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D ie Landesbibliothek zu Schwerin ist jung an Alter, sie reicht in ihrer Entstehung nicht über das Ende des 18. Jahrhunderts hinaus. Ihren Grundstock bildete die 1779 erworbene, mehrere tausend Bände umfassende Büchersammlung des Hofrats G. R. v. Ditmar. Sie hat sich seitdem beträchtlich erweitert: größere und kleinere Bestände aus den verschiedensten Ouellen sind ihr im Laufe der Zeit zugeflossen, teils schenkweise, teils aus den Mitteln eines jährlichen, freilich nicht gerade üppig bemessenen Jahresetats, so daß sie jetzt mit mehr als 200 000 Bänden eine ganz achtbare Stellung unter den deutschen Bibliotheken einnimmt. Überwiegend aber waren das, was hinzu kam, neuere Erscheinungen oder doch Werke von allgemeiner, gangbarer Bedeutung, wie sie jede einigermaßen umfangreiche Bücherei auch sonst aufweist. Was ihr an wertvollem, älterem Material, namentlich aus fürstlichem Besitz, hätte zugewandt werden können, stand zum großen Teil nicht mehr zur Verfügung und war schon anderswo festgelegt, so die Bibliothek des Herzogs Johann Albrecht I. in der Universitäts-Bibliothek zu Rostock, die seines Bruders, des Herzogs Ulrich, mit ihren prächtigen Exlibris in der Domschule zu Güstrow. Es ist so erklärlich, daß die Landesbibliothek nicht gerade überreich ist an schätzbaren Seltenheiten, daß namentlich alte Handschriften, Inkunabeln und selbst Drucke des 16. Jahrhunderts oder Erstausgaben schönwissenschaftlicher Literatur in ihr nur recht bescheiden vertreten sind. Doch besitzt sie einige Kostbarkeiten, und auf eine von diesen möchte ich in den folgenden Zeilen die Aufmerksamkeit lenken.
Als man 1925 am Rhein zu der Jahrtausendfeier rüstete, suchte man in Köln damit eine Ausstellung zu verbinden, in der man bestrebt war, alles zu vereinigen, was einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der Rheinlande in Kultur und Geschichte geben konnte. Daß für diesen Zweck die Zusammenbringung eines möglichst vollständigen Kartenmaterials von Reiz und besonderer Wichtigkeit sein mußte, liegt auf der Hand, und da war Schwerin nun in der glücklichen Lage, leihweise eine kartographische Darstellung des Rheinlaufs hinzugeben, die, ebenso interessant wie selten, allein in dem einen in der Landesbibliothek befindlichen Exemplar erhalten geblieben zu sein scheint. Es ist das die Rheinkarte des Kaspar Vopelius von 1558.
Lange Zeit war diese Karte unauffindbar gewesen. Man wußte, daß sie existiert habe. Matthias Ouad, der Vopelius
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zeitlich sehr nahesteht, hatte sie noch gesehen; er erwähnt ihrer als eines Werkes des Vopelius in seiner Schrift "Teutscher Nation Herligkeit (1609)" S. 229 und gibt eine genaue Beschreibung von ihr in seinem "Supplementum Europae Vopelianae (1597)": "Item den gantzen Rheinstrom mit seinen anstoßenden grentzen, auff fünff Stöck, dicht und voller arbeits, darinen auch zur leichterer erkantnuß die antiquische namen der örter und Völcker, sowol als die heutige mit verschiedener art Littere angezeigt, darunder auch ein besundere Relation über die Tafel mit angehenckt" (Michow, Caspar Vopell und seine Rheinkarte vom Jahre 1558. S. A. aus Mitteil. d. Geogr. Ges. in Hamburg. Bd. 19, 1903, S. 3). Es war wohl dieselbe Karte, die dem Kölner Rat nach dem Ratsprotokoll vom 18. März 1555 von Vopelius präsentiert wurde: "Caspar Vopell hat eim rath cartam und descriptionem Reni zugeschriben und presentirt, ist verdragen, ime acht daler zu schenken" (Michow, Caspar Vopell. S. A. aus Festschr. d. Hamburg. Amerika-Feier. 1892. S. 11). Sie hat sich aber in Köln nicht mehr auffinden lassen, und ein Suchen auch an anderen Orten, wo ein Vorhandensein vermutet werden konnte, war umsonst.
