Rozstok in districtu dominii nostri Rozstokcensis, utpote Rybeniz, Sulta, Marlow, Tessin, Cropelin, Warnemünde, in villis vel in advocatiis aut in terminis earundem civitatum ... umquam denarii de cetero debeant fabricari, sed denarii in Rozstok fabricati iuxta tenorem premissum dativi ubique locorum per totum dominium nostrum Rozstokcense predictum debeant recipi."
154) St.-B.-Fragm. III, 3, fol. 7 b: "Campsores post hoc 5 mr. 4 sol. minus, post hoc 3 mr.; 16 mr."
155) St.-B. III fol. 160 b.
156) M.U.B. VI Nr. 4073.
157) M.U.B. IV Nr. 2583.
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mark beschuldigte um 1312 den Rat von Rostock in mehreren Fällen des Geleitbruches 158 ). Am 13. März 1315 beurkundeten Bürgermeister und Rat von Rostock, daß die Leute und Güter des Klosters Doberan keines freien Geleites in der Stadt bedurften 159 ). Aus späterer Zeit sind uns mehrere Fälle überliefert, in denen Verbrecher verfestet wurden, weil sie Personen verletzt hatten, die unter dem Geleit des Rates standen. Es heißt zum Jahre 1337: "quod Berchane armigerum infra conductum dominorum consulum vulneraverunt" 160 ) oder 1343: "quod percusserunt ... in presencia domini nostri Magnopolensis et sub conductu dominorum consulum huius civitatis" 161 ).

Das Judenregal hat in Rostock keine große Rolle gespielt. Nur eine einzige aus dem Jahre 1283 stammende Aufzeichnung gibt uns hierüber Aufschluß. Damals nahm die Stadt bei dem Juden Salathiel eine Anleihe auf und versprach ihm nach 2 Jahren freien Abzug, falls er sich nicht mit der Landesherrin über einen längeren Aufenthalt einigen würde. Die Inskription lautet: "Finitis autem duobus annis, si cum domina terre uniri non poterit, cum bonis suis recedendi habebit libram potestatem" 162 ). Hieraus ist ersichtlich, daß die in Rostock ansässigen Juden Verpflichtungen gegenüber dem Landesherrn hatten. Es wird sich hierbei wahr-


158) M.U.B. V Nr. 3504: "Vi drog ind udi deris By, under deris obne Leyde, huor de giorde offte forsamling imod os imorcke oc der med brod leyden. Item sidst vi vilde vere udi deris By, vilde de icke giffue os Leyde, uden til it vist Antal, vort Gods der inde blifuendis. Item under Leyde gifuen haffue de fanget en vor Drostis Karle." - "Wir zogen unter ihrem offenen Geleit in ihre Stadt, wo sie häufige Versammlungen insgeheim gegen uns veranstalteten und damit das Geleite brachen. Weiter wollten sie das letzte Mal, als wir in unserer Stadt sein wollten, uns kein Geleite geben, außer auf eine gewisse Anzahl, bei Verbleib unserer Güter in derselben. Ferner haben sie während gegebenen Geleits einen Knecht unseres Drosten gefangen genommen.
159) M.U.B. VI Nr. 3743: "nullo conductu vel securatione indigeant."
160) M.U.B. IX Nr. 5782.
161) M.U.B. IX Nr. 6321. - Vgl. auch M.U.B. IX Nr. 5855 und Nettelbladt, Von dem Ursprunge der Stadt Rostock Gerechtsame, Rostock 1757 S. 151 f.
162) M.U.B. III Nr. 1683.
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scheinlich um Geldabgaben gehandelt haben. Das Judenregal befand sich demnach in jener Zeit in fürstlicher Hand. Weitere Quellen sind uns hierüber nicht erhalten 163 ).

f) Das Gerichtswesen.

Im städtischen Gerichtswesen jener Zeit haben wir zu unterscheiden zwischen der höheren oder der Kriminalgerichtsbarkeit, der zivilen Gerichtsbarkeit, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und einer Polizeigerichtsbarkeit. Im Laufe der Zeit ist es der "civitas" gelungen, sämtliche Zweige des Gerichtswesens in ihre Hand zu bringen.

Der Landesherr war zugleich der Gerichtsherr der Stadt, und daher gebührte ihm der Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. In der Praxis übte der Landesherr jedoch dieses Amt nicht persönlich aus, sondern ließ sich durch seinen Vogt vertreten. Das fürstliche Vogtgericht bestand bis zum Jahre 1358 aus dem "advocatus", der den Vorsitz führte, und 2 Ratsherren, die als Beisitzer fungierten 164 ). Bei der Erwerbung der höheren Gerichtsbarkeit ging die Stadt in der Weise vor, daß sie dieses Hoheitsrecht zunächst für einzelne Gebiete und schließlich für den gesamten Umkreis des städtischen Herrschaftsbereiches in ihre Hand brachte. Nach den uns überlieferten Quellen erlangte die "civitas" die Kriminalgerichtsbarkeit zuerst für die Rostocker Heide. Im Jahre 1323 bestätigte nämlich Fürst Heinrich von Mecklenburg Rat und Bürgerschaft den Besitz des im Jahre 1252 erworbenen Waldgebietes mit folgenden Worten: "Unde ad noticiam ... volumus pervenire, nos dilectis nobis consulibus et universitati in Rozstok silvam quandam, quam primitus a domino Borwino comparaverant, cum omni proprietate, iudicio supremo et ymo ... liberaliter contulisse" 165 ). Nach dem Wortlaut dieser Urkunde besaß die Stadt bereits im Jahre 1323 die höhere Gerichtsbarkeit für den Bereich der Rostocker Heide. In demselben Jahre kaufte die Stadt von Fürst Heinrich das Dorf Warnemünde "cum fundo, proprie-


163) Vgl. Herrlich a. a. O. S. 49 ff.
164) M.U.B. V Nr. 2731. - Ratsarchiv Rostock, Liber proscriptorum (im Folgenden zitiert: Lib. proscr.) fol. 1 a ff.
165) M.U.B. VII Nr. 4424.
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tate et iudicio quolibet maiore et minore" 166 ). Dazu kam im Jahre 1331 Barnstorf, dessen Bede und gesamtes Gericht Fürst Heinrich im Jahre 1319 einem Rostocker Bürger abgetreten hatte 167 ), welcher seinerseits beides 12 Jahre später an die Stadt verkaufte. Es heißt in der hierüber ausgestellten Urkunde: "... cum iudicio maiore, scilicet manus et colli, ac minore, cum omni fructu et utilitate" 168 ). Im Jahre 1358 erwarb dann die "civitas" von Herzog Albrecht von Mecklenburg für einen Kaufpreis von 2000 Mark die volle Gerichtsbarkeit innerhalb des gesamten städtischen Herrschaftsbereiches 169 ).

Über das Verhältnis der Beisitzer zum fürstlichen Vogt gewinnen wir näheren Aufschluß durch den sogenannten "Liber proscriptorum", der Aufzeichnungen über Verfestungen, Stadtverschwörungen und Stadtverweisungen aus der Zeit von 1301 bis 1379 enthält. Aus den zahlreichen Eintragungen ist ersichtlich, daß die Bedeutung des "advocatus" gegenüber der der Beisitzer allmählich abnimmt 170 ). Bis zum Jahre 1341 wird in den Aufzeichnungen in der Regel der Name des Vogtes vor denen der Beisitzer genannt. Es heißt z. B.: "Hanc causam iudicavit: Michel, advocatus, ascessores: Gerhardus Reyneri et Hinricus Albus" 171 ). Seit 1341 dagegen stehen die Namen der Beisitzer stets an erster Stelle, wie in folgender Eintragung: ... Judices: dominus Hinricus de Vemeren, dominus Hinricus Quast et Gerhardus advocatus 172 ). Nachdem die Stadt im Jahre 1358 die volle Gerichtsbarkeit für ihr Gebiet erworben hatte, verschwindet der Name des Vogtes vollständig aus dem "Liber proscriptorum". Als Gerichtspersonen werden hinfort nur noch die beiden Ratsherren aufgeführt, die nunmehr als "iudices civitatis" 173 )


166) Ebendort.
167) M.U.B. VII Nr. 4063.
168) M.U.B. VIII Nr. 5229. - Die fürstliche Bestätigung dieses Kaufes erfolgte im Jahre 1333. (M.U.B. VIII Nr. 5447.)
169) M.U.B. XIV Nr. 8533: ".... totum et integrum nostrum iudicium maius ac medium et minus et ius ad ipsum pertinens ..."
170) Vgl. zum Folgenden M.U.B. V Einl. S. XVII ff.
171) Lib. proscr. fol. 2 a. - Vgl. auch fol. 2 b, 3 a, 3 b, 4 a und öfter. - M.U.B. V Nr. 2731, 2763, 2839 und öfter.
172) Lib. proscr. fol. 46 a. - Vgl. auch fol. 46 b, 47 a ff. M.U.B. IX Nr. 6106, 6180, 6321 und öfter.
173) Lib. proscr. fol. 76 b, 80 a, 90 a und öfter.
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"iudices et advocati ex parte dominorum consulum" 174 ) oder am häufigsten als "iudices et advocati" 175 ) bezeichnet werden.

Die beiden als Beisitzer fungierenden Ratsherren führen bis zum Jahre 1337 lediglich den Titel: "assessores" 176 ) oder auch nur "consules" 177 ), jedoch seit 1337 werden sie "iudices" 178 ) genannt.

Während in den Aufzeichnungen des "Liber proscriptorum" über Verfestungen stets das fürstliche Vogtgericht (bis 1358) als richtende Instanz angeführt wird, finden wir, daß vereinzelt auch schon vor 1358 Stadtverweisungen vom Rate ausgesprochen wurden. So wurden im Jahre 1338 mehrere Personen "coram consistorio" der Stadt verwiesen 179 ), oder in einem anderen Falle heißt es: "Consules prohibuerunt Hennekino Raat, filio Olrici Rat, civitatem penes suum proprium collum" 180 ). Ferner wird der "ganze Rat" 181 ) in mehreren Meineidsverfahren als richtende Instanz genannt. Es heißt in zwei Aufzeichnungen: "Dit is wiltlich deme gantzen rade" 182 ) und an anderer Stelle: "Hir war over die gantze rat, de dit scrieven liet" 183 ). Diese Fälle müssen wohl als Ausnahmen angesehen werden.

Während die Kriminalgerichtsbarkeit erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollständig an die Stadt übergegangen ist, finden wir die übrigen Zweige des Gerichtswesens schon zu bedeutend früherer Zeit in der Hand der Stadt. Als richtende Instanz in einem Zivilprozeß wird der Rat zum ersten Male im Jahre 1265 genannt. Damals wurde Heinrich von Tessin "coram consulibus" verurteilt, und zwar durfte er nach dem ergangenen Urteilsspruch sein Haus nur unter der


174) Lib. proscr. fol. 60 a, 60 b.
175) Lib. proscr. fol. 60 b, 61 a, 61 b, 62 a und öfter.
176) Lib. proscr. fol. 1 b, 2 a, 2 b und öfter. - M.U.B. V Nr. 2839, 3194 und öfter.
177) Lib. proscr. fol. 10 a. - M.U.B. V Nr. 2763, 3147, 3267 und öfter.
178) Lib. proscr. fol. 15 b, 16 a, 16 b und öfter. - M.U.B. IX Nr. 5785, 5786, 5787, 5788 und öfter.
179) Lib. proscr. fol. 17 b, 18 a, 20 a.
180) Lib. proscr. fol. 19 a.
181) Über den Ausdruck "ganzer Rat" vgl. Kap. IV b, 3 S. 94.
182) M.U.B. III Nr. 2385, 2386.
183) M.U.B. III Nr. 2424. - Vgl. auch Nr. 2423.
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Bedingung verkaufen oder verpfänden, daß er an die Rostocker Kirchen die Summe von 33 Mark zahlte 184 ). Im Jahre 1282 entschied der Rat die Streitigkeiten mehrerer Bürger mit dem Kloster Neuenkamp wegen Güter in Kordshagen 185 ). Der Träger der Zivilgerichtsbarkeit war hiernach der Rat; die Zivilprozesse wurden von den "consules" entschieden. Seit welcher Zeit die "civitas" im Besitze der zivilen Gerichtsbarkeit war, läßt sich nicht feststellen.

Gegen die Entscheidung des Rostocker Rates war eine Appellation an den Lübecker Rat als höhere Instanz möglich. Als im Jahre 1270/71 ein Rostocker Ratsherr wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses mit einer Buße von 60 Mark bestraft worden war, drohte ihm der Rat "Hanc causam conscribi faciemus et Lubecam transmittemus" 186 ). Im Jahre 1358 wurden die Befugnisse des Rates durch Herzog Albrecht von Mecklenburg dahin erweitert, daß es in Zukunft der Entscheidung der Ratsherren überlassen wurde, ob sie in den einzelnen Fällen eine Appellation von Rostock nach Lübeck zulassen wollten 187 ).

Wie Lübeck für Rostock, so bildete Rostock wiederum einen Obergerichtshof für Stralsund. Als der Stralsunder Rat sich im Jahre 1295 damit einverstanden erklärte, daß vom Hofe zu Nowgorod nur nach Lübeck appelliert werden durfte, behielt er sich ausdrücklich für die in Stralsund anhängig gemachten Rechtssachen den Instanzenweg Rostock-Lübeck vor 188 ).

Von der freiwilligen Gerichtsbarkeit war schon an früherer Stelle die Rede. Dieser Zweig des Gerichtswesens gehörte


184) St.-B. I fol. 23 b: "Hynricus de Tussin arbitratus est coram consulibus, quod hereditatem suam non vendat nec exponat alicui pro pignore, nisi prius persolvat ecclesiis in Rozstok 33 mr. den."
185) M.U.B. III Nr. 1636.
186) M.U.B. II Nr. 1206.
187) M.U.B XIV Nr. 8533: "Adicimus eciam, quod dicti consules .... licite poterunt prohibere omnes appellationes faciendas et interponendas ad consules in Lubeke a quibuscunque diffinitionibus, pronunciationibus et sentenciis per eosdem consules Rozstoccenses dandis et ferendis, et eas eciam quandocunque et quocienscunque ipsis placuerit, in omnibus causis generalibus et specialibus admittere et prohibere, prout eorum fuerit arbitrii, commodi et voluntatis."
188) M.U.B. III Nr. 2361.
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wahrscheinlich zu dem anfänglichen Kompetenzbereich des Rates, denn schon nach dem ältesten uns erhaltenen Stadtbuch-Fragment finden die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit stets ihre Erledigung "coram consulibus" 189 ).

Ebenso dürfen wir wohl annehmen, daß, wie bereits erwähnt, auch die Polizeigerichtsbarkeit, soweit sie sich auf die Überwachung des Marktverkehrs erstreckte, zu den ursprünglichen Befugnissen des Rates gehörte 190 ). In dem bereits oben zitierten Geldbußenregister vom Jahre 1275 finden sich u. a. auch Geldstrafen für Vergehen folgender Art verzeichnet: "Johannes emendavit 10 sol., quod percussit Sameke", "Petrus Deme emendavit 10 sol. de percussione", "Steminc emendavit 10 sol. de percussione beachii ...", "Bernert Widenese 10 sol., quod extraxit cultellum", "Johannes Rozstok 18 sol. de lesione Ladercoper" etc. 191 ). Es handelt sich hierbei um weniger schwere Vergehen, wie Schlägerei und Verstöße gegen die im Interesse der allgemeinen Sicherheit erlassenen Verordnungen. Diese Fälle fanden wahrscheinlich, ebenso wie die Übertretungen der marktgesetzlichen Bestimmungen, ihre Sühne vor dem Rate. In welchem Jahre die "civitas" dieses Recht erworben hat, darüber geben uns die Quellen keinen Aufschluß.

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Kapitel IV.

Die Verfassung Rostocks seit der Ausbildung
der bürgerlichen Selbstverwaltung.

In ständig fortschreitender Entwicklung war es den zielbewußten Bestrebungen der Bürger gelungen, den anfangs vorherrschenden Einfluß des Landesherrn auf die Verwaltung der Stadt allmählich zu verdrängen. Die Fürsten hatten es nicht verhindern können, daß die Gewalt über die "civitas" allmählich ihren Händen entglitt. Die städtische Feldmark hatte sich beträchtlich auf Kosten des landesherrlichen Besitzes


189) Vgl. Kap. II, b 2 S. 55.
190) Vgl. Kap. II, b 2 S. 53 f.
191) St. -B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b, 6 a.
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erweitert, die fürstlichen Burgen, einst das Wahrzeichen für die landesherrliche Macht in der Stadt, waren geschleift worden. Das Fischerei- und Strandrecht war aus der Hand der Fürsten in die der Stadt übergegangen. In der Steuer- und Finanzverwaltung besaßen die Bürger seit den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts weitgehende Selbständigkeit. Auch die städtische Münze, die sich anfangs im fürstlichen Besitz befand, war Eigentum der Stadt geworden, und schließlich gelang es der "civitas" auch, die volle Gerichtsbarkeit für den gesamten Umkreis der städtischen Besitzungen an sich zu bringen. Bereits um 1325 war, abgesehen von wenigen Rechten, die dem Landesherrn noch in der Stadt verblieben waren, die bürgerliche Selbstverwaltung voll ausgebildet.

Soweit es die Quellen gestatten, soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, einen Überblick über die verfassungsrechtlichen Zustände der Stadt um 1325 zu geben.

a) Das Verhältnis der Stadt zum Landesherrn.

Die große Veränderung, die in dem Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn eingetreten war, zeigt sich nicht nur in der inneren Verwaltung der "civitas", sondern auch in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, die Rostock seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit den übrigen Ostseestädten unterhielt. In der ersten Zeit seiner Tätigkeit trat der Rat nicht als der ausschließliche Vertreter der Stadt nach außen auf, sondern er wurde in seinem Verkehr mit anderen Städten vom fürstlichen Vogt überwacht 192 ). Seit dem Jahre 1257 jedoch begann die "civitas" selbständig mit anderen Städten in Verbindung zu treten 193 ). Sie traf nicht nur Abmachungen rechtlicher und wirtschaftlicher Natur mit den übrigen deutschen Ostseestädten 194 ), sondern führte mit diesen sogar einen siegreichen Krieg gegen Norwegen 195 ). Durch die gemeinsamen Beschlüsse der Ostseestädte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald wurde damals der Grund-


192) Vgl. Kap. II, b 1 S. 52 f.
193) Vgl. Koppmann, Rostocks Stellung in der Hanse, Jahrbücher LII 1887 S. 192 ff.
194) M.U.B. II Nr. 786, 847, 873, 1586.
195) M.U.B. III Nr. 1733, 1806. - Vgl. Koppmann, Jahrbücher LII S. 193 f.
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stein gelegt für den mächtigen hansischen Städtebund, der schon in jener Zeit Rostock zu einer hohen politischen Machtstellung verhalf. Im Jahre 1293 wurde zur Erhaltung des Friedens und zum Nutzen der Kaufleute zwischen den genannten Städten ein dreijähriges Schutzbündnis abgeschlossen 196 ), und als dieses Bündnis auf weitere drei Jahre verlängert wurde, verpflichteten sich die Städte, im Kriegsfalle einander selbst gegen den eigenen Landesherrn finanzielle Hilfe zu leisten 197 ). Diese Tatsache legt Zeugnis davon ab, daß Rostock am Ende des 13. Jahrhunderts fast zu einem selbständigen Staat im Territorium des Landesherrn geworden war 198 ). Allerdings war diese hohe politische Machtstellung der Stadt nicht von langer Dauer. In dem Kampfe, der in den beiden ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts unter der Führung des dänischen Königs vom deutschen Fürstentum gegen die deutschen Ostseestädte geführt wurde, wurde im Jahre 1312 auch Rostock niedergeworfen 199 ), so daß dem Streben der Stadt nach voller Selbständigkeit eine Grenze gesetzt war. Die Niederwerfung Rostocks kam schließlich den Mecklenburger Fürsten zugute, denn im Jahre 1317 erhielt Fürst Heinrich von Mecklenburg das Land Rostock von König Erich von Dänemark zu erblichem Lehen 200 ). Wenn auch durch den für Rostock ungünstigen Ausgang des Kampfes die politische Machtstellung der Stadt für längere Zeit stark gemindert war, so blieben der "civitas" doch die im Laufe der Zeit erworbenen Rechte und Freiheiten erhalten. Am 19. April 1313 wurden die Gerechtsame der Stadt Rostock urkundlich von König Erich bestätigt 201 ). Durch die kriegerischen Ereignisse wurde demnach das rechtliche Verhältnis der Stadt zu der landesherrlichen Gewalt auf die Dauer nicht geändert.


196) M.U.B. III Nr. 2248.
197) M.U.B. III Nr. 2414.
198) Vgl. Fischer, Heinrich der Löwe von Mecklenburg (Rostocker Dissertation 1889) S. 43.
199) Vgl. Koppmann, Jahrbücher LII S. 200 ff. und Schäfer, Die Hansestädte und König Waldemar von Dänemark, Jena 1879, S. 92 ff.
200) M.U.B. VI Nr. 3871.
201) M.U.B. VI Nr. 3608: "Dictique consules et cives nostri Rozstokcenses de cetero in regno nostro gaudere debebunt libere omnibus iuribus et libertatibus eisdem concessis per privilegia progenitorum nostrorum seu nostra ...."
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Als Zeichen dafür, daß die Stadt den Landesfürsten als rechtmäßigen Herrn über sich anerkannte, war sie verpflichtet, dem Fürsten zu huldigen. Der Huldigungseid wurde vom Rate geleistet und urkundlich festgelegt. Eine solche Huldigungsurkunde ist uns aus dem Jahre 1314 erhalten. Nachdem die Namen der einzelnen Ratsherren aufgeführt worden sind, heißt es: "... protestamur, quod magnifico principi, domino nostro domino Erico regi Danorum, ac nobili domino Hinrico Magnopolensi ipsius nomine per iuramenta fidelitatis homagyum fecimus, quod vulgariter dicitur hulden" 202 ). In dieser Urkunde wurde außerdem bestimmt, daß künftig der Rat alljährlich nach seiner Neuwahl den Huldigungseid leisten sollte 203 ). Nach erfolgter Huldigung pflegte der Landesherr die Privilegien und Gerechtsame der Stadt urkundlich zu bestätigen. Derartige Bestätigungsurkunden sind uns aus den Jahren 1323 und 1349 erhalten 204 ).

Als ständiger Vertreter der landesherrlichen Gewalt war auch noch um 1325 der "advocatus" im Dienste des Fürsten in der Stadt tätig, jedoch hatte sein Amt keine große Bedeutung mehr. Aus den Ratsurkunden ist sein Name schon seit den 80er Jahren des 13. Jahrhunderts vollständig geschwunden, so daß als Aussteller der Urkunden nur noch Rat und Gemeinde genannt werden 205 ). Das einzige Amt, das dem "advocatus" noch in der Stadt verblieben war, war der Vorsitz bei der Ausübung der höheren Gerichtsbarkeit. Dieses Amt hat er bis zum Jahre 1358 behauptet, bis er auch auf diesem Posten durch städtische Richter abgelöst wurde 206 ).

In finanzieller Hinsicht waren dem Landesherrn zwei wichtige Rechte verblieben. Die Stadt war ihm nach wie vor zur Zahlung der jährlichen Bede von 250 Mark verpflichtet 207 ), und ferner gebührte dem Fürsten die Einnahme aus dem Rostocker Zolle 208 ). Ob die Stadt an der Verwaltung der Zoll-


202) M.U.B. VI Nr. 3674.
203) Ebendort. - Die einschlägige Stelle der Urkunde ist zitiert Kap. II a S. 52.
204) M.U.B. VII Nr. 4449, X Nr. 6944. - Vgl. auch X Nr. 6955.
205) M.U.B. III Nr. 1649: "consules ceterique burgenses" (1282) und ebenso ein Jahr später (M.U.B. III Nr. 1669).
206) Lib. proscr. fol. 60 ff. - Vgl. Kap. III f S. 74 f.
207) Vgl. Kap. III c S. 62 f.
208) Vgl. Kap. III d S. 68 f.
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angelegenheiten beteiligt war, läßt sich nicht feststellen. In den Stadtbüchern werden hin und wieder "theolonarii" oder Zöllner erwähnt 209 ), jedoch ist es nicht erkennbar, ob es sich um städtische oder fürstliche Beamte handelt.

Damit sind die dem Fürsten in der Stadt zustehenden Rechte erschöpft. Es zeigt sich, daß die ursprünglich überragende Machtstellung des Landesherrn in der Stadt verschwunden ist. Demgegenüber aber hatte sich die Institution des Rates zu immer größerer Bedeutung erhoben.

b) Der Rat als Organ der Selbstverwaltung.

Als Hauptträger der bürgerlichen Selbstverwaltung besaß der Rat um 1325 die eigentliche Regierungsgewalt in der Stadt. An der Spitze des Rates standen Bürgermeister, die in den Urkunden als "proconsules'', "burgimagistri", "magistri civium" oder als "magistri burgensium" bezeichnet werden 210 ), jedoch traten diese wie allgemein in den mittelalterlichen Städten bei weitem nicht so in den Vordergrund wie in der modernen Stadt 211 ). Den Bürgermeistern stand es zu, die Ratssitzungen zu leiten. So heißt es einmal zum Jahre 1343: "duo proconsules ... sedem consulum Rozstok regentes" 212 ). Weitere Nachrichten über besondere Funktionen der Bürgermeister sind uns nicht überliefert. Wir dürfen deshalb wohl annehmen, daß sie gegenüber den übrigen Ratsmitgliedern keine weiteren erheblichen Vorrechte besaßen. Die eigentliche Bedeutung für die Verwaltung der Stadt kommt daher dem Rate als Gesamtheit zu. Wir versuchen nun zunächst, uns ein Bild von der sozialen Zusammensetzung des Rates zu machen.

1. Die soziale Zusammensetzung des Rates.

Der Kreis der Rostocker Ratsherren setzte sich wahrscheinlich in der Hauptsache aus Kaufleuten zusammen. Schon die Namen mehrerer Ratsherren weisen darauf hin, daß ihre Träger den kaufmännischen Kreisen der Stadt entstammten.


209) M.U.B. III Nr. 1705, V Nr. 3140.
210) M.U.B. III Nr. 2008, VII Nr. 4461, IX Nr. 6030, 6567, X Nr. 6802, IV Nr. 2488, IX Nr. 5967, VIII Nr. 5454, VI Nr. 4131.
211) Vgl. v. Below, Vom Mittelalter zur Neuzeit, Leipzig 1924, S. 52.
212) M.U.B. IX Nr. 6295.
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Derartige im Rate auftretende Namen sind folgende: Lübbert Dünafahrer (1289) 213 ), Heinrich von Gotland, der auch Heinrich Gotlandfahrer genannt wird (1268) 214 ), Heinrich von Kurland (1312) 215 ), Ludolf und Arnold von Gotland (1312 bzw. 1333) 216 ) und Gottfried Isländer (1319) 217 ). Diese Ratsherren haben wahrscheinlich ihre Namen nach den Ländern erhalten, mit denen sie die meisten Handelsbeziehungen unterhielten. Daß Ludolf von Gotland tatsächlich mit gotländischen Bürgern in geschäftlicher Verbindung stand, geht daraus hervor, daß er gemeinsam mit seinem Bruder im Jahre 1301 von zwei Bürgern zu Wisby eine Anleihe von 400 Mark erhielt 218 ). Auch der Name Kopman = Kaufmann, der im Rate bereits 1267 auftaucht 219 ), läßt auf die kaufmännische Tätigkeit seines Trägers schließen. Aus den Stadtbüchern geht ferner hervor, daß eine ganze Reihe von Ratsherren im Besitze eines "granarium" war. Wahrscheinlich haben wir hierunter einen Getreidespeicher zu verstehen, denn der Getreidehandel hat in Rostock von jeher eine große Rolle gespielt 220 ). Keinesfalls darf man das Wort "granarium" mit "Scheune" übersetzen; zur Bezeichnung eines der Unterbringung von Erntevorräten dienenden Gebäudes gebrauchen die Stadtschreiber stets das Wort "horreum" 221 ). Die im Besitze eines "granarium" befindlichen Ratsherren dürfen wir wohl ebenfalls als Kaufleute betrachten. Es sind dies folgende: Johannes Mönch


213) M.U.B. III Nr. 2006. - Die diesem und den folgenden Namen in Klammern hinzugefügte Zahl bedeutet das Jahr, in dem die Personen zum ersten Male im Rate nachweisbar sind.
214) M.U.B. II Nr. 1138, IV Nr. 2424. - Vgl. auch IV Nr. 2488, 2598.
215) M.U.B. V Einl. S. XII.
216) M.U.B. V Einl. S. XIII, M.U.B. VIII Nr. 5411.
217) M.U.B. V Einl. S. XIX.
218) M.U.B. V Nr. 2739.
219) M.U.B. II Nr. 1101.
220) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 9.
221) Das Wort "horreum" tritt daher meistens in Verbindung mit einer "curia" auf, so z. B. St.-B. VII fol. 12 a: "Wulbrandus vendidit horreum et curiam ... et duos mansos." oder ebenda fol. 20 b: "Johannes Gunter et domina Lysa .... vendiderunt tres mansos .... Item vendiderunt curiam et horreum." Ähnlich sehr oft. - Vgl. St.-B. V fol. 135 a, St.-B. VI fol. 20 b, 47 b, 57 b, St.-B. VII fol. 5 b, 51 a, 68 b, 75 b.
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(1252) 222 ), Hermann v. Lage (1257) 223 ), Johannes Rathenow (1257) 224 ), Johannes v. Staden (1262) 225 ), Heinrich Adolphi (1262) 226 ), Heinrich v. Hart (1278) 227 ), Nikolaus v. Möhlen (1280) 228 ), Johannes Rufus (1284) 229 ), Marquart v. Ribnitz (1285) 230 ), Arnold Quast (1287) 231 ), Johann Nising (1287) 232 ), Bernhard Kopmann (1287) 233 ), Herder [cum macula] (1288) 234 ), Lübbert Dünafahrer (1289) 235 ) und Konrad Dubben (um 1298) 236 ).

Es läßt sich weiterhin feststellen, daß einige Ratsherren über größeren Grundbesitz verfügten, den sie teils zu Eigentum erworben, teils von Fürsten oder Rittern zu Lehn erhalten hatten. Im letzteren Falle waren die Ratsmitglieder regelmäßig von den Vasallendiensten befreit, meistens gegen Zahlung eines mäßigen Jahreszinses. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich ebenfalls um Kaufleute, die das im Handel erworbene Kapital nutzbringend in Landbesitz anlegten. Zu dieser Annahme berechtigen uns folgende Tatsachen: 1. Wir wissen, daß der Ratsherr Johann Pape (1279) 237 ) Schiffseigentümer war 238 ) und daß er im Jahre 1284 eine Reise nach Halkill in Norwegen unternehmen mußte, um von einem dortigen Schuldner eine größere Geldsumme einzutreiben 239 ). Wir können ihn daher den kaufmännischen Kreisen zurechnen. Außerdem aber finden wir ihn auch im Besitz von Landgut.


222) M.U.B. II Nr. 938.
223) Ebendort.
224) St.-B. II fol. 112 b.
225) St.-B. II fol. 7 b.
226) St.-B. II fol. 48 b.
227) St.-B. II fol. 20 a.
228) St.-B. IV fol. 15 a.
229) St.-B. II fol. 141 a, - St.-B. III fol. 75 b.
230) St.-B. II fol. 141 b.
231) St.-B. II fol. 30 a.
232) St.-B. II fol. 160 a.
233) St.-B. IV fol. 166 b.
234) St.-B. V fol. 105 a.
235) St.-B. III fol. 100 b.
236) St.-B. IV fol. 174 b. - St.-B. V fol. 32 a.
237) M.U.B. II Nr. 1507.
238) St.-B. I fol. 61 a: "Johannes Pape posuit navem suam cum armamentis ...."
239) M.U.B. III Nr. 1738.
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Er wurde im Jahre 1283 gemeinsam mit dem Ratsherrn Albrecht Lore (1261) 240 ) von dem Ritter Gerhard v. Rostock mit dem Dorf Kassebohm belehnt unter der Bedingung, daß sie an Stelle der zu leistenden Lehndienste einen Jahreszins von 2 Mark zahlten 241 ). 2. Der Ratsherr Nikolaus von Möhlen war im Besitze eines "granarium" 242 ), gehörte also wahrscheinlich ebenfalls den kaufmännischen Kreisen der Stadt an. Er und sein Sohn wurden im Jahre 1285 von Fürst Heinrich von Werle mit dem Dorf Dolgen belehnt, und zwar wurden sie von den Lehndiensten gegen eine jährliche Abgabe von einem Pfund Honig befreit 243 ). Diese beiden Beispiele zeigen uns, daß die kaufmännische Tätigkeit der Ratsherren und der Besitz von Landgütern in engem Zusammenhang stehen. Es ist uns weiterhin aus einer testamentarischen Verfügung bekannt, daß die Familie von Baumgarten, von der ein Vertreter zuerst im Jahre 1265 im Rate nachweisbar ist 244 ), umfangreiche Ländereien in Brinkendorf, Diedrichshagen, Prangendorf und Mönchhagen besaß 245 ). Im Jahre 1278 verkauften die Fürsten Heinrich und Johann von Werle dem Ratsherrn Gerhard von Lage (1280) 246 ) das Dorf Bölkow zu Lehen mit der Bestimmung: "quolibet servitute remota" 247 ). Der Ratsherr Heinrich Frese (1284) 248 ) kaufte gemeinsam mit der Stadt Rostock im Jahre 1284 von Fürst Heinrich von Werle das Dorf Spotendorf zu Eigentumsrecht 249 ). Zwei Jahre später verzichtete Heinrich Frese auf sein Eigentumsrecht zugunsten der Stadt, erhielt aber dafür für sich und seine Erben die unbeschränkte materielle Nutzung des Dorfes 250 ). Im Jahre 1304 endlich verlieh Fürst Nikolaus


240) M.U.B. II Nr. 924.
241) M.U.B. III Nr. 1694: "..... hoc excepto, quod de ipsa villa in nullo servicio nec exactione tenebuntur, sed pro servicio michi .... duas marcas usualis monete annis singulis ministrabunt."
242) St.-B. IV fol. 15 a.
243) M.U.B. III Nr. 1792. - Vgl. auch III Nr. 2329 und 2342.
244) M.U.B. II Nr. 1041.
245) M.U.B. II Nr. 1203.
246) M.U.B. II Nr. 1520.
247) M.U.B. II Nr. 1459.
248) M.U.B. III Nr. 1718.
249) M.U.B. III Nr. 1730.
250) M.U.B. III Nr. 1847.
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von Werle dem Ratsherrn Johann von Dame (1314) 251 ) und dessen Brüdern das Dorf Niex "absque servicio quolibet" 252 ).

Handwerker finden wir nur ganz vereinzelt im Rate. Im Jahre 1259 war "Rodolfus pellifex" Mitglied des Rates 253 ), und außerdem wissen wir, daß Johann Kempe, der im Jahre 1287 dem Rate angehörte, Handwerker war 254 ). Weitere urkundliche Belege dafür, daß Handwerker im Rate vertreten waren, sind nicht überliefert 255 ). Da nach dem Rechte der Stadt Lübeck Handwerker nicht in den Rat gewählt werden durften 256 ), ist es wahrscheinlich, daß die Handwerker in Rostock ebenso wie in Lübeck bereits seit dem Bestehen des Rates in der Regel von der Teilnahme am Ratsstuhle ausgeschlossen waren 257 ).

Wir kommen also zu folgendem Ergebnis: Im Rate waren wahrscheinlich in der Hauptsache Kaufleute vertreten, die zum Teil den Fernhandel betrieben und die zum Teil das im Handel erworbene Kapital in Landgütern anlegten. Dagegen waren die Handwerker wahrscheinlich in der Regel nicht im Rate vertreten.

Wenn wir nun die für die einzelnen Jahre überlieferten Verzeichnisse der Ratsmitglieder miteinander vergleichen, so ergibt sich, daß die meisten Namen sehr häufig wiederkehren. Als Ratsherren lassen sich z. B. nachweisen:


251) M.U.B. VI Nr. 3674.
252) M.U.B. V Nr. 2970.
253) M.U.B. II Nr. 838.
254) M.U.B. III Nr. 1889, 1956.
255) Es treten im Rate auch folgende Namen auf: 1218: Hinricus Faber (M.U.B. I Nr. 244), 1252: Gerardus Lore (M.U.B. II Nr. 686), der auch unter dem Namen "Cerdo" vorkommt (M.U.B. IV Nr. 2637), 1252: Eilardus Faber (M.U.B. II Nr. 686) und 1279: "Elerus Pannicida" (M.U.B. II Nr. 1507); jedoch handelt es sich hierbei wohl nicht um Berufsbezeichnungen, sondern um Familiennamen; man kann daher diese Personen nicht den Handwerkerkreisen zurechnen.
256) Schon die erste Verfassung, die Lübeck von Heinrich dem Löwen erhielt, schloß die Handwerker von der Teilnahme am Ratsstuhle aus. - Vgl. C. Wehrmann, das Lübeckische Patriziat (Hans. G. B. Jahrg. 1872) S. 93.
257) Nicht in allen Städten, die sich des lübischen Stadtrechtes bedienten, wurde die Bestimmung durchgeführt. In Wismar waren z. B. die Handwerker bis zum Jahre 1323 ratsfähig. - Vgl. Techen, Abriß der Geschichte Wismars bis zur Revolution, Wismar 1922, S. 20.
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Hermann v. Lage für die Jahre; 1257, 1262, 1265, 1266, 1275, 1281 258 ).

Hermann Witt; 1259, 1261, 1263, 1266, 1267, 1275, 1278 259 ).

Andreas v. Kosfeld: 1259, 1265, 1266, 1268?, 1275 260 ).

Albrecht Lore: 1261, 1265, 1266, 1277, 1278, 1281, 1282 261 ).

Heinrich Wiese: 1262, 1263, 1265, 1266, 1267, 1275, 1277, 1278, 1279, 1281, 1282, 1284, 1285, 1296/1300 262 ).

Engelbert v. Baumgarten: 1262, 1265, 1275, 1277, 1279, 1280, 1283 263 ).

Reineke, Reimberts Sohn: 1266, 1267, 1275, 1278, 1282, 1283, 1285, 1286, 1297 264 ).

Albrecht v. Kosfeld: 1275?, 1279, 1280, 1282, 1283, 1286, 1288, 1289, 1298 265 ).

Reineke v. Lage: 1275, 1278, 1282, 1283, 1286, 1293, 1294, 1296, 1297 266 ).

Herder: 1278, 1279, 1281, 1282 267 ).

Die häufige Wiederkehr der einzelnen Namen in den Ver-zeichnissen der Ratsmitglieder läßt wohl den Schluß zu, daß sich in Rostock schon im 13. Jahrhundert ein Kreis von Familien oder Geschlechtern gebildet hatte, deren Angehörige in der


258) M.U.B. II Nr. 793, 962, 973, 1041, 1051, 1076, 1096, 1381, III Nr.1565, 1568, 1586.
259) M.U.B. II Nr. 835, 924, 931, 973, IV Nr. 2685, II Nr. 1076, 1096, 1102, 1381, 1474, IV Nr. 2710.
260) M.U.B. II Nr. 835, 836, 1041, 1051, 1076, 1096, 1140, 1381.
261) M.U.B. II Nr. 924, 1041, 1051, 1076, 1444, IV Nr. 2710, II Nr. 1474, III Nr.1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628.
262) M.U.B. II Nr. 962, 973, 1041, 1051, 1076, 1096, 1125, 1381, 1444, IV Nr. 2710, II Nr. 1474, 1507, III Nr. 1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628, 1718, 1729, 1782, 2424.
263) M.U.B. II Nr. 962, 1041, 1051, 1381, 1441, 1507, 1520, III Nr. 1670.
264) M.U.B. II Nr. 1076, 1096, 1102, 1125, 1381, 1459, III Nr. 1615, 1625, 1628, 1670, 1693, 1700, 1715.
265) M.U.B. II Nr. 1378, 1507, 1520, III Nr. 1615, 1622, 1625, 1626, 1628, 1670, 1671, 1693, 1700, 1836, 1837, 1841, 1847, 1956, 2008, 2018, IV Nr. 2488.
266) M.U.B. II Nr. 1378, 1474, III Nr. 1615, 1625, 1628, 1670, 1693, 1700, 1837, 1841, 1847, 2227, 2262, 2416, 2009, Note, 2424, IV Nr. 2441, 2483, 2428.
267) M.U.B. IV Nr. 2710, II Nr. 1474, 1507, III Nr. 1565, 1586, 1591, 1615, 1625, 1628.
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Regel in den Rat gewählt zu werden pflegten, und der deshalb das Recht der ausschließlichen Ratsfähigkeit für sich in Anspruch nahm. Da die Erneuerung des Rates alljährlich auf dem Wege der Kooptation, d. h. der Selbstergänzung, erfolgte 268 ), war es dem jeweils fungierenden Rate naturgemäß sehr leicht, eine seinen Wünschen entsprechende Neuwahl zu treffen. Wahrscheinlich bildete sich auf diese Weise eine sozial abgeschlossene bürgerliche Oberschicht, die den Anspruch der ausschließlichen Ratsfähigkeit erhob und damit die Grundlage schuf für das spätere Rostocker Patriziat. Dieses städtische Patriziat tritt uns in späterer Zeit als der Kreis der "beslechteten" entgegen 269 ).

Auch andere urkundliche Zeugnisse berechtigen uns, die Anfänge für die Ausbildung einer patrizischen Oberschicht in Rostock in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu verlegen. In dieser Zeit werden verschiedentlich "seniores civitatis" und "discretiores civitatis" erwähnt, die in einigen Fällen an der Verwaltungstätigkeit des Rates teilnehmen 270 ). So wurde im Jahre 1278 die Verordnung über die Verlosung der städtischen Marktbuden von den "consules cum senioribus civitatis" erlassen 271 ). Im Jahre 1283 verzichtete ein städti-


268) Vgl. Kap. IV b, 2 S. 93.
269) Es heißt im Artikel 35 des Bürgerbriefes vom 22. Februar 1428: "Item so en schal me nemande in den Radt kessen, de beslechtet is, oc nene swegers." - Diese Bestimmung hatte den Zweck, die Geschlechter von der Besetzung des Rates auszuschließen. Der Bürgerbrief ist veröffentlicht bei Lange, Rostocker Verfassungskämpfe bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (Rostocker Gymnasialprogramm 1888) S. 27 ff.
270) Die Rostockische Chronik spricht zum Jahre 1313 von "beslechteten" und "riken lude" und an einer anderen Stelle heißt es: "do sammelte de Radt de oppersten van den borgeren." - Vgl. Rostockische Chronik, ed. v. Schröter, Beiträge zur Mecklenburgischen Geschichtskunde Bd. I, 1, 1826, S. 19 f. u. S. 29. Da jedoch die Rostockische Chronik keine historische Selbständigkeit besitzt, sondern in ihrer Darstellung völlig von der Reimchronik des Ernst v. Kirchberg abhängig ist, dürfen wir diesen Worten keine Bedeutung beimessen. Vgl. Koppmann, Rundschau über die Literatur der Hansischen Geschichte, Hans. G. B. Jahrg. 1872, S. 161 ff., K. E. H. Krause, Über den 1. u. 2. Teil der Rostocker Chronik (Rostocker Gymnasialprogramm 1873) S. 1 ff.; derselbe, Die Chronistik Rostocks, Hans. G. B. Jahrg. 1873, S. 163 f. und Koppmann, Übersicht über die Rostockische Historiographie, Beiträge Bd. I, 1 1890, S. 1.
271) M.U.B. II Nr. 1447.
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scher Vogt "coram discretioribus nostre civitatis" auf den Ersatz von Geld, welches er im Interesse der Stadt ausgegeben hatte 272 ), und ein Jahr später heißt es: "De quo dum consules mirarentur satis, vocatis ad se discretioribus civitatis" 273 ). Wahrscheinlich haben wir unter diesen "seniores civitatis" oder "discretiores civitatis" den Kreis derjenigen Bürger zu verstehen, die als ratsfähig galten 274 ).

Eine ähnliche bürgerliche Oberschicht, die das Recht der ausschließlichen Ratsfähigkeit für sich in Anspruch nahm, läßt sich urkundlich auch in zahlreichen anderen Städten nachweisen. So werden z. B. im dritten Straßburger Stadtrecht (1245 bis 1260) "consules et ceteri meliores et sapientiores" einander gegenübergestellt und an einer anderen Stelle werden "consules et ceteri cives civitatis" voneinander geschieden. Es folgt hieraus, daß die "consules" in Straßburg nur aus dem Kreise der "meliores et sapientiores" entnommen wurden 275 ). Das Heilbronner Stadtrecht von 1281 enthält sogar die Bestimmung, daß die Ratsherren "de melioribus et utilioribus civitatis" gewählt werden mußten. In Basel werden zum Jahre 1118 "civium nobiliores", in Worms (1110) und Aachen (1160) "cives maiores" erwähnt 276 ). In der zwischen 1165 und 1170 entstandenen Soester Stadturkunde werden "meliores" aufgeführt 277 ), und schließlich werden uns um 1275 in Lindau "burgenses pociores Lindaugiae" und "nobiles familiae in Lindou" bezeugt 278 ).

Es ist somit sehr wahrscheinlich, daß sich in Rostock schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein Kreis von


272) M.U.B. III Nr. 1926.
273) M.U.B. III Nr. 1977.
274) Die "seniores" werden auch in Lübeck urkundlich bezeugt. Eine Urkunde vom Jahre 1266 lehrt uns, daß in Lübeck die "seniores" identisch waren mit den "maiores". - Urkundenbuch der Stadt Lübeck Bd. I Nr. 284: "suo et maiorum sive seniorum nomine."
275) Vgl. Eberle a. a. O. § 12 und Foltz, Beiträge zur Geschichte des Patriziates in den deutschen Städten vor dem Ausbruch der Zunftkämpfe (Marburger Dissertation 1899) S. 21.
276) Vgl. Eberle a. a. O. § 12 u. Foltz a. a. O. S. 41 u. S. 64.
277) Vgl. v. Klocke, Patriziat und Stadtadel im alten Soest, Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins, XVIII, 1927 S. 11.
278) Vgl. Keller, Patriziat und Geschlechterherrschaft in der Reichsstadt Lindau, Deutschrechtliche Beiträge, herausgegeben von Konrad Beyerle Bd. I, 5 1908 S. 396.
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angesehenen Familien oder Geschlechtern gebildet hatte, deren Angehörige fast ausschließlich in den Rat gewählt zu werden pflegten. Dadurch, daß in der Hauptsache nur die Angehörigen eines engeren Familienkreises in den Rat gewählt wurden, wurde die politische Macht in der Stadt naturgemäß in die Hand dieser bürgerlichen Oberschicht gelegt und der Gemeinde der Einfluß auf die Leitung der Stadt zum Teil entzogen. Es entstand auf diese Weise eine Geschlechterherrschaft in der Stadt 279 ). Die Geschlechterherrschaft hat in Rostock bis in das 15. Jahrhundert hinein gedauert. Erst in den Verfassungskämpfen, welche die Stadt in der Zeit von 1427 bis 1439 erfüllten, ist es der Gemeinde gelungen, die Macht der im Rate vertretenen Geschlechter zu brechen. Das Ergebnis der damaligen inneren Kämpfe war der Vertrag vom Jahre 1439. Hiernach sollte der aus den Vertretern der Geschlechter bestehende Rat gemeinsam mit einem weiteren Rate, der unter Mitwirkung eines aus 60 Personen bestehenden Bürgerausschusses, den sogenannten "Sechzigern", gewählt worden war, die Regierung der Stadt übernehmen 280 ).

Bestrebungen der Gemeinde, eine Änderung in der Besetzung der Ratsämter durchzuführen und damit die Macht der im Rate vertretenen Geschlechter zu brechen, machen sich auch schon in der uns beschäftigenden Zeit bemerkbar. Insbesondere strebten die Handwerker danach, Einfluß auf die Besetzung des Ratsstuhles zu erringen. Bereits am Ende des 13. Jahrhunderts hören wir von Verfassungskämpfen in Rostock. Um 1287 wurden 6 Ratsherren (Johann v. Lemhus, Reineke, Reimberts Sohn, Dietrich Koggenmeister, Reineke von Lage, Reinhard Lore und Johann Zöllner) aus der Stadt vertrieben und ihrer Habe beraubt. Sechs andere (Johann Rode, Eberhard Nachtrabe, Heinrich Mönch, Heinrich von Ivendorf, Johann Kempe und Christian von der Altstadt) wurden an


279) Auch Lisch ist der Ansicht, daß sich "schon im 13. Jahrhundert in Rostock einflußreiche vornehme Geschlechter gebildet hatten, welche allein den Rat besetzten". - Vgl. Lisch, Über das Rostocker Patriziat, Jahrbücher Bd. XI, 1846, S. 177. Ähnlich äußert sich Lange a. a. O. S. 3: "Eine Anzahl von vornehmen Geschlechtern hatte sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt, sich als allein ratsfähig zu betrachten." Vgl. auch Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock, S. 27.
280) Vgl. Lange a. a. O. S. 17 ff., Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock S. 27 ff und Lisch a. a. O. S. 179.
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ihre Stelle gesetzt 281 ). Von den letzteren war Johann Kempe Handwerker 282 ). Von Heinrich v. Ivendorf wissen wir, daß er sechs Handwerksämtern eine Beteiligung am Ratsstuhle zugelobt hatte. Er stellte dieses Versprechen später vor dem Rate eidlich in Abrede und wurde deshalb als des Meineides überwiesen verfestet. Es heißt in der Stadtbuchaufzeichnung: "Dit is deme rade witlich, dat ses ammete vor sie quemen unde segeden, dat her Heinric van Ibendorpe im den rat lovede, in to kesende unde to besittende" 283 ). Es liegt daher die Vermutung nahe, daß auch schon bei diesen Ereignissen der Eintritt von Handwerkern in den Rat eine Rolle gespielt hat 284 ). Die sechs vertriebenen Ratsherren wandten sich zunächst an den Schweriner Bischof und dann an den Erzbischof von Bremen, während die sechs neuen Ratsherren und die Gemeinde Rostock an den Papst appellierten 285 ). Außerdem versuchten die Städte Lübeck, Wismar und Greifswald vermittelnd einzugreifen 286 ). Die Streitigkeiten endeten damit, daß die vertriebenen Ratsherren wieder in ihre Ämter eingesetzt wurden; wir finden sie in späterer Zeit sämtlich wieder im Rate vor 287 ).

Zu neuen Unruhen kam es im Jahre 1312 in der Stadt. Den äußeren Anlaß hierzu bot der Kampf König Erichs von Dänemark und des Fürsten Heinrich von Mecklenburg gegen Rostock. Wie uns die Reimchronik des Ernst v. Kirchberg 288 ) und die auf ihr beruhende Rostockische Chronik von 1310 bis 1314 289 ) berichten, brach nach der Übergabe des von den Rostockern besetzten Turmes bei Warnemünde (17. September 1312) ein Aufruhr in der Stadt aus. Ein Teil der Ratsherren wurde ermordet, acht andere (Arnold Kopmann, Arnold Quast, Wasmot, Bernhard Kopman, Otbert von Zelow, Therwin Wilde, Tige und Heinrich Sclichtop) 290 ) verließen die Stadt,


281) M.U.B. II Nr. 2003.
282) M.U.B. III Nr. 1956, Note.
283) M.U.B. III Nr. 2423.
284) Vgl. M.U.B. II Nr. 2003, Note. - Herrlich a. a. O. S. 43. - Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock, S. 19, und Lange a. a. O. S. 4.
285) M.U.B. II Nr. 2003.
286) Hanserezesse Bd. I Nr. 61.
287) M.U.B. III Nr. 2227, 2262, 2416; IV Nr. 2441, 2442, 2483, 2488.
288) Ernst v. Kirchberg, ed. von Westphalen, Monumenta inedita rerum Germanicarum, Bd. IV, Leipzig 1745 Kap. 148.
289) Rostockische Chronik a. a. O. S. 26 ff.
290) M.U.B. VI Nr. 3669.
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und ein neuer Rat wurde gewählt 291 ). Diese Unruhen gingen wahrscheinlich in der Hauptsache von den Handwerkern aus, denn im weiteren Verlauf der inneren Kämpfe wurde der neu eingesetzte Rat gezwungen, einen sogenannten Bürgerbrief zu besiegeln, der den Älterleuten, d. h. den Vorsitzenden der Handwerkerzünfte einen Einfluß auf die Besetzung der Ratsämter einräumte. Der Bürgerbrief ist uns nicht erhalten, und wir wissen von seinem Inhalt nur durch die Reimchronik des Ernst v. Kirchberg. Dieser berichtet hierüber:

"Also sy solden kysen nicht
ymans zu des rades phlicht,
an dy die aldirmanne wolden,
zu rade sy dy kysen solden" 292 ).

In welcher Weise die Älterleute an der Wahl des Rates teilnehmen sollten, darüber ist uns nichts bekannt. Eine weitere Bestimmung des Bürgerbriefes bezieht sich auf die Gerichtsbarkeit des Rates; nach dem Bericht Kirchbergs sollte der Rat nur mit Zustimmung der Älterleute Strafen an Geld und Gut verhängen. Es heißt bei Kirchberg:

"Der Rad solde keyne bruche richten,
mit namen daz an gelt und gud
ginge, an ires wissins mud,
ob die aldirmanne icht tobin" 293 ).

Die dritte Bestimmung des Bürgerbriefes, von der Kirchberg uns berichtet, enthält das Verbot für alle Bürger, für irgendeinen Edelmann Bürgschaft zu leisten:

"Es solde keyn burgir ouch gelobin
me vur keynen hovemann,
wilchir stunde der solde vordan
daz burfeczog kundigen offinbar,
idel vnd vnwerlich gar" 294 ).


291) Vgl. Lange a. a. O. S. 4 ff. - Koppmann, Die Ereignisse von 1312 Sept. 17 bis 1314 Jan. 21, Jahrbücher Bd. 56 S. 33 ff.; derselbe, Gesch. der Stadt Rostock S. 20.
292) Kirchberg a. a. O. Kap. CL. - Vgl. auch Rostockische Chronik a. a. O. S. 30 ff. Die einschlägige Stelle aus Kirchbergs Reimchronik ist abgedruckt M.U.B. VI Nr. 3590.
293) Ebendort.
294) Ebendort.
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Diese Neuerung sollte wahrscheinlich verhindern, daß Mitglieder des Rates von Fürsten oder Rittern Landgüter zu Lehen erhielten und auf diese Weise mit den fürstlichen oder ritterlichen Lehnsherren in nähere Verbindung kamen. Auch in späterer Zeit ging das Bestreben der Bürgerschaft dahin, die mit Landgut ausgestatteten Personen vom Rate fernzuhalten. So lautet Artikel 10 des Bürgerbriefes vom Jahre 1408: "Item wille my nemande in den Radt kessen, de landtgudt hefft; ock schal nyn man mer landtgudes thokopen, de nu in dem Rade is" 295 ).

Die hauptsächlich zugunsten der Handwerkerämter durchgesetzten Verfassungsänderungen hatten nur ganz kurzen Bestand. Auf Betreiben der oben erwähnten acht vertriebenen Ratsherren schritt Fürst Heinrich von Mecklenburg gegen die Neugestaltung der inneren Verhältnisse in Rostock ein. Am 14. Januar 1314 hielt er Gericht in der Stadt. Die acht vertriebenen Ratmannen wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt und wählten mit Fürst Heinrich gemeinsam einen neuen Rat, der sich von nun an wieder in der alten Weise selbst ergänzte 296 ). Dagegen wurde gegen mindestens 58 Personen, meistens Handwerker, "qui fecerunt congregationes pessimas, per quas iuriditionen Lubicensen leserunt et civitatem Roztok multis malis perturbaverunt", die Verfestung ausgesprochen 297 ). Der Bürgerbrief aber wurde von Fürst Heinrich eigenhändig zerrissen und verbrannt 298 ).. Der Versuch, eine Änderung in der Besetzung der Ratsämter durchzuführen, war damit fehlgeschlagen. Für das ganze 14. Jahrhundert sind uns keine weiteren Nachrichten über Verfassungskämpfe in Rostock überliefert 299 ). Wir können daher wohl annehmen, daß während dieser Zeit die soziale Zusammensetzung des Rates keine wesentliche Änderung erfahren hat.


295) Der Bürgerbrief ist veröffentlicht bei Lange a. a. O. S. 25 ff. Dieser Artikel wurde in derselben Fassung auch in den Bürgerbrief vom Jahre 1428 aufgenommen, Lange a. a. O. S. 28.
296) M.U.B. VI Nr. 3669. - Kirchberg a. a. O. Kap. 152. - Rostockische Chronik a. a. O. S. 40 ff.
297) M.U.B. VI Nr. 3672.
298) Kirchberg a. a. O. Kap. 152, Rostockische Chronik S. 40 ff.
299) Vgl. Lange a. a. O. S. 11.
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2. Das aktive und passive Wahlrecht.

Eine Wahlrechtsordnung oder eine ähnliche Bestimmung über die Art und Weise der Bestellung des Rostocker Rates ist uns nicht überliefert, jedoch deuten die Quellen darauf hin, daß die Neubildung des Rates alljährlich durch Kooptation erfolgte. Als im Jahre 1314 die acht Ratsherren, die infolge der inneren Kämpfe aus der Stadt vertrieben waren, mit Fürst Heinrich von Mecklenburg einen Vertrag über ihre Wiedereinsetzung in das Ratsamt abschlossen, wurde vereinbart, daß der Fürst gemeinsam mit den vertriebenen Ratsherren einen neuen Rat einsetzen sollte; in Zukunft aber sollte sich der Rat dann wieder selbst ergänzen. Die Vereinbarung lautet: "Ipse dominus Hinricus una nobiscum eligere debebimus consules ista vise, prout nos utrobique valeamus exvedire; post hec nos consules eligere debemus novos consules, sicut ab antiquo" 300 ). Das Kooptationsrecht des Rates wird hier als von alters her gebräuchlich bezeichnet. In der Praxis wirkte sich das Recht der Selbstergänzung so aus, daß nicht alle Mitglieder jährlich aus dem Rate ausschieden, sondern nur ein Teil. In zahlreichen Fällen können wir beobachten, daß Ratsherren mehrere Jahre nacheinander im Amte waren. Wie wir bereits oben festgestellt haben, kehren zwar die einzelnen Namen in den Verzeichnissen der Ratsmitglieder sehr häufig wieder 301 ), jedoch in unregelmäßigen Zeitabständen. Ein bestimmter Ratsturnus, d. h. der Brauch, daß sich mehrere Räte gegenseitig in einer festen Reihenfolge im Amte ablösten, hat sich demnach in Rostock nicht eingebürgert.

Das passive Wahlrecht unterlag ähnlich wie in vielen anderen Städten 302 ) auch in Rostock einschränkenden Bestimmungen. Die Handwerker waren wahrscheinlich in der Regel von der Teilnahme am Ratsstuhle ausgeschlossen. Seit der Ausbildung einer: patrizischen Oberschicht, deren Anfänge wir in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts setzen können 303 ), wurde das passive Wahlrecht wahrscheinlich praktisch eingeschränkt auf die Angehörigen eines engeren Familienkreises,


300) M.U.B. VI Nr. 3669.
301) Vgl. Kap. IV, b, 1 S. 85 f.
302) Vgl. Eberle a. a. O. § 12.
303) Vgl. Kap. IV, b, 1 S. 88 f.
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die sich allein als ratsfähig betrachteten. Wie schon erwähnt, tritt uns diese bürgerliche Oberschicht später als der Kreis der "beslechteten" entgegen 304 ).

3. Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratsherren.

Die Rostocker Ratsherren traten ihr Amt am Tage Petri Stuhlbesteigung (22. Februar) an, und zwar für die Dauer eines Jahres 305 ). In einer Aufzeichnung der fungierenden Ratsmitglieder vom Jahre 1281 heißt es ausdrücklich: "Anno domini 1281 in die cathedre Petri consilio presidebant" 306 ). In anderen Verzeichnissen werden die neuen Ratsherren kurz nach dem 22. Februar genannt 307 ). War der neue Rat gewählt, so waren die Ratsherren des vergangenen Jahres noch nicht völlig ihres Amtes ledig, sondern bei wichtigen Entscheidungen wurden sie von dem neuen Rat mit hinzugezogen. In solchen Fällen führte das Ratskollegium den Namen "ganzer Rat" oder "consules novi et veteres", während man sich zur Bezeichnung des einfachen Rates des Ausdrucks "consules consilio presidentes" bediente 308 ). Die Ratsherren waren also nach Absolvierung ihres Amtsjahres noch ein weiteres Jahr zum Bereitschaftsdienst verpflichtet, um über einzelne wichtige Entscheidungen mitzuberaten. Am Eingang einer Verordnung vom Jahre 1292, welche die Grundbesitzer verpflichtete, sich gegenseitig beim Bau der Mauern zwischen den einzelnen Grundstücken behilflich zu sein, heißt es: "Arbitrati sunt consules novi et veteres" 309 ). Ein Meineidverfahren wurde (1296-1300) verhandelt vor "deme menen rade, beyde olde unde nyie", und in derselben Aufzeichnung heißt es am Schluß: "Hir war over die gantze rat" 310 ). "Consules novi et veteres" untersagten im Jahre 1298 Bernhard Molzan, als Fürsprecher vor Gericht aufzutreten 311 ). Derselbe Terminus


304) Vgl. Kapitel IV, b. 1 S. 87 und Anm. 269.
305) Vgl. M.U.B. V Einl. S. XII und S. XVIII.
306) M.U.B. III Nr. 1565.
307) M.U.B. IV Nr. 2710: "in vigilia beati Mathie." - III Nr. 1889: "post Mathie." - III Nr. 1837: "in octava Mathie."
308) M.U.B. II Nr. 962.
309) M.U.B. III Nr. 2186.
310) M.U.B. III Nr. 2424.
311) M.U.B. IV Nr. 2488.
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findet sich 1309 in der Willkür des Rates über die nach Lübeck verwiesenen Rechtshändel 312 ), in einer Aufzeichnung über die Verpachtung der Stadtwage vom Jahre 1327 313 ), in einer Ratsverordnung über Maßnahmen gegen säumige Zinszahler vom Jahre 1328 314 ) und schließlich in einer Abrechnung des Rates über geliehene Gelder, ebenfalls aus dem Jahre 1328 315 ).

Die Zahl der Rostocker Ratsherren war anscheinend nicht gesetzlich festgelegt, sondern mitunter sogar beträchtlichen Schwankungen unterworfen 316 ). Für eine ganze Reihe von Jahren liegen uns Verzeichnisse von Ratsmitgliedern vor, jedoch läßt es sich in den einzelnen Fällen nicht feststellen, ob es sich um ein vollständiges Verzeichnis handelt. Häufig ist der Ausdruck "consilio presidentes" den Namensverzeichnissen der "consules" hinzugefügt, ein Zeichen, daß wir es in diesen Fällen (in der folgenden Aufstellung gekennzeichnet durch +) mit dem einfachen Rate zu tun haben. Für die einzelnen Jahre sind uns folgende Zahlen überliefert:

1218: 10 317 ), 1252: 23 (wahrscheinlich der ganze Rat) 318 ), 1257: 16 319 ), 1258: 16 320 ), 1261: 14 + 321 ), 1263: 16 + 322 ),


312) M.U.B. V Nr. 3302.
313) M.U.B. VII Nr. 4844.
314) M.U.B. VII Nr. 4938.
315) M.U.B. VII Nr. 4996.
316) Lisch und Mann (a. a. O. S. 13) und ebenso Koppmann (Gesch. der Stadt Rostock S. 18) haben angenommen, daß die Zahl der Ratsherren auf 24 festgelegt war. Sie sind wahrscheinlich von der Tatsache ausgegangen, daß im Jahre 1252 23 "consules" auftreten, und daß die Zahl 12 bzw. 24 auch in den Ratskollegien anderer Städte häufig eine Rolle spielt. Diese Ansicht ist nicht haltbar. Wir treffen auch in anderen Städten nicht immer die Zahl von 12 bzw. 24 Ratsherren an; so haben wir z. B. in Osnabrück deren nur 16, in Straubing 8 und in Worms 15 (vgl. Eberle a. a. O. § 14). Es läßt sich außerdem geltend machen, daß höchstwahrscheinlich auch in Lübeck die Anzahl der Ratsmitglieder nicht gesetzlich vorgeschrieben war. (Vgl. Frensdorff, Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im 12. und 13. Jahrhundert, Lübeck 1861, S. 101.).
317) M.U.B. I Nr. 244.
318) M.U.B. II Nr. 686.
319) M.U.B. II Nr. 793.
320) Beiträge Bd. III, 1 S. 10, Nr. 69.
321) M.U.B. II Nr. 924.
322) M.U.B. II Nr. 973.
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1264-65: 18 323 ), 1266-67: 18 + 324 ), 1278: 17 + 325 ). In den Jahren 1279 und 1280 steigt dann plötzlich die Zahl auf 24 an, wobei es ausdrücklich heißt: "consilio presidentes" 326 ). Irgend ein Grund für diese starke Vermehrung der Ratssitze ist nicht ersichtlich. Im Jahre 1281 beträgt dann die Zahl wieder 18 + 327 ).

1282: 17 + 328 ), 1283: 18 + 329 ), 1284: 18 + 330 ), 1286: 17 + 331 ), 1287: 18 + 332 ), 1288: 18 + 333 ), 1314: 21 334 ).

Der "ganze Rat" bestand im Jahre 1262 aus 24 Mitgliedern 335 ). Dieselbe Ziffer ist für das Jahr 1298 überliefert 336 ). Dagegen werden in einer in die Jahre 1296 bis 1300 fallenden Urkunde für den "ganzen Rat" 36 Mitglieder namhaft gemacht 337 ).

Wie in den meisten mittelalterlichen Städten 338 ) war auch in Rostock das Amt des Ratsherrn ein Ehrenamt, d. h. es war unbesoldet. Der ehrenamtliche Charakter des Ratsamtes schloß jedoch nicht aus, daß die Ratsherren bestimmte Entschädigungen für ihren Arbeitsaufwand erhielten. Eine solche Amtsentschädigung der "consules" war der "solidus ad bibendum". Im Jahre 1289 verpfändete der Rat eine städtische Wiese unter der Bedingung, daß der Empfänger "singulis annis solvet consulibus 8 sol. ad bibendum" 339 ). Die Ratsherren hatten hiernach wahrscheinlich das Recht, die für einen bestimmten Teil der städtischen Liegenschaften ein-


323) M.U.B. IV Nr. 2685, II Nr. 1041.
324) M.U.B. II Nr. 1076, 1102.
325) M.U.B. IV Nr. 2710.
326) M.U.B. II Nr. 1507. - St.-B.-Fragm. III, 6 fol. 2 b u. 3 a. - M.U.B. II Nr. 1520.
327) M.U.B. III Nr. 1565.
328) M.U.B. III Nr. 1615, 1625, 1628.
329) M.U.B. III Nr. 1670, 1693.
330) M.U.B. III Nr. 1718; - St.-B. II fol. 92 b. - St.-B.-Fragm. III, 5 f, 3 b.
331) M.U.B. III Nr. 1837, 1841, 1847.
332) M.U.B. III Nr. 1889.
333) M.U.B. III Nr. 1956.
334) M.U.B. IV Nr. 3674.
335) M.U.B. II Nr. 962.
336) M.U.B. IV Nr. 2488.
337) M.U.B. III Nr. 2424.
338) Vgl. Eberle a. a. O. § 18.
339) M.U.B. III Nr. 2033.
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kommenden Gelder "ad bibendum" zu verwenden. Eine ähnliche Einrichtung bestand auch in Wismar. Hier nannte man die Amtsentschädigung der Ratsherren "denarii ad vinum consulum" 340 ).

4. Der Kompetenzbereich des Rates.

Der Kompetenzbereich des Stadtrates besaß im Mittelalter einen außerordentlich großen Umfang. Das mittelalterliche Rostock war ja nicht nur Gemeinde, sondern es hatte sich zu einem fast selbständigen Stadtstaat im Territorium des Landesherrn entwickelt. Der Rat besaß daher in jener Zeit eine weit höhere Bedeutung als etwa das Stadtverordnetenkollegium in der Gegenwart. Er war in höherem Maße, als heute das Stadtverordnetenkollegium es ist, der Regent der Stadt.

Der Rat vertrat die Stadt nach außen gegenüber dem Landesherrn und anderen Ländern oder Gemeinden. Durch ihn wurde dem Landesherrn der Huldigungseid geleistet. Er zahlte auch die dem Fürsten zustehende Steuer, die jährliche Bede 341 ). Als Vertreter der Stadt gegenüber auswärtigen Mächten entfaltete der Rat eine lebhafte Tätigkeit, die besonders in den politischen und wirtschaftlichen Abkommen zwischen Rostock und anderen Ostseestädten zutage tritt. So faßten im Jahre 1259 die Städte Lübeck, Rostock und Wismar gemeinsam den Beschluß, daß See- und Straßenräuber bei allen Städten und Kaufleuten (ab universis civitatibus et mercatoribus) als verfestet gelten sollten 342 ). Um 1260 und wiederum um 1265 wurden von den Städten gemeinsame Beschlüsse gefaßt "in subsidium omnium mercatorum, qui iure Lubicensi gaudeant et reguntur" 343 ). Im Jahre 1283 wurde zu Rostock ein großes Landfriedensbündnis abgeschlossen, an dem außer einer Reihe von Fürsten auch die "consules et universitates" der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Greifswald, Stralsund, Stettin, Demmin und Anklam beteiligt waren 344 ),

Jahrbuch des Vereins f. mecklb. Gesch. LXXXXIII.


340) M.U.B. III Nr. 2090. Vgl. auch Bd. IX Nr. 6529.
341) Vgl. Kap. III, c, S. 62.
342) M.U.B. II Nr. 847.
343) M.U.B. II Nr. 873, 1030.
344) M.U.B. III Nr. 1682.
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und ein Jahr später traten die diesem Landfriedensbündnis angehörenden Städte in Wismar zusammen und beschlossen, die Getreideausfuhr auf den Verkehr untereinander zu beschränken und die Einfuhr norwegischer Waren zu verbieten 345 ). Im Jahre 1293 schließlich wurde von den Ratmannen der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald für die Dauer von 3 Jahren ein Schutzbündnis abgeschlossen, das im Jahre 1296 auf weitere 3 Jahre verlängert wurde 346 ).

Auf dem Gebiete der inneren städtischen Angelegenheiten erstreckte sich der Kompetenzbereich des Rates nicht nur auf die einzelnen Zweige der Verwaltung, sondern auch auf die Gerichtsbarkeit. Solange das für die Ausübung der Kriminalgerichtsbarkeit zuständige fürstliche Vogtgericht sich in der Stadt befand (bis 1358), fungierten zwei Ratsherren, die "assessores" oder "iudices" als Beisitzer unter dem Vorsitz des fürstlichen "advocatus". Seit 1358 saßen die beiden Ratsherren selbständig zu Gericht 347 ). Der Rat war außerdem der Träger der Zivilgerichtsbarkeit. Nach den uns überlieferten Quellen wurden die Zivilprozesse "coram consulibus", d. h. vor dem "plenum" des Rates entschieden. Der Lübecker Rat bildete im Bereiche der zivilen Gerichtsbarkeit eine Appellationsinstanz für Rostock 348 ). Bei schwierigeren Rechtsfällen wandte der Rat auch das Mittel der Konsultation an, d. h. er wandte sich an den Obergerichtshof in Lübeck und holte sich hier Rechtsbelehrung 349 ). Den "consules" standen zu diesem Zwecke besondere städtische Beamte, die "rhetores", zur Verfügung. Eine Ratswillkür vom Jahre 1275 bestimmte, daß die Rhetoren, wenn sie in einer verwickelten Rechtssache Dienstags, Mittwochs oder Freitags nach Lübeck gesandt wurden, am Mittwoch der folgenden Woche den Fall in Lübeck zur Sprache bringen sollten 350 ). Die genaue Vorschrift der Reise-


345) M.U.B. III Nr. 1733.
346) M.U.B. III Nr. 2248. 2414. - Vgl. Koppmann, Jahrbücher Bd. LII, S. 193 ff.
347) Vgl. Kap. III, f, S. 74 f.
348) Vgl. Kap. III, f, S. 75 f.
349) Vgl. v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum, Bielefeld und Leipzig 1905, S. 77.
350) M.U.B. II Nr. 1379.
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dauer hatte wahrscheinlich den Zweck, die Erledigung der schwebenden Prozesse zu beschleunigen. Um einer Verschleppung der nach Lübeck verwiesenen Prozesse vorzubeugen, erließ der Rat im Jahre 1309 eine Willkür. Hiernach sollten Anwälte, die absichtlich einen an das Obergericht verwiesenen Prozeß verschleppten, 3 Mark Silber Strafe bezahlen; außerdem mußten sie die der gegnerischen Partei durch die Verschleppung entstandenen Kosten ersetzen 351 ). Der Rat hatte auch das Recht, jemanden als "prolocutor" oder Fürsprecher vor Gericht abzulehnen. Von diesem Rechte machten die "consules" im Jahre 1298 Gebrauch, als sie Bernhard Molzahn untersagten, als "prolocutor in civitate Roztoc" aufzutreten 352 ). Sehr umfangreich war dann die Tätigkeit des Rates auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit, deren Akte ebenso wie die Zivilprozesse "coram consulibus" ihre Erledigung fanden. Die einzelnen Tatbestände der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie Käufe und Verkäufe von Häusern und Renten, Verpfändungen, Testaments- und Erbschaftssachen, Alimentations- und Lehrverträge usw., wurden in das Stadtbuch eingetragen. Der Rat übte schließlich eine Polizeigerichtsbarkeit aus, die sich auf Übertretungen der marktgesetzlichen Bestimmungen, auf Gewicht, Maß und Qualität der Waren, sowie auf weniger schwere Verstöße gegen die im Interesse der allgemeinen Sicherheit erlassenen Verordnungen erstreckte 353 ).

