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IV.

Das Kreditwesen
des ritterschaftlichen Grundbesitzes
in Mecklenburg
nach dem Siebenjährigen Kriege
bis zur Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins
im Jahre 1819

von

Gerhard Körber.

 

Vignette
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Vorwort.

Der vorliegenden Arbeit ist im wesentlichen das einschlägige Aktenmaterial des Mecklenburg-Schwerinschen Geheimen und Haupt-Archivs in Schwerin sowie des Mecklenburg-Strelitzschen Hauptarchivs in Neustrelitz zugrunde gelegt worden. Sie möchte einen Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Mecklenburgs und darüber hinaus zur Geschichte des agraren Kreditwesens in Deutschland liefern. Die Wahl des Zeitabschnittes wurde durch den Gang der Entwicklung bestimmt. Vor allem sollte dargelegt werden, wie die aus dem reinen Individualkredit sich ergebenden Schwierigkeiten die Einführung des organisierten Anstaltskredits zur unabweislichen Notwendigkeit gemacht haben. Dabei waren insbesondere die Agrarkreditverhältnisse in Preußen, das auf diesem Gebiete von vornherein führend gewesen ist, vergleichsweise heranzuziehen.

 

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 154
Einleitung

Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Mecklenburg um die Mitte des 18. Jahrhunderts

157
  Die Agrarverfassung. - Die ständische Verfassung. - Der Übergang von der Dreifelder- zur Schlagwirtschaft. - Der Siebenjährige Krieg.  
I. Teil.

Die Kreditkrise in Mecklenburg nach dem Siebenjährigen Kriege (1765 bis 1776)

I. Abschnitt: Ursachen und Entstehung der Krise 165
  Die Münzverschlechterung im Siebenjährigen Kriege. Ihre Wirkung auf den allgemeinen Preisstand und auf die Verschuldung der Güter. Die Reform des Münzwesens. Die Geldnot. Der Verschuldungszustand der Güter. Die Entstehung der Notlage nach dem Kriege. Kreditnot und Konkurse.  
II. Abschnitt: Der Verfall des Realkredits und seine Ursachen
1. Kapitel. Das ritterschaftliche Hypothekenwesen 176
  Mangelhaftes Pfandrechtssystem, daher ungenügende Sicherung der Gläubiger.  
2. Kapitel. Das Konkurswesen 181
  Verfall des älteren Rechts. Rechtsverwirrung und Prozeßwillkür. Mangelnder Gläubigerschutz.  
III. Abschnitt: Die Bestrebungen zur Beseitigung der Kreditnot
1. Kapitel. Versuch einer Reform des Kreditrechts 194
  Die geplante Einführung eines Landeshypothekenbuchs mit reiner Altersrangfolge. Richtlinien für die Taxation der Güter. Vorschläge zur Verbesserung des Konkursrechtes. Die Ablehnung der Reformvorschläge. Zur Linderung der Kreditnot wird die Aufnahme einer ausländischen Anleihe beschlossen.  
2. Kapitel. Die Aufnahme einer ausländischen Anleihe auf den Landkasten 203
3. Kapitel. Vorgeschlagene Maßnahmen zur Beseitigung des Geldmangels 206
  Beschränkung des Verbrauchs ausländischer Waren zur Erzielung einer aktiven Handelsbilanz. Förderung der inländischen Gewerbe.  
IV. Abschnitt: Die mecklenburgischen Agrarkreditverhältnisse im Vergleich zu den preußischen 209
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II. Teil.

Die Wiedererstarkung des ritterschaftlichen Agrarkredits in Mecklenburg (1776 bis 1805)

I. Abschnitt: Günstige Konjunkturen für die mecklenburgische Landwirtschaft 213
  Der Verkauf der Konkursgüter. Holzausfuhr nach Holland und England. Steigende Getreideausfuhr nach Hamburg. Die Hochkonjunktur während der französischen Revolution und der Koalitionskriege. Die Getreidepreise.  
II. Abschnitt: Die Güterspekulation infolge der günstigen Konjunkturen 219
  Die Steigerung der Güterpreise und ihre Ursachen. Güterhandel und Spekulation. Ihr Einfluß auf die Verschuldung. Die Güterspekulation in Preußen.  
III. Abschnitt: Bestrebungen zur Verbesserung des Geld- und Kreditwesens 228
  Verschlechterung der Wirtschaftslage infolge ungünstiger Ernten. Geldmangel und Wucher. Vorschläge zur Festigung des Realkredits und zur Behebung des Geldmangels.  
III. Teil.

Die mecklenburgische Kreditkrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins (1805 bis 1819)

I. Abschnitt: Ursachen und Verlauf der Kreditkrise 236
  Höhe und Art der Güterverschuldung. Real- und Personalkredit. Der Rückgang der Konjunktur und seine Folgen: Kreditstockung, Wucher. Indult und Konkurse. Verschärfung der Notlage infolge der Kontinentalsperre. Der Generalindult. Maßnahmen zur Abschwächung der Kreditkrise.  
II. Abschnitt: Die Vorschläge und Verhandlungen zur Gründung eines Kreditvereins 248
  Vorschläge zur Gründung einer landschaftsähnlichen Kreditanstalt. Der Plan eines Vorbereitungsverbandes. Gegensätze zwischen Ritter- und Landschaft. Erfolgreiche Verhandlungen der Ritterschaft mit den Landesherren.  
III. Abschnitt: Wesen und Aufbau des Ritterschaftlichen Kreditvereins von 1819 256
Schlußwort 259
Anhang 261

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Einleitung.

Die wirtschaftlichen und politischen
Verhältnisse in Mecklenburg um die Mitte
des 18. Jahrhunderts.

Die Anfänge der Gutswirtschaft in Mecklenburg fallen in den Beginn des 16. Jahrhunderts. Dem Beispiele des Herzogs Magnus II. (1477-1503) folgend, gingen einige Adlige damals dazu über, ihr Getreide im großen auf dem Flußwege nach auswärts abzusetzen 1 ). Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges vollzog sich dann bei steter Erweiterung der Gutsbetriebe die allmähliche Ausbildung der Grund- zur Gutsherrschaft ganz allgemein, besonders gefördert durch die im 16. Jahrhundert gewaltig steigenden Getreide- und Wollpreise (Preisrevolution!) und die politische Erstarkung der Ritterschaft, die die Grundlage für die immer weitergehende Steigerung der bäuerlichen Dienste bildete 2 ). Der Schwerpunkt des gutswirtschaftlichen Betriebes lag in der Getreide- und Wollproduktion, deren Überschüsse besonders nach Hamburg und Lübeck verkauft wurden.

Der alles verheerende Dreißigjährige Krieg legte den Grund zum völligen Niedergang des mecklenburgischen Bauernstandes. In der Gesinde- und Bauernordnung


1) P. Steinmann, Finanz-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Regierungspolitik der meckl. Herzöge im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit: Meckl. Jahrb. 86 (1922), S. 117 ff.
2) H. Maybaum, Die Entstehung der Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg: Beihefte zur Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, VI. Heft (Stuttgart 1926), S. 145 ff.
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von 1645 fand die "Leibeigenschaft" ihre gesetzliche Anerkennung. Durch die Verschlechterung der bäuerlichen Besitzrechte waren dem "Bauernlegen" keine Schranken mehr gesetzt. Die geldliche Notlage des Adels nach dem Kriege bildete einen starken Antrieb, die Gutseinkünfte durch vermehrten Anbau zu steigern. Was lag da näher, als das Hoffeld durch Einziehen von Bauernland zu erweitern? Begünstigt wurde die Ausdehnung der Gutsherrschaft weiter durch die Schwäche der fürstlichen Gewalt, durch die günstigen Konjunkturen, die sich aus dem steigenden auswärtigen Getreidebedarf (Holland, Spanien, Portugal, später England) ergaben, und von Beginn des 18. Jahrhunderts ab durch den allmählichen Übergang von der Dreifelderwirtschaft zu einem intensiveren Betriebssystem, der Schlagwirtschaft. So finden wir denn im 18. Jahrhundert den mecklenburgischen Adel als einen Stand kapitalistisch eingestellter agrarischer Großunternehmer vor, dessen staatspolitischer Einfluß so überwiegend war, daß Lamprecht 3 ) Mecklenburg mit einer Adelsrepublik verglichen hat.

Die Vormachtstellung der Ritterschaft fand ihre gesetzliche Sanktion durch den Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755. Die Steuerfreiheit der Ritterhufen blieb erhalten. Die Ritterschaft brauchte nur für die in ihrem Besitz befindlichen ehemaligen Bauernhufen, deren Flächenraum mangels genauer Ermittlungsmöglichkeiten auf die Hälfte des damaligen gesamten ritterschaftlichen Gutsbesitzes festgesetzt wurde, die ordentliche Landeskontribution zu entrichten. Die Erhebung dieser Steuer erfolgte nach einem Hufenkataster, das in den Jahren 1756 bis 1778 durch Vermessung und Bonitierung der ritterschaftlichen Güter hergestellt wurde. Begrifflich wurde die Hufe auf 300 bonitierte Scheffel Aussaat festgelegt. Je nach der Bodengüte wurde eine verschiedene, und zwar mit abnehmender Güte steigende Fläche auf den Scheffel gerechnet. Der Steuersatz betrug nach dem Erbvergleich für eine Hufe 9 Tlr. N 2/3 (Leipziger Münzfuß) 4 ). Die übrigen von der Ritterschaft zu entrichtenden Abgaben stellten keine wesentliche Belastung dar. Die ausschließlich zu ständischen Zwecken benötigten Gelder


3) Lamprecht, Deutsche Geschichte, III. Abt., 2. Band, S. 252 ff.
4) Nach der Vermessung wurde der Satz im Schwerinschen auf 11, im Strelitzschen auf 10 Tlr. 6 Schillinge erhöht, da die vermessene Hufenzahl hinter der ursprünglich angenommenen zurückblieb.
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brachten die Stände durch sogen. Anlagen auf, die dem gemeinsamen Landkasten zuflossen.

Die Träger der ständischen Verfassung waren das Korps der Ritterschaft und das Korps der Landschaft. Ersteres bestand aus den etwa 600 Rittergutsbesitzern des Landes, letzteres aus den Obrigkeiten der 46 landtagsfähigen Städte. Beide Stände gliederten sich nach drei Kreisen: dem mecklenburgischen, dem wendischen und dem stargardischen. Auf den Landtagen und Landeskonventen leitete das Direktorium die Geschäfte der Ritter- und Landschaft, sonst der Engere Ausschuß; beide setzten sich aus Vertretern der Stände zusammen. Die ritterschaftlichen Mitglieder des E. A. bildeten zugleich den E. A. der Ritterschaft. Eine entsprechende Vertretung der Landschaft bestand nicht. Von den Versammlungen der Stände waren die wichtigsten der alljährlich im Herbst stattfindende Landtag, der durch den Landesherrn einberufen wurde, sowie die beiden Landeskonvente, die in jedem Frühjahr und Herbst im Ständehaus zu Rostock abgehalten wurden. Die Landtagsverhandlungen fanden teils im Plenum, teils in den "Kommitten" (Kommissionen) statt. Bei Beschlußfassungen war jedes Ständemitglied einfach stimmberechtigt. Der gewaltigen Stimmenmehrheit der Ritterschaft konnte die Landschaft mit der sogen. itio in partes begegnen. In diesem Falle erfolgte die Beschlußfassung nach Ständen, wobei diese als gleichberechtigt galten 5 ). Außer dem Steuerbewilligungsrecht hatten die Stände Mitwirkungsrechte bei der Landesgesetzgebung und Anteil an der Ausübung der Landesverwaltung und -gerichtsbarkeit. Die Ritterschaft war von allen Zöllen sowie von den städtischen Abgaben befreit. Vor dem Erlaß eines Kornausfuhrverbots durch den Landesherrn mußten gemäß §§ 365/6 Erbvergleichs die Vertreter der Stände gehört werden.

Ferner sollte die Ritterschaft nach Art. 19 des Erbvergleichs "bei ihrem landsittlichen Eigentumsrecht über ihre leibeigenen Gutsuntertanen und deren innehabendes Ackerwerk und Geschäfte unbeschwert belassen" werden und "die Verlegung und Niederlegung einem jeden Gutsherrn dergestalt frei und unbenommen" bleiben, "daß er den Bauern von einem Dorf zum


5) Nach Boll, Geschichte Mecklenburgs, 2. Teil, S. 410 hat die Landschaft von diesem Vetorecht "aus naheliegenden Gründen" nur wenig Gebrauch gemacht.
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andern zu setzen und dessen Acker zum Hofacker zu nehmen oder sonst dasselbe zu nutzen, Fug und Macht haben soll"; jedoch sollte "die gänzliche Niederlegung der Dörfer und der Bauernschaften" ohne landesherrliche Erlaubnis nicht zulässig sein. Die Gutsuntertanen waren entweder Bauern oder Einlieger (Tagelöhner). Nach der Größe der zur eigenen Nutzung überlassenen Ackerfläche unterschied man Voll-, Halb- und Viertelbauern. In der Regel gehörte den Gutsherren auch die Hofwehr der Bauern, d. i. der Bestand an Vieh sowie an Acker- und Hausgerät. Die Hand- und Spanndienste der ritterschaftlichen Bauern kannten keine Grenzen. Nach von Ferber 6 ) mußte der Vollbauer dem Herrn täglich je ein Gespann Pferde und Ochsen, einen Knecht, einen Jungen und ein Mädchen überlassen, während der Erntezeit außerdem zwei Mäher und Binder. Im Winter mußte der Bauer mit seinen Pferden die Kornfuhren übernehmen. Boll 7 ) führt wohl nicht zu Unrecht auf die übertriebene Ausnutzung des mecklenburgischen Landvolkes dessen damaligen moralischen Tiefstand zurück.

Bemerkenswert ist, daß in Mecklenburg sowohl die Allodial- als auch die Lehnsgüter frei veräußerlich, frei verschuldbar und frei verpachtbar waren. Bürgerliche waren von dem Erwerb eines Rittergutes nicht ausgeschlossen. Mit dem Besitz eines Rittergutes war die Landstandschaft, d. h. das Stimmrecht auf dem Landtag usw., und ferner die patrimoniale Gerichtshoheit verbunden.

Die wirtschaftliche Entwicklung Mecklenburgs im 18. Jahrhundert steht unter dem Zeichen des Überganges von der Dreifelderwirtschaft zur holsteinischen Koppelwirtschaft, aus der sich dann die mecklenburgische Schlagwirtschaft entwickelte. Bei der Dreifelderwirtschaft war das Ackerland in drei Schläge geteilt, die abwechselnd mit Winterkorn und Sommerkorn bestellt wurden und dann in der Brache blieben. Auf besonders gutem Boden wurde vereinzelt auch eine vierschlägige Wirtschaft betrieben. Unter diesem extensiven Betriebssystem hatte die Viehzucht für den Landwirt als Einnahmequelle keine große Bedeutung; ihr eigentlicher Zweck lag in der Dung-


6) v. Ferber, Grundzüge zur Wertschätzung der Landgüter in M., 1796. § 20.
7) A. a. O. S. 474 ff.
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produktion. Die Rindvieh- und Schafherden wurden meistens verpachtet. Der Mangel an gutem Weideland gestattete keine rationelle Viehwirtschaft.

Den ersten erfolgreichen Versuch mit der Einführung der holsteinischen Koppelwirtschaft unternahm der Oberlanddrost v. d. Lühe etwa um 1700 auf seinem Gute Panzow bei Neubukow 8 ). Auf Grund der dabei erzielten Vorteile gingen mit der Zeit immer mehr Gutsbesitzer zu dem neuen Betriebssystem über. Während in der holsteinischen Landwirtschaft auch schon damals die Viehzucht an erster und der Getreidebau an zweiter Stelle stand, ging das Bestreben der mecklenburgischen Landwirte dahin, das Schwergewicht ihres Betriebes, nämlich den Getreidebau, auf das neue Feldsystem zu übertragen. Nach vielen Versuchen setzte sich dann gegen Ende des 18. Jahrhunderts die sogen. Schlagwirtschaft (siebenschlägige Feldgraswirtschaft) als das den Bedingungen der mecklenburgischen Landwirtschaft am besten entsprechende Betriebssystem durch. Die günstige Wirkung des Systemwechsels lag vor allem in einer erheblichen Steigerung der Getreideerträge. Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Systems stand aber auch der im 18. Jahrhundert in Mecklenburg aufkommende Anbau von Klee und Kartoffeln. Hierdurch wurde eine bessere Viehhaltung ermöglicht und insbesondere der Grund zu einer lohnenderen Milchviehwirtschaft gelegt.

Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Koppelwirtschaft in Mecklenburg allgemein durchgeführt wurde, ist bis heute quellenmäßig nicht genügend erforscht. Es steht nur fest, daß im Strelitzschen die verbesserte Wirtschaft erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein eingeführt wurde. Während Dade 9 ) in seiner Arbeit zu dem Schluß kommt, daß im Schwerinschen gegen 1750 durchgehends auf allen ritterschaftlichen Gütern die holsteinische Koppelwirtschaft eingeführt war, glaubt Mielck 10 ), diese Ansicht aus verschiedenen Gründen bezweifeln zu müssen. Er nimmt an, daß in der Ritterschaft der Übergang von der Dreifelder- zur Koppelwirtschaft erst


8) Dade, Die Entstehung der meckl. Schlagwirtschaft, 1891, S. 65 ff.
9) A. a. O. S. 80.
10) Mielck, Die meckl. Bonitierung nach Scheffel Saat auf Grund des Landesgrundgesetzl. Erbvergleichs usw., Rostock 1926, S. 11 ff.
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während der Bonitierung der Rittergüter, in den Jahren 1756 bis 1778, erfolgt ist. Dieser Auffassung muß entgegengehalten werden, daß während der von 1765 bis 1776 anhaltenden schweren Kreditkrise in Mecklenburg ein mit so hohen Unkosten verbundener Systemwechsel in größerem Umfange kaum durchführbar gewesen sein wird. Ferner wird in den Kreditakten der mecklenburgischen Archive an zahlreichen Stellen betont, daß die hohe Verschuldung der Güter bei Ausbruch der Kreditkrise auf die Einführung der verbesserten Wirtschaft mit zurückzuführen sei. Somit dürfte anzunehmen sein, daß schon vor dem Siebenjährigen Kriege die Koppelwirtschaft auf nicht wenigen schwerinschen Rittergütern Eingang gefunden hatte.

Die Schattenseite dieser Wirtschaftsreform war, daß zahlreiche Bauern von ihren Wirtschaften vertrieben und zu Tagelöhnern wurden bzw. die vom Hof entfernter liegenden schlechten Äcker zugeteilt erhielten. Nach von Langermann 11 ) hatte die Einführung der Koppelwirtschaft zur Folge, daß bis zum Inkrafttreten des Erbvergleichs eine beträchtliche Anzahl Bauerndörfer sozusagen von der Erde verschwand. Die Äcker wurden dem Hofland einverleibt und die Bauern zu Einliegern gemacht. In solchen Maßnahmen kommt das starke Erwerbsstreben der Gutsherren zum Ausdruck, das vor keinem Mittel haltmachte, die Gutseinnahmen zu steigern. Die damaligen Intensivierungs- und Rationalisierungsbestrebungen müssen wohl weniger als Mittel zur Sanierung hochbelasteter Betriebe, sondern vielmehr als der Ausfluß einer durchaus kapitalistischen Wirtschaftsauffassung gewertet werden. Bei der günstigen Verkehrslage Mecklenburg-Schwerins war der Getreideabsatz für die meisten Güter dieses Landes der Menge nach unbeschränkt. Die günstigen Verhältnisse mußten zu einer Steigerung der Roherträge durch Verbesserung der Wirtschaftsmethode geradezu herausfordern. Diese Annahme findet mittelbar ihre Bestätigung darin, daß auf den strelitzschen Gütern trotz des um die Mitte des 18. Jahrhunderts vorhandenen hohen Verschuldungszustandes 12 ) die Schlagwirtschaft erst viel später als im Schwerinschen eingeführt wurde. Das Verharren


11) Zitiert bei Boll, a. a. O. S. 539 ff.
12) Acta Regiminalia, betr. das von der Ritterschaft stargard. Kreises zu errichtende Land- und Hypothekenbuch. 1753/71.
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bei der Dreifelderwirtschaft dürfte auf die agrarische Schutzzollpolitik Friedrich Wilhelms I. von Preußen zurückzuführen sein, der in den 30er Jahren die Einfuhr mecklenburgischen Getreides verbot und dieses Verbot bis zu seinem Tode (1740) aufrechterhielt 13 ). Auch die Handelspolitik Friedrichs des Großen hielt an den Erschwerungen und Verboten der Einfuhr fremden Getreides fest. So gestaltete sich der auswärtige Getreideabsatz für Mecklenburg-Strelitz, das wegen seiner Verkehrslage hauptsächlich auf den Absatz nach Preußen angewiesen war, äußerst schwierig.

Die Umstellung der Betriebe auf das neue Wirtschaftssystem erforderte Kapital und die neue Betriebsweise, die man gegenüber der vorigen als eine kapitalintensive bezeichnen kann, eine erhebliche Verstärkung der Betriebsmittel. Die Beschaffung des nötigen Kapitals auf dem Kreditwege machte keine Schwierigkeiten, nachdem die durch das neue Betriebssystem zu erzielenden Erfolge als feststehend angesehen wurden. Andererseits war mangels ausreichender Anlagemöglichkeiten das Kreditangebot in damaliger Zeit außerordentlich groß. Stellte die Beleihung des landwirtschaftlichen Grund und Bodens eine Hauptgelegenheit zur Kapitalanlage dar, so bot dieser aber auch, besonders in Zeiten günstiger Konjunktur, eine außerordentliche Sicherheit. Die Gewährung von landwirtschaftlichem Hypothekarkredit wurde in Mecklenburg durch die Konjunkturen besonders stark beeinflußt, da die Rittergüter im allgemeinen keine Hypothekenbücher eingerichtet hatten, und somit die Kreditgeber die Sicherheit ihrer hypothekarischen Forderungen außer auf Grund der persönlichen Verhältnisse des Kreditnehmenden hauptsächlich nur an der jeweiligen wirtschaftlichen Lage des Landes beurteilen konnten. Unter diesem Blickpunkt darf man aber die Kreditverhältnisse der mecklenburgischen Landwirtschaft z. Zt. des Überganges auf die Koppelwirtschaft als günstige bezeichnen.

Die Aufnahme von Hypothekarkredit erfolgte gewöhnlich während der landesüblichen Zahlungstermine (Antoni- und Trinitatis-Termin), an denen in der Regel die gekündigten Hypotheken, die Hypothekenzinsen, Pachtsummen usw. zur Auszahlung fällig wurden. In den betreffenden Tagen kamen


13) Naudé, Die Getreidehandelspolitik Brandenburg-Preußens bis 1740, Acta Borussica, 1901, S. 236 ff.
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die kapitalsuchenden Grundbesitzer und die Kapitalbesitzer in Rostock, Schwerin oder Güstrow zusammen, und alle größeren Geldgeschäfte wurden in kürzester Frist abgewickelt. Dadurch, daß sich in den Tagen des Termins die gesamte Kapitalnachfrage der Grundbesitzer und das gesamte Kapitalangebot des Landes an wenigen Orten zusammendrängte, wurde gewissermaßen ein Landeskapitalmarkt gebildet, auf dem der Zinssatz börsenmäßig zustande kam. Dieser Verkehr in Geldkapitalien hatte außerdem den Vorteil, daß viele Forderungen durch Abrechnung ausgeglichen und so der Bedarf an Bargeld in hohem Maße eingeschränkt wurde.

Die günstige Entwicklung der mecklenburgischen Landwirtschaft seit der Einführung der Koppelwirtschaft wurde durch den Siebenjährigen Krieg jäh unterbrochen. Während das Strelitzer Land neutral blieb, schloß sich der Schweriner Herzog, der an ein baldiges Unterliegen Preußens glaubte, Österreich an, in der Hoffnung, dadurch seinem Lande einen Gebietszuwachs verschaffen zu können. Dieses Bündnis hatte für das Schweriner Land, das im Laufe des Krieges von preußischen Truppen verschiedene Male besetzt wurde, verheerende Folgen. Durch ungemessene und mit äußerster Strenge durchgeführte Beitreibungen an Geld, Getreide und Vieh geriet das Land in schwerste Not. Der durch Kontributionen und Lieferungen aller Art dem Lande erwachsene Gesamtschaden erreichte die gewaltige Summe von 8 Millionen Taler in guter Münze 14 ). Zu diesen schweren Verlusten an Geld und Gut traten die überaus schädlichen wirtschaftlichen Folgen, die sich aus der Münzverschlechterung während des Krieges sowie der anschließenden Reduktion des Münzfußes ergaben und zu der Entstehung der Kreditkrise nach dem Kriege wesentlich beitrugen.