Da kam 1902 der Leipziger Geograph Ruge, der von der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften mit der Aufgabe betraut war, das ältere kartographische Material an den deutschen Bibliotheken aufzunehmen, nach Schwerin und fand hier eine Rheinkarte des Vopelius in Holzschnitt auf 5 Blatt, datiert vom Jahre 1558, die zweifellos sich als ein Exemplar der so lange gesuchten und vermißten herausstellte (Nachr. d. Gött. Ges. d. Wiss. 1904, Heft 1, S. 28). Es war ein kleines Ereignis für die Bibliothek. Der Hamburger Vopell-Forscher Michow, dem Ruge von seinem Funde Nachricht gab, war gleich in den nächsten Tagen in Schwerin, den Schatz selbst in Augenschein zu nehmen, und da der Zufall wollte, daß gerade in dem Jahre 1903 der Deutsche Geographentag in Köln tagen sollte, erbat uno erhielt er die Erlaubnis, die Karte dahin mitzunehmen und zur Vorlage zu bringen (Katal. d. Ausstell. S. 11, Nr. 60, leider mit Druckfehlern). 1925 ging sie dann, wie erwähnt, denselben Weg zur Jahrtausendfeier. Michow hat dann, nach Ruge's orientierender Notiz, 1903 eine genauere Beschreibung der Karte gegeben. Doch ist ihm manches strittig geblieben, und anderes hat er nicht berührt. So mag sich wohl eine nochmalige Besprechung rechtfertigen.
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Die Karte ist Holzschnitt, auf Papier in 5 Blatt, darunter ein erläuternder deutscher Text, gleichfalls in 5 Blatt zu je zwei Kolumnen, nicht, wie bei Michow (a. a. O. S. 16), wahrscheinlich als Druckfehler, steht in 3 Blatt. Die Größe der Karte (mit Überschrift und Zierleiste) beträgt 155 x 42, des Textes 159 x 12 cm. Orientiert ist sie nicht, wie es heute üblich ist, nach Norden, sondern nach WSW. Windrose rechts oben im Zuydersee. Eine Gradeinteilung fehlt. Zur Ermittlung des Maßstabes dienen unten links drei Meilenmaßstäbe in Großen, Gemeinen und Kleinen deutschen Meilen, jede 125 mm lang, denen im ersten Maßstab 8, im zweiten 10, im dritten 13 1/3 Meilen entsprechen. Rechnet man die Gemeine Meile gleich unserer geographischen (7500 m = 1/15 Äquatorgrad), so ergibt sich der Kartenmaßstab von ca 1 : 600 000. Die Darstellung umfaßt den ganzen Rheinlauf, reicht südlich vom Engadin bis nördlich zur holländischen Insel Ameland, westlich von Antwerpen (Hantwerpen) bis östlich Ulm (Ulma).
Die Überschrift am Kopf der Karte gibt in langer Zeile in Majuskeln den Titel: RECENS ET GERMANA BICORNIS AC VVIDI RHENI OMNIVM GERMANIAE AMNIVM CELEBERRIMI DESCRIPTIO, ADDITIS FLVMINIB, ELECTORVM PROVINCIIS, DVCAT. COMITA., OPPI., ET CASTRIS PRAECIPVIS, MAGNA CVM DILIGENTIA AC SVMTIB. COLLECTA, AVTORE CASPARE VOPELIO MA. Von den drei Legenden im Kartenraum bringt die oben links eine Widmung an die Kurfürsten und Fürsten der Rheinlande, die oben rechts eine kurze lateinische Übersicht über die Einteilung Galliens und des linksrheinischen Deutschlands in römischer Zeit und ein Lob des rechtsrheinischen Deutschlands als Stammlandes des Adels von fast ganz Europa, aus dem die spanischen, die französischen und die englischen Königsgeschlechter ihren Ursprung genommen. Die dritte Legende unten links orientiert über Orts- und Entfernungsbestimmungen auf der Karte mittels des Kompasses und der Maßstäbe und fügt daran Privileg, Erscheinungsort und Erscheinungsjahr: cum Caesa. Maiest. gratia & priuilegio │ ad decennium │ COLONIAE AGRIPPINAE APVD CASPA. VOPE │ M. D. LVIII. Den Text der drei Legenden gibt Michow (a. a. O. S. 14/15), unter Auflösung der Abkürzungen, in der Orthographie und Interpunktion des Originals. Doch ist er darin nicht ganz konsequent genau verfahren. Ich gebe, was mir bei Vergleichung an Verbesserungen aufgestoßen ist:
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S. 15. Z. 2. vt (statt ut). - Z. 4. Scalis. - Z. 9. vnaquaque. - Z. 11. apvd. - Z. 18. Narbonensi. - Z. 21. Komma hinter Matrona, und kein Komma hinter Sequana. - Z. 22. kein Komma hinter includuntur. - Z. 22. Punkt statt Komma hinter dicti. - Z. 23. kein Komma vor qui. - Z. 26. kein Komma vor expulere. - Z. 28. Komma statt Punkt hinter inferiorem. - Z. 29. aduentum. - Z. 31. diuisus. - Z. 31. Punkt hinter est. - Z. 32. Punkt statt Komma hinter Ambia. - Z. 38. vsque. - Z. 38. jactitant (statt jactuant). Der angeklebte Text, in 10 Kolumnen, ist deutsch geschrieben und hat die Überschrift: "Kurtze beschreibung des gantzen Rheinstroms │ mit sambt den einfließenden wassern / alten Völck │ kern herkompst / Sietz vnd verenderung biß │ auff diese zeyt."