Neben der Rechtspflege bildete die Steuer- und Finanzverwaltung eine der wichtigsten Aufgaben des Rates. Der Rat sorgte für die Erhebung der städtischen Steuern. Unter den Steuern nahm die direkte Vermögenssteuer, die "collecta", auch "tallia" oder Schoß genannt, die erste Stelle ein. Außerdem erhob der Rat auch Verbrauchssteuern für einzelne Marktartikel. So waren z. B. der Hopfen- und wahrscheinlich auch der Butterverkauf auf dem Markte einer Steuer unterworfen 354 ). Weitere Einnahmequellen der "civitas" bildeten die Standgelder und Mieten, welche die Gewerbetreibenden


351) M.U.B. V Nr. 3302.
352) M.U.B. IV Nr. 2488.
353) Vgl. Kap. III, f, S. 76 f.
354) Vgl. Kap. III, c, S. 65.
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oder sonstigen Interessenten für die Marktplätze und städtischen Verkaufsbuden, sowie für andere städtische Gebäude, wie Schlachthäuser, Türme und Torhäuser zu zahlen hatten. Dazu kamen weitere Abgaben privatrechtlicher Art, wie Pachtgelder für die vom Rate vergebenen städtischen Gärten, Wiesen, Äcker und Bauernhöfe in den Stadtdörfern.

In welcher Weise die Münze verwaltet wurde, läßt sich aus den Quellen nicht erkennen. Da diese jedoch wahrscheinlich schon seit den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts in die Verwaltung der Stadt übergegangen war 355 ), dürfen wir wohl annehmen, daß auch hierfür der Rat zuständig war. Im 15. Jahrhundert bestand für die Verwaltung der Münze ein besonderes Münzamt, das von zwei Ratsherren geleitet wurde 356 ).

Eine bedeutsame Pflicht der Stadtobrigkeit war ferner die Sorge für den Schutz der Stadt gegen äußere und innere Feinde. Der Rat hatte darüber zu wachen, daß die städtischen Befestigungen in Ordnung gehalten wurden. Wahrscheinlich war in der ältesten Zeit jeder Bürger verpflichtet, am Mauerbau mitzuwirken 357 ). Nach einer im "Liber arbitriorum" aufgezeichneten Ratswillkür mußte jeder, der in ein Handwerkeramt eintreten wollte, Geld für die Mauer geben 358 ). Besondere Aufmerksamkeit hatte der Rat auf die Ausbildung des städtischen Militärwesens zu richten. Das städtische Militärwesen beruhte auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Jeder Bürger war verpflichtet, mit der Waffe in der Hand für die Verteidigung der Stadt einzutreten. Wie uns aus späterer Zeit überliefert ist, verlangte der Rat, daß die Bürger Waffen und Pferde hielten 359 ). In Friedenszeiten waren die Bürger zu einem Wachdienst verpflichtet. Bei Hausverkäufen mußten die Käufer mitunter ausdrücklich die Verpflichtung zum Wachdienst übernehmen 360 ). Wenn sich ein Bürger wider-


355) Vgl. Kap. III, d, S. 69 f.
356) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 2.
357) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 28.
358) Beiträge Bd. I, 4 S. 65: "Si vero voluerit aliquod officium intrare, dabit pecuniam ad murum."
359) Beiträge Bd. IV, 2 S. 51.
360) M.U.B. III Nr. 1722.
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rechtlich dieser Pflicht entzog, konnte er bestraft werden 361 ). Befreiungen von der Wachpflicht ließ der Rat nur in Ausnahmefällen zu 362 ). Dieser Wachdienst der Bürger diente wahrscheinlich zu einem großen Teil als militärischer Schutz der Stadt nach außen. In einer Ratsurkunde vom Jahre 1315 ist nämlich die Rede von einer Verpflichtung der Bürger "ad vigilias nocturnas seu custodias valuarum, portarum, fortaliciorum vel murorum" 363 ). Es geht hieraus hervor, daß der Hauptzweck dieser Bürgerpflicht die Bewachung der städtischen Befestigungen war. Mochte auch die Bürgerwehr eine große Bedeutung für die Sicherheit der Stadt besitzen, so ist es dennoch zu verstehen, daß sie im Ernstfalle nicht immer für die Verteidigung der Stadt genügte. Der Rat sah sich deshalb gezwungen, in Kriegsfällen oder Zeiten drohender Gefahr geübte Söldner anzuwerben. Im Jahre 1300 wurden z. B. von den "consules" die Ritter Reimar von Wachholz, Berthold von Artlenburg und deren "socii" auf ein halbes Jahr in Sold genommen 364 ), und aus dem Jahre 1311 ist uns eine Urkunde überliefert, nach der der Rat Hermann Horn und Genossen, im ganzen 11 Personen, darunter 5 Reiter und 3 Bogenschützen, auf ebenso lange Zeit als Söldner in seinen Dienst nahm 365 ).

Das der mittelalterlichen Stadt eigentümlichste Gebiet der Verwaltung war die "Polizei", wie man seit Ende des Mittelalters diesen Verwaltungsbezirk zu benennen pflegte 366 ). Wir haben hierunter die Wohlfahrtspflege des Rates im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen. Dazu gehören die Lebensmittel- und Teuerungspolitik des Rates, die Sicherheits-, Straßen-, Bau-, Feuer- und Sittenpolizei und schließlich auch die Tätigkeit des Rates für Krankenpflege und Armenfürsorge.

In der Lebensmittel- und Teuerungspolitik war es die hauptsächliche Aufgabe des Rates, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Lebensmittel in zureichender Menge, zu ange-


361) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a: "Swetsin emendavit 2 sol. de vigiliis."
362) M.U.B. III Nr. 1709, 1719; V Nr. 3144; VI Nr. 3743.
363) M.U.B. VI Nr. 3743.
364) Beiträge Bd. III, 1 S. 47.
365) Beiträge Bd. III, 1 S. 52.
366) Vgl. v. Below, Städtewesen und Bürgertum, S. 99 ff.
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messenen Preisen und in guter Qualität ohne Zwischenhandel erworben werden konnten. Der Rat mußte auf den Handel in der Weise einwirken, daß sowohl die Interessen des städtischen Käufers als auch die des Verkäufers geschützt wurden. Um hier überhaupt die Möglichkeit des Eingreifens zu haben, galt es, den Handel an die Öffentlichkeit zu zwingen. Kauf und Verkauf durften nur an den vom Rate festgesetzten Orten und nur zu bestimmten Zeiten vor sich gehen 367 ). Diese Vorschrift wurde ergänzt durch das Verbot des Vorkaufs und den Wägezwang. Beides ist uns schon aus dem Jahre 1275 bezeugt. Damals wurde ein Bürger wegen "preempcio piscium" und ein anderer "de butyro non ponderato" bestraft 368 ). Um den in Rostock angesessenen Kaufleuten Vorteile zu verschaffen, waren die Gäste, d. h. die fremden in die Stadt kommenden Kaufleute, durch besondere Vorschriften in der Ausübung des Handels beschränkt. Im Jahre 1275 hatte sich ein Bürger strafbar gemacht, "quod hospitibus emerat annonam" 369 ). Es ist anzunehmen, daß für die einzelnen Gewerbe auch in der uns beschäftigenden Zeit schon besondere Vorschriften bestanden. Diese sind allerdings erst in späterer Zeit urkundlich nachweisbar 370 ). Im einzelnen sorgte dann auch die vom Rate ausgeübte marktpolizeiliche Aufsicht dafür, daß die Bürger nicht durch minderwertige Qualität oder falsches Gewicht der Waren übervorteilt wurden 371 ).

Die Sicherheitspolizei lag ursprünglich wohl ausschließlich in den Händen der Bürgerschaft. Wahrscheinlich dienten die Nachtwachen der Bürger nicht allein als militärischer Schutz, sondern sie hatten daneben auch den Zweck, die innere Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten 372 ). Neben die Bürger traten schon frühzeitig von der Stadt angestellte Wächter oder Polizeimannschaften, die teilweise beritten waren. Zum


367) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 8 und Kötzschke, Grundzüge der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis zum 17. Jahrhundert, 2. Auflage, Leipzig und Berlin 1923 (Meister, Grundriß der Geschichtswissenschaft) S. 126.
368) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 6 a, 9 b.
369) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b.
370) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 9 ff.
371) Vgl. Kap. II, b, 2 S. 53 f.
372) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 28.
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Jahre 1275 heißt es: "Tercio in noctis silentio, cum vigiles equitaverunt" 373 ). Wahrscheinlich sind diese Wächter identisch mit den seit 1349 in den Kämmereiregistern regelmäßig auftauchenden "servi equitature" 374 ). Die städtischen Wachtmannschaften wurden zu ihrer Pflicht durch einen Eid angehalten, und außerdem übten die Ratsherren eine persönliche Kontrolle des Nachtschutzes aus 375 ). Um Zusammenstöße und Schlägereien zu verhüten, bestand für die Einwohner das Verbot, Waffen zu tragen. Auch machte sich derjenige strafbar, der im Verlaufe eines Streites das Messer zog. Es heißt im ältesten Stadtbuchfragment: "nocturno tempore deprehensus est cum armis; ... noctis similiter armata manu est deprehensus, pro quo eandem sententiam est arbitratus" 376 ). Im Jahre 1275 mußte ein Bürger 10 sol. Strafe zahlen, "quod extraxit cultellum" 377 ), und im Jahre 1352 wurde eine Person wegen dieses Vergehens sogar verfestet 378 ).

Die Tätigkeit des Rates auf dem Gebiete der Straßenpolizei erstreckte sich auf die Sorge für die Instandhaltung und Reinigung der Straßen, der öffentlichen Plätze und Gebäude und der städtischen Verkaufsstände 379 ). Die Instandhaltung von Brücken überließ die Stadt wahrscheinlich auch einzelnen Bürgern, die für ihre Arbeit eine jährliche Entschädigung erhielten 380 ). Von großer Bedeutung für die Stadt war die Erhaltung des Warnemünder Hafens. Vor allem kam es hierbei darauf an, die Einfahrt in See vor der Versandung zu schützen. Schon im Jahre 1288 hören wir von einem Angebot an den Rat, wonach ein Bürger gegen eine Entschädigung von 400 Mark und Lieferung von 100 000 Ziegelsteinen die Warnow-


373) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b.
374) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30, Anm. 141.
375) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 8 a: "a consulibus, qui custodiebant vigilias noctis." - Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30.
376) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 8 b.
377) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b.
378) Lib. proscr. fol. 49 b.
379) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 32 f.
380) Beiträge Bd. III, 1 S. 8 Nr. 56 (1258): "Thidericus de Hildensem faciet pontem trans aquam Vlet, quanto tempore manserit ibidem, et propter hoc dabuntur ei 12 sol. singulis annis."
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mündung bei ruhigem Meer 5 Jahre hindurch in einer Tiefe von 6 Ellen erhalten wollte 381 ).

Die uns überlieferten baupolizeilichen Maßnahmen des Rates zielten darauf ab, eine allzu enge Bauweise in der Stadt zu verhüten, die Errichtung von Ziegelbauten an Stelle von Holz- und Lehmhäusern zu fördern und das Verhältnis der Nachbargrundstücke zueinander zu regeln. Als die Stadt im Jahre 1307 dem Kloster zum heiligen Kreuz in Rostock einen Platz zum Bau von Häusern verkaufte, schrieb sie vor, daß jedes der zu bauenden Häuser einen Hof von 34 Fuß Länge haben sollte 382 ). Offenbar sollte diese Vorschrift für Licht und Luft in der Stadt sorgen. Die Förderung von Ziegelbauten, welche wahrscheinlich wegen der Feuersicherheit betrieben wurde, geschah in der Weise, daß die Stadt einzelnen Bürgern zum Bau von Ziegelhäusern finanzielle Beihilfen gewährte. Im engen Zusammenhang mit den baupolizeilichen Maßnahmen stehen die im Interesse der Feuersicherheit erlassenen Vorschriften. Wahrscheinlich unterlagen die Gewerbe, welche mit offenem Feuer arbeiteten, einer besonderen feuerpolizeilichen Kontrolle. Nach einer in die Jahre 1279/80 fallenden Stadtbuchnotiz waren anscheinend die Älterleute der Schmiedezunft verpflichtet, die Essen ihrer Amtsbrüder zu prüfen und darüber zu wachen, daß diese nicht fahrlässig mit dem Feuer umgingen 383 ). Wahrscheinlich war auch das Brauen aus Gründen der Feuersicherheit für die Nachtzeit verboten 384 ). Brandstiftung wurde schwer bestraft. So mußte in den 50er Jahren des 13. Jahrhunderts ein Bürger die Stadt verschwören, lediglich weil er gedroht hatte, "comburere civitatem" 385 ).

Eine Sittenpolizei ist in Rostock erst für das 14. Jahrhundert nachweisbar. Es gab auch damals in Rostock schon weibliche Personen, die aus der Liebe ein Gewerbe machten.


381) M.U.B. III Nr. 1977.
382) M.U.B. V Nr. 3184.
383) Beiträge Bd. II, 3 S. 72: "Johannes Widenbrugge, Hinricus Tulendhorp, Hinricus de Homburg fabri respicere debent ignem et Johannes Gote."
384) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 5 b: "Uxor Halshaghen 4 sol. dedit, quod braxavit nocte."
385) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 1 b.
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Wahrscheinlich wurden sie vom Rate geduldet und nur dann zur Verantwortung gezogen, wenn sie sich anderweitig strafbar machten. So mußten im Jahre 1319 zwei "meretrices" die Stadt verschwören, weil sie einem Bürger 22 sol. entwendet hatten 386 ). Der Versuch, ehrbare Frauen und Mädchen zur Unzucht zu verleiten, wurde scheinbar streng bestraft, denn als im Jahre 1310 mehrere Personen wegen dieses Vergehens die Stadt verschwören mußten, wurde der Aufzeichnung ausdrücklich die Bemerkung hinzugefügt: "propter hoc nunquam redibunt" 387 ). Ein originelles Beispiel aus dem Jahre 1338 zeigt uns, daß der Rat auch diejenigen Personen zur Verantwortung zog, die in irgend einer Weise den öffentlichen Anstand verletzten. Die Aufzeichnung lautet: "Item Thideke Zothebotter carnifex abiuravit civitatem coram consistorio penes collum suum propterea, quod posuit dactilum porcinum, quod in vulgo eyn pezerik dicitur, supra tybiam de una suwe et sic vendidit suas carnes" 388 ).

Auf dem Gebiete des Gesundheitswesens hat der Rat schon in früher Zeit eine Tätigkeit entfaltet. Ärzte finden wir bereits im 13. Jahrhundert in der Stadt. Im ältesten Stadtbuch-Fragment wird ein "magister Sibertus medicus" erwähnt 389 ), und in den 80er Jahren werden sogar drei Ärzte urkundlich genannt: "Johannes medicus, Rodolphus cyrurcigus" und "Bertrammus medicus" 390 ). Diese Ärzte standen wahrscheinlich nicht im Dienste der Stadt, jedoch da der letztere von der Wach- und Schoßpflicht befreit war 391 ), dürfen wir wohl annehmen, daß der Rat auf die Anwesenheit von Ärzten in der Stadt Wert legte. Auch "apothecarii" treten uns verschiedentlich in Stadtbuch-Aufzeichnungen des 13. Jahrhunderts entgegen 392 ). Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden in den Gewettrechnungen wiederholt größere Aus-


386) M.U.B. VI Nr. 4044.
387) M.U.B. V Nr. 3365.
388) M.U.B. IX Nr. 5856.
389) St.-B.-Fragm. I, 1.
390) M.U.B. III Nr. 1607. - St.-B. II fol. 140 a. - M.U.B. III Nr. 1569, 2103.
391) M.U.B. III Nr. 1709.
392) Beiträge Bd. II, 2 S. 21 Nr. 114. - M.U.B. II Nr. 951, III Nr. 1560.
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gaben für Apotheker gebucht 393 ). Es scheint hieraus hervorzugehen, daß einige Apotheker in dieser Zeit im Dienste der Stadt standen. Für die Unterbringung von Kranken dienten besondere geistliche Institute, das Hospital zum heiligen Geist und das St. Georgs-Hospital. Beide werden schon im Jahre 1259/60 urkundlich bezeugt 394 ). Außer den Kranken fanden in ihnen auch Arme Aufnahme 395 ). Die finanziellen Mittel für die Kranken- und Armenfürsorge wurden wohl zum größten Teil durch private Stiftungen aufgebracht 396 ), nur in einzelnen Fällen leistete die Stadt auch Beihilfen 397 ). Die Verwaltung der Spenden für die Armen stand wahrscheinlich dem Rate zu. Es heißt im ältesten Stadtbuch-Fragment: "Reliquam partem hereditatis resignavit consulibus, ut convertant ad elemosinas pauperum et ubicumque voluerint" 398 )(im Text andere Zahl), und einige Zeit später: "... et alia pars de pleno consensu consulum inter pauperes dividetur" 399 ). Für die Isolierung der Geisteskranken war eine besondere Einrichtung vorhanden, die sogenannte "Torenkiste", die urkundlich zuerst im Jahre 1355 erwähnt wird. Für die Erhaltung und Reinigung dieses Gelasses sorgte die Stadt 400 ).

5. Ratsdeputationen und städtische Beamte.

Die Fülle der den "consules" gestellten Aufgaben hat schon im 13. Jahrhundert zu einer Art Arbeitsteilung im Rate geführt. Es bildeten sich innerhalb des Rates engere Ausschüsse oder Deputationen, denen bestimmte Gebiete der städtischen Verwaltung oder der Rechtspflege zugeteilt wurden. Die Amtsdauer dieser Ratsdeputationen betrug ebenso wie die des Rates ein Jahr 401 ).


393) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 45 f.
394) Beiträge Bd. II, 2 S. 9 Nr. 17 und M.U.B. II Nr. 865.
395) M.U.B. X Nr. 7139.
396) M.U.B. II Nr. 865, 924, 1104, 1153, 1200 und öfter.
397) St.-B. I fol. 71 a: "Consules concesserunt sancto spiritui 55 mr. den."
398) St.-B.-Fragm. I, 1 fol. 3 b.
399) St.-B. II fol. 1 b,
400) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 47.
401) Vgl. M.U.B. V Einl. S. XII und S. XVIII.
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Die wichtigste Ratsdeputation war die der Kämmereiherren oder "camerarii". Sie setzte sich anfangs aus drei Mitgliedern zusammen 402 ), seit 1321 werden meistens nur noch zwei genannt 403 ). Die bedeutendste Aufgabe der Kämmereiherren war die Verwaltung des städtischen Vermögens. Sie empfingen und leisteten Zahlungen für die Stadtkasse. Es heißt z. B. zum Jahre 1275: "Camerarii acceperunt duas mr. ad usus civitatis" 404 ), oder zum Jahre 1301: "Civitas vendidit ... 5 mr. redditus pro 50 mr. den. de cista erogandos annis singulis per camerarios ..." 405 ). Ähnliche Inskriptionen finden sich häufiger 406 ). Städtische Grundstücke wurden im Auftrage des Rates von den Kämmerern verkauft oder verpachtet, wie es in folgenden Stadtbuch-Aufzeichnungen niedergelegt ist: "Gotscalcus ... Hermannus Lyse et Bernardus Copman camerarii ex iussu consulum omnium vendiderunt ... hereditatem unam" 407 ), oder "Civitas vendidit ... spacium unum ... quod spacium Lutbertus Dunevar, Johannes de Lemhus, Hermannus Lise (Kämmerer) resignaverunt ex iussu consulum" 408 ). Bei der Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit stand den Kämmerern der Vorsitz zu. Sehr häufig wurden ihre Namen den Inskriptionen hinzugefügt mit dem Hinweis: "tabule presidebant" 409 ). Schließlich lag den Kämmereiherren noch die Verwaltung des städtischen Archivs ob. Im Jahre 1265 wurde urkundlich bestimmt, daß die der Stadt verliehenen Privilegien an einem sicheren Orte der Petristadt "sub custodia trium camerariorum" aufbewahrt werden sollten 410 ).


402) M.U.B. II Nr. 1051.
403) Ein Namensverzeichnis der Kämmerer für die Zeit von 1295 bis 1350 ist abgedruckt M.U.B. V Einl. S. XII ff.
404) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 4 b.
405) St.-B. III fol. 154 a.
406) M.U.B. III Nr. 1693, IV Nr. 2441. - St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 16 b. - St.-B. III fol. 31 a, 88 b, 154 b, 179 a. - St.-B.-Fragm. II, 6 fol. 1 a.
407) St.-B. IV fol. 96 b.
408) St.-B. III fol. 131 a. - Vgl. auch St.-B.-Fragm. III, 2 fol. 4 a. - St.-B. III fol. 161 a, 161 b. - St.-B. VII fol. 31 a, 39 b. - St.-B.-Fragm. III, 10 fol. 1 a. - M.U.B. V Nr. 2848, 2875 und öfter.
409) M.U B. III Nr. 1560, 1568, 1569, 2103, 2175 und öfter.
410) M.U.B. II Nr. 1051.
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Eine weitere Ratsdeputation tritt uns in den beiden "assessores" oder "iudices" entgegen, die unter dem Vorsitz des fürstlichen "advocatus" als Beisitzer im Kriminalgericht fungierten und seit 1358 selbständig zu Gericht saßen 411 ).

Die Deputationen der Wein-, Schoß-, Münz-, Wedde- und Bauherren lassen sich in der uns beschäftigenden Zeit noch nicht nachweisen 412 ).

In ihrer Verwaltungstätigkeit wurden die Ratsherren unterstützt durch eine Reihe von Personen, die im Dienste der Stadt angestellt waren, und die man als besoldete Berufsbeamten bezeichnen kann. Die Anstellung dieser städtischen Beamten erfolgte wahrscheinlich durch den Rat, der auch die Höhe der Besoldung festsetzte. So traf der Rat im Jahre 1260 mit einem Schreiber und mehreren Boten eine Vereinbarung über das zu zahlende Gehalt. Die Aufzeichnung trägt die Überschrift: "Statuta consulum cum scriptore et nunciis eorum" 413 ).

Unter den städtischen Beamten sind in erster Linie die Stadtschreiber zu nennen, die in den Urkunden als "notarii" oder "scriptores civitatis" bezeichnet werden. Zwischen diesen Benennungen bestand wahrscheinlich kein Unterschied, denn der Stadtschreiber Gerhard wird sowohl mit dem Titel "notarius" als auch mit "scriptor civitatis" erwähnt 414 ). Auch in der Besoldung der "notarii" und "scriptores" bestand kein Unterschied. Sie betrug um 1260 6 Mark jährlich 415 ). Die Beschäftigung der Stadtschreiber bestand wahrscheinlich in der Ausstellung von Urkunden, in der Führung der Stadtbücher und sonstigen Kanzleiarbeiten.

Zum ersten Male wird urkundlich ein Stadtschreiber im Jahre 1257 erwähnt. Ein Stadtbuch-Fragment aus dieser Zeit


411) Vgl. Kap. III, f S. 73 f. - Ein Namensverzeichnis der "assessores" oder "iudices" für die Zeit von 1302-1375 ist abgedruckt M.U.B. V Einl. S. XVIII f.
412) Vgl. Ahrens a. a. O. S. 2 und Koppmann, Gesch. der Stadt Rostock S. 18.
413) M.U.B. IV Nr. 2674.
414) M.U.B. V Einl. S. VII.
415) M.U.B. II Nr. 835, IV Nr. 2674. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 4 S. 66 f.
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beginnt mit den Worten: "Anno 1257 sub Alexandro scriptore civitatis" 416 ). Im Jahre 1259 wurde Heinrich von Bremen für zwei Jahre als Notar von der Stadt angestellt 417 ). Wahrscheinlich wurde der Dienstvertrag zwischen ihm und der Stadt später verlängert, denn Heinrich von Bremen wird noch im Jahre 1286 als "notarius civitatis" bezeichnet 418 ). Aus dem Jahre 1279 liegt uns ein Stadtbuch-Fragment vor, dessen Niederschrift begonnen wurde "per manum Arnoldi" 419 ). Seit dem Jahre 1325 finden wir den Notar Gerhard im Dienste der Stadt. Dessen Vorgänger war Volbertus 420 ). Gerhard legte sein Amt im Jahre 1358 nieder. Sein Nachfolger wurde Bernhard Steinbrink 421 ).

Neben den Stadtschreibern treten uns Ratsboten und Stadtdiener entgegen, die "nuncii consulum" und "famuli" oder "servi civitatis". Das jährliche Gehalt der Ratsboten betrug im Jahre 1260 zwei Mark 422 ). Wahrscheinlich erhielten die Ratsboten und Stadtdiener außer ihrem Gehalt freie Kleidung von der Stadt. In einer Kämmereirechnung von etwa 1283 ist unter Ausgaben gebucht: "Item Volmaro 6 1/2 mr. pro tunicis nuntiorum" 423 ), und 1350 heißt es an entsprechender Stelle: "Item 3 1/2 mr. pro tunicis servorum" 424 ). Im Jahre 1260 standen vier "nuncii consulum" in städtischen Diensten 425 ). Nach einer Stadtbuch-Notiz von 1274 übertrugen die Ratsherren dem "maiori nuncio Hermanno" und dem Ratsboten Konrad je eine Baustelle 426 ). Es werden ferner urkundlich erwähnt, 1282: "Wernerus nuncius civitatis" 427 ) und 1296: "Henricus sagittarius


416) Beiträge Bd. III, 1 S. 3.
417) M.U.B. II Nr. 835.
418) M.U.B. III Nr. 1877. - Vgl. auch St.-B. I fol. 71 a.
419) M.U.B. III Nr. 1507.
420) M.U.B. V Einl. S. VII: "Volbertus quondam notarius vendidit Gerrardo suo successori ...."
421) M.U.B. V Einl. S. VIII.
422) M.U.B. IV Nr. 2674.
423) M.U.B. III Nr. 1705.
424) M.U.B. X Nr. 7118.
425) M.U.B. IV Nr. 2674.
426) M.U.B. II Nr. 1320. - St.-B. II fol. 13 a.
427) St.-B. II fol. 70 b.
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civitatis nuncius" 428 ). An Stadtdienern lassen sich urkundlich nachweisen: 1307: "Willekinus civitatis famulus" 429 ) und 1348/49: "Wulfardus servus civitatis" 430 ). Im Jahre 1351 wurden zwei Personen verfestet, "quod famulum civitatis percusserunt" 431 ).

Ein wichtiges städtisches Amt war das des Münzmeisters. Diesem war wahrscheinlich die Prägung der Münzen anvertraut. Aus dem 13. Jahrhundert ist uns nur der Name eines Münzmeisters überliefert: "Albertus magister monete" 432 ). Im Jahre 1306 wird ein "Wulfardus monetarius" 433 ) und 1320/21 "Bernardus monetarius" erwähnt 434 ). Welches Gehalt der Münzmeister bezog, darüber ist uns nichts bekannt.

Für die Verwaltung des sehr umfangreichen städtischen Grundbesitzes und der städtischen Dörfer stellte die Stadt besondere Vögte an. Diese lassen sich erst für das 14. Jahrhundert nachweisen. Zum Jahre 1305 heißt es: "Henricus de Todendorp, tunc advocatus consulum in bonis civitatis" 435 ). Ferner werden "Volziko de Alen" und "Gerhardus de Lawe" im Jahre 1314 als "advocati civitatis" bezeichnet 436 ). In Warnemünde tritt uns im Jahre 1339 ein städtischer Vogt entgegen. Nach einer Stadtbuch-Inskription dieses Jahres erfolgte die Auflassung eines dortigen Hauses "coram advocato et omnibus civibus ibidem" 437 ).

Außerdem finden wir im Dienste der Stadt "advocati", die nicht in der inneren Verwaltung der Stadt tätig waren, sondern ihren Sitz in auswärtigen Städten hatten. Vermutlich lag ihnen die Pflicht ob, in ihrem Wirkungskreis die


428) St.-B. IV fol. 37 a. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 4 S. 67.
429) M.U.B. V Nr. 3161.
430) M.U.B. X Nr. 6826.
431) M.U.B. V Einl. S. XXI.
432) M.U.B. IV Nr. 2683. - Vgl. Dragendorff, Beiträge Bd. II, 3 S. 80.
433) M.U.B. V Nr. 3073.
434) M.U.B. VI Nr. 4240.
435) M.U.B. V Nr. 2991. - Vgl. auch St.-B. V fol. 154 a.
436) St.-B. V fol. 155 b.
437) M.U.B. IX Nr. 5991.
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Interessen der Stadt Rostock zu vertreten und die Rostocker Bürger während ihres Aufenthaltes in der Fremde zu unterstützen. Ein derartiger Rostocker Vogt befand sich (1275) am Hofe des Fürsten Witzlav von Rügen 438 ) und (1283) in Schonen in Dänemark 439 ).

In Stadtbuch-Aufzeichnungen von 1267 und 1281 wird auch ein "advocatus Slavorum" erwähnt 440 ), jedoch läßt es sich nicht feststellen, ob es sich hierbei um einen fürstlichen oder städtischen Beamten handelt.

Zur Unterstützung des Rates in der Rechtsprechung dienten ebenfalls besondere städtische Angestellte, die sogenannten Rhetoren. Diese wurden vom Rate insbesondere dafür verwendet, in schwierigeren Rechtsfällen von dem Obergerichtshof in Lübeck Rechtsbelehrung zu holen 441 ). An Rhetoren lassen sich in Rostock nachweisen, 1268: "Sybernus retor 442 ), Bertrammus retor 443 ), Meineco retor" 444 ), 1275: "Thancmarus retor" 445 ), 1295: "Henricus Lange retor" 446 ).

Schließlich sind unter den städtischen Beamten noch die Büttel und Wächter zu nennen. Der Büttel oder "preco" war der Gerichtsdiener und Gefangenenaufseher. Er wird urkundlich in Rostock zuerst 1268/70 erwähnt 447 ). Im Jahre 1342 wurde ein Büttel verfestet, weil er mit einem Gefangenen entflohen war, und 1354 traf dieselbe Strafe einen anderen aus einem ähnlichen Grunde 448 ). Städtische Wächter werden in den Quellen nur sehr selten erwähnt. Um 1270/75 treten uns berittene "vigiles" entgegen 449 ). Seit 1349 werden regel-


438) M.U.B. II Nr. 1372.
439) M.U.B. III Nr. 1705: "Item advocato in Nore." Vgl. auch M.U.B. III Nr. 1226, VI Nr. 3788, VII Nr. 4956.
440) M.U.B. IV Nr. 2692, III Nr. 1559.
441) Vgl. Kap. IV, b, 4 S. 98 f.
442) St.-B. I fol. 39 a.
443) St.-B. I fol. 46 a.
444) St.-B. I fol. 47 a, 54 b.
445) St.-B. II fol. 5 a, 30 b, 48 b und öfter.
446) St.-B. IV fol. 27 b.
447) M.U.B. II Nr. 1152.
448) M.U.B. V Einl. S. XXII.
449) St.-B.-Fragm. III, 1 fol. 9 b.
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mäßig in den Kämmereiregistern Ausgaben "pro tunicis servorum equitature" gebucht 450 ). Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um städtische Wächter.

c) Die Gemeinde.

Die Gemeinde setzte sich aus den in der Stadt ansässigen Bürgern zusammen. Wer Mitglied der Bürgergemeinde werden wollte, hatte das Bürgerrecht oder die "civilitas" zu erwerben. Das Recht der Bürgerannahme stand dem Rate zu, und zwar waren es die Kämmerer, die, wie es scheint, über diesen Akt entschieden. Eine Willkür des Rates bestimmte: "Item si aliquis voluerit effici burgensis, debet venire ad camerarios civitatis et acquirere civilitatem" 451 ). Für die Bürgerannahme war es erforderlich, daß der Bewerber einen Bürgen stellte. Dieser mußte wahrscheinlich ein in der Stadt angesessener Bürger sein und für die Dauer von 5 Jahren dafür die Gewähr übernehmen, daß der neu Aufgenommene die Bürgerpflichten erfüllte. In einem Verzeichnis neu aufgenommener Bürger von etwa 1259 heißt es einleitend: "Isti sunt fideiussores illorum, qui habent civilitatem, ut conservent iusticiam civitatis ad quinque annos". Hiernach folgt das Verzeichnis der neuen Bürger mit ihren Bürgen, z. B.: "Ysenart, fideiussit pro civilitate Ludekini ad V annos, Andras de Cosfelde fideiussit similiter pro Johanne de Lussen ad V annos etc." 452 ). Aus dem Jahre 1334 ist uns eine Aufzeichnung überliefert, nach der ein neu aufgenommener Bürger jährlich 1 Mark "pro sua civilitate" zahlen mußte 453 ). Ob wir es in diesem Falle mit einer Ausnahme zu tun haben, oder ob regelmäßig von den neuen Bürgern ein Geldbetrag erhoben wurde, läßt sich nicht entscheiden.

Die Gemeinde oder die "universitas civium" war der Träger der Privilegien, welche der Stadt von fürstlicher Seite


450) M.U.B. X Nr. 6826. - Vgl. Ahrens a. a. O. S. 30.
451) Beiträge Bd. I, 4 S. 66.
452) M.U.B. II Nr. 836.
453) M.U.B. VII Nr. 4806.
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erteilt waren. In den der Stadt während des 13. Jahrhunderts verliehenen Privilegien werden stets als Empfänger die Bürger oder Einwohner Rostocks genannt 454 ), dagegen werden in den Privilegien des 14. Jahrhunderts als Empfänger regelmäßig die "consules" und die Gemeinde aufgeführt 455 ).

Die allgemeinen Pflichten der Bürger waren in erster Linie die Wach- und Schoßpflicht, außerdem waren die Bürger zur Mitarbeit an der Mauer und am Bau von Straßen und Brücken verpflichtet 456 ). Diesen und anderen Pflichten der Gemeinde stand das wichtige Recht des "civiloquium" gegenüber, m. a. W. die Gemeinde besaß das Recht, durch Beschlüsse der Bürgerversammlung oder Bürgersprache in die Entscheidung wichtiger Dinge einzugreifen. Daß es in Rostock eine derartige Institution gab, lehrt uns eine Urkunde von 1270/71, welche mit folgenden Worten beginnt: "Cum esset civiloquium in civitate Rozstok, Wulphardus Luscus cepit contradicere decretum totius civitatis et reclamare . ." 457 ). Das Wort "civiloquium" bedeutet hier sicher die Versammlung der gesamten Bürger, denn es ist ausdrücklich die Rede von einem Beschluß der ganzen Gemeinde 458 ). Leider ist die zitierte Quelle die einzige, welche uns über die wichtige Institution des "civiloquium" Auskunft gibt. Bei welchen Gelegenheiten die Bürgerversammlung stattfand und wer diese einberief, ist uns aus dem Quellenmaterial der älteren Zeit nicht bekannt. Wahrscheinlich erfolgte im Jahre 1265 die Vereinigung der drei Rostocker Einzelgemeinden durch einen Bürgerversammlungsbeschluß, denn die hierüber ausgestellte


454) M.U.B. I Nr. 244; II Nr. 686, 959, 1021, 1096, 1381; III Nr. 1836.
455) M.U.B. VII Nr. 4377, 4424, 4675; XIV Nr. 8533.
456) M.U.B. VI Nr. 3743.
457) M.U.B. II Nr. 1207.
458) Das Wort "civiloquium" kommt, wie aus späterer Zeit überliefert ist, auch in einer anderen Bedeutung vor. Man verstand darunter auch eine Sammlung von Verordnungen, größtenteils polizeilichen Charakters, die an bestimmten Tagen von der Laube des Rathauses herab durch den wortführenden Bürgermeister der versammelten Bürgerschaft verkündet wurden. - Vgl. Dragendorff, Die Rostocker Burspraken, Beiträge Bd. VI, 2 1905 S. 47 und Frensdorff a. a. O. S. 165.
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Urkunde beginnt mit den Worten: "consules et universitas civitatis Roztok" 459 ).

Vignette

459) M.U.B. II Nr. 1051. - Auch sonst wird in den vom Rate ausgehenden Urkunden als Aussteller fast immer die Gemeinde neben den "consules" aufgeführt, so 1257: "consilium et commune civitatis Rozstokiensis", 1275: "consules necnon universitas burgensium de Rostock", 1282: "consules ceterique burgenses de Roztoc", ebenso 1283, 1284: "nos consules ceterique burgenses civitatis Rozstoc", 1293: "consules universitas et burgensium in Rozstoc", ebenso 1312 (M.U.B. II Nr. 786, 1361; III Nr. 1649, 1669, 1715, 2241; V Nr. 2770, 3537.) Aus dieser Formulierung dürfen wir wahrscheinlich nicht schließen, daß die in den Urkunden niedergelegten Beschlüsse unter ausdrücklicher Zustimmung der Bürgerversammlung zustande gekommen sind. Die Gemeinde wird meistens auch in den Urkunden anderer Städte neben dem Rat genannt, (vgl. Eberle a. a. O. § 8) und ferner wird sie auch häufig in den an die Stadt Rostock gerichteten Urkunden besonders neben dem Rate aufgeführt. (M.U.B. VII Nr. 4377, 4424, 4675; XIV Nr. 8533.) Es ist daher wahrscheinlich, daß diese Formulierung auf eine damals allgemein übliche Kanzleisitte zurückzuführen ist.
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III.

Die Entwicklung
des Hagenower Bürgerhauses
aus dem
niedersächsischen Bauernhause

von

Johann Friedrich Pries.

Mit 8 Tafeln Abbildungen.

 

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Die Anregung zu der folgenden Arbeit gab Herr Amtsgerichtsrat Schlüter in Hagenow. Herr cand. phil. Steinmann, der vorher schon die Inschriften der Hagenower Häuser festgestellt hatte, half mir bei den Aufmessungen.

Zur Vermeidung längerer Worterklärungen im Text, wie sie die bautechnischen Fachausdrücke sonst erfordern würden, sind diese nach einem von Professor Otto Gruber 1 ) gegebenen Beispiele als Anhang in einem alphabetischen Verzeichnis zusammengestellt.

In den beigegebenen Zeichnungen, Taf. 1 bis 8, ist, wo nicht ausdrücklich etwas anderes bemerkt ist, der gegenwärtige Zustand wiedergegeben. Nur bei solchen Veränderungen, die erst von den jetzigen Eigentümern vorgenommen sind und bei denen diese den früheren Zustand noch genau angeben konnten, ist der letztere eingezeichnet. Die Bezeichnungen "rechts" und "links", die im Text gebraucht sind, sind in den Zeichnungen vom Beschauer aus zu verstehen. Das ist zwar heraldisch verkehrt, der Mehrzahl der Leser aber bequemer.

 

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1) Gruber, Otto, "Deutsche Bauern- und Ackerbürgerhäuser", Karlsruhe 1926.
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Einleitung.

Noch vor kurzem wurde es allgemein als selbstverständlich angenommen, daß sich das Bürgerhaus aus dem Bauernhause der gleichen Landschaft entwickelt habe. Erst in neuerer Zeit erheben sich Stimmen, die dies in Abrede nehmen und für das städtische Bürgerhaus, wenigstens einzelne seiner Formen, eine selbständige Entwicklung aus der Urform des Hauses, dem Einraume, heraus annehmen. Als Beispiel sei nur auf die Äußerung Paulys 2 ) hingewiesen: "Ausgesprochene Vermutungen über die Ableitung der städtischen Wohnhausform aus der bäuerlichen finden ... im Kieler Bürgerhause keine Stütze". Ich möchte diesen Satz noch dahin erweitern, daß das mittelalterliche Kaufmannshaus der Hansestädte im Gebiete des Niedersachsenhauses rechts der Elbe jedenfalls nicht von dem niedersächsischen Bauernhause ostelbischer Form abzuleiten ist. Andererseits würde es unbedacht sein, die engen Beziehungen zwischen Bauernhaus und Bürgerhaus in Abrede nehmen zu wollen, die man beim Durchwandern ländlicher Orte und der Kleinstädte Westfalens und der Weserberglande augenscheinlich wahrnimmt. In dem Werke Hugo Ebinghaus 3 ) über das Ackerbürgerhaus jener Gegenden ist aber ein Unterschied gemacht zwischen dem städtischen Hause, das aus dem Bauernhause hervorgegangen, und dem, "das aus dem Einraumhaus entstanden ist", wenn auch das Ergebnis der Entwicklung schließlich das gleiche oder wenigstens ein ganz ähnliches war. Diese Entwicklung geht bei dem aus dem Bauernhause hervorgegangenen Stadthause auf den "Anbau", auf die ursprüngliche Dreiteilung des Hauses in Mittelraum und Abseiten oder Kübbungen zurück, während bei dem aus dem Einraume her-


2) Pauly, Georg, "Die Raumgestaltung des Altkieler Bürgerhauses", Nordelbingen, Beiträge zur Heimatforschung. Flensburg 1927.
3) Ebinghaus, Hugo, (Druckfehler) Das Ackerbürgerhaus der Städte Westfalens und des Wesertales", Dresden 1912.
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vorgegangenen Hause der "Einbau" von Einzelräumen, später von Raumverbindungen, in den Einraum die Ursache der Raumentwicklung ist 4 ). Es sind also - wie oft bei wissenschaftlichen Streitfragen - beide Ansichten teils richtig, teils falsch, und es kommt dabei in der Hauptsache darauf an, wo der Vergleich einsetzt, ob im Beginn, während oder am Schlusse der Entwicklung. Nur wo und soweit man diese in ihrem ganzen Verlauf verfolgen kann, wird man sich bestimmt für eine Ansicht entscheiden können.

Letzteres ist beim Hagenower Bürgerhause, wie es bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gestaltet war, soweit der Fall, daß seine Herkunft aus dem Bauernhause ohne Lücken nachgewiesen werden kann. Als Bauernhaus kommt babei freilich von vorneherein am Orte selbst nur eine schon zum Ackerbürgerhause fortgeschrittene Form in Betracht, und auch diese jetzt nur noch in bereits umgebauter Gestalt. Der Grund dafür, daß hier dieser Nachweis erbracht werden kann, liegt in der Entwicklung der Stadt, die sich von jener der meisten Städte des Landes wesentlich unterscheidet. Die Amtsstadt Hagenow, die jetzt etwa 4500 Einwohner hat, wird schon um 1370 als Stadt, oppidum, erwähnt, bleibt aber bis 1754 amtssässig, ist also bis dahin nicht mit den vollen Rechten einer Stadt, mit einer Stadtverfassung, ausgestattet. Die Stadt selbst war auch nie befestigt. Sie hat zwar, wenigstens an einem Teil der Feldmark, eine Landwehr gehabt, ihre Tore aber waren schlichte Schlagbäume, die die lange Hauptstraße an beiden Enden abschlossen. Dieser Zustand ist auffallend, da manche Umstände dafür sprechen, daß Hagenow früh der Marktort für eine verhältnismäßig große Umgegend sein mußte. Alle Nachbarstädte, mit Ausnahme von Wittenburg, sind ungewöhnlich weit von Hagenow entfernt und von ihm durch größere Wald- und Wiesengebiete, früher auch durch jetzt angebaute Heidestrecken geschieden, so daß die Stadt seit je Mittelpunkt des örtlichen Verkehrs eines recht großen Bezirkes war. Auch für den Durchgangsverkehr von Lübeck in die Mark mochte der Ort als Rastplatz Bedeutung haben. Immerhin mag der Umstand, daß die Stadt nicht voll selbständig war, der Anlaß sein. daß sich dort länger ländliche


4) Daß von vielen Forschern die Abseiten des Niedersachsenhauses nach ihrer Herkunft nicht als "Anbau" angesehen werden, sei bemerkt.
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Verhältnisse hielten als in anderen, wenn auch kleineren und weniger bedeutenden Städten. Wenn man von den neuen Straßen und von der Hauptstraße, die sich in ihrem Verlauf zum Marktplatz erweitert, absieht, tritt dies noch heute in Erscheinung. Ein neuer Aufschwung der Stadt und ihre neuere bauliche Entwicklung ist durch die Erbauung der Berlin-Hamburger Eisenbahn um das Jahr 1840 veranlaßt. Lag auch der Bahnhof, jetzt Hagenow-Land, etwa 3 km von der Stadtmitte entfernt, so brachte er doch einen Bevölkerungszuwachs und einen erhöhten Verkehr, da von Hagenow aus bald eine Bahn nach Mecklenburg hinein gebaut wurde, die mehrere Jahrzehnte hindurch der wichtigste Zubringer der großen Verkehrslinie blieb, weil sie das größte Hinterland hatte.

Daß in einer solchen Stadt, deren Gemarkung etwa 2550 ha groß ist, wovon das meiste Land unter dem Pfluge liegt, die Ackerwirtschaft eine wichtige Rolle spielen mußte, liegt auf der Hand. Nach den Ackerbürgerhäusern zu urteilen, müssen die kleineren Betriebe, etwa in der Größe von Büdnereien, vorherrschend gewesen sein. Größere "Bauhöfe" hat es dort anscheinend nicht gegeben, nur das am Markt belegene Stadtvogtgehöft, auf das noch ausführlicher zurückzukommen ist, läßt erkennen, daß dort einst eine größere Landwirtschaft, mindestens in dem Umfange eines heutigen "Hofes", betrieben sein muß. Welche Stellung der herzogliche Stadtvogt in der amtssässigen Stadt gehabt haben mag, ist nicht ganz klar. Nach der Hofrangordnung vom 25. Juli 1704 gehörte ein Stadtvogt der 17. Gruppe an, während die Bürgermeister im allgemeinen in der 15., Advokaten in der 14., Amtmänner in der 13., Droste in der 7. Gruppe waren. Die Stadtvögte scheinen jedoch in den amtssässigen Städten zugleich Stadtrichter und nebenher Steuereinnehmer, Lizent-Inspektor, gewesen zu sein. Jedenfalls muß der Stadtvogt von Hagenow ein recht hochmögender Herr gewesen sein. Wie der älteste Staatskalender, von 1776, nachweist, vereinigte später auch der Bürgermeister mit seinem Posten das Amt des Stadtrichters und Steuereinnehmers. Er soll auch im Stadtvogthause gewohnt haben, das zunächst als Rathaus benutzt wurde.

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Das ältere Ackerbürgerhaus.

Das ältere Ackerbürgerhaus Hagenows zeigt alle wesentlichen Kennzeichen des Vierständerhauses, in einzelnen Ausführungen des Dreiständerhauses, mit Durchgangsdiele. Die Wohnung ist meist eine Vorderwohnung, doch kommt auch die Seitenwohnung vor. Die Diele kann auch als Sackdiele bezeichnet werden, da sie in den meisten dieser Häuser, vielleicht in allen, namentlich in denen mit Vorderwohnung, durch eine Windfangwand in einen Vorderflur und die hintere Auffahrtsdiele geteilt ist. Einzelne dieser Häuser, und zwar die stattlicheren, finden sich in der Hauptstraße der Stadt und am Markt, in größerer Zahl liegen sie in dem südöstlichen, als "Klunk" 5 ) bezeichneten Stadtteile. Hier sind sie namentlich in der Bergstraße in einer, von der Straße und von ihrer Hofseite aus gesehen, interessanten Gruppe erhalten. Dabei fallen recht eigenartige Gestaltungsformen, Anschluß der Abseiten unter einer Art Mansardendach und dergleichen mehr, auf. Mehrere gute Bilder solcher Häuser, auch der genannten Gruppe an der Bergstraße, bringen die Mecklenburgischen Monatshefte im März 1928 6 ). Soweit diese Häuser nicht eine allseitig freie, an Straßen und ihren Hof stoßende Lage haben, sondern als Reihenhäuser aufgebaut sind, sind sie durch Traufgänge voneinander geschieden. Diese sind so schmal, daß sie eben begangen werden können, nicht so breit wie die Warnemünder Tüschen, die als Durchgang für eine hochtragende Kuh angelegt sein mußten. Dazu ist hier kein Anlaß, da die Hofplätze der Grundstücke teils von Hinterstraßen aus, teils durch breite Einfahrten zugänglich sind.

Wohl keines dieser Gebäude hat noch seine ursprüngliche Raumeinteilung oder Raumbenutzung, aus allen scheinen die Stallräume entfernt und in später erbaute Nebengebäude verlegt zu sein. Dabei wurde die Hauptwohnung oft durch Hinzunahme einer früheren Altenteilerwohnung vergrößert und in


5) "de Klunk", "in'n Klunk" - nicht: "up'n Klunk".
6) Schlüter, Ernst, "Die kleine Stadt", mit Lichtbildaufnahmen von F. Müschen, Mecklenbg. Monatshefte 1928.
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den früheren Stallräumen eine zweite Wohnung, zunächst wohl als Mietswohnung, eingerichtet. Häufig wurde dann die Diele durch weitere Durchteilungen verbaut. Man erkennt die ursprüngliche Einrichtung zum Teil nur noch daran, daß im Holzverbande des hinteren Giebels die alte Umrahmung des Dielen-Einfahrtstores erhalten ist. Bei einzelnen Häusern ist aber auch diese schon verschwunden. Wann diese Umbauten der größtenteils im Anfange oder um die Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten Häuser im allgemeinen vorgenommen sind, ist nicht mehr bekannt. Vielleicht mögen schon die 1808 aufgehobenen Bestimmungen über die Gewährung von Bauhülfen, auf die ich später zurückkomme, den ersten Anlaß hierzu gegeben haben, im Verein mit dem Empfinden, daß es den städtischen Verhältnissen nicht mehr angemessen sei, mit dem Vieh unter einem Dache zu wohnen. Es mag aber auch ein anderer Umstand, auf den ich später komme, oder ein durch den Eisenbahnbau um 1840 verursachter Wohnungsmangel den Anstoß zu diesen Umbauten gegeben haben. In einzelnen Fällen geschah ein solcher, weil die Ackerwirtschaft aufgegeben und das Haus für einen anderen Gewerbebetrieb eingerichtet wurde.

Tafel 1 und 2 geben Beispiele solcher ursprünglichen Ackerbürgerhäuser. Das Dreiständerhaus (Tafel 1), das aus dem zuletzt angegebenen Grunde verändert ist, zeigt noch seine alte Raumeinteilung, freilich bei veränderter Raumbenutzung. Wie letztere ursprünglich gewesen sein mag, ist in einer zweiten Zeichnung des Grundrisses angegeben. Diese Vermutung stützt sich auf die von der Frau des Besitzers ohne dazu gegebene Veranlassung gemachte Mitteilung, daß das Haus früher zwei Küchen gehabt habe. Das Torgerüst des Straßengiebels läßt noch das ursprüngliche Einfahrtstor erkennen. Der Torsturz trägt die Inschrift: "Las dich Herr Jesu Christ, durch mein Gebeth bewegen, kom in mein Haus und Hertz und bring uns deinen Seeg - Hans. Joachim. Dreyer. - Catharina. Dreyern. - Anno 1743 - Den 28 May." Das Tor ist jetzt durch Fachwerk ausgebaut, in dem sich eine Haustür mit Seitenfenstern befindet. Ein Hineinfahren in das Haus würde heute nicht mehr möglich sein, weil die Decke der Diele tiefer, d. h. in die Höhe der alten Stubendecken, hinabgelegt ist. Die Ausführung dieser Deckensenkung war einfach, da es sich nicht um eine zum Hauptverbande des Hauses gehörige Balkenlage, son-

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Bild: Hagenow i. M. Teichstr.11
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dern nur um eine lose eingebaute Senkbalkenlage - süddeutsch deutlicher als "Zwischenbühne" bezeichnet - handelte. Dieser Einbau eines Fachwerks mit Tür und Fenstern in die alte Toröffnung, verbunden mit der Tieferlegung der Decke über der früheren Auffahrtsdiele, findet sich bei allen den Häusern, bei denen nicht der Umbau noch gründlicher vorgenommen ist; insbesondere ist er bei der erwähnten Häusergruppe an der Bergstraße von der Hofseite her gut erkennbar. Diese bei zahlreichen Häusern in gleicher Weise vollzogene Änderung ist dadurch lehrreich, daß sie zeigt, wie sich solche Veränderungen und damit die Gewohnheiten im Bau- und Wohnungswesen in älterer Zeit in volkstümlicher Weise fortentwickelten. Was zunächst vielleicht ein geschickter Handwerker mehrmals mit Erfolg ausgeführt hat, wird bald allgemein nachgeahmt und damit zum Typ.

Das zweite Beispiel, Tafel 2, zeigt ein Vierständerhaus und einen sehr weit durchgeführten Umbau des früheren Wirtschaftsteiles, dafür aber eine wenig veränderte Vorderwohnung. Wie man die ursprüngliche Einrichtung des Hauses vermuten darf, ist auch hier in einer zweiten Grundrißzeichnung angegeben. Wie die Einteilung der Ställe im einzelnen gewesen sein mag, ist nicht mehr festzustellen. Nach der Örtlichkeit mag man annehmen, daß sich links der Kuhstall für 3 oder 4 Kühe mit Nachzucht, Gänse- und Hühnerstall befunden haben, rechts ein Pferdestall für 2 Pferde, Futterkammer, Holzstall; die Schweine mögen auf dem Hofe in leicht gebauten Koben untergebracht gewesen sein. Die Einfahrt in das Haus muß über den Hof gegangen sein, wo sie freilich heute wegen einer neueren Schmiedewerkstatt nicht mehr möglich sein würde. Die Verwandtschaft dieses Hauses mit dem alten Niedersachsenhause des Landes, das im größten Teile Mecklenburgs, bis an eine Linie Plauer See - Kummerower See, verbreitet ist oder seine Herkunft von diesem, ist durch die Durchgangs- oder Sackdiele und durch die Lage von Wohnung und Stall zu dieser gekennzeichnet. Vorderhaus und Hinterhaus haben jetzt verschiedene Besitzer. Nach einer Feststellung des Herrn Stadtinspektors Kiencke ist die Aufteilung eines Hauses bzw. Grundstückes unter zwei Besitzer in Hagenow so häufig, daß ein "Statut betreffend die Theilbarkeit der städtischen Grundstücke zu Hagenow", landesherrlich bestätigt unterm 15. April 1859,

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Bild: Hagenow i. M. Hirtenstr.2
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erlassen werden mußte, um allzu schwierigen Rechtsverhältnissen vorzubeugen. Der häufigste Anlaß zu diesen Teilungen scheint eine Erbauseinandersetzung gewesen zu sein. Anfangs hat man sich damit begnügt, daß die Beteiligten ihren Vertrag dem Rate vorlegten, der eine entsprechende Eintragung in das Grundbuch vornahm. So einfach wie im vorliegenden Falle ist die Teilung aber nicht immer durchgeführt. Herr Amtsgerichtsrat Schlüter, der in die städtischen Grundbuchakten Einsicht nahm, erwähnt eine Grundstücksaufteilung, bei der die Trennlinie durch Haus, Stall und Hof dreimal im rechten und einmal im schiefen Winkel umsprang. Doch die Trennfläche bleibt hier wenigstens eine senkrechte. Im Süden, schon in südlichen deutschen Ländern, wechseln bekanntlich die Hausbesitzer häufig geschoßweise.

Auch bei unseren mecklenburgischen Bauernhäusern ist die Durchgangsdiele, wie sie die beschriebenen Häuser aufweisen, am verbreitetsten und gleichfalls häufig zur Sackdiele umgewandelt, während Flettdielen und Flettarmdielen selten vorkommen. Bei aller Verwandtschaft des Grundrisses besteht aber ein Unterschied im Aufbau zwischen den Bauernhäusern und den Hagenower Ackerbürgerhäusern. Die alten Bauernhäuser sind überwiegend Zweiständerhäuser; nur in einigen, von Folkers näher festgestellten Gegenden, namentlich im Ratzeburgischen und um Doberan herum, kommt daneben das Dreiständerhaus als typische Hausform vor. Das Vierständerhaus ist dagegen nur vereinzelt im Lande anzutreffen, etwa als Landkrug und auf dem schon städtisch beeinflußten Kiez bei Neustadt-Glewe. Die Hauptgebiete des Vierständerhauses sind: Westfalen, die Weserberglande, die Umgegend Hildesheims und die Altmark, wo sich diese Hausform schon vor Jahrhunderten aus dem Zweiständerhause entwickelt hat. Gewöhnlich findet man angegeben, daß dies unter dem Einflusse der benachbarten mitteldeutschen, zweistöckigen Häuser geschehen sei. Ich bin der Ansicht, daß zu jener Zeit auch schon die städtischen Bürgerhäuser des eigenen Gebietes dazu die Anregung gegeben haben können. Auch für die Hagenower Ackerbürgerhäuser nehme ich an, daß zu ihrer Erbauung als Vierständerhäuser nicht etwa die Bekanntschaft der Handwerker mit solchen von der Wanderschaft her geführt hat, sondern in erster Linie der Gedanke, daß diese mehr einen

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städtischen Charakter trugen als das landübliche Zweiständerhaus mit seinen niedrigen Abseiten. Zu jener Zeit sah der Städter - was uns zum Glück fremd geworden ist - mit einer gewissermaßen mitleidigen Mißachtung auf den Landbewohner herab und vermied ängstlich alles, was geeignet war, ihn mit jenem in Vergleich zu bringen. Dazu gehörte das im Ringe niedrige Haus mit dem hohen Dach; das städtische Haus mußte "hoch heraus" gebaut sein.

Diese Anschauung wurde auch von oben her amtlich unterstützt, war also allgemein und wurde durch die Art, in der Bauhülfen für städtische Wohnhausbauten gewährt wurden, bestärkt. Wegen der Bauhülfsgelder bestimmt der landesgrundgesetzliche Erbvergleich vom 18. April 1755 im § 62: "An die Neubauenden, wenn sie eine wüste oder abgetrennte Stelle neu bebauet, sollen ... nach dem Werth des Hauses, wenn es 400 Reichsthaler und darunter taxiret ist, 15 pro Cent, über solche Summe aber 20 pro Cent von Unsrer Steuer-Einnahme in bisher üblichen Ratis baar entrichtet werden." Nun sind zwar die Hagenower Häuser schon vor 1755 erbaut, aber die Worte "in bisher üblichen Ratis" deuten auf eine schon bestehende Einrichtung hin. Dazu ist bei den Herzoglichen Resolutionen vom 21. Dezember 1748 zu den "Angelegenheiten der Städte ..." unter Nr. 25 schon auf ein "Reglement von Anno 1708" hingewiesen, nach dem Neubauenden "ein gewisses und Erkläckliches aus der Accise" zufließen und ein Gleiches denen gewährt werden soll, "welche ihre Scheuren zu Häuser entrichten, alte ganz baufällige Häuser repariren und mit Ziegeln behangen lassen". Eine Vorschrift vom 22. April 1765 läßt sogar unter Umständen Hülfsgelder im Betrage von 25 % der Baukosten zu, bedingt aber dabei, daß die "zu erbauenden Häuser in den Hauptstraßen 2 Stockwerk hoch aufzuführen; die in den Quergassen erlaubten Häuser aber können zwar nur eine Etage hoch gebauet werden, jedoch müssen selbige mit Giebeln versehen sein." Die Bauhülfsgelder scheinen dann reichlich ausgenutzt zu sein, denn in einem Reskript an die Landräte und Deputierte zum Engeren Ausschuß der Ritter- und Landschaft vom 17. Dezember 1803 wird bemerkt, daß sich viele wegen Erwartung der Bauhülfe zu leichtfertigem Bauen verleiten lassen, und daß es "viele ledige oder wenigstens kärglich bewohnte Häuser gibt". Nachdem sich

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dann die Landschaft (die Stadtvertretungen) auf dem Konvokationstage vom 1. Oktober 1808 dahin erklärt hat, "daß sie auf die bisherigen Bauhülfen ... Verzicht leisten wolle", wird unterm 7. Dezember 1808 bekanntgemacht, "daß vom 1. Januar 1809 an die §§ 62 und 63 des landesgrundgesetzlichen Erbvertrages ... außer Wirkung gesetzt seien". -

Das im vorigen Absatze erwähnte, in den älteren Gesetzsammlungen nicht abgedruckte "Reglement von Anno 1708" scheint nach den Feststellungen des Meckl.-Schw. Geheimen- und Hauptarchivs eine nicht mehr aufzufindende Verordnung vom 9. März 1708 zu sein, die mit einer gleichfalls nicht mehr vorhandenen vom 29. Oktober 1712 in einer Verordnung des Herzogs Carl Leopold vom 30. April 1717 erwähnt wird. Diese letztere gibt ein wenig erfreuliches Bild von den Anschauungen jener Zeit; in ihr lautet es nach einer Einleitung: "Alß renoviren Wir hiemit so wohl die von Anno 1708 den 9 Martii als auch die von Anno 1712 den 29. Octobr in Druck publicirte [Verordnung] Unsern Steuer-Commissariis und Einnehmern, denen Deputirten von Raht und der Bürgerschafft, Krafft dieses ernstlich und bey Verlust Ihrer Chargen, Gefängniß und anderer Straffen, daß sie ein mehrers nicht pro taxatione, alß ihnen in vorbemeldter Verordnung vom 29. Octobr 1712 § 3 gnädigst bewilliget, nehmen sollen, obgleich diejenigen so die Taxation begehren, ihnen freywillig ein mehreres offeriren würden." Daß die Bauhülfsgelder zu unsachlichen Bauausführungen verleiteten, sucht einer der Magistrate in einem sehr ausführlichen Schriftsatze zu widerlegen; die Mehrheit der Magistrate scheint aber Erfahrungen gemacht zu haben, die sich mit denen der Regierung deckten.

Der Entwicklungsgang der Bauhülfsgeldersache spiegelt sich in den Hagenower Häusern recht deutlich wieder und zeigt, daß die volkstümliche Behandlung des Bauern- und Bürgerhausbaues in manchen Gegenden Deutschlands stark von obrigkeitlichem Einfluß geleitet und unter Umständen umgebogen wurde. Bei Besichtigung der Häuser drängt sich einem die Erkenntnis auf, daß die auf der Senkbalkenlage angelegten oberen Räume recht wenig Zweck haben. Ähnlich liegt es mit den oberen Abseitenkammern des westfälischen Vierständerhauses, ja auch mit dem oberen Stockwerk des mitteldeutschen oder sog. fränkischen Hauses. Man macht immer wieder die Wahrnehmung,

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daß diese oberen Räume nur recht schwach ausgenutzt sind und daß einige Giebelstuben im Dachraume mehr Nutzen schaffen würden als jene Räume. Erst wenn das obere Stockwerk so eingerichtet ist und eine solche Höhe hat, daß dort besondere Mietswohnungen untergebracht werden können, sieht man es, in Mitteldeutschland auch auf dem Lande, in wirtschaftlicher Weise verwendet. Auch in Hagenow hat selbst die gegenwärtige Wohnungsnot nicht zu einer stärkeren Ausnutzung dieser oberen Räume geführt, weil sie so niedrig sind, daß man nur eben aufrecht darin stehen kann, ein größerer Mensch sich kaum auf die Zehen stellen darf, ohne mit dem Kopfe oben anzustoßen. Die Ursache der Anlage dieser Räume ist also in erster Linie die vermeintliche stattlichere Erscheinung des Hauses. Daneben wird man aber auch die höheren Bauhülfsgelder im Auge gehabt haben, die gezahlt wurden, wenn das Haus zweistöckig erbaut wurde. Dem mag nun entgegengehalten werden, daß die auf den Tafeln 1, 2, 5-7 dargestellten Häuser nach den unter "Geschoß" und "Stockwerk" in den Worterklärungen am Schlusse dieser Arbeit gemachten Angaben nicht zweistöckig, sondern nur zweigeschossig sind. Das ist richtig, aber so genaue technische und sprachliche Unterscheidungen machte die Abschätzungskommission zweifellos noch nicht, die aus zwei vereidigten Baugewerksmeistern als Schätzern, dem Steuereinnehmer als Geschäftsleiter und einem Magistratsmitgliede bestand und nachweisbar öfter bei ihren Abschätzungen die Kostenabrechnungen der Bauenden benutzte. Auch der herzogliche Rat, der die Vorschriften vom 22. April 1765 entworfen hat, wird kaum so genau unterschieden haben. Dann hätte er nicht im folgenden Satze von einer Etage sprechen dürfen, wo er ein einstöckiges Haus im Auge hat, und das zu einer Zeit, wo in seinen Gesellschaftskreisen noch vielfach Französisch die Umgangssprache war. Der Franzose kennt eine Etage nur über dem Rez de chaussée, dem Erdgeschoß, das der Deutsche Parterre nennt. Daß sich der biedere Kleinstädter diese Sprachverwirrung zunutze machte und die erhöhte Bauhülfe für das zweistöckige Haus wahrnahm, ohne seinen Bau nach gleichem Maßstab zu verteuern, wird ihm niemand verargen. Ob etwa der Umstand, daß Beihülfen auch solchen Bauenden gewährt wurden, die "ihre Scheueren zu Häusern entrichten" wollten, einen Anstoß dazu gegeben hat, die Wirtschaftsräume der

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Ackerbürgerhäuser in Wohnräume zu verwandeln, läßt sich nicht mehr feststellen. Man ersieht aus allem diesem, einmal, daß die von der Regierung unterm 17. Dezember 1803 geäußerten Bedenken nicht unbegründet waren, weiter aber, daß man die Wurzeln der angewandten Ästhetik manchmal an anderer Stelle suchen muß, als im Kunstgeschichtslehrbuch.

Ein Unterschied zwischen diesen Ackerbürgerhäusern und den mecklenburgischen Bauernhäusern einerseits, den westfälischen Vierständerhäusern andererseits, der aber mit der Herkunft aus der gleichen Stammform nichts zu tun hat, besteht darin, daß bei den zuerst genannten Häusern die Auffahrtdiele auch vor dem Einlegen einer Senkbalkenlage über ihr nicht für das Einbringen von Kornfudern geeignet war, weil ihre Höhe dazu nicht ausreicht. Die Dielentore haben allgemein nur eine Höhe von 2,85 m, gleich 10 Fuß hamburgischen Maßes, während die Kornfuder bei Pferdebespannung schon derzeit etwa 3,45 m, 12 Fuß hamburgischen Maßes, lichte Torhöhe erforderten. Die heute im südwestlichen Mecklenburg in kleinen Wirtschaften übliche Kuhanspannung wird, jedenfalls in der Stadt, noch nicht bekannt gewesen sein, die geringe Torhöhe also damit erklärt werden müssen, daß sie nur für Heufuder berechnet war, die niedriger geladen zu werden pflegen. Die geringere Breite der Diele ist damit zu begründen, daß auf ihr nicht gedroschen wurde, weil Kornscheunen innerhalb der Stadt verboten waren. Bereits die Polizeiordnung der mecklenburgischen Herzöge Heinrich und Albrecht von 1516 (gedruckt Jahrb. 57 S. 279) schreiben im § 54 vor: "Van Schünen: Idt scolen ock förder en edder mehr Schunen in die Stedde nicht gebuwet, sunder dar vör gesettet werden". Die Bestimmung wurde noch mehrmals und in verschärfter Form wiederholt, so daß sie zur Zeit der Erbauung jener Ackerbürgerhäuser wirksam war und es bei den Städten, so auch in der Nähe des Klunk, besondere Scheunenviertel oder Scheunenstraßen gab. Daß in Hagenow das Stallende der Häuser mit dem Dielentor im allgemeinen nach hinten gelegt ist, während wenigstens das Einfahrtstor beim Niedersachsenhause sonst der Straße zugewandt ist, ist offenbar auch aus dem Schönheitsempfinden der Erbauungszeit hervorgegangen. Das auf Tafel 1 dargestellte Haus zeigt den selteneren umgekehrten Fall, der dort in der Örtlichkeit, namentlich den Gefällverhältnissen des Grundstücks, seine Be-

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gründung findet. Die im Vordergiebel angebrachte Haustür gibt den Häusern ein städtisches Aussehen und läßt es nach der Straße hin nicht erkennen, daß die Wirtschaftsräume mit im Hause liegen. Trotz aller dieser Unterschiede gegenüber dem Bauernhause läßt sich ihre Herkunft aus diesem nicht verkennen.

Das Gleiche zeigt sogar das damals vornehmste Wohnhaus der Stadt,

das Stadtvogthaus,

das auf Tafel 3 und 4 dargestellt ist. Wann dies Haus erbaut ist, ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, daß dies vor Verleihung der Stadtverfassung von 1756 an die Stadt Hagenow, ja vor Beginn der Verhandlungen hierüber geschehen sein wird, da es sonst schwerlich den ihm beigelegten Namen tragen würde. Das Haus ist voll zweistöckig erbaut, d. h. Erdgeschoß und Obergeschoß sind durch eine regelrechte Balkenlage, nicht bloß durch eine Zwischenbühne getrennt und haben jedes voneinander unabhängige, selbständige Ring- und Innenwände. Für seine Anlage ist kennzeichnend, daß es ursprünglich der Länge nach auf einer mittleren Diele durchfahren werden konnte. Freilich ist das jetzt infolge Umbaues nicht mehr möglich. Im Holzverband des hinteren Giebels ist der frühere Torrahmen deutlich erkennbar und ist ersichtlich, daß die jetzige Hoftür die frühere Haustür ist. Der Hinterflur im Erdgeschoß muß einst die Breite gehabt haben, die jetzt noch der Flur des Obergeschosses aufweist, d. h. die Wand ei ist von gh, wo sie unter rs stand, nach ei in die Diele hineingerückt. Mochte man früher beim Fachwerkbau auch häufig versäumen, Wand auf Wand zu stellen, so sprechen hier doch mehrere Umstände dafür, daß die angegebene Verschiebung vorgenommen ist, am augenfälligsten die Lage der Windeluke in der Decke. Sollte bei dieser ein Wagen unterfahren können, wie es ihr Zweck verlangt, so muß die Wand ei früher etwa bei gh gestanden haben. Auch die Windfangwand il kann erst gezogen sein, als man die Kornwinde nicht mehr benutzte. Endlich mußte die Treppe zum Obergeschoß etwas anders, nämlich steiler, angeordnet gewesen sein, wofür auch die Art spricht, in der der Verschlag unter der Treppe als Mädchenschlafstelle eingerichtet war. Der jetzige gemauerte und geputzte Vorder-

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Bild: Hagenow i. M. Früheres Stadtvogthaus
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giebel am Markt ist eine neuere Schürze, der Flügel, der die Waschküche und den größten Teil einer kleinen Nebenwohnung enthält, ein späterer Anbau. Das Haupthaus ist jetzt in vier Wohnungen aufgeteilt, die auf eine gemeinsame Benutzung der Flure, von denen der obere, fast 80 qm große ein herrlicher Kinderspielplatz ist, angewiesen sind. Welche Räume zu den einzelnen Wohnungen zusammengelegt sind, lassen die beigefügten Nummern erkennen. In der blinkenden Sauberkeit der Wohnungen war kein Unterschied, als wir unangemeldet zur Aufnahme in das Haus kamen.