14) Boll a. a. O. S. 307.
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I. Teil.

Die Kreditkrise in Mecklenburg nach dem Siebenjährigen Kriege (1765 bis 1780).

I. Abschnitt.

Ursachen und Entstehung der Krise.

Bei Abschluß des Erbvergleichs im Jahre 1755 lag das Münzwesen in Mecklenburg-Schwerin völlig darnieder. Es fehlte an einem von dem Landesherrn festgesetzten allgemeinen Münzfuße, und die im Lande umlaufende mecklenburgische Münze reichte bei weitem nicht zur Deckung des Zahlungsmittelbedarfes aus. Einen wenn auch nur unzulänglichen Ausgleich schaffte der Umlauf auswärtiger, größtenteils aber geringhaltiger Münzsorten.

In dem Erbvergleich behielt sich der Landesherr die Einführung des "alten" schweren 11 1/3-Talerfußes vor, während die Ritterschaft für die Zahlung der Landeskontribution sich den Leipziger N2/3-Fuß (12-Talerfuß) ausbedang. Mit Patent vom 26. 11. 1757 kündigte der Landesfürst die Wiedereinführung des alten hergebrachten Münzfußes zu Beginn des Jahres 1758 an. Die Verwirklichung dieses Vorhabens wurde jedoch durch die während des Siebenjährigen Krieges in Preußen und in anderen deutschen Staaten vorgenommenen Münzverschlechterungen unmöglich gemacht.

Schon gegen Ende des Jahres 1757 nahm die Vermehrung der auswärtigen geringhaltigen Münzen in Mecklenburg überhand. Durch Beschneiden und Auswägen der noch kursierenden vollhaltigen Münzen wurde das "gute" Geld schließlich ganz und gar verdrängt. Das leichte Geld wurde vorwiegend durch die Einmärsche der preußischen Truppen nach Mecklenburg eingebracht.

Bei dieser Zerrüttung des Geldwesens blieb dem Landesfürsten freilich nur übrig, "sich den hohen Nachbarn einigermaßen zu konformiren, um die Lande nicht von auswärtigen Münzstätten mit den geringhaltigsten Münzsorten überschwemmt zu sehen" 15 ). Nicht zuletzt war der Entschluß zur


15) Reskript vom 11. 6. 1760.
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Münzverschlechterung durch die Zahlung hoher Kontributionsgelder an Preußen mit bestimmt.

Das für die Neuprägungen erforderliche Silber wurde durch Einschmelzen von Silbergeschirr, alten Speziestalern und von sonstigen guten Münzsorten gewonnen. Bei jeder neuen Verminderung des Feingehaltes wurde die umlaufende bessere Münze wieder eingeschmolzen. Zur leichteren Unterscheidung der verschiedenhaltigen Münzsorten erhielten die Münzen bei gleichbleibendem Stempel besondere Merkmale, z. B. Rosen oder Blumen mit 5, 4 oder 3 Blättern, mit gefüllten oder offenen Kelchen usw., die aber nur den Münzoffizianten und Juden bekannt waren 16 ). Der Landesfürst erzielte durch die Münzverschlechterung einen erheblichen Münzgewinn, der trotz gänzlichen Ausbleibens der Landeseinkünfte und trotz der immer höher gespannten preußischen Forderungen die Ansammlung eines ansehnlichen Schatzes zuließ. 1762 war der Wert der mecklenburgischen Münze im Verkehr so weit gesunken, daß 350 Taler zur Einwechslung von 100 Reichstalern N2/3 nötig waren.

Auch in Mecklenburg-Strelitz, wo 1701 an Stelle des schweren Talerfußes der Leipziger Fuß eingeführt war, führte die allgemeine Münzzerrüttung des Siebenjährigen Krieges zwangsläufig zu einer fortschreitenden Münzverschlechterung, obschon dieses Land von den preußischen Kontributionsforderungen so gut wie verschont blieb. Die Verringerung des Feingehaltes der Münzen blieb nicht weit hinter derjenigen im Schwerinschen zurück.

Hand in Hand mit den Truppeneinmärschen und der Verschlechterung des Münzfußes nahm die Vermehrung der umlaufenden Geldmenge in Mecklenburg reißend zu. Nach Evers 17 ) wurden in Mecklenburg-Schwerin im Laufe des Krieges viele Millionen Taler immer geringhaltiger werdenden Geldes geprägt. Die preußischen Truppen aber drängten den Landeseinwohnern das mitgebrachte leichte Geld zum vollen Nennwerte auf.

Die Überschwemmung des Landes mit leichter Münze zog alle Folgen nach sich, die mit dem auftreten einer Inflation gegeben sind. Eine zunehmende Verteuerung aller Güter, die


16) Siehe Evers, Meckl. Münzverfassung, 8. Abschnitt.
17) A. a. O. S. 222.
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jedoch für die verschiedenen Waren ungleichmäßig war, trat ein. Während für Lebensmittel in den Städten, für gewerbliche Produkte und auswärtige Waren im ganzen Lande eine starke Preissteigerung der Geldentwertung folgte und zeitweise sogar wöchentliche Preiserhöhungen vorkamen, waren vor allem die Kornpreise "so wohlfeil, als selbige in verschiedenen Jahren vor dem Kriege bei weit besseren Münzsorten nicht gewesen. Hierbei muß das Land täglich ärmer werden und der Ruin der meisten Eingesessenen unausbleiblich erfolgen" 18 ). 1760 wurden für den Scheffel Roggen nur 28 bis 30 Schillinge in entwerteter mecklenburgischer Münze erzielt. Freilich war zur selben Zeit in Lübeck der Preis des Roggens in schwerer Münze auch nicht wesentlich höher; er betrug 15 bis 16 Schillinge N2/3 für den Scheffel 19 ). Deshalb darf der äußerst niedrige Kornpreis in Mecklenburg nicht allein der Geldentwertung zugeschrieben werden. Durch den Krieg bedingte Stockungen im Absatz sowie in der Versorgung der armen Volksschichten und der dadurch hervorgerufene Überschuß dürften den niedrigen Stand der Kornpreise mit verursacht haben. In Mecklenburg-Strelitz stiegen freilich die Getreidepreise vorübergehend infolge der unbeschränkten Absatzmöglichkeit nach Preußen außerordentlich 20 ). In den Kriegsjahren 1761/62 nahmen die preußischen Requisitionen im Schweriner Lande solchen Umfang an, daß auf den meisten Gütern nur in geringem Maße Erzeugnisse für den freien Absatz übrig blieben. Sofern für die Zwangslieferungen überhaupt etwas gezahlt wurde, geschah dies unzureichend mit leichter Münze. Infolge der gewaltsamen Aushebungen mecklenburgischer Einwohner für die preußische Armee mangelte es auch an Arbeitskräften auf dem Lande, wodurch die Erträge der Güter besonders in den letzten Kriegsjahren einen starken Rückgang erfuhren. Im Kriege ist "öfters in einem Jahre von den mehrsten Gütern mehr abgegeben worden, als sie aufgebracht haben; so haben sich natürlicherweise auch hierdurch die Schulden häufen müssen" 21 ).

Hinsichtlich der Schuldentilgung war die Inflation, besonders für die hochverschuldeten Gutsbesitzer, von überaus


18) Acta, den Verfall des Münzwesens betreffend, 1760. Schwerin.
19) Reskript des Schweriner Landesfürsten vom 9. 8. 1760.
20) Boll a. a. O. S. 309.
21) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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verhängnisvoller Wirkung. Der gemeinrechtliche Grundsatz, daß "bonitas intrinseca tempore contractus" vom Schuldner zu erstatten sei 22 ), hatte auch in Mecklenburg Geltung. Die Rückzahlung und Verzinsung der regelmäßig in N2/3, aber auch in "gutem alten" Golde aufgenommenen Leihkapitalien mußte also in ebendenselben Münzsorten bzw. mit einem diesen Münzsorten entsprechenden Geldbetrage erfolgen. Diese Verpflichtung war für die Gutsbesitzer außerordentlich drückend. Während das Aufgeld für die guten Münzsorten mit der zunehmenden Geldentwertung sich ständig erhöhte, folgten die an sich unzureichenden Kornpreise nur allmählich der allgemeinen Preissteigerung. Die Abdeckung gekündigter Kapitalien, aber auch die Zinszahlungen seitens der hochverschuldeten Güter konnten deshalb vielfach nur im Wege neuer und erhöhter Schuldaufnahmen ermöglicht werden. Unter diesen Verhältnissen wurde nicht nur die in den Kriegszeiten ohnehin verminderte Rentabilität auf zahlreichen Gütern völlig beseitigt, sondern auch die Verschuldung wesentlich gesteigert.

Nach Zustandekommen des Hubertusburger Friedens im Februar 1763 wurde das leichte Geld in allen deutschen Staaten durch Münzreformen beseitigt. In Preußen wurde der Graumannsche 14-Talerfuß wieder eingeführt, in Holstein, Lübeck und Hamburg wurde der sogenannte schwere Fuß, in Hannover und Schwedisch-Vorpommern der Leipziger Fuß beibehalten. Während Mecklenburg-Strelitz gleich Sachsen, Braunschweig usw. zu dem 13 1/3-Talerfuß (Konventionsfuß) überging, gab Mecklenburg-Schwerin dem schweren 11 1/3-Talerfuß den Vorzug. Die Aufhebung des bisherigen leichten Fußes wurde hier zum 1. März 1763 verordnet. Neben der neuen Münze sollte auch dänische, holsteinische, Lübecker und Hamburger Münze, und zwar grobe als auch Scheidemünze, wie früher umlaufsfähig sein.

Da eine ausreichende Versorgung des Landes mit der schweren Münze nicht sogleich möglich war, wurde die leichte Münze erst mit Wirkung vom 1. Juni 1765 endgültig verrufen. Der schwere Münzfuß, dessen Einführung hauptsächlich wohl in Rücksicht auf den Handel mit Lübeck und Hamburg


22) Stampe, Deutsches Schuldentilgungsrecht (Sitzungsbericht der Preuß. Akademie der Wissenschaften) 1925.
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geschah, ist für die weitere Entwicklung des mecklenburgischen Geldwesens nur von Nachteil gewesen. Obgleich in den der Münzreform folgenden zehn Jahren mehrere hunderttausend Taler an grober Münze und Schillingen vollwertig ausgeprägt wurden, herrschte dennoch im Lande beständiger Mangel an dieser Münze. Infolge ihrer Güte wurde sie von Geldwechslern und Juden sogleich ins Ausland, besonders nach Hamburg, geschafft. Selbst die Scheidemünze wurde wegen ihres viel zu hohen Feingehalts dem Verkehr entzogen. Minderhaltige auswärtige Münzsorten, die als vollwertig umliefen, versahen den Gelddienst im Lande. Ähnlich lagen die Verhältnisse auch in Mecklenburg-Strelitz. Hier wäre wegen der Nachbarschaft Preußens die Einführung des Graumannschen Talerfußes ohne Frage zweckmäßiger gewesen.

Durch die Einführung des schweren Münzfußes wurden die N2/3-Stücke keineswegs außer Kurs gesetzt. Im großen Geldverkehr, so beim Verkauf von Landgütern, bei Verpachtungen, Anleihen, blieben sie allgemein das herkömmliche Zahlungsmittel. Auch die Hufensteuer wurde in N2/3-Stücken entrichtet.

In Mecklenburg-Strelitz wurden die großen Zahlungen wegen mangelnder Konventionsmünze in Gold, im Fürstentum Ratzeburg aber wegen der nahen Lage bei Lübeck, Hamburg und Holstein, in schwerem Gelde geleistet, so daß drei verschiedene Münzsorten, abgesehen von den bei kleinen Zahlungen auch gebräuchlichen preußischen, hannöverschen und schwedisch-pommerschen Münzsorten, in Mecklenburg umliefen 23 ).

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Rückkehr zu der stabilen Münzverfassung eine Gesundung des Geldwesens nicht herbeigeführt hat. Da eine Münzparität zwischen der schweren mecklenburgischen und der leichteren auswärtigen Münze nicht festgestellt war und letztere in Mecklenburg als vollwertig angenommen wurde, bewirkte der schwere Münzfuß, daß die mecklenburgische Münze von "Geldwucherern" an auswärtige Münzstätten mit Vorteil verkauft wurde. Ständiger gänzlicher Mangel an verfassungsmäßiger Münze und unzureichende Versorgung des Landes mit den verkehrsüblichen N2/3-Stücken waren die Folge der unzweckmäßigen Wahl des schweren Münzfußes, die von dem Landesfürsten


23) Evers, Meckl. Münzverfassung, § 21.
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entgegen den Bedenken der Landstände getroffen war. Die durch die Außerkurssetzung der schlechten Münze ohnehin entstandene Knappheit an brauchbaren Zahlungsmitteln wurde durch diese widrigen Münzverhältnisse aufs äußerste gesteigert. Bei der geringen Ausbildung des bargeldlosen Verkehrs trug der Mangel an Umlaufsmitteln zu einer Verschärfung der damals einsetzenden Kreditnot bei und erweckte den falschen Glauben, daß eine Abhilfe der Kreditnot nur im Wege einer Vermehrung der im Lande umlaufenden Geldmenge erfolgen könnte.

Die gekennzeichnete Notlage der Landwirtschaft in Mecklenburg-Schwerin entwickelte sich nach dem Kriege zu einer schweren und anhaltenden Kreditkrise. Bei ihrer Darstellung soll zunächst der Verschuldungszustand des ritterschaftlichen Gutsbesitzes untersucht werden, um dann auf die vielerlei Umstände, die zur Kreditnot führten, überzugehen. Die Ursachen des Kreditverfalls werden dagegen im folgenden Abschnitt gesondert behandelt.

Auf Grund der zeitgenössischen Berichte ist die Annahme gerechtfertigt, daß in Mecklenburg-Schwerin bereits vor dem Siebenjährigen Kriege die Verschuldung der Güter nicht unbedeutend, in manchen Fällen sogar recht hoch gewesen ist. Einen wesentlichen Verschuldungsfaktor bildete der Übergang von der Dreifelder- zur Schlagwirtschaft, der sich in Mecklenburg-Schwerin seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts in ständig zunehmendem Maße vollzog. Die Durchführung der Schlagwirtschaft war mit erheblichen Anschaffungskosten für Vieh, Ackergeräte usw. verbunden. "Die Ritterschaft hatte die Güter über die Hälfte verbessert, solches war aber nicht ohne große Kosten geschehen. Der Ertrag war verdoppelt, solches gab aber auch Gelegenheit, daß die Schulden verdoppelt wurden. Die Creditores sind meistens Ausländer" 24 ). Dabei blieb die neue Art der Bodennutzung anfangs für viele Güter nicht nur ohne Vorteil, sondern hatte sogar Verluste zur Folge. Nach dem Vorbild der holsteinischen Koppelwirtschaft wurde nämlich die Milchviehhaltung stark vermehrt. In diesem Punkte war jedoch die Nachahmung des holsteinischen Wirtschaftssystems verfehlt. Infolge der geringen Güte der


24) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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mecklenburgischen Weiden war bei großem Viehstapel der Milchertrag nur gering und der Dung von schlechter Beschaffenheit. Mangel an Winterfutter ließ das Vieh mit der Zeit verkümmern. Erst seit den 70er Jahren versuchte man durch Kleebau die Viehhaltung zu verbessern. Die Anpassung der holsteinischen Koppelwirtschaft an die natürlichen Bedingungen des mecklenburgischen Landes, d. h. der schließliche Übergang zur siebenschlägigen Feldgraswirtschaft 25 ), ist das Ergebnis vieler kostspieliger Versuche gewesen. Deshalb pflegte man auch damals von der Koppelwirtschaft zu sagen: sie mache arme Väter, aber reiche Kinder 26 ).

Eine starke Zunahme der Verschuldung setzte um die Mitte des Jahrhunderts als Folge spekulativen Güterhandels ein. Den Anlaß hierzu gaben die bedeutend gestiegenen Güterpreise, die sich aus dem verbesserten Betriebssystem, teils auch aus dem Umstand ergaben, daß nach längerem Streit zwischen Landesherrn und Ritterschaft letztere zum Entgelt für erlittene Schäden von der Entrichtung der Kontribution einige Jahre hindurch befreit blieb.(Druckfehler) von Engel schreibt in seinen Briefen 27 ), daß "die Gütersucht gleich einer epidemischen Krankheit um sich griff. Ein jeder wollte Landwirt werden, er mochte nun Einsicht und Vermögen dazu haben oder nicht". Weiter berichtet er: "Hier im Lande wird mit Gütern ein Handel getrieben, wie man ihn sonst mit Pferden auf einem öffentlichen Markte treibt. Ein jeder sucht durch Güterkaufen sein Glück zu machen, welches jedoch nur wenige dabei finden. Hat nun ein und anderer es nicht gefunden, so sucht er das gekaufte Gut, welches er dem Scheine nach durch veränderte Schläge, auch wohl durch einige neue Bauten ansehnlich verbessert hat, wieder los zu werden, und um nicht zu falliren, setzt er einen hohen Preis darauf, wozu ihm die angeblichen Verbesserungen das Recht geben, - und, was zum Erstaunen ist, er findet einen noch größeren Thoren, als er selbst gewesen ist. So gehen denn die Güter von einer Hand in die andere."

Wie die Akten erkennen lassen, wurden die Güterkäufe meistens mit fremdem Kapital, das in reichlichen Mengen zu


25) 1. Gedüngte Brache, 2. Winterkorn, 3. und 4. Sommerkorn, 5.-7. Weide.
26) Boll, Geschichte Mecklenburgs, II. Band S. 508.
27) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 547 ff.
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niedrigem Zins angeboten wurde, finanziert. "Es könnten Beispiele angeführt werden, daß vor 10 bis 20 Jahren Personen, welche ein gutes Gerücht hatten, zum Güterkauf mehr Geld offeriert ist, als sie benötigten" 28 ). (Druckfehler) von Holstein auf Kl.-Luckow berichtet im Jahre 1767: "Die gewesene Situation des Landmannes bis etwa 1764 machte, daß ein jeder Geschmack bekam, Hauswirt zu werden, und sein Augenmerk bloß auf die damalige profitable Zeit richtete. Leute mit einem kleinen Kapital hatten die Dreistigkeit, große Güter mit mehresten fremden Geldern aufs teuerste aufzukaufen, wozu öfters nicht der fünfte, ja nicht der sechste Teil ihr eigenes Geld war. Der damalige Geldüberfluß machte dies alles leicht praktikabel. Mit fremden Geldern meliorierte und baute man gewaltig, um den nötig habenden Kredit vollkommen aufrecht zu erhalten" 28). Und aus einem anonymen Promemoria 28) entnehmen wir: "Noch während des Krieges hat man es allgemein für richtig gehalten, daß derjenige, der zu 4 % kaufte, sicher und gut gekauft habe. Das stimmte auch, denn wer in hiesigen Gegenden Gelder gebrauchte, der konnte zu 4, ja wohl gar zu 3 1/2 % genug erhalten, weil der Satz dazumal unstreitig war, daß des Geldes immer mehr, der Grundstücke aber nicht mehr würden."

Auch waren Fälle hoher Erbgeldverschuldung nicht selten. Das Direktorium führte in seiner Erklärung auf dem Landtag von 1766 aus, daß die väterlichen Güter oft zu so hohem Preise übernommen würden, daß der Besitzer bloß Pächter seiner Miterben und väterlichen Gläubiger werde und kaum subsistieren könne.

Zusammenfassend stellen wir fest, daß die Leichtigkeit der Verschuldung begründet lag in der günstigen Wirtschaftslage des Landes, den gestiegenen Güterpreisen und dem reichlichen Angebot von Kapital zu niedrigem Zins. Der Mangel an sonstigen Kapitalanlagemöglichkeiten begünstigte das Steigen der hypothekarischen Verschuldung außerordentlich. Viele Güter hatten die Grenze der bei günstiger Konjunktur wirtschaftlich noch tragbaren Verschuldung erreicht. Eine rückläufige Konjunktur mußte notwendigerweise einen gefährlichen Rückschlag auf die ländlichen Realkreditverhältnisse zur Folge haben.


28) Acta von Herstellung des Kredits in Mecklenburg 1766/68.
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Für einzelne Güter trat der Rückschlag bereits ein, als auf Grund des Erbvergleichs von 1755 die einbehaltene Kontribution 29 ) innerhalb kurzer Zeit nachentrichtet werden mußte. Dazu kommt, daß in den Jahren 1751/52 die schon 1744 nach Mecklenburg eingeschleppte Rinderpest besonders heftig gewütet hatte. Das Vieh war massenweise eingegangen, und infolge ungenügender Düngung der Äcker fielen die Kornernten so schlecht aus, daß 1754/56 Korn eingeführt und die Kornausfuhr verboten werden mußte 30 ). Damals "fingen viele Familien in ihren Kreditumständen an zu wanken" 31 ). Allgemein erfolgte der Rückschlag aber erst nach dem Kriege. Auf die schweren Kriegsschäden, veranlaßt durch die Besetzung des Schweriner Landes mit preußischen Truppen, auf die nachteiligen Folgen der Münzverschlechterung sowie auf die große Geldknappheit nach dem Kriege infolge Reduktion des Münzfußes ist bereits hingewiesen worden. Aber noch zahlreiche sonstige Momente steigerten die Notlage des Grundbesitzes ins Unerträgliche. Typisch als Deflationserscheinung ist der übermäßig hohe allgemeine Preisstand nach dem Kriege, jedoch mit Ausnahme für Getreide. "Alle Waren, aller Lohn, alle Handwerkerarbeit ist ungemein erhöhet; Fuhrlohn, Posten, der Wirte Rechnungen in den Städten haben keine Schranken noch Maß." - "Was wir aus den Städten holen, wie auch den Tagelohn an die Handwerker müssen wir nach dem schweren Gelde ebenso hoch bezahlen, als wir es ehedem an leichtem Gelde kaufen und bezahlen konnten. Es ist augenscheinlich, daß man bei jedem auszugebenden Thaler 6 bis 8 ßl bar verliert" 32 ). Zuverlässige Angaben über den Stand der Getreidepreise unmittelbar nach dem Kriege liegen nur für Mecklenburg-Strelitz vor 33 ), während für Mecklenburg-Schwerin die Getreidepreise erst von 1771 ab nachgewiesen sind. Im Strelitzschen hatten die Preise für 1 Scheffel Roggen, Gerste und Hafer im Jahre 1762 die erstaunliche Höhe von 90, 60 und 31 Schil-


29) s. S. 171.
30) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
31) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke.
32) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
33) Nützliche Beiträge zu den Neuen Strelitz. Anzeigen, 1770, 8. und 9. Stück.
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lingen in guter Münze erreicht. Im nächsten Jahre erfolgte dann der gewaltige Preissturz auf 22, 20 und 12 Schillinge, der wohl durch den Wegfall des preußischen Kriegsbedarfes verursacht wurde.

Von allerschlimmster Wirkung war die in den Jahren 1765/67 wieder auftretende Rinderpest. "Am heftigsten und allgemeinsten war sie im Jahre 1766, wo sie so aufräumte, daß im Herbste fast das meiste Vieh hingefallen war" 34 ). Viele Güter waren wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, neues Vieh anzuschaffen. Andererseits wurde auch das von auswärts wiederbeschaffte Vieh oft in kurzer Zeit von der Seuche weggerafft. Das Viehsterben bereitete besonders den zur Schlagwirtschaft übergegangenen, also den höher verschuldeten Betrieben schweren Schaden, da nicht nur die Erträge aus den Holländereien wegfielen, sondern auch die Äcker bei unzureichender Bedüngung nur geringe Roherträge lieferten und teils wegen Zugviehmangels nicht bestellt werden konnten. Die Folge war "vieljähriger fast allgemeiner Mißwachs", und 1766 mußte Mecklenburg abermalig Korn einführen 35 ).

Dabei wurde die Ausfuhr aller übrigen Agrarprodukte (Schweine, Hammel, Wolle) infolge des allzu schweren Münzfußes 36 ) erschwert bzw. unterbunden. "Was wir zu veräußern haben, würden wir weit besser und größer nach den lüneburgischen und preußischen Landen hin debitieren können, wenn nicht die schwere Münze und der Drittelcours den Käufer von unseren Landen den Weg nach Polen wiese" 37 ). "Für die hannöverschen, preußischen und Quedlinburger Vieh- und Schweinekäufer sind infolge des hier eingeführten schweren Kurantgeldes die Zehrkosten sehr hoch, natürlich auch die zu erlegenden Zölle und Akzisen. Diesen sonst in Mecklenburg so häufig gekommenen Aufkäufern wird es schlechterdings unmöglich, diesen für die Landbegüterten ehedem so zuträglich gewesenen Handlungszweig zu kultiviren" 38 ).