Im Titel wird der Rhein bicornis und vvidus genannt. Bicornis, der "Zweihörnige", heißt er schon bei Vergil, Aen. VIII, 727:
Der Kommentator Servius erklärt dazu: Rhenus Fluvius Galliae, qui Germanos a Gallia dividit. Bicornis autem, aut commune est omnibus fluviis, aut proprie de Rheno, quia per duos alveos fluit. Dann braucht Ausonius (Mosella 437) den Ausdruck:
Dem ließen sich weitere Beispiele beifügen (Thesaurus ling. lat. II, 1971/72). Noch Clüver (Introd. in omnem Geogr. vet. aeque ac nov. 1694. S. 120) schreibt, daß der Rhein bei Schenckenschans sich gleichsam in zwei Hörner teile: ubi Rhenus in duo veluti cornua scinditur. Spätere, die die Yssel-Mündung als dritte hinzurechneten, nannten ihn dann wohl auch tricornis.
Schwieriger zu erklären ist das VVIDI des Titels. So wie das Wort steht, wird man zunächst versucht sein, es als uvidi zu lesen, und Michow liest es so. Aber uvidus bedeutet "feucht", und wie sollte Vopelius dazu gekommen sein, Feuchtigkeit noch als besonders charakteristisch für einen Fluß wie den Rhein anzuführen? In der Regel wird uvidus doch auch nur von Gegenständen, z. B. Land, gebraucht, die feucht geworden sind, und im Begriff "feucht" ist nicht der Begriff einer großen Wassermasse beschlossen. Aber welche andere Erklärung gäbe es? Uvidus mit uva "Traube" in Beziehung zu setzen und in dem Ausdruck eine Anspielung auf den Weinreichtum der Rheinlande zu sehen, wäre doch wohl mehr als verwegen.
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Man möchte einen Druckfehler vermuten, die Auslassung eines i, und glauben, daß für VVIDI zu lesen wäre VIVIDI, vividus in der Bedeutung von "lebendig, voll Leben, schnell fließend". Schon Caesar (Bell. Gall. IV, 17) spricht von der Schwierigkeit eines Brückenschlags über den Rhein propter latitudinem, rapiditatem, altitudinemque fluminis, und Strabo äußert sich ähnlich. Auch Tacitus, Ann. II, 6. weiß von der violentia cursus, qua Germaniam praevehitur. Diesen Ruf hat der Fluß sich seitdem bewahrt. Ce fleuve, heißt es im Abrégé portatif du Dictionnaire Géographique de La Martinière (1759, II, 106), est fort profond et fort rapide; sa navigation est fort difficile, tant à cause de sa rapidite que des coupures, qu'il fait dans son cours. Spenser in seiner Faerie Queen (B. IV, c. 9.) nennt ihn swift Rhene, und in der englischen Beschreibung einer Rheinfahrt (Thom. Hood, Up the Rhine. 1839) fand ich einmal die Bezeichnung arrowy Rhine.