Über die frühere Einrichtung und Benutzung des Hauses ist nichts bekannt, nur weiß man, erkennt man auch noch, daß der Raum pstu in der jetzigen Wohnung 4 früher eine Küche gewesen ist. Ich vermute die folgende ursprüngliche Einrichtung des Hauses: die Erdgeschoßräume des Vorderhauses, bis zur Linie fn, waren Geschäftsräume, Terminzimmer, Kasse, Schreibstuben usw., das ganze Obergeschoß enthielt die Wohnung des Stadtvogtes, bestehend aus 7 Stuben, der Küche und Nebenräumen, wie Kleiderkammern, Vorratskammern usw., diese in dem Stück oprs. Von den hinteren Räumen im Erdgeschoß wird der unterkellerte Teil klmn die große Wasch- und Wirtschaftsküche mit Backstube, Milchkammer usw. enthalten haben, ghkl gehörte zur Diele und in dfgh vermute ich den früheren Kuhstall. Ein solcher fehlt nämlich auf dem Gehöft und ist auch kein Platz da, wo er ursprünglich gestanden haben möchte. Ein früherer Pferde- und Schweinestall, in dem sich auch Holzstall, Schauer usw. befanden, liegt gegenüber af jenseits der Auffahrt auf das Gehöft und sein Heuboden lag für die Versorgung des im Hause befindlichen Kuhstalles ganz bequem. Die Winde im Hause läßt darauf schließen, daß der Hausboden als Kornboden benutzt wurde. Winden zur Beförderung von Garben oder Heu waren in Mecklenburg, wie wohl überall in Norddeutschland, in älterer Zeit nicht bekannt. Die Scheune des Gehöfts liegt ganz im Hintergrunde des Grundstückes, das an ein kleines Wiesental der Schmarr stößt, also außerhalb der Stadt. Im Zusammenhang mit der Scheune kann der Kuhstall nicht gestanden haben, da er dann vom Hause zu weit entfernt gewesen wäre. Allgemein wird, von großen Gutswirtschaften abgesehen, der Kuhstall möglichst nahe bei der

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Bild: Hagenow i. M. Früheres Stadtvogthaus
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Wohnung angeordnet, da die Hausfrau die Milchwirtschaft mit beaufsichtigt.

So zeigt sich selbst in diesem Hause noch ein ursprünglicher Zusammenhang mit dem altsächsischen Bauernhause. Auch die weitere Entwicklung des Ackerbürgerhauses zu einem Querhause und wie daraus

das spätere Bürgerhaus

entstanden ist, läßt sich in Hagenow gut verfolgen. Wie sich in Mecklenburg beim Bauernhause die Umwandlung aus einem Längshause in ein Querhaus vollzogen hat, habe ich an anderer Stelle ausgeführt 7 ). Wilhelm Peßler 8 ) gibt in seinen Schriften mehrfach Beispiele dafür, wie durch Umbau aus einem Längshause ein Querhaus wurde. Wie solche Veränderungen im westlichen Grenzgebiete des Niedersachsenhauses vor sich gegangen sind, erörtern in anschaulicher Weise Aufsätze von Dütschke 9 ) und Schell 10 ). Auch dort ist der frühere Kuhstall in einst vornehmen Häusern nachgewiesen.

Beim Bürgerhause ist der Übergang vom Längshause zum Querhause naturgemäß einfacher als beim Bauernhause. Der augenfälligste Unterschied zwischen den besprochenen Ackerbürgerhäusern und den späteren Bürgerhäusern in Hagenow liegt am Äußern darin, daß aus den Giebelhäusern Traufenhäuser wurden, nach der Einrichtung darin, daß das Bürgerhaus vor vorneherein keine Ställe enthält, sondern neben den Wohnräumen nur Geschäftsräume für ein bürgerliches Gewerbe, Läden oder Werkstätten.

In dem Hagenower Stadtteile Klunk steht das nach der Angabe auf der Wetterfahne 1767 erbaute Querhaus oder Traufenhaus Tafel 5 von fast quadratischer Grundfläche,


7) Pries, Johann Friedrich, "Die Entwicklung des mecklenburgischen Niedersachsenhauses zum Querhause und das mecklenburgische Seemannshaus", Forsch. zur deutschen Landes- und Volkskunde, Stuttgart 1928.
8) Peßler, Wilhelm, "Das altsächsische Bauernhaus in seiner geographischen Verbreitung", Braunschweig 1906.
9) Dütschke, Gottfr., "Die älteste Bevölkerung des Wuppertales nach ihren Höfen", Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 1908.
10) Schell, Otto, "Einige Beiträge zur Entwicklung des bergischen Hauses", Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 1905.
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Bild: Hagenow i. M. Hirtenstr.10
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9,00 m in der Straßenfront lang, 8,90 m tief. Vielleicht ist die geringe Abweichung vom Quadrat nur durch einen Ausführungsfehler oder durch Sackungen entstanden, oder es handelt sich nur um einen Meßfehler. Das Haus konnte also genau so gut als Längshaus wie als Querhaus, d. h. mit parallel wie mit senkrecht zur First geführter Diele erbaut werden. Der Grundriß hat, wenn man davon absieht, daß das Haus nur Wohnräume und keine Ställe enthält, nahe Verwandtschaft mit dem Wohnteile der als Vierständerhäuser erbauten Ackerbürgerhäuser in ihrer ursprünglichen Anlage. Die Mitte nimmt die von der Vorder- zur Hinterfront durchgehende Diele ein, die freilich, da sie nicht befahren wird, zu einem Flurgang zusammengeschrumpft ist. Dieser ist hier wie der Flur der bisher besprochenen Häuser durch einen Windfang zugfreier gemacht. Jederseits der Diele liegt eine Wohnung, deren eine ursprünglich als Altenteilerwohnung gedacht sein mag; die Anordnung der Räume folgt den bei den Ackerbürgerhäusern zu beobachtenden Grundsätzen, nach denen sie in einfacher Folge aneinandergereiht sind. Auch darin gleicht dies Haus jenen, daß die Ständer seiner Fachwerkwände in einem Stück von der Schwelle bis unter das Dach durchgehen, das Haus also auch einstöckig, aber, wie es bei jenen der Fall war, durch eine Senkbalkenlage in zwei Geschosse geteilt ist. Die oberen Räume sind auch bei diesem Hause aus den dort erörterten Gründen ziemlich wertlos und wären zweckmäßiger in Giebelstuben des Dachraumes untergebracht gewesen, da dieser hier unbenutzt ist, weil der Heuboden im Stalle liegt. Das Zwischengeschoß dürfte also auch hier nur der erhöhten Bauhülfe seine Entstehung verdanken, wobei in diesem Falle schon das bei den älteren Häusern gegebene Beispiel die unmittelbare Anregung gegeben haben mag.

Bis an das Dach oder, genauer gesagt, bis an die Dachbalkenlage oder noch genauer: bis an die die Dachbalkenlage tragenden Wandrähme, d. h. bis an die Linie xy der Zeichnung, unterscheidet sich das Haus in nichts von einem Längshause, dort setzt die Firstschwenkung ein. Den gleichen Vorgang kann man besonders gut und häufig in westfälischen Klein- und Landstädten beobachten; ihn schildert Steinacker 11 )


11) Steinacker, Karl, über Bauernhäuser im Kreise Holzminden "Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig", Bd. 4, Braunschweig 1907.
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anschaulich bei der Beschreibung braunschweigischer Häuser im Wesertale. Zeitlich dürfte der Vorgang dort und hier ungefähr zusammenfallen und dieselbe Ursache haben, nämlich den Wandel in den Schönheitsanschauungen, der in jener Zeit aus der Gestaltung der Bauschöpfungen des Barock hervorgegangen war. Ein näheres Eingehen hierauf gehört an dieser Stelle nicht zur Sache, es muß die Anführung der Tatsache genügen: das Giebelhaus galt nicht als vornehm. Dies kommt auch in den Verordnungen des 18. Jahrhunderts zum Ausdruck und durch sie zur allgemeinen Geltung. Eine Zirkularverordnung des Herzogs Friedrich vom 18. September 1770 verlangt, daß "der Bau neuer Häuser [in den Städten] regulair und schicklich eingerichtet werden soll" und daß "bey Streckung der Sohlen ... darauf zu halten sey, daß en froute an der Gasse ... die grade Linie beybehalten werde", wozu am 28. Juni 1771 die weitere Erläuterung gegeben wurde, daß "alle neu erbaut werdenden Häuser als Quergebäude angelegt ... werden sollen". Das hier besprochene Haus ist freilich schon vor Erlaß dieser Vorschriften erbaut, aber solche wurden damals noch nicht auf Grund theoretischer Erwägungen erlassen, sondern waren ein Niederschlag der herrschenden Anschauung und Sitte. Das Schönheitsgefühl der Zeit hatte sich schon allgemein geltend gemacht, bevor jener Erlaß herausgegeben wurde, der freilich am 29. Juli 1786 noch einmal verschärft wiederholt werden mußte.

Einen weiteren Entwicklungsschritt stellt das Haus Lange Straße 56, Tafel 6 und 7, dar, dessen Erbauungszeit um 1780 liegen mag. Bei seiner Betrachtung hat man sich den Flügelanbau und die der Küche vorgebaute Spülküche als spätere Zutaten, die Speisekammer (Spk) als nachträglichen Einbau fortzudenken. Auch die Trennung des Hausflures in Vorder- und Hinterflur wird nicht ursprünglich sein. Sieht man von diesen Teilen ab, so hat man wieder ein Haus mit durchgehender Diele, dem Flur, und jederseits einer Wohnung. Vom Beschauer aus rechts liegt die ursprüngliche Altenteilswohnung, wieder aus Stube (jetzt Laden), Kammer und Küche bestehend, links die Hauptwohnung mit vier Räumen. In ersterer ist die Raumverbindung noch die alte, bei der die Gemächer in einer Reihe an die Diele angeschlossen sind, in der Hauptwohnung liegen sie in zwei Fluchten, nach vorne

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Bild: Hagenow i. M. Langestr. 56
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Bild: Hagenow i. M. Langestr.56
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Stube und Kammer, nach hinten Küche und zweite Stube. Diese Zusammenstellung der Räume, die im 18. Jahrhundert auch schon bei mecklenburgischen Bauernhäusern vorkommt, die als Querhäuser erbaut sind, ist bei älteren Büdnereien sehr verbreitet; auch bei der Mehrzahl aller Häuslereien im Lande trifft man sie an. Auf ihre zweckmäßige Anwendung dort weist später ein Runderlaß der Großherzoglichen Kammer vom 24. Mai 1850 ausdrücklich hin. Die Entstehung dieser Wohnungseinteilung aus der eines alten Sackdielen-Bauernhauses durch mehrfache Umwandlungen habe ich in meiner schon erwähnten Schrift nachgewiesen. Das hier zu wiederholen, würde zu weit führen. Für das auf der Senkbalkenlage liegende Zwischengeschoß treffen die oben über solche gemachten Bemerkungen auch zu, wenn sich hier in diesem auch eine kleine Mietswohnung befindet, deren alleinstehende Bewohnerin sich an die niedrigen Räume gewöhnt haben mag. Die hintere Stube der Hauptwohnung ist in der Art einer "Upkamer" (s. Worterklärungen) unterkellert und daher auch recht niedrig. Zum Keller, in den die Kartoffeln usw. vom Torweg aus durch kleine Schächte hineingeschüttet werden, führt von der Küche aus eine Treppe durch ein Kellerschaff hinab. Eine neuere Anlage des Hauses ist der Torweg, der nötig ist, da die eigentliche Diele des Hauses, der Flur, von der Straße aus nicht befahren werden kann. Ob man ursprünglich vom Hof aus auf die Diele fahren konnte, um mit einem Wagen an die Winde zu gelangen, ist infolge der Um- und Anbauten an der Hinterseite nicht mehr zu erkennen. Vielleicht mußten die Kornsäcke von der Hoftür bis zur Winde getragen werden. Der Torweg ist als eine überbaute Hofauffahrt anzusehen. Die Frage wurde bestritten, ob ein solcher Torweg dann als Bestandteil des Hauses zu werten sei oder nicht. Die "Gravamina der Städte in Steuersachen" vom 6. Januar 1783 enthalten unter Nr. 23 die Beschwerde: "Daß die Bauhülfsgelder wider §§ 62 und 63 des Landes-Vergleichs auf mancherley Art verkürzt werden, indem a) ... b) die Thorwege am Hause mit den darüber gebaueten Zimmern, auch Thorflügeln, aus der Taxe weggelassen ... würden." Die Resolution lautet: "Thorwege und Thorflügel, wenn jene mit Wohnzimmern überbauet sind, sollen mit zur Taxe gebracht und berechnet werden." Im vorliegenden Falle wird es also

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für den Torweg keine Bauhülfsgelder gegeben haben, da er nicht mit Zimmern überbaut ist; doch ist nicht bekannt, ob die Handhabung der Bestimmungen von vorneherein im Lande eine gleichmäßige war.

Das Haus enthält noch manches, was für das Bild der Wohnkultur der guten alten Zeit Bedeutung hat, Wandschränke auf dem Flur und in der Küche, das Guckfenster zwischen Wohnstube und Flur zur Überwachung der Haustür und anderes. Von diesem Fensterchen erzählte der humorvolle Besitzer, daß es unter einem seiner Vorgänger, einem Ratsherrn, dazu gedient habe, die Pässe der wandernden Handwerksgesellen hindurchzureichen. Die Frau Senator scheint also auf saubere Dielen in der Stube gehalten zu haben. Ein interessanter Fund war unlängst im Torwege beim Legen eines Sieles gemacht: mehrere stark verschlissene Mühlensteine von geringen Abmessungen, die dort vergraben waren. Hierin zeigt sich ein Stück Kulturgeschichte. Untern 24. Mai 1719 hatte die Kayserliche Executions-Kommission verboten, Handquerren anzulegen, durch die die Mühlengerechtsame oder die Mahlsteuer wohl recht häufig umgangen wurden. Sie hatte die "Haupt- und Ambt-Leute, auch Magistrate" angewiesen, daß sie "alle Querren hinweg und ins Gerichte nehmen ... lassen", auch die Müller ermächtigt, "diejenigen Häuser und Orte, woselbst sie dergleichen Querren vermuten, zu visitieren". Das scheint mit solchem Erfolge und solcher Dauer geschehen zu sein, daß man es darüber vergessen hat, die Steine wieder hervorzuholen.

Wie Tafel 8 zeigt, läßt sich die Ableitung des Hagenower Bürgerhauses vom Bauernhause noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein verfolgen. Das um diese Zeit erbaute Haus ist, da keine Bauhülfsgelder mehr gewährt wurden, einstöckig angelegt, doch mit einem Aufbau unter Schleppdach versehen, der auch auf eine obrigkeitliche Anordnung zurückgeführt werden kann. Die oben, auf Seite 14, angeführte Bestimmung von 1765, es dürften in den Quergassen Häuser "zwar nur eine Etage hoch gebaut werden, jedoch müssen selbige mit Giebeln versehen sein", leidet offenbar auch an einer sprachlichen Ungenauigkeit, wenn man den Worten unsere heutigen Begriffsbestimmungen zugrunde legt. Beim Durchwandern unserer kleinen Städte kommt man auf die Vermutung, daß mit "Giebeln" hier Frontispize, zu deutsch:

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Bild: Hagenow i. M. Hagenstr. 20
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Zwerchhäuser, gemeint gewesen sein müssen. Diese bieten nun wegen der Kehlen, mit denen ihr Dach an das Hauptdach anschließt, namentlich bei einem Pfannendache einige, doch häufig überschätzte Schwierigkeiten in der Herstellung und in der Erhaltung. Das wird einen findigen Hagenower Zimmermeister dahin geführt haben, dem Aufbau ein Schleppdach zu geben. Diese Ausführungsweise kommt natürlich auch sonst öfter vor, für Hagenow ist sie aber typisch und eine charakteristische Erscheinung in den Straßenbildern.

Im Grundriß muß man das Haus, wenn man seine Herkunft aus den vorher beschriebenen Häusern verstehen will, nach der Linie xy in zwei Häuser zerlegen, bei deren einem der Torweg, dem anderen der Flur den Vorraum zu je zwei Wohnungen abgibt. Wieder ist beiderseits neben dem Vorraum je eine aus Stube, Küche, Kammer bestehende Wohnung angeordnet. Ein Unterschied und Fortschritt besteht nun darin, daß die Küchen und Kammern in der Mehrzahl der Wohnungen anders, und zwar so gelegt sind, daß beide unmittelbares Licht von der freiliegenden hinteren Hausfront her erhalten. Dies ist erreicht, indem die Räume, wie in der Hauptwohnung des vorigen Beispiels, in zwei Fluchten angeordnet wurden. Das Haus enthielt ursprünglich sechs fast genau gleichwertige Kleinbürgerwohnungen. Wie es jetzt zu zwei etwas größeren Wohnungen und zu zwei Witwenwohnungen ausgenutzt ist, ist auf der Zeichnung angegeben.

Da der Altersunterschied der besprochenen Häuser kaum hundert Jahre beträgt, können die Angaben über

die Bauart der Häuser,

auf die bisher noch nicht eingegangen wurde, zusammengefaßt werden. Die Fortentwicklung der Häuser in Grundriß und Aufbau läßt sich zwar auch unabhängig von ihrer Bauart erörtern; einen mittelbaren Einfluß üben darauf aber Baustoffe und Bauverbände doch aus, so daß das Bild ohne ihre Beschreibung unvollständig bleiben würde.

Die Grundmauern der in dieser Abhandlung besprochenen Häuser sind von Feldsteinen aufgesetzt, die Kellerwände teils gleichfalls von solchen, teils von Ziegeln gemauert und die Keller in manchen Häusern mit Ziegeln überwölbt, in anderen,

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namentlich wenn es sich um kleine Halbkeller handelt, mit Balkendecken versehen. Hierauf sind die Häuser in Fachwerk errichtet, wobei man am Äußeren Eichenholz, im Innern einschließlich der Dachstühle Kiefernholz verwandte. Beide Holzarten waren aus städtischen Waldungen und nahen fürstlichen Forsten in guter Beschaffenheit zu haben. Zierfachwerk fehlt, der Umrahmung der Dielentore ist dadurch eine gefälligere Form gegeben, daß die Kopfbandstreben unter dem Torsturz bogenförmig ausgeschnitten sind. Torsturze oder Giebelbalken haben bei manchen Häusern eine in Blockbuchstaben eingehauene Inschrift. Wie schon die Zeichnungen zeigen, fällt im Fachwerk der Wände auf, daß wenig Streben angewandt sind, ohne daß deshalb besondere Nachteile wahrzunehmen wären. Eine am 16. April 1765 amtlich herausgegebene "Instruction, nach welcher die Zimmerleute bey Verzimmerung aller und jeder, auch der schlechtesten Gebäude sich zu richten haben", gibt genaue Anweisungen über Einzelheiten des Holzverbandes, erwähnt aber mit keinem Worte die Streben. Vielleicht war das ein Anlaß, von diesen sonst für so wichtig gehaltenen Gliedern des Gebälkes abzusehen. Die Senkbalkenlagen sind ziemlich willkürlich gelegt, zuweilen in dem gleichen Zwischengeschoß zum Teil senkrecht, teilweise parallel zur First. Teils liegen sie auf Riegeln, so daß ihre Köpfe außen sichtbar sind, teils sind sie in die Ständer oder Riegel eingezapft und dann außen nicht wahrzunehmen. Die älteren Dachstühle sind einfache Kehlbalkendachstühle, in die nur in größeren Häusern Stuhlwände zum Längenverband eingezogen sind. Der Sparrenabstand hat die ungewöhnliche Weite von 1,75 bis 2,25 m statt etwa 1 m, man sah daher auch überall Notsparren nachträglich eingefügt.

Das Fachwerk scheint in seinen Feldern schon allgemein mit Ziegeln ausgemauert zu sein. Gemusterte Tafelausmauerungen, von denen auf Blatt 6 Beispiele gegeben sind, sieht man selten; an einem Hause sind noch Donnerbesen undeutlich zu erkennen. Von außen sind die Häuser vielfach getüncht, seltener vorher verputzt, im Innern sind die Wände in den Stuben, ebenso wie die Windelböden der Decken, allgemein verputzt, nur in Nebenräumen ist noch der Holzverband der Wände und Balkenlagen unbekleidet. Zu den Ziegeldächern sind bei einigen Häusern Zungensteine verwandt, das vor-

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herrschende Dach ist aber das Pfannendach. Ursprünglich werden die Pfannen mit Strohwiepen eingedeckt gewesen sein, womit der ungewöhnliche Sparrenabstand zu erklären sein würde. Daß man man (Druckfehler) auf diesen Häusern Rohrdächer gehabt haben sollte, wird nicht in Frage kommen. Bei diesen war der im Lande übliche Sparrenabstand noch größer, er betrug 2,85 bis 3,45 m oder 10 bis 12 Fuß hamburgischen Maßes. Eine Verordnung vom 9. Juni 1764 erwähnt zwar noch Strohdächer in den Städten, doch wird es sich da um Scheunen handeln. Nach den "Artikuln der Brand-Assecurations-Gesellschaft der Städte", landesherrlich bestätigt am 30. Juli 1785, durften in einer aufzunehmenden Stadt keine mit Strohwiepen gedeckten Ziegeldächer mehr vorhanden sein. Durch das Eindecken der Pfannen mit Kalkmörtel wurden die Dächer soviel schwerer, daß sich die Notsparren erforderlich erwiesen.

In den Stuben und bewohnten Kammern hat man heute allgemein Dielungen, auf den Fluren und in den Wirtschaftsräumen Estriche oder Ziegelpflaster. Im Hause Langestraße 56 hatte der Hausflur bis zum vorigen Jahre einen Belag von roten Ziegelplatten in der Größe zweier Ziegel, wie sie in den älteren Warenverzeichnissen der amtlichen Ziegeleien als Pflasterziegel oder Fliesen aufgeführt sind. Der anderwärts, z. B. in Stralsund, in Doberan für diese Platten gebräuchliche Name "Alstraken" schien in Hagenow nicht bekannt zu sein; auch habe ich nicht erfahren, ob sie dort noch häufiger anzutreffen sind. Sie waren an dieser Stelle durch einen Terrazoestrich ersetzt und zur Kellerpflasterung herabgesunken. Im übrigen ist über den Ausbau der Häuser nichts Besonderes zu bemerken, doch ist auf eine gediegene Art von Haustüren hinzuweisen, die sich in der Stadt in gleicher Ausführung, wohl alle von demselben Tischler angefertigt, in größerer Zahl, also als eine typische Erscheinung des Ortes finden. Es ist eine Verdoppelungstür, die außen mit quadratischen Feldern in Rahmen belegt ist, wobei dann die Rahmenkreuzungen mit kleinen Platten bekleidet sind. Im Märzheft der "Mecklenburgischen Monatshefte" 1928 ist auf S. 122 als Abb. 3 eine solche Tür wiedergegeben. Hier und da fanden sich noch kleine, in Karniesblei verglaste Fenster, alte Kachelöfen von einst wertvollerer Erscheinung nur noch einige Langestraße 56. Herde mit Schwibbogen sind in der Stadt gleichfalls seit 1785

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nicht mehr zulässig, man sieht aber noch manche offene Herde mit Rauchfang darüber und auf diesen gesetzten steigbaren Schornstein, der regelmäßig noch zur First hinausgeführt war. Die Rauchfänge waren häufig durch seitliche Herdmauern, selten durch einen Holzpfosten gestützt, ein am Deckenbalken aufgehängter Rauchfang wurde nur in einem der besichtigten Häuser angetroffen. Die Erscheinung, daß eine allgemeine Verbesserung des inneren Ausbaues der Häuser eintritt, wenn eine Stadt mit neuen Betriebsanlagen, Kanalisation, Wasser- und Gasleitung, Elektrizitätsanschluß versehen wird, war auch in Hagenow zu beobachten.

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Die weitere Entwicklung des Bürgerhauses
und dieser Vorgang an andern Orten.

Die weitere Entwicklung des Hagenower Bürgerhauses gesondert zu verfolgen, hat für die gestellte Aufgabe keine Bedeutung. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, die Zeit nach den Freiheitskriegen bringt zunächst keine wesentliche Veränderungen. Mit dem wachsenden Eisenbahnverkehr verschwinden dann die örtlichen Eigentümlichkeiten und der Entwicklungsgang wird in größeren Bezirken der gleiche. Dazu kommt, daß von jener Zeit ab auch das bürgerliche Bauwesen nicht mehr auf volkstümlicher Überlieferung und handwerksmäßig erworbener Übung beruht, sondern eine schulmäßig erlernte Tätigkeit wird, so daß die Schulen, nicht mehr das örtliche Herkommen, die Unterschiede bestimmen. Dabei gründet sich der Fortschritt im bürgerlichen Bauwesen nicht auf einer Erforschung seiner geschichtlichen Entwicklung, sondern sucht seine Gesetze von den Werken der höheren Kunst abzuleiten. Das gereichte dem bürgerlichen Wohnungswesen sehr zum Nachteil, das durch Eindringen der Bauspekulation und der vermehrten Ausnutzung der Häuser zu Mietswohnungen weiter verschlechtert wurde und sich von diesen Schäden erst jetzt zu erholen beginnt.

Wenn es hier unternommen ist, aus dem Entwicklungsgange für eine einzelne Stadt die Herkunft des Bürgerhauses aus dem Bauernhause nachzuweisen, so muß doch wiederholt vor einer Verallgemeinerung dieses Ergebnisses gewarnt

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werden. Zweifellos wird sich in anderen Städten, in denen die Bedingungen andere waren, die z. B. schon im Mittelalter ein enger Befestigungsgürtel umschloß, das Gegenteil von dem hier Dargelegten nachweisen lassen. Kleine Unterschiede, die manchmal auf rein persönlichen Einflüssen beruhen, geben der Beweisführung vielleicht schon eine andere Richtung. In dem Hagenow benachbarten Neustadt-Glewe ist das Bild bereits ein etwas anderes. Die Häuser auf dem noch nicht eingemeindeten Ortsteile Kiez stehen den mecklenburgischen Bauernhäusern näher als die älteren Hagenower Ackerbürgerhäuser; in der Stadt hat sich das Giebel- und Längshaus, auch als wirklich zweistöckiges Haus, offenbar länger gehalten als in Hagenow. Damit ist aber noch nicht bewiesen, daß das Neustadt-Glewesche Bürgerhaus als eine jüngere Form des Hauses vom Kiez anzusehen sei. Das kann der Fall sein, braucht es aber nicht zu sein. Daß man in Hagenow die Firstschwenkung früher vornahm, kann daran liegen, daß der erste wirkliche Bürgermeister der jungen Stadt - er hieß Mussäus - den neuen Anschauungen eifriger Rechnung trug als sein Kollege in Neustadt-Glewe. Es sind also zunächst Einzeluntersuchungen zu machen, bevor man sichere Folgerungen machen kann, und diese müssen zunächst in einer größeren Zahl von Städten angestellt werden, bevor man allgemein Gesetze aus den Untersuchungen herleiten darf. Mit anderen Worten: die Synthese führt in diesem Falle sicherer zum Ziel als die Analyse.

Auch in anderer Richtung ist vor voreiligen Schlüssen zu warnen. Lesern, die sich eingehender mit der Hausforschung beschäftigt haben, mag an den in den Zeichnungen dargestellten Häusern aufgefallen sein, daß die Raumanordnung, namentlich des Hauses auf Tafel 5, an den von Hunziker 12 ) als "dreisässiges" Haus bezeichneten Haustyp erinnert, der vornehmlich in Oberdeutschland vorkommt. Anderes erinnert wieder an die von Meringer 13 ) als "Mittelflurhaus" bezeichnete Hausart, die auch in Mittel- und Oberdeutschland verbreitet ist. Daraus irgendwelche näheren Beziehungen her-


12) Hunziker, "Das Schweizerhaus nach seinen landschaftlichen Formen und seiner geschichtlichen Entwicklung", Aarau 1910. 1914.
13) Meringer, Rudolf, "Studien zur germanischen Volkskunde", Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 1891. 1893.
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leiten zu wollen, kann zu bedenklichen Schlüssen führen. Es muß zugegeben werden, daß man, vom mitteldeutschen Hause ausgehend, auch einen Entwicklungsgang finden kann, der auf die Hagenower, als Querhäuser erbauten Bürgerhäuser hinführt. Vielleicht ist der Weg sogar einfacher, als wenn man das Niedersachsenhaus als Ausgangspunkt annimmt. Das hätte aber nicht dem Zweck dieser Ausführungen entsprochen, der eben der war, nachzuweisen, daß man, vom Niedersachsenhause ausgehend, auf dem Wege einer fortlaufenden Entwicklung zu dem eine ganz andere Erscheinung bietenden Bürgerhause gelangen kann.

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Worterklärungen.

Abseite, en sind die seitlichen Nebenräume des Niedersachsenhauses, s. dort.

Bauhof, als B. wurden ursprünglich die Wirtschaftshöfe der Burgen, Klöster usw. bezeichnet, in manchen Städten nennt man die größeren Ackerwirtschaften so und in diesem Sinne ist das Wort hier gebraucht. Weiter werden die Baustofflager- und Zimmerplätze der Werften und Städte als Bauhöfe bezeichnet, was hier jedoch nicht in Betracht kommt.

Dreisässiges Haus, nach dem "Wörterbuch der schweizerischen Sprache" ein "Haus, das quer zum First hintereinander angeordnet Stube, Küche und ein drittes, verschieden benanntes Gemach enthält". Die Hausform findet sich insbesondere bei Häusern der Alpenländer, dem altoberschwäbischen Hause, dem Schwarzwaldhause usw. Nach Hunziker hat sie ihre Urform in Burgund.

Dreiständerhaus, s. Niedersachsenhaus.

Durchgangsdiele, s. Niedersachsenhaus.

Fachwerk. Volkstümlich wird darunter eine Art von Wänden verstanden, die aus dem Gebälk, d. h. einem Rahmenwerk (als tragenden Teil) und Füllungen der einzelnen umrahmten Fächer (als wandabschließenden Teilen) bestehen. Das Rahmenwerk ist aus der Schwelle, den senkrechten Ständern oder Stielen und dem Rähm als oberem Abschluß zusammengesetzt; zur Verbindung der Ständer und als Halt für die Füllungen dienen wagerechte Riegel, gegen Verschiebungen wird das Rahmenwerk durch schräge Streben gesichert. Die Füllungen oder Austafelungen bestanden in älterer Zeit aus Staken oder Flechtwerk mit Lehmbewurf (Klehmwerk oder Kleibwerk), später aus einer Ausmauerung von Ziegeln. Statt der Austafelung oder als Wärmeschutz auf dieser kann auch eine Bretterbekleidung usw. angewandt werden.

Flett, Flettarm, Flettdiele, s. Niedersachsenhaus.

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Frontispiz, ein Dachaufbau, dessen Vorderwand eine Fortsetzung der ansteigenden Ringwand ist, dessen Seitenwände und Dach (in der Regel ein Satteldach) an das Hauptdach des Gebäudes anschließen. Die deutsche Bezeichnung ist: Zwerchhaus.

Geschoß, die in genau oder annähernd gleicher Höhe liegenden Räume eines Hauses bilden ein "Geschoß"; man unterscheidet Erdgeschoß, 1., 2., usw. Obergeschoß, Dachgeschoß. Für die oberen Geschosse ist im allgemeinen Bedingung, daß ihre Räume auf der gleichen Balkenlage liegen. Zwischengeschoß s. unten. Vom Geschoß ist das "Stockwerk" zu unterscheiden, s. dort. In Frankreich wird das Erdgeschoß als Rez de chaussée bezeichnet, die Obergeschosse als 1., 2. usw. Etage, die in Deutschland viel angewandte Bezeichnung des Erdgeschosses als Parterre ist in Frankreich nicht üblich, da dies Wort dort einen anderen Sinn hat.

Halbkeller, ein nur wenig in den Erdboden eingeschnittener Keller, dessen Decke höher liegt als der Fußboden der Erdgeschoßräume, so daß zu der über dem Keller liegenden Kammer oder Stube einige Stufen hinaufführen. S. auch "Upkamer".

Handquerre, eine Handmühle.

Hinterwohnung, s. Niedersachsenhaus.

Kehlbalkendach, ein Dach, das aus Sparren und diese miteinander versteifenden Hölzern, den Kehlbalken, hergestellt ist. Die Sparren sind bei einem solchen Dachstuhl in der Regel in die Balkenköpfe der Dachbalkenlage eingezapft. Als Längenverband sind bei größeren Dächern eine oder mehrere Stuhlwände (s. dort) eingebaut. Beispiele geben die Tafeln.

Kellerschaff, ein Einbau in einen Raum über einer Kellertreppe, dessen oberen Abschluß eine schräge Falltür bildet. Nach Dethlefsen 14 ) eine ostpreußische Eigenart, es kommt aber auch in Mecklenburg in Häusern des 18. Jahrhunderts viel vor und wäre hier vielleicht "Kellerschapp" zu schreiben.

Kübbung, die nordwestdeutsche Bezeichnung der Abseiten des Niedersachsenhauses.

Längshaus, ein Haus, dessen Eingangsraum (Diele, Flur usw.) in der Firstrichtung in das Haus hineinführt und dessen Haustür daher im Giebel liegt; häufig, aber nicht immer, gleichbedeutend mit Giebelhaus. Der Gegensatz ist Querhaus.

Mansarddach, ein gebrochenes Dach, benannt nach dem französischen Architekten François Mansart, 1598 bis 1666, der als sein Erfinder gilt.

Mitteldeutsches Haus, die in Deutschland verbreitetste Bauernhausform, vielfach (völkerkundlich nicht ganz richtig) auch als "fränkisches Haus" bezeichnet. Die Räume dieses Hauses liegen in ältester Zeit bei genau oder ungefähr gleicher Höhe quer zur Firstrichtung nebeneinander, gewöhnlich in der Folge: Stube, Kochflur, Stall. Später werden diese Räume


14) Dethlefsen, Richard, "Bauernhäuser und Holzkirchen in Ostpreußen", Berlin 1911.
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durch Scheidewände, die in der Firstrichtung stehen, durchgeteilt, auch der Stall oft zur Stube oder zu Kammern gemacht und weitere Räume angeschlossen. In Mittel- und Westdeutschland ist dies Haus in der Regel zweistöckig, im nordöstlichen Deutschland einstöckig. In dieser Ausstattung ist es auch im südöstlichen Mecklenburg die gewöhnliche Bauernhausform, in den Ausschlußgebieten Rossow und Netzeband kommt es auch zweistöckig vor. Auf eigentlichen Bauerngehöften steht das mitteldeutsche Haus gewöhnlich als besonderes Wohnhaus auf dem regelmäßig angelegten Gehöft, als Kleinbauernhaus ist es auch mit Stall- und anderen Wirtschaftsräumen vereinigt. Seiner Natur nach ist das mitteldeutsche Haus ein Querhaus, ausnahmsweise kommt auch ein Eingang vom Giebel aus vor.

Mittelflurhaus ist von Meringa eine Hausform benannt, bei der ein Flur in der Mitte des Hauses von einer Frontwand zur gegenüberliegenden Frontwand hindurchgeht. Die Wohn- und Wirtschaftsräume liegen rechts und links von diesem Flur. Auf Häuser mit einem in der Längsrichtung hindurchgeführten Mittelflur, wie sie auch in Oberdeutschland vorkommen, pflegt man den Ausdruck M. nicht anzuwenden, keinenfalls aber auf Niedersachsenhäuser mit Durchgangsdiele (s. Niedersachsenhaus). Die Gegensätze sind Seitenflurhaus und Eckflurhaus. Sie kommen hier nicht in Betracht.

Niedersachsenhaus. Die Entstehung des Niedersachsenhauses, für die verschiedene Vermutungen aufgestellt sind, ist unaufgeklärt und strittig. Nach Mecklenburg ist es im 11. bis 13. Jahrhundert durch einwandernde Niedersachsen gebracht und von der im Lande gebliebenen wendischen Bevölkerung angenommen. Es besteht in seiner ältesten nachweisbaren Form aus einer hohen, breiten Halle, der Diele, an deren Langseiten niedrige Wohn- und Stallräume als "Abseiten" angeklappt sind. In dieser Form heißt das Haus ein "Durchgangsdielenhaus". Mündet die Diele am hinteren Ende in einen die ganze Hausbreite einnehmenden Raum, dem "Flett", das in der Mitte die Dielenhöhe, an den Seiten die Abseitenhöhe hat, so heißt das Haus "Flettdielenhaus" und behält diesen Namen auch, wenn an das Flett, an der hinteren Giebelseite des Hauses, Stuben und Kammern, das "Kammerfach", angebaut ist. Wird ein Seitenteil des Flettes zu einem geschlossenen Raum gemacht, so entsteht das "Flettarmhaus", werden beide Seitenteile des Fletts nach der Diele hin abgeschlossen oder wird beim Durchgangsdielenhause an den hinteren Giebel ein Kammerfach angebaut, so entsteht das "Sackdielenhaus". Beim Durchgangsdielenhause unterscheidet man solche mit "Vorderwohnung" oder "Hinterwohnung", bei der die Wohnräume am vorderen oder hinteren Giebel beiderseits vom Eingange liegen, von denen mit "Seitenwohnung", deren Wohnräume alle auf einer Seite der Diele liegen, während sich die Ställe an die andere Dielenseite anschließen. Für die genannten vier hauptsächlichsten Formen des Grundrisses gibt es drei Hauptformen

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des Aufbaues. Werden Decke und Dach des Mittelbaues, der Diele, am Ende oder nahe den Enden des Deckenbalkens durch zwei Reihen Ständer oder durch zwei Wände unterstützt, während die Deckenbalken und Sparren der Abseiten (zunächst) nur nebensächlich an den Mittelbau angefügt sind, so heißt das Haus ein "Zweiständerhaus". Gehen dagegen die Außenwände der Abseiten ganz bis an die Hauptbalkenlage hoch, die sich dann, ebenso wie das Dach, über die ganze Hausbreite erstreckt, so entsteht das "Vierständerhaus". Zeigt das Haus an einer Langseite die eine, an der andern die andere Ausführungsart, so ist es ein "Dreiständerhaus". Weitere Unter- und Abarten des Niedersachsenhauses interessieren an dieser Stelle nicht.

Notsparren sind nachträglich zwischen zwei zum ursprünglichen Dachverbande gehörige Sparren leicht eingebaute Zwischensparren.

Pfannendach, ein mit ~-förmigen Dachziegeln (Pfannen) eingedecktes Dach. Zur Dichtung benutzte man früher kleine Strohbünde, Strohdocken oder Strohwiepen, die wegen Feuersgefahr demnächst verboten wurden. Seitdem dichtet man mit Kalkmörtel.

Querhaus, ein Haus, dessen Eingangsraum, Diele oder Flur, von einer Langseite, Traufseite, aus senkrecht zur First in das Haus hineinführt, dessen Haustür daher auch in einer Langseite liegt. Gewöhnlich, doch nicht immer, gleichbedeutend mit Traufenhaus. Der Gegensatz ist das Längshaus.

Querre, s. Handquerre.

Sackdiele, -enhaus, s. Niedersachsenhaus.

Schleppdach, eine aus dem Hauptdache heraustretende kleinere Dachfläche, die ihr Gefälle in derselben Richtung, ihre Traufe an derselben Seite wie das Hauptdach hat.

Seitenwohnung, s. Niedersachsenhaus.

Senkbalkenlage, die Balkenlage einer Zwischendecke im Fachwerkhause, die nicht auf dem Rähm einer Fachwerkwand liegt und zwei Stockwerke voneinander trennt, sondern etwa in halber Höhe eines höheren Stockwerks in dessen Wände eingelassen ist. Die Balkenenden einer Senkbalkenlage sind dabei in die Fachwerkständer eingezapft oder ruhen auf Riegeln oder in der Austafelung des Fachwerks.

Stockwerk, d. h. das auf Stöcken (Ständern, Stielen) stehende Werk, umfaßt die von zusammenhängenden Fachwerkwänden umschlossenen Räume eines Hauses, deren Fußboden auf der gleichen Hauptbalkenlage liegt. Ein Erdgeschoß ist hiernach strenge genommen kein Stockwerk. Eine Senkbalkenlage (s. dort) teilt die Räume nach der Höhe nicht in Stockwerke, sondern nur in Geschosse, da die Ständer der Fachwerkwand für die unteren Räume die gleichen sind wie für die oberen. Der Ausdruck "Stockwerk" hat hiernach nur im Fachwerkbau Sinn, beim gemauerten Hause (ein massives Haus gibt es nicht, sein Zweck verlangt, daß es innen hohl ist) nur, wenn nach älterer Weise die Innenwände von Fachwerk sind.

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Stuhlwand nennt man eine aus Ständern, Rähmen und Kopfbändern bestehende Unterstützung eines Dachstuhles. Beim Kehlbalkendach liegen die Rähme der Stuhlwände unter den Kehlbalken und haben häufig nur den Zweck, einen Längenverband des Dachstuhles zu bilden.

Torsturz ist der die Toröffnung oben abschließende Balken, der mit seinen Enden auf oder in den Torständern ruht und mit diesen durch Kopfbandstreben verbunden zu sein pflegt, die ihn gleichzeitig unterstützen. In gleichem Sinne spricht man von einem Türsturz und Fenstersturz.

Traufgang, ein schmaler Gang zwischen zwei Häusern zur Ableitung des Traufwassers der Dächer auf die Straße. In nicht kanalisierten Orten werden auch die Küchen- und sonstigen Hausabwässer durch den Traufgang abgeleitet. Bildet der Traufgang bei entsprechender Breite auch den Zugang zum Hof, so heißt er Wich oder Bauwich, in den Küstenorten auch Tüsche von tüschen = zwischen. In anderen Gegenden hat man noch weitere Bezeichnungen für diese Gänge.

Tüsche, s. Traufgang.

Upkamer, der in Schleswig-Holstein gebräuchliche Name für eine unterkellerte Kammer, deren Fußboden einige Stufen höher liegt als der Erdgeschoßfußboden, weil der Keller (oft wegen hohen Grundwasserstandes) wenig in die Erde eingeschnitten ist. Zu der Kammer führt gewöhnlich eine kleine aufklappbare Treppe hinauf, unter der die Stiege zum Keller liegt. S. auch Halbkeller.

Verdoppelungstür, eine aus einer doppelten Bretterlage gefertigte Tür. Die innere Brettlage pflegt glatt zu sein, die äußere aus schmalen Brettern in einem Rahmen oder Rahmen und Füllungen zu bestehen. Im 18. Jahrhundert die übliche Ausführungsart für Haustüren, die in neuerer Zeit wieder vielfach angewandt wird.

Vierständerhaus, s. Niedersachsenhaus.

Vorderwohnung, s. Niedersachsenhaus.

Windelboden, die ältere Art der Ausfüllung der Decke zwischen den Deckenbalken, bestehend aus strohumwickelten Staken, deren Umwickelung mit Lehmschlamm durchtränkt ist. Die umwickelten Staken werden in Falze der Deckenbalken eingetrieben und dann von unten mit Lehm beworfen und glattgerieben oder einschließlich der Balken verputzt.

Zungensteindach, ein mit Zungensteinen (Biberschwänzen), d. h. ebenen, in der Regel am unteren Rande abgerundeten Platten, eingedecktes Ziegeldach.

Zweiständerhaus, s. Niedersachsenhaus.

Zwerchhaus, s. Frontispiz.

Zwischenbühne, eine süddeutsche Bezeichnung der Senkbalkenlage oder richtiger der Senkbalkendecke.

Zwischengeschoß, das auf einer Senkbalkenlage liegende Geschoß, auch zuweilen als Halbgeschoß bezeichnet.

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IV.

Das Kreditwesen
des ritterschaftlichen Grundbesitzes
in Mecklenburg
nach dem Siebenjährigen Kriege
bis zur Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins
im Jahre 1819

von

Gerhard Körber.

 

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Vorwort.

Der vorliegenden Arbeit ist im wesentlichen das einschlägige Aktenmaterial des Mecklenburg-Schwerinschen Geheimen und Haupt-Archivs in Schwerin sowie des Mecklenburg-Strelitzschen Hauptarchivs in Neustrelitz zugrunde gelegt worden. Sie möchte einen Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Mecklenburgs und darüber hinaus zur Geschichte des agraren Kreditwesens in Deutschland liefern. Die Wahl des Zeitabschnittes wurde durch den Gang der Entwicklung bestimmt. Vor allem sollte dargelegt werden, wie die aus dem reinen Individualkredit sich ergebenden Schwierigkeiten die Einführung des organisierten Anstaltskredits zur unabweislichen Notwendigkeit gemacht haben. Dabei waren insbesondere die Agrarkreditverhältnisse in Preußen, das auf diesem Gebiete von vornherein führend gewesen ist, vergleichsweise heranzuziehen.

 

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 154
Einleitung

Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Mecklenburg um die Mitte des 18. Jahrhunderts

157
  Die Agrarverfassung. - Die ständische Verfassung. - Der Übergang von der Dreifelder- zur Schlagwirtschaft. - Der Siebenjährige Krieg.  
I. Teil.

Die Kreditkrise in Mecklenburg nach dem Siebenjährigen Kriege (1765 bis 1776)

I. Abschnitt: Ursachen und Entstehung der Krise 165
  Die Münzverschlechterung im Siebenjährigen Kriege. Ihre Wirkung auf den allgemeinen Preisstand und auf die Verschuldung der Güter. Die Reform des Münzwesens. Die Geldnot. Der Verschuldungszustand der Güter. Die Entstehung der Notlage nach dem Kriege. Kreditnot und Konkurse.  
II. Abschnitt: Der Verfall des Realkredits und seine Ursachen
1. Kapitel. Das ritterschaftliche Hypothekenwesen 176
  Mangelhaftes Pfandrechtssystem, daher ungenügende Sicherung der Gläubiger.  
2. Kapitel. Das Konkurswesen 181
  Verfall des älteren Rechts. Rechtsverwirrung und Prozeßwillkür. Mangelnder Gläubigerschutz.  
III. Abschnitt: Die Bestrebungen zur Beseitigung der Kreditnot
1. Kapitel. Versuch einer Reform des Kreditrechts 194
  Die geplante Einführung eines Landeshypothekenbuchs mit reiner Altersrangfolge. Richtlinien für die Taxation der Güter. Vorschläge zur Verbesserung des Konkursrechtes. Die Ablehnung der Reformvorschläge. Zur Linderung der Kreditnot wird die Aufnahme einer ausländischen Anleihe beschlossen.  
2. Kapitel. Die Aufnahme einer ausländischen Anleihe auf den Landkasten 203
3. Kapitel. Vorgeschlagene Maßnahmen zur Beseitigung des Geldmangels 206
  Beschränkung des Verbrauchs ausländischer Waren zur Erzielung einer aktiven Handelsbilanz. Förderung der inländischen Gewerbe.  
IV. Abschnitt: Die mecklenburgischen Agrarkreditverhältnisse im Vergleich zu den preußischen 209
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II. Teil.

Die Wiedererstarkung des ritterschaftlichen Agrarkredits in Mecklenburg (1776 bis 1805)

I. Abschnitt: Günstige Konjunkturen für die mecklenburgische Landwirtschaft 213
  Der Verkauf der Konkursgüter. Holzausfuhr nach Holland und England. Steigende Getreideausfuhr nach Hamburg. Die Hochkonjunktur während der französischen Revolution und der Koalitionskriege. Die Getreidepreise.  
II. Abschnitt: Die Güterspekulation infolge der günstigen Konjunkturen 219
  Die Steigerung der Güterpreise und ihre Ursachen. Güterhandel und Spekulation. Ihr Einfluß auf die Verschuldung. Die Güterspekulation in Preußen.  
III. Abschnitt: Bestrebungen zur Verbesserung des Geld- und Kreditwesens 228
  Verschlechterung der Wirtschaftslage infolge ungünstiger Ernten. Geldmangel und Wucher. Vorschläge zur Festigung des Realkredits und zur Behebung des Geldmangels.  
III. Teil.

Die mecklenburgische Kreditkrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins (1805 bis 1819)

I. Abschnitt: Ursachen und Verlauf der Kreditkrise 236
  Höhe und Art der Güterverschuldung. Real- und Personalkredit. Der Rückgang der Konjunktur und seine Folgen: Kreditstockung, Wucher. Indult und Konkurse. Verschärfung der Notlage infolge der Kontinentalsperre. Der Generalindult. Maßnahmen zur Abschwächung der Kreditkrise.  
II. Abschnitt: Die Vorschläge und Verhandlungen zur Gründung eines Kreditvereins 248
  Vorschläge zur Gründung einer landschaftsähnlichen Kreditanstalt. Der Plan eines Vorbereitungsverbandes. Gegensätze zwischen Ritter- und Landschaft. Erfolgreiche Verhandlungen der Ritterschaft mit den Landesherren.  
III. Abschnitt: Wesen und Aufbau des Ritterschaftlichen Kreditvereins von 1819 256
Schlußwort 259
Anhang 261

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Einleitung.

Die wirtschaftlichen und politischen
Verhältnisse in Mecklenburg um die Mitte
des 18. Jahrhunderts.

Die Anfänge der Gutswirtschaft in Mecklenburg fallen in den Beginn des 16. Jahrhunderts. Dem Beispiele des Herzogs Magnus II. (1477-1503) folgend, gingen einige Adlige damals dazu über, ihr Getreide im großen auf dem Flußwege nach auswärts abzusetzen 1 ). Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges vollzog sich dann bei steter Erweiterung der Gutsbetriebe die allmähliche Ausbildung der Grund- zur Gutsherrschaft ganz allgemein, besonders gefördert durch die im 16. Jahrhundert gewaltig steigenden Getreide- und Wollpreise (Preisrevolution!) und die politische Erstarkung der Ritterschaft, die die Grundlage für die immer weitergehende Steigerung der bäuerlichen Dienste bildete 2 ). Der Schwerpunkt des gutswirtschaftlichen Betriebes lag in der Getreide- und Wollproduktion, deren Überschüsse besonders nach Hamburg und Lübeck verkauft wurden.

Der alles verheerende Dreißigjährige Krieg legte den Grund zum völligen Niedergang des mecklenburgischen Bauernstandes. In der Gesinde- und Bauernordnung


1) P. Steinmann, Finanz-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Regierungspolitik der meckl. Herzöge im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit: Meckl. Jahrb. 86 (1922), S. 117 ff.
2) H. Maybaum, Die Entstehung der Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg: Beihefte zur Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, VI. Heft (Stuttgart 1926), S. 145 ff.
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von 1645 fand die "Leibeigenschaft" ihre gesetzliche Anerkennung. Durch die Verschlechterung der bäuerlichen Besitzrechte waren dem "Bauernlegen" keine Schranken mehr gesetzt. Die geldliche Notlage des Adels nach dem Kriege bildete einen starken Antrieb, die Gutseinkünfte durch vermehrten Anbau zu steigern. Was lag da näher, als das Hoffeld durch Einziehen von Bauernland zu erweitern? Begünstigt wurde die Ausdehnung der Gutsherrschaft weiter durch die Schwäche der fürstlichen Gewalt, durch die günstigen Konjunkturen, die sich aus dem steigenden auswärtigen Getreidebedarf (Holland, Spanien, Portugal, später England) ergaben, und von Beginn des 18. Jahrhunderts ab durch den allmählichen Übergang von der Dreifelderwirtschaft zu einem intensiveren Betriebssystem, der Schlagwirtschaft. So finden wir denn im 18. Jahrhundert den mecklenburgischen Adel als einen Stand kapitalistisch eingestellter agrarischer Großunternehmer vor, dessen staatspolitischer Einfluß so überwiegend war, daß Lamprecht 3 ) Mecklenburg mit einer Adelsrepublik verglichen hat.

Die Vormachtstellung der Ritterschaft fand ihre gesetzliche Sanktion durch den Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755. Die Steuerfreiheit der Ritterhufen blieb erhalten. Die Ritterschaft brauchte nur für die in ihrem Besitz befindlichen ehemaligen Bauernhufen, deren Flächenraum mangels genauer Ermittlungsmöglichkeiten auf die Hälfte des damaligen gesamten ritterschaftlichen Gutsbesitzes festgesetzt wurde, die ordentliche Landeskontribution zu entrichten. Die Erhebung dieser Steuer erfolgte nach einem Hufenkataster, das in den Jahren 1756 bis 1778 durch Vermessung und Bonitierung der ritterschaftlichen Güter hergestellt wurde. Begrifflich wurde die Hufe auf 300 bonitierte Scheffel Aussaat festgelegt. Je nach der Bodengüte wurde eine verschiedene, und zwar mit abnehmender Güte steigende Fläche auf den Scheffel gerechnet. Der Steuersatz betrug nach dem Erbvergleich für eine Hufe 9 Tlr. N 2/3 (Leipziger Münzfuß) 4 ). Die übrigen von der Ritterschaft zu entrichtenden Abgaben stellten keine wesentliche Belastung dar. Die ausschließlich zu ständischen Zwecken benötigten Gelder


3) Lamprecht, Deutsche Geschichte, III. Abt., 2. Band, S. 252 ff.
4) Nach der Vermessung wurde der Satz im Schwerinschen auf 11, im Strelitzschen auf 10 Tlr. 6 Schillinge erhöht, da die vermessene Hufenzahl hinter der ursprünglich angenommenen zurückblieb.
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brachten die Stände durch sogen. Anlagen auf, die dem gemeinsamen Landkasten zuflossen.

Die Träger der ständischen Verfassung waren das Korps der Ritterschaft und das Korps der Landschaft. Ersteres bestand aus den etwa 600 Rittergutsbesitzern des Landes, letzteres aus den Obrigkeiten der 46 landtagsfähigen Städte. Beide Stände gliederten sich nach drei Kreisen: dem mecklenburgischen, dem wendischen und dem stargardischen. Auf den Landtagen und Landeskonventen leitete das Direktorium die Geschäfte der Ritter- und Landschaft, sonst der Engere Ausschuß; beide setzten sich aus Vertretern der Stände zusammen. Die ritterschaftlichen Mitglieder des E. A. bildeten zugleich den E. A. der Ritterschaft. Eine entsprechende Vertretung der Landschaft bestand nicht. Von den Versammlungen der Stände waren die wichtigsten der alljährlich im Herbst stattfindende Landtag, der durch den Landesherrn einberufen wurde, sowie die beiden Landeskonvente, die in jedem Frühjahr und Herbst im Ständehaus zu Rostock abgehalten wurden. Die Landtagsverhandlungen fanden teils im Plenum, teils in den "Kommitten" (Kommissionen) statt. Bei Beschlußfassungen war jedes Ständemitglied einfach stimmberechtigt. Der gewaltigen Stimmenmehrheit der Ritterschaft konnte die Landschaft mit der sogen. itio in partes begegnen. In diesem Falle erfolgte die Beschlußfassung nach Ständen, wobei diese als gleichberechtigt galten 5 ). Außer dem Steuerbewilligungsrecht hatten die Stände Mitwirkungsrechte bei der Landesgesetzgebung und Anteil an der Ausübung der Landesverwaltung und -gerichtsbarkeit. Die Ritterschaft war von allen Zöllen sowie von den städtischen Abgaben befreit. Vor dem Erlaß eines Kornausfuhrverbots durch den Landesherrn mußten gemäß §§ 365/6 Erbvergleichs die Vertreter der Stände gehört werden.

Ferner sollte die Ritterschaft nach Art. 19 des Erbvergleichs "bei ihrem landsittlichen Eigentumsrecht über ihre leibeigenen Gutsuntertanen und deren innehabendes Ackerwerk und Geschäfte unbeschwert belassen" werden und "die Verlegung und Niederlegung einem jeden Gutsherrn dergestalt frei und unbenommen" bleiben, "daß er den Bauern von einem Dorf zum


5) Nach Boll, Geschichte Mecklenburgs, 2. Teil, S. 410 hat die Landschaft von diesem Vetorecht "aus naheliegenden Gründen" nur wenig Gebrauch gemacht.
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andern zu setzen und dessen Acker zum Hofacker zu nehmen oder sonst dasselbe zu nutzen, Fug und Macht haben soll"; jedoch sollte "die gänzliche Niederlegung der Dörfer und der Bauernschaften" ohne landesherrliche Erlaubnis nicht zulässig sein. Die Gutsuntertanen waren entweder Bauern oder Einlieger (Tagelöhner). Nach der Größe der zur eigenen Nutzung überlassenen Ackerfläche unterschied man Voll-, Halb- und Viertelbauern. In der Regel gehörte den Gutsherren auch die Hofwehr der Bauern, d. i. der Bestand an Vieh sowie an Acker- und Hausgerät. Die Hand- und Spanndienste der ritterschaftlichen Bauern kannten keine Grenzen. Nach von Ferber 6 ) mußte der Vollbauer dem Herrn täglich je ein Gespann Pferde und Ochsen, einen Knecht, einen Jungen und ein Mädchen überlassen, während der Erntezeit außerdem zwei Mäher und Binder. Im Winter mußte der Bauer mit seinen Pferden die Kornfuhren übernehmen. Boll 7 ) führt wohl nicht zu Unrecht auf die übertriebene Ausnutzung des mecklenburgischen Landvolkes dessen damaligen moralischen Tiefstand zurück.

Bemerkenswert ist, daß in Mecklenburg sowohl die Allodial- als auch die Lehnsgüter frei veräußerlich, frei verschuldbar und frei verpachtbar waren. Bürgerliche waren von dem Erwerb eines Rittergutes nicht ausgeschlossen. Mit dem Besitz eines Rittergutes war die Landstandschaft, d. h. das Stimmrecht auf dem Landtag usw., und ferner die patrimoniale Gerichtshoheit verbunden.

Die wirtschaftliche Entwicklung Mecklenburgs im 18. Jahrhundert steht unter dem Zeichen des Überganges von der Dreifelderwirtschaft zur holsteinischen Koppelwirtschaft, aus der sich dann die mecklenburgische Schlagwirtschaft entwickelte. Bei der Dreifelderwirtschaft war das Ackerland in drei Schläge geteilt, die abwechselnd mit Winterkorn und Sommerkorn bestellt wurden und dann in der Brache blieben. Auf besonders gutem Boden wurde vereinzelt auch eine vierschlägige Wirtschaft betrieben. Unter diesem extensiven Betriebssystem hatte die Viehzucht für den Landwirt als Einnahmequelle keine große Bedeutung; ihr eigentlicher Zweck lag in der Dung-


6) v. Ferber, Grundzüge zur Wertschätzung der Landgüter in M., 1796. § 20.
7) A. a. O. S. 474 ff.
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produktion. Die Rindvieh- und Schafherden wurden meistens verpachtet. Der Mangel an gutem Weideland gestattete keine rationelle Viehwirtschaft.

Den ersten erfolgreichen Versuch mit der Einführung der holsteinischen Koppelwirtschaft unternahm der Oberlanddrost v. d. Lühe etwa um 1700 auf seinem Gute Panzow bei Neubukow 8 ). Auf Grund der dabei erzielten Vorteile gingen mit der Zeit immer mehr Gutsbesitzer zu dem neuen Betriebssystem über. Während in der holsteinischen Landwirtschaft auch schon damals die Viehzucht an erster und der Getreidebau an zweiter Stelle stand, ging das Bestreben der mecklenburgischen Landwirte dahin, das Schwergewicht ihres Betriebes, nämlich den Getreidebau, auf das neue Feldsystem zu übertragen. Nach vielen Versuchen setzte sich dann gegen Ende des 18. Jahrhunderts die sogen. Schlagwirtschaft (siebenschlägige Feldgraswirtschaft) als das den Bedingungen der mecklenburgischen Landwirtschaft am besten entsprechende Betriebssystem durch. Die günstige Wirkung des Systemwechsels lag vor allem in einer erheblichen Steigerung der Getreideerträge. Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Systems stand aber auch der im 18. Jahrhundert in Mecklenburg aufkommende Anbau von Klee und Kartoffeln. Hierdurch wurde eine bessere Viehhaltung ermöglicht und insbesondere der Grund zu einer lohnenderen Milchviehwirtschaft gelegt.

Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Koppelwirtschaft in Mecklenburg allgemein durchgeführt wurde, ist bis heute quellenmäßig nicht genügend erforscht. Es steht nur fest, daß im Strelitzschen die verbesserte Wirtschaft erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein eingeführt wurde. Während Dade 9 ) in seiner Arbeit zu dem Schluß kommt, daß im Schwerinschen gegen 1750 durchgehends auf allen ritterschaftlichen Gütern die holsteinische Koppelwirtschaft eingeführt war, glaubt Mielck 10 ), diese Ansicht aus verschiedenen Gründen bezweifeln zu müssen. Er nimmt an, daß in der Ritterschaft der Übergang von der Dreifelder- zur Koppelwirtschaft erst


8) Dade, Die Entstehung der meckl. Schlagwirtschaft, 1891, S. 65 ff.
9) A. a. O. S. 80.
10) Mielck, Die meckl. Bonitierung nach Scheffel Saat auf Grund des Landesgrundgesetzl. Erbvergleichs usw., Rostock 1926, S. 11 ff.
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während der Bonitierung der Rittergüter, in den Jahren 1756 bis 1778, erfolgt ist. Dieser Auffassung muß entgegengehalten werden, daß während der von 1765 bis 1776 anhaltenden schweren Kreditkrise in Mecklenburg ein mit so hohen Unkosten verbundener Systemwechsel in größerem Umfange kaum durchführbar gewesen sein wird. Ferner wird in den Kreditakten der mecklenburgischen Archive an zahlreichen Stellen betont, daß die hohe Verschuldung der Güter bei Ausbruch der Kreditkrise auf die Einführung der verbesserten Wirtschaft mit zurückzuführen sei. Somit dürfte anzunehmen sein, daß schon vor dem Siebenjährigen Kriege die Koppelwirtschaft auf nicht wenigen schwerinschen Rittergütern Eingang gefunden hatte.

Die Schattenseite dieser Wirtschaftsreform war, daß zahlreiche Bauern von ihren Wirtschaften vertrieben und zu Tagelöhnern wurden bzw. die vom Hof entfernter liegenden schlechten Äcker zugeteilt erhielten. Nach von Langermann 11 ) hatte die Einführung der Koppelwirtschaft zur Folge, daß bis zum Inkrafttreten des Erbvergleichs eine beträchtliche Anzahl Bauerndörfer sozusagen von der Erde verschwand. Die Äcker wurden dem Hofland einverleibt und die Bauern zu Einliegern gemacht. In solchen Maßnahmen kommt das starke Erwerbsstreben der Gutsherren zum Ausdruck, das vor keinem Mittel haltmachte, die Gutseinnahmen zu steigern. Die damaligen Intensivierungs- und Rationalisierungsbestrebungen müssen wohl weniger als Mittel zur Sanierung hochbelasteter Betriebe, sondern vielmehr als der Ausfluß einer durchaus kapitalistischen Wirtschaftsauffassung gewertet werden. Bei der günstigen Verkehrslage Mecklenburg-Schwerins war der Getreideabsatz für die meisten Güter dieses Landes der Menge nach unbeschränkt. Die günstigen Verhältnisse mußten zu einer Steigerung der Roherträge durch Verbesserung der Wirtschaftsmethode geradezu herausfordern. Diese Annahme findet mittelbar ihre Bestätigung darin, daß auf den strelitzschen Gütern trotz des um die Mitte des 18. Jahrhunderts vorhandenen hohen Verschuldungszustandes 12 ) die Schlagwirtschaft erst viel später als im Schwerinschen eingeführt wurde. Das Verharren


11) Zitiert bei Boll, a. a. O. S. 539 ff.
12) Acta Regiminalia, betr. das von der Ritterschaft stargard. Kreises zu errichtende Land- und Hypothekenbuch. 1753/71.
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bei der Dreifelderwirtschaft dürfte auf die agrarische Schutzzollpolitik Friedrich Wilhelms I. von Preußen zurückzuführen sein, der in den 30er Jahren die Einfuhr mecklenburgischen Getreides verbot und dieses Verbot bis zu seinem Tode (1740) aufrechterhielt 13 ). Auch die Handelspolitik Friedrichs des Großen hielt an den Erschwerungen und Verboten der Einfuhr fremden Getreides fest. So gestaltete sich der auswärtige Getreideabsatz für Mecklenburg-Strelitz, das wegen seiner Verkehrslage hauptsächlich auf den Absatz nach Preußen angewiesen war, äußerst schwierig.

Die Umstellung der Betriebe auf das neue Wirtschaftssystem erforderte Kapital und die neue Betriebsweise, die man gegenüber der vorigen als eine kapitalintensive bezeichnen kann, eine erhebliche Verstärkung der Betriebsmittel. Die Beschaffung des nötigen Kapitals auf dem Kreditwege machte keine Schwierigkeiten, nachdem die durch das neue Betriebssystem zu erzielenden Erfolge als feststehend angesehen wurden. Andererseits war mangels ausreichender Anlagemöglichkeiten das Kreditangebot in damaliger Zeit außerordentlich groß. Stellte die Beleihung des landwirtschaftlichen Grund und Bodens eine Hauptgelegenheit zur Kapitalanlage dar, so bot dieser aber auch, besonders in Zeiten günstiger Konjunktur, eine außerordentliche Sicherheit. Die Gewährung von landwirtschaftlichem Hypothekarkredit wurde in Mecklenburg durch die Konjunkturen besonders stark beeinflußt, da die Rittergüter im allgemeinen keine Hypothekenbücher eingerichtet hatten, und somit die Kreditgeber die Sicherheit ihrer hypothekarischen Forderungen außer auf Grund der persönlichen Verhältnisse des Kreditnehmenden hauptsächlich nur an der jeweiligen wirtschaftlichen Lage des Landes beurteilen konnten. Unter diesem Blickpunkt darf man aber die Kreditverhältnisse der mecklenburgischen Landwirtschaft z. Zt. des Überganges auf die Koppelwirtschaft als günstige bezeichnen.

Die Aufnahme von Hypothekarkredit erfolgte gewöhnlich während der landesüblichen Zahlungstermine (Antoni- und Trinitatis-Termin), an denen in der Regel die gekündigten Hypotheken, die Hypothekenzinsen, Pachtsummen usw. zur Auszahlung fällig wurden. In den betreffenden Tagen kamen


13) Naudé, Die Getreidehandelspolitik Brandenburg-Preußens bis 1740, Acta Borussica, 1901, S. 236 ff.
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die kapitalsuchenden Grundbesitzer und die Kapitalbesitzer in Rostock, Schwerin oder Güstrow zusammen, und alle größeren Geldgeschäfte wurden in kürzester Frist abgewickelt. Dadurch, daß sich in den Tagen des Termins die gesamte Kapitalnachfrage der Grundbesitzer und das gesamte Kapitalangebot des Landes an wenigen Orten zusammendrängte, wurde gewissermaßen ein Landeskapitalmarkt gebildet, auf dem der Zinssatz börsenmäßig zustande kam. Dieser Verkehr in Geldkapitalien hatte außerdem den Vorteil, daß viele Forderungen durch Abrechnung ausgeglichen und so der Bedarf an Bargeld in hohem Maße eingeschränkt wurde.

Die günstige Entwicklung der mecklenburgischen Landwirtschaft seit der Einführung der Koppelwirtschaft wurde durch den Siebenjährigen Krieg jäh unterbrochen. Während das Strelitzer Land neutral blieb, schloß sich der Schweriner Herzog, der an ein baldiges Unterliegen Preußens glaubte, Österreich an, in der Hoffnung, dadurch seinem Lande einen Gebietszuwachs verschaffen zu können. Dieses Bündnis hatte für das Schweriner Land, das im Laufe des Krieges von preußischen Truppen verschiedene Male besetzt wurde, verheerende Folgen. Durch ungemessene und mit äußerster Strenge durchgeführte Beitreibungen an Geld, Getreide und Vieh geriet das Land in schwerste Not. Der durch Kontributionen und Lieferungen aller Art dem Lande erwachsene Gesamtschaden erreichte die gewaltige Summe von 8 Millionen Taler in guter Münze 14 ). Zu diesen schweren Verlusten an Geld und Gut traten die überaus schädlichen wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der Münzverschlechterung während des Krieges sowie der anschließenden Reduktion des Münzfußes ergaben und zu der Entstehung der Kreditkrise nach dem Kriege wesentlich beitrugen.


14) Boll a. a. O. S. 307.
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I. Teil.

Die Kreditkrise in Mecklenburg nach dem Siebenjährigen Kriege (1765 bis 1780).

I. Abschnitt.

Ursachen und Entstehung der Krise.

Bei Abschluß des Erbvergleichs im Jahre 1755 lag das Münzwesen in Mecklenburg-Schwerin völlig darnieder. Es fehlte an einem von dem Landesherrn festgesetzten allgemeinen Münzfuße, und die im Lande umlaufende mecklenburgische Münze reichte bei weitem nicht zur Deckung des Zahlungsmittelbedarfes aus. Einen wenn auch nur unzulänglichen Ausgleich schaffte der Umlauf auswärtiger, größtenteils aber geringhaltiger Münzsorten.

In dem Erbvergleich behielt sich der Landesherr die Einführung des "alten" schweren 11 1/3-Talerfußes vor, während die Ritterschaft für die Zahlung der Landeskontribution sich den Leipziger N2/3-Fuß (12-Talerfuß) ausbedang. Mit Patent vom 26. 11. 1757 kündigte der Landesfürst die Wiedereinführung des alten hergebrachten Münzfußes zu Beginn des Jahres 1758 an. Die Verwirklichung dieses Vorhabens wurde jedoch durch die während des Siebenjährigen Krieges in Preußen und in anderen deutschen Staaten vorgenommenen Münzverschlechterungen unmöglich gemacht.

Schon gegen Ende des Jahres 1757 nahm die Vermehrung der auswärtigen geringhaltigen Münzen in Mecklenburg überhand. Durch Beschneiden und Auswägen der noch kursierenden vollhaltigen Münzen wurde das "gute" Geld schließlich ganz und gar verdrängt. Das leichte Geld wurde vorwiegend durch die Einmärsche der preußischen Truppen nach Mecklenburg eingebracht.

Bei dieser Zerrüttung des Geldwesens blieb dem Landesfürsten freilich nur übrig, "sich den hohen Nachbarn einigermaßen zu konformiren, um die Lande nicht von auswärtigen Münzstätten mit den geringhaltigsten Münzsorten überschwemmt zu sehen" 15 ). Nicht zuletzt war der Entschluß zur


15) Reskript vom 11. 6. 1760.
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Münzverschlechterung durch die Zahlung hoher Kontributionsgelder an Preußen mit bestimmt.

Das für die Neuprägungen erforderliche Silber wurde durch Einschmelzen von Silbergeschirr, alten Speziestalern und von sonstigen guten Münzsorten gewonnen. Bei jeder neuen Verminderung des Feingehaltes wurde die umlaufende bessere Münze wieder eingeschmolzen. Zur leichteren Unterscheidung der verschiedenhaltigen Münzsorten erhielten die Münzen bei gleichbleibendem Stempel besondere Merkmale, z. B. Rosen oder Blumen mit 5, 4 oder 3 Blättern, mit gefüllten oder offenen Kelchen usw., die aber nur den Münzoffizianten und Juden bekannt waren 16 ). Der Landesfürst erzielte durch die Münzverschlechterung einen erheblichen Münzgewinn, der trotz gänzlichen Ausbleibens der Landeseinkünfte und trotz der immer höher gespannten preußischen Forderungen die Ansammlung eines ansehnlichen Schatzes zuließ. 1762 war der Wert der mecklenburgischen Münze im Verkehr so weit gesunken, daß 350 Taler zur Einwechslung von 100 Reichstalern N2/3 nötig waren.

Auch in Mecklenburg-Strelitz, wo 1701 an Stelle des schweren Talerfußes der Leipziger Fuß eingeführt war, führte die allgemeine Münzzerrüttung des Siebenjährigen Krieges zwangsläufig zu einer fortschreitenden Münzverschlechterung, obschon dieses Land von den preußischen Kontributionsforderungen so gut wie verschont blieb. Die Verringerung des Feingehaltes der Münzen blieb nicht weit hinter derjenigen im Schwerinschen zurück.

Hand in Hand mit den Truppeneinmärschen und der Verschlechterung des Münzfußes nahm die Vermehrung der umlaufenden Geldmenge in Mecklenburg reißend zu. Nach Evers 17 ) wurden in Mecklenburg-Schwerin im Laufe des Krieges viele Millionen Taler immer geringhaltiger werdenden Geldes geprägt. Die preußischen Truppen aber drängten den Landeseinwohnern das mitgebrachte leichte Geld zum vollen Nennwerte auf.