Alle die genannten Umstände: die Kriegsschäden, die unzureichende Preisgestaltung nach dem Kriege, die Ertragsein-


34) Boll a. a. O. S. 545.
35) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1769.
36) s. S. 168.
37) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
38) Desgl. 1769.
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bußen infolge der Rinderpest, die erschwerte Ausfuhr von Agrarprodukten führten fast allgemein zur Unrentabilität und zum wirtschaftlichen Verfall. Die hochverschuldeten Güter - hierunter fallen besonders die durchaus geldwirtschaftlich eingestellten intensiven Betriebe, denen durch das allgemeine Unglück am meisten Schaden zugefügt war - konnten ihren Zinsverpflichtungen nicht nachkommen. Gekündigte Kapitalien konnten nicht zurückgezahlt werben. Einige Güter gerieten in Konkurs. Nun offenbarte sich, daß die Güter gegen früher erheblich im Werte gesunken waren und daher in vielen Fällen effektive Überschuldung eingetreten war. Die Gläubiger wurden mißtrauisch. Die Kündigungen der meistens kurzfristig gewährten Kapitalien nahmen zu. Auch die noch leidlich dastehenden Betriebe gerieten in Schwierigkeiten, weil die Kreditfähigkeit der Güter immer mehr sank. "Die schlechten Zahler häufen sich so an, daß die starken und vermögenden von ihnen so überschattet werden, daß der auswärtige sie nicht unterscheiden kann" 39 ). Neue Kapitalien an Stelle der gekündigten aufzunehmen, war äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich. Nur gegen übertriebene Zinsen und Provisionen waren solche zu erhalten. In Rostock hatten einige Kaufleute alle auftreibbaren Gelder gegen hohe Zinsen an sich gebracht, um "solche hienächst gegen noch weit enormere Provisiones unter den wucherlichsten Bedingungen an diejenigen zu verleihen, welche bei dem jetzigen Geldmangel zu Kehrung ihrer Not darum verlegen gewesen" 40 ). Nach Boll 41 ) traten besonders die Advokaten als Vermittler von Geldgeschäften auf und fanden darin eine ergiebige Quelle des Gewinns. In den Akten werden die Advokaten vielfach mit den Wucherern auf eine Stufe gestellt.

Die Zahl der Konkurse nahm in Mecklenburg-Schwerin ständig zu. 1766 lagen bereits einige 20 Güter im Konkurs und 10 Jahre später "mehr als der achte Teil aller Landgüter" 42 ), was etwa 80 bis 90 Gütern entsprechen dürfte.

Mecklenburg-Strelitz blieb dagegen von der Krise verschont. Infolge seiner neutralen Haltung hatte dieses Land


39) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke 1765/68.
40) Landesherrliches Reskript (Schwerin) vom 1. 7. 1765.
41) A. a. O. S. 399.
42) Zimmermann, Über Mecklenburgs Kreditverhältnisse, 1804.
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während des Krieges nur geringen Schaden erlitten, der reichlich durch den Gewinn aufgewogen wurde, den man bei der Versorgung schwedischer und preußischer Truppen sowie der Stadt Berlin mit Lebensmitteln erzielte 43 ). Ferner hatten die im Strelitzschen belegenen Güter unter der Rinderpest weniger zu leiden, da hier die Schlagwirtschaft nur ganz vereinzelt eingeführt worden war 44 ). Güterkonkurse kamen deshalb in Mecklenburg-Strelitz während des fraglichen Zeitabschnittes nur selten vor 45 ).

Daß die Kreditkrise im Schwerinschen eine mehr als zehnjährige Dauer erreichte, lag weniger in den wirtschaftlichen Verhältnissen, als in dem Immobiliarkreditrecht begründet, das - wie wir sehen werden - ungewöhnliche Mängel aufwies.

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II. Abschnitt.

Der Verfall des Realkredits
und seine Ursachen.

1. Kapitel.

Das ritterschaftliche Hypothekenwesen.

Mit der Rezeption des römischen Rechtes 46 ) wurde auch das römische Pfandrecht nach Mecklenburg verpflanzt. Abgesehen von einzelnen Abweichungen, die aus der Beibehaltung einheimischen Gewohnheitsrechtes zu erklären sind, gelangte hier das römische Pfandrechtssystem zur unbedingten Herrschaft. Die Mängel dieses Rechtssystems und der schädliche Einfluß auf den Hypothekarkredit sind von namhaften Verfassern, wie Mascher 47 ), Weyermann 48 ) u. a., eingehend unter-


43) Boll a. a. O. S. 304.
44) Desgl. S. 506.
45) Acta, betr. den Verkauf der Konkursgüter 1768 bis 1815.
46) Nach Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht, S. 35 und 90, fällt für Mecklenburg der Beginn der Rezeption in das dreizehnte und deren Vollendung in das fünfzehnte Jahrhundert. - Vgl. jedoch Steinmann a. a. O. S. 124 und in Festschrift für Reincke-Bloch, 1927, S. 51.
47) Mascher, Das deutsche Grundbuch- und Hypothekenwesen, 1869.
48) Weyermann, Zur Geschichte des Immobiliarkreditwesens in Preußen, 1910.
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sucht und beschrieben worden, so daß an dieser Stelle außer einer zusammenfassenden Darlegung der Systemsmängel vor allem eine Schilderung der für Mecklenburg eigentümlichen Verhältnisse geboten erscheint.

Die Besonderheit des römischen Pfandrechtssystems lag in der weitgehenden Ausbildung der gesetzlichen und Generalhypotheken sowie der Pfandprivilegien. Gesetzliche Hypotheken entstanden bei gewissen Schuldforderungen ganz von selbst. Z. B. erlangten solche stillschweigenden Hypotheken der Fiskus wegen rückständiger öffentlicher Abgaben, die Ehefrau am Vermögen des Mannes wegen der Mitgift, alle Gläubiger, die zur Wiederherstellung eines Gebäudes Geld geliehen hatten usw. Die meisten der gesetzlichen Hypotheken waren zugleich Generalhypotheken, d. h. sie umfaßten das gesamte Vermögen des Schuldners. Die Rangordnung der Hypotheken bestimmte sich grundsätzlich nach dem Alter der Pfandrechte.

Wesentlich erweitert war dieses Gesetzespfandrecht durch die sogen. Pfandprivilegien, die sowohl für gesetzliche als auch für vertragliche Hypotheken in besonderen Fällen vorgesehen waren. Kraft Gesetzes gingen die privilegierten Hypotheken allen anderen vor. Weiter wurden die öffentlichen Hypotheken vor den privaten bevorzugt. Als öffentlich galten diejenigen Hypotheken, die sich auf eine öffentliche Urkunde gründeten (hypotheca publica) oder auf eine solche, die von mindestens drei männlichen einwandfreien Zeugen unterschrieben war (hypotheca quasi publica).

Die Hypothekenbücher kannte das römische Rechtssystem nicht. Bestellung einer Hypothek erforderte keine besonderen Formen, so daß über den dinglichen Rechtszustand eines Grundstücks öffentlich nichts bekannt war. Im Gegensatz zu dem älteren deutschen Pfandrecht war dem römischen das Publizitätssystem und die strenge Durchführung des Spezialitätsprinzips unbekannt. Eine formale Publizität war auch keineswegs mit der Einrichtung der öffentlichen Hypotheken gegeben 49 ). Diese Hypotheken sollten lediglich vor Betrügereien schützen, die durch Vordatieren von privaten Hypotheken möglich waren.


49) Weyermann a. a. O. S. 3.
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Die Unzulänglichkeit dieses Rechtssystems trat darin zutage, daß es dem Gläubiger keine Möglichkeit verschaffte, die Sicherheit des dargebotenen Pfandobjektes zu beurteilen, weil eine Verschuldung des Grund und Bodens öffentlich nicht erkennbar war; zum andern aber darin, daß es den Gläubiger gegen willkürliche Verschlechterungen seines Pfandrechtes nicht schützte.

In Mecklenburg war die Niederlegung von Hypothekenbüchern auf Rittergütern nicht völlig unbekannt oder gar unmöglich. Nach dem geltenden Lehnrecht war bei der Verpfändung von Lehnsgütern der Konsens des Landesherrn deshalb von Bedeutung, weil dadurch die Wirksamkeit der Verpfändung gegen den Lehnsherrn sichergestellt wurde. Auf Antrag konnte der Konsens ein für allemal erteilt werden. In diesem Falle mußte ein Hypothekenbuch gerichtlich niedergelegt werden, und jedes darin eingetragene Pfandrecht galt als konsentiert. Die konsentierten Hypotheken wurden zu den öffentlichen Hypotheken gerechnet und hatten sogar vor den nicht konsentierten gesetzlichen und privilegierten Hypotheken den Vorrang 50 ). Auch für die Allodialgüter konnten "mit Confirmation der höheren Landeskollegien" (Ministerien) Hypothekenbücher niedergelegt werden. Die darin eingetragenen Hypotheken galten ebenfalls als öffentliche; sie hatten jedoch nur vor den privaten Hypotheken den Vorzug und mit den quasi öffentlichen Hypotheken gleichen Rang.

Für das damalige ritterschaftliche Hypothekenwesen in Mecklenburg sind die Hypothekenbücher von untergeordneter Bedeutung gewesen. Nur wenige Rittergüter waren mit Hypothekenbüchern versehen. Die vielerorts hohe Verschuldung, aber auch überliefertes Standesbewußtsein bestimmten die Gutsherren, nur in notgedrungenen Fällen den Schuldenstand ihrer Güter offenzulegen.

Den oben angegebenen hypothekarischen Vorzugsrechten gesellten sich weitere hinzu, die auf älteren mecklenburgischen Landesverordnungen beruhten und das komplizierte gemeinrechtliche System noch verwickelter machten. So hatten nach einer Verordnung vom 6. II. 1644, betr. "die Präferenz der pia corpora", die Forderungen der Kirchen, Schulen, Ökono-


50) Landesherrliche Verordnung vom 6. II. 1644.
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mien, Hospitäler und Armenhäuser ein Vorzugsrecht vor allen sonstigen hypothekarischen Forderungen, mit Ausnahme der absolut privilegierten Forderungen, z. B. der rückständigen öffentlichen Abgaben. Dagegen stand nach einer Verordnung vom 29. I. 1646 allen Gläubigern insoweit, als sie bereits dem Vater oder Großvater des Gemeinschuldners das Grundstück beliehen hatten, im Konkurse sogar ein Absonderungsrecht zu.

Bei der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der hypothekarischen Vorzugsrechte führte im Konkurse die Festsetzung des Rangverhältnisses zwischen mehreren dasselbe Grundstück belastenden Rechten in der Regel zu ausgedehnten Streitigkeiten, zumal es kein Gesetz gab, das die Rangordnung umfassend und klar geregelt hätte. In einer Denkschrift der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei aus dem Jahre 1770 51 ) lesen wir hierüber: "Der Prioritätspunkt ist eben derjenige, der durch die vielen Suspensivmittel gegen die gesprochene Priorität wegen deren Bestreitbarkeit nach gemeinen Rechten ohne besondere sattsam bestimmende Landes-Constitution die allerweitschweifigsten Aufhaltungen und Bewirrungen macht, und weswegen das Land schon 1641 eine besondere Landes-Constitution über die Priorität gewünscht, diesen Wunsch jedoch bei weitem nicht hinreichend in der Constitution von 1644, die praeference der Kirchen und andere Prioritätsschulden betr., zu erhalten das Glück gehabt."

In welchem Maße das damalige Hypothekenwesen für die Sicherung der Gläubiger Sorge trug, schildert in drastischer Weise ein Erachten des Hof- und Landgerichts zu Güstrow vom 18. IX. 1770: "Man schaffe die öffentlichen und consensuirten Hypotheken in Ansehung der Wirkung eines Vorzuges ab, oder man nehme ihnen wenigstens die Gültigkeit, sofern sie nicht in den öffentlichen Zeitungen bekannt gemacht worden. Ist der gute Glaube wohl zu bewahren, wenn ein Gläubiger, der heute anleiht, über seinen zwanzigjährigen Kollegen hinwegspringen kann? Für solche im Winkel erteilten Vorzüge kann sich ja niemand in der Welt hüten. Tut jener junge Anleiher was anderes, als daß er seinem alten Vorgänger sein Capital raubt? ..... er bringt diesen wider sein Wissen um das


51) Untertäniges Erachten der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei über die füglichste und sicherste Abhelfung der Mängel und Mißbräuche bei Schuld- und Konkursprozessen. Vom 11. Nov. 1770.
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Seinige. Nur wird er nicht gestraft, weil das Gesetz das Instrument, welches er sich zu seinem Stehlen bedient, privilegiert hat".

Diese Kritik galt vor allem den öffentlichen Hypotheken, d. h. den lehnsherrlich konsentierten, den durch das Ministerium oder die Gerichte konfirmierten sowie den vor drei Zeugen errichteten Hypotheken. Soweit nicht etwa Hypothekenbücher niedergelegt waren, wurden die Verpfändungen durch öffentliche Hypotheken keineswegs öffentlich erkennbar gemacht. Die konsentierten und konfirmierten Hypotheken wurden in den ritterschaftlichen Grundstücksakten vermerkt. Die Feststellung der liegenschaftlichen Rechtsverhältnisse aus diesen Aufzeichnungen war wegen der unsystematischen Aktenführung beinahe unmöglich. Daher wurde auch in den öffentlichen Hypothekenscheinen über die Vorbelastung eines Grundstückes nichts angegeben. Sie "enthalten gewöhnlich nichts als eine bloße Bescheinigung der geschehenen Eintragung. Vom Besitztitel, wieviel die verschriebene Hypothek wert sei, wieviele Schulden darauf bereits eingetragen worden und was für andere dingliche Lasten darauf haften, davon sagen sie überall nichts. Bei einigen Behörden werden sie bloß unter der Hand und dem Privatsiegel eines Sekretärs oft auf einem halben Bogen ausgefertigt und haben kaum den Schein eines öffentlichen Dokuments" 52 ).

Da die meisten Gläubiger keine öffentlichen Pfandrechte besaßen 53 ), hatte der Schuldner freie Hand, einzelnen - häufig nur fingierten - Gläubigern kurz vor der Konkurseröffnung Vorzugsrechte zu gewähren, um so zum Schaden der übrigen Gläubiger einen möglichst großen Teil seines früheren Vermögens zu retten. Welche Praktiken hierbei angewendet wurden, zeigt uns ein Aufsatz aus damaliger Zeit 54 ). "Der bloße (!) hypothecarius bekommt Consens, Confirmation, hypothecam publicam und ein gleiches der Chirographarius und Wechselgläubiger, für welchen zugleich Pfandverschreibun-


52) Zimmermann, Über Mecklenburgs Kreditverhältnisse. 1804.
53) Für die Konsenserteilung bzw. für die Konfirmation mußten hohe Sporteln und bei der Errichtung quasi öffentlicher Hypotheken Notariatsgebühren bezahlt werden.
54) Aufsatz des Dr. Ackermann, "worin gezeigt wird, wie es in den Debit- und Concursprozessen nach den gemeinen und Landesgesetzen gehalten werden sollte" usw. 1771.
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gen geschaffen werden, wodurch dann ältere hypothecarii wieder verdrängt werden. Und mit Verleihung solcher Vorzüge geht es so geheim zu, daß auch selbst der wachsamste Creditor solche nicht entdecken kann. Heute wird z. B. Consens bei der Regierung und vielleicht am nämlichen Tag noch bei der Schwerinschen, dann bei der Rostockschen Canzley, dann beim Hofgericht erwirkt. Oder aber auch man geht im Winkel vor Notario und 3 Zeugen und macht eine hypothecam quasi publicam."

Die aus dem Hypothekensystem sich ergebende Verschleierung aller Realkreditverhältnisse ermöglichte den Schuldnern, wohlbegründete Rechte der Gläubiger zunichte zu machen. Die gewöhnlichen Hypotheken boten den Kreditgebern im Konkurse fast keine Sicherheit. Angesichts dieser unsicheren Rechtszustände nahmen die Kündigungen von Hypothekenforderungen nach dem Kriege immer größeren Umfang an, bis schließlich infolge allgemeiner Vertrauenslosigkeit der ritterschaftliche Realkredit völlig zusammenbrach. Hier muß jedoch bemerkt werden, daß die mangelhafte Ordnung des Konkurswesens die Kreditkrise wesentlich in die Länge gezogen hat.

2. Kapitel.

Das Konkurswesen.

Eine mecklenburgische Konkursordnung hat es nie gegeben. Die Rechtsgrundlage für das Konkurswesen jener Zeit bildeten neben dem gemeinen Recht einige ältere landesherrliche Konstitutionen und der Gerichtsgebrauch. Durch die landesherrlichen Konstitutionen wurde das Konkursrecht und -verfahren nur in einzelnen Teilen geregelt. Das gemeine Recht galt subsidiär. Nach den Bestimmungen des gemeinen Rechts stand das Konkursverfahren unter der Leitung und Aufsicht des Richters. Das Verfahren hatte streng prozessualischen Charakter und war in bestimmte, aufeinanderfolgende Abschnitte eingeteilt, die im einzelnen durch Richterspruch abgeschlossen wurden.

In älteren Zeiten, d. h. vor dem Dreißigjährigen Kriege, wurde bei Zahlungsunfähigkeit außerhalb des Konkurses strenge Exekution in das bewegliche Vermögen vorgenommen. Blieb die Mobiliarexekution ohne Erfolg, so fand die Adjudikatgebung statt, d. h. ein nach der Landtaxe der

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Forderung entsprechendes Grundstück des Schuldners wurde dem klagenden Gläubiger zu Eigentum übertragen, jedoch unter Vorbehalt des Rückkaufrechtes für den Schuldner. Der adjudikatorische Gläubiger durfte das Adjudikat verpachten oder verkaufen; der Verkaufserlös durfte jedoch die Schuldforderung nicht übersteigen. Im Konkurse des Schuldners war das Adjudikat aussonderungsfähig. Bisweilen sprachen die Gerichte dem Gläubiger auch ein Nutzpfand (antichresis) an Grundstücken zu. In diesem Falle hatte der Gläubiger lediglich das Recht, die Grundstücksnutzungen auf die Zinsen zu verrechnen.

Im Konkursfalle hatten die Schuldner nach der Hof- und Landgerichtsordnung von 1622 55 ), sofern sie ohne eigenes Verschulden in Not geraten waren, die einzige Vergünstigung, durch Abtretung ihrer Güter die Schuldhaft abzuwenden (beneficium cessionis bonorum).

Bemerkenswert ist, daß nach einer Herz. Konstitution vom 27. I. 1619 "in klaren auf Hand und Siegel beruhenden Schuld- und Gelübdesachen keine Appellationes vom Hof- und Landgericht angenommen, noch darüber Prozesse erteilet" werden durften. Auch das Allerhöchste Kaiserl. Privilegium de non appellando von 1651 schrieb vor, daß alle liquiden Schuldsachen von der Appellation an das Reichskammergericht ausgenommen sein sollten.

Im älteren Konkursverfahren wurde die sogen. datio in solutum secundum taxam nicht in Anwendung gebracht. Die Gläubiger waren also nicht verpflichtet, Güter nach der Taxe an Erfüllungs Statt anzunehmen.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurde mit Rücksicht auf die großen Verwüstungen in Mecklenburg dieses einen starken Gläubigerschutz enthaltende Recht zugunsten der Schuldner gemildert.

In Verbindung mit den damals von Zeit zu Zeit landesherrlich erlassenen Indulten waren für die Schuldentilgung folgende Grundsätze festgesetzt worden. Die Zinsen wurden vom Kapital streng geschieden und blieben bei nicht erfolgter Zahlung beitreibungsfähig. Geringere Kapitalien, nämlich solche bis zu 400 Taler, waren vom Indult ausgeschlossen und mußten bezahlt werden. Bei den größeren Kapitalien wurde


55) Part. 2 Tit. 45.
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die Exekution hinausgeschoben, wenn der Schuldner Gläubiger des Landkastens war. War dies nicht der Fall, so wurde die Sache "zum gütlichen Verhör" vor ein Gericht gebracht. Alsdann war die festgestellte Art der geschuldeten Kapitalien entscheidend. Restkaufgelder mußten schlechterdings bezahlt werden, während es bei den "Umschlagsgeldern" auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Gläubigers und Schuldners ankam. Benötigte der Gläubiger sein Kapital z. B. zur Aussteuer seiner Kinder, zum Ankauf von Erb- und Lehngütern oder in ähnlichen dringenden Fällen, so mußte auf Abtragung des Kapitals erkannt werden. In allen sonstigen Fällen gab die Sicherheit des Schuldners den Ausschlag. War ausreichende Sicherheit vorhanden, so mußte der Gläubiger sein Kapital stehen lassen.

Schon damals wurde von Schuldnerseite versucht, außerhalb des Konkursverfahrens die Gläubiger gegen ihren Willen statt bar, mit Grundstücken nach einer "fingierten" Taxe zu befriedigen. Zu einer gültigen Entscheidung, ob durch diese "Hingabe an Erfüllungs Statt" (datio in solutum secundum taxam) eine rechtmäßige Schuldentilgung bewirkt würde, war es nicht gekommen. Ebensowenig hatte sich hierin eine gewohnheitsrechtliche Norm gebildet. Von der Ritter- und Landschaft wurde damals die Hingabe an Erfüllungs Statt ausdrücklich für einen nur in der Kriegszeit mit Rücksicht auf den Mangel an Käufern notwendigen Behelf erklärt.

Für die Darstellung des mecklenburgischen Konkurswesens nach dem Siebenjährigen Kriege liefert die bereits genannte Denkschrift der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei aus dem Jahre 1770 einen aufschlußreichen Beitrag. Die Verfasser dieser Denkschrift, die nachfolgend im Wortlaut teilweise wiedergegeben wird, führen die schweren Mängel im Konkurswesen vornehmlich auf die Abkehr von den älteren Rechtsgrundsätzen bzw. auf deren fälschliche Auslegung zurück.

"Nur dies ist unsere Meinung, daß der Abstand heutiger Zeit von der vorigen alten die Gerechtigkeitspflege, die der Zeit galt, dergestalt verdunkelt habe, daß man das bekannte "inter arma silent leges" in Mecklenburg nicht anders als also erklären kann: im alles verwüstenden (Dreißigjährigen) Kriege sprach gleichwol die Gerechtigkeit laut, izt bei vollen

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gesegneten Frieden soll sie schweigen. Die starke Stimme der Gesetze jener Zeiten hat sich bereits oben hören lassen 56 ). Wie so herzlich wünschten wir, daß die heutige dem Gläubiger, ja dem auswärtigen fremden Gläubiger im Frieden nur das zuspräche, was jene dem der Zeit sich nur untereinander selbst mit Geld aushelfenden Mecklenburger von seinem Landsmann im Kriege zuerkannte."

"Hier ist das betrübende Bekenntnis der heutigen Grundsätze."

1. "Der Zeit mußte das Gericht ungeachtet des Indults dem Mecklenburger gegen den Mecklenburger durch Execution zu den Zinsen verhelfen."

"Jetzt bei Ruhe bittet der Auswärtige um seine Zinsen vergebens; die steten Suspensiones executionum halten auch deren Bezahlungen auf."

2. "Der Zeit konnten kleine Kapitalien zu 2-400 fl executivisch beigetrieben werden."

"Jetzt ist dies durch die häufigen Executionsaufhebungen nicht einmal bei kleinen Posten von 100, ja 20 und 10 Rthlr. möglich."

3. "Der Zeit konnten ungeachtet des Indults rückständige Kaufgelder executivisch beigetrieben werden."

"Jetzt darf der Auswärtige, auf den solche Gelder per cessionem gekommen, nicht daran gedenken, sie außerhalb Concursus wieder zu erhalten, und es fehlt nicht an Exempeln, daß wahre rückständige Kaufgelder in concursu verloren gehen."

4. "Der Zeit mußten die Umschlagsgelder unter bestimmten Voraussetzungen 57 ) bezahlt werden."

"Jetzt darf der Auswärtige auf diese Gelder überall nicht eher rechnen, bis er oder seine Erben den Distributionsabschied erlebt und erfahren haben, ob sie darinnen mit genannt sind oder nicht."