Jedenfalls gäbe diese Konjektur eine einwandfrei befriedigende Lösung. Nachfolger des Vopelius zogen die zwei v in ein w zusammen und druckten das ganz unsinnige widi. Quad in seiner Rheinkarte von 1604 ließ es ganz aus, wahrscheinlich, weil er nichts damit anzufangen wußte.
Das Bild, das die Karte bietet, ist für jene Zeit überraschend getreu. Der Rheinlauf ist im wesentlichen genau eingezeichnet und mit all seinen Krümmungen gut zu erkennen. Daß Unstimmigkeiten dabei nicht ganz vermieden sind, ist nicht weiter zu verwundern; sie halten sich aber in erträglichen Grenzen. Der mittlere Teil des Laufes ist gegen den Maßstab von 1 : 600 000 ein wenig erweitert, der obere stark verkürzt. Ich gebe dafür einige Zahlen: die Entfernung Thusis-Bodensee (90 km), 130 mm, entspricht einem Maßstab von etwa 1 : 700 000, die Entfernung Straßburg-Köln (270 km), 500 mm, einem Maßstab von etwa 1 : 540 000. Eingetragen sind neben den deutschen Namen auch die überlieferten lateinischen, dazu die Namen der in römischer Zeit im Rheinlande ansässig gewesenen Völkerstämme und endlich die Wappenschilde der einzelnen in der Karte vertretenen Herrschaften. Wälder und Gebirge sind in der bekannten Bildermanier gegeben (als Baum- und Hügelzeichnungen), die kleineren Ortschaften in Kreischen, wie auch in modernen Karten üblich ist, die größeren in Stadtbildchen. Diese Darstellungsart war ja die in jener Zeit allgemein gebräuchliche.
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Der Text unter der Karte vergleicht zunächst den Rhein mit der Donau: "Die Donaw ist aller wasser ein Fraw / Aber der Rhein / mag mit Ehren wol jr Mann sein". Er rühmt als Vorzug des Rheins, daß er "mit viele der schönsten vnnd grösten Stetten / Leuthen / vnnd fruchtbarem weinreichen Gelende" die Donau übertreffe. Es folgt dann die Beschreibung seines Laufs von der Quelle bis zur Mündung und anschließend die Aufzählung der ihm anwohnenden Völker, sowie der Nebenflüsse.
Michow glaubt in unserem Exemplar von 1558 eine zweite Auflage zu sehen, die drei Jahre nach der ersten, 1555 dem Kölner Rat präsentierten sich vernotwendigt habe. Ich glaube das nicht. Legenden und Text schweigen sich darüber aus. Möglich wäre doch, daß die Karte dem Rat 1555 im Entwurf oder in einem ersten vorläufigen Abdruck vorgelegt wurde und die tatsächliche, definive Ausgabe mit Hinzufügung von Privileg, Ort und Datum erst 1558 erfolgte.
Die Karte ist auf Leinen gezogen und im ganzen, bis auf einen kleinen Defekt oben in der Titelzeile, gut erhalten. Ungeschickt nur ist bei der Zusammenstoßung der einzelnen Blätter verfahren. So vermißt man vor allen Dingen eine sorgfältig genaue Größenanpassung von Text und Karte: der Textstreifen ist zu lang geraten und springt auf beiden Seiten beträchtlich vor, so daß Bordüre mit Bordüre sich nicht mehr deckt. Unter Ausgleichung dieser Fehler hat Michow durch die Firma Griese in Hamburg eine, auch im Buchhandel erhältliche, photolithographische Wiedergabe in Originalgröße herstellen lassen, die erst den vollen harmonischen Eindruck des Kartenbildes gewährt. Eine Reproduktion davon in verkleinertem Maßstabe findet man der schon erwähnten Arbeit Michows, Caspar Vopell und seine Rheinkarte von 1558 (1903) beigegeben.
Woher unser Exemplar stammt, wie und durch wen es nach Schwerin gekommen ist, hat sich leider nicht mehr bestimmen lassen. Es hing früher, ziemlich unbeachtet, an Stäben in den Räumen der Bibliothek. Als sein Wert erkannt war, wurde es aus den Stäben gelöst und liegt nun wohl verwahrt unter Verschluß.
Über Vopelius, seine Lebensumstände und sein kartographisches Werk, sowie die Nachfolge, die seine Rheinkarte gefunden hat, unterrichtet Michow in den angeführten Schriften.