Die Überschwemmung des Landes mit leichter Münze zog alle Folgen nach sich, die mit dem auftreten einer Inflation gegeben sind. Eine zunehmende Verteuerung aller Güter, die


16) Siehe Evers, Meckl. Münzverfassung, 8. Abschnitt.
17) A. a. O. S. 222.
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jedoch für die verschiedenen Waren ungleichmäßig war, trat ein. Während für Lebensmittel in den Städten, für gewerbliche Produkte und auswärtige Waren im ganzen Lande eine starke Preissteigerung der Geldentwertung folgte und zeitweise sogar wöchentliche Preiserhöhungen vorkamen, waren vor allem die Kornpreise "so wohlfeil, als selbige in verschiedenen Jahren vor dem Kriege bei weit besseren Münzsorten nicht gewesen. Hierbei muß das Land täglich ärmer werden und der Ruin der meisten Eingesessenen unausbleiblich erfolgen" 18 ). 1760 wurden für den Scheffel Roggen nur 28 bis 30 Schillinge in entwerteter mecklenburgischer Münze erzielt. Freilich war zur selben Zeit in Lübeck der Preis des Roggens in schwerer Münze auch nicht wesentlich höher; er betrug 15 bis 16 Schillinge N2/3 für den Scheffel 19 ). Deshalb darf der äußerst niedrige Kornpreis in Mecklenburg nicht allein der Geldentwertung zugeschrieben werden. Durch den Krieg bedingte Stockungen im Absatz sowie in der Versorgung der armen Volksschichten und der dadurch hervorgerufene Überschuß dürften den niedrigen Stand der Kornpreise mit verursacht haben. In Mecklenburg-Strelitz stiegen freilich die Getreidepreise vorübergehend infolge der unbeschränkten Absatzmöglichkeit nach Preußen außerordentlich 20 ). In den Kriegsjahren 1761/62 nahmen die preußischen Requisitionen im Schweriner Lande solchen Umfang an, daß auf den meisten Gütern nur in geringem Maße Erzeugnisse für den freien Absatz übrig blieben. Sofern für die Zwangslieferungen überhaupt etwas gezahlt wurde, geschah dies unzureichend mit leichter Münze. Infolge der gewaltsamen Aushebungen mecklenburgischer Einwohner für die preußische Armee mangelte es auch an Arbeitskräften auf dem Lande, wodurch die Erträge der Güter besonders in den letzten Kriegsjahren einen starken Rückgang erfuhren. Im Kriege ist "öfters in einem Jahre von den mehrsten Gütern mehr abgegeben worden, als sie aufgebracht haben; so haben sich natürlicherweise auch hierdurch die Schulden häufen müssen" 21 ).

Hinsichtlich der Schuldentilgung war die Inflation, besonders für die hochverschuldeten Gutsbesitzer, von überaus


18) Acta, den Verfall des Münzwesens betreffend, 1760. Schwerin.
19) Reskript des Schweriner Landesfürsten vom 9. 8. 1760.
20) Boll a. a. O. S. 309.
21) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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verhängnisvoller Wirkung. Der gemeinrechtliche Grundsatz, daß "bonitas intrinseca tempore contractus" vom Schuldner zu erstatten sei 22 ), hatte auch in Mecklenburg Geltung. Die Rückzahlung und Verzinsung der regelmäßig in N2/3, aber auch in "gutem alten" Golde aufgenommenen Leihkapitalien mußte also in ebendenselben Münzsorten bzw. mit einem diesen Münzsorten entsprechenden Geldbetrage erfolgen. Diese Verpflichtung war für die Gutsbesitzer außerordentlich drückend. Während das Aufgeld für die guten Münzsorten mit der zunehmenden Geldentwertung sich ständig erhöhte, folgten die an sich unzureichenden Kornpreise nur allmählich der allgemeinen Preissteigerung. Die Abdeckung gekündigter Kapitalien, aber auch die Zinszahlungen seitens der hochverschuldeten Güter konnten deshalb vielfach nur im Wege neuer und erhöhter Schuldaufnahmen ermöglicht werden. Unter diesen Verhältnissen wurde nicht nur die in den Kriegszeiten ohnehin verminderte Rentabilität auf zahlreichen Gütern völlig beseitigt, sondern auch die Verschuldung wesentlich gesteigert.

Nach Zustandekommen des Hubertusburger Friedens im Februar 1763 wurde das leichte Geld in allen deutschen Staaten durch Münzreformen beseitigt. In Preußen wurde der Graumannsche 14-Talerfuß wieder eingeführt, in Holstein, Lübeck und Hamburg wurde der sogenannte schwere Fuß, in Hannover und Schwedisch-Vorpommern der Leipziger Fuß beibehalten. Während Mecklenburg-Strelitz gleich Sachsen, Braunschweig usw. zu dem 13 1/3-Talerfuß (Konventionsfuß) überging, gab Mecklenburg-Schwerin dem schweren 11 1/3-Talerfuß den Vorzug. Die Aufhebung des bisherigen leichten Fußes wurde hier zum 1. März 1763 verordnet. Neben der neuen Münze sollte auch dänische, holsteinische, Lübecker und Hamburger Münze, und zwar grobe als auch Scheidemünze, wie früher umlaufsfähig sein.

Da eine ausreichende Versorgung des Landes mit der schweren Münze nicht sogleich möglich war, wurde die leichte Münze erst mit Wirkung vom 1. Juni 1765 endgültig verrufen. Der schwere Münzfuß, dessen Einführung hauptsächlich wohl in Rücksicht auf den Handel mit Lübeck und Hamburg


22) Stampe, Deutsches Schuldentilgungsrecht (Sitzungsbericht der Preuß. Akademie der Wissenschaften) 1925.
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geschah, ist für die weitere Entwicklung des mecklenburgischen Geldwesens nur von Nachteil gewesen. Obgleich in den der Münzreform folgenden zehn Jahren mehrere hunderttausend Taler an grober Münze und Schillingen vollwertig ausgeprägt wurden, herrschte dennoch im Lande beständiger Mangel an dieser Münze. Infolge ihrer Güte wurde sie von Geldwechslern und Juden sogleich ins Ausland, besonders nach Hamburg, geschafft. Selbst die Scheidemünze wurde wegen ihres viel zu hohen Feingehalts dem Verkehr entzogen. Minderhaltige auswärtige Münzsorten, die als vollwertig umliefen, versahen den Gelddienst im Lande. Ähnlich lagen die Verhältnisse auch in Mecklenburg-Strelitz. Hier wäre wegen der Nachbarschaft Preußens die Einführung des Graumannschen Talerfußes ohne Frage zweckmäßiger gewesen.

Durch die Einführung des schweren Münzfußes wurden die N2/3-Stücke keineswegs außer Kurs gesetzt. Im großen Geldverkehr, so beim Verkauf von Landgütern, bei Verpachtungen, Anleihen, blieben sie allgemein das herkömmliche Zahlungsmittel. Auch die Hufensteuer wurde in N2/3-Stücken entrichtet.

In Mecklenburg-Strelitz wurden die großen Zahlungen wegen mangelnder Konventionsmünze in Gold, im Fürstentum Ratzeburg aber wegen der nahen Lage bei Lübeck, Hamburg und Holstein, in schwerem Gelde geleistet, so daß drei verschiedene Münzsorten, abgesehen von den bei kleinen Zahlungen auch gebräuchlichen preußischen, hannöverschen und schwedisch-pommerschen Münzsorten, in Mecklenburg umliefen 23 ).

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Rückkehr zu der stabilen Münzverfassung eine Gesundung des Geldwesens nicht herbeigeführt hat. Da eine Münzparität zwischen der schweren mecklenburgischen und der leichteren auswärtigen Münze nicht festgestellt war und letztere in Mecklenburg als vollwertig angenommen wurde, bewirkte der schwere Münzfuß, daß die mecklenburgische Münze von "Geldwucherern" an auswärtige Münzstätten mit Vorteil verkauft wurde. Ständiger gänzlicher Mangel an verfassungsmäßiger Münze und unzureichende Versorgung des Landes mit den verkehrsüblichen N2/3-Stücken waren die Folge der unzweckmäßigen Wahl des schweren Münzfußes, die von dem Landesfürsten


23) Evers, Meckl. Münzverfassung, § 21.
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entgegen den Bedenken der Landstände getroffen war. Die durch die Außerkurssetzung der schlechten Münze ohnehin entstandene Knappheit an brauchbaren Zahlungsmitteln wurde durch diese widrigen Münzverhältnisse aufs äußerste gesteigert. Bei der geringen Ausbildung des bargeldlosen Verkehrs trug der Mangel an Umlaufsmitteln zu einer Verschärfung der damals einsetzenden Kreditnot bei und erweckte den falschen Glauben, daß eine Abhilfe der Kreditnot nur im Wege einer Vermehrung der im Lande umlaufenden Geldmenge erfolgen könnte.

Die gekennzeichnete Notlage der Landwirtschaft in Mecklenburg-Schwerin entwickelte sich nach dem Kriege zu einer schweren und anhaltenden Kreditkrise. Bei ihrer Darstellung soll zunächst der Verschuldungszustand des ritterschaftlichen Gutsbesitzes untersucht werden, um dann auf die vielerlei Umstände, die zur Kreditnot führten, überzugehen. Die Ursachen des Kreditverfalls werden dagegen im folgenden Abschnitt gesondert behandelt.

Auf Grund der zeitgenössischen Berichte ist die Annahme gerechtfertigt, daß in Mecklenburg-Schwerin bereits vor dem Siebenjährigen Kriege die Verschuldung der Güter nicht unbedeutend, in manchen Fällen sogar recht hoch gewesen ist. Einen wesentlichen Verschuldungsfaktor bildete der Übergang von der Dreifelder- zur Schlagwirtschaft, der sich in Mecklenburg-Schwerin seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts in ständig zunehmendem Maße vollzog. Die Durchführung der Schlagwirtschaft war mit erheblichen Anschaffungskosten für Vieh, Ackergeräte usw. verbunden. "Die Ritterschaft hatte die Güter über die Hälfte verbessert, solches war aber nicht ohne große Kosten geschehen. Der Ertrag war verdoppelt, solches gab aber auch Gelegenheit, daß die Schulden verdoppelt wurden. Die Creditores sind meistens Ausländer" 24 ). Dabei blieb die neue Art der Bodennutzung anfangs für viele Güter nicht nur ohne Vorteil, sondern hatte sogar Verluste zur Folge. Nach dem Vorbild der holsteinischen Koppelwirtschaft wurde nämlich die Milchviehhaltung stark vermehrt. In diesem Punkte war jedoch die Nachahmung des holsteinischen Wirtschaftssystems verfehlt. Infolge der geringen Güte der


24) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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mecklenburgischen Weiden war bei großem Viehstapel der Milchertrag nur gering und der Dung von schlechter Beschaffenheit. Mangel an Winterfutter ließ das Vieh mit der Zeit verkümmern. Erst seit den 70er Jahren versuchte man durch Kleebau die Viehhaltung zu verbessern. Die Anpassung der holsteinischen Koppelwirtschaft an die natürlichen Bedingungen des mecklenburgischen Landes, d. h. der schließliche Übergang zur siebenschlägigen Feldgraswirtschaft 25 ), ist das Ergebnis vieler kostspieliger Versuche gewesen. Deshalb pflegte man auch damals von der Koppelwirtschaft zu sagen: sie mache arme Väter, aber reiche Kinder 26 ).

Eine starke Zunahme der Verschuldung setzte um die Mitte des Jahrhunderts als Folge spekulativen Güterhandels ein. Den Anlaß hierzu gaben die bedeutend gestiegenen Güterpreise, die sich aus dem verbesserten Betriebssystem, teils auch aus dem Umstand ergaben, daß nach längerem Streit zwischen Landesherrn und Ritterschaft letztere zum Entgelt für erlittene Schäden von der Entrichtung der Kontribution einige Jahre hindurch befreit blieb.(Druckfehler) von Engel schreibt in seinen Briefen 27 ), daß "die Gütersucht gleich einer epidemischen Krankheit um sich griff. Ein jeder wollte Landwirt werden, er mochte nun Einsicht und Vermögen dazu haben oder nicht". Weiter berichtet er: "Hier im Lande wird mit Gütern ein Handel getrieben, wie man ihn sonst mit Pferden auf einem öffentlichen Markte treibt. Ein jeder sucht durch Güterkaufen sein Glück zu machen, welches jedoch nur wenige dabei finden. Hat nun ein und anderer es nicht gefunden, so sucht er das gekaufte Gut, welches er dem Scheine nach durch veränderte Schläge, auch wohl durch einige neue Bauten ansehnlich verbessert hat, wieder los zu werden, und um nicht zu falliren, setzt er einen hohen Preis darauf, wozu ihm die angeblichen Verbesserungen das Recht geben, - und, was zum Erstaunen ist, er findet einen noch größeren Thoren, als er selbst gewesen ist. So gehen denn die Güter von einer Hand in die andere."

Wie die Akten erkennen lassen, wurden die Güterkäufe meistens mit fremdem Kapital, das in reichlichen Mengen zu


25) 1. Gedüngte Brache, 2. Winterkorn, 3. und 4. Sommerkorn, 5.-7. Weide.
26) Boll, Geschichte Mecklenburgs, II. Band S. 508.
27) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 547 ff.
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niedrigem Zins angeboten wurde, finanziert. "Es könnten Beispiele angeführt werden, daß vor 10 bis 20 Jahren Personen, welche ein gutes Gerücht hatten, zum Güterkauf mehr Geld offeriert ist, als sie benötigten" 28 ). (Druckfehler) von Holstein auf Kl.-Luckow berichtet im Jahre 1767: "Die gewesene Situation des Landmannes bis etwa 1764 machte, daß ein jeder Geschmack bekam, Hauswirt zu werden, und sein Augenmerk bloß auf die damalige profitable Zeit richtete. Leute mit einem kleinen Kapital hatten die Dreistigkeit, große Güter mit mehresten fremden Geldern aufs teuerste aufzukaufen, wozu öfters nicht der fünfte, ja nicht der sechste Teil ihr eigenes Geld war. Der damalige Geldüberfluß machte dies alles leicht praktikabel. Mit fremden Geldern meliorierte und baute man gewaltig, um den nötig habenden Kredit vollkommen aufrecht zu erhalten" 28). Und aus einem anonymen Promemoria 28) entnehmen wir: "Noch während des Krieges hat man es allgemein für richtig gehalten, daß derjenige, der zu 4 % kaufte, sicher und gut gekauft habe. Das stimmte auch, denn wer in hiesigen Gegenden Gelder gebrauchte, der konnte zu 4, ja wohl gar zu 3 1/2 % genug erhalten, weil der Satz dazumal unstreitig war, daß des Geldes immer mehr, der Grundstücke aber nicht mehr würden."

Auch waren Fälle hoher Erbgeldverschuldung nicht selten. Das Direktorium führte in seiner Erklärung auf dem Landtag von 1766 aus, daß die väterlichen Güter oft zu so hohem Preise übernommen würden, daß der Besitzer bloß Pächter seiner Miterben und väterlichen Gläubiger werde und kaum subsistieren könne.

Zusammenfassend stellen wir fest, daß die Leichtigkeit der Verschuldung begründet lag in der günstigen Wirtschaftslage des Landes, den gestiegenen Güterpreisen und dem reichlichen Angebot von Kapital zu niedrigem Zins. Der Mangel an sonstigen Kapitalanlagemöglichkeiten begünstigte das Steigen der hypothekarischen Verschuldung außerordentlich. Viele Güter hatten die Grenze der bei günstiger Konjunktur wirtschaftlich noch tragbaren Verschuldung erreicht. Eine rückläufige Konjunktur mußte notwendigerweise einen gefährlichen Rückschlag auf die ländlichen Realkreditverhältnisse zur Folge haben.


28) Acta von Herstellung des Kredits in Mecklenburg 1766/68.
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Für einzelne Güter trat der Rückschlag bereits ein, als auf Grund des Erbvergleichs von 1755 die einbehaltene Kontribution 29 ) innerhalb kurzer Zeit nachentrichtet werden mußte. Dazu kommt, daß in den Jahren 1751/52 die schon 1744 nach Mecklenburg eingeschleppte Rinderpest besonders heftig gewütet hatte. Das Vieh war massenweise eingegangen, und infolge ungenügender Düngung der Äcker fielen die Kornernten so schlecht aus, daß 1754/56 Korn eingeführt und die Kornausfuhr verboten werden mußte 30 ). Damals "fingen viele Familien in ihren Kreditumständen an zu wanken" 31 ). Allgemein erfolgte der Rückschlag aber erst nach dem Kriege. Auf die schweren Kriegsschäden, veranlaßt durch die Besetzung des Schweriner Landes mit preußischen Truppen, auf die nachteiligen Folgen der Münzverschlechterung sowie auf die große Geldknappheit nach dem Kriege infolge Reduktion des Münzfußes ist bereits hingewiesen worden. Aber noch zahlreiche sonstige Momente steigerten die Notlage des Grundbesitzes ins Unerträgliche. Typisch als Deflationserscheinung ist der übermäßig hohe allgemeine Preisstand nach dem Kriege, jedoch mit Ausnahme für Getreide. "Alle Waren, aller Lohn, alle Handwerkerarbeit ist ungemein erhöhet; Fuhrlohn, Posten, der Wirte Rechnungen in den Städten haben keine Schranken noch Maß." - "Was wir aus den Städten holen, wie auch den Tagelohn an die Handwerker müssen wir nach dem schweren Gelde ebenso hoch bezahlen, als wir es ehedem an leichtem Gelde kaufen und bezahlen konnten. Es ist augenscheinlich, daß man bei jedem auszugebenden Thaler 6 bis 8 ßl bar verliert" 32 ). Zuverlässige Angaben über den Stand der Getreidepreise unmittelbar nach dem Kriege liegen nur für Mecklenburg-Strelitz vor 33 ), während für Mecklenburg-Schwerin die Getreidepreise erst von 1771 ab nachgewiesen sind. Im Strelitzschen hatten die Preise für 1 Scheffel Roggen, Gerste und Hafer im Jahre 1762 die erstaunliche Höhe von 90, 60 und 31 Schil-


29) s. S. 171.
30) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
31) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke.
32) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
33) Nützliche Beiträge zu den Neuen Strelitz. Anzeigen, 1770, 8. und 9. Stück.
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lingen in guter Münze erreicht. Im nächsten Jahre erfolgte dann der gewaltige Preissturz auf 22, 20 und 12 Schillinge, der wohl durch den Wegfall des preußischen Kriegsbedarfes verursacht wurde.

Von allerschlimmster Wirkung war die in den Jahren 1765/67 wieder auftretende Rinderpest. "Am heftigsten und allgemeinsten war sie im Jahre 1766, wo sie so aufräumte, daß im Herbste fast das meiste Vieh hingefallen war" 34 ). Viele Güter waren wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, neues Vieh anzuschaffen. Andererseits wurde auch das von auswärts wiederbeschaffte Vieh oft in kurzer Zeit von der Seuche weggerafft. Das Viehsterben bereitete besonders den zur Schlagwirtschaft übergegangenen, also den höher verschuldeten Betrieben schweren Schaden, da nicht nur die Erträge aus den Holländereien wegfielen, sondern auch die Äcker bei unzureichender Bedüngung nur geringe Roherträge lieferten und teils wegen Zugviehmangels nicht bestellt werden konnten. Die Folge war "vieljähriger fast allgemeiner Mißwachs", und 1766 mußte Mecklenburg abermalig Korn einführen 35 ).

Dabei wurde die Ausfuhr aller übrigen Agrarprodukte (Schweine, Hammel, Wolle) infolge des allzu schweren Münzfußes 36 ) erschwert bzw. unterbunden. "Was wir zu veräußern haben, würden wir weit besser und größer nach den lüneburgischen und preußischen Landen hin debitieren können, wenn nicht die schwere Münze und der Drittelcours den Käufer von unseren Landen den Weg nach Polen wiese" 37 ). "Für die hannöverschen, preußischen und Quedlinburger Vieh- und Schweinekäufer sind infolge des hier eingeführten schweren Kurantgeldes die Zehrkosten sehr hoch, natürlich auch die zu erlegenden Zölle und Akzisen. Diesen sonst in Mecklenburg so häufig gekommenen Aufkäufern wird es schlechterdings unmöglich, diesen für die Landbegüterten ehedem so zuträglich gewesenen Handlungszweig zu kultiviren" 38 ).

Alle die genannten Umstände: die Kriegsschäden, die unzureichende Preisgestaltung nach dem Kriege, die Ertragsein-


34) Boll a. a. O. S. 545.
35) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1769.
36) s. S. 168.
37) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
38) Desgl. 1769.
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bußen infolge der Rinderpest, die erschwerte Ausfuhr von Agrarprodukten führten fast allgemein zur Unrentabilität und zum wirtschaftlichen Verfall. Die hochverschuldeten Güter - hierunter fallen besonders die durchaus geldwirtschaftlich eingestellten intensiven Betriebe, denen durch das allgemeine Unglück am meisten Schaden zugefügt war - konnten ihren Zinsverpflichtungen nicht nachkommen. Gekündigte Kapitalien konnten nicht zurückgezahlt werben. Einige Güter gerieten in Konkurs. Nun offenbarte sich, daß die Güter gegen früher erheblich im Werte gesunken waren und daher in vielen Fällen effektive Überschuldung eingetreten war. Die Gläubiger wurden mißtrauisch. Die Kündigungen der meistens kurzfristig gewährten Kapitalien nahmen zu. Auch die noch leidlich dastehenden Betriebe gerieten in Schwierigkeiten, weil die Kreditfähigkeit der Güter immer mehr sank. "Die schlechten Zahler häufen sich so an, daß die starken und vermögenden von ihnen so überschattet werden, daß der auswärtige sie nicht unterscheiden kann" 39 ). Neue Kapitalien an Stelle der gekündigten aufzunehmen, war äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich. Nur gegen übertriebene Zinsen und Provisionen waren solche zu erhalten. In Rostock hatten einige Kaufleute alle auftreibbaren Gelder gegen hohe Zinsen an sich gebracht, um "solche hienächst gegen noch weit enormere Provisiones unter den wucherlichsten Bedingungen an diejenigen zu verleihen, welche bei dem jetzigen Geldmangel zu Kehrung ihrer Not darum verlegen gewesen" 40 ). Nach Boll 41 ) traten besonders die Advokaten als Vermittler von Geldgeschäften auf und fanden darin eine ergiebige Quelle des Gewinns. In den Akten werden die Advokaten vielfach mit den Wucherern auf eine Stufe gestellt.

Die Zahl der Konkurse nahm in Mecklenburg-Schwerin ständig zu. 1766 lagen bereits einige 20 Güter im Konkurs und 10 Jahre später "mehr als der achte Teil aller Landgüter" 42 ), was etwa 80 bis 90 Gütern entsprechen dürfte.

Mecklenburg-Strelitz blieb dagegen von der Krise verschont. Infolge seiner neutralen Haltung hatte dieses Land


39) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke 1765/68.
40) Landesherrliches Reskript (Schwerin) vom 1. 7. 1765.
41) A. a. O. S. 399.
42) Zimmermann, Über Mecklenburgs Kreditverhältnisse, 1804.
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während des Krieges nur geringen Schaden erlitten, der reichlich durch den Gewinn aufgewogen wurde, den man bei der Versorgung schwedischer und preußischer Truppen sowie der Stadt Berlin mit Lebensmitteln erzielte 43 ). Ferner hatten die im Strelitzschen belegenen Güter unter der Rinderpest weniger zu leiden, da hier die Schlagwirtschaft nur ganz vereinzelt eingeführt worden war 44 ). Güterkonkurse kamen deshalb in Mecklenburg-Strelitz während des fraglichen Zeitabschnittes nur selten vor 45 ).

Daß die Kreditkrise im Schwerinschen eine mehr als zehnjährige Dauer erreichte, lag weniger in den wirtschaftlichen Verhältnissen, als in dem Immobiliarkreditrecht begründet, das - wie wir sehen werden - ungewöhnliche Mängel aufwies.

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II. Abschnitt.

Der Verfall des Realkredits
und seine Ursachen.

1. Kapitel.

Das ritterschaftliche Hypothekenwesen.

Mit der Rezeption des römischen Rechtes 46 ) wurde auch das römische Pfandrecht nach Mecklenburg verpflanzt. Abgesehen von einzelnen Abweichungen, die aus der Beibehaltung einheimischen Gewohnheitsrechtes zu erklären sind, gelangte hier das römische Pfandrechtssystem zur unbedingten Herrschaft. Die Mängel dieses Rechtssystems und der schädliche Einfluß auf den Hypothekarkredit sind von namhaften Verfassern, wie Mascher 47 ), Weyermann 48 ) u. a., eingehend unter-


43) Boll a. a. O. S. 304.
44) Desgl. S. 506.
45) Acta, betr. den Verkauf der Konkursgüter 1768 bis 1815.
46) Nach Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht, S. 35 und 90, fällt für Mecklenburg der Beginn der Rezeption in das dreizehnte und deren Vollendung in das fünfzehnte Jahrhundert. - Vgl. jedoch Steinmann a. a. O. S. 124 und in Festschrift für Reincke-Bloch, 1927, S. 51.
47) Mascher, Das deutsche Grundbuch- und Hypothekenwesen, 1869.
48) Weyermann, Zur Geschichte des Immobiliarkreditwesens in Preußen, 1910.
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sucht und beschrieben worden, so daß an dieser Stelle außer einer zusammenfassenden Darlegung der Systemsmängel vor allem eine Schilderung der für Mecklenburg eigentümlichen Verhältnisse geboten erscheint.

Die Besonderheit des römischen Pfandrechtssystems lag in der weitgehenden Ausbildung der gesetzlichen und Generalhypotheken sowie der Pfandprivilegien. Gesetzliche Hypotheken entstanden bei gewissen Schuldforderungen ganz von selbst. Z. B. erlangten solche stillschweigenden Hypotheken der Fiskus wegen rückständiger öffentlicher Abgaben, die Ehefrau am Vermögen des Mannes wegen der Mitgift, alle Gläubiger, die zur Wiederherstellung eines Gebäudes Geld geliehen hatten usw. Die meisten der gesetzlichen Hypotheken waren zugleich Generalhypotheken, d. h. sie umfaßten das gesamte Vermögen des Schuldners. Die Rangordnung der Hypotheken bestimmte sich grundsätzlich nach dem Alter der Pfandrechte.

Wesentlich erweitert war dieses Gesetzespfandrecht durch die sogen. Pfandprivilegien, die sowohl für gesetzliche als auch für vertragliche Hypotheken in besonderen Fällen vorgesehen waren. Kraft Gesetzes gingen die privilegierten Hypotheken allen anderen vor. Weiter wurden die öffentlichen Hypotheken vor den privaten bevorzugt. Als öffentlich galten diejenigen Hypotheken, die sich auf eine öffentliche Urkunde gründeten (hypotheca publica) oder auf eine solche, die von mindestens drei männlichen einwandfreien Zeugen unterschrieben war (hypotheca quasi publica).

Die Hypothekenbücher kannte das römische Rechtssystem nicht. Bestellung einer Hypothek erforderte keine besonderen Formen, so daß über den dinglichen Rechtszustand eines Grundstücks öffentlich nichts bekannt war. Im Gegensatz zu dem älteren deutschen Pfandrecht war dem römischen das Publizitätssystem und die strenge Durchführung des Spezialitätsprinzips unbekannt. Eine formale Publizität war auch keineswegs mit der Einrichtung der öffentlichen Hypotheken gegeben 49 ). Diese Hypotheken sollten lediglich vor Betrügereien schützen, die durch Vordatieren von privaten Hypotheken möglich waren.


49) Weyermann a. a. O. S. 3.
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Die Unzulänglichkeit dieses Rechtssystems trat darin zutage, daß es dem Gläubiger keine Möglichkeit verschaffte, die Sicherheit des dargebotenen Pfandobjektes zu beurteilen, weil eine Verschuldung des Grund und Bodens öffentlich nicht erkennbar war; zum andern aber darin, daß es den Gläubiger gegen willkürliche Verschlechterungen seines Pfandrechtes nicht schützte.

In Mecklenburg war die Niederlegung von Hypothekenbüchern auf Rittergütern nicht völlig unbekannt oder gar unmöglich. Nach dem geltenden Lehnrecht war bei der Verpfändung von Lehnsgütern der Konsens des Landesherrn deshalb von Bedeutung, weil dadurch die Wirksamkeit der Verpfändung gegen den Lehnsherrn sichergestellt wurde. Auf Antrag konnte der Konsens ein für allemal erteilt werden. In diesem Falle mußte ein Hypothekenbuch gerichtlich niedergelegt werden, und jedes darin eingetragene Pfandrecht galt als konsentiert. Die konsentierten Hypotheken wurden zu den öffentlichen Hypotheken gerechnet und hatten sogar vor den nicht konsentierten gesetzlichen und privilegierten Hypotheken den Vorrang 50 ). Auch für die Allodialgüter konnten "mit Confirmation der höheren Landeskollegien" (Ministerien) Hypothekenbücher niedergelegt werden. Die darin eingetragenen Hypotheken galten ebenfalls als öffentliche; sie hatten jedoch nur vor den privaten Hypotheken den Vorzug und mit den quasi öffentlichen Hypotheken gleichen Rang.

Für das damalige ritterschaftliche Hypothekenwesen in Mecklenburg sind die Hypothekenbücher von untergeordneter Bedeutung gewesen. Nur wenige Rittergüter waren mit Hypothekenbüchern versehen. Die vielerorts hohe Verschuldung, aber auch überliefertes Standesbewußtsein bestimmten die Gutsherren, nur in notgedrungenen Fällen den Schuldenstand ihrer Güter offenzulegen.

Den oben angegebenen hypothekarischen Vorzugsrechten gesellten sich weitere hinzu, die auf älteren mecklenburgischen Landesverordnungen beruhten und das komplizierte gemeinrechtliche System noch verwickelter machten. So hatten nach einer Verordnung vom 6. II. 1644, betr. "die Präferenz der pia corpora", die Forderungen der Kirchen, Schulen, Ökono-


50) Landesherrliche Verordnung vom 6. II. 1644.
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mien, Hospitäler und Armenhäuser ein Vorzugsrecht vor allen sonstigen hypothekarischen Forderungen, mit Ausnahme der absolut privilegierten Forderungen, z. B. der rückständigen öffentlichen Abgaben. Dagegen stand nach einer Verordnung vom 29. I. 1646 allen Gläubigern insoweit, als sie bereits dem Vater oder Großvater des Gemeinschuldners das Grundstück beliehen hatten, im Konkurse sogar ein Absonderungsrecht zu.

Bei der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der hypothekarischen Vorzugsrechte führte im Konkurse die Festsetzung des Rangverhältnisses zwischen mehreren dasselbe Grundstück belastenden Rechten in der Regel zu ausgedehnten Streitigkeiten, zumal es kein Gesetz gab, das die Rangordnung umfassend und klar geregelt hätte. In einer Denkschrift der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei aus dem Jahre 1770 51 ) lesen wir hierüber: "Der Prioritätspunkt ist eben derjenige, der durch die vielen Suspensivmittel gegen die gesprochene Priorität wegen deren Bestreitbarkeit nach gemeinen Rechten ohne besondere sattsam bestimmende Landes-Constitution die allerweitschweifigsten Aufhaltungen und Bewirrungen macht, und weswegen das Land schon 1641 eine besondere Landes-Constitution über die Priorität gewünscht, diesen Wunsch jedoch bei weitem nicht hinreichend in der Constitution von 1644, die praeference der Kirchen und andere Prioritätsschulden betr., zu erhalten das Glück gehabt."

In welchem Maße das damalige Hypothekenwesen für die Sicherung der Gläubiger Sorge trug, schildert in drastischer Weise ein Erachten des Hof- und Landgerichts zu Güstrow vom 18. IX. 1770: "Man schaffe die öffentlichen und consensuirten Hypotheken in Ansehung der Wirkung eines Vorzuges ab, oder man nehme ihnen wenigstens die Gültigkeit, sofern sie nicht in den öffentlichen Zeitungen bekannt gemacht worden. Ist der gute Glaube wohl zu bewahren, wenn ein Gläubiger, der heute anleiht, über seinen zwanzigjährigen Kollegen hinwegspringen kann? Für solche im Winkel erteilten Vorzüge kann sich ja niemand in der Welt hüten. Tut jener junge Anleiher was anderes, als daß er seinem alten Vorgänger sein Capital raubt? ..... er bringt diesen wider sein Wissen um das


51) Untertäniges Erachten der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei über die füglichste und sicherste Abhelfung der Mängel und Mißbräuche bei Schuld- und Konkursprozessen. Vom 11. Nov. 1770.
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Seinige. Nur wird er nicht gestraft, weil das Gesetz das Instrument, welches er sich zu seinem Stehlen bedient, privilegiert hat".

Diese Kritik galt vor allem den öffentlichen Hypotheken, d. h. den lehnsherrlich konsentierten, den durch das Ministerium oder die Gerichte konfirmierten sowie den vor drei Zeugen errichteten Hypotheken. Soweit nicht etwa Hypothekenbücher niedergelegt waren, wurden die Verpfändungen durch öffentliche Hypotheken keineswegs öffentlich erkennbar gemacht. Die konsentierten und konfirmierten Hypotheken wurden in den ritterschaftlichen Grundstücksakten vermerkt. Die Feststellung der liegenschaftlichen Rechtsverhältnisse aus diesen Aufzeichnungen war wegen der unsystematischen Aktenführung beinahe unmöglich. Daher wurde auch in den öffentlichen Hypothekenscheinen über die Vorbelastung eines Grundstückes nichts angegeben. Sie "enthalten gewöhnlich nichts als eine bloße Bescheinigung der geschehenen Eintragung. Vom Besitztitel, wieviel die verschriebene Hypothek wert sei, wieviele Schulden darauf bereits eingetragen worden und was für andere dingliche Lasten darauf haften, davon sagen sie überall nichts. Bei einigen Behörden werden sie bloß unter der Hand und dem Privatsiegel eines Sekretärs oft auf einem halben Bogen ausgefertigt und haben kaum den Schein eines öffentlichen Dokuments" 52 ).

Da die meisten Gläubiger keine öffentlichen Pfandrechte besaßen 53 ), hatte der Schuldner freie Hand, einzelnen - häufig nur fingierten - Gläubigern kurz vor der Konkurseröffnung Vorzugsrechte zu gewähren, um so zum Schaden der übrigen Gläubiger einen möglichst großen Teil seines früheren Vermögens zu retten. Welche Praktiken hierbei angewendet wurden, zeigt uns ein Aufsatz aus damaliger Zeit 54 ). "Der bloße (!) hypothecarius bekommt Consens, Confirmation, hypothecam publicam und ein gleiches der Chirographarius und Wechselgläubiger, für welchen zugleich Pfandverschreibun-


52) Zimmermann, Über Mecklenburgs Kreditverhältnisse. 1804.
53) Für die Konsenserteilung bzw. für die Konfirmation mußten hohe Sporteln und bei der Errichtung quasi öffentlicher Hypotheken Notariatsgebühren bezahlt werden.
54) Aufsatz des Dr. Ackermann, "worin gezeigt wird, wie es in den Debit- und Concursprozessen nach den gemeinen und Landesgesetzen gehalten werden sollte" usw. 1771.
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gen geschaffen werden, wodurch dann ältere hypothecarii wieder verdrängt werden. Und mit Verleihung solcher Vorzüge geht es so geheim zu, daß auch selbst der wachsamste Creditor solche nicht entdecken kann. Heute wird z. B. Consens bei der Regierung und vielleicht am nämlichen Tag noch bei der Schwerinschen, dann bei der Rostockschen Canzley, dann beim Hofgericht erwirkt. Oder aber auch man geht im Winkel vor Notario und 3 Zeugen und macht eine hypothecam quasi publicam."

Die aus dem Hypothekensystem sich ergebende Verschleierung aller Realkreditverhältnisse ermöglichte den Schuldnern, wohlbegründete Rechte der Gläubiger zunichte zu machen. Die gewöhnlichen Hypotheken boten den Kreditgebern im Konkurse fast keine Sicherheit. Angesichts dieser unsicheren Rechtszustände nahmen die Kündigungen von Hypothekenforderungen nach dem Kriege immer größeren Umfang an, bis schließlich infolge allgemeiner Vertrauenslosigkeit der ritterschaftliche Realkredit völlig zusammenbrach. Hier muß jedoch bemerkt werden, daß die mangelhafte Ordnung des Konkurswesens die Kreditkrise wesentlich in die Länge gezogen hat.

2. Kapitel.

Das Konkurswesen.

Eine mecklenburgische Konkursordnung hat es nie gegeben. Die Rechtsgrundlage für das Konkurswesen jener Zeit bildeten neben dem gemeinen Recht einige ältere landesherrliche Konstitutionen und der Gerichtsgebrauch. Durch die landesherrlichen Konstitutionen wurde das Konkursrecht und -verfahren nur in einzelnen Teilen geregelt. Das gemeine Recht galt subsidiär. Nach den Bestimmungen des gemeinen Rechts stand das Konkursverfahren unter der Leitung und Aufsicht des Richters. Das Verfahren hatte streng prozessualischen Charakter und war in bestimmte, aufeinanderfolgende Abschnitte eingeteilt, die im einzelnen durch Richterspruch abgeschlossen wurden.

In älteren Zeiten, d. h. vor dem Dreißigjährigen Kriege, wurde bei Zahlungsunfähigkeit außerhalb des Konkurses strenge Exekution in das bewegliche Vermögen vorgenommen. Blieb die Mobiliarexekution ohne Erfolg, so fand die Adjudikatgebung statt, d. h. ein nach der Landtaxe der

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Forderung entsprechendes Grundstück des Schuldners wurde dem klagenden Gläubiger zu Eigentum übertragen, jedoch unter Vorbehalt des Rückkaufrechtes für den Schuldner. Der adjudikatorische Gläubiger durfte das Adjudikat verpachten oder verkaufen; der Verkaufserlös durfte jedoch die Schuldforderung nicht übersteigen. Im Konkurse des Schuldners war das Adjudikat aussonderungsfähig. Bisweilen sprachen die Gerichte dem Gläubiger auch ein Nutzpfand (antichresis) an Grundstücken zu. In diesem Falle hatte der Gläubiger lediglich das Recht, die Grundstücksnutzungen auf die Zinsen zu verrechnen.

Im Konkursfalle hatten die Schuldner nach der Hof- und Landgerichtsordnung von 1622 55 ), sofern sie ohne eigenes Verschulden in Not geraten waren, die einzige Vergünstigung, durch Abtretung ihrer Güter die Schuldhaft abzuwenden (beneficium cessionis bonorum).

Bemerkenswert ist, daß nach einer Herz. Konstitution vom 27. I. 1619 "in klaren auf Hand und Siegel beruhenden Schuld- und Gelübdesachen keine Appellationes vom Hof- und Landgericht angenommen, noch darüber Prozesse erteilet" werden durften. Auch das Allerhöchste Kaiserl. Privilegium de non appellando von 1651 schrieb vor, daß alle liquiden Schuldsachen von der Appellation an das Reichskammergericht ausgenommen sein sollten.

Im älteren Konkursverfahren wurde die sogen. datio in solutum secundum taxam nicht in Anwendung gebracht. Die Gläubiger waren also nicht verpflichtet, Güter nach der Taxe an Erfüllungs Statt anzunehmen.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurde mit Rücksicht auf die großen Verwüstungen in Mecklenburg dieses einen starken Gläubigerschutz enthaltende Recht zugunsten der Schuldner gemildert.

In Verbindung mit den damals von Zeit zu Zeit landesherrlich erlassenen Indulten waren für die Schuldentilgung folgende Grundsätze festgesetzt worden. Die Zinsen wurden vom Kapital streng geschieden und blieben bei nicht erfolgter Zahlung beitreibungsfähig. Geringere Kapitalien, nämlich solche bis zu 400 Taler, waren vom Indult ausgeschlossen und mußten bezahlt werden. Bei den größeren Kapitalien wurde


55) Part. 2 Tit. 45.
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die Exekution hinausgeschoben, wenn der Schuldner Gläubiger des Landkastens war. War dies nicht der Fall, so wurde die Sache "zum gütlichen Verhör" vor ein Gericht gebracht. Alsdann war die festgestellte Art der geschuldeten Kapitalien entscheidend. Restkaufgelder mußten schlechterdings bezahlt werden, während es bei den "Umschlagsgeldern" auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gläubigers und Schuldners ankam. Benötigte der Gläubiger sein Kapital z. B. zur Aussteuer seiner Kinder, zum Ankauf von Erb- und Lehngütern oder in ähnlichen dringenden Fällen, so mußte auf Abtragung des Kapitals erkannt werden. In allen sonstigen Fällen gab die Sicherheit des Schuldners den Ausschlag. War ausreichende Sicherheit vorhanden, so mußte der Gläubiger sein Kapital stehen lassen.

Schon damals wurde von Schuldnerseite versucht, außerhalb des Konkursverfahrens die Gläubiger gegen ihren Willen statt bar, mit Grundstücken nach einer "fingierten" Taxe zu befriedigen. Zu einer gültigen Entscheidung, ob durch diese "Hingabe an Erfüllungs Statt" (datio in solutum secundum taxam) eine rechtmäßige Schuldentilgung bewirkt würde, war es nicht gekommen. Ebensowenig hatte sich hierin eine gewohnheitsrechtliche Norm gebildet. Von der Ritter- und Landschaft wurde damals die Hingabe an Erfüllungs Statt ausdrücklich für einen nur in der Kriegszeit mit Rücksicht auf den Mangel an Käufern notwendigen Behelf erklärt.

Für die Darstellung des mecklenburgischen Konkurswesens nach dem Siebenjährigen Kriege liefert die bereits genannte Denkschrift der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei aus dem Jahre 1770 einen aufschlußreichen Beitrag. Die Verfasser dieser Denkschrift, die nachfolgend im Wortlaut teilweise wiedergegeben wird, führen die schweren Mängel im Konkurswesen vornehmlich auf die Abkehr von den älteren Rechtsgrundsätzen bzw. auf deren fälschliche Auslegung zurück.

"Nur dies ist unsere Meinung, daß der Abstand heutiger Zeit von der vorigen alten die Gerechtigkeitspflege, die der Zeit galt, dergestalt verdunkelt habe, daß man das bekannte "inter arma silent leges" in Mecklenburg nicht anders als also erklären kann: im alles verwüstenden (Dreißigjährigen) Kriege sprach gleichwol die Gerechtigkeit laut, izt bei vollen

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gesegneten Frieden soll sie schweigen. Die starke Stimme der Gesetze jener Zeiten hat sich bereits oben hören lassen 56 ). Wie so herzlich wünschten wir, daß die heutige dem Gläubiger, ja dem auswärtigen fremden Gläubiger im Frieden nur das zuspräche, was jene dem der Zeit sich nur untereinander selbst mit Geld aushelfenden Mecklenburger von seinem Landsmann im Kriege zuerkannte."

"Hier ist das betrübende Bekenntnis der heutigen Grundsätze."

1. "Der Zeit mußte das Gericht ungeachtet des Indults dem Mecklenburger gegen den Mecklenburger durch Execution zu den Zinsen verhelfen."

"Jetzt bei Ruhe bittet der Auswärtige um seine Zinsen vergebens; die steten Suspensiones executionum halten auch deren Bezahlungen auf."

2. "Der Zeit konnten kleine Kapitalien zu 2-400 fl executivisch beigetrieben werden."

"Jetzt ist dies durch die häufigen Executionsaufhebungen nicht einmal bei kleinen Posten von 100, ja 20 und 10 Rthlr. möglich."

3. "Der Zeit konnten ungeachtet des Indults rückständige Kaufgelder executivisch beigetrieben werden."

"Jetzt darf der Auswärtige, auf den solche Gelder per cessionem gekommen, nicht daran gedenken, sie außerhalb Concursus wieder zu erhalten, und es fehlt nicht an Exempeln, daß wahre rückständige Kaufgelder in concursu verloren gehen."

4. "Der Zeit mußten die Umschlagsgelder unter bestimmten Voraussetzungen 57 ) bezahlt werden."

"Jetzt darf der Auswärtige auf diese Gelder überall nicht eher rechnen, bis er oder seine Erben den Distributionsabschied erlebt und erfahren haben, ob sie darinnen mit genannt sind oder nicht."

5. "Umschlagsgelder waren, wenn Schuldner solche nicht hinlänglich versichern konnte, executionsfähig."

"Jetzt bekommt der Auswärtige weder Geld noch Sicherheit."


56) S. S. 182'83.
57) S. S. 183.
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6. "Der Zeit ..... mußte allen Kirchen und Schulen, Oeconomien, Hospitalien und Armenhäusern zu ihren Forderungen an Capital und Zinsen ganz und unabgebrochen verholfen werden."

"Jetzt gehen sie nach Zinsen vergebens. Die Officianten können ihres so sauer verdienten Lohnes nicht Herr werden und des Hungers sich erwehren."

7. "Arme notdürftige Witwen und Waisen fanden damals bei der Billigkeit des Richters sichere Zukunft. Jetzt nicht."

"Dies ist das wahrhafte Bild unserer heutigen Justiz in ihren Grundsätzen an sich. Ist aber etwa unsere heutige Prozeßweise besser? So betrübend jenes Bild ist, so gewiß ist es gleichwohl, daß es nicht dem Mangel der Gesetze zugeschrieben werden kann, sondern daß vielmehr dieses alles nicht sein würde, nicht sein müßte, wenn die Gerichte vom alten weniger abgegangen wären und dem Schuldner mehr eingeräumt hätten, als ehedem der gerechte Ernst des Alten erlaubte."

1. "Ehedem erfolgte nicht eher die Aufhebung der Execution, wenigstens in Rücksicht auf Zinsen, bis der Gläubiger befriedigt war."

"Jetzt soll jede Idee des Schuldners, nach welcher es ihm beliebt, sich reicher zu bilden als er ist, den Gläubiger sich zu fügen zwingen, dem er bei Weigerung, ihm sonst seine Zinsen nicht zahlen zu wollen, sogar in Briefen mit frecher Kühnheit droht; soll jede solche Idee den Gerichten Grund genug sein, allenthalben nicht nur auf Kapital, sondern auch sogar auf Zinsen die Execution aufzuheben. Hat ein Richter nicht darauf gehört, so ist es nicht selten zu Beleidigungen seiner Person gekommen.

2. "Ehedem durfte der Schuldner es sich nicht beikommen lassen, einmal des Beneficii cessionis 58 ) würdig gehalten zu werden, ehe er mit seinen Gläubigern zu Recht ausgemacht hatte, ob er auch des beneficii cessionis würdig genug war."

"Jetzt wird ihm erlaubt, mit nie erhörter Dreistigkeit seine Gläubiger durch proclamata zur Taxe 59 ) hinzuziehen, sich zum Herrn über Gesetze, ja zum Gesetzgeber gegen seine


58) S. S. 182.
59) Im Verfolg der dationis in solutum secundum taxam (s. S. 182).
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Gläubiger aufzuwerfen, und sich also von der Verbindlichkeit loszureißen, ihnen in foro competente Red und Antwort zu geben, ob er Fallit oder würdiger Mann und des Beneficii cessionis wert sei."

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

6. "Ehedem mußte der Schuldner und Cedent, solange er auf den cedirten Gütern war, nur auf seine Kosten den Concurs möglichst befördern, wollte er nicht Gefahr laufen, daß der Concurs cassirt und jedem Gläubiger seine Forderung besonders beizutreiben freigelassen ward."

"Jetzt cedirt er nicht, stürzt aber die Gläubiger in die Kosten und genießt dafür die Nutzungen des Gutes selbst."

7. "Ehedem ward der Schuldner, wenn er sich einige Male den Concurs zu betreiben vergeblich auffordern ließ, citirt, sein Urteil anzuhören, das ihn des beneficii cessionis unwürdig, hingegen der Ahndung der Gesetze und der bekannten Strafe (Schuldhaft) würdig achtete."

"Jetzt weiß er das Mittel, seine Gläubiger Jahre hindurch auszuhalten, nicht zu cediren, weder Zinsen noch Capital zu zahlen, vielmehr lieber das Land sicher räumen zu dürfen."

8. "Ehedem ward dem Schuldner nach Eröffnung des Konkurses sogleich ein Curator gesetzt, die Aufkunft der Güter ins Gericht gebracht und das Vermögen inventirt und besiegelt."

"Jetzt darf er ohne Aufsicht bleiben, die Aufkünfte verzehren, im Hause aufräumen, davongehen und erst sodann inventiren lassen."

Endlich wird in der Denkschrift noch betont, daß die von den Schuldnern im Konkurse "mit so großem Ungestüm gesuchte" datio in solutum secundum taxam ohne Einwilligung der Gläubiger nach den Gesetzen nicht statthaft sei. Gerade über diesen Punkt war nach dem Siebenjährigen Kriege ein heftiger Meinungsstreit im Lande entstanden. Ohne Frage wäre die datio in solutum ein geeignetes Mittel gewesen, die vielen verderblichen Konkurse schneller zu Ende zu führen, wenn ein zuverlässiges Taxwesen bestanden hätte. Die älteren Taxgrundsätze 60 ) aber waren infolge der gegen früher


60) Diese wurden zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges eingeführt und bei der Bemessung einer Kriegsvermögenssteuer angewendet.
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grundlegend veränderten Wirtschaftsweise unanwendbar geworden; z. B. wurde die Bonität des Ackers nicht berücksichtigt.

Begegnete die Anwendung der datio in solutum also schon von der Taxseite her den größten Schwierigkeiten, so war sie aber auch in der Form, wie sie nach dem Siebenjährigen Kriege angewendet wurde, ein Unding. Die Schuldner übergaben in ihrer ungehinderten Eigenmächtigkeit gleich nach der Konkurseröffnung irgendwelchen Gläubigern ohne Berücksichtigung der Prioritätsrechte und ohne jede gerichtliche Mitwirkung die Güter an Erfüllungs Statt. Tatsächlich war diese datio in solutum nichts anderes als ein "Geschäft" zwischen Schuldner und einzelnen Gläubigern. Der Gläubiger aber war, wenn er nicht leer ausgehen wollte, schon zur Annahme in solutum genötigt, trotzdem das schuldnerische Vorgehen durchaus gesetzwidrig war und die Ordnung des Konkurswesens über den Haufen warf 61 ).

Zeigt uns schon die Denkschrift in anschaulicher Weise, wie das ältere Vollstreckungs- und Konkursrecht nach dem Siebenjährigen Kriege in völligen Verfall geriet, so sei noch an einigen besonders ausgeprägten Mängeln dargelegt, daß der Verfall vornehmlich in der überaus dürftigen Landesgesetzgebung begründet lag.

Der kostspielige und langsame Gang der Konkursprozesse 62 ) hatte seinen Hauptgrund in der Einrichtung des Aktorates, d. i. die Einsetzung eines gemeinsamen Anwalts (actor communis). Diesem lag die Vertretung der Gläubiger ob. Entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wurde diese Einrichtung im 18. Jahrhundert gang und gäbe. Nettelbladt berichtet hierüber a. a. O.: "Die Richter jener älteren Zeit ließen ruhig diesen summarischen (Konkurs-) Prozeß, der ein richterlich administratives Verfahren erfordert, den Charakter des gewöhnlichen Civilprozesses annehmen 63 ).


61) Nach der Hof- und Landgerichtsordnung, Teil II Tit. 45, war lediglich die bereits erwähnte cessio bonorum zulässig, deren Durchführung die Gläubiger und das Gericht vornehmen mußten.
62) Nach Nettelbladt, Bemerkungen über einige Gegenstände des meckl. Konkursprozesses, 1810, waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Konkursprozesse von 30 und selbst 50jähriger Dauer nicht ungewöhnlich.
63) Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß innerhalb des Konkursverfahrens zahlreiche Zivilprozesse geführt wurden, die aus irgendwelchen Streitigkeiten hervorgingen und die Konkursdauer bis ins ungemessene verlängerten.
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So ward der actor communis Partei und, indem dieser Mittelsmann unmittelbare Berührungen des Richters und der Creditoren möglichst verhinderte, zugleich unumschränkter Dirigent des creditorischen Corps, ja des ganzen Concursverfahrens. Dies war die natürliche Folge, sobald der Grundsatz des gemeinen Prozesses - es findet keine richterliche Tätigkeit ohne Anforderungen der Parteien statt - in das Concursverfahren aufgenommen wurde. In dieser Gestalt genügte ihm (dem gemeinsamen Anwalt) nicht mehr die gerichtliche Vertretung des creditorischen Corps; sondern jedes mit der creditorischen Gesamtheit in irgend einer Beziehung stehende Geschäft, ja die Güterverwaltung selbst, zog er an sich."

"Das Actorat ist eine Pfründe geworden. Man ist bestrebt, sich so lange wie möglich im Besitz derselben zu erhalten. Durch die Kunst, alles zu verwirren, zu verweitläuftigen und zu verschleppen 64 ), eröffnet sich die Aussicht, zeitlebens sich diese vortreffliche Geldgrube zu erhalten."

Da die Massekosten aus der Konkursmasse vorweg zu berichtigen waren, fielen bei den hohen Aktorats- und Prozeßkosten in der Regel die jüngeren Gläubiger mit ihren Forderungen aus.

Als Zeugnis für die herrschende Rechtsverwirrung sei folgendes bemerkt. Mit "Adjudikation" bezeichnete man außer der eigentlichen Adjudikation in der Zwangsvollstreckung 65 ) auch die Antichrese sowie im Konkursverfahren die gerichtliche Zuerkennung eines Grundstückes an die Gläubiger 66 ), wenn es an einem Käufer fehlte. Mit der gerichtlichen Zuerkennung eines Grundstücks galten die schon vorhandenen hypothekarischen und sonstigen Rechte Dritter als getilgt 67 ). Anscheinend hat die unzweckmäßige Terminologie für die ihrem Zweck und ihrer Wirkung nach grundverschiedenen Rechtsinstitute dahin geführt, daß alle drei Arten der "Adjudikation" miteinander verwechselt wurden. Selbst die höchsten Gerichte in Mecklenburg waren sich über das Wesen


64) Die Konkursverschleppung wurde hauptsächlich durch Einlegen von Rechtsmitteln betrieben. Hierzu boten vorzüglich die Sonderprozesse Gelegenheit.
65) S. S. 181 '82.
66) Diese beruhte auf einer landesherrlichen Verordnung vom 29.I.1646. Näheres hierüber s. S. 190/91.
67) v. Kamptz, Handbuch d. meckl. Civilproz. 1811, S. 189.
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der Adjudikation im Zweifel. In dem oben genannten Erachten der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei lesen wir hierüber:

"Nach den Folgen, so die Praktik bei uns der adjudication beigelegt, ist ein Adjudicat ein Dominium, kein Dominium, mehr als das größte Dominium in der Welt. Bei diesen diametralisch sich widersprechenden Eigenschaften und bei den so wichtigen Folgen, welche das Unding demnach bald auf den Adjudicatorium, bald auf den debitorem adjudicatum, bald auf den Concreditorem haben kann, darf es bei der Regulierung des Debitwesens nicht übergangen werden. Und diese praktische Folge ist es, die besonders einem Auswärtigen und Fremden, wenn er irgends umsichtig ist, abschrecken muß, seine Gelder in einem Lande zu verleihen, worüber ihm heute, da er anleihet, die bündigsten Hypotheken unter Landesherrlichem Consens, höchsteigenem Namen und Insiegel versichert, morgen aber schon durch ein Adjudicat von einem Dritten extinguiret werden. Heutzutage, wo die Zahl auswärtiger Creditorum die Zahl einheimischer Creditorum vielleicht schon übersteigt, wo die Bürgschaften sehr selten geworden sind, und es einem auswärtigen Gläubiger wohl nicht angemutet werden kann, sich einen eigenen Agenten in Gerichten zu halten, müssen wir wohl bekennen, daß der effectus extinctivus der adjudicate uns als eine besonders für auswärtige Creditores ausnehmend harte, und sie vom Anleihen sehr abschreckende Sache vorkomme."

Da man hiernach anscheinend jeder Adjudikation schlechthin die Wirkung beimaß, alle vorhandenen Rechte zu tilgen, waren die Schuldner bestrebt, auf Konkurseröffnung dringende Gläubiger durch Anbieten von Adjudikaten zu beschwichtigen.

"Als Beruhigungsmittel bietet der Schuldner dem klagenden Creditor ein zu nehmendes adjudicat an, und hiermit verdrängt er jeden anderen Creditor, selbst den väterlichen und großväterlichen, die pia Corpora, die consensuirten oder hypothecam habenden, auch den, der an einer unprivilegirten Pfandverschreibung sich sonst sicher gehalten. Das Erbieten zum Adjudicatnehmen geht wohl gar an Chirographarias" 68 ).


68) Aufsatz des Dr. Ackermann, "worin gezeigt wird, wie es in den Debit- und den Conkursprozessen nach den gemeinen und Landesgesetzen gehalten werden sollte" usw. 1771.
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Zimmermann 69 ) nennt die Adjudikation einen "häßlichen Flecken unserer Nationalredlichkeit".

Eine Verschleppung der Konkurseröffnung konnten die Schuldner aber auch noch auf anderem Wege erreichen. Da nur bei Vermögensunzulänglichkeit der Konkurs eröffnet werden durfte, so mußte an den Schuldner vorher eine Aufforderung zur Darlegung der Suffizienz ergehen (provocatio ad demonstrandum sufficientiam). Diesen Umstand machten sich die Schuldner zunutze, durch Vorspiegelungen aller Art die Gläubiger von der Vermögenszureichlichkeit zu überzeugen. Waren die Gläubiger nicht einverstanden, so kam es zur Taxation, deren Ergebnis mangels brauchbarer Taxprinzipien von der Willkür der Taxatoren abhing und nicht selten zugunsten der Schuldner ausfiel, wenn auch eine tatsächliche Überschuldung vorlag. Dabei ist zu bemerken, daß bis zur endgültigen Erledigung des Suffizienzpunktes alle Exekutionen gegen den Schuldner ausgesetzt wurden und dieser zum Schaden der Gläubiger seine Güter weiter nutzen und verschulden konnte. Hierfür blieb infolge der regelmäßig entstehenden Taxationsstreitigkeiten immer noch viel Zeit übrig.

Auch hinsichtlich der Ab- und Aussonderungsrechte im Konkurse bestanden Zweifel und Meinungsverschiedenheiten bei den Gerichten, die langwierige Auseinandersetzungen verursachten und die Durchführung der Konkurse häufig um Jahre verzögerten.

Nach der Hof- und Landgerichtsordnung von 1622 70 ) mußte die Verwertung der Konkursgüter im Wege des Privatverkaufes durch die Gläubiger erfolgen. Dieser Grundsatz ließ sich im Dreißigjährigen Kriege nicht aufrechterhalten, da es an Käufern mangelte. Deshalb wurde durch Verordnung vom 29. I. 1646 bestimmt, daß sämtliche Gläubiger innerhalb zwölf Wochen nach Bekanntgabe des Prioritätsbescheides "die Taxation der cedirten 71 ) Güter unnachlässig befordern, dieselbe verkaufen oder, da sie sobald keinen Käufer bekommen können, alsdann diejenigen, welche nach der Prioritäts-Urthel und gemachten Tax ihre Bezahlung bekommen können, dieselben Güter nach dem gemachten Tax solange, bis


69) Mecklenburgs Kreditverhältnisse 1804, § 60.
70) Part. II Tit. 45 § 5.
71) Auf Grund des beneficii cessionis bonorum (s. S. 182).
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sie einen Käufer (darum sie sich doch höchlich bemühen sollen) gefunden haben, in solutum annehmen und entweder durch einen gemeinen Curatorem, oder wie sich sonsten damit können vertragen, verwalten lassen und die Intraden pro rata ihre Forderung unter sich theilen und genießen." Diese Vorschrift fand auch nach dem Siebenjährigen Kriege bei zedierten Gütern Anwendung, wenn sich keine Käufer fanden. Durch unzutreffende Auslegung leitete man daraus aber auch das Recht der oben erwähnten dationis in solutum secundum taxam bzw. der Gewährung eines Adjudikats ab. Tatsächlich lag es aber gar nicht im Sinne der genannten Verordnung, den in die Konkursgüter eingewiesenen Gläubigern auch das Eigentum bzw. ein Adjudikat zu übertragen. Vielmehr sollte das Gut bis zum Verkauf den Gläubigern möglichst nach der im Prioritätsurteil festgesetzten Rangfolge "zum privaten Genuß" eingeräumt werden. Dadurch sollte verhütet werden, daß die mit dem Kapital gleichen Rang habenden Zinsen, besonders der älteren Gläubiger, nicht übermäßig anwüchsen und die nachgesetzten Gläubiger leer ausgingen. Beabsichtigt war also lediglich ein Schutz für die nachgeordneten Gläubiger.

Häufig wurden Kaufgebote unter dem Taxwerte gemacht. Einem Verkaufe unter der Taxe aber widersprachen die im Rang zurückstehenden Gläubiger, um nicht zu verlieren. Ohne das ihnen zustehende jus offerendi 72 ) in Anwendung zu bringen - weil der Wiedereingang des hierfür verwendeten Kapitals im Hinblick auf die lange Konkursdauer und die entstehenden hohen Konkurskosten unsicher war -, beriefen sie sich vor Gericht meistens mit Erfolg auf das sogen. privilegium taxae 73 ), wonach ein Verkauf unter der Taxe angeblich nicht zulässig war.

Nun waren aber die Taxationen infolge der veralteten Taxgrundsätze durchaus unzuverlässig, die Taxwerte fielen in der Regel viel zu hoch aus. "Die Güter wurden zu einem idealen Wert in die Höhe getrieben." Deshalb fanden sich auch keine


72) Danach konnten sie durch Ausbezahlung der Vormänner deren Rechte an sich bringen und so verhindern, daß ihre eigenen Interessen beim Verkauf nicht berücksichtigt wurden.
73) Dieses Privilegium beanspruchten die nachgeordneten Gläubiger auf Grund des ihnen zustehenden juris offerendi.
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Käufer. Der übertriebene Taxwert schloß von vornherein jeden Vorteil beim Ankauf aus. So ist es erklärlich, daß auch Auswärtige - wenn es schon im Lande selbst an Kauflustigen gefehlt haben mag - zum Erwerb der Konkursgüter nicht geneigt waren.

Hinzu kommt, daß die Güter während der langen Administration meistens vollständig heruntergewirtschaftet wurden. Es mußte zwar im Konkurse ein Güterverwalter (curator bonorum) bestellt werden, doch wurde dieses Amt meistens dem gemeinsamen Anwalt oder einem sonstigen Advokaten übertragen. Diese aber waren durchweg der Wirtschaftsführung unkundig, häufig auch unredlich, so daß eine sachgemäße und einwandfreie Administration zu den Seltenheiten gehörte.

"Es gehet zwar ein Administrator aufs Gut. Allein er administrirt nicht. Der Schuldner behält freie Hände und zieht fast alles ein, so daß der Administrator kaum abgelohnt werden kann. Ja, der Schuldner, der vorher mit vieren gefahren, fährt dann mit sechsen, wenn er einen Administrator hat."

"Gar viele Schuldner machen es kurz vor dem Ausbruch ihres gänzlichen Verfalls, auch während der Proclamationszeit und so lange bis sie des ihrigen entsetzt sind, so: Sie versilbern pretiosa, Mobilien, beste Kleidungsstücke, irgend entbehrliches Vieh, Holz, Korn, Viktualien usw. für Spottgeld; auch wird vieles bei Seite gebracht, so daß es auf manchem Gute ratzenkahl ist, wenn Creditores kommen. Davon wird nichts gemacht und der Richter ist inactiv" 74 ).

Die Mißwirtschaft auf den Konkursgütern muß wirklich sehr groß gewesen sein, denn nach einer Denkschrift aus dem Jahre 1776 75 ) hatten in den voraufgegangenen zehn Jahren von 40 Gütern etwa zwanzig keinen Reinertrag abgeworfen, zehn davon hatten sogar noch Schulden aufgenommen. Bei den übrigen wurden zwei bis drei und nur in sehr wenigen Fällen vier Prozent von dem nach mäßiger Taxe errechneten Wert herausgewirtschaftet.

Alles in allem bietet das mecklenburgische Konkurswesen jener Zeit ein Bild vollkommenster Rechtsunsicherheit: kein einheitliches Verfahren bei den Gerichten, Passivität des


74) Aufsatz des Dr. Ackermann, 1771.
75) "Gedanken über die Administration in Concurs befangener Güter durch eine besondere Administrationskommission."
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Richters und infolgedessen willkürliches Verfahren seitens der Advokaten. Dieser Zustand war nur möglich, weil es an eindeutigen und umfassenden Konkursvorschriften fehlte. Die wenigen alten Landeskonstitutionen, die neben dem gemeinen Recht Geltung hatten, wurden von den allmächtigen Advokaten so ausgelegt und angewendet, wie es das Interesse der vertretenen Partei und nicht zuletzt der Advokaten selbst erforderte. "Ein großer Teil der Advokaten, die Uns nicht unbemerkt geblieben, sinnen täglich auf neue Erfindungen, zum Vorteil der Debitorum die Creditores mit den unrechtfertigsten Aufzüglichkeiten zu ermüden" .... 76 ). Welch goldene Zeiten der Advokatenstand in Mecklenburg damals erlebte, mag aus folgender Schilderung eines Gutsbesiters 77 ) erhellen. ".... es ist nicht recht und wider alle Billigkeit, daß die Advokaten wie die Cavallier gekleidet gehen, auch ihre Bedienten mit besetzten Kleidern und seidenen Strümpfen, das diese mit Gutsch und Pferde fahren, sich Reitpferde halten, dabei die kostbahrsten und feinesten Weine und die besten Liqueure trinken, ..... da doch bekannt wie pauvre diese Leute hieselbst in Schwerin angekommen. In keinem Lande finden sich so viele Advokaten wie in Mecklenburg und diese Anzahl wird alljährlich um ein merkliches vermehret" 78 ).

Der grenzenlose Wirrwarr im Konkurswesen hatte eine vielleicht noch unheilvollere Wirkung auf den Agrarkredit in Mecklenburg als das mangelhafte Hypothekenrecht. Die unprivilegierten Gläubiger, d. h. die große Mehrzahl aller Gläubiger, gingen in den Konkursen fast stets leer aus. Dieses führte schließlich dahin, daß selbst vertrauenswürdigen Kreditsuchenden bestenfalls nur noch gegen Einräumung von Eigentums-, Adjudikats- oder sonstigen Aussonderungsrechten Leihkapitalien überlassen wurden. Nach den gemachten Erfahrungen konnten Leihkapitalien eben nur dann als hinreichend gesichert gelten, wenn die als Sicherheit verschriebenen Liegenschaften von der Einbeziehung in das Konkursverfahren von vornherein ausgenommen blieben.

Besonders schädlich wirkten die Verhältnisse auf den auswärtigen Kredit, der schon damals für das mecklen-


76) Reskript vom 30. 9. 1769 an die Justizkanzlei in Rostock.
77) Denkschrift des F. W. Boye, Schwerin, vom 4. III. 1774.
78) Nach Boll a. a. O. S. 398 gab es 1776 in Mecklenburg-Schwerin 130 Advokaten.
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burgische Agrarwesen eine bedeutende Rolle spielte. Im 18. Jahrhundert hatten die mecklenburgischen Gutsbesitzer in ständig zunehmendem Maße aus den benachbarten Städten, wie Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Celle usw., Kredit bezogen. Die auswärtigen Geldgeber stellten aber jede weitere Kreditgewährung ein, da auch sie in den Konkursen große Ausfälle zu verzeichnen hatten.

Abschließend können wir zusammenfassen: Die lange Dauer der Kreditkrise ist vorwiegend eine Folge des mangelhaften Kreditrechts gewesen. War schon das Hypothekenrecht in seiner veralteten Form für die infolge der umwälzenden Wirtschaftsentwicklung erweiterten Kreditbedürfnisse völlig ungenügend, so muß das Landeskonkursrecht in seiner fragmentarischen Gestaltung als geradezu rückständig bezeichnet werden. Für eine Neubelebung des Agrarkredits wäre folgerecht in erster Linie eine grundlegende Reform des bestehenden Kreditrechts vonnöten gewesen. In welchem Maße diesem so dringenden Bedürfnisse Rechnung getragen worden ist, soll im folgenden Abschnitt gezeigt werden.

 

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III. Abschnitt.

Die Bestrebungen zur Beseitigung der Kreditnot.

1. Kapitel.

Versuch einer Reform des Kreditrechts.

1765 ließ der Schweriner Landesfürst auf dem Sternberger Landtag der Ritter- und Landschaft die Abstellung der überhandnehmenden Mißbräuche in den Debit- und Konkursprozessen zur patriotischen Erwägung empfehlen. Nach vorbereitender Tätigkeit zweier Kommissionen, die 1765 bzw. 1766 vom Landtag gewählt worden waren und aus ritter- und landschaftlichen Deputierten bestanden, wurde von einer weiteren ebensolchen Kommission zu Anfang des Jahres 1768 ein ausführliches Gutachten über die zur Wiederher-

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stellung des Kredits erforderlichen Maßnahmen ausgearbeitet.

Von den Vorschlägen des Gutachtens verdient derjenige über die Errichtung eines Hypothekenbuchs das weitaus größte Interesse, da er auf eine Verbesserung des Hypothekenrechts abzielte und eine Gesundung des ritterschaftlichen Realkredits herbeizuführen versprach. Die Kommission betonte mit Recht, daß für die Ritterschaft in ihrer Gesamtheit die Einführung eines Hypothekenbuchs nur nützlich sein könne, denn es müsse "dem Kredit notwendig zuträglich sein, wenn jeder auswärtige oder einheimische Creditor sofort mit Zuverlässigkeit die Überzeugung haben kann, daß er sein Geld sicher und wohl bestätiget habe und dasselbe zu aller Zeit ..... wieder erhalten kann". Wohl der größte Teil aller mecklenburgischen Güter sei bis zur Hälfte des Werts, aber auch ein wenig darüber verschuldet. Auf solche Güter werde nur dann Kredit gewährt werden, wenn die Besitzer ihre Vermögenszulänglichkeit, unter Beweis stellten. Dies könne aber nicht überzeugender als durch das Hypothekenbuch geschehen. Der Gläubiger würde dann sein Kapital 30, 40 und 50 Jahre ohne Kündigung stehen lassen.

Aber auch für die hochverschuldeten Gutsbesitzer sei das Hypothekenbuch eine Wohltat. "Sie können ihre Güter nicht ganz und gar und über den wahren Wert mit Schuld belästigen. Sie werden genötigt werden, je eher je lieber die besten Maßregeln zu nehmen, um sich aus dem Gedränge zu helfen, sich mit ihren Creditoribus zu setzen und auch wohl ein kleines Kapital zu ihrem künftigen Soutien zu retten. In 3 oder 4 Jahren würden sie doch ihre Güter verlassen müssen und in der Zeit sich selbst und ihre Creditores noch unglücklicher machen." Sie würden außer dem wenigen noch übrigen Vermögen auch noch Ehre und guten Namen verlieren.

Der von der Kommission vorgelegte Entwurf einer Hypothekenordnung enthielt nachstehende Richtlinien. Die Aufnahme eines Gutes in das Hypothekenbuch wird dem Eigentümer freigestellt. Das bei dem Hof- und Landgericht in Güstrow zu führende Buch erhält folgende Einrichtung. Die Güter werden mit genauer Bezeichnung alphabetisch in dem Buch aufgeführt. Jedes Gut erhält sein Folium. Darauf sind zu verzeichnen: der Eigentümer, das Anspruchsrecht, die Per-

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tinenzien, der Hufenstand (für das Gut und jedes Pertinens getrennt), die Taxe, die jährlichen Abgaben, ferner, ob es sich um ein Fideikommiß handelt bzw. ob ein Familienvertrag vorliegt, wie hoch die Gebäude in der (zu errichtenden) Brandkasse versichert sind, und schließlich Bürgschaften, Kautionen, gesetzliche Hypotheken und die übrigen Pfandrechte. Bei jedem Posten sind Münzsorte und Zinsfuß zu vermerken. Eintragungen in das Hypothekenbuch dürfen nur in Gegenwart des Gerichtspräsidenten durch den beeideten Buchhalter erfolgen. Für Güter, die bis zum Taxwert verschuldet sind, dürfen weitere Eintragungen nicht vorgenommen werden. Den Darlehnsgebern kann durch das Gericht schriftliche Auskunft über sämtliche für ein Gut erfolgte Eintragungen erteilt werden.