5. "Umschlagsgelder waren, wenn Schuldner solche nicht hinlänglich versichern konnte, executionsfähig."

"Jetzt bekommt der Auswärtige weder Geld noch Sicherheit."


56) S. S. 182'83.
57) S. S. 183.
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6. "Der Zeit ..... mußte allen Kirchen und Schulen, Oeconomien, Hospitalien und Armenhäusern zu ihren Forderungen an Capital und Zinsen ganz und unabgebrochen verholfen werden."

"Jetzt gehen sie nach Zinsen vergebens. Die Officianten können ihres so sauer verdienten Lohnes nicht Herr werden und des Hungers sich erwehren."

7. "Arme notdürftige Witwen und Waisen fanden damals bei der Billigkeit des Richters sichere Zukunft. Jetzt nicht."

"Dies ist das wahrhafte Bild unserer heutigen Justiz in ihren Grundsätzen an sich. Ist aber etwa unsere heutige Prozeßweise besser? So betrübend jenes Bild ist, so gewiß ist es gleichwohl, daß es nicht dem Mangel der Gesetze zugeschrieben werden kann, sondern daß vielmehr dieses alles nicht sein würde, nicht sein müßte, wenn die Gerichte vom alten weniger abgegangen wären und dem Schuldner mehr eingeräumt hätten, als ehedem der gerechte Ernst des Alten erlaubte."

1. "Ehedem erfolgte nicht eher die Aufhebung der Execution, wenigstens in Rücksicht auf Zinsen, bis der Gläubiger befriedigt war."

"Jetzt soll jede Idee des Schuldners, nach welcher es ihm beliebt, sich reicher zu bilden als er ist, den Gläubiger sich zu fügen zwingen, dem er bei Weigerung, ihm sonst seine Zinsen nicht zahlen zu wollen, sogar in Briefen mit frecher Kühnheit droht; soll jede solche Idee den Gerichten Grund genug sein, allenthalben nicht nur auf Kapital, sondern auch sogar auf Zinsen die Execution aufzuheben. Hat ein Richter nicht darauf gehört, so ist es nicht selten zu Beleidigungen seiner Person gekommen.

2. "Ehedem durfte der Schuldner es sich nicht beikommen lassen, einmal des Beneficii cessionis 58 ) würdig gehalten zu werden, ehe er mit seinen Gläubigern zu Recht ausgemacht hatte, ob er auch des beneficii cessionis würdig genug war."

"Jetzt wird ihm erlaubt, mit nie erhörter Dreistigkeit seine Gläubiger durch proclamata zur Taxe 59 ) hinzuziehen, sich zum Herrn über Gesetze, ja zum Gesetzgeber gegen seine


58) S. S. 182.
59) Im Verfolg der dationis in solutum secundum taxam (s. S. 182).
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Gläubiger aufzuwerfen, und sich also von der Verbindlichkeit loszureißen, ihnen in foro competente Red und Antwort zu geben, ob er Fallit oder würdiger Mann und des Beneficii cessionis wert sei."

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

6. "Ehedem mußte der Schuldner und Cedent, solange er auf den cedirten Gütern war, nur auf seine Kosten den Concurs möglichst befördern, wollte er nicht Gefahr laufen, daß der Concurs cassirt und jedem Gläubiger seine Forderung besonders beizutreiben freigelassen ward."

"Jetzt cedirt er nicht, stürzt aber die Gläubiger in die Kosten und genießt dafür die Nutzungen des Gutes selbst."

7. "Ehedem ward der Schuldner, wenn er sich einige Male den Concurs zu betreiben vergeblich auffordern ließ, citirt, sein Urteil anzuhören, das ihn des beneficii cessionis unwürdig, hingegen der Ahndung der Gesetze und der bekannten Strafe (Schuldhaft) würdig achtete."

"Jetzt weiß er das Mittel, seine Gläubiger Jahre hindurch auszuhalten, nicht zu cediren, weder Zinsen noch Capital zu zahlen, vielmehr lieber das Land sicher räumen zu dürfen."

8. "Ehedem ward dem Schuldner nach Eröffnung des Konkurses sogleich ein Curator gesetzt, die Aufkunft der Güter ins Gericht gebracht und das Vermögen inventirt und besiegelt."

"Jetzt darf er ohne Aufsicht bleiben, die Aufkünfte verzehren, im Hause aufräumen, davongehen und erst sodann inventiren lassen."

Endlich wird in der Denkschrift noch betont, daß die von den Schuldnern im Konkurse "mit so großem Ungestüm gesuchte" datio in solutum secundum taxam ohne Einwilligung der Gläubiger nach den Gesetzen nicht statthaft sei. Gerade über diesen Punkt war nach dem Siebenjährigen Kriege ein heftiger Meinungsstreit im Lande entstanden. Ohne Frage wäre die datio in solutum ein geeignetes Mittel gewesen, die vielen verderblichen Konkurse schneller zu Ende zu führen, wenn ein zuverlässiges Taxwesen bestanden hätte. Die älteren Taxgrundsätze 60 ) aber waren infolge der gegen früher


60) Diese wurden zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges eingeführt und bei der Bemessung einer Kriegsvermögenssteuer angewendet.
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grundlegend veränderten Wirtschaftsweise unanwendbar geworden; z. B. wurde die Bonität des Ackers nicht berücksichtigt.

Begegnete die Anwendung der datio in solutum also schon von der Taxseite her den größten Schwierigkeiten, so war sie aber auch in der Form, wie sie nach dem Siebenjährigen Kriege angewendet wurde, ein Unding. Die Schuldner übergaben in ihrer ungehinderten Eigenmächtigkeit gleich nach der Konkurseröffnung irgendwelchen Gläubigern ohne Berücksichtigung der Prioritätsrechte und ohne jede gerichtliche Mitwirkung die Güter an Erfüllungs Statt. Tatsächlich war diese datio in solutum nichts anderes als ein "Geschäft" zwischen Schuldner und einzelnen Gläubigern. Der Gläubiger aber war, wenn er nicht leer ausgehen wollte, schon zur Annahme in solutum genötigt, trotzdem das schuldnerische Vorgehen durchaus gesetzwidrig war und die Ordnung des Konkurswesens über den Haufen warf 61 ).

Zeigt uns schon die Denkschrift in anschaulicher Weise, wie das ältere Vollstreckungs- und Konkursrecht nach dem Siebenjährigen Kriege in völligen Verfall geriet, so sei noch an einigen besonders ausgeprägten Mängeln dargelegt, daß der Verfall vornehmlich in der überaus dürftigen Landesgesetzgebung begründet lag.

Der kostspielige und langsame Gang der Konkursprozesse 62 ) hatte seinen Hauptgrund in der Einrichtung des Aktorates, d. i. die Einsetzung eines gemeinsamen Anwalts (actor communis). Diesem lag die Vertretung der Gläubiger ob. Entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wurde diese Einrichtung im 18. Jahrhundert gang und gäbe. Nettelbladt berichtet hierüber a. a. O.: "Die Richter jener älteren Zeit ließen ruhig diesen summarischen (Konkurs-) Prozeß, der ein richterlich administratives Verfahren erfordert, den Charakter des gewöhnlichen Civilprozesses annehmen 63 ).


61) Nach der Hof- und Landgerichtsordnung, Teil II Tit. 45, war lediglich die bereits erwähnte cessio bonorum zulässig, deren Durchführung die Gläubiger und das Gericht vornehmen mußten.
62) Nach Nettelbladt, Bemerkungen über einige Gegenstände des meckl. Konkursprozesses, 1810, waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Konkursprozesse von 30 und selbst 50jähriger Dauer nicht ungewöhnlich.
63) Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß innerhalb des Konkursverfahrens zahlreiche Zivilprozesse geführt wurden, die aus irgendwelchen Streitigkeiten hervorgingen und die Konkursdauer bis ins ungemessene verlängerten.
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So ward der actor communis Partei und, indem dieser Mittelsmann unmittelbare Berührungen des Richters und der Creditoren möglichst verhinderte, zugleich unumschränkter Dirigent des creditorischen Corps, ja des ganzen Concursverfahrens. Dies war die natürliche Folge, sobald der Grundsatz des gemeinen Prozesses - es findet keine richterliche Tätigkeit ohne Anforderungen der Parteien statt - in das Concursverfahren aufgenommen wurde. In dieser Gestalt genügte ihm (dem gemeinsamen Anwalt) nicht mehr die gerichtliche Vertretung des creditorischen Corps; sondern jedes mit der creditorischen Gesamtheit in irgend einer Beziehung stehende Geschäft, ja die Güterverwaltung selbst, zog er an sich."

"Das Actorat ist eine Pfründe geworden. Man ist bestrebt, sich so lange wie möglich im Besitz derselben zu erhalten. Durch die Kunst, alles zu verwirren, zu verweitläuftigen und zu verschleppen 64 ), eröffnet sich die Aussicht, zeitlebens sich diese vortreffliche Geldgrube zu erhalten."

Da die Massekosten aus der Konkursmasse vorweg zu berichtigen waren, fielen bei den hohen Aktorats- und Prozeßkosten in der Regel die jüngeren Gläubiger mit ihren Forderungen aus.

Als Zeugnis für die herrschende Rechtsverwirrung sei folgendes bemerkt. Mit "Adjudikation" bezeichnete man außer der eigentlichen Adjudikation in der Zwangsvollstreckung 65 ) auch die Antichrese sowie im Konkursverfahren die gerichtliche Zuerkennung eines Grundstückes an die Gläubiger 66 ), wenn es an einem Käufer fehlte. Mit der gerichtlichen Zuerkennung eines Grundstücks galten die schon vorhandenen hypothekarischen und sonstigen Rechte Dritter als getilgt 67 ). Anscheinend hat die unzweckmäßige Terminologie für die ihrem Zweck und ihrer Wirkung nach grundverschiedenen Rechtsinstitute dahin geführt, daß alle drei Arten der "Adjudikation" miteinander verwechselt wurden. Selbst die höchsten Gerichte in Mecklenburg waren sich über das Wesen


64) Die Konkursverschleppung wurde hauptsächlich durch Einlegen von Rechtsmitteln betrieben. Hierzu boten vorzüglich die Sonderprozesse Gelegenheit.
65) S. S. 181 '82.
66) Diese beruhte auf einer landesherrlichen Verordnung vom 29.I.1646. Näheres hierüber s. S. 190/91.
67) v. Kamptz, Handbuch d. meckl. Civilproz. 1811, S. 189.
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der Adjudikation im Zweifel. In dem oben genannten Erachten der Herzoglich Schwerinschen Justizkanzlei lesen wir hierüber:

"Nach den Folgen, so die Praktik bei uns der adjudication beigelegt, ist ein Adjudicat ein Dominium, kein Dominium, mehr als das größte Dominium in der Welt. Bei diesen diametralisch sich widersprechenden Eigenschaften und bei den so wichtigen Folgen, welche das Unding demnach bald auf den Adjudicatorium, bald auf den debitorem adjudicatum, bald auf den Concreditorem haben kann, darf es bei der Regulierung des Debitwesens nicht übergangen werden. Und diese praktische Folge ist es, die besonders einem Auswärtigen und Fremden, wenn er irgends umsichtig ist, abschrecken muß, seine Gelder in einem Lande zu verleihen, worüber ihm heute, da er anleihet, die bündigsten Hypotheken unter Landesherrlichem Consens, höchsteigenem Namen und Insiegel versichert, morgen aber schon durch ein Adjudicat von einem Dritten extinguiret werden. Heutzutage, wo die Zahl auswärtiger Creditorum die Zahl einheimischer Creditorum vielleicht schon übersteigt, wo die Bürgschaften sehr selten geworden sind, und es einem auswärtigen Gläubiger wohl nicht angemutet werden kann, sich einen eigenen Agenten in Gerichten zu halten, müssen wir wohl bekennen, daß der effectus extinctivus der adjudicate uns als eine besonders für auswärtige Creditores ausnehmend harte, und sie vom Anleihen sehr abschreckende Sache vorkomme."

Da man hiernach anscheinend jeder Adjudikation schlechthin die Wirkung beimaß, alle vorhandenen Rechte zu tilgen, waren die Schuldner bestrebt, auf Konkurseröffnung dringende Gläubiger durch Anbieten von Adjudikaten zu beschwichtigen.

"Als Beruhigungsmittel bietet der Schuldner dem klagenden Creditor ein zu nehmendes adjudicat an, und hiermit verdrängt er jeden anderen Creditor, selbst den väterlichen und großväterlichen, die pia Corpora, die consensuirten oder hypothecam habenden, auch den, der an einer unprivilegirten Pfandverschreibung sich sonst sicher gehalten. Das Erbieten zum Adjudicatnehmen geht wohl gar an Chirographarias" 68 ).


68) Aufsatz des Dr. Ackermann, "worin gezeigt wird, wie es in den Debit- und den Conkursprozessen nach den gemeinen und Landesgesetzen gehalten werden sollte" usw. 1771.
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Zimmermann 69 ) nennt die Adjudikation einen "häßlichen Flecken unserer Nationalredlichkeit".

Eine Verschleppung der Konkurseröffnung konnten die Schuldner aber auch noch auf anderem Wege erreichen. Da nur bei Vermögensunzulänglichkeit der Konkurs eröffnet werden durfte, so mußte an den Schuldner vorher eine Aufforderung zur Darlegung der Suffizienz ergehen (provocatio ad demonstrandum sufficientiam). Diesen Umstand machten sich die Schuldner zunutze, durch Vorspiegelungen aller Art die Gläubiger von der Vermögenszureichlichkeit zu überzeugen. Waren die Gläubiger nicht einverstanden, so kam es zur Taxation, deren Ergebnis mangels brauchbarer Taxprinzipien von der Willkür der Taxatoren abhing und nicht selten zugunsten der Schuldner ausfiel, wenn auch eine tatsächliche Überschuldung vorlag. Dabei ist zu bemerken, daß bis zur endgültigen Erledigung des Suffizienzpunktes alle Exekutionen gegen den Schuldner ausgesetzt wurden und dieser zum Schaden der Gläubiger seine Güter weiter nutzen und verschulden konnte. Hierfür blieb infolge der regelmäßig entstehenden Taxationsstreitigkeiten immer noch viel Zeit übrig.

Auch hinsichtlich der Ab- und Aussonderungsrechte im Konkurse bestanden Zweifel und Meinungsverschiedenheiten bei den Gerichten, die langwierige Auseinandersetzungen verursachten und die Durchführung der Konkurse häufig um Jahre verzögerten.

Nach der Hof- und Landgerichtsordnung von 1622 70 ) mußte die Verwertung der Konkursgüter im Wege des Privatverkaufes durch die Gläubiger erfolgen. Dieser Grundsatz ließ sich im Dreißigjährigen Kriege nicht aufrechterhalten, da es an Käufern mangelte. Deshalb wurde durch Verordnung vom 29. I. 1646 bestimmt, daß sämtliche Gläubiger innerhalb zwölf Wochen nach Bekanntgabe des Prioritätsbescheides "die Taxation der cedirten 71 ) Güter unnachlässig befordern, dieselbe verkaufen oder, da sie sobald keinen Käufer bekommen können, alsdann diejenigen, welche nach der Prioritäts-Urthel und gemachten Tax ihre Bezahlung bekommen können, dieselben Güter nach dem gemachten Tax solange, bis


69) Mecklenburgs Kreditverhältnisse 1804, § 60.
70) Part. II Tit. 45 § 5.
71) Auf Grund des beneficii cessionis bonorum (s. S. 182).
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sie einen Käufer (darum sie sich doch höchlich bemühen sollen) gefunden haben, in solutum annehmen und entweder durch einen gemeinen Curatorem, oder wie sich sonsten damit können vertragen, verwalten lassen und die Intraden pro rata ihre Forderung unter sich theilen und genießen." Diese Vorschrift fand auch nach dem Siebenjährigen Kriege bei zedierten Gütern Anwendung, wenn sich keine Käufer fanden. Durch unzutreffende Auslegung leitete man daraus aber auch das Recht der oben erwähnten dationis in solutum secundum taxam bzw. der Gewährung eines Adjudikats ab. Tatsächlich lag es aber gar nicht im Sinne der genannten Verordnung, den in die Konkursgüter eingewiesenen Gläubigern auch das Eigentum bzw. ein Adjudikat zu übertragen. Vielmehr sollte das Gut bis zum Verkauf den Gläubigern möglichst nach der im Prioritätsurteil festgesetzten Rangfolge "zum privaten Genuß" eingeräumt werden. Dadurch sollte verhütet werden, daß die mit dem Kapital gleichen Rang habenden Zinsen, besonders der älteren Gläubiger, nicht übermäßig anwüchsen und die nachgesetzten Gläubiger leer ausgingen. Beabsichtigt war also lediglich ein Schutz für die nachgeordneten Gläubiger.

Häufig wurden Kaufgebote unter dem Taxwerte gemacht. Einem Verkaufe unter der Taxe aber widersprachen die im Rang zurückstehenden Gläubiger, um nicht zu verlieren. Ohne das ihnen zustehende jus offerendi 72 ) in Anwendung zu bringen - weil der Wiedereingang des hierfür verwendeten Kapitals im Hinblick auf die lange Konkursdauer und die entstehenden hohen Konkurskosten unsicher war -, beriefen sie sich vor Gericht meistens mit Erfolg auf das sogen. privilegium taxae 73 ), wonach ein Verkauf unter der Taxe angeblich nicht zulässig war.

Nun waren aber die Taxationen infolge der veralteten Taxgrundsätze durchaus unzuverlässig, die Taxwerte fielen in der Regel viel zu hoch aus. "Die Güter wurden zu einem idealen Wert in die Höhe getrieben." Deshalb fanden sich auch keine


72) Danach konnten sie durch Ausbezahlung der Vormänner deren Rechte an sich bringen und so verhindern, daß ihre eigenen Interessen beim Verkauf nicht berücksichtigt wurden.
73) Dieses Privilegium beanspruchten die nachgeordneten Gläubiger auf Grund des ihnen zustehenden juris offerendi.
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Käufer. Der übertriebene Taxwert schloß von vornherein jeden Vorteil beim Ankauf aus. So ist es erklärlich, daß auch Auswärtige - wenn es schon im Lande selbst an Kauflustigen gefehlt haben mag - zum Erwerb der Konkursgüter nicht geneigt waren.

Hinzu kommt, daß die Güter während der langen Administration meistens vollständig heruntergewirtschaftet wurden. Es mußte zwar im Konkurse ein Güterverwalter (curator bonorum) bestellt werden, doch wurde dieses Amt meistens dem gemeinsamen Anwalt oder einem sonstigen Advokaten übertragen. Diese aber waren durchweg der Wirtschaftsführung unkundig, häufig auch unredlich, so daß eine sachgemäße und einwandfreie Administration zu den Seltenheiten gehörte.

"Es gehet zwar ein Administrator aufs Gut. Allein er administrirt nicht. Der Schuldner behält freie Hände und zieht fast alles ein, so daß der Administrator kaum abgelohnt werden kann. Ja, der Schuldner, der vorher mit vieren gefahren, fährt dann mit sechsen, wenn er einen Administrator hat."

"Gar viele Schuldner machen es kurz vor dem Ausbruch ihres gänzlichen Verfalls, auch während der Proclamationszeit und so lange bis sie des ihrigen entsetzt sind, so: Sie versilbern pretiosa, Mobilien, beste Kleidungsstücke, irgend entbehrliches Vieh, Holz, Korn, Viktualien usw. für Spottgeld; auch wird vieles bei Seite gebracht, so daß es auf manchem Gute ratzenkahl ist, wenn Creditores kommen. Davon wird nichts gemacht und der Richter ist inactiv" 74 ).

Die Mißwirtschaft auf den Konkursgütern muß wirklich sehr groß gewesen sein, denn nach einer Denkschrift aus dem Jahre 1776 75 ) hatten in den voraufgegangenen zehn Jahren von 40 Gütern etwa zwanzig keinen Reinertrag abgeworfen, zehn davon hatten sogar noch Schulden aufgenommen. Bei den übrigen wurden zwei bis drei und nur in sehr wenigen Fällen vier Prozent von dem nach mäßiger Taxe errechneten Wert herausgewirtschaftet.

Alles in allem bietet das mecklenburgische Konkurswesen jener Zeit ein Bild vollkommenster Rechtsunsicherheit: kein einheitliches Verfahren bei den Gerichten, Passivität des


74) Aufsatz des Dr. Ackermann, 1771.
75) "Gedanken über die Administration in Concurs befangener Güter durch eine besondere Administrationskommission."
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Richters und infolgedessen willkürliches Verfahren seitens der Advokaten. Dieser Zustand war nur möglich, weil es an eindeutigen und umfassenden Konkursvorschriften fehlte. Die wenigen alten Landeskonstitutionen, die neben dem gemeinen Recht Geltung hatten, wurden von den allmächtigen Advokaten so ausgelegt und angewendet, wie es das Interesse der vertretenen Partei und nicht zuletzt der Advokaten selbst erforderte. "Ein großer Teil der Advokaten, die Uns nicht unbemerkt geblieben, sinnen täglich auf neue Erfindungen, zum Vorteil der Debitorum die Creditores mit den unrechtfertigsten Aufzüglichkeiten zu ermüden" .... 76 ). Welch goldene Zeiten der Advokatenstand in Mecklenburg damals erlebte, mag aus folgender Schilderung eines Gutsbesiters 77 ) erhellen. ".... es ist nicht recht und wider alle Billigkeit, daß die Advokaten wie die Cavallier gekleidet gehen, auch ihre Bedienten mit besetzten Kleidern und seidenen Strümpfen, das diese mit Gutsch und Pferde fahren, sich Reitpferde halten, dabei die kostbahrsten und feinesten Weine und die besten Liqueure trinken, ..... da doch bekannt wie pauvre diese Leute hieselbst in Schwerin angekommen. In keinem Lande finden sich so viele Advokaten wie in Mecklenburg und diese Anzahl wird alljährlich um ein merkliches vermehret" 78 ).

Der grenzenlose Wirrwarr im Konkurswesen hatte eine vielleicht noch unheilvollere Wirkung auf den Agrarkredit in Mecklenburg als das mangelhafte Hypothekenrecht. Die unprivilegierten Gläubiger, d. h. die große Mehrzahl aller Gläubiger, gingen in den Konkursen fast stets leer aus. Dieses führte schließlich dahin, daß selbst vertrauenswürdigen Kreditsuchenden bestenfalls nur noch gegen Einräumung von Eigentums-, Adjudikats- oder sonstigen Aussonderungsrechten Leihkapitalien überlassen wurden. Nach den gemachten Erfahrungen konnten Leihkapitalien eben nur dann als hinreichend gesichert gelten, wenn die als Sicherheit verschriebenen Liegenschaften von der Einbeziehung in das Konkursverfahren von vornherein ausgenommen blieben.

Besonders schädlich wirkten die Verhältnisse auf den auswärtigen Kredit, der schon damals für das mecklen-


76) Reskript vom 30. 9. 1769 an die Justizkanzlei in Rostock.
77) Denkschrift des F. W. Boye, Schwerin, vom 4. III. 1774.
78) Nach Boll a. a. O. S. 398 gab es 1776 in Mecklenburg-Schwerin 130 Advokaten.
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burgische Agrarwesen eine bedeutende Rolle spielte. Im 18. Jahrhundert hatten die mecklenburgischen Gutsbesitzer in ständig zunehmendem Maße aus den benachbarten Städten, wie Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Celle usw., Kredit bezogen. Die auswärtigen Geldgeber stellten aber jede weitere Kreditgewährung ein, da auch sie in den Konkursen große Ausfälle zu verzeichnen hatten.

Abschließend können wir zusammenfassen: Die lange Dauer der Kreditkrise ist vorwiegend eine Folge des mangelhaften Kreditrechts gewesen. War schon das Hypothekenrecht in seiner veralteten Form für die infolge der umwälzenden Wirtschaftsentwicklung erweiterten Kreditbedürfnisse völlig ungenügend, so muß das Landeskonkursrecht in seiner fragmentarischen Gestaltung als geradezu rückständig bezeichnet werden. Für eine Neubelebung des Agrarkredits wäre folgerecht in erster Linie eine grundlegende Reform des bestehenden Kreditrechts vonnöten gewesen. In welchem Maße diesem so dringenden Bedürfnisse Rechnung getragen worden ist, soll im folgenden Abschnitt gezeigt werden.