In geradezu radikaler Weise sollte das materielle Hypothekenrecht durch folgende Grundsätze verbessert werden. Mit Ausnahme der Eigentumsrechte werden für die in dem Hypothekenbuch eingetragenen Rechte keinerlei besondere Vorzüge gewährt. Die Rangordnung bestimmt sich lediglich nach der Zeitfolge der Eintragungen (System der zeitlichen Priorität). Alle nicht eingetragenen Rechte stehen den ingrossierten nach. Die in den schon bestehenden Hypothekenbüchern eingetragenen Vorzugsrechte, mit Ausnahme der Eigentumsrechte, erlöschen zwölf Jahre nach Inkrafttreten der Hypothekenordnung und rangieren alsdann nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Für die Taxation der Güter wurden nachstehende Richtlinien vorgeschlagen. Nach geschehener Vermessung erfolgt die Bonitierung von Acker, Wiese und Weide durch zwei rechtschaffene und tüchtige Landwirte, die zu beeiden sind. Die Abschätzung geschieht in Form einer Bonitierungstaxe 79 ). Auf den Scheffel Aussaat wird der beste Acker zu 75, der schlechteste bis zu 300 Quadratruten bonitiert; für ersteren wird auf den bonitierten Scheffel 32, für letzteren 8 ßl Ertrag gerechnet. Gartenland wird dem besten Ackerland gleichgesetzt. Bei Wiesen werden auf ein Fuder Heu 100 bis 300 Quadratruten gerechnet; das Fuder wird mit 1 Rtlr. in Anschlag gebracht. Die beste Weide wird zu 100, die schlechteste zu 500


79) Die Bonitierungsklassen stimmen ziffernmäßig mit den für die Errichtung des erbvergleichsmäßigen Hufenkatasters festgesetzten Größen überein.
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Quadratruten bonitiert und mit 24 bzw. 12 bis 8 ßl Ertrag bewertet. Hand- und Spanndienste werden für den Tag mit 6 bis 16 ßl bewertet. Erträge aus Fischereien usw. sowie Holzungen sind nach besonderen Gesichtspunkten zu schätzen und bei Festsetzung der Gutstaxe zu berücksichtigen. Der nach Abzug der öffentlichen Lasten usw. ermittelte Reinertrag wird mit 5 % kapitalisiert. Der so ermittelte Gutswert soll in erster Linie als Beleihungstaxe dienen.

Schließlich ist noch zu bemerken, daß die Vorschriften der Hypothekenordnung nur auf solche Güter Anwendung finden sollten, die im Hypothekenbuch aufgenommen waren.

Von den Vorschlägen des Gutachtens sind an dieser Stelle noch diejenigen über die Verbesserung des Konkurswesens zu erwähnen. Gegen den unverschuldet in Not Geratenen soll mit Nachsicht, gegen den böswilligen Falliten aber mit strengen Strafen vorgegangen werden. Zur gleichmäßigen Feststellung der schuldnerischen Vermögensunzulänglichkeit werden verschiedene Begriffsmerkmale in Vorschlag gebracht. U. a. soll ein rückständiger Schuldner dann nicht zu den Unvermögenden gezählt werden, wenn nach Abzug der fälligen Zinsen, der öffentlichen Lasten usw. noch soviel an Einkünften übrig bleibt, daß er seine Familie standesgemäß unterhalten kann. In Anbetracht der drückenden Zeiten wird für solche Schuldner ein Indult bis zu fünf Jahren für nötig erachtet. Ferner werden zahlreiche Vorschriften zur Beseitigung der bestehenden Mängel im Konkurswesen im Entwurf vorgelegt.

Über die Durchführung der gutachtlichen Vorschläge sollte der auf den 26. April 1768 anberaumte Landeskonvent mit Stimmenmehrheit entscheiden.

Kaum war das Gutachten in den Kreisversammlungen bekannt gemacht worden, als in zahlreichen Schriften gegen die Durchführung des Vorschlages Stellung genommen wurde. Ein auf dem Amtskonvent zu Güstrow verfaßtes Gutachten 80 ) machte den Anfang. Es wurde darin ausgeführt, daß die Notlage der Gutsbesitzer weniger in dem Kredit- als in dem Geldmangel begründet liege. Eine Reform des Kreditrechtes sei nicht erforderlich und ein Hypothekenbuch


80) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke 1765/68. Für die weitere Schilderung in diesem Kapitel bildet der Inhalt dieser Sammlung die Hauptgrundlage.
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für die mecklenburgische Ritterschaft "nicht anwendlich". Zur Vermehrung der Zahlungsmittel wird die Ablieferung des Silbergeschirrs an den Engeren Ausschuß gegen Ausgabe zinstragender Obligationen und die Aufnahme einer Auslandsanleihe auf den Landkasten in Vorschlag gebracht. Das Anleihekapital müßte von dem E. A. den Gutsbesitzern gegen ausreichende Sicherheit zu 5 % Zinsen ausgeliehen werden. Auch in den übrigen, meistenteils anonymen Schriften wird fast ohne Ausnahme die Einführung eines Hypothekenbuches abgelehnt. Vorgeschlagen wird ferner der Erlaß eines allgemeinen Indults nach dem Beispiele Preußens sowie die Gründung einer Leihebank 81 ), deren Fonds mittels einer Anlage auf die ritterschaftlichen Hufen und einer Auslandsanleihe zu beschaffen sei. Die Abneigung gegen die Einführung eines Hypothekenbuchs war deshalb so allgemein, weil mit ihr die Taxation der Güter verbunden war. Mit Rücksicht auf den gesunkenen Wert der Güter befürchtete man nicht ohne Grund, daß bei dem zu erwartenden niedrigen Ausfall der Taxen noch viele Güter in Konkurs geraten könnten, die sonst vielleicht die schlechten Zeiten überstehen würden. Wenn auch nach dem vorgeschlagenen Entwurf die Aufnahme der Güter in das Hypothekenbuch den Besitzern freigestellt bleiben sollte, so war doch damit zu rechnen, daß wegen des geschwundenen Vertrauens Kredit nur unter der Bedingung der Eintragung in das Hypothekenbuch weiterhin gewährt würde. Den meisten Gutsbesitzern erschien unter diesen Verhältnissen die Offenlegung ihrer Vermögensumstände gar zu gefährlich, und man war der Meinung, daß durch die Einführung eines Hypothekenbuchs der Kreditnot nicht abgeholfen werden könnte. Ferner wurde gegen die Einführung des Hypothekenbuchs eingewendet, daß die Landesfürsten "dadurch eine allzu große Kenntnis von den Kräften des Landes erhalten" würden 82 ), was in steuerlicher Hinsicht, besonders in Kriegszeiten, der Ritterschaft u. U. zum Nachteil werden könnte.

Man erblickte in den Vorschlägen des Gutachtens geradezu eine Gefährdung der im Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich sanktionierten Rechte der Ritterschaft. Der im April 1768 versammelte Landeskonvent wurde von einigen Landräten aus-


81) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766 '68.
82) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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drücklich auf diesen Umstand hingewiesen. "Wenn den Regenten einmal aus freiem Willen ein Gesetz angetragen wird, dadurch man sie zum Mobile des Kredits macht; wenn einmal öffentlich erklärt wird, daß das Hypothekenbuch das Mittel sein soll, durch welches der Landbegüterte zu Kapitalien kommen kann, so ist keine Rückkehr. In einem Lande, das noch Überbleibsel von republikanischem System hat, soll man so wenig als möglich sich zu Fertigung neuer Gesetze bereit finden lassen" 83 ). "Die Landesverfassung habe einen gewaltigen Stoß erlitten; die große Committe (Kommission, die das Gutachten verfaßt hat) habe solche untergraben wollen" 84 ). Auf dem Amtskonvent zu Güstrow wurde erklärt, daß das Hypothekenbuch der mecklenburgischen Freiheit widerstreite und den ehrlichen Mann, der wenig im Gute habe, gleich blutarm mache. Von anderer Seite wurden die Mitglieder der Kommission als "die größten Ignoranten in den Rechten und Vorzügen der Stände, als Unterdrücker der ritterschaftlichen Würde" bezeichnet. Ihre Arbeit zeuge von Zugrunderichtung des alten Adels, Erhebung des Bürgers, von gänzlicher Umgießung der Verfassung des Vaterlandes. Der Bürgerstand wolle sich aus den Ruinen der Ritterschaft vergrößern usw. 85 ). Für die Einführung des Hypothekenbuches wurde im Gegensatz zum vorhergehenden Jahre nur noch vereinzelt eingetreten.

In dem von einer ritter- und landschaftlichen Deputation verfaßten Votum decisivum, das dem Landeskonvent als abschließendes Gutachten über die Vorschläge der großen Kommitte vorgelegt wurde, wird von der Einführung eines allgemeinen Landeshypothekenbuchs abgeraten. Die Deputation erkennt zwar an, daß unter gewissen Voraussetzungen ein Hypothekenbuch nicht unanwendlich sein dürfte. In den "gegenwärtigen" Zeiten würden aus dieser Vorkehrung jedoch Nachteile erwachsen. Haupterfordernis sei, bares Geld herbeizuschaffen und in Umlauf zu bringen. Durch ein Hypothekenbuch würde das Gegenteil erreicht und auch die bestehende freie Ver-


83) Votum consultativum des Landrats v. Bassewitz auf Lühburg vom 28.4.1768.
84) Desgl. der Landräte v. Halberstadt und v. Holstein.
85) Die Zahl der bürgerlichen Gutsbesitzer in M. vermehrte sich in der Zeit von 1703 bis 1793 von 30 auf 111. Besonders nach dem Siebenjährigen Kriege gingen viele Güter in bürgerlichen Besitz über, Boll a. a. O. S. 323.
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schuldbarkeit der Lehnsgüter sehr beschränkt werden. Die Taxe endlich würde manchen wohlhabenden Besitzer ins Elend bringen. Ebenfalls wird der vorgeschlagene allgemeine Landesindult abgelehnt, da er besonders für den auswärtigen Kredit von schädlicher Wirkung sein würde. Die Deputation schlage nur solche Hilfsmittel vor, von denen die Versammlung ohne Landbuch und Taxe, ohne Indult und ohne die geringste Veränderung seiner alten politischen Verfassung Nutzen, bares Geld und Erleichterung für jetzt und künftig zuversichtlich erwarten könne. Dies seien die Aufnahme einer Auslandsanleihe von etwa 500 000 Rtlr. auf den Landkasten und die Verwendung alles überflüssigen Goldes und Silbers zur Münzprägung. Die Anleihe müsse durch den Engeren Ausschuß für 10 Jahre unkündbar mit anschließenden jährlichen Amortisationsquoten von 100 oder 50 000 Rtlr. aufgenommen werden. Von dieser Anleihe würde für jede katastrierte ritter- und landschaftliche Hufe unter gleicher Kündigungsfrist und entsprechender Amortisation 100 Rtlr. ausgeliehen werden. Dadurch käme sogleich eine große Summe Geldes in Umlauf, womit der allernötigste Besatz an Rindvieh, Schafen usw. beschafft werden könnte, ohne von den Wucherern abhängig zu sein. Die regelmäßige Verzinsung und Rückzahlung des Anleihekapitals müßte durch eine verfassungsmäßige Landesanlage auf die katastrierten Hufen sichergestellt werden. Im Schuld- und Konkurswesen müßten die alten Grundgesetze unverändert beibehalten werden.

Die Deputation empfahl diese Vorschläge der Ritter- und Landschaft mit dem Anraten, ein für allemal festzusetzen, "daß von nun an keine anderen Projekte zu einer allgemeinen Prüfung für annehmlich geachtet werden sollen, als solche, die der mecklenburgischen Freiheit nicht entgegen sind und sich auf ihre wohlhergebrachte Verfassung ... auf das genaueste anwenden lassen".

Diese Vorschläge wurden auf dem Landeskonvent in Rostock am 6. Mai 1768 einmütig angenommen. Die Errichtung eines Land- und Hypothekenbuchs wurde "gänzlich auf immer verworfen, um den dadurch den Nachkommen .... erwachsenden Nachteil abzuwenden und Freiheit und Grundgesetze ungekränkt und unumstößlich zu erhalten". Auch der allgemeine Indult wurde abgelehnt, "da zu befürchten, daß Auswärtige

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hiedurch noch mehr abgehalten werden möchten, ihre Gelder hier im Lande zu belegen" 86 ). Bezüglich der Anleihe wurde beschlossen, daß sie in Höhe von 500 000 Rtlr. unverzüglich und unmittelbar an der Quelle unter Führung des Engeren Ausschusses zu 3 bis 3 1/2 % versucht werden solle. Falls zu diesen Zinssätzen die Anleihe nicht zu beschaffen sei, hätten zwei durch Wahl zu bestimmende Beauftragte an der Quelle selbst die Negotiation zu betreiben. - Die landschaftlichen Deputierten erklärten, daß die Städte und deren Kämmereihufen an der Anleihe nicht teilnehmen würden; wegen ihrer ritterschaftlichen Hufen behielten sie sich aber noch die Entscheidung vor. Von der Ritterschaft des stargardischen Kreises (M.-Strelitz) waren nur zwei Deputierte anwesend. Diese erklärten, daß ihre Mitbrüder von der geplanten Anleihe nichts wüßten.

Die vorgeschlagene Ablieferung der Gold- und Silbergegenstände sollte jedem freigestellt bleiben. Bezüglich des Schuld- und Konkursrechtes endlich wurde beschlossen, daß es bei den bestehenden Gesetzen sein Bewenden haben solle.

Schon am 20. Mai 1768 beschloß der stargardische Kreis (Ritter- und Landschaft), der im Gegensatz zum Schweriner Land unter der Kreditnot nur wenig zu leiden hatte 87 ), an der Anleihe nicht teilzunehmen und, falls die Anleihe dennoch von den übrigen beiden Kreisen beschafft würde, zu verlangen, daß der Landkasten von dieser Sache jederzeit ausgeschlossen bleibe. Die ablehnende Haltung wurde in einer öffentlichen Druckschrift insbesondere damit begründet, daß der geplante Leihefonds nur privaten Zwecken 88 ) dienen solle, während der Landkasten nur für allgemeine Zwecke der Stände in Anspruch genommen werden dürfe. In dem Gutachten der großen Kommitte, das die Grundlage für die Wiederherstellung


86) Wenn Boll a. a. O. S. 550 ff. berichtet, daß in Mecklenburg von 1768 bis 1776 ein Indult bestanden hat, so muß er hierbei auf unzuverlässige Quellen (anscheinend auf die Schilderung von Hane, der von Boll auf S. 559 ff. zitiert wird) zurückgegriffen haben. Angaben über einen mecklenburgischen Indult nach dem Siebenjährigen Kriege, die in späteren geschichts- und wirtschaftswissenschaftlichen Werken zu finden sind, gehen wohl hauptsächlich auf das Bollsche Werk zurück.
87) S. S. 175/76.
88) Nach dem Beschluß des Landeskonvents sollte niemand verpflichtet sein, die 100 Rtlr. für eine Hufe anzunehmen. Hierdurch sollte aber die solidarische Haftung aller Hufen nicht berührt werden.
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des Kredits bilden sollte, sei der Plan einer Anleihe auf den Landkasten mit keinem Worte erwähnt. Mangels genügender Bekanntgabe dieses Planes sei der Beschluß des Landeskonvents ungültig. Der aufgestellte Grundsatz, daß durch Stimmenmehrheit entschieden werden könne, ob und wie hoch die Güter der Eingesessenen verpfändet werden sollen, müsse mit Nachdruck abgelehnt werden.

Ferner erhoben Widerspruch gegen die Aufnahme einer Anleihe auf den Landkasten: die Landschaft im Schweriner Lande, die Stadt Rostock, die ritterschaftlichen Eingesessenen der Ämter Crivitz, Grevesmühlen, Wredenhagen und Sternberg, die Eingesessenen der Ämter Grabow, Wittenburg und Mecklenburg sowie mehrere Gutsbesitzer aus anderen Ämtern. Sie alle traten der Auffassung des stargardischen Kreises bei. Vereinzelt wurden auch noch andere gewichtige Gründe gegen die Anleihe vorgebracht. Z. B. befürchtete man, daß der Verkauf eines Gutes unmöglich werde, weil es u. U. für eine Schuld bis zu 500 000 Rtlr. einschließlich Zinsen einstehen müsse. Da der Rang der bereits vorhandenen Schulden durch die zu übernehmende Haftung verschlechtert werde, hätten die hochverschuldeten Güter mit Kapitalkündigungen zu rechnen. Den Überschuldeten würden die 100 Rtlr. per Hufe keine Rettung bringen; der Konkurs ihrer Güter aber würde unnötig hinausgeschoben. Der Geldumlauf im Lande würde kaum vermehrt werden, da ein großer Teil der Anleihe für Beschaffung von Vieh und für Kapital- und Zinszahlungen nach auswärts abfließen werde. Bemerkenswert ist, daß besonders die vorgesehene Solidarhaftung viele zum Widerspruch gegen die Anleihe veranlaßte. Zu bedenken ist allerdings, daß ohne Rücksicht auf den Verschuldungszustand für jede Hufe 100 Taler gewährt werden sollten.

Schließlich wurde die beschlossene Anleihe im ganzen Lande fast ausnahmslos abgelehnt. Der Engere Ausschuß wurde auf dem Antekomitialkonvent vom 12. Oktober 1768 beauftragt, auswärtiges Kapital nur noch zu dem Zwecke aufzunehmen, um die dem Landkasten angeliehenen kleineren Kapitalien inländischer Herkunft abtragen zu können. Man hoffte, daß die frei werdenden Kapitalien das inländische Kapitalangebot zum Nutzen des kapitalbedürftigen Grundbesitzes wieder beleben würden. Von seiten vieler Landkastengläubiger

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wurde jedoch erklärt, daß sie ihr Geld "lieber in die Erde vergraben wollten, als sich den mecklenburgischen Konkursprozessen zu exponieren". Zweifellos war diese Auffassung richtig. Eine grundlegende Reform des Kreditrechtes wäre das erste Erfordernis gewesen, um den Kredit der Gutsbesitzer wiederherzustellen. Freilich waren die Befürchtungen des Adels, daß dabei eine völlige Verschiebung innerhalb des Grundbesitzes eintreten würde, ebenfalls berechtigt. Es wäre eben auch noch die Organisation des Kredits durch ein Kreditinstitut erforderlich gewesen, um durch Bereitstellung ausreichender Kreditmittel zu angemessenen Bedingungen besonders die gefährdeten Gutsbetriebe vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Den engen Zusammenhang zwischen Kreditrecht und -organisation hatte man noch nicht erkannt. Der mit so großer Schärfe geführte Meinungsstreit, ob die Kreditnot durch eine verbesserte Kreditgesetzgebung oder durch die Behebung des Geldmangels zu beseitigen sei, war durchaus müßig.

2. Kapitel.

Die Aufnahme einer ausländischen Anleihe auf den Landkasten.

Bereits im Juni 1768 waren zwei mit den Anleiheverhandlungen beauftragte Deputierte der Ritterschaft nach Holland abgereist. Der außerordentliche Kapitalreichtum dieses Landes schien für eine günstige Unterbringung der Anleihe die besten Aussichten zu bieten. Nach Baasch 89 ) gab es kaum ein europäisches Land, das nicht im Laufe der Zeit holländische Mittel in Anspruch nahm. Infolge des großen Geldüberflusses betrug der holländische Börsenzinsfuß um die Mitte des 18. Jahrhunderts 3 und 4 %. Der Mangel an Anlagemöglichkeiten in der heimischen Wirtschaft trieb das holländische Kapital in ungeheurem Umfange ins Ausland (England, Frankreich). Die großen Geldgeschäfte, die sich meist in Wechseln vollzogen, wurden von Kaufleuten vermittelt.

Nach der den mecklenburgischen Deputierten erteilten Instruktion sollte versucht werden, 500 000 Rtlr. in Neuen Zweidritteln oder in alten vollwichtigen Pistoletten, zahlbar in Hamburg, zu höchstens 4 % auf 10 Jahre aufzunehmen. Unter 5 % war jedoch damals in Holland kein Geld aufzu-


89) Holländische Wirtschaftsgeschichte, 1927, § 7.
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treiben. Alle auswärtigen Staaten, wie Österreich, Schweden, Dänemark, Rußland, Frankreich, Sachsen, Polen und selbst die holländischen Kolonien mußten bei besten Sicherheiten 5 % Zinsen für Anleihen zahlen. Nur die Bank von England nahm wegen ihrer anerkannt großen Sicherheit eine Vorzugsstellung ein. Zu 3 und 3 1/2 % ließ sie in Holland alle nur möglichen Beträge aufnehmen. So konnten die beiden Deputierten dem E. A. aus dem Haag nur berichten, daß in Holland zwar kein Mißtrauen gegen Mecklenburg bestände, aber es herrschte "jetzt unter allen Bankiers eine weit größere Behutsamkeit zu agiren als ehedem. Man hat hier fast von allen Provinzen, ja Königreichen die Wahl, auf Hypotheken Geld zu 5 und 6 % unterzubringen" 90 ).

Die Aussichten auf einen günstigen Abschluß verringerten sich noch mehr, als in der Amsterdamer Zeitung vom 28. Juli 1768 eine "übelgesinnte Notiz" über die Proteste vieler mecklenburgischer "Distrikte" gegen die auf dem Landeskonvent beschlossene Anleihe erschien. Um einer Erschütterung des Kredits begegnen zu können, übersandte der E. A. den Deputierten auf deren Ansuchen eine Aufstellung über den Schuldenstand des Landkastens, der sich damals auf rund 830 000 Rtlr. 91 ) belief. Schließlich wurden die Anleihegeschäfte einem Holländer namens Winter übertragen, da die Deputierten anscheinend der Schwierigkeiten nicht Herr wurden. Winter hoffte, die Anleihe in holländischen Gulden zu 4 % Zinsen bei einmaligen Unkosten von 1/2 % beschaffen zu können. Außerdem stellte er in Aussicht, die Zinsbeträge in Form von Getreidelieferungen entgegenzunehmen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen aber stellte sich heraus, daß unter einem Zinssatz von 5 % kein Geld zu erlangen wäre und die Unkosten 2 % ausmachen würden. Eine Anleihe zu diesen Bedingungen hielt der Engere Ausschuß für unvorteilhaft, zumal auch noch mit Verlusten bei der Realisierung der holländischen Wechselbriefe gerechnet werden müßte. Deshalb wurde die Anleihe suspendiert und beschlossen, durch einen Deputationskonvent über die weiter zu unternehmenden Schritte ent-


90) Acta, die seit 1767 entamierte Geldnegoce betreffend.
91) Die Landkastenschulden bestanden zu etwa 150 000 Rtlr. in kleineren Kapitalien. Die auswärtigen Gläubiger saßen u. a. in Hamburg, Altona, Lübeck, Lüneburg, Wismar, Celle, Schleswig, Berlin,. Stettin, Ratzeburg und Göttingen.
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scheiden zu lassen. Dieser erklärte sich gegen eine Anleihe in holländischen Gulden, da sie mit zu hohen Kosten verbunden sei. Darauf wandte sich Winter im August 1769 an den mecklenburgischen Landtag und verlangte eine Entschädigung, die ihm dann nach längerem Hin und Her in Höhe von 2 000 Rtlr. ausgekehrt wurde. An Reisekosten usw. für die beiden Deputierten wurden insgesamt 2 500 Rtlr. ausgezahlt.

1769 wurde dem E. A. eine Anleihe von 500 000 holländ. Gulden zu 4 1/2 % Zinsen auf 20 Jahre durch einen Bankier Pauli in Lübeck angeboten. Der E. A. lehnte es aber ab, in holländischer Münze anzuleihen.

1770/72 stand der E. A. wegen einer Anleihe von 600 000 Rtlr. zu 4 1/2 % Zinsen auf 20 Jahre mit einem Bankier Crosa in Genua bzw. dessen Gewährsmann in Leipzig (Prof. Richter) in Verhandlungen, die aber ebenfalls zu keinem Ergebnis führten, da die Anleihebedingungen im Laufe der Unterhandlungen immer ungünstiger wurden. Prof. Richter wurden als Ersatz für seine Auslagen 400 Rtlr. bewilligt.

1776 wurde dann nach weiteren inzwischen stattgehabten vergeblichen Anleiheversuchen mit den Bankiers W. Juran u. Fils, Greffulhe & Comp. in Amsterdam erfolgreich verhandelt. Zum Abschluß kam eine Anleihe von 200 000 holländ. Gulden zu 4 % Zinsen bei einer einmaligen Unkostenvergütung von 4 % und einer Kommission bei Rückzahlung des Kapitals von 1/2 %. Die Leihdauer des Kapitals war auf 20 Jahre bemessen; die Rückzahlung sollte anschließend in 10jährlichen Raten zu je 20 000 Gulden in Amsterdam erfolgen. Die Zinsen waren ebenfalls in Amsterdam zahlbar. Das Anleihekapital war in Wechselbriefen an die Bankiers C. Averhoff & von Scheven in Hamburg zu remittieren, die für die Umsetzung der Briefe in Neue Zweidrittel oder Gold die übliche Provision von 1/3 % und für die Übersendung des Geldes nach Rostock ebenfalls 1/3 % erhalten sollten. Die Amsterdamer Firma war von dem E. A. ermächtigt worden, die Anleihe in 200 Schuldverschreibungen zu je 1 000 Gulden unter Beifügung von Zinskoupons zu begeben, was auch geschah. Die Anleihe wurde in kleineren Posten nach und nach von Amsterdam nach Hamburg remittiert, um hier Kursverluste zum Nachteil des Landkastens zu vermeiden. Am 12. Mai 1777 wurde um Übersendung der ersten 20 000 Gulden ersucht; bis Mitte Januar 1778 war die

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Anleihe vollständig übermacht. In Hamburg wurden die Wechselbriefe in Neue Zweidrittel und Gold umgesetzt. Der Landkasteneinnehmer fand aber auch Gelegenheit, einige Wechselbriefe in Rostock anzubringen, so daß hierfür Provision und Porto gespart wurden. Die Rückzahlung der Anleihe wurde gemäß den vertraglichen Bedingungen bis zum Jahre 1807 durchgeführt.

Die Anleihe fand zur Abstoßung einiger hoch zu verzinsenden Schuldposten des Landkastens Verwendung. An den ursprünglich beabsichtigten Zweck, den Geldumlauf im Lande zu vermehren und dadurch eine Linderung der Kreditnot herbeizuführen, wurde nicht mehr gedacht, da z. Zt. des Abschlusses der Anleihe die Kreditkrise sich bereits ihrem Ende genähert hatte.

3. Kapitel.

Vorgeschlagene Maßnahmen zur Beseitigung des Geldmangels.

Als ein wesentlicher Grund für die damalige Notlage der Landwirtschaft wurde u. a. die verschwenderische Lebensweise des Adels angeführt, die häufig zu einer unproduktiven Verschuldung der Güter geführt hätte. Der Aufwand an prunkvoller Kleidung, Schmuckgegenständen und der Verbrauch an ausländischen Weinen, Spirituosen und anderen "Delikatessen" hätten sich seit 20 Jahren außerordentlich vergrößert, und die Spielsucht wäre zum allgemeinen Laster geworden 92 ). Eine Erklärung für die gesteigerte Lebenshaltung finden wir in dem allmählichen Aufschwung der mecklenburgischen Landwirtschaft seit den 30er und 40er Jahren, in dessen Verlauf die Güterpreise eine erhebliche Steigerung erfuhren und die Verschuldung außerordentlich erleichtert wurde 93 ). Daß dabei die aufgenommenen Kapitalien nicht immer produktiven Zwecken zugeführt worden sind, dürfte sehr wahrscheinlich sein. Anscheinend hat sich bis zum Siebenjährigen Kriege das Land überhaupt in einem Zustand steigenden Wohlstandes befunden; denn nach einem Aufsatz der Strelitzer nützlichen Beiträge (April 1768) 94 ) war auch "bei geringen Leuten die Pracht,


92) Votum consultativum der Landräte auf dem Landtage von 1766.
93) S. S. 172.
94) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 550 f.
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sonderlich in der Kleidung, bis aufs höchste gestiegen". "Es ist erstaunlich, was für eine Menge Kaffee ins Land gebracht wird. Es kann auch nicht anders sein, da geringe Leute, nicht allein Handwerker, sondern sogar schon Tagelöhner und Dienstboten, täglich ihren Kaffee trinken."

In zahlreichen Vorschlägen zur Behebung des Geldmangels, den man ja als die hauptsächliche Ursache der Kreditnot ansah, wurde angeregt, die Einfuhr von entbehrlichen Gegenständen zu unterbinden bzw. zu erschweren, um so dem Lande ungeheure Summen, die bisher ans Ausland gezahlt wurden, zu erhalten. Diesen Anregungen folgend, schlug die "große Kommitte" in ihrem Gutachten 95 ) vor, die Stände möchten vereinbaren, für gewisse Gegenstände, die als "luxuriös und im menschlichen Leben entbehrlich" bezeichnet wurden, ein Anschaffungsverbot auf 20 Jahre zu erlassen, um die "Balance zwischen den ein- und ausgehenden Geldern" herzustellen. Unter das Verbot sollten fallen: goldene oder silberne Tressen, Spitzen, Stickereien, Knöpfe usw., Rassestiere, schottische Perlen, feines Porzellan, alle teuren Spitzen und Samtstoffe, alle kostbaren schweren Stoffe, vergoldete Tische, Stühle usw., kostbare Tapeten, feine Kristalle, geschliffene oder vergoldete Gläser, Spiegel im Werte von über 30 Rtlr., Tische aus Marmor, Gemälde, Möbel aus kostbarem ausländischen Holz, wie Mahagoni, Ceder und Zuckertanne, usw. Der gemeine Mann (Bauern, Tagelöhner und Dienstboten) aber dürfte nur von einheimischen Handwerkern verfertigte Kleidungsstücke tragen. Die Durchführung dieser Vorschläge wurde auf dem Landeskonvent, besonders von seiten der ritterschaftlichen Deputierten, abgelehnt.

In einzelnen Schriften versuchte man nachzuweisen, daß Mecklenburgs Handelsbilanz außerordentlich ungünstig sei. Die zwar bedeutenden Einnahmen aus der Getreide- und Wollausfuhr blieben angeblich hinter den Ausgaben, die für die Einfuhr ausländischer Waren geleistet wurden, beträchtlich zurück. Die Handelsbilanz für die Stadt Rostock blieb beispielsweise im Jahre 1767 mit rund 300 000 Rtlr. passiv. Natürlich lassen sich aus einer einzelnen Handelsbilanz der Stadt Rostock noch keine Rückschlüsse auf die Gesamtbilanz des Landes ziehen. Man nahm aber damals wohl nicht ohne Grund


95) S. S. 194/95.
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an, daß Mecklenburg eine ungünstige Zahlungsbilanz hätte, und dachte dabei an die bedeutenden Zins- und Rückzahlungen für auswärts angeliehene Kapitalien. Eine statistische Erfassung des gesamten mecklenburgischen Handels war nicht möglich, da die Ritterschaft ihre Erzeugnisse unmittelbar, d. h. ohne Berührung der Zoll- und Lizenzstädte, ausführen durfte.

Im 18. Jahrhundert dominiert in Europa der Merkantilismus. Es nimmt daher nicht wunder, daß man auch in Mecklenburg die Geldnot mit durchaus merkantilistischen Maßnahmen beseitigen wollte. So finden wir Vorschläge zur Errichtung von Tuch- und Leinenfabriken, um die Produkte des Landes selbst verarbeiten zu können. Sogar an die Errichtung von Seidenfabriken wurde gedacht. Die so überhandnehmende Einfuhr von Mode- und Galanteriewaren, französischen und portugiesischen Weinen sowie von sonstigen entbehrlichen Dingen sollte verboten und die Einfuhr von Kolonialwaren mit Zöllen belegt werden, deren Erträge man den Fabrikanten als Prämien zukommen lassen wollte. Bei der Ausfuhr von Wolle sollte ein Zoll erhoben werden, um den inländischen Tuchfabriken genügend Rohstoff zu sichern. Da das Färben im Lande Schwierigkeiten machen würde, wären den Färbern Prämien und Abgabenfreiheit zuzubilligen. Vorgeschlagen wurden ferner Einfuhrverbote für Flanell, Fries, Serge, für grobe Tücher, Lederzeug, Leinwand usw., da diese Gegenstände im Lande wohlfeil, gut und in genügenden Mengen hergestellt würden. Als ein großer Schaden für das Land wurde der zunehmende Gebrauch von baumwollenen Waren erachtet, deren Einfuhr bei sorgfältigerer Herstellung des inländischen Leinens überflüssig wäre. Die Durchfuhr aller verbotenen und zollpflichtigen Waren sollte unter bestimmten Sicherungsmaßmaßnahmen (Druckfehler) erfolgen.

Über die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen fand ein Meinungsaustausch zwischen dem Landesherrn, dem E. A. und der Stadt Rostock statt, und dabei hatte es sein Verbleiben.

 

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IV. Abschnitt.

Die mecklenburgischen Agrarkreditverhältnisse im Vergleich zu den preußischen.

Die adligen Grundbesitzer in Preußen, vor allem in Schlesien, befanden sich nach dem Siebenjährigen Kriege in einer ähnlichen Notlage wie die mecklenburgischen. Die wirtschaftlichen Ursachen, die in Preußen zur Agrarkreditnot geführt hatten, waren von gleicher Art wie in Mecklenburg.

Die preußische Konkursordnung von 1748 bildete den Ausgangspunkt zu einer allgemeinen erheblichen Steigerung der Güterverschuldung. Die durch dieses Gesetz eingeführte Neuerung bestand darin, daß für die Rangordnung der Hypotheken nur noch der Zeitpunkt der Eintragung in das Hypothekenbuch maßgebend sein sollte. Damit wurde auch der Grundsatz, daß Restkaufgelder nach Ablauf einer bestimmten Frist ihres Vorranges verlustig gingen, aufgegeben. Hierdurch erlangten die sogen. ersten Hypotheken wegen ihrer außerordentlichen Sicherheit große Bedeutung. Waren die Grundstücke bis dahin mit Restkaufgeldern nur kurzfristig belastet gewesen, so waren durch die gesetzliche Neuregelung von nun an der hypothekarischen Dauerverschuldung die Wege geebnet worden. Tatsächlich erlebte der Dauerkredit einen ungeahnten Aufschwung, da die Zession von Kaufgeldhypotheken keine Schwierigkeiten mehr bereitete. Die Hypothek war verkehrsfähiger geworden und hatte gewissermaßen einen Markt bekommen 96 ). Durch die zunehmenden Kreditkäufe trat eine bedeutende Steigerung der Bodenpreise ein. Diese Umstände führten zu einer erheblichen Kauf- und Erbgeldverschuldung, zumal anlagesuchendes Kapital genügend vorhanden war. Die Verschuldung der Güter war also sowohl in Preußen als auch in Mecklenburg zu Beginn des Siebenjährigen Krieges ziemlich hoch. In beiden Ländern hatte den Gutsbesitzern Kredit in reichem Maße zur Verfügung gestanden. Waren in Mecklenburg ungeachtet der mangelhaften Ordnung des Hypotheken-


96) Weyermann a. a. O. S. 65.
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wesens die günstigen Kreditverhältnisse durch die Erfolge der intensiveren Betriebsweise herbeigeführt worden, so hatte in Preußen die neue Hypothekengesetzgebung, die eine zinsbare Daueranlage von Restkaufgeldern unter scheinbar sicheren Umständen ermöglichte, äußerst günstig auf die Kreditgewährung eingewirkt.

Wenn in beiden Ländern der Konjunkturniedergang nach dem Kriege zu einer so außerordentlichen Kreditnot führte, so hat das vor allem daran gelegen, daß die starke Hypothekarverschuldung (insbesondere Besitzkreditverschuldung) zu einem Zeitpunkt erfolgt war, wo die Güterpreise infolge spekulativer Einflüsse den Ertragswert überschritten hatten. Dies hatte eine übermäßig hohe Belastung der Güter zur Folge gehabt, die beim Eintritt ungünstiger Wirtschaftsverhältnisse nicht mehr tragbar war. Dazu kommt, daß die hypothekarischen Darlehen durchgehends kurzfristig kündbar waren. Auch in Preußen entstand unter den Hypothekengläubigern eine Panik, die zu massenhaften Kündigungen führte, so daß schließlich ein Generalindult erlassen wurde, der aber den Kredit völlig vernichtete. Bekanntlich wurde damals in Preußen zur Rettung des Grundbesitzes das erste Bodenkreditinstitut, nämlich die Schlesische Landschaft, gegründet (1770). Der Zweck dieser Kreditorganisation war, durch Ausgabe von Pfandbriefen, die auf den Inhaber ausgestellt waren, Mittel zur Beleihung der adeligen Güter zu beschaffen. Die Landschaft war gewissermaßen als Vermittlungsstelle für den kreditbedürftigen Grundbesitzer und den anlagesuchenden Kapitalbesitzer gedacht. Für die Sicherheit der Pfandbriefe hafteten die gesamten schlesischen Stände.

Der Erfolg der neuen Einrichtung war überraschend. Bei dem großen Geldzufluß konnte die Landschaft den Gutsbesitzern in ausreichendem Maße Mittel zur Ablösung hochverzinslicher Hypotheken zur Verfügung stellen. Beachtenswert ist, daß nun auch für die kleineren Kapitalien, Spargelder u. dgl., eine sichere Anlagemöglichkeit geschaffen worden war. Äußerlich war der Erfolg daran zu erkennen, daß über 400 schlesische Rittergüter, die schon zur Subhastation gestellt waren, ihren Besitzern erhalten blieben 97 ).


97) H. Mauer, Agrarkredit, Grundr. d. Sozialökonomie, III 1 Aa.
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Durch die Errichtung der Schlesischen Landschaft war der entscheidende Schritt zu einer bankmäßigen Organisation des Hypothekarkredits getan worden. Nach dem Vorbilde des schlesischen Instituts wurden etwas später auch für die Mark, für Pommern, West- und Ostpreußen ähnliche Anstalten geschaffen. Damit war in Preußen der Übergang vom Individualkredit zum organisierten Kredit vollzogen und die für den Agrarkredit unerläßliche Voraussetzung: Unkündbarkeit und möglichst geringe Verzinsung der Darlehen, praktisch erfüllt worden. Die Landschaften beliehen allerdings nur die adligen Güter. Das Kreditsystem war ständisch gebunden und hatte feudalkapitalistisches Gepräge 98 ). Diese Form der ständisch-genossenschaftlichen Kreditorganisation wäre der Eigenart des mecklenburgischen Großgrundbesitzes durchaus angepaßt gewesen. In den mecklenburgischen Kreditakten und Druckschriften aus der Zeit der Kreditkrise wird jedoch die Schlesische Landschaft überhaupt nicht erwähnt. Es ist daher anzunehmen, daß von dieser eigenartigen Schöpfung bzw. von deren segensreicher Wirkung damals in Mecklenburg nichts bekannt geworden ist. Im übrigen muß bezweifelt werden, daß in damaliger Zeit die Errichtung eines landschaftlichen Bodenkreditinstituts in Mecklenburg hätte zur Durchführung gelangen können. Wir haben gesehen, daß die im Jahre 1768 auf dem Landeskonvent beschlossene Anleihe in erster Linie wegen der vorgesehenen solidarischen Haftung aller Rittergüter abgelehnt wurde. Die von der Notlage nicht so sehr mitgenommenen Gutsbesitzer waren nicht gewillt, für ihre wirtschaftlich schwächeren Standesgenossen einzutreten. Ähnliche Bedenken mag es auch innerhalb der schlesischen Ritterschaft gegeben haben. Aber hier griff der absolutistisch regierte preußische Staat mit einer zielbewußten Kreditpolitik ein. So ist letzten Endes auch die Staatsform von entscheidendem Einfluß auf die Gestaltung der Agrarkreditverhältnisse gewesen.

Von dieser Seite betrachtet, lagen freilich die Verhältnisse in Mecklenburg gegenüber Preußen besonders ungünstig. Das Mitwirkungsrecht der Stände bei der Landesgesetzgebung erschwerte bzw. verhinderte vielfach den Erlaß neuer Gesetze. Trotz des außerordentlichen Notzustandes, dessen lange Dauer


98) H. Sieveking, Mittl. Wirtschaftsgeschichte, 1921, S. 88.
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im wesentlichen auf die mangelhafte Rechtsordnung zurückzuführen war, wurde im Wege der Gesetzgebung zur Besserung der Lage nichts Grundlegendes erreicht. Den so großzügig angelegten Versuch zur Reform des Kreditwesens sahen wir an der inneren Zerrissenheit der Stände scheitern. Von 1771 ab stand der Engere Ausschuß mit der landesherrlichen Regierung in Schwerin wegen des Erlasses einer Konkursordnung in Verhandlungen. Das herzogliche Ministerium verhielt sich aber ablehnend, "nachdem schon verschiedene vormalige Gebrechen beim Konkursprozeß per Rescripta mit Wirkung abgestellt worden". Landesherrliche Reskripte waren allerdings in nicht geringer Zahl erlassen worden, aber die Mißstände im Konkurswesen hielten unvermindert an. Deshalb bestand auch der E. A. auf Herausgabe einer Konkursordnung, zu der ein Entwurf dem Landesherrn bereits vorgelegt war, und gab zu erkennen, "gegen die Beeinträchtigungen der ritter- und landschaftlichen, im Erbvergleich versicherten Konkurrenz bei Erlassung neuer Gesetze allerhöchsten Orts Schutz zu suchen" 99 ). Hierauf (1773) lenkte der Landesherr wieder ein und gab dem E. A. bekannt, daß der Entwurf der sorgfältigsten Revision unterzogen würde, "um demselben alle menschenmögliche Vollkommenheit geben zu können". Im Jahre 1780 verhandelte man aber immer noch wegen der zu erlassenden Konkursordnung. In ähnlicher Weise wurden Vorschläge des E. A. zur Verbesserung des Hypothekenwesens abgetan, da eine Verminderung der Sporteleinnahmen zu befürchten stand. Ferner scheiterten Bestrebungen der stargardischen Ritterschaft zur Einführung eines " allgemeinen Schuld- und Hypothekenbuchs", weil zwischen Landesherrn und Stand keine Einigung erzielt wurde (1770).

So blieb denn in Mecklenburg auf dem Gebiete des Kreditwesens alles beim alten. Daß trotzdem in späteren Jahren der Kredit der mecklenburgischen Rittergüter einen ungeahnten Aufschwung nahm, hängt vorzüglich mit dem Eintritt außerordentlich günstiger Konjunkturen zusammen.

 

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99) Acta, die Verbesserung des Creditwesens betreffend.
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II. Teil.

Die Wiedererstarkung
des ritterschaftlichen Agrarkredits
in Mecklenburg (1776 bis 1805).

I. Abschnitt.

Günstige Konjunkturen
für die mecklenburgische Landwirtschaft.

Eingeleitet wird diese Periode des Aufschwungs durch den Erlaß einer landesherrlichen Konstitution vom 21. Mai 1776, betr. den Verkauf der Konkursgüter, wonach bei einem die Hälfte des Ertragswerts übersteigenden Gebote der Zuschlag erteilt werden mußte. Diese Maßnahme lockte viele Kauflustige von auswärts herbei, da ungeachtet des wirtschaftlichen Verfalls vieler Konkursgüter die Kaufgelegenheit eine äußerst günstige war. Die Kauflust hielt auch weiter an, nachdem mit Reskript vom 19. I. 1778 angeordnet worden war, daß der Zuschlag bei einem Gebote von weniger als zwei Dritteln des Ertragswerts nicht erfolgen sollte. In den Jahren 1775/79 wurden insgesamt 39 Güter zu außerordentlich wohlfeilen Preisen verkauft und in den Jahren 1780/84 insgesamt 96 Güter zu etwas höheren Preisen, die wohl auf die verstärkte Nachfrage zurückzuführen sind 100 ). Damit waren die "dem ganzen Landeskörper gleichsam abgestorbenen Konkursgüter" einer ordentlichen Bewirtschaftung wieder zugeführt worden. Überdies war die Zeit der vielen Konkurse von erzieherischem Einfluß auf die Gutsbesitzer gewesen. Durch Fleiß, Sparsamkeit und verbesserte Kultur der Äcker suchte man seinen Kredit zu erhalten. Die Einführung der Koppelwirtschaft nahm zu, da sie erfahrungsgemäß ein sicheres Mittel zur Erzielung höherer Roherträge war. Der Wucher, unter dem die Gutsbesitzer so lange zu leiden hatten, nahm ab, und der Zinssatz ging im allgemeinen auf 5 % zurück.


100) S. Anlage Nr. 1.
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Von größter Bedeutung war, daß der Absatz der Landesprodukte durch verschiedene Umstände erheblich gefördert wurde. Während des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1776/83) wurde mecklenburgisches Holz in gewaltigen Mengen nach England und Holland ausgeführt 101 ). von (Druckfehler) Langermann berichtet hierüber (1787) 102 ): "Der Holzhandel nähert sich in Mecklenburg sowie in allen angrenzenden Provinzen seinem Ende, nachdem die Seekriege in den letzten 30 Jahren und der Wetteifer der Mächte, ihre Marine in fürchterlichen Stand zu setzen, einen so starken Absatz alles zum Schiffbau tauglichen Holzes veranlaßt haben. Mecklenburg hat sehr ansehnliche Summen baren Geldes, besonders in dem letzten (amerikanischen) Kriege für Holz gelöset. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß der Kern der Eichen- und Tannenhölzungen dahin sei." Der bayrische Erbfolgekrieg (1778/79) aber verschaffte dem Lande dadurch bedeutende Einnahmen, daß "eine ansehnliche Menge Pferde für bares Geld aufgekauft wurden" 103 ).

Ausschlaggebend für den Aufschwung der mecklenburgischen Landwirtschaft aber war die zunehmende Getreideausfuhr. Der Getreidebau stellte in Mecklenburg den Hauptzweig der landwirtschaftlichen Produktion dar, und die Rentabilität der mecklenburgischen Gutswirtschaft hing in erster Linie von der Ausfuhr der beträchtlichen Getreideüberschüsse ab. Eine wesentliche Förderung erfuhr die mecklenburgische Getreideausfuhr durch die Ausdehnun des Hamburger Zwischenhandels mit Getreide 104 ). Hamburg nahm in steigendem Maße Anteil an der Getreideversorgung Englands, das infolge der rasch zunehmenden Industriebevölkerung seit 1765 der Getreideeinfuhr bedurfte. "Mit den Jahren 1771/72 erweiterte Hamburg seinen Getreidehandel immer mehr. Bei allen seinen Spekulationen und Kommissionen wandte es sich in der Folge zunächst nach Holstein, Magdeburg, Halberstadt, Hildesheim, Braunschweig und vorzüglich mit nach Mecklenburg, insonderheit als in diesem der Ertrag an Getreide jährlich zunahm. Dadurch gewann das letztere vorzüglich einen so einträglichen und leichten oder schnellen


101) v. Ferber a. a. O. § 63.
102) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 561.
103) Zimmermann a. a. O. § 12.
104) Norrmann, Die Freiheit des Getreidehandels, 1802, S. 230 ff.
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Anteil an allen dem Getreidehandel günstigen Konjunkturen" 105 ). Die Ausfuhr nach Hamburg erfolgte überwiegend von Boizenburg sowie zum geringeren Teil von Lauenburg und Dömitz aus. Der Transport nach Hamburg elbabwärts dauerte 2 bis 3 Tage.

Über Rostock, zum Teil auch über Wismar, erfolgten die Getreideausfuhren nach Dänemark, Schweden und Norwegen 106 ). Nach dem amerikanischen Kriege aber wandte sich der hamburgische und holländische Kommissionshandel auch diesen Städten zu. "Der neu angelegte Holsteinische Kanal 107 ) erleichterte und beförderte dies bald hernach ungemein." "Eben daher konnten nun die Holländer und Hamburger bei der Fahrt durch denselben die Konjunkturen, welche sich beim Getreidehandel oft so leicht und bald verändern, in solchen Zeiten weit länger und sicherer benutzen; sie konnten sich überdem mit Vorteil vieler kleinen holländischen Schiffe (Tjalken u. a.) dazu bedienen, die teils wegen der wohlfeileren Fracht, teils durch andere Bequemlichkeiten und Vorzüge dazu so brauchbar sind und den Getreidehandel vorzüglich erleichtern. Rostock und Wismar, die dem Kanal so nahe sind, wurden daher von den Hamburgern und Holländern ebenfalls bald durch Einkaufskommissionen zu ihren Unternehmungen im Getreidehandel fortdauernd benutzt" 108 ).

Unter der Einwirkung dieser günstigen Verhältnisse waren die Jahre 1776/89 für die mecklenburgische Landwirtschaft eine Zeit der Erholung. Gekennzeichnet wird diese Periode durch die zunehmende Einführung der Koppelwirtschaft und die damit verbundene Steigerung der Getreideproduktion sowie durch gesicherten Absatz bei mittelmäßigen, aber stetigen Preisen. Geldmangel und Kreditnot waren überwunden. Der Zinsfuß betrug 5 % und bei besten Sicherheiten 4 %. Der auswärtige Kredit war wieder hergestellt. Die Preise für Landgüter standen gegen Ende dieses Zeitraums doppelt so hoch wie zu Anfang. Mit Recht bezeichnet Zimmermann 109 ) diese Periode als die glücklichste für Mecklenburg.


105) Norrmann a. a. O. S. 256.
106) Weitere Ausfuhrplätze für mecklenburgisches Getreide waren Lübeck, Demmin, Wolgast, Anklam und Fürstenberg.
107) Die Eröffnung des Eiderkanals erfolgte im Oktober 1784.
108) Norrmann a. a. O. S. 257/58.
109) A. a. O. § 12.
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Mit Ausbruch der französischen Revolution begann für die mecklenburgische Landwirtschaft eine Zeit der Hochkonjunktur, wie man sie in diesem Lande nie zuvor erlebt hatte. Frankreich stand infolge Getreidemangels vor einer Hungersnot. "Necker ließ nun in allen größeren Häfen an der Nord- und Ostsee mit einem Aufwande von vielen Millionen Getreide für königliche Rechnung aufkaufen, um Frankreich damit zu versorgen .... Die Aufträge zum Ankauf wurden zum Teil nach Amerika, vorzüglich aber mehreren Kaufleuten in Hamburg und Amsterdam gegeben. Die letzteren suchten nun an allen Orten einer dem anderen zuvorzukommen, machten die Konkurrenz und Nachfrage dadurch um so dringender, verteuerten das Korn überall .... Überdem hatte schon Necker selbst durch die fürchterliche Beschreibung der in Frankreich herrschenden Hungersnot und seinen öffentlich angekündigten Ankauf des Getreides .... die Preise schon zum voraus überall in die Höhe getrieben. .... Nach manchen Orten waren die Bestellungen durch mehrere Korrespondenten zugleich und zu uneingeschränkten Preisen gegeben. Die Amsterdamer Kaufleute machten daher z. B. wieder Bestellungen in Hamburg; dadurch wurden die französischen Kommissionen (Aufträge) so zwecklos und übertrieben vervielfältigt; noch mehr aber trieb die große Konkurrenz der Käufer die Preise dadurch aufs äußerste, daß die Kommissionäre bei den uneingeschränkten Aufträgen wenig Rücksicht auf ihre Kommittenten nahmen, da sie ihre großen Vorteile bei dem teuern Einkauf hatten" 110 ) 111 ). Mecklenburg hatte eine sehr gute Ernte gehabt und war ferner noch im Besitze von großen Getreidevorräten aus dem Vorjahre. Der milde Winter gestattete einen ununterbrochenen Getreidetransport auf der Elbe und durch den Eiderkanal. Die in Mecklenburg erfolgten Getreidebestellungen konnten deshalb restlos zur Ausführung gelangen. Die Getreideausfuhr Boizenburgs stieg im Jahre 1789 gegenüber dem Vorjahre für Weizen von 986 auf 3587 Wispel und für Roggen von 3602 auf 5353 Wispel. Auch in Rostock und Dömitz hatte die Ge-


110) Norrmann a. a. O. S. 67/68.
111) S. auch G. Bourgin, Die französische Revolution, Stuttgart 1922, S. 165/66.
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treideausfuhr eine Steigerung erfahren 112 ). Der Rostocker Weizenpreis stieg 1789 gegenüber dem Vorjahre von 41 Schilling auf 1 Rtlr. 10 Schlg. per Scheffel 113 ).

Die günstige Konjunktur in Mecklenburg dauerte fort. Infolge schlechter Ernten mußte England in erhöhtem Maße Getreide einführen (1790 und 1792) 114 ). 1794 fiel in Norddeutschland die Ernte ungünstig aus, so daß für Danzig und die übrigen preußischen Ostseehäfen die Getreideausfuhr verboten und damit auch das polnische Getreide vom Markt ferngehalten wurde 115 ). Dazu kam der infolge der Koalitionskriege gesteigerte Getreidebedarf Frankreichs, Englands usw. "Mecklenburg, welches immer jedem Käufer offen stand, gab daher für die ungemein großen Kommissionen und Spekulationen der Hamburger und Holländer wieder das meiste; ebenso Holstein und andere fruchtbare Landstriche sehr vieles; alle diese aber wegen der hohen und dringenden Nachfrage häufig nur zu den höchsten Preisen, die man bis dahin erlebt hatte ... Ein ebenso seltener Umstand war die lange Fortdauer dieser Konjunkturen während zweier Jahre (1795 bis 1797), die in Mecklenburg eine Ausfuhr und eine Lebhaftigkeit des Getreidehandels bewirkte, wie es sie nie gehabt hatte, denn die hohen Preise gewährten auch den entferntesten Gegenden bei einem weiten Landtransport noch immer große Vorteile. . . . Nach der kurzen Zwischenzeit eines einzigen Jahres folgten nun dieser gewinnreichen Periode schon mit dem Jahre 1799 wieder so viele günstige Ereignisse, wie sie sich fast nie zum Vorteil des Produktenhandels eines Landes vereinigt haben. ... Wegen schlechter Ernten und ungemein großer Bedürfnisse zu den fortdauernden Kriegsrüstungen . . . stieg der Mangel und die Teurung in England so sehr, daß dieses die Einfuhr fremden Getreides aufs äußerste begünstigen 116 ) und die ungemein große zu seiner Konsumtion erforderliche Menge zu den


112) S. Anlage Nr. 4.
113) S. Anlage Nr. 2. Über die Boizenburger usw. Getreidepreise konnte nichts ermittelt werden. Es ist jedoch anzunehmen, daß die Boizenburger Preise höher waren als die Rostocker. Zu vgl. die Preise auf den Anlagen 2 und 3 von 1791 ab.
114) Naudé, Die Getreidehandelspolitik der europäischen Staaten, Acta Borussica, 1896, S. 130/31.
115) Norrmann a. a. O. S. 261.
116) Anm. d. Verf.: und zwar mittels Einfuhrprämien. S. Norrmann a. a. O. S. 90.
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höchsten Preisen aufkaufen mußte 117 ). Portugal, Spanien, Holland, Norwegen und Schweden hatten ebenfalls eine große Zufuhr nötig. . . . Die Furcht vor Mangel veranlaßte nun dabei fast überall noch mehrere oder strengere Ausfuhrverbote, wozu in Deutschland auch eine für viele Gegenden ungünstige Ernte manches beitrug. . . . Die große getreidereiche Ostseeküste ward nun noch mehr verschlossen als bisher. Mecklenburg war nun eins der wenigen ganz offenen Länder und ein Hauptmarkt für den Ankauf aller übrigen, die Zufuhr nötig hatten, vorzüglich für England. . . ." 118 ).

Die Wirkung dieser Verhältnisse auf die Getreidepreise in Mecklenburg war eine außerordentliche. Die Boizenburger Weizenpreise standen während dieses Zeitabschnittes ständig über einen Rtlr. per Scheffel, und in den Jahren 1795/96 und 1800 bis zum Schluß dieser Periode erreichten sie eine Höhe von 2 bis 2 1/2 Rtlr. und mehr. Auch für Roggen wurden zeitweise erstaunlich hohe Preise erzielt 119 ). Die Preisentwicklung in Rostock und Wismar blieb hinter derjenigen in Boizenburg etwas zurück 120 ), da die erstgenannten Städte für den Verkehr nach dem Westen nicht so günstig lagen. Im ganzen gesehen waren die mecklenburgischen Weizenpreise während dieser einzigartigen Konjunktur auf das Doppelte bis Dreifache gestiegen. Nach Zimmermann 121 ) war seit der sranzösischen (Druckfehler) Revolution das Getreide der Hauptgegenstand der kaufmännischen Spekulation. Aber auch der Landmann spekulierte durch Zurückhalten des Getreides auf höhere Preise, wozu ihm der gestiegene Wohlstand die Mittel verlieh.

Um 1800 rief die gewaltige Ausfuhr von Getreide und Lebensmitteln in Mecklenburg eine regelrechte Teurung hervor. Infolge des zweijährigen Mißwachses in England gelangte neben Weizen auch Roggen, "das Subsistenzmittel des gemeinen Mannes", in erheblichen Mengen zur Ausfuhr. Der


117) Anm. d. Verf.: Mecklenburg hat in den Jahren 1796 und 1798/99 gute Ernten und in den Jahren 1795 und 1803 sehr gute Ernten gehabt. S. Festgabe zur Feier der 22. Versammlung deutscher Land- und Forstwirte. Schwerin 1861. Graphische Darstellung der Ernten Mecklenburgs von 1794 bis 1825.
118) Norrmann a. a. O. S. 260 ff.
119) S. Anlage Nr. 3.
120) S. Anlage Nr. 2.
121) A. a. O. § 34.
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Preis für Roggen stieg auf 2 Rtlr. und für Gerste auf 1 Rtlr. 12 Schlg. per Scheffel 122 ). Ebenfalls nahm die Ausfuhr von Fettwaren nach England einen gewaltigen Umfang an. Rostock führte allein an Butter im Jahre 1800 640 000 Pfund aus 123 ). In Rostock kam es wegen der Teurung zu einem Aufstande, der "Butterrevolution" genannt wird, weil u. a. auch ein Buttermagazin geplündert wurde.

So vorteilhaft und beglückend diese Konjunktur für die mecklenburgische Landwirtschaft im großen ganzen gewesen sein mag, in einer Hinsicht war sie es nicht. Die anziehenden Preise der mecklenburgischen Rittergüter machten diese zu einem Spekulationsobjekt ersten Ranges, was sich in der Folge höchst nachteilig ausgewirkt hat.

 

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II. Abschnitt.

Die Güterspekulation infolge der günstigen Konjunkturen.

Zunächst soll dargelegt werden, welche Entwicklung die Preise der mecklenburgischen Lehnsgüter 124 ) während des hier behandelten Zeitabschnittes durchmachten. Der Durchschnittspreis der Hufe für die Jahre 1775/79 betrug annähernd 6000 Rtlr. 125 ), (Druckfehler) Zu bemerken ist, daß es sich hierbei um einen außergewöhnlich niedrigen Preis handelt, der seine Erklärung in dem Verschleudern der Konkursgüter findet 126 ). In den beiden nächsten fünfjährigen Zeiträumen steigt der Durchschnittspreis auf rund 7000 bzw. 10 000 Rtlr. Diese Ziffern kennzeichnen die Zeit der Erholung für die mecklenburgische Landwirtschaft. Mit Eintritt der Hochkonjunktur im Jahre 1789 setzt dann ein ununterbrochenes gewaltiges Steigen der Güterpreise bis zum Jahre 1804 ein. Die fünfjährigen Durch-


122) H. Westphal, Die Agrarkrise in Mecklenburg in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, 1925, S. 44.
123) O. Vitense, Geschichte von Mecklenburg, 1920, S. 361.
124) Die mecklenburgischen Rittergüter waren vorwiegend Lehnsgüter. Nach der "Festgabe" von 1861 machten noch damals die Lehnsgüter zwei Drittel aller Rittergüter aus.
125) S. Anlage Nr. 1.
126) S. S. 213.
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schnittspreise per Hufe klettern von rund 13 500 auf 19 000 und 24 000 Rtlr. Die Preise der Allodialgüter zeigen eine ähnliche Entwicklung 127 ).

Von den Ursachen, die zu dem ungewöhnlichen Steigen der Güterpreise geführt haben, stehen an erster Stelle die hohen Getreidepreise und die vermehrten Absatzmöglichkeiten, die im vorigen Abschnitt näher erörtert worden sind. Eine gewisse Bedeutung kommt aber auch den Maßnahmen zu, die zu einer tatsächlichen Wertsteigerung der Güter geführt hatten. Nach von Ferber 128 ) wurden die während der günstigen Konjunktur erzielten Gewinne großenteils zu Meliorationen verwendet, da der hohe Stand der Getreidepreise eine hohe Verzinsung solcher Kapitalanlagen versprach und das meliorierte Gut auch zu einem um so höheren Preis verkauft werden konnte. Karsten 129 ) berichtet in diesem Zusammenhang von der Beseitigung großer Waldungen, von der Trockenlegung vieler Sümpfe und Moräste und von der Abzapfung großer Seen und Gewässer. Auch in der Art und Weise der Bodennutzung wurden Fortschritte gemacht. Während der Hochkonjunktur vollendete sich im Schwerinschen die Durchführung der Schlagwirtschaft. Zum Zwecke einer rationellen Rindviehhaltung war der Kleebau in zunehmendem Maße eingeführt worden, so daß er im Jahre 1804 fast allgemein war 130 ). Der Kartoffelbau hatte seit den 70er Jahren immer größeren Umfang angenommen, da man von diesem Zeitpunkte ab zu der feldmäßigen Bestellung dieser Frucht überging 131 ). Auf den Roggenbau dagegen haben die Konjunkturen nach Zimmermann 132 ) ungünstig eingewirkt. Die hohen Weizenpreise bildeten naturgemäß einen starken Anreiz zur Steigerung der Weizenproduktion, und man zog vielfach - nicht immer mit Nutzen - das mittelmäßige, bis dahin mit Roggen bebaute Land zum Weizenbau heran und vernachlässigte den Roggenbau. Ferner suchten die Gutsherren eine Ertragssteigerung durch Einziehen von Bauernland herbeizuführen. Nach Boll 133 )


127) S. Anlage Nr. 1.
128) A. a. O. § 63.
129) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 45.
130) O. Mielck a. a. O. S. 14.
131) Desgl. S. 15.
132) A. a. O. § 18.
133) A. a. O. S. 590 ff.
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wurde während der Zeit der Hochkonjunktur das Bauernlegen in stärkstem Maße betrieben. Das Niederlegen einzelner Bauernstellen sowie das Verlegen von dem guten auf den schlechten Acker war nach § 334 Erbvergleichs erlaubt. Das Legen ganzer Bauerndörfer war zwar verboten, aber für die Umgehung dieses Verbotes "fanden verschlagene Köpfe Rat". Nach Paasche 134 ) betrug die Zahl der bäuerlichen Wirtschaften in den ritterschaftlichen Ämtern von Mecklenburg-Schwerin:

1794  . . . . . . . . 1196;
1800  . . . . . . . . 1086;
1810  . . . . . . . . 1017;
1815  . . . . . . . . 993;
1820  . . . . . . . . 980.

Auf den ritterschaftlichen Gütern des Strelitzer Landes gab es im Jahre 1798 nur noch 139 Bauern und 16 Kossaten 135 ).

Die außerordentlich günstigen Absatzverhältnisse für Getreide usw., die Kulturverbesserungen und die Erweiterung des Hoffeldes waren aber nicht die alleinigen Ursachen des gewaltigen Steigens der Güterpreise. Die "Übersicht der Kaufpreise der ritterschaftlichen Güter und der Getreidepreise von 1770 bis 1878 läßt erkennen, daß in den Jahren 1790/99, also während der Hochkonjunktur, die Güterpreise im Vergleich zu den Getreidepreisen ungleich stärker gestiegen sind. Diese Tatsache findet ihre Erklärung in dem umfangreichen spekulativen Güterhandel, der während dieses Zeitabschnittes stattfand.(Druckfehler) von Ferber schreibt 1796 136 ), daß die mecklenburgischen Landgüter "eine Ware geworden zu sein scheinen, mit der man wie mit einer jeden anderen handelt; die man heute kauft und morgen mit einem Gewinn von mehreren Tausenden wieder verkauft; die oft schon in einem Jahre durch mehrere Hände gehen". Der Umfang dieses Güterhandels wird durch die hohe Zahl der getätigten Gutsverkäufe veranschaulicht. In den Jahren 1790/94 betrug die Zahl der in Mecklenburg-Schwerin verkauften Lehnsgüter 140, in den folgenden fünf Jahren 187 und von 1800 bis 1804 sogar 213 137 ). Insgesamt wurden in diesen


134) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 103/04.
135) Boll a. a. O. S. 596.
136) A. a. O. S.1.
137) S. Anlage Nr. 1.
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15 Jahren 588 Gutsverkäufe bei einem Gesamtbestand von rund 700 Rittergütern getätigt. Den Anlaß zu dieser ausgedehnten Spekulationsbewegung gab die vorherzusehende günstige Konjunkturentwicklung für die mecklenburgische Landwirtschaft. Mecklenburg lag weit ab von dem damaligen Kriegsschauplatz; auch sonst bestand für dieses Land keine Kriegsgefahr. Andererseits war die Verkehrslage Mecklenburgs zu den meisten kriegführenden Staaten (England, Holland und Frankreich) günstig. Daher erwartete man begründeterweise, daß der Absatz und die Preise für Getreide mit Rücksicht auf den erhöhten Bedarf der kriegführenden Länder beträchtlich steigen würden. Damit aber war die Aussicht auf steigende Güterpreise und auf eine Vermehrung der Geldmenge bei gleichzeitigem Sinken des Zinsfußes gegeben. Tatsächlich traten dann auch diese Verhältnisse - wie erwartet - ein.

Nach Zimmermann 138 ) war der Güterhandel gleich im Anfang eine so vorzügliche Erwerbsquelle, daß er bald zu einer ausgedehnten Spekulation führte. Leute aus allen Ständen und Berufen, die das nötige Kapital besaßen oder auftreiben konnten, kauften zu hohen Preisen Güter, um sie mit Vorteil alsbald wieder zu verkaufen. Die oft in kurzer Zeit erzielten großen Gewinne reizten zur Nachahmung an. Immer mehr Güter wurden in den "Strudel des Güterhandels" hineingerissen, und beim Ankauf wurde weniger auf den Ertragswert als auf die Wahrscheinlichkeit eines vorteilhaften Wiederverkaufs Rücksicht genommen. Durch die große Nachfrage seitens so vieler Kauflustigen wurden die Güterpreise ununterbrochen in die Höhe getrieben. Gefördert wurde die steigende Preisentwicklung durch Pachtangebote zu den höchsten Summen.

Hinzu kommt, daß es an Kapital zu Spekulationszwecken nicht fehlte. Außer den großen Konjunkturgewinnen standen bedeutende Kapitalien aus dem Auslande zur Verfügung. Hane

z. B. berichtet hierüber: "1793 und in den nächstfolgenden Jahren strömten französische, niederländische und holländische Emigrierte nach Hamburg hin, und unter diesen reiche Leute, die schon vorher einen Teil ihrer Barschaften dahin gebracht hatten. Und da fanden sich bald Leute, die von dorther gegen Negocegebühren usw. manches Bächlein nach Mecklenburg ab-


138) A. a. O. § 41.
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zuleiten wußten und so den Kauflustigen aushalfen; die Emigrierten waren froh, vor der Hand nur ein paar Prozente zu genießen" 139 ). Auch v. Ferber 140 ) und andere berichten, daß viel auswärtiges Kapital (besonders aus den kriegführenden Ländern sowie aus Kurhessen, Braunschweig und Hannover) zu geringen Zinsen in Mecklenburg angeboten wurde und bei der Güterspekulation Verwendung fand. "Wer erinnert sich nicht noch lebhaft," so schreibt Zimmermann 1804 141 ), "der großen Geldzuströmungen oder Geldflut und des dadurch entstandenen Geldgewühls, z. B. in den Jahren 1789, 1796 und 1800?" Infolge des erhöhten in- und ausländischen Leihkapitalangebots sank der Hypothekenzinsfuß allgemein auf 4 % und darunter. Die Verhältnisse brachten es mit sich, daß selbst gegen unzulängliche Sicherheit Kredit gewährt wurde.

Schließlich artete der Güterhandel in eine regelrechte Schwindelei aus. "Man erfand die wichtige Kunst, ohne Geld Güter zu kaufen" 142 ). Zimmermann gibt in ironischer Weise hierzu eine Anleitung und läßt uns wissen, welcher Praktiken sich die "Landjobber" in damaliger Zeit bedienten. Man kaufe ein Gut, ohne sich um dessen Ertragswert zu kümmern; lasse alles Holz, auch das unentbehrliche, abhauen; errichte einen fingierten Pachtvertrag, worin die Pachtsumme möglichst hoch angesetzt wird; errichte ein Hypothekenbuch; lasse das Gut zum doppelten Einstandspreis taxieren 143 ) und nehme auswärts eine Hypothek in Höhe des halben Taxwertes auf. Dies wird nicht schwierig sein, wenn man den Gläubigern die erste Hypothek anbietet und sich verpflichtet, das Gut mit weiteren ingrossierten Schulden nicht zu belasten. Nach Zimmermann ist auf diesem Wege für manches Gut das volle Kaufgeld im Auslande angeliehen worden. Welche Blüten dieser "Schwindelgeist" trieb, mag daraus ersehen werden, daß u. a. für das Gut Thelkow (Amt Gnoien), das 1789 für 55 350 Rtlr. verkauft worden war, im Laufe der nächsten Jahre nach mehr-


139) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 587.
140) A. a. O. § 63.
141) A. a. O. S. 29.
142) Desgl. § 62.
143) Da man in Mecklenburg weder Taxvorschriften noch beeidigte Taxatoren kannte, waren so willkürliche Taxationen, besonders in Zeiten günstiger Konjunktur, wohl möglich.
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maligem Besitzwechsel ein Preis von 215 200 Rtlr. erzielt wurde 144 ).

Die Auswirkung der Güterspekulationen bzw. des häufigen Besitzwechsels auf die Verschuldung war für einen erheblichen Teil des ritterschaftlichen Grundbesitzes eine außerordentliche. Die meisten Spekulationskäufe waren Kreditkäufe gewesen und zu Preisen getätigt worden, die den Ertragswert der Güter, ungeachtet der hohen Produktenpreise, weit überschritten. Zwar berichtet v. Ferber im Jahre 1796 145 ), daß die Preise der mecklenburgischen Landgüter in bezug auf den "gegenwärtigen Produktenertrag, wenn man denselben zu Mittelpreisen in Geld ansetzt" und eine 4 %ige Verzinsung des Anlagekapitals zugrunde legt, nicht zu hoch wären. Er ist sogar der Meinung, daß die Güterpreise in Mecklenburg niedriger ständen als in den benachbarten Ländern, und sieht hierin den Grund, daß viele Auswärtige in Mecklenburg Güter kauften. Er fährt dann fort: "Nennen wir unsere Güter teuer im Vergleich zu den Preisen in früheren Zeiten, so haben wir recht. Wollen wir sie aber teuer nennen, da nicht allein ihre Kultur mit jedem Tage zunimmt, sondern da der Zinsfuß heruntergegangen, da der Inländer vom Ausländer nach diesem geringen Zinsfuße Geld leiht, oder der Ausländer nur nach diesem geringen Zinsfuße Revenüen verlangt, und die Geldmasse also offenbar an ihrem sonstigen Wertgehalte - gegen Produkte gerechnet - verloren; so dürfte der Zahlwert unserer Güter auch in dieser Rücksicht gegen den Zahlwert von Gütern in anderen Ländern oft noch bei manchem individuellen Gutsverkauf zu niedrig zu stehen kommen." Diese Auffassung dürfen wir im großen ganzen als zutreffend erachten, soweit es sich um den in fester Hand gebliebenen Grundbesitz handelte. Ganz anders aber lagen die Verhältnisse bei den Gütern, die als Spekulationsobjekte von Hand zu Hand gingen. Von diesen berichtet Zimmermann 146 ), daß für die Hufe hin und wieder 40 000 Rtlr. N2/3 gezahlt wurden, wobei er bemerkt, daß selbst bei bestem Boden, bei größtmöglichem Rohertrag und hohen Produktenpreisen daraus ein Reinertrag in Höhe von 5 % des Kaufpreises nicht erzielt werden könnte. Viele der Spe-


144) Boll a. a. 0. S. 588.
145) A. a. O. § 622.
146) A. a. O. § 42,2 und 3.
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kulanten (Advokaten, Kaufleute usw.) aber waren in der Landwirtschaft unerfahren und weniger auf eine ordentliche Bewirtschaftung der Güter als auf ihren Vorteil beim Verkauf bedacht. Sie betrachteten die Güter als eine "gute Prise", die sie, so gut es ging, plünderten, so daß schließlich die Holzungen fast aller im Handel gewesenen Güter verwüstet waren 147 ).

Nach Zimmermanns Schätzung war 1804 mehr als der zehnte Teil aller mecklenburgischen Güter unter Zugrundelegung der hohen (spekulativen) Güterpreise zu 75 % und darüber verschuldet 148 ). Die hohe Verschuldung so vieler Güter nach vorhergegangenen günstigsten Konjunkturen war das Ergebnis der zahlreichen Spekulationskäufe. Diese waren bei der Leichtigkeit der Kreditbeschaffung durchgehends Kreditkäufe gewesen. Zur Hauptsache bestanden daher die Schulden der hochbelasteten Güter in Kaufgeldschulden, die überwiegend außerhalb Mecklenburgs zu geringen Zinsen aufgenommen waren. Durch die Realisierung der spekulativen (fiktiven) Zusatzwerte waren also viele mecklenburgische Rittergüter außerordentlich schwer belastet worden. Die hierin liegende große Gefahr im Falle einer rückläufigen Konjunktur wurde damals von vielen richtig erkannt. So meinte Zimmermann, der Wert der hochbelasteten Güter brauchte nur um 20 % zu fallen, und sie wären alle verloren. Durch den Zusammenbruch dieser Güter aber würde die Kreditwürdigkeit aller übrigen erschüttert werden und allgemeiner Kreditmangel eintreten.

In Mecklenburg - Strelitz nahm der Güterhandel nur einen verhältnismäßig geringen Umfang an 149 ). Einmal standen die Besitzverhältnisse in diesem Lande einer größeren Ausdehnung der Spekulation entgegen; zum andern aber wurde der Anreiz zu Spekulationskäufen durch die unsicheren Getreideabsatzverhältnisse stark abgeschwächt.

Der größere Teil des ritterschaftlichen Grundbesitzes befand sich in den Händen von wenigen alteingesessenen adligen Fa-


147) Nach J. G. Büsch, Schriften über Staatswirtschaft und Handlung, Hamburg 1800, 5. Buch, S. 234 ff., wurde damals auch in Schleswig-Holstein "Schwindelei im Güterkauf" getrieben. Die Begleiterscheinungen waren ähnliche wie in Mecklenburg.
148) A. a. O. § 42.
149) Boll a. a. O. S. 586/87.
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milien 150 ), deren Bestreben es war, den Besitz sich und ihren Nachkommen zu erhalten. Der Getreideabsatz der Strelitzer Güter aber war, wie bereits erwähnt, in starkem Maße von den handelspolitischen Maßnahmen Preußens abhängig. So wurde durch Verordnung vom 7. XII. 1799 für Preußen eine allgemeine Getreidesperre angeordnet, um mit Rücksicht auf die schlechten Ernten die Versorgung des Landes sicherzustellen. Dies hatte zur Folge, daß die Strelitzer Getreideausfuhr seewärts über Wolgast und Greifswald unterbunden wurde, da sich die preußische Getreidesperre auch auf den Durchfuhrverkehr erstreckte. Die Ausfuhr über Schwedisch-Vorpommern aber bildete damals fast die einzige Absatzmöglichkeit für die Strelitzer Rittergüter. Auf eine Beschwerde der Ritter- und Landschaft wurde die Aufhebnug Druckfehler) der Durchfuhrsperre von dem preußischen Ministerium im März 1800 abgelehnt 151 ). Die günstige Getreidekonjunktur um 1800 blieb somit für die Strelitzer Güter von nur geringem Nutzen.

Wenden wir uns abschließend den preußischen Verhältnissen jener Zeit zu, so machen wir die Feststellung, daß in den östlichen Provinzen, vor allem in Schlesien, der Güterhandel ebenfalls in größtem Umfange betrieben wurde 152 ). Auch hier hatte der steigende Getreideabsatz zu hohen Preisen die Güter zu einem Spekulationsobjekt gemacht. Nach Weyermann ist aber das damalige Steigen der Güterpreise nicht allein den günstigen Konjunkturen, sondern auch den Auswirkungen des landschaftlichen Kreditsystems zuzuschreiben. Durch die vermehrte Ausgabe von Pfandbriefen, besonders in den Jahren 1788/89, waren diese ein wirksames Konkurrenzmittel gegenüber dem privaten Bodenleihkapital geworden. Nach Weyermann beruht hierauf das nach 1770 einsetzende allmähliche Sinken des Hypothekenzinsfußes für den landschaftsfähigen Besitz von etwa 7 % bis auf 3 1/2 % und darunter. Die Preissteigerung der Landgüter aber ergab sich automatisch aus der Ertragskapitalisation nach dem jeweiligen Hypothekenzinsfuß.


150) Desgl. S. 461.
151) Acta, die Beschwerde der Ritter- und Landschaft des stargardischen Kreises über die in den Kgl. Preuß. Landen verfügte Korndurchfuhrsperre betreffend, 1800.
152) Weyermann a. a. O. S. 94 ff. Ferner Mauer, Das Landschaftliche Kreditwesen Preußens, 1907.
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Durch das Pfandbriefsystem wurde ferner der spekulative Aufkauf von Gütern sehr erleichtert. Wer im Besitze eines unverschuldeten beleihungsfähigen Gutes war, konnte durch Aufnahme von Pfandbriefen, die wegen ihrer Vorzüge gern als Zahlungsmittel angenommen wurden, weiteren Grundbesitz zukaufen. Auf diesem Wege wurde nicht nur in Ostpreußen ein

großer Teil des sogen. köllmischen Grundbesitzes, der von der landschaftlichen Beleihung ausgeschlossen war, von dem Adel aufgekauft, sondern ebenso wurde auch der minder bemittelte Adel durch den reicheren ausgekauft. Besonders in Schlesien nahmen die spekulativen Güteraufkäufe gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen außerordentlichen Umfang an. Nach Mauer 153 ) wurden dort allein im Jahre 1798 nicht weniger als 118 Rittergüter freiwillig verkauft.

Vergleichend können wir feststellen, daß die günstigen Getreidekonjunkturen in Verbindung mit der leichten Kreditbeschaffung sowohl in Preußen als auch in Mecklenburg eine ausgedehnte Güterspekulation zur Folge hatten. In beiden Ländern stiegen die Güterpreise zu außergewöhnlicher Höhe, und entsprechend den gestiegenen Güterpreisen überschritt die Verschuldung vielfach die Grenze der unter normalen Verhältnissen tragbaren Belastung. Grundverschieden waren in beiden Ländern die Auswirkungen des Güterhandels auf die Besitzverhältnisse. In Mecklenburg ging während der Spekulationsperiode in nicht geringem Maße adliger Grundbesitz in die Hände von Bürgerlichen über. Viele Güter wurden von einheimischen und auswärtigen Kapitalisten (Advokaten, Kaufleuten usw.) erworben, die entweder eigenes Kapital sicher anzulegen suchten oder auch unter Zuhilfenahme von auswärtigem Kredit Spekulationsgewinne einheimsen wollten. In Preußen dagegen führten die vielen Besitzveränderungen innerhalb des ritterschaftlichen Grundbesitzes, ferner der Aufkauf von köllmischen Gütern zu einer erheblichen Verstärkung des adligen Großgrundbesitzes. Die Ausdehnung der großen Güter auf Kosten der kleineren war zur Hauptsache nur durch die volle Ausnutzung des Pfandbriefkredits möglich gewesen. War in Mecklenburg zumeist auswärtiges Kapital beim Güterhandel verwendet worden, so hatte man in Preußen die erforderlichen Mittel durch die Mobilisierung des Grundbesitzes


153) A. a. O. S 23.
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geschaffen. Mag diese Art der Kreditbeschaffung grundsätzlich der ersteren vorzuziehen sein, so ist andererseits jedoch darauf hinzuweisen, daß gerade durch den Pfandbriefkredit die Realisierung der spekulativen Zusatzwerte eine besondere Förderung erfahren hatte. Die hieraus resultierende unproduktive Verschuldung bildete aber in Preußen ebenso wie in Mecklenburg eine wesentliche Ursache für die Entstehung der Kreditkrise nach Wegfall der günstigen Konjunkturen.

 

~~~~~~~~~~

 

III. Abschnitt.

Bestrebungen zur Verbesserung des Geld- und Kreditwesens.

Mit Beginn des neuen Jahrhunderts trat eine merkbare Verschlechterung in der Wirtschaftslage Mecklenburgs ein. Die Getreidepreise behaupteten zwar ihren vorigen Stand 154 ), aber die Ernten fielen in den ersten fünf Jahren - mit Ausnahme von 1803 - nur dürftig bzw. schlecht aus, so daß die Getreideausfuhr einen erheblichen Rückgang erfuhr. Auffallend ist nun zunächst, daß sich bereits im Jahre 1804 ein ziemlicher Geldmangel in Mecklenburg einstellte. Zimmermann kennzeichnet in seiner genannten Schrift die Ursache dieser Erscheinung im wesentlichen treffend, wenn er darauf hinweist, daß den vormaligen großen Konjunktureinnahmen des Landes bedeutende Zahlungen an das Ausland gegenüberstanden. Nach seiner Schätzung beliefen sich allein die jährlichen Zinsen für die auswärts aufgenommenen Kapitalien sowie die jährlich abgehenden Einkünfte aus Gütern, die sich im Besitze von Auswärtigen befanden, auf 4- bis 500 000 Rtlr. 155 ). Dazu bemerkt er, daß sich die Verschuldung an das Ausland während der günstigen Konjunktur um einige Millionen Taler vermehrt habe. Ferner hatte nach Zimmermann die Wareneinfuhr, besonders aus England, durch den gesteigerten Luxus bedeutend zugenommen, trotzdem die Preise für auswärtige Waren erheblich gestiegen waren. Aus allem folgert er, daß


154) S. Anlage Nr. 2.
155) A. a. O. § 49.
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Mecklenburg am Ende der günstigen Konjunkturperiode bei weitem nicht so viel bares Geld besaß, wie es dem Anschein nach hätte haben sollen. Schließlich erwähnt er noch, daß sich die müßig liegenden Spargelder der Bauern, Holländer, Müller und Schäfer seit Ausbruch der französischen Revolution beträchtlich vermehrt hätten und mindestens auf ein paar Millionen Taler zu schätzen seien. Die Gelder dieser Leute aber würden dem Umlauf entzogen bleiben, da es ihnen an Gelegenheit zur eigenen Verwendung bzw. zur zinsbaren Anlage fehlte.

Im einzelnen ist hierzu folgendes zu bemerken. In Mecklenburg hatte seit Einführung der verbesserten Wirtschaftsweise in zunehmendem Maße auswärtiges Kapital in den Gutsbetrieben Verwendung gefunden. Wir haben festgestellt, daß in den vielen Konkursen nach dem Siebenjährigen Kriege die auswärtigen Gläubiger besonders stark vertreten waren. Wie erklärt es sich, daß der Kapitalbedarf der Gutsbesitzer so weitgehend mit auswärtigem Gelde gedeckt wurde?

Die Antwort ergibt sich aus einer Betrachtung der Wirtschaftsstruktur des Landes. Mecklenburg war (und ist noch heute) ein reines Agrarland. Der ritterschaftliche Grund und Boden, der etwa die Hälfte des gesamten Landesgebietes umfaßte, verteilte sich auf verhältnismäßig wenige Großbetriebe. Gewerbe und Industrie waren ungenügend entwickelt und bei weitem nicht imstande, das Land mit gewerblichen Produkten ausreichend zu versorgen. Wolle und Flachs gingen beispielsweise in großen Mengen aus dem Lande, während Erzeugnisse aus diesen Rohstoffen eingeführt wurden. Auch der Handel war gegenüber der Landwirtschaft von geringer Bedeutung. Der Getreideausfuhrhandel war, namentlich auch während der Hochkonjunktur, überwiegend Kommissionshandel für auswärtige Rechnung. Bestrebungen der Kaufmannskompagnie zu Rostock, im Jahre 1801 den "nachteiligen" Kommissionshandel zu beschränken, blieben erfolglos 156 ). Nach einem Berichte des Engeren Ausschusses (1802) waren die Rostocker Kornhändler zur Bewältigung der gewaltigen Getreideausfuhr im Wege des Eigenhandels viel zu kapitalschwach.


156) Acta, die von der Kaufmannskompagnie zu Rostock, zum Nachteil des freien Commerciums beschlossene Beschränkung des Kommissionshandels mit Getreide für auswärtige Rechnung betreffend, 1801.
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Diese Andeutungen lassen schon erkennen, daß die Kapitalbildung in den Städten bei weitem nicht ausreichte, um den Kapitalbedarf der Landwirtschaft befriedigen zu können. Bestand nun aber für die mecklenburgische Landwirtschaft auch während der Hochkonjunktur ein Bedarf an Anlagekapital? Diese Frage wird in mehreren Berichten aus jener Zeit bejahend beantwortet 157 ). Abgesehen von den Spekulationskäufen ergab sich der Kapitalbedarf aus umfassenden Meliorationen und weitgehenden Intensivierungen, zu denen die Konjunkturen den Anreiz boten. Zu beachten ist, daß sich in jener Zeit das System der mecklenburgischen Schlagwirtschaft in seiner endgültigen Form noch nicht herausgebildet hatte. Zimmermann berichtet von den vielen Veränderungen in den Ackereinteilungen und Bewirtschaftungsmethoden, die damals vorgenommen wurden 158 ). Gerade diese Experimente und Neuerungen waren mit hohen Kosten verknüpft und brachten häufig noch Verluste statt Gewinne ein. Vielfach mag neben den Konjunkturen auch die Möglichkeit der leichten und günstigen Kreditbeschaffung die Gutsbesitzer zu Kulturverbesserungen veranlaßt haben. Andererseits waren nicht nur die Einnahmen, sondern auch die laufenden Ausgaben infolge der erhöhten Löhne und Preise für in- und ausländische Waren gestiegen. Vor allem aber wurde auch für unwirtschaftliche Zwecke viel Geld ausgegeben; übereinstimmend wird von übertriebenem Luxus berichtet. Norrmann schreibt in dem erwähnten Gutachten: "Je größere Summen ins Land kamen, desto größere gingen auch für fremde Bedürfnisse wieder zum Ausländer zurück. Der wirkliche Gewinn ward nur von wenigen zur Vermehrung des eigenen Kapitals angewandt, um mit mehreren eigenen Kräften die Wirtschaft zu betreiben." Die vorstehende kurze Untersuchung über die Kapitalverhältnisse des Landes bestätigt die Ansicht Zimmermanns, daß sich die auswärtige Verschuldung der Rittergüter in ihrer Gesamtheit trotz der günstigen Konjunkturen gegen früher erhöht habe. Besonders hatte hierzu die hohe Verschuldung der Spekulationsgüter beigetragen.


157) U. a. in einem Gutachten des Prof. Norrmann, Rostock (Acta, betreffend das Kreditwesen in Mecklenburg 1776/1815).
158) A. a. O. § 18.
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Zweifellos bildete die gewaltige Zinsenlast eine wesentliche Ursache für die damalige Geldknappheit. Von entscheidendem Einfluß auf den Geldstock des Landes aber war der Ausfall der Ernten bzw. der Absatz der Getreideüberschüsse. Der Getreidebau war Mecklenburgs Haupteinnahmequelle. In demselben Maße, wie die Ernten und der Absatz schwankten, änderten sich die Einnahmen des Landes. Zimmermann bemerkt ganz richtig, man könne von Mecklenburg wirklich sagen: bald reich, bald arm.

Mit dem Geldmangel stellte sich gleichzeitig der Wucher ein. Viele Kapitalien wurden gekündigt, selbst wenn ausreichende Sicherheit vorhanden war, und hierzu gab, so berichten die Akten 159 ), nur Gewinnsucht und Spekulation die Veranlassung. Nach einem Reskript des Strelitzer Landesherrn vom 28. XII. 1804 wurden in den Zahlungsterminen bedeutende Geldsummen von Wucherern aufgenommen, um den Geldmangel künstlich zu verstärken und schließlich das Geld "gegen enorme Prozente unter verschiedenen Namen, wie Douceurs, Provisionen usw. oft nur auf kurze Zeit" auszuleihen. An anderer Stelle wird berichtet, daß Darlehen von einem zum andern Termin gegen zwei und mehr Prozente monatlich vorkamen. In beiden Ländern wurde der Wucher mittels landesherrlicher Reskripte unter strenge Strafe gestellt.

Zimmermann berichtet folgendes 160 ): "Alles beschäftigt sich jetzt (1804) mit Geldnegoziieren; Müller, Juden und Advokaten. Der Gutsbesitzer ist entweder zu indolent, zu stolz oder auch zu unbekannt mit seinen eigenen Vermögensumständen, als daß er das, wovon doch seine ganze Wohlfahrt abhängig ist, selbst besorgen könnte und möchte. Rabulisterei, halbverstandene Rechtswahrheiten usw. haben auch die Behandlung dieses Gegenstandes so bunt und kraus gemacht, daß sehr viele sich dieser sehr hab- und geldsüchtigen Geldmäkler und Geldjuden bedienen müssen.

Man hat Wucher und Agiotage in ein System gebracht; nur von einem Termin bis zum andern kann der Geldbedürftige Geld erhalten; nur in dem an Zahlung mahnenden Termin kann er nach vielem Sollicitieren Geld auffinden;


159) Acta, Maßregeln zur Unterdrückung des Wuchers betreffend, 1765/1805.
160) A. a. O. § 45.
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man zieht ihn hin bis in die letzten Tage des Termins; er will gerne geben, was man verlangt, nun ist es Zeit, und nur unter vielen Demütigungen, Bürgschaften, Rückbürgschaften usw. erhält der sonst sichere Mann von diesen eigennützigen Menschen auf ein halbes Jahr gegen 3 % pro Negoce und 5 % jährlicher Zinsen das benötigte Kapital. Ein halbes Jahr hat er Ruhe, um im nächstfolgenden Termin sich auf gleiche Weise plündern zu lassen. Gutsbesitzer mit hoher Kaufgeldverschuldung müssen hiebei zu völligem Ruin gelangen. Zu keiner Zeit ist wohl der schändliche Wucher höher getrieben worden als im Trinitatistermin dieses Jahres. Es sind Beispiele vorhanden, daß mehr als der dritte Teil des Kapitals, ja am Ende mehr noch als das Kapital selbst beträgt, an Zinsen und Provisionen gefordert und bewilligt worden sind, daß für jedes Tausend Thaler 100 Thaler haben gegeben werden müssen. Nur bis zum nächsten Antoni-Termin, also nur auf ein halbes Jahr waren Gelder zu erhalten, und wird in der Zwischenzeit nicht schleunige Vorkehr getroffen, so haben alsdann die Wucherer noch eine weit reichere Ernte und werden den Ruin des Vaterlandes herbeiführen, schon jetzt darauf rechnend, wie sie für die Hälfte des wahren Werts unsrer liegenden Gründe mit ihrem erwucherten Gelde Güter an sich stehlen wollen."

Mecklenburgs Rittergüter befanden sich in einer sehr kritischen Lage. Die hohen Güterpreise fielen und der Kredit der übermäßig verschuldeten Güter geriet ins Wanken. Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Kreditnot wurden allgemein für dringend erforderlich gehalten. So wurde auf dem Landtage von 1804 eine Kommitte beauftragt, "Vorschläge zur Erhaltung und Befestigung des allgemeinen Privatkredits sowie zur Beförderung und Verbesserung des Geldumlaufs" einzureichen. Diese Aufgabe bot im Hinblick auf die rückständigen Kreditverhältnisse und den rein agraren Charakter des Landes nicht geringe Schwierigkeiten. Man ersuchte deshalb den bereits genannten Rostocker Professor der Staatswissenschaften, Norrmann, dessen Schrift über "Die Freiheit des Getreidehandels" 161 ) bei der Ritterschaft volle Anerkennung gefunden hatte, um die Abgabe eines Gutachtens.


161) Hamburg 1802.
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Diesem Gutachten 162 ) kommt deshalb eine gewisse Bedeutung zu, weil es die Vorschläge der Kommitte maßgebend beeinflußte und ferner darüber Aufschluß gibt, wie man über die Einführung eines Kreditsystems nach preußischem Vorbilde dachte. Einleitend gibt Norrmann seinem Erstaunen über die Sorglosigkeit Ausdruck, mit der man in Mecklenburg "nach mehreren höchsttraurigen Erfahrungen dennoch immer den alten Mängeln (des Kreditwesens) nachgesehen hat". Unter Hinweis auf die vielen, uns bekannten Gebrechen in der Kreditgesetzgebung stellt er lediglich die gründliche Reform des Hypotheken- und Konkurswesens in den Mittelpunkt seiner Vorschläge. Weder ausländische Anleihen noch "selbst geschaffenes künstliches Kapital" könnten die drohende Krise verhindern. Mit Anleihen ließe sich nur eine vorübergehende Beseitigung der Geldklemme erzielen. Die von vielen Seiten vorgeschlagene Gründung einer Leih- und Zettelbank sei abzulehnen, weil der erforderliche bare Fonds durch Anleihen beschafft werden müßte und somit der Kündbarkeit wegen keine Sicherheit bieten würde. Aus diesem Grunde sei auch die Errichtung eines Kreditinstituts nach dem Muster der preußischen Landschaft nicht möglich. Im übrigen könne eine solche Einrichtung dem Lande äußerst schädlich werden. In Schlesien sei die Schwindelei im Güterhandel durch das Kreditsystem außerordentlich erleichtert worden, und z. Zt. herrsche dort drückender Geldmangel. "Mit Banken, Kreditsystem und Papiergeld würde die Schwindelei des Güterkaufs fortdauern, und überspannte Preise der Produkte oder der liegenden Gründe können sie nicht aufrechterhalten. Die Grundbedingung und vornehmste Grundlage aller Verbesserung des Kredits ist ein sicheres Hypothekenwesen mit den erforderlichen Kreditgesetzen und einer zweckmäßigen Konkursordnung."

Der Engere Ausschuß und die Kommitte traten dem Gutachten voll und ganz bei. Sie erklärten die Errichtung einer landschaftsähnlichen Anstalt für nicht durchführbar. Den von Norrmann vorgebrachten Gründen fügten sie weitere an. Die Festsetzung allgemeiner Taxgrundsätze sowie einer Beleihungsgrenze wurde als sehr schwierig hingestellt. Vor allem aber gab die "Haftung des ganzen Landes für den Privatkredit der singulorum" wegen der "Inkonvenienzen, die jede soli-


162) Acta, betreffend das Kreditwesen in Mecklenburg, 1776/1815.
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darische Verbindlichkeit . . . . mit sich führt," zu Bedenken Anlaß. Vorgeschlagen wurde die zwangsweise Errichtung von Hypothekenbüchern, sofern die Gläubiger dies im Einzelfall verlangten, ferner die Abschaffung sämtlicher Pfandprivilegien sowie der Adjudikate und schließlich der Erlaß einer Konkursordnung. Endlich wird in diesem Gutachten noch bemerkt, daß sich der Personalkredit unendlich bessern würde, wenn der übertriebene Luxus und die Hazardspiele eingeschränkt bzw. verboten würden.

Von Interesse sind auch die Vorschläge zur "Beförderung und Verbesserung des Geldumlaufs". Norrmann bringt in ungeschminkten Worten seine Meinung über die wahren Ursachen des Geldmangels zum Ausdruck. "Das Geld muß leicht und oft von einer Hand zur andern gehen; es muß sich nicht bloß bei einzelnen reichen Individuen anhäufen. Liegt der arbeitende Teil eines Volkes unter der Knechtschaft, so gibt es nur wenige wechselseitige Dienste. Tausende arbeiten, nicht aus Wahl, nicht durch Belohnung gereizt, auch nicht in der Absicht, sich ein reichlicheres Auskommen zu verschaffen, sondern für das Auskommen weniger Herren, von denen sie nur erhalten, was zu ihrer Subsistenz erforderlich ist. Wünscht man das Geld im Lande zu vermehren, so muß man die Beschäftigungen und Arbeiten im Volk zu befördern und vervielfältigen suchen; das Land unabhängig machen von der Einfuhr ausländischer Waren, d. h. Industrie befördern, damit das von dem Ausländer erworbene Geld im Lande bleibt. Der größte Teil des Geldgewinnes aus der Produktion des Landes wird von den verhältnismäßig wenigen, in deren Hände er kommt, auf Gegenstände des größeren Wohllebens verwandt, für welches immer wieder zuviel auswärts bezahlt wird. Auch von den Mittelklassen im Volk wird eine zu große Summe nach auswärts bezahlt."

Norrmann bringt dann vier Hilfsmittel in Vorschlag. In erster Linie hält er eine Vermehrung des Kleinbesitzes auf den Rittergütern und im Domanium sowie eine Milderung der "Knechtschaft" für erforderlich 163 ). Nur wenn dem Landmanne die Früchte seines Fleißes zuteil würden, könnte man mit


163) In den 80er Jahren war bereits in verschiedenen Schriften zu dieser Frage Stellung genommen worden. Siehe Boll a. a. O. S. 575 ff.
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einer Vermehrung der Bevölkerung und mit einem sicheren Absatz der im Lande herzustellenden Industrieprodukte rechnen. Der zweite Vorschlag geht dahin, in verstärktem Maße den Anbau von sogen. Handelsgewächsen, besonders Hanf, Flachs, Hopfen und Zichorien, zu betreiben. Der dritte beschäftigt sich mit der Förderung der städtischen Industrie. Mecklenburg kaufe selbst die alltäglichsten Bedürfnisse der Kleidung, Bequemlichkeit usw. vom Ausländer. Die Herstellung der gewöhnlichen Gewebe aus Flachs, Hanf und Wolle für die mittleren und niederen Volksschichten könnte beträchtlich erweitert werden. Dadurch würde die Handelsbilanz des Landes günstig beeinflußt werden. Zum Schluß empfiehlt Norrmann die Errichtung einer Depositenkasse zur Unterbringung kleinerer Geldbeträge gegen geringe Zinsen, um die müßig liegenden Gelder der vielen "kleinen Leute" nutzbar zu machen.

Der Engere Ausschuß und die Kommitte brachten außerdem die Errichtung von Wollmagazinen in Vorschlag, ferner Einfuhrverbote bzw. -zölle für mehrere Waren (Hüte, Leinwand, Schuhwaren, Equipagen), da diese im Lande selbst in guter Beschaffenheit angefertigt würden. Außerdem wurde die Aufnahme einer ausländischen Anleihe empfohlen, um damit die dem Landkasten angeliehenen Kapitalien inländischer Herkunft frei zu machen.

Zimmermann 164 ) ging noch weiter; er forderte Einfuhrverbote für Zucker und Kaffee; eine 50%ige Wertabgabe bei der Einfuhr von Pferden und sonstigem Vieh, von Kleesamen, Wein, Tuchen, Leder; eine 100%ige Wertabgabe für Luxus- und Modeartikel.

Von den vielen Vorschlägen gelangte keiner zur Durchführung. Mecklenburg trieb einer schweren Kreditkrise entgegen, ohne daß die so dringend erforderliche Neugestaltung des Kreditwesens erreicht worden war.

~~~~~~~~~~


164) A. a. O. § 45 ff.
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III. Teil.

Die mecklenburgische Kreditkrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins
(1805 bis 1819).

I. Abschnitt.

Ursachen und Verlauf der Kreditkrise.

Die Hauptursache der 1805/06 einsetzenden Kreditkrise bildete die aus der Zeit der günstigen Konjunkturen herstammende hohe Verschuldung vieler mecklenburgischer Rittergüter. In den beiden vorhergehenden Abschnitten haben wir bereits die Höhe und Art der Verschuldung erörtert und dabei festgestellt, daß durch den spekulativen Besitzwechsel, aber auch durch umfangreiche Meliorationen und Intensivierungen eine bedeutende Zunahme der Verschuldung, besonders mit auswärtigem Kapital, eingetreten war 165 ). An dieser Stelle müssen wir auf die Güterverschuldung wegen ihrer Bedeutung für die Entstehung der Krise noch etwas näher eingehen.

Nach Zimmermann 166 ) betrug 1804 die Gesamtverschuldung der mecklenburgischen Rittergüter etwa die Hälfte der damaligen Kaufpreissumme. Letztere veranschlagt er auf 100 Millionen Rtlr., was unter Zugrundelegung des damaligen Hufendurchschnittspreises von rund 24 000 Rtlr. 167 ) bei rund 4000 katastrierten Hufen richtig erscheint. Danach betrug die Verschuldung insgesamt 50 Millionen Rtlr. Ein Anhalt zur Prüfung dieser Schätzung läßt sich zunächst aus der Höhe des Kapitalwertes der während der Spekulationsperiode (1790 bis 1804) zum Verkauf gelangten Güter gewinnen. Der umgesetzte Kapitalwert belief sich in Mecklenburg-Schwerin bei 588 Verkäufen auf rund 49 Millionen Rtlr. Zu berücksich-


165) S. S. 225 und 230.
166) A. a. O. § 42.
167) S. Anlage Nr. 1.
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tigen ist, daß in dieser Zeit viele Güter mehrmals verkauft wurden, ferner aber auch, daß die im Handel gewesenen Güter besonders hoch verschuldet worden waren. Es erscheint deshalb nicht zu hoch gegriffen, wenn man die aus den Spekulationskäufen hervorgegangene Verschuldung auf 15 Millionen Rtlr. beziffert. Hinzu kommen die von den übrigen Gütern in derselben Zeit aufgenommenen Meliorationskredite, in geringem Maße auch Konsumtivkredite, die zusammen mit der 1790 bereits vorhandenen Verschuldung wohl ebenfalls auf 15 Millionen Rtlr. zu bemessen sind. Rechnet man die strelitzschen Rittergüter noch hinzu, so kann man eine Gesamtverschuldung von nahezu 35 Millionen Rtlr. als ziemlich gewiß annehmen.

Wichtig ist noch die Feststellung, in welchem Umfange auswärtiges Kapital an der Verschuldung teilhatte. Zimmermann schätzt, wie bereits erwähnt 168 ), die jährlichen Zinsen für die auswärts aufgenommenen Kapitalien sowie die jährlichen Einkünfte aus Gütern, die sich im Besitze von Auswärtigen befanden, auf 4- bis 500 000 Rtlr. Diesem Betrage würde bei Annahme eines durchschnittlichen Zins- bzw. Ertragssatzes von 4 1/2 % ein Kapital von etwa 9 bis 11 Millionen Rtlr. entsprechen. Nach einer Schätzung des Steuerrats Schultze 169 ) belief sich das in schwerinschen Rittergütern angelegte auswärtige Leihkapital auf 15 Millionen Rtlr. und der Kapitalwert der in auswärtiger Hand befindlichen Güter auf 3 bis 4 Millionen Rtlr. Nach diesen Angaben darf man annehmen, daß die ritterschaftlichen Güter in Mecklenburg mindestens mit 10 Millionen Rtlr. an auswärtige Gläubiger verschuldet waren.

Natürlich war die Verschuldungshöhe der einzelnen Güter eine durchaus verschiedene. Am stärksten waren die Spekulationsgüter belastet. Nach Zimmermann war mehr als ein Zehntel aller mecklenburgischen Rittergüter nach dem damaligen Stand der Güterpreise zu 75 % und darüber verschuldet. Wenig oder gar nicht verschuldet war nach v. Plessen 170 ) der fideikommissarisch gebundene Grundbesitz. Bei den hochbelasteten Gütern überwogen die Kaufgeldschulden. Nur selten


168) S. S. 228.
169) Über öffentliche Schulden aus dem Kriege und dem allgemeinen Landesindult in Mecklenburg-Schwerin, 1808.
170) Grundzüge zur Verbesserung des Kreditwesens, 1804.
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war einer der Käufer imstande gewesen, bei den hohen Preisen und der oftmals bedeutenden Größe der Güter die Kaufsumme aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Der größte Teil des Kaufgeldes war im Kreditwege beschafft worden. Wer außer dem Inventar ein Drittel des Kaufpreises aus eigenen Mitteln bezahlt hatte, galt als ein vermögender Mann. Neben den mit Kaufgeldschulden belasteten Gütern gab es viele Gutsbetriebe, die zur Durchführung von Kulturverbesserungen in mehr oder weniger bedeutendem Umfange Schulden aufgenommen hatten.

Wie erklärt sich nun die außerordentliche Kreditfähigkeit der mecklenburgischen Rittergüter während der Spekulationsperiode trotz der Mangelhaftigkeit des damals geltenden Hypotheken- und Konkursrechtes? Die günstigen Wirtschaftsverhältnisse während der Hochkonjunktur bildeten zwar den Hebel zu einer erleichterten und erweiterten Kreditgewährung, aber sie verschafften dem Kreditgeber im Einzelfalle noch keine ausreichende Gewähr, daß er sein Kapital auch sicher angelegt habe. Der Umstand, daß die meisten Rittergüter keine Hypothekenbücher eingerichtet hatten, ließ den Realkredit zum Personalkredit oder, wenn man will, zum Personal-Realkredit werden. Bei der Kreditgewährung gab weniger das zum Unterpfand angebotene Grundstück, als vielmehr das persönliche Vertrauen zu dem Kreditnehmenden den Ausschlag. Nach diesem Grundsatz verfuhren vor allem die einheimischen Kapitalisten, und v. Blücher 171 ) berichtet, daß jener "gemischte persönliche Kredit" in Mecklenburg eine außerordentliche Höhe erreichte. "Jedem, der den Ruf von Reichtum, das Zeugnis eines guten Geldwirtes, eines ehrlichen Mannes zu erhalten bemüht war, traute man fast blind und machte sich wenig aus der Ungewißheit der Realsicherheit. Dazu kam . . . . . der Überfluß des Geldes, die mangelnde Gelegenheit, es anzulegen, was von manchem durch eine zu starke Benutzung des vorhandenen persönlichen Kredits dahin gemißbraucht wurde, daß auf ein Grundstück eine dessen Wert oft doppelt und mehr übersteigende Schuldmasse kontrahiert wurde und kontrahiert werden konnte, nicht immer aus unredlichen Absichten, sondern öfters in der festen Überzeugung eines ausreichenden Werts des betreffenden Grundstücks, um sich Mittel zu vermeintlich


171) Über die Erleichterung der Geldzahlungen, 1811.
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vorteilhaften Unternehmungen usw. zu verschaffen." Die Gutsbesitzer ohne Hypothekenbuch wurden für kreditwürdiger gehalten als die mit Hypothekenbuch, da letztere als besonders stark verschuldet galten. Diese Auffassung entsprach durchaus der damaligen Einstellung der Gutsbesitzer, nur dann Hypothekenbücher einzurichten, wenn die Verhältnisse dazu zwangen.

v. Blücher berichtet weiter: "Derjenige, der keine Neigung hatte, allen Aufwand zu vermeiden, oder dem persönliche Verbindungen abgingen und der deshalb von Inländern kein Geld bekommen konnte, wurde wegen des mangelhaften Realkredits genötigt, von dem benachbarten Ausländer zu borgen. Der Ausländer war gewohnt, auf keine weiteren Punkte als auf die Sicherheit der Hypothek Rücksicht zu nehmen. Er kannte das Hypothekenwesen und den Konkursprozeß in Mecklenburg vielleicht gar nicht oder doch nur wenig; er beurteilte die Verhältnisse nach denen seines Landes, und ihm genügten daher die öffentlich errichteten und landesherrlich bestätigten Hypothekenbücher völlig. Er prüfte den Wert der Hypothek ohne Vorurteil und ohne Furcht der Dinge, die da kommen sollen. Und da es manchem reichen Ausländer an guten Gelegenheiten zur sicheren nutzbaren Anlegung seines Geldes gefehlt hatte, so begegnete er solchen Anträgen ohne Bedenken. Bald erweiterte sich die Bekanntschaft des Mecklenburgers im Auslande; Negotianten, auch jüdische, ebneten die Bahn, und Mecklenburgs Gutsbesitzer standen in kurzer Zeit trefflich beim Ausländer angekreidet da." So erklärt sich, daß die von Auswärtigen gewährten Darlehen größtenteils den Platz der ersten Hypothek einnahmen, wie übereinstimmend berichtet wird.

Die schwierige Lage der Gutsbesitzer im Jahre 1804 hatte ihren Grund in den schlechten Ernten und in den zahlreichen Kapitalkündigungen gehabt. Letztere waren, wie erwähnt, die Folge des steigenden Zinsfußes gewesen. Der Kredit selbst war damals, mit Ausnahme bei den überschuldeten Gutsbetrieben, noch nicht ins Wanken gekommen. Aber bereits im Jahre 1805 trat der Umschwung ein. Viele auswärtige Gläubiger zogen mit Rücksicht auf die bedrohliche Entwicklung der Kriegsverhältnisse ihre Kapitalien aus Mecklenburg zurück. Hierselbst brach immer mehr die Erkenntnis durch, daß die Güterpreise infolge der Spekulation den Ertragswert weit über-

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stiegen hatten und die Schuldlasten für viele Güter untragbar waren. Gekündigte Darlehen konnten oft nicht zurückgezahlt werden, da Ersatzkapitalien kaum aufzutreiben waren. So wurde der Hypothekarkredit immer unsicherer. Das Mißtrauen der Gläubiger vergrößerte sich wegen der bestehenden großen Mängel im Kreditrecht 172 ). Auch die minder hoch verschuldeten Güter wurden hierdurch in Mitleidenschaft gezogen.

Als dann im Oktober 1806 Mecklenburg zum Kriegsschauplatz wurde, brach der Kredit völlig zusammen. Wiederum zeigte sich, wie überaus empfindlich der Agrarkredit in seiner damaligen Form gegenüber dem Wechsel der Konjunkturen war. Hatte die Hochkonjunktur der 90er Jahre zur Kreditüberspannung geführt, so brachte der Niedergang der Konjunktur eine völlige Kreditstockung mit sich. Den zahlreichen Kündigungen von Hypothekendarlehen stand in den Zahlungsterminen 173 ) ein gänzlich ungenügendes Angebot an Kapital gegenüber, und dem allgemein gewordenen Mißtrauen entsprachen die wucherischen Leihbedingungen. Das Mißtrauen der Gläubiger war durchaus gerechtfertigt, da die Güterverschuldung so hoch war, daß einige schlechte Ernten und Zinserhöhungen Zahlungstockungen hervorriefen.

Letzten Endes führt die Notlage der Gutsbesitzer auf die außerordentliche Entwicklung der Güterpreise zurück. Diese waren zwischen 1780 und 1804 auf das Drei- bis Vierfache gestiegen 174 ), während der Reinertrag der Güter sich während dieser Zeit vielleicht verdoppelt hatte 175 ). Von 1790 bis 1804 waren die Güterpreise bei einem Zinsfuß von 3 1/2 oder 4 % zustande gekommen, dieser erhöhte sich dann nominell auf 5 %, unter Einrechnung der vielen hohen Provisionen bei den häufigen Kündigungen jedoch auf mindestens 6 bis 10 % und darüber. Dadurch wurden auf Grund des Kapitalisationssystems nicht allein die Güterpreise bzw. die Grenze der Verschuldbarkeit beträchtlich herabgedrückt, sondern es erhöhten sich auch die Zinslasten mindestens auf das 1 1/2fache bis Doppelte bei gleichbleibenden bzw. sinkenden Reinerträgen. Die vielen kost-


172) Dieses war von Zimmermann in seiner 1804 erschienenen Schrift über Mecklenburgs Kreditverhältnisse einer schonungslosen Kritik unterzogen worden.
173) S. S. 163.
174) S. Anlage Nr. 1.
175) Schultze a. a. O.
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spieligen Meliorationen warfen günstigenfalls 3 bis 4 % Nutzen ab, während die dafür aufgenommenen Kredite nun mit mindestens 6 % verzinst werden mußten.

Geradezu verhängnisvoll gestaltete sich die Lage der Gutsbesitzer dadurch, daß nach Landesgewohnheit halbjährlich an den beiden Zahlungsterminen beliebig gekündigt werden konnte und die gekündigten Darlehen zum folgenden Termin zurückgezahlt werden mußten, sofern nicht vertraglich eine andere Kündigungsfrist festgesetzt war. Die Gläubiger kündigten nicht nur aus Mißtrauen, sondern der häufige Umsatz der Kapitalien war seit der Spekulationszeit infolge der steigenden Leihbedingungen (Provisionen, Prämien usw.) ein sehr einträgliches Geschäft geworden. v. Blücher berichtet 176 ), daß bei dem unzureichenden Kapitalangebot viele Hypothekendarlehen zu jedem Zahlungstermin aufs neue gekündigt wurden und die Kapitalsuchenden durch die vielen Negoziationen in mancherlei Verlegenheiten und Kosten gerieten, die zur Vermehrung der Schuldenmasse beitrugen. "Der Gutsbesitzer als derjenige, der den meisten Privatkredit gebrauchte, sah sich genötigt, längere und kostbare Reisen zu unternehmen, um gekündigte Kapitalien wieder anderswo anzuleihen, und fiel gewöhnlich in die Hände derjenigen, die mit dem Gelde Handel trieben und seine Verlegenheit zu ihrem eigenen Vorteil übermäßig zu benutzen suchten." Und in den Akten heißt es 177 ): "Gerade das Negociieren ist für die Debitores der verzehrende Krebs. Man weiß es aus Erfahrung, daß die sichersten Leute, welche Kapitalien zu negociieren veranlaßt gewesen, nur auf kurze Zeit von Juden und Christen solche erhalten haben und in jedem Zahlungstermin 2 bis 4 % Provision bezahlen müssen. Dies macht aufs Jahr mindestens 4 %, hierzu 5 % Zinsen, macht 9 %. Welcher Gutsbesitzer kann dies lange aushalten? Dieses Übel ist bei den strengsten poenal-Gesetzen nicht zu verhindern." Im übrigen dachte man gar nicht daran, bei dem außerordentlichen Kapitalmangel die Festsetzung von Provisionen, Prämien usw. als Wucher hinzustellen.

Außer dem in Rostock, Schwerin und Güstrow halbjährlich stattfindenden "Kapitalmarkt" gab es in Mecklenburg keiner-


176) Über die Erleichterung der Geldzahlungen, 1811.
177) Acta, betreffend die Einführung eines allgemeinen Landesindults und dessen Wiederaufhebung, 1806/26.
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lei Anstalt oder Organisation für den privaten Kredit- und Kapitalverkehr. Nach Boll 178 ) wurden die Hypothekendarlehen hauptsächlich durch Advokaten vermittelt. "Der Wust unserer Kreditgesetze zwingt jeden, welcher etwas darleihen will, einen Rechtsgelehrten in Rat zu nehmen. Niemand kann ja das Gewebe von Möglichkeiten des Verlustes und der Betrügerei durchschauen, als ein in Mecklenburg speziell erfahrener und recht sorgsamer Jurist. Auch der erfahrene Geschäftsmann ist oft nicht imstande, die Sicherheit einer Forderung zu beurteilen; nur durch die größte Aufmerksamkeit auf die geheimen Handlungen seines Schuldners und seiner Mitgläubiger kann man sich überzeugen, daß man nicht gefährdet wird."

Verschärft wurde die Notlage der Gutsbesitzer durch die Beschränkungen des seewärtigen Getreideabsatzes, die sich aus der im November 1806 beginnenden, gegen England gerichteten Napoleonischen Kontinentalsperre ergaben. Jeglicher Verkehr mit England wurde den Mecklenburgern verboten. Im November 1807 wurde die Sperre auf Schweden ausgedehnt, da sich dieses Land dem Kontinentalbunde nicht anschließen wollte 179 ). Durch die Einbeziehung Hamburgs in das Kontinentalsystem ging der Absatz mecklenburgischen Getreides nach dort völlig zurück. Wenn trotzdem die Getreidepreise bis zum Jahre 1810 nicht übermäßig sanken 180 ), so lag dies zum Teil an dem wenig günstigen Ausfall einiger Ernten, zum andern aber daran, daß infolge des großen Bedarfs der in Hannover und Preußen stehenden Heeresmassen eine völlige Stockung im Getreideabsatz für Mecklenburg nicht eintrat. Außerdem wurde in den Jahren 1808/09 nach den russischen Ostseeprovinzen sowie nach Finnland, und mit Beginn des Jahres 1810 wieder nach Schweden Getreide exportiert 181 ). Die Getreideausfuhr des Strelitzer Landes nahm während des Krieges von 1806 sogar einen gewissen Aufschwung. U. a. wurden die preußischen Magazine beliefert, und der Weizenpreis stieg bis zu 4 Taler 20 Schilling für den Scheffel 182 ).


178) A. a. O. S. 587.
179) F. Stuhr, Die Napoleonische Kontinentalsperre in Mecklenburg: Jahrb. d. V. f. meckl. Gesch. 71 (1906), S. 329/30.
180) S. Anlagen 2 und 3.
181) Stuhr a. a. O. S. 352/53.
182) Vitense a. a. O. S. 380.
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Bereits am 13. Dezember 1806 bewilligte die Schweriner Regierung "zur Abwendung des gänzlichen Ruins der mit Schulden beladenen und von Barschaften entblößten Landeseinwohner" ein "Anstandsjahr" für alle im Kalenderjahr 1807 fällig werdenden verzinslichen Kapitalzahlungen. Von diesem Indult blieben rückständige Zahlungen ausgeschlossen. Die gleiche Maßnahme wurde in Mecklenburg-Strelitz am 6. Januar 1807 durchgeführt. In beiden Ländern wurde dann der Indult bis zum Ablauf des Jahres 1808 verlängert. Zweifellos wurde die schwierige Lage der Gutsbesitzer durch den Indult insofern erleichtert, als die hohen Kosten für die Wiederbeschaffung der so oft gekündigten Kapitalien wegfielen. Schultze meint in der erwähnten Schrift, daß wohl mancher Gutsbesitzer sich die Fortdauer des Krieges gewünscht haben mag, "wenn solcher nur auch den Indult zur Begleitung behalten wollte". Andererseits vernichtete aber der Indult den letzten Rest von Kredit. So ist eine von der Ritterschaft im Jahre 1807 geplant gewesene auswärtige Anleihe in Höhe von 350 000 Rtlr., mit deren Durchführung der Hamburger Bankier Gumprecht Moses beauftragt worden war, anscheinend wegen des Indults nicht zustande gekommen.

Der Iudult konnte den Konkurs zahlreicher Güter nicht verhindern. Schon 1807 brachen viele Gutsbetriebe unter der Last der Zinsen und der infolge des Krieges vermehrten öffentlichen Abgaben zusammen, und in den folgenden Jahren nahm die Zahl der Konkurse erheblich zu 183 ). Viele Konkursgüter wurden für die Hälfte des Ankaufspreises weggeschlagen, so daß sehr viele Gläubiger leer ausgingen. Von diesen Verlusten wurden hauptsächlich die inländischen Gläubiger betroffen, da die auswärtigen sich fast ausnahmslos durch Hypothekenbücher oder Eigentumsrechte gesichert hatten. Mehrere Gutsbesitzer entledigten sich ihrer hochverschuldeten Güter durch öffentliche Verlosungen. die landesherrlich genehmigt waren. So wurde beispielsweise das Gut Benthen mit 10 000 Losen zu je 2 Friedrichsd'or verlost 184 ).

Trotz der bedrängten Lage der Gutsbesitzer erfolgte die Aufhebung des Indults bestimmungsgemäß zum Schluß des Jahres 1808. Es wurde jedoch verordnet, daß die


183) S. Anlage Nr. 5.
184) Vitense a. a. O. S. 382.
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im Trinitatistermin 1808 gekündigten Kapitalien nicht vor Jahresfrist, und alsdann nur zur Hälfte zahlbar sein sollten. Das gleiche wurde für die Jahre 1809/11 mit der Maßgabe bestimmt, daß nur im Trinitatistermin gekündigt werden konnte.

Die Notlage der Gutsbesitzer wurde unerträglich, als im November 1810 die Ausfuhr der Landesprodukte infolge verschärfter Durchführung der Kontinentalsperre völlig unterbunden wurde. Da von der Getreideausfuhr gewissermaßen die Existenz des Landes abhing, wurde die Schweriner Regierung sogleich bei dem französischen Spezialrat in Hamburg vorstellig. "Seitdem der Stillstand den Handel mit den Naturprodukten des Landes ergreift," so schrieb der Minister Freiherr von Brandenstein, "sehen wir mit Schrecken die Hilfsquellen versiegen, aus denen der Staat sein Leben fristet. Wir sehen aus dem Lande das letzte Stück Geld herausgehen, ohne Mittel zu finden, es zu ersetzen.

Mecklenburg ermangelt vieler unbedingt notwendiger Gegenstände. Es hat nötig aus Frankreich Seidenwaren, Tuche und Hüte, Wein, Öl und vieles mehr, aus Schweden und Rußland Bauholz, Eisen, Kupfer, Vitriol, Teer und Hanf. Die zur Einfuhr dieser Dinge erforderlichen Mittel kann Mecklenburg nur durch den Debit seiner Naturprodukte, nämlich Wolle, Pferde und insbesondere Getreide, sich verschaffen.

Unmöglich ist es, Getreide auf Wagen zu exportieren, die sonst alle übrigen Waren (selbst die Weine von Bordeaux) bis nach Norddeutschland befördern, weil es die Transportkosten nicht zu tragen vermag. Wenn die Häfen geschlossen bleiben, wird der Getreidepreis bald auf Null sein, und unser einziges Subsistenzmittel wird uns keinen Nutzen mehr bringen.

Der Getreidepreis ist bereits schon unter die Hälfte des gewöhnlichen Preises gefallen und fällt noch täglich."

Nach Decker 185 ) stockte der Schiffsverkehr auf der Warnow vom Herbst 1810 bis zum Frühjahr 1813 völlig. Rostocks Handel wurde dadurch lahmgelegt. Wismar erging es nicht anders. In Mecklenburg-Schwerin sank der Preis für einen Scheffel Roggen im Jahre 1811 auf 20 bis 8 Schillinge und in Mecklenburg-Strelitz bereits im Jahre 1810 auf 10


185) Die Napoleonische Kontinentalsperre und ihre Wirkungen in Rostock. Rostocker Diss. 1922 (Auszug).
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Groschen 186 ). Ungeachtet der niedrigen Preise suchten die Gutsbesitzer ihr Getreide möglichst sofort zu verkaufen, um bei der großen Gefahr der französischen Requisitionen und Plünderungen nicht völlig leer auszugehen. Was Thünen in seinem "Isolierten Staat" 187 ) im Hinblick auf den Getreidepreissturz während der 20er Jahre feststellt, nämlich daß "auf allen schlechten, ja auf allen Bodenarten mittlerer Güte der Anbau des Getreides mit Verlust verbunden ist", trifft in Mecklenburg auch für die Jahre 1810/12 zu. Von den im Jahre 1811 eingeführten Lizenzen konnte der mecklenburgische Handel wegen der damit verknüpften hohen Gebühren keinen Gebrauch machen, da sich der Getreideexport nach den nächsten "befreundeten" Häfen vollzog, während die hohe Gebühr für den direkten Handel mit England berechnet war, das auf diesem Wege zu den Kosten für den französischen Flottenbau beitragen sollte. - Trotz ausgedehnten Schmuggels stiegen die Preise für auswärtige, insbesondere Kolonialwaren ins Riesenhafte. 1811 war z. B. 1 Pfund Kaffee (1 Taler) 6mal so teuer wie 1 Scheffel (= 60 Pfund) Roggen (8 Schillinge) 188 ).

Die Kontinentalsperre war für die mecklenburgische Landwirtschaft von verheerender Wirkung. Obgleich für Mecklenburg-Strelitz im August 1811 und für Mecklenburg-Schwerin im Januar 1812 der Generalindult verfügt wurde 189 ), nahm die Zahl der Güterkonkurse zu 190 ). Außer den großen Zinsenlasten drückten besonders die vermehrten Abgaben. Vom 1. Juli 1809 ab hatte die Ritterschaft aus politischen Rücksichten auf die Steuerfreiheit der Hälfte ihrer Hufen verzichtet und sich außerdem zu Beihilfen für die hohen staatlichen Kriegslasten herbeigelassen. Bei Erlaß des Indults hatte Mecklenburg-Schwerin monatlich allein 150 000 Taler für den Unterhalt der fremden Truppen aufzubringen. Die Güterpreise sanken gegenüber 1804 auf annähernd die Hälfte 191 ),


186) Meckl. Anzeigen 1881, Ausgabe Nr. 190.
187) 2. Aufl. 1863, Bd. II 2, S. 226/27.
188) Decker a. a. O.
189) Der Schweriner Herzog konnte sich zunächst zur Erteilung des Generalindults nicht entschließen, da er hiervon die völlige Zugrunderichtung des Kredits befürchtete.
190) S. Anlage Nr. 5.
191) S. Anlage Nr. 1.
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und die Kapitalschulden waren in vielen Fällen kaum noch zu einem Drittel gedeckt 192 ).

Wie groß die Not Mecklenburgs war, mag daraus erhellen, daß selbst der Landkasten im Trinitatistermin 1811 seine Zahlungen einstellen mußte. Anleiheversuche im Aus- und Inlande waren ohne Erfolg geblieben, ebenso die Bemühungen, die Gläubiger zur freiwilligen Stundung zu bestimmen.

Alle Maßnahmen, die zur Erleichterung für den Grundbesitz damals getroffen wurden, waren Palliativmittel und nicht geeignet, der Kreditnot abzuhelfen. In erster Linie ist hier eine in Mecklenburg-Schwerin am 31. III. 1812 erlassene Konstitution über die "möglichste Abwendung der Konkurse" zu nennen. Danach sollte Anträgen von Gläubigerseite auf Einleitung des Konkursverfahrens nur dann stattgegeben werden, wenn sie gehörig begründet waren. Jedoch sollten zuvor die Vermögensverhältnisse des Schuldners gerichtsseitig geprüft und, wenn diese es zuließen, eine gütliche Einigung versucht werden. Scheiterte dieser Versuch, so hatten die Gerichte nach bestimmten Grundsätzen dem Schuldner von Amts wegen Abtragungstermine zu gewähren. Diese Vorschriften richteten sich hauptsächlich gegen damals auftretende Mißbräuche, Konkurse künstlich zu erregen. Der Reichskammergerichtsassessor von Kamptz bemerkt hierzu im Jahre 1809 193 ): "Ein landverderbliches elendes Handwerk ist es, wenn - wie nicht allein im Lande, sondern auch außerhalb . . . . bekannt genug ist - mehrere durch die Stimme des Publikums hinreichend bezeichnete Personen 194 ) zum Teil in eigenen Konventikeln Gelegenheiten, Konkurse zu erregen, ausmitteln und verabreden, demnächst einzeln oder gemeinsam den Kredit der bezeichneten Opfer anzuschwärzen und untergraben, allenthalben Kündigungen und Klagen gegen ihn erregen und den Schuldner dadurch in Verlegenheit und zum Konkurse bringen, um unter der Firma des inmittelst erbettelten Aktorats 195 ) den Konkurs in die Länge zu ziehen und aus den Trümmern sich zu bereichern." Auch von Nettel-


192) Memorandum des E. A. an den Schweriner Landesherrn vom 9. 12. 1811.
193) Acta, die Verhandlungen über den Entwurf und die Publikation einer neuen Konkursprozeß-Ordnung betreffend, 1805/12.
194) Gemeint sind Advokaten.
195) S. S. 187/188.
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bladt 196 ) weiß zu b

erichten, daß ein Teil der Anwälte Konkurse durch unerlaubte Mittel erregt habe.

Solche Fälle waren mittelbar darauf zurückzuführen, daß in dem mecklenburgischen Konkursprozeß nicht der Richter, sondern der "gemeinsame Anwalt" (actor communis) die leitende Stellung einnahm. Diese Posten waren so einträglich, daß damals eine regelrechte "Aktoratsjagd" einsetzte. Nach von Kamptz trösteten sich mittellose Eltern über die Studienkosten ihrer Söhne schon im voraus damit, daß ein gutes Aktorat das Geld wieder in die Familie bringen würde. -

Ferner wurden in beiden Mecklenburg für die im Jahre 1814 fälligen Zinszahlungen Erleichterungen gewährt, und zwar durften die Jahreszinsen statt in zwei, in vier Terminen entrichtet werden.

Der von vielen Seiten gemachte Vorschlag, zur Linderung der Geldnot einen Teil der Staatsschulden zu "fundieren" und in umlaufsfähige Zahlungsmittel umzuwandeln, wurde im Jahre 1810 für die "Bons" (d. s. Bescheinigungen der Landeskreditkommission über Lieferungen an fremde Truppen) praktisch durchgeführt. Natürlich wurde die schwere Notlage der Gutsbesitzer durch diese Maßnahme kaum beeinflußt.

Von den vielen sonstigen, in öffentlichen Schriften und Eingaben gemachten Vorschlägen zur Abschwächung der Kreditkrise, wie Errichtung eines landschaftsähnlichen Kreditinstituts nach voraufgegangener Reform des Hypotheken- und Konkursrechtes, Gründung einer Zettel- und Girobank usw. ist keiner verwirklicht worden. Fast allgemein war man der Ansicht, daß während der Krise die Reform des Hypothekenwesens ausgesetzt bleiben müßte, "da sonst der Vermögenszustand eines jeden Grundbesitzers öffentlich bekannt und dieses einem großen Teil der Grundbesitzer nachteilig werden und seinen Kredit untergraben könnte". Mit der Einführung eines landschaftlichen Kreditsystems aber wollte man zweckmäßigerweise bis zum Eintritt des Friedens warten. Die Verhandlungen des Engeren Ausschusses mit dem Landesherrn wegen Einführung einer Konkursordnung, denen ein nach preußischen und französischen Gesetzen bearbeiteter Entwurf des bereits genannten hervorragenden Juristen von Kamptz zugrunde lag,


196) Bemerkungen über einige Gegenstände des mecklenburgischen Konkursprozesses, 1810.
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führten lediglich zu der erwähnten Konstitution vom 31. März 1812 197 ).

Obwohl die Beendigung der Kontinentalsperre im März 1813 den mecklenburgischen Landwirten eine gewisse Erleichterung verschaffte, mußte doch noch mancher hochverschuldete Gutsbesitzer trotz des weiter bestehenden Generalindults den Konkurs über sich ergehen lassen. Die Kredit- und Schuldnot der Gutsbesitzer dauerte bei den gesunkenen Güterpreisen unvermindert fort. Der Individualkredit hatte in Mecklenburg seine zweite große Schlappe erfahren. Es bestand kein Zweifel mehr, daß eine Besserung in den landwirtschaftlichen Kreditverhältnissen nur durch grundlegende Reformmaßnahmen zu erreichen war.

In Preußen lagen die Verhältnisse ähnlich wie in Mecklenburg. In Schlesien setzte der Rückschlag auf die Güterspekulation schon 1800 ein, in den übrigen östlichen Provinzen einige Jahre später, bei Ausbruch des Krieges. Auch hier waren die hohe Verschuldung als Ergebnis des Güterhandels sowie der Preissturz der Grundstücke nach voraufgegangener Hausse die eigentlichen Ursachen der vielen Zusammenbrüche. Hier wie dort konnte der Generalindult den hochverschuldeten Gutsbesitzern keine Rettung bringen.

 

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II. Abschnitt.

Die Vorschläge und Verhandlungen zur Gründung eines Kreditvereins.

Im März 1814 wurde auf einem ritterschaftlichen Konvent beschlossen, alle Eingesessenen aufzufordern, dem Engeren Ausschuß der Ritterschaft Vorschläge für die Einführung eines Kreditsystems einzureichen.

Nach Lage der Verhältnisse kam es in erster Linie darauf an, durch geeignete Maßnahmen die kurzfristigen hypothekarischen Privatschulden in langfristige bzw. unkündbare Anstaltsschulden umzuwandeln. Im vorigen Abschnitt haben


197) S. S. 246.
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wir erörtert, welch überaus nachteilige und verhängnisvolle Folgen aus der kurzfristigen Kündbarkeit der Hypothekendarlehen entstanden waren. Bei der weitverbreiteten hohen Verschuldung der mecklenburgischen Rittergüter war an die Aufhebung des Generalindults nicht eher zu denken, bis die gedachte Umschuldung erfolgt war, wenn nicht zahllose Gutsbetriebe dem Zusammenbruch preisgegeben werden sollten. So ist es verständlich, daß in den vielen Vorschlägen, die dem Engeren Ausschuß zugingen, das Hauptgewicht auf die Unkündbarkeit des Kredits gelegt wurde. Auf welchem Wege dies zu erreichen wäre, darüber gingen die Ansichten in den Vorschlägen mehr oder weniger auseinander.

Auf das alte Institut des Rentenkaufs zurückgreifend, wurde von dem Justizrat Paepke die Wiedereinführung unablöslicher Renten empfohlen. Durch die "willkürliche Lösung der in Grundstücken radizierten Kapitalien" war nach seiner Meinung ein ungleiches und ungerechtes Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger geschaffen worden. Die Verwirklichung des Vorschlags dachte sich Paepke folgendermaßen. Die Umschuldung erfolgt unter Leitung einer Zentralbehörde, an die jährlich für jede - auch unverschuldete - Hufe mindestens 100 Rtlr. als Tilgungsbeitrag für die bestehenden Kapitalschulden zu entrichten sind. Für diese Beiträge, die sofort an die Gläubiger abzuführen sind, werden Rentenbriefe ausgegeben, die - mit der Spezialhypothek des verschuldeten Gutes sowie der Generalgarantie der Ritterschaft versehen und zu 4 % verzinslich - als Zahlungsmittel für Zinsen und Steuern zugelassen werden. Die Beleihung eines Gutes mit Rentenbriefen erfolgt bis zu 3/4 des Taxwertes. Für darüber hinaus Verschuldete war ein besonderer Tilgungsplan vorgesehen. Die Fortdauer des Indults wurde bis zur vollendeten Durchführung der Umschuldung für erforderlich gehalten. Beachtlich ist an diesem Plan, daß die Umschuldung allmählich und lediglich mit Mitteln des Grundbesitzes selbst vorgenommen werden sollte. Bei der allgemeinen Kreditlosigkeit mußte es freilich aussichtslos erscheinen, die für eine sofortige allgemeine Umschuldung erforderlichen großen Mittel im Wege einer Anleihe zu beschaffen. Von der Aufbringung der Tilgungsmittel abgesehen, hatte die vorgeschlagene Einrichtung große Ähnlichkeit mit der preußischen Landschaft.

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Von den übrigen Vorschlägen verdient noch derjenige des Landrats von Ferber besondere Beachtung, da dessen Plan von dem Engeren Ausschuß der Ritterschaft als zur Durchführung geeignet übernommen wurde. von (Druckfehler) Ferber bringt die Gründung eines sinkenden Fonds zum sofortigen allmählichen Abtrag der ritterschaftlichen Gutsschulden sowie zur Einführung eines daraus hervorgehenden Kreditvereins in Vorschlag. Der Fonds soll während eines Zeitraums von etwa 10 Jahren durch jährliche Hufenbeiträge gesammelt werden. Die Mitgliedschaft zu diesem Verbande eines sinkenden Fonds ist freiwillig; Nichtmitgliedern soll jedoch die Vergünstigung des Indults entzogen werden.

Mit dem sinkenden Fonds werden zunächst die Schulden der am wenigsten verschuldeten Güter getilgt. Die entschuldeten Güter legen Hypothekenbücher nieder, worin die mittels des Fonds getilgten Posten als der assoziierten Ritterschaft zustehend eingetragen werden. Außerdem stellt der Schuldner über die getilgten Posten 5%ige Schuldverschreibungen aus, die bei dem E. A. als gemeinsames Eigentum niedergelegt werden. Jedes Gut erhält alljährlich eine Quittung des E. A. über die eingezahlten Beiträge. Für die Anteile an dem sinkenden Fonds haften die entschuldeten Güter und die Schuldverschreibungen. Will ein entschuldetes Gut hinter dem ritterschaftlichen Kredit neue Schulden aufnehmen, so bedarf es nur der Eintragung ins Hypothekenbuch. Die neuen Schulden sind jedoch von dem Indult ausgeschlossen.

Die Durchführung dieses Plans werde, wie von Ferber meint, zum Ergebnis haben: 1. einen Fonds von 1 1/2 bis 2 Millionen Rtlr., 2. die Gewißheit, daß die dem Verbande angehörenden Güter nicht mehr Schulden haben, als sie zu tragen vermögen. Dieses Ergebnis aber verschaffe die Grundlage zu der Errichtung eines ritterschaftlichen Kreditvereins, wobei vielleicht die Pommersche Landschaft als Muster dienen könnte. Die Schuldverschreibungen würden alsdann durch Pfandbriefe abgelöst werden, während der Fonds - nötigenfalls durch Anleihen verstärkt - dem Kreditverein zu überweisen sei, damit dieser nach Aufhebung des Indults durch die zu erwartenden Pfandbriefskündigungen nicht in Verlegenheit komme.

Dieses Projekt eines Tilgungsfonds mit anschließender Errichtung eines Kreditvereins wurde von dem Engeren Aus-

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schuß der Ritterschaft zu einem ausführlichen Gutachten ausgearbeitet und im März 1815 nach Prüfung durch eine ritterschaftliche Spezialkommitte den Landesherren und der Landschaft zur Durchführung in Vorschlag gebracht.

Während der Schweriner Landesherr schon im Juni den E. A. d. R. wissen ließ, daß er den Vorbereitungsverband nicht für durchführbar halte, wandten sich die landschaftlichen Mitglieder des E. A. im September mit einer gegen die ritterschaftlichen Pläne gerichteten ausführlichen Erklärung an den Schweriner Landesherrn. Diese Stellungnahme der Landschaft ist durchaus verständlich, denn für sie galt es, die gefährdeten Interessen der städtischen Kapitalisten und Geldmäkler in Schutz zu nehmen. Daß sie diese ihre Aufgabe mit allen Mitteln zu erfüllen bestrebt war, zeigt der Verlauf der weiteren Verhandlungen. Zunächst sei aber noch kurz der Inhalt der landschaftlichen Erklärung dargelegt. Der geplante Vorbereitungsverband wurde als Mittel lediglich zur Verlängerung des Indults bzw. zur "Einführung einer höchlich privilegierten Privatsparkasse" bezeichnet. Alle Vorzüge eines Kreditvereins wurden einfach bestritten. Es sei eine "sehr kühne Operation", das unbewegliche Eigentum gegen seine Natur immer mehr in "transportable Papier-Repräsentation" aufzulösen. Diese bewegliche Masse nehme immer etwas von der Natur des Papiergeldes an. Der Anreiz zum Schuldenmachen werde vergrößert. Dadurch würden die großen Gutsbesitzer zur Mittragung allgemeiner Lasten unfähig gemacht und in dem Zustand eines steten Hinstrebens nach privaten Bevorrechtungen erhalten werden. Bei günstigen Konjunkturen würden die Gutsbesitzer bei erweitertem Kredit in Güterankäufen spekulieren, wie es in Schlesien der Fall gewesen sei. Dem Staate aber sei viel mehr mit vielen wohlhabenden Besitzern (Kleinbesitz!) als mit wenigen überreichen gedient.

Der Kreditverein würde unfehlbar alle verfügbaren Kapitalien an sich ziehen, die dann, "im Luxus und in der Spekulation verdampft, fremden Zonen zufliegen". Der Kredit aller anderen Staatsbürger werde gelähmt, um einer einzigen Klasse eine vorübergehende Gunst zu gewähren. Das Ende sei ein allgemeiner Bankerott. Weit besser überließe man alles dem natürlichen Gange der Privatverhältnisse. Die beabsichtigte Reform des Hypothekenwesens allein würde ausreichen, um den Kredit der Gutsbesitzer wiederherzustellen.

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Auf diese Erklärung der Landschaft beschloß der E. A. d. R., von der geplanten Einberufung einer gemeinsamen ritter- und landschaftlichen Kommitte in Sachen des Kreditvereins Abstand zu nehmen. Zugleich wurde versucht, mit den Landesherren in direkte Verhandlungen zu treten. Der Schweriner Fürst war auch nicht abgeneigt, die Errichtung eines Kreditvereins zu fördern. Zunächst hielt er jedoch eine weitere Bearbeitung und Vorbereitung der Angelegenheit für notwendig. Vor allem müßte der Kapitalfonds auf kürzerem Wege zusammengebracht werden.

Im November 1815 ließ sich der Schweriner Landesherr durch zwei Deputierte der Ritterschaft deren Wünsche vortragen. Aus einem Berichte der Deputierten ist zu entnehmen, daß der damalige Minister von Plessen die Bestrebungen der Ritterschaft warm unterstützte. Er gab den Ratschlag, die Einführung eines Kreditsystems als eine rein private ritterschaftliche Angelegenheit und völlig getrennt von dem Indult zu behandeln, denn dann wäre die höchst schwierige Auseinandersetzung mit der Landschaft über den Indult beseitigt. Weiter empfahl er, mit großen Bankhäusern in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Kassel in Verbindung zu treten, da man dort zweifellos die für den Fonds erforderlichen Mittel anleihen könne. Die von ritterschaftlicher Seite angemutete Überlassung einer etwa eingehenden Kriegsentschädigung als verzinsliche Anleihe wäre mit Rücksicht auf die öffentliche Finanzlage nicht möglich.

In einer späteren Unterredung mit dem Justizrat Paepke, der die ritterschaftlichen Vorschläge mit ausgearbeitet hatte, gab der Minister zu verstehen, daß der Plan eines Vorbereitungsverbandes aufgegeben werden müsse, da die Fortdauer des allgemeinen Landesindults auf längere Zeit nicht mehr zu rechtfertigen sei. Man solle möglichst bald die Gründung eines Pfandbriefinstituts in die Wege leiten. Offenbar war dies die Meinung des Schweriner Landesherrn, die nicht unberücksichtigt bleiben konnte, da die Gründung eines Kreditinstituts wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters einer solchen Korporation der landesherrlichen Bestätigung bedurfte. So blieb der Ritterschaft nur übrig, auf den geplanten Vorbereitungsverband zu verzichten und ihren weiteren Vorschlägen lediglich die Errichtung eines Kreditvereins zugrundezulegen.

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Im Februar 1817 überreichte sie der Landschaft neue Entwürfe zu einem "Regulativ für den ritterschaftlichen Kreditverein" und zu einer "Hypothekenbuch-Ordnung für die ritterschaftlichen Güter". Der Entwurf zu dem Regulativ läßt unschwer erkennen, daß er den preußischen Landschaftssatzungen nachgebildet ist. Allerdings sollte der Kreditverein kein Zwangsverband, sondern eine freiwillige Organisation sein. - Das Muster der Hypothekenbücher entspricht demjenigen der preußischen Hypothekenordnung von 1783. Der Entwurf zu einer Hypothekenbuchordnung sieht die allmähliche Einführung von Hypothekenbüchern vor. Eine Verpflichtung hierzu entsteht im Falle des Beitritts zu dem Kreditverein sowie im Falle des Besitzwechsels. Die spätere Einführung einer Zwangspflicht bleibt vorbehalten. Die Rangordnung der an einem Grundstück vorhandenen Rechte sollte sich nach den bestehenden Vorzugsrechten und die der später entstehenden Rechte nach dem Zeitpunkt der Eintragung richten.

Auch diese Vorschläge fanden bei der Landschaft keinen Beifall. Ihr schien die "absolute Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit des Kreditvereins noch immer nicht völlig erwiesen". Dieser bezwecke lediglich den unmittelbaren Vorteil einer einzigen Klasse von Staatsbürgern. Sowohl auf dem platten Lande als in den Städten würden den übrigen Grundeigentümern alle Geldmittel entzogen werden. Der einzige Erfolg für den Staat wäre, daß der drückende allgemeine Indult endlich aufgehoben werden könnte. Für diesen Erfolg aber habe sich die Ritterschaft die Bemächtigung aller Barschaften ausbedungen.

Im September 1817 wurde in Doberan eine Konferenz über den Entwurf zu den Kreditvereinssatzungen abgehalten, an der die Minister von Brandenstein und von Plessen aus Mecklenburg-Schwerin, der Minister von Oertzen aus Mecklenburg-Strelitz und eine ritterschaftliche Deputation teilnahmen. Hier wurde eine von der Ritterschaft verfaßte ausführliche Denkschrift übergeben, in der die Einwände der Landschaft als unbegründet zurückgewiesen wurden. Der Hauptzweck des Kreditvereins, so wurde ausgeführt, besteht darin, den Wucher zu hemmen und den Zinsfuß auf 4 % herabzusetzen. Mit der Errichtung von Hypothekenbüchern allein läßt sich die erstrebte Aufhebung des Indults nicht herbeiführen, vielmehr ist auch eine zwischen Gläubiger und Schuldner vermittelnde

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Anstalt erforderlich, da Leihkapitalien fast nur durch Unterhändler zu erlangen sind. Wird der Indult ohne zuvorige Errichtung eines Kreditvereins aufgehoben, so werden zahllose Konkurse und unabsehbare Verluste für die Gläubiger eintreten. Der für das städtische Gewerbe usw. befürchtete Mangel an Geldkapital wird nicht eintreten, da sich der Bedarf der Gutsbesitzer an Bargeld durch den Umlauf der Pfandbriefe verringert. Auch können die Pfandbriefe nicht mit Papiergeld verglichen werden, da ihre schrankenlose Vermehrung nach den Statuten nicht zulässig ist. Zwar wird der Verein eine Krediterleichterung mit sich bringen, aber nur in angemessenen Grenzen, denn die Hypothekenbücher und Taxen werden verhindern, daß sich hinter den Pfandbriefen ein übermäßiger Kredit bildet. - Auf der Konferenz kam man überein, den Entwurf nach einigen Abänderungen den Landesherren zur Genehmigung vorzulegen. Diese wurde seitens des Schweriner Fürsten im Oktober 1817 mit der Zusage erteilt, den Entwurf auf dem nächsten Landtage in einer Landtagsproposition den gesamten Ständen zur Prüfung und Beratschlagung vorlegen zu lassen.