 

~~~~~~~~~~

 

III. Abschnitt.

Die Bestrebungen zur Beseitigung der Kreditnot.

1. Kapitel.

Versuch einer Reform des Kreditrechts.

1765 ließ der Schweriner Landesfürst auf dem Sternberger Landtag der Ritter- und Landschaft die Abstellung der überhandnehmenden Mißbräuche in den Debit- und Konkursprozessen zur patriotischen Erwägung empfehlen. Nach vorbereitender Tätigkeit zweier Kommissionen, die 1765 bzw. 1766 vom Landtag gewählt worden waren und aus ritter- und landschaftlichen Deputierten bestanden, wurde von einer weiteren ebensolchen Kommission zu Anfang des Jahres 1768 ein ausführliches Gutachten über die zur Wiederher-

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stellung des Kredits erforderlichen Maßnahmen ausgearbeitet.

Von den Vorschlägen des Gutachtens verdient derjenige über die Errichtung eines Hypothekenbuchs das weitaus größte Interesse, da er auf eine Verbesserung des Hypothekenrechts abzielte und eine Gesundung des ritterschaftlichen Realkredits herbeizuführen versprach. Die Kommission betonte mit Recht, daß für die Ritterschaft in ihrer Gesamtheit die Einführung eines Hypothekenbuchs nur nützlich sein könne, denn es müsse "dem Kredit notwendig zuträglich sein, wenn jeder auswärtige oder einheimische Creditor sofort mit Zuverlässigkeit die Überzeugung haben kann, daß er sein Geld sicher und wohl bestätiget habe und dasselbe zu aller Zeit ..... wieder erhalten kann". Wohl der größte Teil aller mecklenburgischen Güter sei bis zur Hälfte des Werts, aber auch ein wenig darüber verschuldet. Auf solche Güter werde nur dann Kredit gewährt werden, wenn die Besitzer ihre Vermögenszulänglichkeit, unter Beweis stellten. Dies könne aber nicht überzeugender als durch das Hypothekenbuch geschehen. Der Gläubiger würde dann sein Kapital 30, 40 und 50 Jahre ohne Kündigung stehen lassen.

Aber auch für die hochverschuldeten Gutsbesitzer sei das Hypothekenbuch eine Wohltat. "Sie können ihre Güter nicht ganz und gar und über den wahren Wert mit Schuld belästigen. Sie werden genötigt werden, je eher je lieber die besten Maßregeln zu nehmen, um sich aus dem Gedränge zu helfen, sich mit ihren Creditoribus zu setzen und auch wohl ein kleines Kapital zu ihrem künftigen Soutien zu retten. In 3 oder 4 Jahren würden sie doch ihre Güter verlassen müssen und in der Zeit sich selbst und ihre Creditores noch unglücklicher machen." Sie würden außer dem wenigen noch übrigen Vermögen auch noch Ehre und guten Namen verlieren.

Der von der Kommission vorgelegte Entwurf einer Hypothekenordnung enthielt nachstehende Richtlinien. Die Aufnahme eines Gutes in das Hypothekenbuch wird dem Eigentümer freigestellt. Das bei dem Hof- und Landgericht in Güstrow zu führende Buch erhält folgende Einrichtung. Die Güter werden mit genauer Bezeichnung alphabetisch in dem Buch aufgeführt. Jedes Gut erhält sein Folium. Darauf sind zu verzeichnen: der Eigentümer, das Anspruchsrecht, die Per-

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tinenzien, der Hufenstand (für das Gut und jedes Pertinens getrennt), die Taxe, die jährlichen Abgaben, ferner, ob es sich um ein Fideikommiß handelt bzw. ob ein Familienvertrag vorliegt, wie hoch die Gebäude in der (zu errichtenden) Brandkasse versichert sind, und schließlich Bürgschaften, Kautionen, gesetzliche Hypotheken und die übrigen Pfandrechte. Bei jedem Posten sind Münzsorte und Zinsfuß zu vermerken. Eintragungen in das Hypothekenbuch dürfen nur in Gegenwart des Gerichtspräsidenten durch den beeideten Buchhalter erfolgen. Für Güter, die bis zum Taxwert verschuldet sind, dürfen weitere Eintragungen nicht vorgenommen werden. Den Darlehnsgebern kann durch das Gericht schriftliche Auskunft über sämtliche für ein Gut erfolgte Eintragungen erteilt werden.

In geradezu radikaler Weise sollte das materielle Hypothekenrecht durch folgende Grundsätze verbessert werden. Mit Ausnahme der Eigentumsrechte werden für die in dem Hypothekenbuch eingetragenen Rechte keinerlei besondere Vorzüge gewährt. Die Rangordnung bestimmt sich lediglich nach der Zeitfolge der Eintragungen (System der zeitlichen Priorität). Alle nicht eingetragenen Rechte stehen den ingrossierten nach. Die in den schon bestehenden Hypothekenbüchern eingetragenen Vorzugsrechte, mit Ausnahme der Eigentumsrechte, erlöschen zwölf Jahre nach Inkrafttreten der Hypothekenordnung und rangieren alsdann nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Für die Taxation der Güter wurden nachstehende Richtlinien vorgeschlagen. Nach geschehener Vermessung erfolgt die Bonitierung von Acker, Wiese und Weide durch zwei rechtschaffene und tüchtige Landwirte, die zu beeiden sind. Die Abschätzung geschieht in Form einer Bonitierungstaxe 79 ). Auf den Scheffel Aussaat wird der beste Acker zu 75, der schlechteste bis zu 300 Quadratruten bonitiert; für ersteren wird auf den bonitierten Scheffel 32, für letzteren 8 ßl Ertrag gerechnet. Gartenland wird dem besten Ackerland gleichgesetzt. Bei Wiesen werden auf ein Fuder Heu 100 bis 300 Quadratruten gerechnet; das Fuder wird mit 1 Rtlr. in Anschlag gebracht. Die beste Weide wird zu 100, die schlechteste zu 500


79) Die Bonitierungsklassen stimmen ziffernmäßig mit den für die Errichtung des erbvergleichsmäßigen Hufenkatasters festgesetzten Größen überein.
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Quadratruten bonitiert und mit 24 bzw. 12 bis 8 ßl Ertrag bewertet. Hand- und Spanndienste werden für den Tag mit 6 bis 16 ßl bewertet. Erträge aus Fischereien usw. sowie Holzungen sind nach besonderen Gesichtspunkten zu schätzen und bei Festsetzung der Gutstaxe zu berücksichtigen. Der nach Abzug der öffentlichen Lasten usw. ermittelte Reinertrag wird mit 5 % kapitalisiert. Der so ermittelte Gutswert soll in erster Linie als Beleihungstaxe dienen.

Schließlich ist noch zu bemerken, daß die Vorschriften der Hypothekenordnung nur auf solche Güter Anwendung finden sollten, die im Hypothekenbuch aufgenommen waren.

Von den Vorschlägen des Gutachtens sind an dieser Stelle noch diejenigen über die Verbesserung des Konkurswesens zu erwähnen. Gegen den unverschuldet in Not Geratenen soll mit Nachsicht, gegen den böswilligen Falliten aber mit strengen Strafen vorgegangen werden. Zur gleichmäßigen Feststellung der schuldnerischen Vermögensunzulänglichkeit werden verschiedene Begriffsmerkmale in Vorschlag gebracht. U. a. soll ein rückständiger Schuldner dann nicht zu den Unvermögenden gezählt werden, wenn nach Abzug der fälligen Zinsen, der öffentlichen Lasten usw. noch soviel an Einkünften übrig bleibt, daß er seine Familie standesgemäß unterhalten kann. In Anbetracht der drückenden Zeiten wird für solche Schuldner ein Indult bis zu fünf Jahren für nötig erachtet. Ferner werden zahlreiche Vorschriften zur Beseitigung der bestehenden Mängel im Konkurswesen im Entwurf vorgelegt.

Über die Durchführung der gutachtlichen Vorschläge sollte der auf den 26. April 1768 anberaumte Landeskonvent mit Stimmenmehrheit entscheiden.

Kaum war das Gutachten in den Kreisversammlungen bekannt gemacht worden, als in zahlreichen Schriften gegen die Durchführung des Vorschlages Stellung genommen wurde. Ein auf dem Amtskonvent zu Güstrow verfaßtes Gutachten 80 ) machte den Anfang. Es wurde darin ausgeführt, daß die Notlage der Gutsbesitzer weniger in dem Kredit- als in dem Geldmangel begründet liege. Eine Reform des Kreditrechtes sei nicht erforderlich und ein Hypothekenbuch


80) Sammlung aller das Kreditwesen in Mecklenburg betreffenden Stücke 1765/68. Für die weitere Schilderung in diesem Kapitel bildet der Inhalt dieser Sammlung die Hauptgrundlage.
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für die mecklenburgische Ritterschaft "nicht anwendlich". Zur Vermehrung der Zahlungsmittel wird die Ablieferung des Silbergeschirrs an den Engeren Ausschuß gegen Ausgabe zinstragender Obligationen und die Aufnahme einer Auslandsanleihe auf den Landkasten in Vorschlag gebracht. Das Anleihekapital müßte von dem E. A. den Gutsbesitzern gegen ausreichende Sicherheit zu 5 % Zinsen ausgeliehen werden. Auch in den übrigen, meistenteils anonymen Schriften wird fast ohne Ausnahme die Einführung eines Hypothekenbuches abgelehnt. Vorgeschlagen wird ferner der Erlaß eines allgemeinen Indults nach dem Beispiele Preußens sowie die Gründung einer Leihebank 81 ), deren Fonds mittels einer Anlage auf die ritterschaftlichen Hufen und einer Auslandsanleihe zu beschaffen sei. Die Abneigung gegen die Einführung eines Hypothekenbuchs war deshalb so allgemein, weil mit ihr die Taxation der Güter verbunden war. Mit Rücksicht auf den gesunkenen Wert der Güter befürchtete man nicht ohne Grund, daß bei dem zu erwartenden niedrigen Ausfall der Taxen noch viele Güter in Konkurs geraten könnten, die sonst vielleicht die schlechten Zeiten überstehen würden. Wenn auch nach dem vorgeschlagenen Entwurf die Aufnahme der Güter in das Hypothekenbuch den Besitzern freigestellt bleiben sollte, so war doch damit zu rechnen, daß wegen des geschwundenen Vertrauens Kredit nur unter der Bedingung der Eintragung in das Hypothekenbuch weiterhin gewährt würde. Den meisten Gutsbesitzern erschien unter diesen Verhältnissen die Offenlegung ihrer Vermögensumstände gar zu gefährlich, und man war der Meinung, daß durch die Einführung eines Hypothekenbuchs der Kreditnot nicht abgeholfen werden könnte. Ferner wurde gegen die Einführung des Hypothekenbuchs eingewendet, daß die Landesfürsten "dadurch eine allzu große Kenntnis von den Kräften des Landes erhalten" würden 82 ), was in steuerlicher Hinsicht, besonders in Kriegszeiten, der Ritterschaft u. U. zum Nachteil werden könnte.

Man erblickte in den Vorschlägen des Gutachtens geradezu eine Gefährdung der im Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich sanktionierten Rechte der Ritterschaft. Der im April 1768 versammelte Landeskonvent wurde von einigen Landräten aus-


81) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766 '68.
82) Akte vom Kreditwesen in Mecklenburg 1766/68.
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drücklich auf diesen Umstand hingewiesen. "Wenn den Regenten einmal aus freiem Willen ein Gesetz angetragen wird, dadurch man sie zum Mobile des Kredits macht; wenn einmal öffentlich erklärt wird, daß das Hypothekenbuch das Mittel sein soll, durch welches der Landbegüterte zu Kapitalien kommen kann, so ist keine Rückkehr. In einem Lande, das noch Überbleibsel von republikanischem System hat, soll man so wenig als möglich sich zu Fertigung neuer Gesetze bereit finden lassen" 83 ). "Die Landesverfassung habe einen gewaltigen Stoß erlitten; die große Committe (Kommission, die das Gutachten verfaßt hat) habe solche untergraben wollen" 84 ). Auf dem Amtskonvent zu Güstrow wurde erklärt, daß das Hypothekenbuch der mecklenburgischen Freiheit widerstreite und den ehrlichen Mann, der wenig im Gute habe, gleich blutarm mache. Von anderer Seite wurden die Mitglieder der Kommission als "die größten Ignoranten in den Rechten und Vorzügen der Stände, als Unterdrücker der ritterschaftlichen Würde" bezeichnet. Ihre Arbeit zeuge von Zugrunderichtung des alten Adels, Erhebung des Bürgers, von gänzlicher Umgießung der Verfassung des Vaterlandes. Der Bürgerstand wolle sich aus den Ruinen der Ritterschaft vergrößern usw. 85 ). Für die Einführung des Hypothekenbuches wurde im Gegensatz zum vorhergehenden Jahre nur noch vereinzelt eingetreten.

In dem von einer ritter- und landschaftlichen Deputation verfaßten Votum decisivum, das dem Landeskonvent als abschließendes Gutachten über die Vorschläge der großen Kommitte vorgelegt wurde, wird von der Einführung eines allgemeinen Landeshypothekenbuchs abgeraten. Die Deputation erkennt zwar an, daß unter gewissen Voraussetzungen ein Hypothekenbuch nicht unanwendlich sein dürfte. In den "gegenwärtigen" Zeiten würden aus dieser Vorkehrung jedoch Nachteile erwachsen. Haupterfordernis sei, bares Geld herbeizuschaffen und in Umlauf zu bringen. Durch ein Hypothekenbuch würde das Gegenteil erreicht und auch die bestehende freie Ver-


83) Votum consultativum des Landrats v. Bassewitz auf Lühburg vom 28.4.1768.
84) Desgl. der Landräte v. Halberstadt und v. Holstein.
85) Die Zahl der bürgerlichen Gutsbesitzer in M. vermehrte sich in der Zeit von 1703 bis 1793 von 30 auf 111. Besonders nach dem Siebenjährigen Kriege gingen viele Güter in bürgerlichen Besitz über, Boll a. a. O. S. 323.
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schuldbarkeit der Lehnsgüter sehr beschränkt werden. Die Taxe endlich würde manchen wohlhabenden Besitzer ins Elend bringen. Ebenfalls wird der vorgeschlagene allgemeine Landesindult abgelehnt, da er besonders für den auswärtigen Kredit von schädlicher Wirkung sein würde. Die Deputation schlage nur solche Hilfsmittel vor, von denen die Versammlung ohne Landbuch und Taxe, ohne Indult und ohne die geringste Veränderung seiner alten politischen Verfassung Nutzen, bares Geld und Erleichterung für jetzt und künftig zuversichtlich erwarten könne. Dies seien die Aufnahme einer Auslandsanleihe von etwa 500 000 Rtlr. auf den Landkasten und die Verwendung alles überflüssigen Goldes und Silbers zur Münzprägung. Die Anleihe müsse durch den Engeren Ausschuß für 10 Jahre unkündbar mit anschließenden jährlichen Amortisationsquoten von 100 oder 50 000 Rtlr. aufgenommen werden. Von dieser Anleihe würde für jede katastrierte ritter- und landschaftliche Hufe unter gleicher Kündigungsfrist und entsprechender Amortisation 100 Rtlr. ausgeliehen werden. Dadurch käme sogleich eine große Summe Geldes in Umlauf, womit der allernötigste Besatz an Rindvieh, Schafen usw. beschafft werden könnte, ohne von den Wucherern abhängig zu sein. Die regelmäßige Verzinsung und Rückzahlung des Anleihekapitals müßte durch eine verfassungsmäßige Landesanlage auf die katastrierten Hufen sichergestellt werden. Im Schuld- und Konkurswesen müßten die alten Grundgesetze unverändert beibehalten werden.

Die Deputation empfahl diese Vorschläge der Ritter- und Landschaft mit dem Anraten, ein für allemal festzusetzen, "daß von nun an keine anderen Projekte zu einer allgemeinen Prüfung für annehmlich geachtet werden sollen, als solche, die der mecklenburgischen Freiheit nicht entgegen sind und sich auf ihre wohlhergebrachte Verfassung ... auf das genaueste anwenden lassen".

Diese Vorschläge wurden auf dem Landeskonvent in Rostock am 6. Mai 1768 einmütig angenommen. Die Errichtung eines Land- und Hypothekenbuchs wurde "gänzlich auf immer verworfen, um den dadurch den Nachkommen .... erwachsenden Nachteil abzuwenden und Freiheit und Grundgesetze ungekränkt und unumstößlich zu erhalten". Auch der allgemeine Indult wurde abgelehnt, "da zu befürchten, daß Auswärtige

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hiedurch noch mehr abgehalten werden möchten, ihre Gelder hier im Lande zu belegen" 86 ). Bezüglich der Anleihe wurde beschlossen, daß sie in Höhe von 500 000 Rtlr. unverzüglich und unmittelbar an der Quelle unter Führung des Engeren Ausschusses zu 3 bis 3 1/2 % versucht werden solle. Falls zu diesen Zinssätzen die Anleihe nicht zu beschaffen sei, hätten zwei durch Wahl zu bestimmende Beauftragte an der Quelle selbst die Negotiation zu betreiben. - Die landschaftlichen Deputierten erklärten, daß die Städte und deren Kämmereihufen an der Anleihe nicht teilnehmen würden; wegen ihrer ritterschaftlichen Hufen behielten sie sich aber noch die Entscheidung vor. Von der Ritterschaft des stargardischen Kreises (M.-Strelitz) waren nur zwei Deputierte anwesend. Diese erklärten, daß ihre Mitbrüder von der geplanten Anleihe nichts wüßten.

Die vorgeschlagene Ablieferung der Gold- und Silbergegenstände sollte jedem freigestellt bleiben. Bezüglich des Schuld- und Konkursrechtes endlich wurde beschlossen, daß es bei den bestehenden Gesetzen sein Bewenden haben solle.

Schon am 20. Mai 1768 beschloß der stargardische Kreis (Ritter- und Landschaft), der im Gegensatz zum Schweriner Land unter der Kreditnot nur wenig zu leiden hatte 87 ), an der Anleihe nicht teilzunehmen und, falls die Anleihe dennoch von den übrigen beiden Kreisen beschafft würde, zu verlangen, daß der Landkasten von dieser Sache jederzeit ausgeschlossen bleibe. Die ablehnende Haltung wurde in einer öffentlichen Druckschrift insbesondere damit begründet, daß der geplante Leihefonds nur privaten Zwecken 88 ) dienen solle, während der Landkasten nur für allgemeine Zwecke der Stände in Anspruch genommen werden dürfe. In dem Gutachten der großen Kommitte, das die Grundlage für die Wiederherstellung


86) Wenn Boll a. a. O. S. 550 ff. berichtet, daß in Mecklenburg von 1768 bis 1776 ein Indult bestanden hat, so muß er hierbei auf unzuverlässige Quellen (anscheinend auf die Schilderung von Hane, der von Boll auf S. 559 ff. zitiert wird) zurückgegriffen haben. Angaben über einen mecklenburgischen Indult nach dem Siebenjährigen Kriege, die in späteren geschichts- und wirtschaftswissenschaftlichen Werken zu finden sind, gehen wohl hauptsächlich auf das Bollsche Werk zurück.
87) S. S. 175/76.
88) Nach dem Beschluß des Landeskonvents sollte niemand verpflichtet sein, die 100 Rtlr. für eine Hufe anzunehmen. Hierdurch sollte aber die solidarische Haftung aller Hufen nicht berührt werden.
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des Kredits bilden sollte, sei der Plan einer Anleihe auf den Landkasten mit keinem Worte erwähnt. Mangels genügender Bekanntgabe dieses Planes sei der Beschluß des Landeskonvents ungültig. Der aufgestellte Grundsatz, daß durch Stimmenmehrheit entschieden werden könne, ob und wie hoch die Güter der Eingesessenen verpfändet werden sollen, müsse mit Nachdruck abgelehnt werden.

Ferner erhoben Widerspruch gegen die Aufnahme einer Anleihe auf den Landkasten: die Landschaft im Schweriner Lande, die Stadt Rostock, die ritterschaftlichen Eingesessenen der Ämter Crivitz, Grevesmühlen, Wredenhagen und Sternberg, die Eingesessenen der Ämter Grabow, Wittenburg und Mecklenburg sowie mehrere Gutsbesitzer aus anderen Ämtern. Sie alle traten der Auffassung des stargardischen Kreises bei. Vereinzelt wurden auch noch andere gewichtige Gründe gegen die Anleihe vorgebracht. Z. B. befürchtete man, daß der Verkauf eines Gutes unmöglich werde, weil es u. U. für eine Schuld bis zu 500 000 Rtlr. einschließlich Zinsen einstehen müsse. Da der Rang der bereits vorhandenen Schulden durch die zu übernehmende Haftung verschlechtert werde, hätten die hochverschuldeten Güter mit Kapitalkündigungen zu rechnen. Den Überschuldeten würden die 100 Rtlr. per Hufe keine Rettung bringen; der Konkurs ihrer Güter aber würde unnötig hinausgeschoben. Der Geldumlauf im Lande würde kaum vermehrt werden, da ein großer Teil der Anleihe für Beschaffung von Vieh und für Kapital- und Zinszahlungen nach auswärts abfließen werde. Bemerkenswert ist, daß besonders die vorgesehene Solidarhaftung viele zum Widerspruch gegen die Anleihe veranlaßte. Zu bedenken ist allerdings, daß ohne Rücksicht auf den Verschuldungszustand für jede Hufe 100 Taler gewährt werden sollten.

Schließlich wurde die beschlossene Anleihe im ganzen Lande fast ausnahmslos abgelehnt. Der Engere Ausschuß wurde auf dem Antekomitialkonvent vom 12. Oktober 1768 beauftragt, auswärtiges Kapital nur noch zu dem Zwecke aufzunehmen, um die dem Landkasten angeliehenen kleineren Kapitalien inländischer Herkunft abtragen zu können. Man hoffte, daß die frei werdenden Kapitalien das inländische Kapitalangebot zum Nutzen des kapitalbedürftigen Grundbesitzes wieder beleben würden. Von seiten vieler Landkastengläubiger

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wurde jedoch erklärt, daß sie ihr Geld "lieber in die Erde vergraben wollten, als sich den mecklenburgischen Konkursprozessen zu exponieren". Zweifellos war diese Auffassung richtig. Eine grundlegende Reform des Kreditrechtes wäre das erste Erfordernis gewesen, um den Kredit der Gutsbesitzer wiederherzustellen. Freilich waren die Befürchtungen des Adels, daß dabei eine völlige Verschiebung innerhalb des Grundbesitzes eintreten würde, ebenfalls berechtigt. Es wäre eben auch noch die Organisation des Kredits durch ein Kreditinstitut erforderlich gewesen, um durch Bereitstellung ausreichender Kreditmittel zu angemessenen Bedingungen besonders die gefährdeten Gutsbetriebe vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Den engen Zusammenhang zwischen Kreditrecht und -organisation hatte man noch nicht erkannt. Der mit so großer Schärfe geführte Meinungsstreit, ob die Kreditnot durch eine verbesserte Kreditgesetzgebung oder durch die Behebung des Geldmangels zu beseitigen sei, war durchaus müßig.

2. Kapitel.

Die Aufnahme einer ausländischen Anleihe auf den Landkasten.

Bereits im Juni 1768 waren zwei mit den Anleiheverhandlungen beauftragte Deputierte der Ritterschaft nach Holland abgereist. Der außerordentliche Kapitalreichtum dieses Landes schien für eine günstige Unterbringung der Anleihe die besten Aussichten zu bieten. Nach Baasch 89 ) gab es kaum ein europäisches Land, das nicht im Laufe der Zeit holländische Mittel in Anspruch nahm. Infolge des großen Geldüberflusses betrug der holländische Börsenzinsfuß um die Mitte des 18. Jahrhunderts 3 und 4 %. Der Mangel an Anlagemöglichkeiten in der heimischen Wirtschaft trieb das holländische Kapital in ungeheurem Umfange ins Ausland (England, Frankreich). Die großen Geldgeschäfte, die sich meist in Wechseln vollzogen, wurden von Kaufleuten vermittelt.

Nach der den mecklenburgischen Deputierten erteilten Instruktion sollte versucht werden, 500 000 Rtlr. in Neuen Zweidritteln oder in alten vollwichtigen Pistoletten, zahlbar in Hamburg, zu höchstens 4 % auf 10 Jahre aufzunehmen. Unter 5 % war jedoch damals in Holland kein Geld aufzu-


89) Holländische Wirtschaftsgeschichte, 1927, § 7.