Ohne Frage hatte die Ritterschaft diesen vorläufigen Erfolg zum großen Teil dem Minister von Plessen zu verdanken, der immer wieder mit Rat und Tat die Errichtung des Kreditvereins zu fördern gesucht hatte. Von nicht zu unterschätzendem Einfluß auf den Lauf der Verhandlungen dürfte aber auch eine Anzahl von öffentlichen Schriften gewesen sein, in denen hervorragende Praktiker und Wissenschaftler zu der Kreditvereinsfrage Stellung nahmen. Vor allem ist hier ein Aufsatz Thünens "Über die Einführung des Kreditsystems in Mecklenburg" 198 ) zu nennen.

Thünen hält den Indult in Mecklenburg aus folgenden Gründen für notwendig: 1. wegen des gesetzlichen Verbots, mehr als 5 % Zinsen zu nehmen. Diese Bestimmung führt zu zahllosen Kapitalkündigungen, wenn der Wert des Geldes infolge Kriegs oder anderer Unglücksfälle steigt und die Kapitalisten nun ihr Kapital höher als zu 5 % nutzen möchten 199 ), der Gutsbesitzer aber den wahren Preis des Geldes nicht bezahlen kann. 2. Wegen der unnatürlichen Einrichtung, von


198) Neue Annalen der mecklenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft, 1817, S. 401 ff.
199) S. S. 241.
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einem Gute, das keine Kapitalien abwirft, sondern nur jährliche Renten trägt und nicht stückweise verkauft werden kann, doch Kapitalzahlungen zu verlangen 200 ). Die Möglichkeit, Kapitalien zu bezahlen, hängt für den Gutsbesitzer von dem Zufall ab, ob er von einem anderen Kapitalisten Geld geliehen erhält. 3. Wegen der großen Kapitalverluste, die die Gutsbesitzer und Gläubiger bei den niedrigen Preisen für Landgüter durch Güterkonkurse erleiden. - Thünen weist aber auch auf die schädlichen Folgen des Indults hin. Der Kredit wird vernichtet, da der Gläubiger sein zur Hypothek liegendes Kapital durch Verkauf der Obligation nicht flüssig machen kann, denn über deren Sicherheit herrscht in der Regel völlige Ungewißheit.

Zur Beseitigung aller dieser Mißstände schlägt Thünen vor:

  1. die Einführung von unablöslichen Rentenzahlungen statt der bisherigen Kapitalforderungen, wenigstens für die zur ersten Hypothek stehenden Kapitalien;
  2. die gerichtliche Eintragung der Renten;
  3. eine glaubwürdige gerichtliche Taxe des der Rente zur Hypothek dienenden Gutes.

Um zu verhindern, daß die für verschiedene Güter eingetragenen Renten einen verschiedenen Kurs erhalten, wodurch der Umsatz der Papiere und ihr Verkauf ins Ausland sehr erschwert würde, hält Thünen die Gründung eines Kreditvereins nach dem Muster der preußischen Landschaft für erforderlich, allerdings mit dem wesentlichen Unterschiede, daß die Pfandbriefe seitens der Gläubiger nicht kündbar sein dürften. Dadurch würde sich die Beschaffung eines Realisationsfonds erübrigen und ferner die Gefahr ausgedehnter Kündigungen bei steigendem Zinsfuße und somit der Indult selbst ausgeschlossen sein. -

Auf dem Sternberger Landtage im Jahre 1818 gaben dann die Stände ihre Zustimmung zu der Gründung eines ritterschaftlichen Kreditvereins sowie zu der Einführung einer Hypothekenordnung für die ritterschaftlichen Güter. Die landesherrliche Bestätigung der Statuten des Kreditvereins erfolgte im Jahre 1818, die Eröffnung des Kreditvereins im Juli 1819 und der Erlaß der Hypothekenordnung im November 1819.

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200) Diese Fiktion hat später Rodbertus zur Grundlage seines Werkes über die Abhilfe der Kreditnot (1868) gemacht.
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III. Abschnitt.

Wesen und Aufbau des Ritterschaftlichen Kreditvereins von 1819.

Nach der Einleitung zu den Statuten besteht der Zweck des Kreditvereins darin, die Kreditverhältnisse der mecklenburgischen Gutsbesitzer auf eine dauernde, der Lage der Dinge angemessene Weise zu ordnen und als vermittelnde Behörde zwischen Gläubiger und Schuldner das beiderseitige Interesse auf gleiche Weise zu berücksichtigen.

Der Kreditverein ist eine öffentlich-rechtliche Korporation, die der Oberaufsicht der Landesherren untersteht. Beleihungsfähig sind nur die zum ritterschaftlichen Kataster gehörigen und nicht im Besitz der Landesherrschaften befindlichen Hauptgüter, sofern die Gebäude bei einer der ritterschaftlichen Brandsozietäten versichert sind. Der Ein- und Austritt ist den Gutsbesitzern zu jeder Zeit freigestellt. Wie bei der preußischen Landschaft erfolgt die Kapitalbeschaffung mittels Ausgabe auf den Inhaber lautender Pfandbriefe, die auf eine an erster Stelle eingetragene Hypothekenforderung fundiert sind. Für die Sicherheit der Pfandbriefe haften die Kreditverbundenen gesamtschuldnerisch. Die Beleihungshöhe ist auf die Hälfte des taxierten Gutswerts festgesetzt. Der Zinsfuß der Pfandbriefe beträgt 4 %. Außer Zinsen und einmaligen Kosten bei Eintritt in den Verein bzw. Aufnahme eines Pfandbriefdarlehens hat der Schuldner halbjährlich je 1/4 % des Darlehnsbetrages für die Bildung eines Kassen- und eines Tilgungsfonds zu entrichten. Die Mittel des Tilgungsfonds sollen möglichst in Pfandbriefe umgewandelt werden. Neben den genannten Fonds ist noch ein Reservefonds für Kapitialrückzahlungen zu bilden. Die Pfandbriefe sind nur seitens des Inhabers kündbar.

Die Verwaltung des Kreditvereins liegt in den Händen von drei Kreisdirektionen, einer Hauptdirektion, einer Revisionskommitte und der Generalversammlung. Die Mitglieder der Haupt- und Kreisdirektionen werden durch die Generalversammlung gewählt und müssen dem Kreditverein beitreten. Die Hauptdirektion hat die Durchführung der Statuten zu

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überwachen, während von den Kreisdirektionen die eigentliche Verwaltungsarbeit geleistet wird. Die Geschäfte der Revisionskommitte sind den Mitgliedern des gemeinsamen Engeren Ausschusses übertragen. Der jährlich stattfindenden Generalversammlung werden die Geschäfts- und Prüfungsberichte erstattet.

Rückständige Zahlungen der Mitglieder werden nach geschehener Mahnung sofort beigetrieben. Im Nichtbeitreibungsfalle erfolgt die Sequestration und nötigenfalls die Administration des Gutes. Im Konkursfalle findet öffentliche Versteigerung statt; der Zuschlag erfolgt bei einem Mindestgebot von 2/3 des Taxwertes.

Für die Wertermittlung der dem Verein beitretenden Güter sind besondere Taxgrundsätze erlassen. Als Unterlage für die Taxation dient die früher zu Steuerzwecken vorgenommene Hufenbonitierung 201 ), und zwar werden hierbei an Hand des Bonitierungsprotokolls und unter Verwendung von Tabellen, die für die verschiedenen Acker-, Wiesen- und Weidenklassen den Reinertrag ausweisen, die jeweiligen Reinerträge für die abzuschätzenden Flächen berechnet. Nach Vornahme gewisser Abzüge und Zuschläge wird der sich ergebende Gesamtreinertrag zu 4 1/2 % kapitalisiert.

Mit der Errichtung des Kreditvereins war endlich auch die so dringend nötige Reform des ritterschaftlichen Hypothekenwesens durchgeführt worden. Die Hypothekenordnung von 1819 schrieb für alle ritterschaftlichen Landgüter die Eröffnung von Hypothekenbüchern bis zum 1. Januar 1826 vor. Für die dem Kreditverein beitretenden Gutsbesitzer bestand die satzungsmäßige Verpflichtung zur sofortigen Einrichtung. Alle Hypothekenvorzugsrechte sowie Eigentumsvorbehalte und Adjudikate fielen für die Zukunft weg. Die Rangfolge der eingetragenen Rechte richtete sich nach dem Zeitpunkt der Eintragung. Im Konkurs waren nur noch die öffentlichen Abgaben, die Amtsanlagen und Versicherungsbeiträge, und im beschränkten Umfang die Pfarrabgaben bevorrechtigt. -

Alle Vorbedingungen zu einer Besserung der ritterschaftlichen Kreditverhältnisse waren damit gegeben. Aber ehe der


201) S. S. 158. - Die Verwendung der Hufenbonitierung bei Kredittaxen ist auf die Anregung Thünens zurückzuführen, der auch die Ertragszahlen zu den Tabellen geliefert hat. (Mielck a. a. O. S. 71 ff.)
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Kreditverein mit seiner aufbauenden Tätigkeit recht beginnen konnte, wurde Mecklenburg nach kurzer Erholungsperiode von der großen Agrarkrise der zwanziger Jahre mit ergriffen. Thünen berichtet, daß während der Krisenjahre kein dem Kreditverein angehörendes Gut wegen Nichtzahlung der Zinsen unter Sequestration gekommen sei, wenn auch wegen der niedrigen Kornpreise der wirkliche Wert der Güter meist niedriger war als der volle Taxwert des Kreditvereins 202 ). Dank der vorsichtigen Darlehnsbemessung und dank seines soliden Aufbaus konnte der Kreditverein die Krise nicht allein ohne Schaden überstehen, sondern dem Umfange nach gestärkt aus ihr hervorgehen, denn es gehörten dem Kreditverein an im Jahre:

1820 - 3 Güter,          1826 - 78 Güter,
1821 - 15 Güter,          1828 - 90 Güter,

1824 - 66 Güter,          1829 - 96 Güter.

Die Wirkung des neuen Kreditsystems auf den Realkredit der Gutsbesitzer entsprach voll und ganz den gesteckten Zielen. Thünen bekundet, daß "der Kreditverein (während der Krise) sehr erheblich dazu beigetragen habe, den niedrigen statutenmäßigen Zinsfuß von 4 1/2 % aufrechtzuerhalten und eine weitere Abnahme des Güterwertes zu verhindern" 203 ). Der im Oktober 1825, also gegen Ausgang der Krise, versammelte städtische Konvent aber kam zu der Feststellung. (Druckf.) daß es infolge "der glücklichen Operationen des Ritterschaftlichen Kreditvereins in den gewöhnlichen Landeszahlungsterminen an den zu den Versuren erforderlichen Kapitalien nicht fehle". Die umfassende Sicherstellung der Gläubiger in dem neuen Kreditsystem hatte zur Folge, daß städtisches Kapital in größerem Umfange dem ritterschaftlichen Agrarkredit wieder nutzbar gemacht werden konnte. Dies lag vor allem auch im Interesse der Geldkapitalisten selbst, da mit Ausnahme der fürstlichen Kammer und Renterei sowie der städtischen Grundstücke die Landgüter die Hauptgelegenheit boten, Kapitalien zinstragend anzulegen. Andererseits gab es in den mecklenburgischen Städten nicht wenige Bürger, wie Sibeth 204 ) berichtet, denen


202) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 115 ff.
203) H. Westphal a. a. O. S. 115.
204) Über die Verbesserung des Schuldsystems in Mecklenburg-Schwerin. Güstrow 1816. S. 47 ff.
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der Krieg, d. h. die Versorgung der fremden Truppen, bare Gewinne eingebracht hatte, die aber mangels sicherer Anlagemöglichkeiten ungenutzt liegen blieben. Besonders "Kaufleute, Bäcker, Lieferanten, Hospitalväter, Schlächter und diejenigen Bürger, die die Einquartierung für Geld übernahmen, ferner Fuhrleute und Tagelöhner" waren die Träger solcher "Kriegsgewinne". Diesen kleinen Kapitalisten und Sparern bot nun, nach erfolgter Gründung des Kreditvereins, der Ankauf von Pfandbriefen eine sichere und bequeme Kapitalanlage, zumal die Einteilung der Pfandbriefe in Abschnitte von 25 bis 1000 Rtlr. dem Anlagebedürfnis jedes einzelnen Rechnung trug.

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Schlußwort.

Nach Mauer 205 ) lassen sich für den ländlichen Bodenkredit drei geschichtliche Entwicklungsstufen unterscheiden: Gebundenheit, Freiheit und Organisation. Die erste Stufe wird gekennzeichnet durch die Abhängigkeit der Kreditaufnahme bzw. der Grundstücksverpfändung von der Zustimmung der Lehns- oder Grundherren, die zweite durch den Wegfall dieser Beschränkungen und das weitere Angewiesensein auf die private Darlehnsgewährung (Individualkredit), die dritte durch die weitgehende Ersetzung des Individualkredits durch den Anstaltskredit.

Die vorliegende Untersuchung führt uns den Übergang vom Individual- zum Anstaltskredit in Mecklenburg vor Augen. Fragen wir nach den Ursachen, die diesem so bedeutungsvollen Schritte in der Entwicklung des mecklenburgischen Agrarkreditwesens zugrunde liegen, so ist in erster Linie auf die Einbeziehung der mecklenburgischen Landwirtschaft in die Verkehrswirtschaft hinzuweisen. Mecklenburgs Wirtschaft erlitt im Dreißigjährigen Kriege ihren völligen Niedergang. Von einem wirklichen Wiederaufstieg kann wohl erst in dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts die Rede sein, als die Koppelwirtschaft in Mecklenburg Eingang fand. Der Übergang von der extensiven zur intensiven Wirtschaftsweise brachte Ge-


205) Das landschaftliche Kreditwesen Preußens. 1907. Einleitung.
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treideüberschüsse für den Export mit sich. Die rationelle Bewirtschaftung des Bodens entsprang den allgemeinen Bestrebungen nach einer Erhöhung der Gutserträge, welche Wirkung man durch Bauernlegen und Vermehrung der Frondienste zu steigern suchte. In diese Zeit fällt für Mecklenburg das "Eindringen rationalistisch-kapitalistischen Geistes", das "Erwachen des Erwerbstriebes in den Kreisen der Gutsherren". Diese lernen geldwirtschaftlich denken. Aber auch der Boden selbst wird in die Verkehrswirtschaft hineingezogen, da er frei veräußerlich, frei verpachtbar und frei verschuldbar ist. Das Rittergut bleibt nicht mehr ausschließlich der angestammte Besitz adliger Familien. Es wird in vielen Fällen freiwillig veräußert und sogar zum Handelsobjekt, und die Zahl der bürgerlichen Gutsbesitzer wächst. Hierzu trägt auch die durch die kapitalistische Wirtschaftsweise bedingte Verschuldung der Güter bei, die bei ungünstiger Konjunktur zur zwangsweisen Aufgabe des Besitzes führt. In solchen Zeiten wird die Aufrechterhaltung des Besitzes nicht nur durch die Einflüsse der Konjunktur erschwert, sondern der alsdann auftretende Wucher des Geldkapitalisten verschärft die mißliche Lage des Gutsbesitzers bis zum äußersten.

In Preußen verhalf das Institut der Landschaft den adligen Gutsbesitzern nicht nur zur Erhaltung, sondern sogar zu einer Ausdehnung ihres Besitzes und führte zum Feudalkapitalismus 206 ). Die Kredit- und Schuldnot der preußischen Gutsbesitzer zu Anfang des 19. Jahrhunderts darf nicht auf das Kreditsystem als solches zurückgeführt werden, sondern war die Folge einer im System nicht begründet liegenden übermäßigen Krediterleichterung. Die Einführung der ständisch-genossenschaftlichen Kreditorganisation war das Werk des absolutistisch regierten preußischen Staates. In Mecklenburg ergaben sich die Schwierigkeiten bei der Einführung eines geregelten Kreditwesens aus den mannigfachen Gegensätzen zwischen den Ständen. Wenn trotzdem diese Schwierigkeiten schließlich überwunden wurden, so hat hierbei nicht zuletzt der Zwang der Verhältnisse selbst beigetragen, denn es galt doch, den in schwere Kreditnot geratenen Stand der Gutsbesitzer im Interesse des Staates existenzfähig zu erhalten.

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206) Sieveking, Grundzüge der Wirtschaftslehre, S. 211/12.
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Anhang.

 

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Anlage 1.

Kaufpreise der Lehns- und Allodialgüter in Mecklenburg-Schwerin während des Zeitraums von 1770 bis 1824 * ).

Kaufpreise der Lehns- und Allodialgüter in Mecklenburg-Schwerin während des Zeitraums von 1770 bis 1824

Die durchschnittliche Größe einer ritterschaftlichen Hufe beträgt 185 Hektar.


*) Zusammengestellt aus "Die Kauf- und Pachtpreise der Landgüter und die Marktpreise landwirtschaftlicher Produkte in Mecklenburg-Schwerin seit dem Jahre 1770" (Schwerin 1880) bzw. "Über den Wert der ritterschaftlichen Landgüter in Mecklenburg-Schwerin und die sukzessiven Änderungen derselben" (Sep. Abdruck aus den Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs).
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Anlage 2.

Die Rostocker Getreidepreise von 1781 bis 1810.

(Akten des Geh. u. Hauptarchivs zu Schwerin).

Die Rostocker Getreidepreise von 1781 bis 1810.

1 Rtlr. = 48 ßl. Die Preise verstehen sich für 1 Scheffel.

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Anlage 3.

Die Boizenburger Getreidepreise von 1791 bis 1810.

(Akten des Geh. u. Hauptarchivs zu Schwerin).

Die Boizenburger Getreidepreise von 1791 bis 1810.

1 Rtlr. = 48 ßl.

Die Preise verstehen sich für einen Scheffel.

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Anlage 4.

Übersicht über die Rostocker, Boizenburger und Dömitzer Kornausfuhr von 1777 bzw. 1782 bis 1791.

(Aufgestellt nach den amtlichen Kornausfuhrlisten 1 ).

Übersicht über die Rostocker, Boizenburger und Dömitzer Kornausfuhr von 1777 bzw. 1782 bis 1791.

(Die bzgl. Rostock gemachten Angaben für 1777 und 1783 umfassen die Ausfuhr je eines halben Jahres.)

Nach Norrmann, Die Freiheit des Getreidehandels, 1802, S.323, betrug die Rostocker Getreideausfuhr jährlich im Durchschnitt

für 1789/94 - 6900 Last und
für 1795/1800 - 9200 Last.

Im Jahre 1796 wurden 11 600 Last und im Jahre 1800 11 100 Last ausgeführt.


1) von Bassewitz, Gedanken über die Kornausfuhr von Mecklenburg. 1792.
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Anlage 5.

Konkurse der Rittergüter Mecklenburgs * ).

(Zusammengestellt aus dem mecklenburg-schwerinschen Staatskalender.)

Konkurse der Rittergüter Mecklenburgs

 

**) Die Zunahme an Gütern folgt aus der Erklärung von Nebengütern (Pertinenzien) zu Hauptgütern.

 

Vignette

*) Für die Jahre 1810/20 entnommen aus: H. Westphal, Die Agrarkrisis in Mecklenburg in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
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V.

Die Rechte der Stadt Wismar
an Bucht und Hafen

von

Friedrich Techen.

 

Vignette
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I n der ersten Anlage zu seinem rechtsgeschichtlichen Gutachten über das vormalige Küstengewässer (Strand) und die Rechtsverhältnisse in der Travemünder Bucht hat das Mecklenburg-Schwerinsche Geheime und Hauptarchiv den Wismarschen Hafen behandelt und ist darin zu dem Ergebnisse gekommen, daß die Landesherren Wismar nie die Nutzung des Tiefs der Bucht strittig gemacht, nie aber anerkannt haben, daß die Stadt dort eine Gebietshoheit habe. "Der Prozeß wegen des Strandrechts auf der Lieps, der sich zu einem Streit um das Tief erweiterte, ist nicht zu Ende geführt worden. Wismar berief sich damals (1597) auf seine Privilegien und auf unvordenklichen Besitz. Die Privilegien aber, wenn man sie richtig verstand, ließen die Stadt im Stich . . ., und daß es ihr gelungen wäre, einen unvordenklichen Besitz zu erweisen, kann nach dem Stande der Akten nicht behauptet werden. Beide, die Landesherrschaft sowohl wie Wismar, haben verschiedentlich ihren Anspruch verfochten und betätigt; das bessere Recht aber ist auf Seiten der Landesherrschaft gewesen" * ).

Ich bin völlig damit einig, daß wie ehemals so auch jetzt die Stadt Wismar ihre Ansprüche auf den Hafen auf Privilegien und unvordenklichen Besitz zu stützen hat. Freilich lassen die Privilegien insofern einigermaßen im Stich, als die Auslegung nicht zweifelsfrei ist. Meine Auslegung, die ich in den Hansischen Geschichtsblättern 1906 S. 273 vorgetragen habe, benötigt einer Änderung des Textes, die als richtig anzuerkennen niemand gezwungen werden kann, die aber, an sich geringfügig genug, den Text verständlich macht und ihn in Einklang mit dem bringt, was sonst über die Rechtslage bekannt ist. Danach verleiht (oder bestätigt) Herr Heinrich von Meklenburg der Stadt 1266 omnia infra terminos sive disterminaciones dicte civitatis (Wismar) contenta, tam aquas, quam prata cum pascuis et insula (überliefert: insulam) Lypez usque ad municiones civitatis . . . perpetuo possidenda.


*) Vgl. Jahrb. 89, S. 192 ff. Wir geben der folgenden Entgegnung unseres langjährigen Mitarbeiters gern Raum, wenn wir auch in der Bewertung des Materials zu einem anderen Ergebnis kommen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, bemerken wir nur, daß die Fischerei in der Wismarschen Bucht im 19. und 20. Jahrhundert landesherrlich geregelt ist (ebd. S. 207), was sich mit der Schlußfolgerung des Herrn Verfassers nicht vereinigen läßt.
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Die Schweriner Auslegung sieht et insulam L. als einen Einschub an, der die Konstruktion unterbricht und meiner Ansicht nach so stört, daß von einer Konstruktion und Auslegung überhaupt nicht die Rede sein kann. Und trotz des Widerspruchs aus Schwerin muß ich bei meiner wohlüberlegten Behauptung bleiben, daß die Privilegienbestätigung, die Herr Nikolaus von Werle 1302 bei der Eventualhuldigung der Stadt gab, den betreffenden Satz durch de . . . portu wiedergegeben hat und daß in dem portus die Liepz einbegriffen sein sollte. Denn der Text dieser Urkunde (M. U.-B. 2780) gibt offenbar in aller Kürze und in gleicher Folge den vom Jahre 1266 (M. U.-B. 1078) wieder.

Eine unleugbare Anerkennung seiner Rechte am Hafen in seiner weiteren Ausdehnung hat Wismar in der Urkunde Herzog Heinrichs IV. vom 23. April 1476, worin dieser Rostock und Wismar gegenüber auf den ihm vom Kaiser verliehenen Wasserzoll verzichtete, aufzuweisen. Der Herzog hatte danach das Recht erhalten, einen Wasserzoll zu erheben und Zollhäuser einzurichten zwischen Rostock und Warnemünde und zwischen Wismar und Pöl. Auf die Vorstellung der Städte aber, daß dieser Zoll sich mit ihren Privilegien, Rechten, Verleihungen, alten Gewohnheiten, Eigentum, Freiheiten und langem Besitz nicht vertrüge und ihnen zu großem Verderb gereichen würde, verzichtete er auf den Zoll und wollte die Städte sich gern ihrer Privilegien, Gerechtsame, Verleihungen, Besitzungen und alter Gewohnheiten erfreuen lassen 1 ).

Sicher ist, daß die Stadt die Liepz besessen und genutzt hat. Sie ward anfangs gerade so wie der Aderholm oder Holm (seit 1629 Walfisch genannt) und der nur einmal bezeugte Swinholm 2 ) verpachtet und gehörte hernach mitsamt dem Aderholm zu den Loosen, die unter die Ratmannen ausgeteilt wurden 3 ). Man kann sich schwer vorstellen, daß diese Inselchen, namentlich die weit entlegene Liepz, ihrer Nutzung wegen von der Stadt erworben sein sollten. Sie boten aber wertvolle Stützpunkte im und am Tiefe. Und zumal auf den Besitz der


1) Das Privileg ist im Rostocker Ratsarchiv, gedruckt bei Senckenberg, Selecta jvris et historiarvm 2 S. 504-509.
2) Stadtbuch A S. 46 b, nicht gedruckt.
3) Vgl. Bürgerrecht und Lottacker, Hans. Gesch.-Bl. 1918 S. 191-196. Jahrb. f. Meckl. Gesch. 31 S. 39-45. Um 1370 ward der Sohn des Pfarrers von Damshagen von Wismar verfestet, weil er nächtlicher Weile ein Pferd von der Liepz gestohlen hatte. M. U.-B. 10 004.
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Liepz berief sich Wismar, wenn es galt, seine Rechte an Hafen und Tief zu begründen und ihre Ausdehnung zu bestimmen.

Zwischen Hafen und Tief unterschied man im allgemeinen nicht, wie denn auch der Begriff des portus im Latein des Mittelalters und der der havene umfassender ist als der des modernen Hafens.

Daß das den Bürgern Schwerins in einer gefälschten Urkunde (M. U.-B. 100 S. 99) verliehene Recht, in portu, qui Wissemer dicitur, 2 Koggen und kleinere Fahrzeuge in beliebiger Zahl zu halten (bestätigt durch Kaiser Otto IV. 1209 und 1211: M. U.-B. 202 m. Anm.), sehr früh außer Übung gekommen sein muß, soll nur angemerkt werden.

Der Rat verfügte ohne Rücksicht auf die Landesherren und ohne Einspruch zu begegnen, in mancherlei Art über Hafen und Tief.

Er verbot in der Bürgersprache von 1345 an bis 1610 und weit darüber hinaus bei Leib und Leben, Ballast in den Hafen zu werfen 4 ), und erneuerte dies Verbot in den 1663 und 1673 erlassenen, 1740 erneuerten und 1854 neu gedruckten Hafenordnungen, hier bei höchster Strafe 5 ). Daß unter Hafen aber nicht nur der Raum innerhalb Baums oder der Alten Schweden verstanden ist, wird, wie es sich von selbst versteht, noch ausdrücklich dadurch erwiesen, daß anstatt portus oder havene mehrmals deep oder profundum gesetzt ist 6 ). Ob sich die meist gleichzeitig findende Anordnung, wracke Schiffe aus dem Hafen zu schaffen, auch auf das Tief bezieht, mag auf sich beruhen. Auch später hat der Rat Verordnungen für das Hafengebiet erlassen. Er ordnete am 7. Mai 1608 an, daß die Fischer, denen am besten "der have gelegenheit und tiefe" bekannt sei, die Seetonnen aus- und einbringen sollten. Am 29. Oktober 1655, daß Lübecker, Rostocker und andere fremde Schiffe, die, um ihre Teilladung zu vervollständigen, das Tief anliefen, von ihrer Teilladung Hafengeld gleich Bürgern zu geben hätten. Strafandrohungen wegen Verrückens von Seezeichen und Wegholens von Steinen vom Walfisch ergingen


4) Bürgersprachen 1345 II § 3. 1347 § 6. 1348 § 2. 1353 XVII § 3. 1356 § 4. 1365 § 2. 1371 und 1372 § 10. 1373 § 8. 1385 § 8. 1395§ 6. 1397 § 6. 1400 XI § 6. 1401 § 6. 1417 § 5. 1418 § 5. 1419 § 5. 1420 § 6. 1421 § 6. 1424 § 10. 1430 § 12. 1480 § 8. LXX § 34. LXXI § 80. LXXII § 67.
5) Strand- und Hafenordnung 1673 § 39. 1740 § 39. Für Auswerfen auf der Reede oder im Hafen wurden 200 Tlr. Strafe angedroht 1743 Mz. 4.
6) 1345 und 1356: deep, 1401: profundum.
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1731 Aug. 17 und 1732 Juli 12. Als im Sommer 1831 die Gefahr der Cholera drohte, gab der Rat den Lotsen auf Pöl die bestimmteste Ordre, den Rostocker Schiffer Günther (der, da er Warnemünde nicht anlaufen durfte und davor nicht ankern konnte, die wismarsche Reede anlief) auf keine Weise zuzulassen und wollte dort überhaupt keine infizierten Schiffe dulden 7 ). Nachher, als auf dem Walfische eine Quarantäne-Station eingerichtet ward, erklärte er, daß die Stadt ihren Hafen zu dieser Einrichtung bereitwilligst hergegeben habe 8 ). Die aus zwei großherzoglichen Beamten, einem Ratsherrn und einem Bürger der Stadt zusammengesetzte Quarantäne-Kommission aber ersuchte den Rat, das Schießen im Hafen auf dem Wasser oder nahe am Strande zu untersagen, damit nicht die Posten auf dem Walfische, auf dem Wachtschiffe und an der Küste unnötigerweise alarmiert würden 9 ). Nach einer Verordnung vom 15. Juli 1840 muß der Schiffer, sobald er auf der Reede Anker geworfen hat oder in den Hafen eingelaufen ist, seine Ladung deklarieren, ist aber von Ungeld befreit, wenn er auf der Reede Anker wirft, ohne die Ladung zu brechen. Der Rat bestimmt den Betrag der Hafen- und Baggerabgabe für nicht nach Wismar bestimmte Schiffe, je nachdem sie innerhalb der durch die Tonnen bezeichneten Außengründe oder auf der Reede ankern oder soweit einsegeln, daß sie das Pfahlwerk benutzen, 1855 Juni 8 und 1873 März 19 10 ). Die Hafenordnung vom 22. April 1879 erstreckt sich nicht nur auf den inneren Hafen, sondern auf das ganze Fahrwasser. Am 21. Oktober 1879 wird über Beschädigung und Verbringung der Schiffahrtszeichen verordnet 11 ), am 29. April über die Geschwindigkeit der Dampfschiffe bis zum Walfische. Lotsengeldpflichtig sind ein- und aussegelnde Schiffe bis zu den großen Tonnen am Hannibal und an der Liepz (Verordnung vom 26. Oktober 1887). Das Abgraben und Abfahren von Sand und Steinen von der Liepz ohne Erlaubnis des Hafendepartements wird am 11. November


7) Ratsarchiv Wismar Tit. XIX Nr. 2 Vol. 24 (Juni 13).
8) Ebd. Juni 22.
9) Ebd. [64 b].
10) Die für die ganze Verordnung nachgesuchte landesherrliche Bewilligung mußte eingeholt werden, weil die Abgaben auch den fremden Mann trafen.
11) Dies auf Aufforderung seitens der Regierung.
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1902 verboten und nach Zurückerwerbung des Walfisches, den Wallenstein zwecks Befestigung der Stadt entzogen und den nachher Schweden und Meklenburg weiter besessen hatten, ward am 16. August 1905 verboten, dort bis zu einer Entfernung von 200 m Sand, Kies, Ton zu graben oder Steine wegzunehmen. Etwas später (1907 Jan. 17) ward Jagen und Schießen auf dem Walfisch und 300 m davon verboten. Wiederum erstreckt sich die Hafenordnung vom 17. Oktober 1907 auch auf den Außenhafen, Fahrwasser und Reede. Auch über das Verhalten gegenüber Schiffen und Booten von Fürstlichkeiten im Hafen bis zu den großen Tonnen am Hannibal und an der Liepz und über das Führen des Hecklichts in Hafen und Bucht innerhalb Jäckelberg-Riff, Hannibal-Grund und Liepz sowie innerhalb Tarnewitz sind städtische Verordnungen erlassen (1903 Juli 7 und 1913 Aug. 28). Es ist auch, als die Stadt 1874 in den Verhandlungen über die Ausführung der Deutschen Strandrechtsordnung behauptete, daß ihr die Polizei und Justiz im äußeren Hafen zustehe, aber sich bereit erklärte, in dieser Beschränkung von ihrem Rechte abstehen zu wollen 12 ), hat das Ministerium keinen Einspruch erhoben. Insbesondere hat der Wismar keineswegs zugetane Drost v. Oertzen in einer Konferenz am 16. April 1880 anerkannt, daß der Magistrat unbestritten die Polizei über den wismarschen Busen bis zu den äußersten Tonnen, die Wohlenberger Wiek eingeschlossen, ausübe 13 ). Erst nach langem Verhandeln über die Fischereirechte 1880/81 haben sich der großherzogliche Kommissar und die Stadt dahin geeinigt, daß in der wismarschen Bucht außerhalb der Alten Schweden mit der Wohlenberger Wiek ohne den Faulen See, den Kirchsee und die Golwitz, die Ausübung der Polizei in fischereipolizeilichen Bestimmungen ohne Präjudiz für die beiderseitigen Rechte bis auf Kündigung der Stadt übertragen sein solle 14 ).

Dieser Sachlage gemäß erteilte der Rat für das Hafengebiet Geleit und mußte, als Lübecker und Rostocker es gebrochen hatten, den in portu et in jurisdictione et libertate Wismars Geschädigten für den Schaden einstehn 15 ).


12) Tit. X Nr. 4 Vol. 68 [4].
13) Tit. XVI Vol. 32 zu [21].
14) Ebd. zu [37] § 3.
15) M. U.-B. 6564. 6563.
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Im Jahre 1428 forderte Lübeck Wismar auf, gegen Freibeuter in der Golwitz einzuschreiten 16 ), und 1443 vertrieb Wismar solche von dort 17 ), wogegen es allerdings 1397 in Abrede genommen hatte, daß die Golwitz sein Hafen sei 18 ).

Daß Wismar die Benutzung seines Hafens zur Ausfuhr von Korn Gutsbesitzern und Bauern der Umgegend überhaupt nicht und selbst seinen Landesherren nur ausnahmsweise zugestand und Klipphäfen in seiner Nachbarschaft nach Möglichkeit bekämpfte, ist anderswo ausgeführt worden 19 ). Es erhob aber von ab- und einsegelnden Schiffen Akzise und Hafengeld, und das nicht nur, wenn sie am Bollwerk oder im inneren Hafen festgemacht hatten, sondern auch (in geringerer Höhe), sobald sie den Hafen nur berührten 20 ). Ebenso mußten Schiffe, die Windes oder Unwetters wegen das Tief angelaufen hatten, auf Verlangen löschen, sofern der Rat nicht Rücksicht übte 21 ).

Es fehlt auch trotz aller Verluste. die gerade die Gerichtsbücher getroffen haben, nicht an Zeugnissen, daß der Rat sowohl im äußeren wie im inneren Hafen die Gerichtsbarkeit geübt hat. Ich führe nur die ersteren an.

Im Jahre 1366 wurden Henneke Storm und Genossen wegen eines in stangno proprie Lypze begangenen Raubes von Wismar verfestet 22 ), 1382 ebenso der Ritter Konr. v. d. Lühe und Genossen wegen eines im Hafen begangenen Raubes 23 ). Im Jahre 1448 wurden zwei Seeräuber enthauptet, die mit Raubgut in das Wißmarische deep gekommen waren 24 ). Am 20. Januar 1575 ward über zwei auf dem Eise keigen der hogen hollen nach Pole werts Verunglückte am Strande Gericht


16) HR. I, 8, 561.
17) HR. II, 3, 51
18) HR. I, 4, 413 § 11.
19) Hans. Gesch.-Bl. 1908 S. 117 ff.
20) Tit. X Nr. 4 Vol. 7 a S. 23 (Zeugenaussage von 1597). 1655 Okt. 29 (Verordnung). Tit. X Nr. 1 Vol. 3 b (Ratsbeschluß von 1695 Juli 15). Tit. IV Vol. 13 S.746, 748 (Bericht von 1722). Tit. X Nr. 4 Vol. 44 (1795, einem verunglückten Schiffe erlassen). Tit. X Nr. 4 Vol. 65 [95] (Auskunft von 1864 an das Ministerium). Verordnungen von 1855 Juni 8 und 1873 März 19.
21) Lüb.Urk.-B. 7 Nr. 81 (1427), 373 (1429). 11 Nr.707 (1493).
22) M. U.-B. 9468.
23) M. U.-B. 11 390: in portu dominorum, d. h. der Ratmannen. Daß sich der Raub nur im Außenhafen, vermutlich in der Golwitz, abgespielt haben kann, liegt auf der Hand.
24) Tit. X Nr. 4 Vol. 3, Bericht von 1621 Dez. S. 21.
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gehalten 25 ), am 25. August 1590 über drei Tage vorher jenseit des großen Baums (diesseits des Holms) Ertrunkene 26 ). In einigen Fällen entstand Streit, wenn die Leichen bei Pöl oder Redentin an den Srand (Druckf.) getrieben waren, wo dann gegenüber Wismar das Strandrecht geltend gemacht ward 27 ). Als v. Negendank zu Eggerstorf eine Zeise 1678 hatte pfänden lassen, hielt Wismar seine Gerichtsbarkeit aufrecht 28 ). Auch im 19. Jahrhundert ist bei Unglücksfällen im Hafen von städtischer Seite das Fahrgericht gehalten worden. Dabei hatte sich das Unglück jenseits des Walfisches ereignet 1856, 1857, 1863, zwischen dem Stagorte und dem Walfische 1864, bei Hoven 1860, bei der Pöler Brücke 1864, jenseits der Alten Schweden 1858. Als 1860 bei Redentin zwei Leichen ans Land getrieben waren, lehnte das großherzogliche Amt seine Zuständigkeit ab, weil die Leichen nicht am Strande, sondern noch eine ziemliche Strecke ins Wasser hinein im flachen Wasser gelegen hatten 29 ). Im Jahre 1874 wurden Althäger Fischer, die zwischen Stagort und Brandenhusen und in der Wohlenberger Wiek gefischt hatten, vom wismarschen Niedergericht in Strafe genommen, und ihre Beschwerde beim Justizministerium blieb ohne Erfolg 30 ).

Daß Wismar im 16. Jahrhundert auf Ketelsharde (gegenüber dem Grasorte), an der Fliemstorfer Spitze und auf dem Stagorte jährlich Pfähle einstoßen ließ, die um 1590 noch vorhanden waren 31 ), kann, trotzdem es vom Schweriner Archiv in Zweifel gezogen wird 32 ), doch nur den Sinn haben, die Gerechtsame der Stadt damit darzutun. Übrigens liegen die betreffenden Stellen zwar in der inneren Bucht, aber außerhalb des Großen Baumes.


25) Ebd. S. 22. Diesen Fall hat Jakob Barner im Auge, wenn er 1597 aussagt, daß vor ungefähr 16 Jahren der Rat zwei gegen den Holm in einer Eiswake ertrunkene Jungen habe auffischen und darüber Gericht halten lassen. Beide Quellen nennen den einen Verunglückten Dürjahr. Tit. X Nr. 4 Vol. 7 a Bl. 150.
26) Tit. XVIII Vol. E Bl. 129. Zeugenverhör von 1597 (Tit. X Nr. 4 Vol. 7 a) Bl. 150.
27) 1570 Tit. X Nr. 4 Vol. 4 S. 221, 225; 1581 S. 227, 229, 235; 1621 S. 299, 305, 308, 313.
28) Tit. XVI Vol. 6: 1678 Apr. 15.
29) Tit. XVI Vol. 32 7 S. 76 f.
30) Tit. XVI Vol. 28 [208][209][212].
31) Tit. X Nr. 4 Vol. 7 a, Zeugenverhör von 1597 Bl. 76, 25, 137.
32) Gutachten des Schweriner Archivs S. 203 Anm. 1.
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Das Ausbringen und Verankern der Seezeichen ist von jeher Sache der Stadt gewesen, ohne daß deshalb je um Erlaubnis gefragt wäre oder die Regierung hineingeredet hätte. Wismar hat baggern lassen, wo und wie es ihm gut schien, und hat das Baggergut, ohne eine höhere Instanz deshalb anzurufen, in der Bucht außerhalb der Alten Schweden versenken lassen. Hinwiederum haben seine Sandböter, ebenfalls außerhalb der Alten Schweden, Ballast und Sand nach Belieben gegraben, und es hat, wenn man von der meklenburgischen Verordnung vom 10. Oktober 1874 absieht, nur der Rat Bestimmungen über die Örtlichkeiten erlassen.

Daß Wismar das Jagdrecht in der Bucht zustand, ward von Herzog Ulrich 1579 Aug. 1 zugestanden, indem er auf die Klage der Stadt, daß die Negendanke zu Zierow und Eggerstorf auf den Strömen und Tief der Stadt Schwäne geschossen hätten, diesen das Schießen auf wismarschem Gebiete verbot und sie anwies, sich wegen der geschossenen Schwäne mit Wismar zu vertragen 33 ).

Über die Fischerei hat weder Wismar noch einer der Anlieger der Bucht eine urkundliche Verleihung aufzuweisen. Heringsfänge wie bei Schonen oder Rügen waren eben hier nicht zu machen, und es blieb daher einem jeden überlassen, seinen Bedarf an Fischen zu decken, wie er konnte. Der Bedarf der Stadt aber war bei weitem der größte, und deshalb müssen die wismarschen Fischer vor den übrigen Anliegern einen weiten Vorsprung gewonnen haben, zumal da alle Bedingungen dafür gegeben waren, daß ihre Boote besser sein mußten als die der anderen. Da sich aber in früheren Jahrhunderten aus Gewohnheit bald ein Recht bildete, so ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß sie die Herrschaft über die Bucht an sich rissen und die Fischerei anderer gegebenfalls zurückdrängten. Außerdem gab ihnen ihre Organisation gegenüber vereinzelten Wettbewerbern einen sicheren Rückhalt. Erst spät versuchten diese ihre Fischerei auszudehnen und gegen die wismarsche vorzuschieben. Es kam ihnen zugute, daß der Rat nicht durchaus die Partei seiner Fischer nahm, da ihm daran lag, die Bürger möglichst ausgiebig und billig mit Fischen versorgt zu sehen. (Vgl. z. B. 1678 Apr. 27 Tit. XVI Vol. 6.) Ein ausschließliches Recht, die Bucht zu befischen, haben die städtischen Fischer nie gehabt.


33) Tit. X Nr. 4 Vol. 2.
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Akten sind naturgemäß vor Ausbruch von Streitigkeiten nicht erwachsen. Auch eine ältere Rolle des Fischeramts ist nicht vorhanden. Dies wird zuerst 1578 erwähnt. Seine Rollen sind von 1608, 1640, 1825, 1893 und 1908 datiert.

In der ersten Rolle wird den Fischern, die sich mehr auf Schiffahrt und Seehandel als auf Fischen gelegt hatten, aufgegeben, den Hafen (d. h. die Bucht) nach allen Richtungen zu befischen und zu dem Zwecke auf 2, 3 oder 4 Meilen, soweit sie immer können, hinaus zu fahren. Die Rolle von 1640 aber schreibt ihnen vor, wie seit alters unter die Pölische Brücke durch nach dem Langen Werder, auf den Bunten Grund, rechts nach dem Ganse-Orte gegen Pepelow und [Tesmansdorf], links nach dem Klützer Orte zu auf die Wohlenberger Wiek, [Tarnewitz] und gleich den Rostockern nach Travemünde zu sich zwecks Fischens in See zu begeben 34 ).

Im Jahre 1612 wollte die Stadt durch Zeugen beweisen, daß sich ihre Fischerei umb Pöhle erstrecke in der Golvitz, umb Wustrow, Gartz und der enden biß an den Kehestörffer (d. h. Kägstorfer) haken, und daß gegen Brandenhusen und Wangern ihre besten Wadenzüge seien 35 ).

1823 behaupteten die wismarschen Fischer, die Bauernfischer hätten in der schwedischen Zeit (also bis 1803) ihre Netze nur auf Stock und Stein setzen dürfen, d. h. an Stellen nahe dem Lande, wo mit Zeisen nicht gefischt werden könne 36 ), und die 1826 angestellten Erhebungen ergaben, daß damals die Bauern-


34) . . . nach dem Ganseorte - es ist die südliche Spitze von Wustrow - gegen Pepelow und Teschow . . . auf die Woldenborger wike, Jaßeuitz vnd sonsten auf etzliche meile den Rostockern den in den Klußerort vnd vor Trauemunde gleich sich in die see begeben: Allerhand Ordnungen und Rollen 1 Bl. 136. Der nur in Abschrift vorliegende Text ist verderbt. - Seit undenklichen Zeiten steht der Stadt der Fischfang in der gantzen Wißmarschen haven und zu beiden Seiten zu, 1678 Febr. 27: Tit. XVI Vol. 7.
35) Tit. XVI Vol. 1 Bl. 89-91.
36) Tit. XVI Vol. 25 S. 103. 1678 hatte ein Seemann behaupten wollen, die Bauernfischer dürften ihre Netze nicht weiter aussetzen, als man mit einem Pferde ins Wasser reiten könne, ward aber von den Bürgermeistern belehrt, diese Bemessung gelte nicht für den Fischfang, sondern für das Strandrecht: Tit. XVI Vol. 6, 1678 Apr. 27. Ein Zeisenfischer: das Recht der Anlieger gehe, soweit man ein Pferd am Zügel zur Trense halten könne, ebd. Apr. 23. Das Gutachten des Schweriner Archivs irrt, indem es bei Ritt und Wurf Genauigkeit des Maßes vermißt (S. 39-49). Die darf man bei diesen uralten Rechtsanschauungen nicht suchen wollen.
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fischer außer Aaleisen und Aalharke nur Körbe und Standnetze verwendeten, dagegen die wismarschen allein neben Aaleisen, Aalharke und Krabbenkörben sich der Zeisen, der Waden und Reusen bedienten und die Bucht beherrschten, so daß die Fischkäter klagten, sie könnten nur während der für die Zeisen vorgeschriebenen Schonzeit ihre Netze und Körbe aussetzen 37 ).

Die Stadt fühlte sich damals so sehr als ausschlaggebenden Faktor in der Befischung des Hafengebiets, daß sie glaubte, einer Überfischung vorbeugen zu können, wenn sie, ohne Rücksicht auf die Umwelt, die Zahl ihrer Fischer beschränkte. Man kann daraus mit Zuversicht schließen, daß der große Raum so gut wie unbestritten von den Wismarschen befischt ward. Der Zeisen, die die Anlieger bis dahin angeschafft hatten, können nur ganz wenige gewesen sein. Bezeugt ist, daß 1711 die von Gaarz mit der Zeise fischten, 1819 auch Pöler. Erst 1834 schafften sich Wustrower Fahrzeuge Wismarscher Art an, 1839 waren Zeisen zu Tesmansdorf, Wustrow, Gaarz, Pepelow 38 ). Besonders seit etwa 1870 vermehrte sich die Zahl der Zeisen des Domaniums außerordentlich 39 ). Es war das offenbar eine Folge davon, daß das wismarsche Amt, das allein von der Stadt aus zu fischen berechtigt war, auf 20 Fischer geschlossen war. Da mußten sich die Umlieger geradezu aufgefordert sehen, in das freigewordene Gebiet einzudringen.

Den Verhältnissen in der Gesamtbucht entsprachen die der Wieken. Im Jahre 1580 hatten die Wismarschen am Lande her auf beiden Seiten der Bucht ihre Wadenzüge 40 ). Sie hatten ihre Fischzüge umb der Boltenhagenschen wik, Tarnewitz und da umbher bi lang her in allen wiken und biß gen Redwisch und Clußhovede 41 ). Bis vor etwa 40 Jahren (bis gegen 1690) hat nach Behauptung der Wismarschen von 1732 den Redentinern nur zugestanden, am Ufer zu fischen, soweit man mit einem Schaar- oder Pflugeisen werfen können 42 ). Dagegen sagten die Fischkäter, sie hätten, als die Wismarschen zum Fischen mit der Zeise übergegangen wären, um Friedens


37) Tit. XVI Vol. 26. Die Pöler behaupteten, die Wismarschen hätten früher nur in tiefem Wasser gefischt.
38) Tit. XVI Vol. 11 (1711 Juli 21). Vol. 24 [2].Vol. 28 [12][16].
39) Tit. XVI Vol. 32 zu [1] S. 3. [18] S. 2.
40) Tit. XVI Vol. 7 (1580 Jan. 24).
41) Zeugenverhör von 1597 Tit. X Nr. 4 Vol. 7 a S. 70.
42) Tit. XVI Vol. 7 Bl. 68 (1732).
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willen gefragt, wo sie fischen wollten, um selbst von dort wegzubleiben, jene aber hätten sich nicht daran gekehrt 43 ).

Bezeichnend vor allem ist, daß die Wismarschen weithin längs der Ufer unangefochten ihre Krabbenkörbe setzen konnten. Denn gerade dieser Betrieb mußte den Anliegern nahe liegen. Das älteste Zeugnis für feste, von den wismarschen Fischern genutzte Krabbenstellen ist von 1740. Sie lagen - ich führe nur die außerhalb des inneren Hafens belegenen an - auf den Tränken und Grasweg, auf dem Färber- und Weiber-Ort (Fährdorfer und Weitendorfer Ort), beim Rauhen Berge, beim Brandenhuser Lehmufer, auf dem Brandenhusener Bache, auf den Tägen, auf dem Turm im Klatenberge (irgendeine Sicht über den Pöler Kirchturm), auf dem kleinen Kammrade, binnen und auf dem großen Kammrade, bei den Löwen, hinterm Steinort, auf dem Fliemsort, beim Weißen Ufer - also vorzüglich längs der Pöler Küste 44 ). Lange Zeit aber haben die Wismarschen, wenngleich nicht unangefochten, ihre Körbe bei Wustrow und am Boiensdorfer Werder gesetzt 45 ). Dieser Besitzstand ward im Fischerei-Abkommen von 1880/81 anerkannt, und es wurden den Wismarschen die Krabbenstellen am westlichen Ufer von den Alten Schweden bis Fliemsort und am südlichen und westlichen Pöler Ufer vom Fährdorfer Orte bis zu den Timmendorfer Lotsenhäusern zugesprochen. Die Stellen vom Ende der städtischen Weide bis zur Pöler Brücke und bis Gaarz und bis zur Kroy stehen den Domanialfischern zu, wogegen die am Pöler Ufer von der Fährdorfer Brücke bis zur Golwitzer Spitze den Domanial- und den städtischen Fischern gemeinschaftlich zukommen.

Zeugnisse für die Befischung der Boltenhagener Wiek durch Wismarsche liegen von 1587, 1597 und 1612 vor.

Die Wohlenberger Wiek gehörte nach der Rolle von 1640 zum Revier der Wismarschen, 1734 März 18 gab der Rat eine Konzession aus, dort mit der kleinen Wade zu fischen. Als 1859 dort von Dassow aus eine Reuse aufgestellt war, tat der Rat keine Schritte, weil ein Ausschließungsrecht nicht nachgewiesen sei. Dagegen erkannten 1873 und 1874 Polizeiamt und Niedergericht auf Strafen gegen Fischer von Althagen, die dort und zwischen Stagort und Brandenhusen gefischt hatten, und


43) Ebd. Bl. 50.
44) Allerhand Ordnungen und Rollen 3 S. 225.
45) Tit. XVI Vol. 1 Bl. 134. Vol. 30 [2] S. 6. [5] S. 2. Vol. 32 [16].
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das von den Fischern angerufene Justizministerium fand keinen Anlaß, die Strafe zu erlassen 46 ). Seit dieser Zeit hat der Rat vielfach Konzessionen zu Befischung der Wiek erteilt und dadurch die Grundlage dafür geschaffen, daß 1897 den wismarschen Fischern ein größerer Anteil an der Befischung der Bucht zugewiesen werden konnte, als nach dem Bestande des Fischeramts vor 1893 möglich gewesen sein würde. 1880 konnte von ausschließlicher Befischung von Wismar aus nicht mehr die Rede sein.

Die Eggerswiek tritt in alter Zeit gar nicht, in neuerer wenig hervor. Ein 1826 von mehreren Fischern erbetenes Privileg für Krabbenstellen scheute sich der Rat zu erteilen.

In der Redentiner Bucht behaupteten 1578 die wismarschen Fischer, allein das Recht zu haben, Waden zu ziehen, und gestanden den Redentinern nur zu, daß sie in der Fastenzeit auf 240 bis 330 Faden vom Lande fischen dürften 47 ). Und als 1585 der Verkauf des Gutes bevorstand, nahm der Rat feierlich für die Stadt in Anspruch die gantze jurisdiction, ab- und zuschiffung, bergung der gestranten guther, fischerey und andere gerechtigkeit in der stadt haven und erneuerte 1589 diesen Protest gegenüber dem Käufer 48 ). Demgegenüber wollte sich der Käufer Dr. Heine sein Fischereirecht nicht verkürzen lassen und nahm wismarschen Fischern ihr Gut weg, weil sie, wie er 1590 Juni 1 erklärte, in der Begine gefischt hätten, und beanspruchte 1593 Nov. 8 für sich und seine Untertanen das Recht, "in der gantzen haven, dörch de Gölze, auch bis an Bukow" zu fischen 49 ). Trotz vielfacher Streitigkeiten ist es vor den Abkommen von 1880/81 und 1897 nicht zu einer grundsätzlichen Entscheidung gekommen.

Den Kirchsee wollten die Pöler 1574 den Wismarschen sperren, 1633 aber erklärte der damalige Hauptmann der Ämter Doberan und Bukow, daß den Wismarschen zwar im Strome des Sees zu fischen nicht verwehrt sei, wohl aber unter dem fürstlichen Hause und hinter der Kirche 50 ). Noch 1879 fischten die Wismarschen im Kirchsee.


46) Tit. XVI Vol. 28 [208][212].
47) Tit. XVI Vol. 7.
48) Tit. X Nr. 4 Vol. 2.
49) Tit. XVI Vol. 7. Tit. X Nr. 4 Vol. 2.
50) Tit. XVI Vol. 1 Bl. 120. Vol. 2 (1633 Juni 25).
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Vom Faulen See ward 1880 festgestellt, daß er nur von Wangern und Brandenhusen aus befischt werde.

Bei Wangern ward den Wismarschen 1612 eine neu aufgestellte Reuse beschlagnahmt, aber ihnen im übrigen das Fischen nicht streitig gemacht 51 ). Über die Aufstellung einer Reuse durch herzogliche Beamte beschwerte sich wieder Wismar. In diesem Streitfalle wollte die Stadt erweisen, daß gegen Brandenhusen und Wangern ihre besten Wadenzüge wären.

Am reichhaltigsten sind die Akten über die Befischung der Golwitz. Daß dort im 15. Jahrhundert von Wismar aus nach Heringen gefischt ist, geht aus der Deutung hervor, die damals der nicht verständlichen, 1260 erworbenen vectura aringe durch de heringstoge in Golvisse gegeben ist 52 ). Unter der Golwitz verstand man die ganze Wasserfläche jenseits der Pöler Brücke zwischen Pöl, dem Langen Werder, Wustrow und dem Festlande bis A.-Gaarz hinauf, also Haff und Binnensee umfassend. (1748, Tit. XVI Vol. 2.) Jetzt wird der Name beschränkt auf den dem Dorfe Golwitz benachbarten Teil des Busens bezogen. Die Pläne, die Brücke durch einen festen Damm zu ersetzen oder den Breitling trocken zu legen, sind an dem Widerspruche Wismars gescheitert.

Die wismarschen Fischer behaupteten 1587, die dortigen Fischer dürften, wenn sie bei Sonnenschein kämen, um ihre Wade zu ziehen, keine Netze aussetzen 53 ). Spätere Darstellungen der andern Seite nehmen frühere Fischerei der Wismarschen in der dortigen Gegend in Abrede. Das hängt aber, mindestens zum Teil, mit den durch "die neuliche Flut" verursachten Änderungen zusammen, die die Wiese, von der man auf neun Pferdeschädeln nach Damkow gehn konnte, weggerissen und den früheren kleinen Strom in den Breitling verwandelt hatte 54 ). Auch hier wollten die Bauern den Wismarschen nicht wehren, Netze zu setzen und Krabben zu fangen, aber den Aalfang allein behalten. 1678 Okt. 30 sagten zwei Fischer aus dem Redentiner Fischkaten an Eides Statt aus, daß zu ihrem Gedenken die Wismarschen von dem Golffs an im Kneeohrt, Sandohrt, Rehtohrt überall durch den ganzen Strom und an allen Orten mit Waden, Zeisen, Netzen und Körben unverwehrt


51) Tit. XVI Vol. 1.
52) M. U.-B. Nr. 876 mit Anm.
53) Tit. XVI Vol. 1 Bl. 122 f.
54) Aussagen von 1633 Juni 25. Tit. XVI Vol. 2.
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gefischt hätten 55 ). Die Wismarschen aber führten 1691 Nov. 27 als Beweis für ihr dort örtlich uneingeschränktes Recht an, daß sie je nach Gelegenheit auf dem Langen Werder, dem Kilinge, dem Holferhaken oder sonst ihre Hütten aufgeschlagen hätten 55 ). 1734 erteilte der Rat eine Konzession, in der Golwitz zu fischen. Die 1869 und 1870 aufgestellte, schwach begründete Behauptung des alleinigen Rechts, dort mit gehendem Zeuge zu fischen, hat Wismar hernach fallen lassen.

Viel Streit ist um die Befischung des Binnenwassers und der Kroy gewesen, ohne daß er je zum Austrage gekommen wäre. Doch ward 1828 mit dem Besitzer von Wustrow verglichen, daß die Wismarschen befugt seien, die Ostsee und das Binnenwasser, soweit sie Wustrow berühren, zu befischen, mit alleiniger Ausnahme der Stien oder Einschnitte in das Ufer, worunter aber nicht der Meerbusen und insbesondere nicht die Kroy verstanden werden sollte 56 ).

Die Unterscheidung von innerem und äußerem Hafen für die Fischerei ist aus dem Unterschiede hervorgegangen, den man in Wismar zwischen den Berechtigungen der Fischer und der Bootsleute machte. Im 17. und 18. Jahrhundert wehrte die Stadt auch den Pölern nicht grundsätzlich, im inneren Hafen zu fischen oder Aale zu hauen. Das hat sich erst im 19. Jahrhundert geändert.

Es sind sonach die mannigfachsten Handlungen und Rechte, die Wismar Jahrhunderte lang in der Bucht in ihrer weitesten Ausdehnung ausgeübt und wahrgenommen hat, so daß nicht nur von Nutzung gesprochen werden kann, sondern vielmehr volles Eigentum nicht bloß über den inneren Hafen, sonder über die ganze Bucht für die Stadt in Anspruch genommen werden muß.

 

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55) Tit. XVI Vol. 2.
55) Tit. XVI Vol. 2.
56) Tit. XVI Vol. 24 zu [31] [30].
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VI.

Die geschichtliche
und landeskundliche Literatur
Mecklenburgs 1928/1929

von

Werner Strecker.

 

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Bibliographie.

  1. Jahresberichte f. deutsche Gesch. 2. Jg. 1926, S. 534-536: H. Bellée, Mecklenb. Leipzig, Koehler 1928.
  2. Strecker (Werner), Die geschichtl. u. landeskundl. Literatur Mecklenburgs 1927/28: Jahrb. f. m. Gesch. 92.

Vorgeschichte.

  1. Schuchhardt (Carl), Vorgeschichte von Deutschland: München und Berlin, Oldenbourg, 1928.
  2. Beltz (Robert), Die Hünengräber von Jamel und Everstorf bei Grevesmühlen: Quellen d. Heimat, herausg. v. Heimatbund f. d. Fürst. Ratzeburg, Jg. 1929, Reihe C, Heft 4.
  3. Beltz (Robert), Die Schweriner Landschaft: M. Monatsh. 4. Jg., 1928, S. 529 f.
  4. Timm (Werner), Mecklenburgs "Steintanz". Eine 3000 Jahre alte Sternwarte: M. Monatsh. 4. Jg., 1928, S. 475-481, 552-555.
  5. Beltz (Robert), Die Vorgeschichte der Güstrower Gegend: M. Monatsh. 1928, S. 570-576.
  6. Asmus (R.), Vorgeschichtl. Fundstellen im Bereich der Meckl. Schweiz: M. Monatsh. 1929, S. 258-262.
  7. Gummel (Hans), Die vorgeschichtliche Lehrsammlung im Museum des Vereins für Rostocks Altertümer zu Rostock: Beitr. z. Gesch. d. Stadt Rostock Bd. 16, 1928.

Geschichte.

  1. Witte (Hans), Von meklenburgischer Geschichte und vom mecklenburgischen Menschen: Volk und Rasse 4. Jg., 1929. H. 1.
  2. Reche (Otto), Die Wiedereindeutschung Mecklenburgs unter bevölkerungsstatistischem Gesichtspunkt: Volk u. Rasse 4. Jg., 1929, H. 1.
  3. Witte (Hans), Mecklenburg in der slavischen Forschung: M.-Str. Heimatbl. 5. Jg., H. 2.
  4. Schubert (Hans), Ein Beitrag zur Siedlungsgeographie von Meckl.-Strelitz: Diss. Rostock 1928.
  5. Frahm (Friedrich), Adalbert von Bremen und die Billunger Mark im Jahre 1062: Ztschr. d. Gesellsch. f. Schlesw.-Holst. Gesch. 58. Bd. (1929), S. 287-297.
  6. Bornhöved. Festschr. z. 700-Jahrfeier der Schlacht bei B. Im Auftr. d. Gemeindevertr. von Bornhöved herausg. von Hinrich Ewald Hoff. Kiel, Donath, 1927.
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  1. Ritter (Ernst), Ehemalige Grenzburgen der Prignitz gegen Mecklenburg: Rost. Anz., 2. Dez. 1928, Nr. 283.
  2. Thyresson (Bertil), Sverige och det protestantiska Europa fra(°)n. Knäredfreden till Rigas Erövring. Akademisk Avhandling. Upsala 1928.

Fürstenhaus.

  1. Endler (C. A.), Herzog Adolf Friedrich IV. von Meckl.-Strelitz, Fritz Reuters "Dörchläuchting": M. Monatsh. 1929, S. 33-40.
  2. Lübeß (Hugo), Friedrich Ludwig, Erbgroßherzog von Meckl.-Schwerin 1778-1819: Jb. f. m. Gesch. 92.

Familien- und Personengeschichte.

  1. Mecklenb. Geschlechterbuch, herausg. von Bernh. Koerner, bearb. in Gemeinsch. mit Otto v. Cossel u. Walter Freier. 1. Bd. Görlitz, Starke, 1928 (57. Bd. des Deutschen Geschlechterbuches, Geneal. Handb. bürgerl. Familien).

20a.  Die Meckl. Ärzte v. d. ält. Zeiten bis z. Gegenw. Ges. u.

v. Dr. med. A. Blank 1874, fortges. v. O.-Med.-R. Dr. Axel Wilhelmi bis 1901. Durch genealog. Mitt. ergänzt u. bis z. Gegenw. fortgef. v. Gustav Willgeroth. Mit Bildn. u. Reg. Vier Lief. Verl. d. Landesgeschäftsst. d. Meckl. Ärztevereinsbundes. Schwerin 1929.

20b.  Polthier (Wilh.), Die Familie Polthier. Vier Jahrhunderte

eines meckl. Bauern- u. Bürgergeschlechts. Rostock 1927.

  1. Mielck (Otto), Mecklenb. Güter in altem Familienbesitz: M. Monatsh. 4. Jg., 1928, S. 420-24.
  2. Brenner (S. Otto), Slaegten von Achen (von Aken): Meddelelser fra Personalhistorisk Institut, Kopenhagen, Jan. 1929, Nr. 2 u. 3.
  3. Meyer (Ernst), Der "Professor" Andreß: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 3. Betr. den Lehrer Schliemanns u. Neustrelitzer Bibliotheksgehilfen A.
  4. Barlach (Ernst), Ein selbsterzähltes Leben. Berlin, Cassirer, 1928.
  5. Besch (Helmut), Stammliste von Behmen. Leipzig 1929. Sonderabdruck aus "Deutsche Stammtafeln in Listenform", herausg. v. d. Zentralstelle f. deutsche Pers.- u. Fam.-Gesch. E. V., Leipzig, Bd. 3.
  6. Pries (Joh. Friedrich), Robert Beltz: Ztschr. Mecklenb. 24. Jg., S. 44-48.
  7. Schlüter (Ernst), Robert Beltz. Zum 75. Geburtstag: M. Heimat 8. Jg. (1929), S.38 f.
  8. Wiedemann (Franz), Wie Blücher ein Schlesier wurde: Schlesische Geschichtsblätter, 1928, Nr. 2.
  9. Bohn, H. Prof., Physiker), Mien Läben un Wirken: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 10. Jg., Nr. 4.
  10. Buddin (Fr.), Joh. Christian Gottfried Boye (geb. 1840 in Schönberg, gest. 1905 in Lübeck): Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 10. Jg., Nr. 3.
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  1. Brückner (U.), [Domänenrat Dr. E. A. Brödermann] zum 80. Geburtstag: M. Monatsh. 1929, S. 266 f.
  2. Bülowsches Familienblatt. Herausg.: Der v. Bülowsche Familienverband. Nr. 5 (Okt. 1928), Nr. 6 (April 1929).
  3. v. Bülow (Jobst Heinr.), Bischof Friedrich II. von Schwerin: Bülowsches Familienblatt, April 1929, Nr. 6.
  4. Fritz (R.), Denkmäler gräfl. Hahnscher Kultur in Remplin, Bristow u. Basedow: M. Monatsh. 1929, S. 249-252.
  5. v. Iven (W.), Die Wanderung der Iven vom Niederrhein nach Pommern, Mecklenburg und den Hansestädten: Ivensche Familiennachrichten Nr. 5, 1928.
  6. Haefcke (Hans), Bützows bedeutendster Sohn: Bützower Ztg. 1929, Nr. 129. Betr. d. Geh. Oberbergrat Karl Joh. Bernh. Karsten (1782-1853), den Begründer der preuß. Zinkindustrie.
  7. Schlüter (Ernst), Friedrich August Lessen. Ein mecklenb. Philhellene: Ztschr. M. 24. Jg., S. 71-75.
  8. v. Salzmann (Erich), Ago Frhr. v. Maltzan: M. Monatsh. 1929, S. 17-23.
  9. Lützowsches Familienblatt, herausg. v. Familienverband d. Freih. u. Herren v. L. 2. Bd., Nr. 21, Okt. 1928.
  10. Oertzen-Blätter. Nachrichten für die Mitglieder des Geschlechts von Oertzen. Nr. 1. Febr. 1929.
  11. Aus vergangenen Tagen. Nr. 2: Reichsgraf Christian Pentz. Veröffentlicht vom Pentzischen Sippen-Verband.
  12. Kornemann (Ernst), Koebner (Richard), Hönigswald (Richard), Hermann Reincke-Bloch. Gedächtnisreden. Breslau, Trewendt & Granier, 1929.
  13. Endler (Carl Aug.), Hermann Reincke-Bloch: M. Monatsh. 1929, S. 111-113.
  14. Ringeling (Gerhard), Huhnhäuser (Alfred), Raths (Walter), Reincke-Bloch u. seine Schüler: M. Monatsh. 1929, S. 113-115.
  15. Ahlers (E.), Bernhard Reinhold, ein mecklenb. Maler zur Reuter-Zeit: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 2.
  16. Wolbe (Eugen), Wie Moltke Kaiser Friedrichs Adjutant wurde: M. Monatsh. 4. Jg., 1928, S. 433-36. Abdruck bisher unbekannter Urteile von militärischer Seite über Moltkes Persönlichkeit.
  17. Ploen (Heinr.), 550 Jahre Hauswirtsfamilie Renzow in Rodenberg: Heimatkalender f. d. Land Ratzeburg 1929.
  18. Heinrich Seidel als Schweriner Gymnasiast: M. Ztg. v. 17. u. 18. 10. 28.
  19. Naschinski (Wilh.), Der Dichter in Stein u. Landschaft (H. Graf Schlitz): M. Monatsh. 1929, S. 229-239.
  20. E., Christian Friedrich Twachtmann, 1794-1813 Gerichtsrat in Schönberg: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 10. Jg., Nr. 3.
  21. Boie (Karl), Johann Heinrich Voß. Seine Vor- und Nachfahren: Nordelbingien, Beitr. z. Heimatforsch. in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck, 6. Bd., 1928.
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  1. Schlüter (E.), Richard Wossidlo u. d. mecklenb. Volkskunde: Ztschr. Mecklenb. 24. Jg., S. 48-55.
  2. Barnewitz (Hans W.), Richard Wossidlo. Zu seinem 70. Geburtstage: M. Monatsh. 1929, S. 56-60.

Landeskunde.

  1. Havemann, Aus den mecklenb. Mooren: M. Monatsh. 1929, S. 24-32.
  2. Böhmer (Gerhard), Die Mecklenb. Schweiz: M. Monatsh. 1929, S. 216-220.
  3. Karbe (Walter), Die Kalkhorst bei Strelitz. Bearb. nach einem Entwurf von M. Warncke (Woldegh): M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 3.
  4. Schlüter (E.), Rund um den Schaalsee. Wanderungen. Aufnahmen von F. Müschen. Hagenow, Schlüter, 1928.
  5. Fischer (Kurt), Mecklenburgische Karten im Hannoverschen Staatsarchiv: Jb. f. m. Gesch. 92.
  6. Warnke (M.), Der weiße Storch in Mecklenburg: Ztschr. M. 24. Jg. S. 77-80.
  7. Zur Kenntnis der mecklenb. Fauna II, herausg. v. Zoolog. Institut, Rostock. 7. Teil: Spongiaria. Von W. Arndt. 8. Teil: Erster Beitrag zur Kenntnis der Pflanzengallen Mecklenburgs: Archiv d. Ver. d. Freunde d. Naturgesch. i. M. N. F. 3. Bd.
  8. Hainmüller (C.), Ergänzungen zur Käferfauna Mecklenburgs. Ebd.
  9. Steusloff (Ulrich), Zur Molluskenfauna Mecklenburgs. Ebd.
  10. Clodius, Ein Biber in Mecklenb. Ebd.
  11. Clodius, Wirbeltierreste in Eulengewöllen. Ebd.
  12. Clodius, Ringicula Semperi Koch. Ebd.
  13. Krambeer (Rudolf), Beitrag zur Flora der Umgegend von Grabow. Ebd.
  14. Krause (Ernst H. L.), Letzter Nachtrag zur Flora von Rostock. Ebd.
  15. Krause (Ernst H. L.), Weiland Gymnasialdirektors Dr. Draeger mecklenb. Pilzbilder. Ebd.
  16. Krause (Ernst H. L.), Floristische Wahrnehmungen anläßl. d. Generalvers. zu Neubrandenburg. Ebd.

Kulturgeschichte und Volkskunde.

  1. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, herausg. unter Mitwirkung von E. Hofmann-Krayer u. a. von Hanns Bächtold-Stäubli. Bd. I. Berlin u. Leipzig, de Gruyter & Co., 1927/8.
  2. Beschorner (Hans), Handbuch der deutschen Flurnamenliteratur bis Ende 1926. Im Auftrage d. Verb. deutscher Vereine f. Volkskunde herausg. Frankf. a. M., Diesterweg, 1928.
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  1. Buddin (Fr.), Flurnamen von Pogez u. Samkow: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeburg 10. Jg. (1928), Nr. 3.
  2. Buddin (Fr.), Flurnamen von Retelsdorf und Rabensdorf, Dorf und Hof: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 10. Jg., 1928, Nr. 4.
  3. Buddin (Fr.), Flurnamen von Falkenhagen: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 11. Jg. (1929) Nr. 1.
  4. Buddin (Fr.), Flurnamen von Kl. u. Gr. Rünz: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 11. Jg. (1929) Nr.2.
  5. Asmus (R.), Spuren wendischer Siedelung u. wendischen Kultes in den Flurnamen der Feldmark Teterow u. ihrer nächsten Umgebung. Ein Beitrag z. Kultur- u. Zeitgesch. des letzten wendischen Volkstums im östl. Mecklb.: Zeitschr. M. 24. Jg., H. 1 S. 5-14, H. 2 S. 55-67 u. Forts.
  6. Trost, Bemerkungen und Ausführungen zur Rundlingsfrage: Zeitschr. M. 23. Jg. H. 4, S. 97 ff.
  7. Mielke (Robert), Zur Vorgesch. d. niedersächsischen Bauernhauses: Niederd. Ztschr. f. Volkskunde, 6. Jg., 1928, S. 30-44.
  8. Pries (Joh. Friedr.), Die Entwicklung des mecklenb. Niedersachsenhauses zum Querhause und das mecklenb. Seemannshaus: Forsch. z. deutschen Landes- u. Volkskunde, herausg. v. Gradmann. 26. Bd., H. 4. - Bespr. von J. U. Folkers: Von mecklenburgischem Hausbau: Ztschr. M. 24. Jg., S. 67-70.
  9. Dittmer, Ortssagen von der Wohlenberger Wiek: Gemeindeblatt f. d. Kirchgem. Klütz, Nr. 4, Febr. 1929.
  10. Buddin (Fr.), Unser Heimatmuseum: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeburg, 11. Jg., Nr. 1, Sonderbeil.
  11. Wossidlo (Richard), Der Ruklaas und seine Gestalten: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 4.
  12. Staak (Gerhard), "Ick haug, ick haug . ." Zwei Bräuche und eine sprachliche Beobachtung: Zeitschr. M. 23. Jg. H. 4, S. 117 ff. Betr. Bräuche bei Nasenbluten u. Verrenkung des Handgelenks.
  13. Puls (Korl), Häuhnerglowen un Hokupokus: Ztschr. M. 23. Jg. H. 3, S. 90 ff.
  14. Karbe (Walter), Galgengeschichten: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 4.
  15. Winkel (Fr.), Eine Mirower Berühmtheit in alter Zeit: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., 1928, S. 44-46. Betr. das Mirower Bier.
  16. Pechel (Rudolf), Kniesenack: M. Monatsh. 1928, S. 598-602.

Wirtschaftsgeschichte.

  1. Ploen (Heinrich), Die Größe der Hufe des Zehntenregisters von 1230: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 11. Jg., Nr. 2.
  2. Hacker (Helmuth), Klösterliche Viehhaltung im Mittelalter: M. Monatsh. 1929, S. 192-194. Betr. Kl. Ribnitz.
  3. Solinger (Fritz), Holzhandel und Waldwirtschaft des Herzogs Adolf Friedrich II. von M.-Str.: M.-Str. Geschbl. 4. Jg., 1928.
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  1. Buddin (Fr.), Von alten Maßen und Gewichten. Quellen der Heimat, herausg. vom Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeburg, 1928, Reihe D, H. 6.
  2. Dabelstein, Die Entwicklung der Eisenbahn-Fährverbindung Warnemünde-Gjedser: M. Monatsh. 1929, S. 311-313.
  3. Ehmig (Paul), Mecklenburg und die neuzeitlichen siedlungswissenschaftlichen Probleme: M. Monatsh. 1929, S. 13-16.
  4. Loechel (Hans), Die Entwicklung des Arbeitsvermittlungswesens in Meckl.-Schwerin bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 1. Okt. 1927. Diss. Rostock 1928.
  5. Selle (Paul), Die wirtschaftlichen Verhältnisse im Aushebungsbezirk Parchim. Diss. Rostock 1928.
  6. Scharfe (Stephan), Die Bestrebungen zur Produktionssteigerung in der mecklenb. Landwirtschaft, mit bes. Berücksichtigung der Nachkriegszeit. Diss. Rostock 1928.
  7. Menschel (Herbert), Die Zuckerversorgung Mecklenburgs. Diss. Rostock 1928.
  8. H. S., Van Tongelsche Stahlwerke G. m. b. H. zu Güstrow: M. Monatsh. 1928, S. 631-633.

Ortsgeschichte.

  1. Lemke (Otto), Das Brüeler Stadtwappen, seine Wandlungen u. seine Bedeutung: Rost Anz. 1928, Nr. 305.
  2. Barnewitz (H. W.), Die Gänse von Bützow in Wahrheit und Dichtung: Bützower Ztg. 1929, Nr. 129.
  3. Barnewitz (Hans W.), Bützow, ein Gang durch sieben Jahrhunderte Stadtgeschichte: M. Monatsh. 1929, S. 279-283.
  4. Stuhr (Friedrich), Ein Grabower Stadtbrand von 1499: Jb. f. m. Gesch. 92.
  5. Festausgabe der Mecklenburgischen Tageszeitung zur 700-Jahrfeier der Vorderstadt Güstrow, 1928, Nr. 259. Viele Aufsätze über alle Gebiete der Stadtgeschichte.
  6. Bobzin (Ernst), Güstrows Lage in der norddeutschen Landschaft: M. Monatsh. 1928, S. 577-583.
  7. Romberg (Bruno), Güstrow unter Wallenstein: M. Monatsh. 1928, S. 589-596.
  8. Richter, Das bauliche Gesicht Güstrows und moderne Stadtplanung: M. Monatsh. 1928, S. 584-587.
  9. Gehrig (Oscar), Güstrow im Jahre 1585 (Älteste Ansicht auf der Rolle V. Schorlers im Rostocker Ratsarchiv): M. Monatsh. 1928, S. 588.
  10. Bast, Güstrow um 1800, baugeschichtl. Betrachtungen: M. Monatsh. 1928, S. 610--614.
  11. Glasow (Hans), Güstrower Zunftaltertümer: M. Monatsh. 1928, S. 603-605.
  12. Bobzin (Ernst), Vom Wirtschaftsleben der Stadt Güstrow: M. Monatsh. 1928. S. 623-625.
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  1. Jacobs (M.), Die alte Zeit, das alte Klütz: Gemeindeblatt d. Kirchgem. Klütz, Nr. 4, Febr. 1929.
  2. Priester, Zur Gesch. d. Gemeinde Kritzkow-Weitendorf: M. Heimat, 8. Jg. (1929), S. 58-68.
  3. Leo, Ein historisch-kunstgeschichtl. Spaziergang durch Malchin: M. Monatsh. 1929, S. 240-245.
  4. Pagels (Richard), Neukalen: M. Monatsh. 1929, S. 246-248.
  5. Augustin (Karl), Aus der Gesch. d. Parchimer Tischlerinnung. Festbuch z. 37. Tischler-Innungs-Verbandstag, Aug. 1926, Parchim.
  6. Taetow, Die mecklenb.-schw. Dörfer in der Prignitz (Rossow u. Netzeband). Prignitzer Volksbücher, Hefte zur Heimatkunde der Prignitz, herausg. von J. Kopp, Druck u. Verlag von A. Tienken, Pritzwalk. Heft 70.
  7. C. V. [Vick], Die Burg Rostock: Rost. Anz. v. 14. Nov. 1928, Nr. 268.
  8. Voß (Kuno), Der Seehafen der Stadt Rostock in seiner geschichtl. Entwicklung bis zum Dreißigjähr. Kriege: Jb. f. m. Gesch. 92.
  9. v. Bülow (Jobst Heinrich), Die Einwohner der Residenzstadt Schwerin im Jahre 1633: Archiv f. Sippenforsch. 5. Jg. H. 11.
  10. Stuhr (Friedrich), Über das älteste "Hotel du Nord" in Schwerin: Jb. f. m. Gesch. 92.
  11. Meyer (Clemens), Schwerin als Musikstadt: Programmheft des Deutschen Tonkünstlerfestes. Schwerin 1928.
  12. Warnke (M.), Der Papageienberg in Stargard: Zeitschr. M. 23. Jg. H. 4, S. 121 ff.
  13. Witte (Hans), Der Wolfsgarten bei Strelitz: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 3.
  14. Böhmer (Gerhard), Teterow: M. Monatsh. 1929, S. 223-228.
  15. Willgeroth (Gustav), Wismars Einwohner im Jahre 1819: Meckl. Tagesblatt 1929, Nr. 115, 120, 126, 132, 138.
  16. Schüßler (Herm.), Alt-Woldegk. Die Leiden in und nach dem 30jährigen Krieg: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg., H. 4.
  17. M.-Str. Heimatbl. 5. Jg., H. 1, Sonderheft Woldegk. Aus dem Inhalt: Schüßler (Herm.), Die Vorzeit. Derselbe, Geschichtliches. Warnke (M.), Um die Helpter Berge. Ein Beitrag zur Flora von W.

Kirche.

  1. Schliemann (Wilh.), Aus Vergangenheit und Gegenwart der Kirche Mecklenburgs. Ein Heimatheft (Mittel- u. Oberstufe). Schuster-Franke, Lehrbuch f. d. ev. Religionsunterricht. Frankfurt a. M., Diesterweg. (1928).
  2. Blanck (Walter), Verfassung und Verwaltung der mecklenburg-strelitzschen Landeskirche 1701-1926: M.-Str. Geschbl. 4. Jg., 1928.
  3. Studemund, Die Anfänge der Inneren Mission in Mecklenburg. Schwerin, 1928.
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Schulen.

  1. 131. F. v. P. (Fr. v. Pritzbuer), Das Schweriner Gymnasium in den Jahren 1878/87: M. Ztg. v. 16. Okt. 1928 (Nr. 243) u. Sonderdruck.
  2. Das Gymnasium Friderico-Francisceum zu Bad Doberan 1879-1929. Ein Rückblick auf 50 Jahre nebst einem Jahresbericht über das Schuljahr 1928/29. Herausg. von Studiendirektor Reuter.
  3. Duncker, Begrüßungsansprache bei der Hundertjahrfeier der Realschule (jetzigen Realgymnasiums) in Neustrelitz: Landeszeitung, 21. Okt. 1928, Nr. 248. Enthält einen Überblick über die Geschichte der Schule.
  4. Fretwurst, Die Seefahrtschule zu Wustrow auf dem Fischlande: M. Monatsh. 1928, S. 356-362.

Kunst und Kunstgewerbe.

  1. Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Freistaates Meckenb.-Strelitz. I. Bd.: Das Land Stargard. III. Abt.: Die Amtsgerichtsbezirke Friedland (2. Hälfte), Stargard und Neubrandenburg. Bearb. von Georg Krüger. Neubrandenburg, Brünslow, 1929.
  2. Wendt, Neubrandenburgs Rathaus. Ein Beitrag zu seiner Baugeschichte: Landeszeitung 28. Okt. u. 2. Nov. 1928 (Nr. 254 u. 258).
  3. Beltz (Hans), Die beiden ältesten Landkirchen Mecklenburgs: M. Monatsh. 1928, S. 668-675. Betr. die Kirchen in Vietlübbe bei Gadebusch und in Lübow.
  4. Schmaltz (K.), Die Kirchenbauten in der "Meckl. Schweiz" und ihre Kunstwerte: M. Monatsh. 1929, S. 253-257.
  5. Baalk (Arthur M.), Reliefziegel an mecklenburgischen Dorfkirchen: Ztschr. M. 24. Jg. S. 1-5.
  6. Gehrig (Oscar), Güstrow. Mit Aufnahmen der Staatlichen Bildstelle. Deutsche Lande, deutsche Kunst, herausg. von Burkhard Meier. Berlin, Deutscher Kunstverlag, 1928.
  7. Warncke (Joh.), Der Altarschrein in der Kirche zu Herrnburg: Heimatkalender f. d. Land Ratzeburg 1929.
  8. Bachmann (Friedr.), Emanuel Blocks Rostocker Ansicht von 1640. Beitr. z. Gesch. d. Stadt Rostock, 15. Bd. (Jg. 1926), Beilage.
  9. Lorenz, Die Umgebung des Steintors im Wandel der Zeiten und der Neubau der Ritterschaftlichen Brandkasse. Beitr. z. Gesch. d. Stadt Rostock, Bd. 16, 1928.
  10. Steinbrucker (Charlotte), Friederike Julie Liszewska (1772-1856) [Malerin]: M. Monatsh. 1929, S. 133-137.
  11. Gehrig (Oscar), Lovis Corinth in Mecklenburg: M. Monatsh. 1928, S. 535-539.
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  1. Paech (Georg), Der Rostocker Maler Bruno Gimpel: M. Monatsh. 1929, S. 200-203.
  2. Kretz (H.), Vom Kunstsammeln in Rostock, ein Rückblick auf die Ausstellung aus Rostocker Privatbesitz: M. Monatsh. 1929, S. 291-293.
  3. Warncke (J.), Eine Strohmosaikarbeit im Schönberger Heimatmuseum: Mitt. d. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb., 11. Jg., Nr. 2.
  4. Hofmann (H.), Ludwig Düwahl, ein mecklenb. Handwerkskünstler: M. Monatsh. 1928, S. 680-682.

Urkundenlehre.

  1. Grohmann (Wilh.), Das Kanzleiwesen der Grafen von Schwerin und der Herzöge von Meckl.-Schw. im Mittelalter: Jb. f. m. Gesch. 92.

Münzkunde.

  1. Schrötter (F. Frhr. v.), Die Münzstätte Eutin 1761/2. Berliner Münzblätter, 48. Jg. Nr. 307, Juli 1928. Betr. die Verlegung der Schweriner Münze nach Eutin während des 7jähr. Krieges.
  2. Jesse (Wilh.), Die Münzpolitik der Hansestädte: Hans. Geschbl. XXIII.

Kriegs- und Militärgeschichte.

  1. Feldmann (Heinr.), Unsere Taten u. Farten. Das Großh. Meckl. Reserve-Jäger-Bat. Nr. 14 im Weltrieg 1914/18. Mit 4 Kartenskizzen u. 57 Lichtbildern. Erinnerungsblätter deutscher Regimenter Bd. 265. Oldenburg, Stalling, 1929.
  2. Ehren-Rangliste des ehemaligen Deutschen Heeres. Nachtrag. Dritter Teil, Neuaufnahmen, Ergänzungen u. Berichtigungen. Berlin, Mittler, 1929.

Verfassung, Verwaltung, Recht.

  1. Jans (Rudolf), Die Domäneneinkünfte des Landes Stargard von der Entstehung des Herzogtums M.-Str. bis zum landesgrundgesetzl. Erbvergleich (1701-1755): M.-Str. Geschbl. 4. Jg., 1928.
  2. Ringeling (G.), Ein altes Ratzeburgisches Bauerngericht. Quellen d. Heimat, herausg. v. Heimatb. f. d. Fürst. Ratzeb. 1928, Reihe D, H. 6.
  3. Strecker (Werner), Schlußbericht über die Lage der Travemünder Reede: Jb. f. m. Gesch. 92.
  4. Urteil des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich zu Leipzig in dem Rechtsstreite Lübeck mit Mecklenburg über die Hoheits- und Fischereirechte in der Lübecker Bucht: Ztschr. d. Ver. f. Lübeck. Gesch. u. Alt.-Kunde XXV, 1.
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Literatur.

  1. Günther (Joh.), Ekhof in Mecklenburg: M. Monatsh. 1929, S.80-84.
  2. John Brinckmans Plattdeutsche Werke, herausg. von der Arbeitsgruppe der Plattdeutschen Gilde zu Rostock. Bd. 2 u. 3. (1928); Bd. 4 (1929).
  3. K. F., Unser Fritz Reuter in Stockholm: M.-Str. Heimatbl. 4. Jg. H. 4. Betr. die Aufführung einer Bühnenbearbeitung der Stromtid (Livet pa(°) Landet) in einem Stockholmer Freilufttheater.

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Alphabetisches Verzeichnis.

A berglaube 70. 83. 84.
Adolf Friedrich IV. (Herzog v. M.-Str.) 18.
Ärzte (meckl.) 20a.
von Aken (Fam.) 22.
Andreß (Bibliotheksgeh.) 23.

B arlach (Ernst) 24.
Bauernhaus (nieders.) 78. 79.
Behmen (Fam.) 25.
Beltz (Rob.) 26. 27.
Bevölkerung 10-12.
Biber 63.
Bibliographie 1. 2.
Bier 86. 87.
v. Blücher (Feldmarsch.) 28.
Bohn (Physiker) 29.
Bornhöved (Schlacht bei) 15.
Boye (Kaufmann) 30.
Brödermann (Domänenrat) 31.
Brüel 99.
v. Bülow (Fam.) 32.
v. Bülow (Friedr. II, Bischof von Schwerin) 33.
Burgen (Grenz-) 16.
Bützow 100. 101.

C orinth (Lovis) 145.

D oberan 132.
Domänen (Strel.) 155.
Düwahl (Handw.-Künstl.) 149.

E khof (Schauspieler) 159.

F alkenhagen (Ratzeb.) 74.
Familiengesch. 20 ff.
Flurnamen 71-76.
Forstwirtschaft 90.
Fossilien 65.
Friedr. Ludwig (Erbgroßherz. v. M.-Schw.) 19.
Fürstenhaus 18. 19.

G algengeschichten 85.
Geschichte 10 ff. 18 f.
Gewölle (Eulen-) 64.
Gimpel (Maler) 146.
Grabow 66. 102.
Güstrow 7. 87. 98. 103-110. 140.

v. H ahn (Grafen) 34.
Herrnburg 141.
Holzhandel 90.
Hufengröße 88.
Hünengräber 4.

I ven (Fam.) 35.

K äfer 61.
Kalkhorst (die, bei Strelitz) 56. 123.
Karsten (Bergrat) 36.
Karten (Stadt- u. Feldmark-) 58.
Kirche 128-130.
Kirchenbau 135. 137-140.
Klütz 111.
Kriegs- u. Milit.-Gesch. 153. 154.
Kritzkow 112.
Kult (wendischer) 76.
Kulturgeschichte 70 ff.
Kunstgeschichte 34. 109. 113. 135 ff.

L andeskunde 54 ff.
Landwirtschaft 89. 96. 97.
Lessen (Fr. Aug.) 37.
Liszewska (Malerin) 144.
Literatur 159-161.
v. Lützow (Fam.) 39.

M alchin 113.
v. Maltzan (Ago) 38.
Mark (Billunger) 14.
Maß u. Gewicht 91.
Mollusken 62.
v. Moltke (Feldm.) 46.
Moore 54.
Münzkunde 151. 152.
Museum (Heimat-, Schönberg) 81.

N etzeband 116.
Neubrandenburg 136.
Neukalen 114.
Neustrelitz 133.

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v. O ertzen (Fam.) 40.
Ortsgeschichte 99 ff.

P archim 115.
v. Pentz (Chr., Graf) 41.
Personengeschichte 20 ff.
Pflanzenwelt 66 ff.
Pilze 68.
Pogez 72.
Polthier (Fam.) 20b.

R abensdorf 73.
Recht 156-158.
Reincke-Bloch (Herm.) 42-44.
Reinhold (Maler) 45.
Renzow (Fam.) 47.
Retelsdorf 73.
Rossow 116.
Rostock 67. 117. 118. 142. 143.147.
Ruklaas 82.
Rundling 77.
Rünz (Gr. u. Kl.) 75.

S agen 80.
Samkow 72.
Schaalsee 57.
v. Schlitz (Graf) 49.
Schule 131-134.
Schwämme 60.
Schweiz (meckl.) 55.
Schwerin 5. 119-121. 131.
Seemannshaus 79.
Seidel (Heinr.) 48.
Siedlung 13. 76. Neuzeitl. 93.
Sozialwesen 94.
Stahlwerke 98.
Stargard 122.
Steintanz 6.
Storch (weißer) 59.

T eterow 76. 124.
Theater 159.
Tierwelt 59 ff.
Twachtmann (Gerichtsrat) 50.

U rkundenlehre 150.

V erkehr 92.
Viehhaltung (klösterl.) 89.
Volkskunde 70 ff.
Vorgeschichte 3 ff.
Voß (Joh. Heinr.) 51.

W allenstein 105.
Wappen 99.
Warnemünde 118.
Weitendorf (b. Kritzkow) 112.
Wirtschaftsgeschichte 88 ff. 110.
Wismar 125.
Woldegk 126. 127.
Wossidlo (Rich.) 52. 53.
Wustrow 134.

Z uckerversorgung 97.
Zunft 109. 115.

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VII.

Bücherbesprechungen.

 

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Festschrift für Hermann Reincke-Bloch. Zu seinem sechzigsten Geburtstage überreicht von seinen Schülern. Breslau (Trewendt und Granier) 1927.

Die Schrift enthält unter fünf Arbeiten drei zur mecklenburgischen Geschichte. S. 48-59 veröffentlicht Paul Steinmann ein römisch-rechtliches Erachten (Konsilium) über die Steuerpflicht der Stadt Rostock gegenüber den mecklenburgischen Herzögen aus dem Jahre [1482]. Das Erachten ist in einer unvollständigen Abschrift im Schweriner Archiv erhalten. Steinmann macht wahrscheinlich, daß es von der Universität Rostock oder einem ihrer Professoren für einen Rechtstag von 1482 verfaßt ist, auf dem über den Steuerstreit zwischen den Herzögen und Rostock entschieden werden sollte. Es ergibt sich die interessante Folgerung, daß das römische Recht gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Mecklenburg systematisch zunächst ins Staatsrecht aufgenommen ist, um als Mittel zur Stärkung der landesherrlichen Gewalt zu dienen.

Den größeren Teil der Festschrift (S. 60-158) bildet eine Dissertation Werner Behnckes über den Erbteilungsstreit der Herzöge Heinrich V. und Albrecht VII. von Mecklenburg 1518-1525 und die Entstehung der Union der meckenlenburgischen Landstände von 1523. Behncke, der 1918 in Frankreich gefallen ist, hat die Arbeit im wesentlichen abgeschlossen hinterlassen. Sie druckfertig gemacht und herausgegeben zu haben, ist ein Verdienst P. Steinmanns. Sorgfältige Sammlung des Quellenstoffes, der aus dem Schweriner Archiv, dem Rostocker Stadtarchiv und den Archiven zu Dresden, Weimar und Wetzlar geschöpft ist, hat den Verfasser in den Stand gesetzt, unsere bisherige Kenntnis vom Verlaufe der Erbteilungsverhandlungen nach dem Tode des Herzogs Magnus II. sehr zu bereichern. Für die Landesgeschichte ist der Erbstreit dadurch folgenschwer geworden, daß der Gegensatz, der zwischen Heinrich V. und Albrecht VII. in der Teilungsfrage bestand, die ständische Union von 1523 hervorgerufen hat. Sie war aber keineswegs eine gegen beide Herzöge gerichtete Maßnahme, die das Ziel gehabt hätte, den ständischen Einfluß zu Ungunsten des Fürstenhauses aus reinem Machtwillen zu erweitern. Sondern Behnckes Ausführungen bestätigen auf Grund bis dahin unbenutzten Materials die schon von Schnell (Mecklenburg im Zeitalter der Reformation, Einzeldarst. V) ausgesprochene Ansicht, daß Herzog Heinrich es war, der die Union inspirierte, um die von ihm vertretene Einheit des Landes gegenüber den Teilungsansprüchen Albrechts VII. zu wahren. Später ist

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dann die Union zu einer Gefahr für die landesherrliche Stellung geworden. Die während des Teilungsstreites geltend gemachten fürstenrechtlichen Anschauungen verdienen, näher erforscht zu werden, wozu vielleicht die Behnckesche Arbeit anregt.

Auf stadtgeschichtliches Gebiet führt eine Studie von Karl August Endler: Beiträge zur älteren Geschichte des Rats in Neubrandenburg (S. 159-168 der Festschrift). Der Untergang der Neubrandenburger Stadturkunden des Mittelalters wird einigermaßen dadurch wettgemacht, daß sich Abschriften eines großen Teiles von ihnen bei Reichskammergerichtsakten vorfinden. Aus zwei Urkunden, deren Wortlaut auf diese Weise erhalten ist, einer Ratsordnung von 1321 und einem Privileg für die Gewandschneider von 1333, schließt Endler auf einen Konflikt im Rate, der um 1321 ausgetragen sei, und vermutet, daß er mit dem auch sonst zu beobachtenden Kampfe zwischen Tuchmachern und Gewandschneidern in Verbindung gestanden habe. Von Interesse sind die hinzugefügten Mitteilungen über das Vorkommen adliger Einwohner und Ratsherren in den Städten des Landes Stargard.

In den beiden übrigen Arbeiten handeln Hans Beltz über den heutigen Stand der Kulturkreislehre (S. 7-36) und Walther Neumann über päpstliche Reichsreformpläne im dreizehnten Jahrhundert (S. 37-47).

Reincke-Bloch stand auf der Höhe seines wissenschaftlichen Wirkens, als die Festschrift ihm in die Hände gelegt wurde. Anderthalb Jahre später setzte der Tod seiner Laufbahn früh das Ziel. Von der Treue und Anhänglichkeit seiner alten Schüler wird die Schrift auch in Zukunft Zeugnis ablegen.

W. Strecker.

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Georg Schnath, Die Gebietsentwicklung Niedersachsens (Veröffentlichungen der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens, Reihe A, Heft 8). Hannover (Selbstverlag der Gesellschaft) 1929.

Schnath schildert in großen Zügen die Gebietsentwicklung Niedersachsens nach den Geschichtsquellen und verstärkt damit die Gesichtspunkte, die der Privatdozent Dr. Brüning in einer Denkschrift des 64. hannoverschen Provinziallandtags (Reihe B, Heft 5, obiger Veröffentlichungen) für den Zusammenschluß von Staaten zu einem Lande Niedersachsen bei einer etwaigen künftigen Reichsreform aufgestellt hat. Niedersachsen hat seinen Namen von dem alten Volksstamme der Sachsen, der im westlichen Holstein seine Urheimat hat. Von da aus drangen die Sachsen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten über die Elbe vor, unterwarfen sich die weiten Gebiete bis nach Westfalen hinein und wurden erst von den Franken aufgehalten. Um 800 n. Chr. umfaßte das sächsische Gebiet die Länder zwischen den Slawen im Osten, den Thüringern im Süden, den Franken im Westen und den Friesen an der Küste im Norden, mit einem Kerngebiet (nach den vorgeschichtlichen und volkskundlichen Studien von Schuchhardt und Peßler), das außer der Urheimat in "Nordalbingien" (Holstein) die Gegend zwischen der unteren Elbe, der unteren Weser und Hunte und der Aller

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enthielt. Auf diese Gebiete sind alle politischen und kulturellen Kraftäußerungen der Niedersachsen zurückzuführen. Sie haben im 9. bis 12. Jahrhundert ein Stammesherzogtum von überragender Bedeutung ausgebildet, das sich nach der Seite des geringsten Widerstandes, nach Osten orientierte und in Holstein, Mecklenburg und Pommern kolonisierte und christianisierte. Mit dem Sturze Heinrichs des Löwen 1180 brach das Stammesherzogtum zusammen, und wenn auch die Welfen, gestützt auf ihre ausgedehnten Eigengüter, über einen beträchtlichen Teil des alten Stammesherzogtums einen gewissen staatlichen Zusammenschluß aufrecht erhielten, so folgten doch bis auf die Neuzeit für Niedersachsen Zeiten der Schwäche und Zerrissenheit, in denen sich die Randgebiete (Westfalen, Holstein, Mecklenburg) ablösten und eigene Wege gingen und das Hauptgebiet, gleich wie das übrige deutsche Vaterland, in zahlreiche kleine geistliche und weltliche Fürstentümer und Herrschaften zerfiel. Zwischenstaatliche und überstaatliche Verbindungen, wie die Städtebünde, die Hanse und der Niedersächsische Reichskreis, die auch Mecklenburg vorübergehend wieder mit dem eigentlichen Niedersachsen in Verbindung brachten, vermochten keine Abhilfe zu bringen. Erst die Reformation mit ihrer Säkularisation geistlicher Fürstentümer, das Wiedererstarken des Welfenhauses und das Eindringen Brandenburg-Preußens in Niedersachsen schufen Wandel, so daß heute nur noch die Länder Preußen (mit Hannover und Waldeck), Oldenburg, Braunschweig, die beiden Lippe und Bremen auf dem alten Stammesgebiet bestehen. Für einen Zusammenschluß dieser Staaten als neues Niedersachsen tritt die Schnathsche Arbeit ein für den Fall, daß es zu einer Neugliederung des Reichsgebietes kommen sollte. Acht farbige Karten veranschaulichen die anregenden Ausführungen.

Stuhr.

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Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Freistaates Mecklenburg-Strelitz. Im Auftrage des Ministeriums herausgegeben von der dafür eingesetzten Kommission. I. Band: Das Land Stargard. III. Abteilung: Die Amtsgerichtsbezirke Friedland (2. Hälfte), Stargard und Neubrandenburg, bearbeitet von Georg Krüger, Oberkirchenrat zu Neustrelitz. Neubrandenburg (Brünslow) 1929.

Das Mecklenburg-Strelitzer Kunst- und Geschichtsdenkmälerwerk bringt mit dieser III. Abteilung die Bearbeitung des Landes Stargard zum Abschluß. - Der noch fehlende II. Band, das Land Ratzeburg umfassend, ist bereits in Angriff genommen. - Auch in dieser III. Abteilung ist von Regierungsbaurat Erich Brückner (Neustrelitz) Baugeschichte, Baubeschreibung und Ortsanlage völlig selbständig erforscht und dargestellt worden, während die Bearbeitung der orts- und kunstgeschichtlichen Abschnitte von Oberkirchenrat Georg Krüger (Neustrelitz) übernommen wurde.

Die äußere Ausstattung der III. Abteilung hinsichtlich Papier, Druck und Reproduktionen ist wiederum in vortrefflicher Weise von der Bärensprungschen Hofbuchdruckerei (Schwerin) bewerkstelligt

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worden. Die vorzüglichen und anschaulichen Skizzen und photographischen Aufnahmen rühren zum größten Teil her von Regierungsbaurat Brückner bzw. von Photographiemeister Wilhelm Koch (Neubrandenburg). Eingehende Verzeichnisse, geordnet nach Ortschaften, Sachen, kirchlichen Orden und Brüderschaften, Personen, Bürger- und Bauernfamilien, zusammengestellt von Buchhändler Otto Rose (Neustrelitz), ein Verzeichnis der benutzten Literatur und eine übersichtliche Karte beschließen das Werk.

Die Gesamtanlage des Werkes ist eine treffliche. Sie schließt sich dem Mecklenburg-Schwerinschen Denkmälerwerk von Schlie im allgemeinen an, geht aber, entsprechend den neueren Bestrebungen auf dem Gebiete der Denkmalspflege, über das Schliesche Werk in einigen wesentlichen Punkten noch hinaus, indem es auch Geologie, Vorgeschichte, Ortsanlage, Gehöftsanlage, Bauweise der Bauern- und Bürgerhäuser, Grabkreuze, Herbergsschilder u. ä. sowie die bedeutenderen Bauwerke des 19. Jahrhunderts in den Kreis der Betrachtung hineinzieht.

In der vorliegenden III. Abteilung beanspruchen zwei Örtlichkeiten ganz besonderes Interesse: die Burg Stargard und die Stadt Neubrandenburg.

Neubrandenburg, durch seine wunderbaren Wälle, Mauern und Wiekhäuser, durch seine ragenden Tore und durch die schöne Marienkirche weithin bekannt, ist recht eingehend behandelt worden. Eine solche gründliche Bearbeitung und liebevolle Vertiefung in die Einzelheiten konnte auch nur Brückner leisten, der, einer angesehenen Neubrandenburger Gelehrtenfamilie entstammend, sich mit all den herrlichen Wehranlagen und Wehrbauten durch Kindheitserinnerungen und Tradition eng verbunden fühlte!

Die Burg Stargard ist über Mecklenburgs Grenzen hinaus viel weniger bekannt. Und doch verdient sie die Beachtung weiter Kreise, damit endlich, ehe es zu spät ist, eine Denkmalspflege, die großzügig zu arbeiten gewohnt ist, sich des sonst der Vernachlässigung und dem Verfall ausgesetzten wertvollen Baudenkmals annimmt. Denn die recht ausgedehnte, in Oberburg und Vorburg zerfallende alte brandenburgische Markgrafenburg enthält in den Torbauten und im Bergfried Bauwerke von einem so altertümlichen Charakter, von so reinen und schönen romanischen Stilformen, wie sie in Norddeutschland bei Wehrbauten gewiß recht selten, in der eigentlichen Mark Brandenburg aber ohne Gegenstücke sind. Es ist Brückners Verdienst, daß er als erster erkannte, daß die Rückwand der Kapelle der Burg, die mit ihren Rundbogenfriesen und mit ihren in Putzritzmanier ausgeführten Wappenschildern allen früheren Forschern ungelöste Rätsel aufgab, nichts anderes ist, als die Vorderwand des ältesten Innentores der brandenburgischen Markgrafen, erbaut wie das dieselben Rundbogenfriese aufweisende Außentor um 1250.

Auch sonst enthält Brückners Darstellung der Anlage und der Baugeschichte der Burg eine Reihe von wichtigen Erkenntnissen und scharfsinnigen Beobachtungen, wie sie nur der Baumeister vom Fach machen kann. Sie werden dermaleinst dem Historiker eine gute Grundlage für eine kritische und erschöpfende Geschichte der alten Burg bieten.

Steinmann.

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Johs. Warncke, Die Edelschmiedekunst in Lübeck und ihre Meister (Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd. 8). Lübeck (Schmidt-Römhild) 1927.

Das vorliegende Werk ist von dem Lübecker Staatsarchiv als nachträgliche Festgabe zur 700-Jahrfeier der Reichsfreiheit, die 1926 begangen wurde, herausgegeben und stammt von demselben Verfasser, dem die Wissenschaft die Arbeit über die Lübecker Zinngießer in Bd. 6 der genannten Veröffentlichungen verdankt. Der erste Abschnitt bringt Allgemeines. Die Menge der Goldschmiedearbeiten war in Lübeck bei den Kirchen bis zur Reformation, beim Rat, bei den Kaufleutekompagnien und den Handwerksämtern und im Privatbesitz bis zur Franzosenzeit gewaltig. Wie die Goldschmiede arbeiteten, ihre Erzeugnisse in engen Verkaufsbuden am Rathaus verkauften, die Meisterschaft erwarben und in ihrem Amt lebten, wird eingehend geschildert. Was der Verfasser über Feingehalt, Probe und Stempelung der Waren, über Beschauzeichen (Stadtmarke) und Meisterzeichen sagt, beruht zum Teil auf gemeinsamen Rezessen der Hansestädte, an denen auch Wismar und Rostock teilnahmen, und hat über die Stadt Lübeck hinaus Bedeutung. Für uns Mecklenburger ist das Kapitel hervorzuheben, das sich mit dem Absatz und der Verbreitung der Lübecker Edelschmiedewaren beschäftigt. Danach besitzt der Westen Mecklenburgs, das Fürstentum Ratzeburg und die Gegenden von Wismar, Grevesmühlen, Gadebusch, Rehna und Lübtheen, in Stadt- und Landkirchen noch viele schöne Stücke Lübecker Herkunft aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Einzelne Stücke sind auch nach Rostock und Plau gekommen. Die folgenden beiden Abschnitte des Werkes beschäftigen sich mit den Lebensdaten der Lübecker Goldschmiede, ihren Arbeiten und Marken im einzelnen. Vorzüglich sind die auf Tiefdrucktafeln wiedergegebenen Abbildungen, darunter eine Kanne von 1604 und eine Oblatendose von 1681, beide im Dom zu Ratzeburg, eines Deckelpokals (nicht vor 1677) mit Münzen im Landesmuseum zu Schwerin, eines Kelches in der Kirche zu Gressow ( = Schlie II, S. 310) und einer Taufschale von 1819 in der Kirche zu Schlagsdorf

Die Warnckesche Arbeit ist ein sehr beachtlicher Beitrag zur Geschichte des deutschen Kunstgewerbes.

Stuhr.

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Gustav Willgeroth, Die Mecklenburgischen Ärzte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Schwerin (Landesgeschäftsstelle des Mecklb. Ärztevereinsbundes) 1929.

Der Verfasser fußt auf den gleich betitelten Werken des Oberstabsarztes a. D. Dr. Blanck (1874) und des Ober-Medizinalrats Dr. Axel Wilhelmi (1901) und führt sie bis auf die Gegenwart fort. Die neue Bearbeitung zeigt in mancher Hinsicht bemerkenswerte Fortschritte. Während bei den beiden älteren Werken das Ordnungsprinzip nicht sogleich in die Augen fällt und man erst bei genauem Lesen dahinterkommt, daß die Ärzte für das ganze Land nach den Promotionsjahren aneinandergereiht sind, hat Willgeroth den Vorteil erkannt, der in einer Zusammenstellung nach Ortschaften

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und in einer Aufzählung nach dem Anfangsjahr der Praxis liegt. So kann man die gleichzeitig an einem Orte wirkenden und durch mancherlei Beziehungen untereinander und mit der Bevölkerung verbundenen Ärzte übersehen; daneben ermöglicht nach wie vor ein alphabetisches Register die Auffindung jedes Arztes auch ohne Kenntnis seines Wohnortes. Die genealogischen Nachrichten konnten dank verständnisvoller Mitarbeit der Ärzte und unermüdlicher Forschung des Verfassers in Kirchenbüchern, Akten und Druckschriften recht ausführlich gebracht werden. Wenn einige wenige Ärzte die versandten Fragebogen nicht oder nicht genügend beantworteten, so haben sie es sich selber zuzuschreiben, daß sie in der Darstellung abfallen. Bei Angabe der wissenschaftlichen Arbeiten hat sich der Verfasser auf die Dissertationen und auf Werke von orts-, zeit- und kulturgeschichtlichem Interesse beschränkt. Meines Erachtens mit Recht. In seiner Arbeit sollen die Ärzte nach ihrer Persönlichkeit geschildert werden, soweit diese aus ihrer Herkunft, Ausbildung, praktischen Betätigung und nach ihren allgemein interessierenden wissenschaftlichen Arbeiten zu erkennen ist. Das ist schon ein weites Programm. Wer über ihre Publikationen im einzelnen noch mehr wissen will, der greife zu dem Blanck-Wilhelmischen Werke, das in dieser Hinsicht noch eine gewisse Bedeutung behält. Hingewiesen sei noch besonders auf die wertvollen Zusammenstellungen im Sachregister über Lebensweise, Charakterzüge, Teilnahme an Kriegen, besondere Verdienste und Ehrungen der Ärzte, auch über Ärzte als Opfer ihres Berufs. Alles in allem reiht sich das Willgerothsche Ärztebuch seinem 1924-25 erschienenen dreibändigen Pastorenwerk würdig an. Es gibt wenige deutsche Staaten, aus denen ein so reiches genealogisches Material über die Angehörigen dieser beiden wichtigen Berufe gedruckt vorliegt, wie aus Mecklenburg.

Stuhr.

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Hermann Krause, System der landständischen Verfassung Mecklenburgs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. (Rostocker Abhandlungen, herausgegeben von der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Mecklenburgischen Landesuniversität, Heft II.) Rostock (Carl Hinstorff) 1927.

Eine systematische Darstellung der landständischen Verfassung Mecklenburgs fehlte bislang. Diesen oft empfundenen Mangel beseitigt Hermann Krauses Dissertation. Jurist, aber durch Tradition und Neigung mit starker historischer Ader ausgestattet und historisch geschult, war Hermann Krause für eine derartige Aufgabe sozusagen prädestiniert. Und man muß sagen, daß er seine wirklich nicht so einfache Aufgabe in vorzüglicher Weise gelöst hat. Das, was er uns geliefert hat, ist keine trockene und schwierige Konstruktion, etwa nach Art von Böhlaus "Fiskus", sondern eine gut lesbare und anschauliche Darstellung, die der bunten Fülle der Erscheinungen des geschichtlichen Lebens, wie sie in den Quellen uns immer wieder entgegentritt, gerecht wird. Der Stoff ist übersichtlich gegliedert.

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Im I. Kap. werden die Träger der öffentlichen Gewalt des Ständestaates: Landesherrn und Stände, behandelt, wobei naturgemäß das Hauptgewicht auf die Stände gelegt wird. Unterabteilungen besprechen die Zusammensetzung der ständischen Korporation (Ritterschaft, Landstädte, Seestädte [Rostock und Wismar nahmen bekanntlich zu allen Zeiten eine Sonderstellung ein], Prälaten [verschwanden seit der Reformation] sowie Charakter der Stände als Korporation), den Landtag (Selbstversammlungsrecht der Stände und herzogliche Berufung, Zeit und Ort des Landtags, Pflicht zum Erscheinen und Stellvertretung, Art und Kosten der Verhandlungen und Versammlungen) und die Organe der ständischen Korporation (Landmarschälle, Syndikus, Ausschüsse). Ein besonderer Paragraph wird dem wichtigen Institut der Landräte gewidmet, von denen Krause bemerkt: "Sie nahmen eine Zwischenstellung ein, ihr Gesicht war ein doppeltes: es sah auf die wohlerworbenen Rechte der Ritterschaft und Städte, aber es sah auch auf die Ansprüche der Landeshoheit. - - - Die Landräte waren das bindende Element der beiden großen Faktoren dieser Verfassung. - - - Der eingeschlagene Weg ging dahin, die Landräte tatsächlich zu reinen Organen der Stände zu machen; formell sind sie immer Mittelspersonen geblieben."

Das Verhältnis der Träger der öffentlichen Gewalt zueinander findet im II. Kap. seine Darstellung. Darin werden behandelt: Vertragscharakter des Verhältnisses, wie er in Reversen, Gravamina und in dem Widerstandsrecht der Stände in Erscheinung tritt; die Art der Aufteilung der öffentlichen Gewalt zwischen Landesherrn und Ständen; die Stellung der Stände in den Landesteilungsstreitigkeiten der Herzöge.

Im III. Kap. hat Krause die Funktionen der öffentlichen Gewalt bearbeitet. Das Kapitel umfaßt: Auswärtige Politik und Kriegswesen; die Rechtsprechung; die Finanzen mit Steuerbewilligung (Tilgung der fürstl. Schulden und rechtlicher Charakter der Schuldentilgung, Fräuleinsteuern [Prinzessinnensteuern], Dona gratuita, Türkensteuern und andere Reichssteuern) und Steuerverwaltung des Schuldentilgungsausschusses; das Kirchenregiment (Anteil der Stände am Kirchenregiment, Kirchengut, Übernahme der Landesklöster); die innere Verwaltung und Polizei; die Wirtschaft. Zum Schluß wird das Verhältnis der Landstände zur Gesamtheit der Untertanen erörtert. Im Gegensatz zu der vielfach in altdeutschen Territorien über Mecklenburg herrschenden Ansicht betont Krause in Übereinstimmung mit der von den heimischen Gelehrten schon immer vertretenen Auffassung, daß die mecklenburgischen Landstände nicht den Charakter einer rechtlichen Vertretung des ganzen Landes haben. Er legt dar, "daß auf dem Landtag der Bürgermeister nur die Bürger seiner Stadt und der Ritter nur seine Bauern vertrat: mit anderen Worten, daß der Landtag nichts anderes als eine Versammlung der lokalen Obrigkeiten war. Der durch die Landtagsbeschlüsse erfaßte Kreis deckte sich tatsächlich mit der Summe der durch ihre patrimonialen Obrigkeiten Vertretenen." Im Gegensatz zu den altdeutschen Territorien gab es ja in Mecklenburg keine landtagsunfähigen Grundherren, keine freien Bauern,

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und die Domanialbauern hatten die Steuern nicht auf Grund des Landtagsbeschlusses zu entrichten, "sondern auf Grund der Zustimmung des Landesherrn als des Grundherrn im Domanium". "Zu der Gesamtheit der Untertanen hatten die Stände danach keine rechtlichen Beziehungen, jedes einzelne Mitglied stand nur in einem obrigkeitlichen Gewaltverhältnis zu dem engen Kreis seiner Hintersassen. An dieser Auffassung hat man in Mecklenburg bis 1918 festgehalten."

Steinmann.

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Bernhard Koerner, Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien. 57. Band). Görlitz (C. A. Starke) 1928.

Im Sommer 1928 ist als 57. Band der Deutschen Geschlechterbücher der 1. Mecklenburgische Band, bearbeitet von Bernhard Koerner, Otto v. Cossel und Walter Freier, herausgekommen. Es befinden sich darin die Stammfolgen von 28 mecklenburgischen Familien:

Baller, Bicker, Bolten, Büsing, Danckwarth, Fielitz, Goetze, Haase, Horn, Keding, Klotz II, Knebusch, Kossel, Langfeldt (Langfeld), Müller VI, Reuter II, Riek I-IV, Schnapauff, Schröder VIII, Sellschopp, Spiegelberg, Stoltzenburg I, Stolzenburg I, Weltzien und Wiechmann.

Von dem Verlage wird beabsichtigt, einen 2. Mecklenburger Band folgen zu lassen, wenn sich genügend Familien für die Aufnahme ihrer Stammfolgen finden. Bisher liegen noch nicht genug Anmeldungen vor. Herr Jobst Heinrich v. Bülow zu Schwerin-Ostorf beschäftigt sich zurzeit mit den Genealogien mecklenburgischer Familien und würde bereit sein, denen, die den Abdruck ihrer Stammfolge im Geschlechterbuch wünschen, helfend zur Seite zu stehen. Der Druck des Textes stellt sich nicht teuer, dagegen ist die Wiedergabe von Bildern ziemlich kostspielig (50-60 RM für das Bild).

Es mag noch kurz auf den Wert hingewiesen werden, den ein Abdruck der Stammfolge für die Mitglieder eines Geschlechtes hat. Zunächst ist für die kommenden Generationen eine baldige Feststellung der Familienverhältnisse erwünscht; die Ermittelungen, die sich heute noch leicht bewerkstelligen lassen, erfordern in späteren Zeiten oft sehr mühsame Arbeiten. Weiter fördert die Kenntnis der Abstammung den Familiensinn und das Gefühl der Zusammengehörigkeit nicht nur unter den Geschlechtsgenossen, sondern, da sich in den Stammfolgen der meisten Geschlechter Angehörige der verschiedenen deutschen Stämme finden, auch im ganzen deutschen Volke, und das ist in unserer gärenden Zeit von besonderer Bedeutung. Endlich hat die Schilderung des Lebens und Wirkens der Vorfahren großen erzieherischen Wert für die nachfolgenden Generationen; was jene geleistet haben, kann diesen häufig als gutes Vorbild dienen. Die Familienforschung ist eine Art und ein Teil der Geschichtsforschung. Sie kann daher den Mitgliedern des Geschichtsvereins nur empfohlen werden.

M. B.

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Generalmajor a. D. Dettlof Graf von Schwerin, Feldmarschall Schwerin, ein Lebensbild aus Preußens großer Zeit. Berlin (Mittler & Sohn) 1928.

Einem Blücher und einem Moltke, Söhnen unseres Landes, könnte man mit gewisser Berechtigung als dritten Heerführer von europäischem Rufe Schwerin zur Seite stellen. Zwar ist er nicht in Mecklenburg geboren, aber seine militärische Wiege hat dort gestanden. Unter mecklenburgischen Fahnen hat er bei Donauwörth, am Schellenberge und bei Höchstädt gefochten, mecklenburgische Fahnen hat er bei Walsmühlen zum Siege geführt und damit den Grund gelegt zu seinem Feldherrnruhme. So können wir den Helden von Prag auch als einen Mecklenburger in Anspruch nehmen.

Dem Feldmarschall Schwerin ist unter obigem Titel von seinem Nachfahren ein würdiges und höchst beachtenswertes Denkmal gesetzt worden. Auf Grund sorgfältigen Studiums zum Teil bisher unerforschter archivalischer Ouellen ist hier ein Lebensbild entrollt, das diese bedeutende Persönlichkeit tiefer und vollkommener erfaßt, als man sie bisher gekannt hat. Nicht nur der Feldherr erscheint vor uns, der neben seinem genialen Könige die Selbständigkeit seines strategischen Denkens zu wahren weiß; auch als gewandten Diplomaten lernen wir ihn kennen. So führt ihn als 29jährigen mecklenburgischen Obersten eine Sendung im Auftrage seines Herzogs zu Karl XII. in die Türkei - ein bemerkenswerter und wenig bekannter Zwischenakt.

Schwerin war eine vielseitige Persönlichkeit von beweglichem Geiste, weit über den Durchschnitt seiner Standesgenossen gebildet von feinem Kunstverständnis, ein vollendeter Weltmann, ein Charakter, dessen bedeutendes Gesamtbild durch manche kleine Schwächen in keiner Weise beeinträchtigt wird. Von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, hat sein Charakterbild geschwankt damals, als sein Herzog die Souveränität seiner Krone durch ihn stabilisieren wollte gegenüber den Ständen. Heute ist das vergessen, und der Name Schwerin hat auch in Mecklenburg den Klang, den ein solches Heldenleben verdient. Es ist das Verdienst des Verfassers, daß er uns diesen mecklenburgischen Obersten und General näher gebracht hat.

Arthur v. Oertzen.

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Johann Friedrich Pries, Die Entwicklung des mecklenburgischen Niedersachsenhauses zum Querhause und das mecklenburgische Seemannshaus. Mit 16 Tafeln und 1 Karte. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausg. von R. Gradmann, 26. Band, Heft 4. 52 S. Stuttgart (Engelhorns Nachf.) 1928.

Das lebhafte Verständnis des Verfassers für volkskundliche Fragen und seine langjährige Tätigkeit in der mecklenburgischen Domanial-Bauverwaltung haben zusammengewirkt, um ihn auf das Studium der Entwicklung des Bauernhauses und verwandter Bauten hinzuführen. Es ist ihm sehr zu danken, daß er die im Laufe der

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Zeit angestellten Beobachtungen durch die vorliegende Abhandlung weiteren Kreisen bekannt gemacht und sie auf Grund seiner Beherrschung der einschlägigen Literatur in den allgemeinen baugeschichtlichen Zusammenhang eingerückt hat. Die Schrift behandelt zunächst das alte niedersächsische Längshaus, das Gebiet seiner Verbreitung in Mecklenburg, seine drei Hauptformen, von denen die des Durchgangsdielenhauses in unserem Lande am häufigsten vorkommt, und seine Bauart. Dieses Längshaus ist dann nach dem Vorbilde des mitteldeutschen Hauses, das im östlichen Mecklenburg Eingang gefunden hat, allmählich zu einem Querhause abgewandelt worden. Wie sich diese Entwicklung vollzogen hat, wird durch die sachverständigen Darlegungen des Verfassers im einzelnen nachgewiesen. Eine Zwischenform ist das von Pries so benannte Abseitenquerhaus, das im Süden und Osten des Landes anzutreffen ist. Dagegen führt P. die Besonderheit des im nördlichen Mecklenburg-Schwerin erscheinenden Querdielenhauses nicht auf den mitteldeutschen Typus zurück, sondern auf das Beispiel der Querdielen in Schafställen der großen Güter. Als verkleinertes Niedersachsenhaus ist das ältere Seemannshaus anzusehen, wie es sich auf dem Fischlande findet. Ob von ihm eine Verbindung zu den "Hafenortshäusern" Warnemündes führt, bleibt noch unentschieden. Besprochen werden ferner Wirtschaftsgebäude und Gutskaten, die Massengestaltung des mecklenburgischen Bauernhauses, d. h. seine Wirkung als Gesamterscheinung, schließlich das Gehöft und dessen Lage zur Straße. In einem Anhange beschäftigt sich der Verfasser mit den verschiedenen Dorfformen und bekämpft bei dieser Gelegenheit auch seinerseits die nicht mehr haltbare Ansicht, daß der Rundling eine speziell wendische Form der Dorfanlage sei. Ein zweiter Anhang bringt Nachrichten über Baupolizeiliches und Baubetrieb seit 1516. Ganz besonders zu begrüßen sind die 16 Tafeln mit einer Fülle vortrefflicher Zeichnungen, die dem Leser die Beschreibungen des Textes aufs beste veranschaulichen. Ferner sind beigegeben eine Karte, die die Verbreitung der verschiedenen Haustypen in Mecklenburg erkennen läßt, ein Schriftenverzeichnis und ein Register.

W. Strecker.

 

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VIII.

Die Rheinkarte des Kaspar Vopelius

von

Wilhelm Voß.

 

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D ie Landesbibliothek zu Schwerin ist jung an Alter, sie reicht in ihrer Entstehung nicht über das Ende des 18. Jahrhunderts hinaus. Ihren Grundstock bildete die 1779 erworbene, mehrere tausend Bände umfassende Büchersammlung des Hofrats G. R. v. Ditmar. Sie hat sich seitdem beträchtlich erweitert: größere und kleinere Bestände aus den verschiedensten Ouellen sind ihr im Laufe der Zeit zugeflossen, teils schenkweise, teils aus den Mitteln eines jährlichen, freilich nicht gerade üppig bemessenen Jahresetats, so daß sie jetzt mit mehr als 200 000 Bänden eine ganz achtbare Stellung unter den deutschen Bibliotheken einnimmt. Überwiegend aber waren das, was hinzu kam, neuere Erscheinungen oder doch Werke von allgemeiner, gangbarer Bedeutung, wie sie jede einigermaßen umfangreiche Bücherei auch sonst aufweist. Was ihr an wertvollem, älterem Material, namentlich aus fürstlichem Besitz, hätte zugewandt werden können, stand zum großen Teil nicht mehr zur Verfügung und war schon anderswo festgelegt, so die Bibliothek des Herzogs Johann Albrecht I. in der Universitäts-Bibliothek zu Rostock, die seines Bruders, des Herzogs Ulrich, mit ihren prächtigen Exlibris in der Domschule zu Güstrow. Es ist so erklärlich, daß die Landesbibliothek nicht gerade überreich ist an schätzbaren Seltenheiten, daß namentlich alte Handschriften, Inkunabeln und selbst Drucke des 16. Jahrhunderts oder Erstausgaben schönwissenschaftlicher Literatur in ihr nur recht bescheiden vertreten sind. Doch besitzt sie einige Kostbarkeiten, und auf eine von diesen möchte ich in den folgenden Zeilen die Aufmerksamkeit lenken.

Als man 1925 am Rhein zu der Jahrtausendfeier rüstete, suchte man in Köln damit eine Ausstellung zu verbinden, in der man bestrebt war, alles zu vereinigen, was einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der Rheinlande in Kultur und Geschichte geben konnte. Daß für diesen Zweck die Zusammenbringung eines möglichst vollständigen Kartenmaterials von Reiz und besonderer Wichtigkeit sein mußte, liegt auf der Hand, und da war Schwerin nun in der glücklichen Lage, leihweise eine kartographische Darstellung des Rheinlaufs hinzugeben, die, ebenso interessant wie selten, allein in dem einen in der Landesbibliothek befindlichen Exemplar erhalten geblieben zu sein scheint. Es ist das die Rheinkarte des Kaspar Vopelius von 1558.

Lange Zeit war diese Karte unauffindbar gewesen. Man wußte, daß sie existiert habe. Matthias Ouad, der Vopelius

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zeitlich sehr nahesteht, hatte sie noch gesehen; er erwähnt ihrer als eines Werkes des Vopelius in seiner Schrift "Teutscher Nation Herligkeit (1609)" S. 229 und gibt eine genaue Beschreibung von ihr in seinem "Supplementum Europae Vopelianae (1597)": "Item den gantzen Rheinstrom mit seinen anstoßenden grentzen, auff fünff Stöck, dicht und voller arbeits, darinen auch zur leichterer erkantnuß die antiquische namen der örter und Völcker, sowol als die heutige mit verschiedener art Littere angezeigt, darunder auch ein besundere Relation über die Tafel mit angehenckt" (Michow, Caspar Vopell und seine Rheinkarte vom Jahre 1558. S. A. aus Mitteil. d. Geogr. Ges. in Hamburg. Bd. 19, 1903, S. 3). Es war wohl dieselbe Karte, die dem Kölner Rat nach dem Ratsprotokoll vom 18. März 1555 von Vopelius präsentiert wurde: "Caspar Vopell hat eim rath cartam und descriptionem Reni zugeschriben und presentirt, ist verdragen, ime acht daler zu schenken" (Michow, Caspar Vopell. S. A. aus Festschr. d. Hamburg. Amerika-Feier. 1892. S. 11). Sie hat sich aber in Köln nicht mehr auffinden lassen, und ein Suchen auch an anderen Orten, wo ein Vorhandensein vermutet werden konnte, war umsonst.

Da kam 1902 der Leipziger Geograph Ruge, der von der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften mit der Aufgabe betraut war, das ältere kartographische Material an den deutschen Bibliotheken aufzunehmen, nach Schwerin und fand hier eine Rheinkarte des Vopelius in Holzschnitt auf 5 Blatt, datiert vom Jahre 1558, die zweifellos sich als ein Exemplar der so lange gesuchten und vermißten herausstellte (Nachr. d. Gött. Ges. d. Wiss. 1904, Heft 1, S. 28). Es war ein kleines Ereignis für die Bibliothek. Der Hamburger Vopell-Forscher Michow, dem Ruge von seinem Funde Nachricht gab, war gleich in den nächsten Tagen in Schwerin, den Schatz selbst in Augenschein zu nehmen, und da der Zufall wollte, daß gerade in dem Jahre 1903 der Deutsche Geographentag in Köln tagen sollte, erbat uno erhielt er die Erlaubnis, die Karte dahin mitzunehmen und zur Vorlage zu bringen (Katal. d. Ausstell. S. 11, Nr. 60, leider mit Druckfehlern). 1925 ging sie dann, wie erwähnt, denselben Weg zur Jahrtausendfeier. Michow hat dann, nach Ruge's orientierender Notiz, 1903 eine genauere Beschreibung der Karte gegeben. Doch ist ihm manches strittig geblieben, und anderes hat er nicht berührt. So mag sich wohl eine nochmalige Besprechung rechtfertigen.

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Die Karte ist Holzschnitt, auf Papier in 5 Blatt, darunter ein erläuternder deutscher Text, gleichfalls in 5 Blatt zu je zwei Kolumnen, nicht, wie bei Michow (a. a. O. S. 16), wahrscheinlich als Druckfehler, steht in 3 Blatt. Die Größe der Karte (mit Überschrift und Zierleiste) beträgt 155 x 42, des Textes 159 x 12 cm. Orientiert ist sie nicht, wie es heute üblich ist, nach Norden, sondern nach WSW. Windrose rechts oben im Zuydersee. Eine Gradeinteilung fehlt. Zur Ermittlung des Maßstabes dienen unten links drei Meilenmaßstäbe in Großen, Gemeinen und Kleinen deutschen Meilen, jede 125 mm lang, denen im ersten Maßstab 8, im zweiten 10, im dritten 13 1/3 Meilen entsprechen. Rechnet man die Gemeine Meile gleich unserer geographischen (7500 m = 1/15 Äquatorgrad), so ergibt sich der Kartenmaßstab von ca 1 : 600 000. Die Darstellung umfaßt den ganzen Rheinlauf, reicht südlich vom Engadin bis nördlich zur holländischen Insel Ameland, westlich von Antwerpen (Hantwerpen) bis östlich Ulm (Ulma).

Die Überschrift am Kopf der Karte gibt in langer Zeile in Majuskeln den Titel: RECENS ET GERMANA BICORNIS AC VVIDI RHENI OMNIVM GERMANIAE AMNIVM CELEBERRIMI DESCRIPTIO, ADDITIS FLVMINIB, ELECTORVM PROVINCIIS, DVCAT. COMITA., OPPI., ET CASTRIS PRAECIPVIS, MAGNA CVM DILIGENTIA AC SVMTIB. COLLECTA, AVTORE CASPARE VOPELIO MA. Von den drei Legenden im Kartenraum bringt die oben links eine Widmung an die Kurfürsten und Fürsten der Rheinlande, die oben rechts eine kurze lateinische Übersicht über die Einteilung Galliens und des linksrheinischen Deutschlands in römischer Zeit und ein Lob des rechtsrheinischen Deutschlands als Stammlandes des Adels von fast ganz Europa, aus dem die spanischen, die französischen und die englischen Königsgeschlechter ihren Ursprung genommen. Die dritte Legende unten links orientiert über Orts- und Entfernungsbestimmungen auf der Karte mittels des Kompasses und der Maßstäbe und fügt daran Privileg, Erscheinungsort und Erscheinungsjahr: cum Caesa. Maiest. gratia & priuilegio │ ad decennium │ COLONIAE AGRIPPINAE APVD CASPA. VOPE │ M. D. LVIII. Den Text der drei Legenden gibt Michow (a. a. O. S. 14/15), unter Auflösung der Abkürzungen, in der Orthographie und Interpunktion des Originals. Doch ist er darin nicht ganz konsequent genau verfahren. Ich gebe, was mir bei Vergleichung an Verbesserungen aufgestoßen ist:

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S. 15. Z. 2. vt (statt ut). - Z. 4. Scalis. - Z. 9. vnaquaque. - Z. 11. apvd. - Z. 18. Narbonensi. - Z. 21. Komma hinter Matrona, und kein Komma hinter Sequana. - Z. 22. kein Komma hinter includuntur. - Z. 22. Punkt statt Komma hinter dicti. - Z. 23. kein Komma vor qui. - Z. 26. kein Komma vor expulere. - Z. 28. Komma statt Punkt hinter inferiorem. - Z. 29. aduentum. - Z. 31. diuisus. - Z. 31. Punkt hinter est. - Z. 32. Punkt statt Komma hinter Ambia. - Z. 38. vsque. - Z. 38. jactitant (statt jactuant). Der angeklebte Text, in 10 Kolumnen, ist deutsch geschrieben und hat die Überschrift: "Kurtze beschreibung des gantzen Rheinstroms │ mit sambt den einfließenden wassern / alten Völck │ kern herkompst / Sietz vnd verenderung biß │ auff diese zeyt."

Im Titel wird der Rhein bicornis und vvidus genannt. Bicornis, der "Zweihörnige", heißt er schon bei Vergil, Aen. VIII, 727:

Extremique hominum Morini Rhenusque bicornis.

Der Kommentator Servius erklärt dazu: Rhenus Fluvius Galliae, qui Germanos a Gallia dividit. Bicornis autem, aut commune est omnibus fluviis, aut proprie de Rheno, quia per duos alveos fluit. Dann braucht Ausonius (Mosella 437) den Ausdruck:

Cumque uno de fonte fluas, dicere bicornis.

Dem ließen sich weitere Beispiele beifügen (Thesaurus ling. lat. II, 1971/72). Noch Clüver (Introd. in omnem Geogr. vet. aeque ac nov. 1694. S. 120) schreibt, daß der Rhein bei Schenckenschans sich gleichsam in zwei Hörner teile: ubi Rhenus in duo veluti cornua scinditur. Spätere, die die Yssel-Mündung als dritte hinzurechneten, nannten ihn dann wohl auch tricornis.

Schwieriger zu erklären ist das VVIDI des Titels. So wie das Wort steht, wird man zunächst versucht sein, es als uvidi zu lesen, und Michow liest es so. Aber uvidus bedeutet "feucht", und wie sollte Vopelius dazu gekommen sein, Feuchtigkeit noch als besonders charakteristisch für einen Fluß wie den Rhein anzuführen? In der Regel wird uvidus doch auch nur von Gegenständen, z. B. Land, gebraucht, die feucht geworden sind, und im Begriff "feucht" ist nicht der Begriff einer großen Wassermasse beschlossen. Aber welche andere Erklärung gäbe es? Uvidus mit uva "Traube" in Beziehung zu setzen und in dem Ausdruck eine Anspielung auf den Weinreichtum der Rheinlande zu sehen, wäre doch wohl mehr als verwegen.

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Man möchte einen Druckfehler vermuten, die Auslassung eines i, und glauben, daß für VVIDI zu lesen wäre VIVIDI, vividus in der Bedeutung von "lebendig, voll Leben, schnell fließend". Schon Caesar (Bell. Gall. IV, 17) spricht von der Schwierigkeit eines Brückenschlags über den Rhein propter latitudinem, rapiditatem, altitudinemque fluminis, und Strabo äußert sich ähnlich. Auch Tacitus, Ann. II, 6. weiß von der violentia cursus, qua Germaniam praevehitur. Diesen Ruf hat der Fluß sich seitdem bewahrt. Ce fleuve, heißt es im Abrégé portatif du Dictionnaire Géographique de La Martinière (1759, II, 106), est fort profond et fort rapide; sa navigation est fort difficile, tant à cause de sa rapidite que des coupures, qu'il fait dans son cours. Spenser in seiner Faerie Queen (B. IV, c. 9.) nennt ihn swift Rhene, und in der englischen Beschreibung einer Rheinfahrt (Thom. Hood, Up the Rhine. 1839) fand ich einmal die Bezeichnung arrowy Rhine.

Jedenfalls gäbe diese Konjektur eine einwandfrei befriedigende Lösung. Nachfolger des Vopelius zogen die zwei v in ein w zusammen und druckten das ganz unsinnige widi. Quad in seiner Rheinkarte von 1604 ließ es ganz aus, wahrscheinlich, weil er nichts damit anzufangen wußte.

Das Bild, das die Karte bietet, ist für jene Zeit überraschend getreu. Der Rheinlauf ist im wesentlichen genau eingezeichnet und mit all seinen Krümmungen gut zu erkennen. Daß Unstimmigkeiten dabei nicht ganz vermieden sind, ist nicht weiter zu verwundern; sie halten sich aber in erträglichen Grenzen. Der mittlere Teil des Laufes ist gegen den Maßstab von 1 : 600 000 ein wenig erweitert, der obere stark verkürzt. Ich gebe dafür einige Zahlen: die Entfernung Thusis-Bodensee (90 km), 130 mm, entspricht einem Maßstab von etwa 1 : 700 000, die Entfernung Straßburg-Köln (270 km), 500 mm, einem Maßstab von etwa 1 : 540 000. Eingetragen sind neben den deutschen Namen auch die überlieferten lateinischen, dazu die Namen der in römischer Zeit im Rheinlande ansässig gewesenen Völkerstämme und endlich die Wappenschilde der einzelnen in der Karte vertretenen Herrschaften. Wälder und Gebirge sind in der bekannten Bildermanier gegeben (als Baum- und Hügelzeichnungen), die kleineren Ortschaften in Kreischen, wie auch in modernen Karten üblich ist, die größeren in Stadtbildchen. Diese Darstellungsart war ja die in jener Zeit allgemein gebräuchliche.

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Der Text unter der Karte vergleicht zunächst den Rhein mit der Donau: "Die Donaw ist aller wasser ein Fraw / Aber der Rhein / mag mit Ehren wol jr Mann sein". Er rühmt als Vorzug des Rheins, daß er "mit viele der schönsten vnnd grösten Stetten / Leuthen / vnnd fruchtbarem weinreichen Gelende" die Donau übertreffe. Es folgt dann die Beschreibung seines Laufs von der Quelle bis zur Mündung und anschließend die Aufzählung der ihm anwohnenden Völker, sowie der Nebenflüsse.

Michow glaubt in unserem Exemplar von 1558 eine zweite Auflage zu sehen, die drei Jahre nach der ersten, 1555 dem Kölner Rat präsentierten sich vernotwendigt habe. Ich glaube das nicht. Legenden und Text schweigen sich darüber aus. Möglich wäre doch, daß die Karte dem Rat 1555 im Entwurf oder in einem ersten vorläufigen Abdruck vorgelegt wurde und die tatsächliche, definive Ausgabe mit Hinzufügung von Privileg, Ort und Datum erst 1558 erfolgte.

Die Karte ist auf Leinen gezogen und im ganzen, bis auf einen kleinen Defekt oben in der Titelzeile, gut erhalten. Ungeschickt nur ist bei der Zusammenstoßung der einzelnen Blätter verfahren. So vermißt man vor allen Dingen eine sorgfältig genaue Größenanpassung von Text und Karte: der Textstreifen ist zu lang geraten und springt auf beiden Seiten beträchtlich vor, so daß Bordüre mit Bordüre sich nicht mehr deckt. Unter Ausgleichung dieser Fehler hat Michow durch die Firma Griese in Hamburg eine, auch im Buchhandel erhältliche, photolithographische Wiedergabe in Originalgröße herstellen lassen, die erst den vollen harmonischen Eindruck des Kartenbildes gewährt. Eine Reproduktion davon in verkleinertem Maßstabe findet man der schon erwähnten Arbeit Michows, Caspar Vopell und seine Rheinkarte von 1558 (1903) beigegeben.

Woher unser Exemplar stammt, wie und durch wen es nach Schwerin gekommen ist, hat sich leider nicht mehr bestimmen lassen. Es hing früher, ziemlich unbeachtet, an Stäben in den Räumen der Bibliothek. Als sein Wert erkannt war, wurde es aus den Stäben gelöst und liegt nun wohl verwahrt unter Verschluß.

Über Vopelius, seine Lebensumstände und sein kartographisches Werk, sowie die Nachfolge, die seine Rheinkarte gefunden hat, unterrichtet Michow in den angeführten Schriften.

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IX.

Reincke-Bloch zum Gedächtnis

von

Hans Spangenberg.

 

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D ie enge Verbundenheit H. Reincke-Blochs mit Mecklenburg, dem er in fast zwanzigjähriger Tätigkeit mit voller Hingebung gedient hat, rechtfertigt hinreichend den Wunsch, dem allzufrüh, im 62. Lebensjahr Dahingeschiedenen auch in den Jahrbüchern einige Worte dankbaren Gedenkens zu widmen.

Das alte Grenz- und Kernland deutscher Kultur, das Elsaß, ist die erste Stätte der Wirksamkeit Reincke-Blochs gewesen. Nach Beendigung seines Studiums an den Universitäten Freiburg, Leipzig, Berlin, ein Schüler W. Arndts und P. Scheffer-Boichorsts, kam er im Frühjahr 1892 nach Straßburg, um unter Leitung H. Breßlaus an der Diplomata-Abteilung der Monumenta Germaniae mitzuarbeiten; ihn empfahl eine noch heute unentbehrliche, durch methodische Forschung und Kombinationsgabe ausgezeichnete Erstlingsschrift (1891) "Zur Politik Kaiser Heinrichs VI. in den Jahren 1191-1194". In Straßburg beschäftigten ihn vornehmlich kritische Untersuchungen über die literarische und urkundliche Überlieferung des Elsaß; aus ihnen ging später die Edition der Annales Marbacenses (1907), einer Hauptquelle der Hohenstaufenzeit, hervor. Als Privatdozent (seit 1896) las er mit Vorliebe Geschichte des Elsaß, die er als Einheit zu begreifen und in den Gesamtverlauf der deutschen Geschichte einzureihen suchte.

Der mit den Mitteln der Quellenkritik und Editionstechnik trefflich ausgerüstete Monumentist trat seit seiner Berufung an die Rostocker Universität (1904) in einen größeren, selbständigen Wirkungskreis, der dem Lehrer und Forscher eine freiere und vielseitigere Entfaltung ermöglichte. Mit seltener Energie schuf er aus kümmerlichen Anfängen, einem unvollständigen Exemplar der Mon. Germaniae und einigen Rankewerken, die verhältnismäßig stattliche historische Seminarbibliothek, um die uns heute manch' andere Universität beneiden kann, und erzog hier mit den Mitteln strenger historischer Methode zahlreiche Schüler. Den Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens bildet das umfassende Werk "Die staufischen Kaiserwahlen und die Entstehung des Kurfürstentums" (1911), wo er anregend und fördernd, bisweilen wohl mit ein wenig ausschweifender Phantasie, ein zentrales Problem der deutschen Reichs- und Verfassungsgeschichte behandelte,

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während die bekannte Studie über den Ursprung der Ratsverfassung in den deutschen Städten (1914) wieder an die Urkundenkritik anknüpfte.

Das Ende des Weltkrieges, in dem Reincke-Bloch zwei hoffnungsvolle Söhne verlor, stellte seinem Betätigungsdrange neue Aufgaben: Er bekleidete in der Zeit von 1920 bis 1922 das Amt des Ministerpräsidenten und hernach des Kultusministers im Freistaate Mecklenburg-Schwerin. Im Jahre 1922 trat er zurück und folgte 1923 einem Rufe nach Breslau, wiederum in ein Grenzland, wo er mit neuem, durch die politische Schulung geschärften Blicke seine alte Tätigkeit wieder aufnahm und den Fragen der heute in ihrer Bedeutung längst nicht hinreichend gewürdigten Ostpolitik volles Verständnis entgegenbrachte; davon zeugt unter anderem eine seiner letzten Schriften "Schlesien im ostdeutschen Raum" (Mitt. der Ges. für Volkskunde, Bd. 29). Mit der ihm eigenen Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit des Geistes arbeitete er sich in den neuen Wirkungskreis hinein. Aber die Mannigfaltigkeit seiner Tätigkeit, organisatorische Maßnahmen auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, die Leitung des Breslauer Historikertages (1926) und die Mitarbeit an der durch die Rockefeller-Stiftung ins Leben gerufenen internationalen Bibliographie, die Lehrtätigkeit, in der er sich ganz ausgab, rieben seine Kräfte vor der Zeit auf; und so hat er auch die wichtigste, kurz vor dem Tode übernommene wissenschaftliche Aufgabe, die Bearbeitung des von seinem Lehrer Breßlau unvollendet hinterlassenen grundlegenden Handbuchs der Urkundenlehre, leider nicht mehr fertigstellen können.

Die mecklenburgische Geschichte, für die namentlich auf dem Gebiete des innerstaatlichen Lebens, des Wirtschafts- und Städtewesens, der staatlichen und kommunalen Verfassung und Verwaltung noch manches zu tun ist, verdankt den tüchtigen Schülern Reincke-Blochs willkommene Bereicherung; daher ist die Ernennung Reincke-Blochs zum Ehrenmitglied der 1928 begründeten "Historischen Kommission für beide Mecklenburg" eine gerechte Anerkennung der Verdienste gewesen, die auch er sich in langjähriger Lehrtätigkeit um Mecklenburg erworben hat. Das Gute, das er hier und anderwärts geschaffen, wird fortwirken, auch in der Erinnerung aller Freunde und Schüler, die seine Selbstlosigkeit und opferbereite Güte erfahren haben.

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