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treiben. Alle auswärtigen Staaten, wie Österreich, Schweden, Dänemark, Rußland, Frankreich, Sachsen, Polen und selbst die holländischen Kolonien mußten bei besten Sicherheiten 5 % Zinsen für Anleihen zahlen. Nur die Bank von England nahm wegen ihrer anerkannt großen Sicherheit eine Vorzugsstellung ein. Zu 3 und 3 1/2 % ließ sie in Holland alle nur möglichen Beträge aufnehmen. So konnten die beiden Deputierten dem E. A. aus dem Haag nur berichten, daß in Holland zwar kein Mißtrauen gegen Mecklenburg bestände, aber es herrschte "jetzt unter allen Bankiers eine weit größere Behutsamkeit zu agiren als ehedem. Man hat hier fast von allen Provinzen, ja Königreichen die Wahl, auf Hypotheken Geld zu 5 und 6 % unterzubringen" 90 ).

Die Aussichten auf einen günstigen Abschluß verringerten sich noch mehr, als in der Amsterdamer Zeitung vom 28. Juli 1768 eine "übelgesinnte Notiz" über die Proteste vieler mecklenburgischer "Distrikte" gegen die auf dem Landeskonvent beschlossene Anleihe erschien. Um einer Erschütterung des Kredits begegnen zu können, übersandte der E. A. den Deputierten auf deren Ansuchen eine Aufstellung über den Schuldenstand des Landkastens, der sich damals auf rund 830 000 Rtlr. 91 ) belief. Schließlich wurden die Anleihegeschäfte einem Holländer namens Winter übertragen, da die Deputierten anscheinend der Schwierigkeiten nicht Herr wurden. Winter hoffte, die Anleihe in holländischen Gulden zu 4 % Zinsen bei einmaligen Unkosten von 1/2 % beschaffen zu können. Außerdem stellte er in Aussicht, die Zinsbeträge in Form von Getreidelieferungen entgegenzunehmen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen aber stellte sich heraus, daß unter einem Zinssatz von 5 % kein Geld zu erlangen wäre und die Unkosten 2 % ausmachen würden. Eine Anleihe zu diesen Bedingungen hielt der Engere Ausschuß für unvorteilhaft, zumal auch noch mit Verlusten bei der Realisierung der holländischen Wechselbriefe gerechnet werden müßte. Deshalb wurde die Anleihe suspendiert und beschlossen, durch einen Deputationskonvent über die weiter zu unternehmenden Schritte ent-


90) Acta, die seit 1767 entamierte Geldnegoce betreffend.
91) Die Landkastenschulden bestanden zu etwa 150 000 Rtlr. in kleineren Kapitalien. Die auswärtigen Gläubiger saßen u. a. in Hamburg, Altona, Lübeck, Lüneburg, Wismar, Celle, Schleswig, Berlin,. Stettin, Ratzeburg und Göttingen.
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scheiden zu lassen. Dieser erklärte sich gegen eine Anleihe in holländischen Gulden, da sie mit zu hohen Kosten verbunden sei. Darauf wandte sich Winter im August 1769 an den mecklenburgischen Landtag und verlangte eine Entschädigung, die ihm dann nach längerem Hin und Her in Höhe von 2 000 Rtlr. ausgekehrt wurde. An Reisekosten usw. für die beiden Deputierten wurden insgesamt 2 500 Rtlr. ausgezahlt.

1769 wurde dem E. A. eine Anleihe von 500 000 holländ. Gulden zu 4 1/2 % Zinsen auf 20 Jahre durch einen Bankier Pauli in Lübeck angeboten. Der E. A. lehnte es aber ab, in holländischer Münze anzuleihen.

1770/72 stand der E. A. wegen einer Anleihe von 600 000 Rtlr. zu 4 1/2 % Zinsen auf 20 Jahre mit einem Bankier Crosa in Genua bzw. dessen Gewährsmann in Leipzig (Prof. Richter) in Verhandlungen, die aber ebenfalls zu keinem Ergebnis führten, da die Anleihebedingungen im Laufe der Unterhandlungen immer ungünstiger wurden. Prof. Richter wurden als Ersatz für seine Auslagen 400 Rtlr. bewilligt.

1776 wurde dann nach weiteren inzwischen stattgehabten vergeblichen Anleiheversuchen mit den Bankiers W. Juran u. Fils, Greffulhe & Comp. in Amsterdam erfolgreich verhandelt. Zum Abschluß kam eine Anleihe von 200 000 holländ. Gulden zu 4 % Zinsen bei einer einmaligen Unkostenvergütung von 4 % und einer Kommission bei Rückzahlung des Kapitals von 1/2 %. Die Leihdauer des Kapitals war auf 20 Jahre bemessen; die Rückzahlung sollte anschließend in 10jährlichen Raten zu je 20 000 Gulden in Amsterdam erfolgen. Die Zinsen waren ebenfalls in Amsterdam zahlbar. Das Anleihekapital war in Wechselbriefen an die Bankiers C. Averhoff & von Scheven in Hamburg zu remittieren, die für die Umsetzung der Briefe in Neue Zweidrittel oder Gold die übliche Provision von 1/3 % und für die Übersendung des Geldes nach Rostock ebenfalls 1/3 % erhalten sollten. Die Amsterdamer Firma war von dem E. A. ermächtigt worden, die Anleihe in 200 Schuldverschreibungen zu je 1 000 Gulden unter Beifügung von Zinskoupons zu begeben, was auch geschah. Die Anleihe wurde in kleineren Posten nach und nach von Amsterdam nach Hamburg remittiert, um hier Kursverluste zum Nachteil des Landkastens zu vermeiden. Am 12. Mai 1777 wurde um Übersendung der ersten 20 000 Gulden ersucht; bis Mitte Januar 1778 war die

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Anleihe vollständig übermacht. In Hamburg wurden die Wechselbriefe in Neue Zweidrittel und Gold umgesetzt. Der Landkasteneinnehmer fand aber auch Gelegenheit, einige Wechselbriefe in Rostock anzubringen, so daß hierfür Provision und Porto gespart wurden. Die Rückzahlung der Anleihe wurde gemäß den vertraglichen Bedingungen bis zum Jahre 1807 durchgeführt.

Die Anleihe fand zur Abstoßung einiger hoch zu verzinsenden Schuldposten des Landkastens Verwendung. An den ursprünglich beabsichtigten Zweck, den Geldumlauf im Lande zu vermehren und dadurch eine Linderung der Kreditnot herbeizuführen, wurde nicht mehr gedacht, da z. Zt. des Abschlusses der Anleihe die Kreditkrise sich bereits ihrem Ende genähert hatte.

3. Kapitel.

Vorgeschlagene Maßnahmen zur Beseitigung des Geldmangels.

Als ein wesentlicher Grund für die damalige Notlage der Landwirtschaft wurde u. a. die verschwenderische Lebensweise des Adels angeführt, die häufig zu einer unproduktiven Verschuldung der Güter geführt hätte. Der Aufwand an prunkvoller Kleidung, Schmuckgegenständen und der Verbrauch an ausländischen Weinen, Spirituosen und anderen "Delikatessen" hätten sich seit 20 Jahren außerordentlich vergrößert, und die Spielsucht wäre zum allgemeinen Laster geworden 92 ). Eine Erklärung für die gesteigerte Lebenshaltung finden wir in dem allmählichen Aufschwung der mecklenburgischen Landwirtschaft seit den 30er und 40er Jahren, in dessen Verlauf die Güterpreise eine erhebliche Steigerung erfuhren und die Verschuldung außerordentlich erleichtert wurde 93 ). Daß dabei die aufgenommenen Kapitalien nicht immer produktiven Zwecken zugeführt worden sind, dürfte sehr wahrscheinlich sein. Anscheinend hat sich bis zum Siebenjährigen Kriege das Land überhaupt in einem Zustand steigenden Wohlstandes befunden; denn nach einem Aufsatz der Strelitzer nützlichen Beiträge (April 1768) 94 ) war auch "bei geringen Leuten die Pracht,


92) Votum consultativum der Landräte auf dem Landtage von 1766.
93) S. S. 172.
94) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 550 f.
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sonderlich in der Kleidung, bis aufs höchste gestiegen". "Es ist erstaunlich, was für eine Menge Kaffee ins Land gebracht wird. Es kann auch nicht anders sein, da geringe Leute, nicht allein Handwerker, sondern sogar schon Tagelöhner und Dienstboten, täglich ihren Kaffee trinken."

In zahlreichen Vorschlägen zur Behebung des Geldmangels, den man ja als die hauptsächliche Ursache der Kreditnot ansah, wurde angeregt, die Einfuhr von entbehrlichen Gegenständen zu unterbinden bzw. zu erschweren, um so dem Lande ungeheure Summen, die bisher ans Ausland gezahlt wurden, zu erhalten. Diesen Anregungen folgend, schlug die "große Kommitte" in ihrem Gutachten 95 ) vor, die Stände möchten vereinbaren, für gewisse Gegenstände, die als "luxuriös und im menschlichen Leben entbehrlich" bezeichnet wurden, ein Anschaffungsverbot auf 20 Jahre zu erlassen, um die "Balance zwischen den ein- und ausgehenden Geldern" herzustellen. Unter das Verbot sollten fallen: goldene oder silberne Tressen, Spitzen, Stickereien, Knöpfe usw., Rassestiere, schottische Perlen, feines Porzellan, alle teuren Spitzen und Samtstoffe, alle kostbaren schweren Stoffe, vergoldete Tische, Stühle usw., kostbare Tapeten, feine Kristalle, geschliffene oder vergoldete Gläser, Spiegel im Werte von über 30 Rtlr., Tische aus Marmor, Gemälde, Möbel aus kostbarem ausländischen Holz, wie Mahagoni, Ceder und Zuckertanne, usw. Der gemeine Mann (Bauern, Tagelöhner und Dienstboten) aber dürfte nur von einheimischen Handwerkern verfertigte Kleidungsstücke tragen. Die Durchführung dieser Vorschläge wurde auf dem Landeskonvent, besonders von seiten der ritterschaftlichen Deputierten, abgelehnt.

In einzelnen Schriften versuchte man nachzuweisen, daß Mecklenburgs Handelsbilanz außerordentlich ungünstig sei. Die zwar bedeutenden Einnahmen aus der Getreide- und Wollausfuhr blieben angeblich hinter den Ausgaben, die für die Einfuhr ausländischer Waren geleistet wurden, beträchtlich zurück. Die Handelsbilanz für die Stadt Rostock blieb beispielsweise im Jahre 1767 mit rund 300 000 Rtlr. passiv. Natürlich lassen sich aus einer einzelnen Handelsbilanz der Stadt Rostock noch keine Rückschlüsse auf die Gesamtbilanz des Landes ziehen. Man nahm aber damals wohl nicht ohne Grund


95) S. S. 194/95.
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an, daß Mecklenburg eine ungünstige Zahlungsbilanz hätte, und dachte dabei an die bedeutenden Zins- und Rückzahlungen für auswärts angeliehene Kapitalien. Eine statistische Erfassung des gesamten mecklenburgischen Handels war nicht möglich, da die Ritterschaft ihre Erzeugnisse unmittelbar, d. h. ohne Berührung der Zoll- und Lizenzstädte, ausführen durfte.

Im 18. Jahrhundert dominiert in Europa der Merkantilismus. Es nimmt daher nicht wunder, daß man auch in Mecklenburg die Geldnot mit durchaus merkantilistischen Maßnahmen beseitigen wollte. So finden wir Vorschläge zur Errichtung von Tuch- und Leinenfabriken, um die Produkte des Landes selbst verarbeiten zu können. Sogar an die Errichtung von Seidenfabriken wurde gedacht. Die so überhandnehmende Einfuhr von Mode- und Galanteriewaren, französischen und portugiesischen Weinen sowie von sonstigen entbehrlichen Dingen sollte verboten und die Einfuhr von Kolonialwaren mit Zöllen belegt werden, deren Erträge man den Fabrikanten als Prämien zukommen lassen wollte. Bei der Ausfuhr von Wolle sollte ein Zoll erhoben werden, um den inländischen Tuchfabriken genügend Rohstoff zu sichern. Da das Färben im Lande Schwierigkeiten machen würde, wären den Färbern Prämien und Abgabenfreiheit zuzubilligen. Vorgeschlagen wurden ferner Einfuhrverbote für Flanell, Fries, Serge, für grobe Tücher, Lederzeug, Leinwand usw., da diese Gegenstände im Lande wohlfeil, gut und in genügenden Mengen hergestellt würden. Als ein großer Schaden für das Land wurde der zunehmende Gebrauch von baumwollenen Waren erachtet, deren Einfuhr bei sorgfältigerer Herstellung des inländischen Leinens überflüssig wäre. Die Durchfuhr aller verbotenen und zollpflichtigen Waren sollte unter bestimmten Sicherungsmaßmaßnahmen (Druckfehler) erfolgen.

Über die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen fand ein Meinungsaustausch zwischen dem Landesherrn, dem E. A. und der Stadt Rostock statt, und dabei hatte es sein Verbleiben.

 

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IV. Abschnitt.

Die mecklenburgischen Agrarkreditverhältnisse im Vergleich zu den preußischen.

Die adligen Grundbesitzer in Preußen, vor allem in Schlesien, befanden sich nach dem Siebenjährigen Kriege in einer ähnlichen Notlage wie die mecklenburgischen. Die wirtschaftlichen Ursachen, die in Preußen zur Agrarkreditnot geführt hatten, waren von gleicher Art wie in Mecklenburg.

Die preußische Konkursordnung von 1748 bildete den Ausgangspunkt zu einer allgemeinen erheblichen Steigerung der Güterverschuldung. Die durch dieses Gesetz eingeführte Neuerung bestand darin, daß für die Rangordnung der Hypotheken nur noch der Zeitpunkt der Eintragung in das Hypothekenbuch maßgebend sein sollte. Damit wurde auch der Grundsatz, daß Restkaufgelder nach Ablauf einer bestimmten Frist ihres Vorranges verlustig gingen, aufgegeben. Hierdurch erlangten die sogen. ersten Hypotheken wegen ihrer außerordentlichen Sicherheit große Bedeutung. Waren die Grundstücke bis dahin mit Restkaufgeldern nur kurzfristig belastet gewesen, so waren durch die gesetzliche Neuregelung von nun an der hypothekarischen Dauerverschuldung die Wege geebnet worden. Tatsächlich erlebte der Dauerkredit einen ungeahnten Aufschwung, da die Zession von Kaufgeldhypotheken keine Schwierigkeiten mehr bereitete. Die Hypothek war verkehrsfähiger geworden und hatte gewissermaßen einen Markt bekommen 96 ). Durch die zunehmenden Kreditkäufe trat eine bedeutende Steigerung der Bodenpreise ein. Diese Umstände führten zu einer erheblichen Kauf- und Erbgeldverschuldung, zumal anlagesuchendes Kapital genügend vorhanden war. Die Verschuldung der Güter war also sowohl in Preußen als auch in Mecklenburg zu Beginn des Siebenjährigen Krieges ziemlich hoch. In beiden Ländern hatte den Gutsbesitzern Kredit in reichem Maße zur Verfügung gestanden. Waren in Mecklenburg ungeachtet der mangelhaften Ordnung des Hypotheken-


96) Weyermann a. a. O. S. 65.
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wesens die günstigen Kreditverhältnisse durch die Erfolge der intensiveren Betriebsweise herbeigeführt worden, so hatte in Preußen die neue Hypothekengesetzgebung, die eine zinsbare Daueranlage von Restkaufgeldern unter scheinbar sicheren Umständen ermöglichte, äußerst günstig auf die Kreditgewährung eingewirkt.

Wenn in beiden Ländern der Konjunkturniedergang nach dem Kriege zu einer so außerordentlichen Kreditnot führte, so hat das vor allem daran gelegen, daß die starke Hypothekarverschuldung (insbesondere Besitzkreditverschuldung) zu einem Zeitpunkt erfolgt war, wo die Güterpreise infolge spekulativer Einflüsse den Ertragswert überschritten hatten. Dies hatte eine übermäßig hohe Belastung der Güter zur Folge gehabt, die beim Eintritt ungünstiger Wirtschaftsverhältnisse nicht mehr tragbar war. Dazu kommt, daß die hypothekarischen Darlehen durchgehends kurzfristig kündbar waren. Auch in Preußen entstand unter den Hypothekengläubigern eine Panik, die zu massenhaften Kündigungen führte, so daß schließlich ein Generalindult erlassen wurde, der aber den Kredit völlig vernichtete. Bekanntlich wurde damals in Preußen zur Rettung des Grundbesitzes das erste Bodenkreditinstitut, nämlich die Schlesische Landschaft, gegründet (1770). Der Zweck dieser Kreditorganisation war, durch Ausgabe von Pfandbriefen, die auf den Inhaber ausgestellt waren, Mittel zur Beleihung der adeligen Güter zu beschaffen. Die Landschaft war gewissermaßen als Vermittlungsstelle für den kreditbedürftigen Grundbesitzer und den anlagesuchenden Kapitalbesitzer gedacht. Für die Sicherheit der Pfandbriefe hafteten die gesamten schlesischen Stände.

Der Erfolg der neuen Einrichtung war überraschend. Bei dem großen Geldzufluß konnte die Landschaft den Gutsbesitzern in ausreichendem Maße Mittel zur Ablösung hochverzinslicher Hypotheken zur Verfügung stellen. Beachtenswert ist, daß nun auch für die kleineren Kapitalien, Spargelder u. dgl., eine sichere Anlagemöglichkeit geschaffen worden war. Äußerlich war der Erfolg daran zu erkennen, daß über 400 schlesische Rittergüter, die schon zur Subhastation gestellt waren, ihren Besitzern erhalten blieben 97 ).


97) H. Mauer, Agrarkredit, Grundr. d. Sozialökonomie, III 1 Aa.
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Durch die Errichtung der Schlesischen Landschaft war der entscheidende Schritt zu einer bankmäßigen Organisation des Hypothekarkredits getan worden. Nach dem Vorbilde des schlesischen Instituts wurden etwas später auch für die Mark, für Pommern, West- und Ostpreußen ähnliche Anstalten geschaffen. Damit war in Preußen der Übergang vom Individualkredit zum organisierten Kredit vollzogen und die für den Agrarkredit unerläßliche Voraussetzung: Unkündbarkeit und möglichst geringe Verzinsung der Darlehen, praktisch erfüllt worden. Die Landschaften beliehen allerdings nur die adligen Güter. Das Kreditsystem war ständisch gebunden und hatte feudalkapitalistisches Gepräge 98 ). Diese Form der ständisch-genossenschaftlichen Kreditorganisation wäre der Eigenart des mecklenburgischen Großgrundbesitzes durchaus angepaßt gewesen. In den mecklenburgischen Kreditakten und Druckschriften aus der Zeit der Kreditkrise wird jedoch die Schlesische Landschaft überhaupt nicht erwähnt. Es ist daher anzunehmen, daß von dieser eigenartigen Schöpfung bzw. von deren segensreicher Wirkung damals in Mecklenburg nichts bekannt geworden ist. Im übrigen muß bezweifelt werden, daß in damaliger Zeit die Errichtung eines landschaftlichen Bodenkreditinstituts in Mecklenburg hätte zur Durchführung gelangen können. Wir haben gesehen, daß die im Jahre 1768 auf dem Landeskonvent beschlossene Anleihe in erster Linie wegen der vorgesehenen solidarischen Haftung aller Rittergüter abgelehnt wurde. Die von der Notlage nicht so sehr mitgenommenen Gutsbesitzer waren nicht gewillt, für ihre wirtschaftlich schwächeren Standesgenossen einzutreten. Ähnliche Bedenken mag es auch innerhalb der schlesischen Ritterschaft gegeben haben. Aber hier griff der absolutistisch regierte preußische Staat mit einer zielbewußten Kreditpolitik ein. So ist letzten Endes auch die Staatsform von entscheidendem Einfluß auf die Gestaltung der Agrarkreditverhältnisse gewesen.

Von dieser Seite betrachtet, lagen freilich die Verhältnisse in Mecklenburg gegenüber Preußen besonders ungünstig. Das Mitwirkungsrecht der Stände bei der Landesgesetzgebung erschwerte bzw. verhinderte vielfach den Erlaß neuer Gesetze. Trotz des außerordentlichen Notzustandes, dessen lange Dauer


98) H. Sieveking, Mittl. Wirtschaftsgeschichte, 1921, S. 88.
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im wesentlichen auf die mangelhafte Rechtsordnung zurückzuführen war, wurde im Wege der Gesetzgebung zur Besserung der Lage nichts Grundlegendes erreicht. Den so großzügig angelegten Versuch zur Reform des Kreditwesens sahen wir an der inneren Zerrissenheit der Stände scheitern. Von 1771 ab stand der Engere Ausschuß mit der landesherrlichen Regierung in Schwerin wegen des Erlasses einer Konkursordnung in Verhandlungen. Das herzogliche Ministerium verhielt sich aber ablehnend, "nachdem schon verschiedene vormalige Gebrechen beim Konkursprozeß per Rescripta mit Wirkung abgestellt worden". Landesherrliche Reskripte waren allerdings in nicht geringer Zahl erlassen worden, aber die Mißstände im Konkurswesen hielten unvermindert an. Deshalb bestand auch der E. A. auf Herausgabe einer Konkursordnung, zu der ein Entwurf dem Landesherrn bereits vorgelegt war, und gab zu erkennen, "gegen die Beeinträchtigungen der ritter- und landschaftlichen, im Erbvergleich versicherten Konkurrenz bei Erlassung neuer Gesetze allerhöchsten Orts Schutz zu suchen" 99 ). Hierauf (1773) lenkte der Landesherr wieder ein und gab dem E. A. bekannt, daß der Entwurf der sorgfältigsten Revision unterzogen würde, "um demselben alle menschenmögliche Vollkommenheit geben zu können". Im Jahre 1780 verhandelte man aber immer noch wegen der zu erlassenden Konkursordnung. In ähnlicher Weise wurden Vorschläge des E. A. zur Verbesserung des Hypothekenwesens abgetan, da eine Verminderung der Sporteleinnahmen zu befürchten stand. Ferner scheiterten Bestrebungen der stargardischen Ritterschaft zur Einführung eines " allgemeinen Schuld- und Hypothekenbuchs", weil zwischen Landesherrn und Stand keine Einigung erzielt wurde (1770).

So blieb denn in Mecklenburg auf dem Gebiete des Kreditwesens alles beim alten. Daß trotzdem in späteren Jahren der Kredit der mecklenburgischen Rittergüter einen ungeahnten Aufschwung nahm, hängt vorzüglich mit dem Eintritt außerordentlich günstiger Konjunkturen zusammen.

 

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99) Acta, die Verbesserung des Creditwesens betreffend.
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II. Teil.

Die Wiedererstarkung
des ritterschaftlichen Agrarkredits
in Mecklenburg (1776 bis 1805).

I. Abschnitt.

Günstige Konjunkturen
für die mecklenburgische Landwirtschaft.

Eingeleitet wird diese Periode des Aufschwungs durch den Erlaß einer landesherrlichen Konstitution vom 21. Mai 1776, betr. den Verkauf der Konkursgüter, wonach bei einem die Hälfte des Ertragswerts übersteigenden Gebote der Zuschlag erteilt werden mußte. Diese Maßnahme lockte viele Kauflustige von auswärts herbei, da ungeachtet des wirtschaftlichen Verfalls vieler Konkursgüter die Kaufgelegenheit eine äußerst günstige war. Die Kauflust hielt auch weiter an, nachdem mit Reskript vom 19. I. 1778 angeordnet worden war, daß der Zuschlag bei einem Gebote von weniger als zwei Dritteln des Ertragswerts nicht erfolgen sollte. In den Jahren 1775/79 wurden insgesamt 39 Güter zu außerordentlich wohlfeilen Preisen verkauft und in den Jahren 1780/84 insgesamt 96 Güter zu etwas höheren Preisen, die wohl auf die verstärkte Nachfrage zurückzuführen sind 100 ). Damit waren die "dem ganzen Landeskörper gleichsam abgestorbenen Konkursgüter" einer ordentlichen Bewirtschaftung wieder zugeführt worden. Überdies war die Zeit der vielen Konkurse von erzieherischem Einfluß auf die Gutsbesitzer gewesen. Durch Fleiß, Sparsamkeit und verbesserte Kultur der Äcker suchte man seinen Kredit zu erhalten. Die Einführung der Koppelwirtschaft nahm zu, da sie erfahrungsgemäß ein sicheres Mittel zur Erzielung höherer Roherträge war. Der Wucher, unter dem die Gutsbesitzer so lange zu leiden hatten, nahm ab, und der Zinssatz ging im allgemeinen auf 5 % zurück.


100) S. Anlage Nr. 1.
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Von größter Bedeutung war, daß der Absatz der Landesprodukte durch verschiedene Umstände erheblich gefördert wurde. Während des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1776/83) wurde mecklenburgisches Holz in gewaltigen Mengen nach England und Holland ausgeführt 101 ). von (Druckfehler) Langermann berichtet hierüber (1787) 102 ): "Der Holzhandel nähert sich in Mecklenburg sowie in allen angrenzenden Provinzen seinem Ende, nachdem die Seekriege in den letzten 30 Jahren und der Wetteifer der Mächte, ihre Marine in fürchterlichen Stand zu setzen, einen so starken Absatz alles zum Schiffbau tauglichen Holzes veranlaßt haben. Mecklenburg hat sehr ansehnliche Summen baren Geldes, besonders in dem letzten (amerikanischen) Kriege für Holz gelöset. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß der Kern der Eichen- und Tannenhölzungen dahin sei." Der bayrische Erbfolgekrieg (1778/79) aber verschaffte dem Lande dadurch bedeutende Einnahmen, daß "eine ansehnliche Menge Pferde für bares Geld aufgekauft wurden" 103 ).

Ausschlaggebend für den Aufschwung der mecklenburgischen Landwirtschaft aber war die zunehmende Getreideausfuhr. Der Getreidebau stellte in Mecklenburg den Hauptzweig der landwirtschaftlichen Produktion dar, und die Rentabilität der mecklenburgischen Gutswirtschaft hing in erster Linie von der Ausfuhr der beträchtlichen Getreideüberschüsse ab. Eine wesentliche Förderung erfuhr die mecklenburgische Getreideausfuhr durch die Ausdehnun des Hamburger Zwischenhandels mit Getreide 104 ). Hamburg nahm in steigendem Maße Anteil an der Getreideversorgung Englands, das infolge der rasch zunehmenden Industriebevölkerung seit 1765 der Getreideeinfuhr bedurfte. "Mit den Jahren 1771/72 erweiterte Hamburg seinen Getreidehandel immer mehr. Bei allen seinen Spekulationen und Kommissionen wandte es sich in der Folge zunächst nach Holstein, Magdeburg, Halberstadt, Hildesheim, Braunschweig und vorzüglich mit nach Mecklenburg, insonderheit als in diesem der Ertrag an Getreide jährlich zunahm. Dadurch gewann das letztere vorzüglich einen so einträglichen und leichten oder schnellen


101) v. Ferber a. a. O. § 63.
102) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 561.
103) Zimmermann a. a. O. § 12.
104) Norrmann, Die Freiheit des Getreidehandels, 1802, S. 230 ff.
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Anteil an allen dem Getreidehandel günstigen Konjunkturen" 105 ). Die Ausfuhr nach Hamburg erfolgte überwiegend von Boizenburg sowie zum geringeren Teil von Lauenburg und Dömitz aus. Der Transport nach Hamburg elbabwärts dauerte 2 bis 3 Tage.

Über Rostock, zum Teil auch über Wismar, erfolgten die Getreideausfuhren nach Dänemark, Schweden und Norwegen 106 ). Nach dem amerikanischen Kriege aber wandte sich der hamburgische und holländische Kommissionshandel auch diesen Städten zu. "Der neu angelegte Holsteinische Kanal 107 ) erleichterte und beförderte dies bald hernach ungemein." "Eben daher konnten nun die Holländer und Hamburger bei der Fahrt durch denselben die Konjunkturen, welche sich beim Getreidehandel oft so leicht und bald verändern, in solchen Zeiten weit länger und sicherer benutzen; sie konnten sich überdem mit Vorteil vieler kleinen holländischen Schiffe (Tjalken u. a.) dazu bedienen, die teils wegen der wohlfeileren Fracht, teils durch andere Bequemlichkeiten und Vorzüge dazu so brauchbar sind und den Getreidehandel vorzüglich erleichtern. Rostock und Wismar, die dem Kanal so nahe sind, wurden daher von den Hamburgern und Holländern ebenfalls bald durch Einkaufskommissionen zu ihren Unternehmungen im Getreidehandel fortdauernd benutzt" 108 ).

Unter der Einwirkung dieser günstigen Verhältnisse waren die Jahre 1776/89 für die mecklenburgische Landwirtschaft eine Zeit der Erholung. Gekennzeichnet wird diese Periode durch die zunehmende Einführung der Koppelwirtschaft und die damit verbundene Steigerung der Getreideproduktion sowie durch gesicherten Absatz bei mittelmäßigen, aber stetigen Preisen. Geldmangel und Kreditnot waren überwunden. Der Zinsfuß betrug 5 % und bei besten Sicherheiten 4 %. Der auswärtige Kredit war wieder hergestellt. Die Preise für Landgüter standen gegen Ende dieses Zeitraums doppelt so hoch wie zu Anfang. Mit Recht bezeichnet Zimmermann 109 ) diese Periode als die glücklichste für Mecklenburg.


105) Norrmann a. a. O. S. 256.
106) Weitere Ausfuhrplätze für mecklenburgisches Getreide waren Lübeck, Demmin, Wolgast, Anklam und Fürstenberg.
107) Die Eröffnung des Eiderkanals erfolgte im Oktober 1784.
108) Norrmann a. a. O. S. 257/58.
109) A. a. O. § 12.
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Mit Ausbruch der französischen Revolution begann für die mecklenburgische Landwirtschaft eine Zeit der Hochkonjunktur, wie man sie in diesem Lande nie zuvor erlebt hatte. Frankreich stand infolge Getreidemangels vor einer Hungersnot. "Necker ließ nun in allen größeren Häfen an der Nord- und Ostsee mit einem Aufwande von vielen Millionen Getreide für königliche Rechnung aufkaufen, um Frankreich damit zu versorgen .... Die Aufträge zum Ankauf wurden zum Teil nach Amerika, vorzüglich aber mehreren Kaufleuten in Hamburg und Amsterdam gegeben. Die letzteren suchten nun an allen Orten einer dem anderen zuvorzukommen, machten die Konkurrenz und Nachfrage dadurch um so dringender, verteuerten das Korn überall .... Überdem hatte schon Necker selbst durch die fürchterliche Beschreibung der in Frankreich herrschenden Hungersnot und seinen öffentlich angekündigten Ankauf des Getreides .... die Preise schon zum voraus überall in die Höhe getrieben. .... Nach manchen Orten waren die Bestellungen durch mehrere Korrespondenten zugleich und zu uneingeschränkten Preisen gegeben. Die Amsterdamer Kaufleute machten daher z. B. wieder Bestellungen in Hamburg; dadurch wurden die französischen Kommissionen (Aufträge) so zwecklos und übertrieben vervielfältigt; noch mehr aber trieb die große Konkurrenz der Käufer die Preise dadurch aufs äußerste, daß die Kommissionäre bei den uneingeschränkten Aufträgen wenig Rücksicht auf ihre Kommittenten nahmen, da sie ihre großen Vorteile bei dem teuern Einkauf hatten" 110 ) 111 ). Mecklenburg hatte eine sehr gute Ernte gehabt und war ferner noch im Besitze von großen Getreidevorräten aus dem Vorjahre. Der milde Winter gestattete einen ununterbrochenen Getreidetransport auf der Elbe und durch den Eiderkanal. Die in Mecklenburg erfolgten Getreidebestellungen konnten deshalb restlos zur Ausführung gelangen. Die Getreideausfuhr Boizenburgs stieg im Jahre 1789 gegenüber dem Vorjahre für Weizen von 986 auf 3587 Wispel und für Roggen von 3602 auf 5353 Wispel. Auch in Rostock und Dömitz hatte die Ge-


110) Norrmann a. a. O. S. 67/68.
111) S. auch G. Bourgin, Die französische Revolution, Stuttgart 1922, S. 165/66.
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treideausfuhr eine Steigerung erfahren 112 ). Der Rostocker Weizenpreis stieg 1789 gegenüber dem Vorjahre von 41 Schilling auf 1 Rtlr. 10 Schlg. per Scheffel 113 ).

Die günstige Konjunktur in Mecklenburg dauerte fort. Infolge schlechter Ernten mußte England in erhöhtem Maße Getreide einführen (1790 und 1792) 114 ). 1794 fiel in Norddeutschland die Ernte ungünstig aus, so daß für Danzig und die übrigen preußischen Ostseehäfen die Getreideausfuhr verboten und damit auch das polnische Getreide vom Markt ferngehalten wurde 115 ). Dazu kam der infolge der Koalitionskriege gesteigerte Getreidebedarf Frankreichs, Englands usw. "Mecklenburg, welches immer jedem Käufer offen stand, gab daher für die ungemein großen Kommissionen und Spekulationen der Hamburger und Holländer wieder das meiste; ebenso Holstein und andere fruchtbare Landstriche sehr vieles; alle diese aber wegen der hohen und dringenden Nachfrage häufig nur zu den höchsten Preisen, die man bis dahin erlebt hatte ... Ein ebenso seltener Umstand war die lange Fortdauer dieser Konjunkturen während zweier Jahre (1795 bis 1797), die in Mecklenburg eine Ausfuhr und eine Lebhaftigkeit des Getreidehandels bewirkte, wie es sie nie gehabt hatte, denn die hohen Preise gewährten auch den entferntesten Gegenden bei einem weiten Landtransport noch immer große Vorteile. . . . Nach der kurzen Zwischenzeit eines einzigen Jahres folgten nun dieser gewinnreichen Periode schon mit dem Jahre 1799 wieder so viele günstige Ereignisse, wie sie sich fast nie zum Vorteil des Produktenhandels eines Landes vereinigt haben. ... Wegen schlechter Ernten und ungemein großer Bedürfnisse zu den fortdauernden Kriegsrüstungen . . . stieg der Mangel und die Teurung in England so sehr, daß dieses die Einfuhr fremden Getreides aufs äußerste begünstigen 116 ) und die ungemein große zu seiner Konsumtion erforderliche Menge zu den


112) S. Anlage Nr. 4.
113) S. Anlage Nr. 2. Über die Boizenburger usw. Getreidepreise konnte nichts ermittelt werden. Es ist jedoch anzunehmen, daß die Boizenburger Preise höher waren als die Rostocker. Zu vgl. die Preise auf den Anlagen 2 und 3 von 1791 ab.
114) Naudé, Die Getreidehandelspolitik der europäischen Staaten, Acta Borussica, 1896, S. 130/31.
115) Norrmann a. a. O. S. 261.
116) Anm. d. Verf.: und zwar mittels Einfuhrprämien. S. Norrmann a. a. O. S. 90.
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höchsten Preisen aufkaufen mußte 117 ). Portugal, Spanien, Holland, Norwegen und Schweden hatten ebenfalls eine große Zufuhr nötig. . . . Die Furcht vor Mangel veranlaßte nun dabei fast überall noch mehrere oder strengere Ausfuhrverbote, wozu in Deutschland auch eine für viele Gegenden ungünstige Ernte manches beitrug. . . . Die große getreidereiche Ostseeküste ward nun noch mehr verschlossen als bisher. Mecklenburg war nun eins der wenigen ganz offenen Länder und ein Hauptmarkt für den Ankauf aller übrigen, die Zufuhr nötig hatten, vorzüglich für England. . . ." 118 ).

Die Wirkung dieser Verhältnisse auf die Getreidepreise in Mecklenburg war eine außerordentliche. Die Boizenburger Weizenpreise standen während dieses Zeitabschnittes ständig über einen Rtlr. per Scheffel, und in den Jahren 1795/96 und 1800 bis zum Schluß dieser Periode erreichten sie eine Höhe von 2 bis 2 1/2 Rtlr. und mehr. Auch für Roggen wurden zeitweise erstaunlich hohe Preise erzielt 119 ). Die Preisentwicklung in Rostock und Wismar blieb hinter derjenigen in Boizenburg etwas zurück 120 ), da die erstgenannten Städte für den Verkehr nach dem Westen nicht so günstig lagen. Im ganzen gesehen waren die mecklenburgischen Weizenpreise während dieser einzigartigen Konjunktur auf das Doppelte bis Dreifache gestiegen. Nach Zimmermann 121 ) war seit der sranzösischen (Druckfehler) Revolution das Getreide der Hauptgegenstand der kaufmännischen Spekulation. Aber auch der Landmann spekulierte durch Zurückhalten des Getreides auf höhere Preise, wozu ihm der gestiegene Wohlstand die Mittel verlieh.

Um 1800 rief die gewaltige Ausfuhr von Getreide und Lebensmitteln in Mecklenburg eine regelrechte Teurung hervor. Infolge des zweijährigen Mißwachses in England gelangte neben Weizen auch Roggen, "das Subsistenzmittel des gemeinen Mannes", in erheblichen Mengen zur Ausfuhr. Der


117) Anm. d. Verf.: Mecklenburg hat in den Jahren 1796 und 1798/99 gute Ernten und in den Jahren 1795 und 1803 sehr gute Ernten gehabt. S. Festgabe zur Feier der 22. Versammlung deutscher Land- und Forstwirte. Schwerin 1861. Graphische Darstellung der Ernten Mecklenburgs von 1794 bis 1825.
118) Norrmann a. a. O. S. 260 ff.
119) S. Anlage Nr. 3.
120) S. Anlage Nr. 2.
121) A. a. O. § 34.
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Preis für Roggen stieg auf 2 Rtlr. und für Gerste auf 1 Rtlr. 12 Schlg. per Scheffel 122 ). Ebenfalls nahm die Ausfuhr von Fettwaren nach England einen gewaltigen Umfang an. Rostock führte allein an Butter im Jahre 1800 640 000 Pfund aus 123 ). In Rostock kam es wegen der Teurung zu einem Aufstande, der "Butterrevolution" genannt wird, weil u. a. auch ein Buttermagazin geplündert wurde.

So vorteilhaft und beglückend diese Konjunktur für die mecklenburgische Landwirtschaft im großen ganzen gewesen sein mag, in einer Hinsicht war sie es nicht. Die anziehenden Preise der mecklenburgischen Rittergüter machten diese zu einem Spekulationsobjekt ersten Ranges, was sich in der Folge höchst nachteilig ausgewirkt hat.

 

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II. Abschnitt.

Die Güterspekulation infolge der günstigen Konjunkturen.

Zunächst soll dargelegt werden, welche Entwicklung die Preise der mecklenburgischen Lehnsgüter 124 ) während des hier behandelten Zeitabschnittes durchmachten. Der Durchschnittspreis der Hufe für die Jahre 1775/79 betrug annähernd 6000 Rtlr. 125 ), (Druckfehler) Zu bemerken ist, daß es sich hierbei um einen außergewöhnlich niedrigen Preis handelt, der seine Erklärung in dem Verschleudern der Konkursgüter findet 126 ). In den beiden nächsten fünfjährigen Zeiträumen steigt der Durchschnittspreis auf rund 7000 bzw. 10 000 Rtlr. Diese Ziffern kennzeichnen die Zeit der Erholung für die mecklenburgische Landwirtschaft. Mit Eintritt der Hochkonjunktur im Jahre 1789 setzt dann ein ununterbrochenes gewaltiges Steigen der Güterpreise bis zum Jahre 1804 ein. Die fünfjährigen Durch-


122) H. Westphal, Die Agrarkrise in Mecklenburg in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, 1925, S. 44.
123) O. Vitense, Geschichte von Mecklenburg, 1920, S. 361.
124) Die mecklenburgischen Rittergüter waren vorwiegend Lehnsgüter. Nach der "Festgabe" von 1861 machten noch damals die Lehnsgüter zwei Drittel aller Rittergüter aus.
125) S. Anlage Nr. 1.
126) S. S. 213.
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schnittspreise per Hufe klettern von rund 13 500 auf 19 000 und 24 000 Rtlr. Die Preise der Allodialgüter zeigen eine ähnliche Entwicklung 127 ).

Von den Ursachen, die zu dem ungewöhnlichen Steigen der Güterpreise geführt haben, stehen an erster Stelle die hohen Getreidepreise und die vermehrten Absatzmöglichkeiten, die im vorigen Abschnitt näher erörtert worden sind. Eine gewisse Bedeutung kommt aber auch den Maßnahmen zu, die zu einer tatsächlichen Wertsteigerung der Güter geführt hatten. Nach von Ferber 128 ) wurden die während der günstigen Konjunktur erzielten Gewinne großenteils zu Meliorationen verwendet, da der hohe Stand der Getreidepreise eine hohe Verzinsung solcher Kapitalanlagen versprach und das meliorierte Gut auch zu einem um so höheren Preis verkauft werden konnte. Karsten 129 ) berichtet in diesem Zusammenhang von der Beseitigung großer Waldungen, von der Trockenlegung vieler Sümpfe und Moräste und von der Abzapfung großer Seen und Gewässer. Auch in der Art und Weise der Bodennutzung wurden Fortschritte gemacht. Während der Hochkonjunktur vollendete sich im Schwerinschen die Durchführung der Schlagwirtschaft. Zum Zwecke einer rationellen Rindviehhaltung war der Kleebau in zunehmendem Maße eingeführt worden, so daß er im Jahre 1804 fast allgemein war 130 ). Der Kartoffelbau hatte seit den 70er Jahren immer größeren Umfang angenommen, da man von diesem Zeitpunkte ab zu der feldmäßigen Bestellung dieser Frucht überging 131 ). Auf den Roggenbau dagegen haben die Konjunkturen nach Zimmermann 132 ) ungünstig eingewirkt. Die hohen Weizenpreise bildeten naturgemäß einen starken Anreiz zur Steigerung der Weizenproduktion, und man zog vielfach - nicht immer mit Nutzen - das mittelmäßige, bis dahin mit Roggen bebaute Land zum Weizenbau heran und vernachlässigte den Roggenbau. Ferner suchten die Gutsherren eine Ertragssteigerung durch Einziehen von Bauernland herbeizuführen. Nach Boll 133 )


127) S. Anlage Nr. 1.
128) A. a. O. § 63.
129) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 45.
130) O. Mielck a. a. O. S. 14.
131) Desgl. S. 15.
132) A. a. O. § 18.
133) A. a. O. S. 590 ff.
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wurde während der Zeit der Hochkonjunktur das Bauernlegen in stärkstem Maße betrieben. Das Niederlegen einzelner Bauernstellen sowie das Verlegen von dem guten auf den schlechten Acker war nach § 334 Erbvergleichs erlaubt. Das Legen ganzer Bauerndörfer war zwar verboten, aber für die Umgehung dieses Verbotes "fanden verschlagene Köpfe Rat". Nach Paasche 134 ) betrug die Zahl der bäuerlichen Wirtschaften in den ritterschaftlichen Ämtern von Mecklenburg-Schwerin:

1794  . . . . . . . . 1196;
1800  . . . . . . . . 1086;
1810  . . . . . . . . 1017;
1815  . . . . . . . . 993;
1820  . . . . . . . . 980.

Auf den ritterschaftlichen Gütern des Strelitzer Landes gab es im Jahre 1798 nur noch 139 Bauern und 16 Kossaten 135 ).

Die außerordentlich günstigen Absatzverhältnisse für Getreide usw., die Kulturverbesserungen und die Erweiterung des Hoffeldes waren aber nicht die alleinigen Ursachen des gewaltigen Steigens der Güterpreise. Die "Übersicht der Kaufpreise der ritterschaftlichen Güter und der Getreidepreise von 1770 bis 1878 läßt erkennen, daß in den Jahren 1790/99, also während der Hochkonjunktur, die Güterpreise im Vergleich zu den Getreidepreisen ungleich stärker gestiegen sind. Diese Tatsache findet ihre Erklärung in dem umfangreichen spekulativen Güterhandel, der während dieses Zeitabschnittes stattfand.(Druckfehler) von Ferber schreibt 1796 136 ), daß die mecklenburgischen Landgüter "eine Ware geworden zu sein scheinen, mit der man wie mit einer jeden anderen handelt; die man heute kauft und morgen mit einem Gewinn von mehreren Tausenden wieder verkauft; die oft schon in einem Jahre durch mehrere Hände gehen". Der Umfang dieses Güterhandels wird durch die hohe Zahl der getätigten Gutsverkäufe veranschaulicht. In den Jahren 1790/94 betrug die Zahl der in Mecklenburg-Schwerin verkauften Lehnsgüter 140, in den folgenden fünf Jahren 187 und von 1800 bis 1804 sogar 213 137 ). Insgesamt wurden in diesen


134) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 103/04.
135) Boll a. a. O. S. 596.
136) A. a. O. S.1.
137) S. Anlage Nr. 1.
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15 Jahren 588 Gutsverkäufe bei einem Gesamtbestand von rund 700 Rittergütern getätigt. Den Anlaß zu dieser ausgedehnten Spekulationsbewegung gab die vorherzusehende günstige Konjunkturentwicklung für die mecklenburgische Landwirtschaft. Mecklenburg lag weit ab von dem damaligen Kriegsschauplatz; auch sonst bestand für dieses Land keine Kriegsgefahr. Andererseits war die Verkehrslage Mecklenburgs zu den meisten kriegführenden Staaten (England, Holland und Frankreich) günstig. Daher erwartete man begründeterweise, daß der Absatz und die Preise für Getreide mit Rücksicht auf den erhöhten Bedarf der kriegführenden Länder beträchtlich steigen würden. Damit aber war die Aussicht auf steigende Güterpreise und auf eine Vermehrung der Geldmenge bei gleichzeitigem Sinken des Zinsfußes gegeben. Tatsächlich traten dann auch diese Verhältnisse - wie erwartet - ein.

Nach Zimmermann 138 ) war der Güterhandel gleich im Anfang eine so vorzügliche Erwerbsquelle, daß er bald zu einer ausgedehnten Spekulation führte. Leute aus allen Ständen und Berufen, die das nötige Kapital besaßen oder auftreiben konnten, kauften zu hohen Preisen Güter, um sie mit Vorteil alsbald wieder zu verkaufen. Die oft in kurzer Zeit erzielten großen Gewinne reizten zur Nachahmung an. Immer mehr Güter wurden in den "Strudel des Güterhandels" hineingerissen, und beim Ankauf wurde weniger auf den Ertragswert als auf die Wahrscheinlichkeit eines vorteilhaften Wiederverkaufs Rücksicht genommen. Durch die große Nachfrage seitens so vieler Kauflustigen wurden die Güterpreise ununterbrochen in die Höhe getrieben. Gefördert wurde die steigende Preisentwicklung durch Pachtangebote zu den höchsten Summen.

Hinzu kommt, daß es an Kapital zu Spekulationszwecken nicht fehlte. Außer den großen Konjunkturgewinnen standen bedeutende Kapitalien aus dem Auslande zur Verfügung. Hane

z. B. berichtet hierüber: "1793 und in den nächstfolgenden Jahren strömten französische, niederländische und holländische Emigrierte nach Hamburg hin, und unter diesen reiche Leute, die schon vorher einen Teil ihrer Barschaften dahin gebracht hatten. Und da fanden sich bald Leute, die von dorther gegen Negocegebühren usw. manches Bächlein nach Mecklenburg ab-


138) A. a. O. § 41.
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zuleiten wußten und so den Kauflustigen aushalfen; die Emigrierten waren froh, vor der Hand nur ein paar Prozente zu genießen" 139 ). Auch v. Ferber 140 ) und andere berichten, daß viel auswärtiges Kapital (besonders aus den kriegführenden Ländern sowie aus Kurhessen, Braunschweig und Hannover) zu geringen Zinsen in Mecklenburg angeboten wurde und bei der Güterspekulation Verwendung fand. "Wer erinnert sich nicht noch lebhaft," so schreibt Zimmermann 1804 141 ), "der großen Geldzuströmungen oder Geldflut und des dadurch entstandenen Geldgewühls, z. B. in den Jahren 1789, 1796 und 1800?" Infolge des erhöhten in- und ausländischen Leihkapitalangebots sank der Hypothekenzinsfuß allgemein auf 4 % und darunter. Die Verhältnisse brachten es mit sich, daß selbst gegen unzulängliche Sicherheit Kredit gewährt wurde.

Schließlich artete der Güterhandel in eine regelrechte Schwindelei aus. "Man erfand die wichtige Kunst, ohne Geld Güter zu kaufen" 142 ). Zimmermann gibt in ironischer Weise hierzu eine Anleitung und läßt uns wissen, welcher Praktiken sich die "Landjobber" in damaliger Zeit bedienten. Man kaufe ein Gut, ohne sich um dessen Ertragswert zu kümmern; lasse alles Holz, auch das unentbehrliche, abhauen; errichte einen fingierten Pachtvertrag, worin die Pachtsumme möglichst hoch angesetzt wird; errichte ein Hypothekenbuch; lasse das Gut zum doppelten Einstandspreis taxieren 143 ) und nehme auswärts eine Hypothek in Höhe des halben Taxwertes auf. Dies wird nicht schwierig sein, wenn man den Gläubigern die erste Hypothek anbietet und sich verpflichtet, das Gut mit weiteren ingrossierten Schulden nicht zu belasten. Nach Zimmermann ist auf diesem Wege für manches Gut das volle Kaufgeld im Auslande angeliehen worden. Welche Blüten dieser "Schwindelgeist" trieb, mag daraus ersehen werden, daß u. a. für das Gut Thelkow (Amt Gnoien), das 1789 für 55 350 Rtlr. verkauft worden war, im Laufe der nächsten Jahre nach mehr-


139) Zitiert bei Boll a. a. O. S. 587.
140) A. a. O. § 63.
141) A. a. O. S. 29.
142) Desgl. § 62.
143) Da man in Mecklenburg weder Taxvorschriften noch beeidigte Taxatoren kannte, waren so willkürliche Taxationen, besonders in Zeiten günstiger Konjunktur, wohl möglich.
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maligem Besitzwechsel ein Preis von 215 200 Rtlr. erzielt wurde 144 ).

Die Auswirkung der Güterspekulationen bzw. des häufigen Besitzwechsels auf die Verschuldung war für einen erheblichen Teil des ritterschaftlichen Grundbesitzes eine außerordentliche. Die meisten Spekulationskäufe waren Kreditkäufe gewesen und zu Preisen getätigt worden, die den Ertragswert der Güter, ungeachtet der hohen Produktenpreise, weit überschritten. Zwar berichtet v. Ferber im Jahre 1796 145 ), daß die Preise der mecklenburgischen Landgüter in bezug auf den "gegenwärtigen Produktenertrag, wenn man denselben zu Mittelpreisen in Geld ansetzt" und eine 4 %ige Verzinsung des Anlagekapitals zugrunde legt, nicht zu hoch wären. Er ist sogar der Meinung, daß die Güterpreise in Mecklenburg niedriger ständen als in den benachbarten Ländern, und sieht hierin den Grund, daß viele Auswärtige in Mecklenburg Güter kauften. Er fährt dann fort: "Nennen wir unsere Güter teuer im Vergleich zu den Preisen in früheren Zeiten, so haben wir recht. Wollen wir sie aber teuer nennen, da nicht allein ihre Kultur mit jedem Tage zunimmt, sondern da der Zinsfuß heruntergegangen, da der Inländer vom Ausländer nach diesem geringen Zinsfuße Geld leiht, oder der Ausländer nur nach diesem geringen Zinsfuße Revenüen verlangt, und die Geldmasse also offenbar an ihrem sonstigen Wertgehalte - gegen Produkte gerechnet - verloren; so dürfte der Zahlwert unserer Güter auch in dieser Rücksicht gegen den Zahlwert von Gütern in anderen Ländern oft noch bei manchem individuellen Gutsverkauf zu niedrig zu stehen kommen." Diese Auffassung dürfen wir im großen ganzen als zutreffend erachten, soweit es sich um den in fester Hand gebliebenen Grundbesitz handelte. Ganz anders aber lagen die Verhältnisse bei den Gütern, die als Spekulationsobjekte von Hand zu Hand gingen. Von diesen berichtet Zimmermann 146 ), daß für die Hufe hin und wieder 40 000 Rtlr. N2/3 gezahlt wurden, wobei er bemerkt, daß selbst bei bestem Boden, bei größtmöglichem Rohertrag und hohen Produktenpreisen daraus ein Reinertrag in Höhe von 5 % des Kaufpreises nicht erzielt werden könnte. Viele der Spe-


144) Boll a. a. 0. S. 588.
145) A. a. O. § 622.
146) A. a. O. § 42,2 und 3.
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kulanten (Advokaten, Kaufleute usw.) aber waren in der Landwirtschaft unerfahren und weniger auf eine ordentliche Bewirtschaftung der Güter als auf ihren Vorteil beim Verkauf bedacht. Sie betrachteten die Güter als eine "gute Prise", die sie, so gut es ging, plünderten, so daß schließlich die Holzungen fast aller im Handel gewesenen Güter verwüstet waren 147 ).

Nach Zimmermanns Schätzung war 1804 mehr als der zehnte Teil aller mecklenburgischen Güter unter Zugrundelegung der hohen (spekulativen) Güterpreise zu 75 % und darüber verschuldet 148 ). Die hohe Verschuldung so vieler Güter nach vorhergegangenen günstigsten Konjunkturen war das Ergebnis der zahlreichen Spekulationskäufe. Diese waren bei der Leichtigkeit der Kreditbeschaffung durchgehends Kreditkäufe gewesen. Zur Hauptsache bestanden daher die Schulden der hochbelasteten Güter in Kaufgeldschulden, die überwiegend außerhalb Mecklenburgs zu geringen Zinsen aufgenommen waren. Durch die Realisierung der spekulativen (fiktiven) Zusatzwerte waren also viele mecklenburgische Rittergüter außerordentlich schwer belastet worden. Die hierin liegende große Gefahr im Falle einer rückläufigen Konjunktur wurde damals von vielen richtig erkannt. So meinte Zimmermann, der Wert der hochbelasteten Güter brauchte nur um 20 % zu fallen, und sie wären alle verloren. Durch den Zusammenbruch dieser Güter aber würde die Kreditwürdigkeit aller übrigen erschüttert werden und allgemeiner Kreditmangel eintreten.

In Mecklenburg - Strelitz nahm der Güterhandel nur einen verhältnismäßig geringen Umfang an 149 ). Einmal standen die Besitzverhältnisse in diesem Lande einer größeren Ausdehnung der Spekulation entgegen; zum andern aber wurde der Anreiz zu Spekulationskäufen durch die unsicheren Getreideabsatzverhältnisse stark abgeschwächt.

Der größere Teil des ritterschaftlichen Grundbesitzes befand sich in den Händen von wenigen alteingesessenen adligen Fa-


147) Nach J. G. Büsch, Schriften über Staatswirtschaft und Handlung, Hamburg 1800, 5. Buch, S. 234 ff., wurde damals auch in Schleswig-Holstein "Schwindelei im Güterkauf" getrieben. Die Begleiterscheinungen waren ähnliche wie in Mecklenburg.
148) A. a. O. § 42.
149) Boll a. a. O. S. 586/87.
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milien 150 ), deren Bestreben es war, den Besitz sich und ihren Nachkommen zu erhalten. Der Getreideabsatz der Strelitzer Güter aber war, wie bereits erwähnt, in starkem Maße von den handelspolitischen Maßnahmen Preußens abhängig. So wurde durch Verordnung vom 7. XII. 1799 für Preußen eine allgemeine Getreidesperre angeordnet, um mit Rücksicht auf die schlechten Ernten die Versorgung des Landes sicherzustellen. Dies hatte zur Folge, daß die Strelitzer Getreideausfuhr seewärts über Wolgast und Greifswald unterbunden wurde, da sich die preußische Getreidesperre auch auf den Durchfuhrverkehr erstreckte. Die Ausfuhr über Schwedisch-Vorpommern aber bildete damals fast die einzige Absatzmöglichkeit für die Strelitzer Rittergüter. Auf eine Beschwerde der Ritter- und Landschaft wurde die Aufhebnug Druckfehler) der Durchfuhrsperre von dem preußischen Ministerium im März 1800 abgelehnt 151 ). Die günstige Getreidekonjunktur um 1800 blieb somit für die Strelitzer Güter von nur geringem Nutzen.

Wenden wir uns abschließend den preußischen Verhältnissen jener Zeit zu, so machen wir die Feststellung, daß in den östlichen Provinzen, vor allem in Schlesien, der Güterhandel ebenfalls in größtem Umfange betrieben wurde 152 ). Auch hier hatte der steigende Getreideabsatz zu hohen Preisen die Güter zu einem Spekulationsobjekt gemacht. Nach Weyermann ist aber das damalige Steigen der Güterpreise nicht allein den günstigen Konjunkturen, sondern auch den Auswirkungen des landschaftlichen Kreditsystems zuzuschreiben. Durch die vermehrte Ausgabe von Pfandbriefen, besonders in den Jahren 1788/89, waren diese ein wirksames Konkurrenzmittel gegenüber dem privaten Bodenleihkapital geworden. Nach Weyermann beruht hierauf das nach 1770 einsetzende allmähliche Sinken des Hypothekenzinsfußes für den landschaftsfähigen Besitz von etwa 7 % bis auf 3 1/2 % und darunter. Die Preissteigerung der Landgüter aber ergab sich automatisch aus der Ertragskapitalisation nach dem jeweiligen Hypothekenzinsfuß.


150) Desgl. S. 461.
151) Acta, die Beschwerde der Ritter- und Landschaft des stargardischen Kreises über die in den Kgl. Preuß. Landen verfügte Korndurchfuhrsperre betreffend, 1800.
152) Weyermann a. a. O. S. 94 ff. Ferner Mauer, Das Landschaftliche Kreditwesen Preußens, 1907.
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Durch das Pfandbriefsystem wurde ferner der spekulative Aufkauf von Gütern sehr erleichtert. Wer im Besitze eines unverschuldeten beleihungsfähigen Gutes war, konnte durch Aufnahme von Pfandbriefen, die wegen ihrer Vorzüge gern als Zahlungsmittel angenommen wurden, weiteren Grundbesitz zukaufen. Auf diesem Wege wurde nicht nur in Ostpreußen ein

großer Teil des sogen. köllmischen Grundbesitzes, der von der landschaftlichen Beleihung ausgeschlossen war, von dem Adel aufgekauft, sondern ebenso wurde auch der minder bemittelte Adel durch den reicheren ausgekauft. Besonders in Schlesien nahmen die spekulativen Güteraufkäufe gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen außerordentlichen Umfang an. Nach Mauer 153 ) wurden dort allein im Jahre 1798 nicht weniger als 118 Rittergüter freiwillig verkauft.

Vergleichend können wir feststellen, daß die günstigen Getreidekonjunkturen in Verbindung mit der leichten Kreditbeschaffung sowohl in Preußen als auch in Mecklenburg eine ausgedehnte Güterspekulation zur Folge hatten. In beiden Ländern stiegen die Güterpreise zu außergewöhnlicher Höhe, und entsprechend den gestiegenen Güterpreisen überschritt die Verschuldung vielfach die Grenze der unter normalen Verhältnissen tragbaren Belastung. Grundverschieden waren in beiden Ländern die Auswirkungen des Güterhandels auf die Besitzverhältnisse. In Mecklenburg ging während der Spekulationsperiode in nicht geringem Maße adliger Grundbesitz in die Hände von Bürgerlichen über. Viele Güter wurden von einheimischen und auswärtigen Kapitalisten (Advokaten, Kaufleuten usw.) erworben, die entweder eigenes Kapital sicher anzulegen suchten oder auch unter Zuhilfenahme von auswärtigem Kredit Spekulationsgewinne einheimsen wollten. In Preußen dagegen führten die vielen Besitzveränderungen innerhalb des ritterschaftlichen Grundbesitzes, ferner der Aufkauf von köllmischen Gütern zu einer erheblichen Verstärkung des adligen Großgrundbesitzes. Die Ausdehnung der großen Güter auf Kosten der kleineren war zur Hauptsache nur durch die volle Ausnutzung des Pfandbriefkredits möglich gewesen. War in Mecklenburg zumeist auswärtiges Kapital beim Güterhandel verwendet worden, so hatte man in Preußen die erforderlichen Mittel durch die Mobilisierung des Grundbesitzes


153) A. a. O. S 23.
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geschaffen. Mag diese Art der Kreditbeschaffung grundsätzlich der ersteren vorzuziehen sein, so ist andererseits jedoch darauf hinzuweisen, daß gerade durch den Pfandbriefkredit die Realisierung der spekulativen Zusatzwerte eine besondere Förderung erfahren hatte. Die hieraus resultierende unproduktive Verschuldung bildete aber in Preußen ebenso wie in Mecklenburg eine wesentliche Ursache für die Entstehung der Kreditkrise nach Wegfall der günstigen Konjunkturen.

 

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III. Abschnitt.

Bestrebungen zur Verbesserung des Geld- und Kreditwesens.

Mit Beginn des neuen Jahrhunderts trat eine merkbare Verschlechterung in der Wirtschaftslage Mecklenburgs ein. Die Getreidepreise behaupteten zwar ihren vorigen Stand 154 ), aber die Ernten fielen in den ersten fünf Jahren - mit Ausnahme von 1803 - nur dürftig bzw. schlecht aus, so daß die Getreideausfuhr einen erheblichen Rückgang erfuhr. Auffallend ist nun zunächst, daß sich bereits im Jahre 1804 ein ziemlicher Geldmangel in Mecklenburg einstellte. Zimmermann kennzeichnet in seiner genannten Schrift die Ursache dieser Erscheinung im wesentlichen treffend, wenn er darauf hinweist, daß den vormaligen großen Konjunktureinnahmen des Landes bedeutende Zahlungen an das Ausland gegenüberstanden. Nach seiner Schätzung beliefen sich allein die jährlichen Zinsen für die auswärts aufgenommenen Kapitalien sowie die jährlich abgehenden Einkünfte aus Gütern, die sich im Besitze von Auswärtigen befanden, auf 4- bis 500 000 Rtlr. 155 ). Dazu bemerkt er, daß sich die Verschuldung an das Ausland während der günstigen Konjunktur um einige Millionen Taler vermehrt habe. Ferner hatte nach Zimmermann die Wareneinfuhr, besonders aus England, durch den gesteigerten Luxus bedeutend zugenommen, trotzdem die Preise für auswärtige Waren erheblich gestiegen waren. Aus allem folgert er, daß


154) S. Anlage Nr. 2.
155) A. a. O. § 49.
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Mecklenburg am Ende der günstigen Konjunkturperiode bei weitem nicht so viel bares Geld besaß, wie es dem Anschein nach hätte haben sollen. Schließlich erwähnt er noch, daß sich die müßig liegenden Spargelder der Bauern, Holländer, Müller und Schäfer seit Ausbruch der französischen Revolution beträchtlich vermehrt hätten und mindestens auf ein paar Millionen Taler zu schätzen seien. Die Gelder dieser Leute aber würden dem Umlauf entzogen bleiben, da es ihnen an Gelegenheit zur eigenen Verwendung bzw. zur zinsbaren Anlage fehlte.

Im einzelnen ist hierzu folgendes zu bemerken. In Mecklenburg hatte seit Einführung der verbesserten Wirtschaftsweise in zunehmendem Maße auswärtiges Kapital in den Gutsbetrieben Verwendung gefunden. Wir haben festgestellt, daß in den vielen Konkursen nach dem Siebenjährigen Kriege die auswärtigen Gläubiger besonders stark vertreten waren. Wie erklärt es sich, daß der Kapitalbedarf der Gutsbesitzer so weitgehend mit auswärtigem Gelde gedeckt wurde?

Die Antwort ergibt sich aus einer Betrachtung der Wirtschaftsstruktur des Landes. Mecklenburg war (und ist noch heute) ein reines Agrarland. Der ritterschaftliche Grund und Boden, der etwa die Hälfte des gesamten Landesgebietes umfaßte, verteilte sich auf verhältnismäßig wenige Großbetriebe. Gewerbe und Industrie waren ungenügend entwickelt und bei weitem nicht imstande, das Land mit gewerblichen Produkten ausreichend zu versorgen. Wolle und Flachs gingen beispielsweise in großen Mengen aus dem Lande, während Erzeugnisse aus diesen Rohstoffen eingeführt wurden. Auch der Handel war gegenüber der Landwirtschaft von geringer Bedeutung. Der Getreideausfuhrhandel war, namentlich auch während der Hochkonjunktur, überwiegend Kommissionshandel für auswärtige Rechnung. Bestrebungen der Kaufmannskompagnie zu Rostock, im Jahre 1801 den "nachteiligen" Kommissionshandel zu beschränken, blieben erfolglos 156 ). Nach einem Berichte des Engeren Ausschusses (1802) waren die Rostocker Kornhändler zur Bewältigung der gewaltigen Getreideausfuhr im Wege des Eigenhandels viel zu kapitalschwach.


156) Acta, die von der Kaufmannskompagnie zu Rostock, zum Nachteil des freien Commerciums beschlossene Beschränkung des Kommissionshandels mit Getreide für auswärtige Rechnung betreffend, 1801.
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Diese Andeutungen lassen schon erkennen, daß die Kapitalbildung in den Städten bei weitem nicht ausreichte, um den Kapitalbedarf der Landwirtschaft befriedigen zu können. Bestand nun aber für die mecklenburgische Landwirtschaft auch während der Hochkonjunktur ein Bedarf an Anlagekapital? Diese Frage wird in mehreren Berichten aus jener Zeit bejahend beantwortet 157 ). Abgesehen von den Spekulationskäufen ergab sich der Kapitalbedarf aus umfassenden Meliorationen und weitgehenden Intensivierungen, zu denen die Konjunkturen den Anreiz boten. Zu beachten ist, daß sich in jener Zeit das System der mecklenburgischen Schlagwirtschaft in seiner endgültigen Form noch nicht herausgebildet hatte. Zimmermann berichtet von den vielen Veränderungen in den Ackereinteilungen und Bewirtschaftungsmethoden, die damals vorgenommen wurden 158 ). Gerade diese Experimente und Neuerungen waren mit hohen Kosten verknüpft und brachten häufig noch Verluste statt Gewinne ein. Vielfach mag neben den Konjunkturen auch die Möglichkeit der leichten und günstigen Kreditbeschaffung die Gutsbesitzer zu Kulturverbesserungen veranlaßt haben. Andererseits waren nicht nur die Einnahmen, sondern auch die laufenden Ausgaben infolge der erhöhten Löhne und Preise für in- und ausländische Waren gestiegen. Vor allem aber wurde auch für unwirtschaftliche Zwecke viel Geld ausgegeben; übereinstimmend wird von übertriebenem Luxus berichtet. Norrmann schreibt in dem erwähnten Gutachten: "Je größere Summen ins Land kamen, desto größere gingen auch für fremde Bedürfnisse wieder zum Ausländer zurück. Der wirkliche Gewinn ward nur von wenigen zur Vermehrung des eigenen Kapitals angewandt, um mit mehreren eigenen Kräften die Wirtschaft zu betreiben." Die vorstehende kurze Untersuchung über die Kapitalverhältnisse des Landes bestätigt die Ansicht Zimmermanns, daß sich die auswärtige Verschuldung der Rittergüter in ihrer Gesamtheit trotz der günstigen Konjunkturen gegen früher erhöht habe. Besonders hatte hierzu die hohe Verschuldung der Spekulationsgüter beigetragen.


157) U. a. in einem Gutachten des Prof. Norrmann, Rostock (Acta, betreffend das Kreditwesen in Mecklenburg 1776/1815).
158) A. a. O. § 18.
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Zweifellos bildete die gewaltige Zinsenlast eine wesentliche Ursache für die damalige Geldknappheit. Von entscheidendem Einfluß auf den Geldstock des Landes aber war der Ausfall der Ernten bzw. der Absatz der Getreideüberschüsse. Der Getreidebau war Mecklenburgs Haupteinnahmequelle. In demselben Maße, wie die Ernten und der Absatz schwankten, änderten sich die Einnahmen des Landes. Zimmermann bemerkt ganz richtig, man könne von Mecklenburg wirklich sagen: bald reich, bald arm.

Mit dem Geldmangel stellte sich gleichzeitig der Wucher ein. Viele Kapitalien wurden gekündigt, selbst wenn ausreichende Sicherheit vorhanden war, und hierzu gab, so berichten die Akten 159 ), nur Gewinnsucht und Spekulation die Veranlassung. Nach einem Reskript des Strelitzer Landesherrn vom 28. XII. 1804 wurden in den Zahlungsterminen bedeutende Geldsummen von Wucherern aufgenommen, um den Geldmangel künstlich zu verstärken und schließlich das Geld "gegen enorme Prozente unter verschiedenen Namen, wie Douceurs, Provisionen usw. oft nur auf kurze Zeit" auszuleihen. An anderer Stelle wird berichtet, daß Darlehen von einem zum andern Termin gegen zwei und mehr Prozente monatlich vorkamen. In beiden Ländern wurde der Wucher mittels landesherrlicher Reskripte unter strenge Strafe gestellt.

Zimmermann berichtet folgendes 160 ): "Alles beschäftigt sich jetzt (1804) mit Geldnegoziieren; Müller, Juden und Advokaten. Der Gutsbesitzer ist entweder zu indolent, zu stolz oder auch zu unbekannt mit seinen eigenen Vermögensumständen, als daß er das, wovon doch seine ganze Wohlfahrt abhängig ist, selbst besorgen könnte und möchte. Rabulisterei, halbverstandene Rechtswahrheiten usw. haben auch die Behandlung dieses Gegenstandes so bunt und kraus gemacht, daß sehr viele sich dieser sehr hab- und geldsüchtigen Geldmäkler und Geldjuden bedienen müssen.

Man hat Wucher und Agiotage in ein System gebracht; nur von einem Termin bis zum andern kann der Geldbedürftige Geld erhalten; nur in dem an Zahlung mahnenden Termin kann er nach vielem Sollicitieren Geld auffinden;


159) Acta, Maßregeln zur Unterdrückung des Wuchers betreffend, 1765/1805.
160) A. a. O. § 45.
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man zieht ihn hin bis in die letzten Tage des Termins; er will gerne geben, was man verlangt, nun ist es Zeit, und nur unter vielen Demütigungen, Bürgschaften, Rückbürgschaften usw. erhält der sonst sichere Mann von diesen eigennützigen Menschen auf ein halbes Jahr gegen 3 % pro Negoce und 5 % jährlicher Zinsen das benötigte Kapital. Ein halbes Jahr hat er Ruhe, um im nächstfolgenden Termin sich auf gleiche Weise plündern zu lassen. Gutsbesitzer mit hoher Kaufgeldverschuldung müssen hiebei zu völligem Ruin gelangen. Zu keiner Zeit ist wohl der schändliche Wucher höher getrieben worden als im Trinitatistermin dieses Jahres. Es sind Beispiele vorhanden, daß mehr als der dritte Teil des Kapitals, ja am Ende mehr noch als das Kapital selbst beträgt, an Zinsen und Provisionen gefordert und bewilligt worden sind, daß für jedes Tausend Thaler 100 Thaler haben gegeben werden müssen. Nur bis zum nächsten Antoni-Termin, also nur auf ein halbes Jahr waren Gelder zu erhalten, und wird in der Zwischenzeit nicht schleunige Vorkehr getroffen, so haben alsdann die Wucherer noch eine weit reichere Ernte und werden den Ruin des Vaterlandes herbeiführen, schon jetzt darauf rechnend, wie sie für die Hälfte des wahren Werts unsrer liegenden Gründe mit ihrem erwucherten Gelde Güter an sich stehlen wollen."

Mecklenburgs Rittergüter befanden sich in einer sehr kritischen Lage. Die hohen Güterpreise fielen und der Kredit der übermäßig verschuldeten Güter geriet ins Wanken. Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Kreditnot wurden allgemein für dringend erforderlich gehalten. So wurde auf dem Landtage von 1804 eine Kommitte beauftragt, "Vorschläge zur Erhaltung und Befestigung des allgemeinen Privatkredits sowie zur Beförderung und Verbesserung des Geldumlaufs" einzureichen. Diese Aufgabe bot im Hinblick auf die rückständigen Kreditverhältnisse und den rein agraren Charakter des Landes nicht geringe Schwierigkeiten. Man ersuchte deshalb den bereits genannten Rostocker Professor der Staatswissenschaften, Norrmann, dessen Schrift über "Die Freiheit des Getreidehandels" 161 ) bei der Ritterschaft volle Anerkennung gefunden hatte, um die Abgabe eines Gutachtens.


161) Hamburg 1802.
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Diesem Gutachten 162 ) kommt deshalb eine gewisse Bedeutung zu, weil es die Vorschläge der Kommitte maßgebend beeinflußte und ferner darüber Aufschluß gibt, wie man über die Einführung eines Kreditsystems nach preußischem Vorbilde dachte. Einleitend gibt Norrmann seinem Erstaunen über die Sorglosigkeit Ausdruck, mit der man in Mecklenburg "nach mehreren höchsttraurigen Erfahrungen dennoch immer den alten Mängeln (des Kreditwesens) nachgesehen hat". Unter Hinweis auf die vielen, uns bekannten Gebrechen in der Kreditgesetzgebung stellt er lediglich die gründliche Reform des Hypotheken- und Konkurswesens in den Mittelpunkt seiner Vorschläge. Weder ausländische Anleihen noch "selbst geschaffenes künstliches Kapital" könnten die drohende Krise verhindern. Mit Anleihen ließe sich nur eine vorübergehende Beseitigung der Geldklemme erzielen. Die von vielen Seiten vorgeschlagene Gründung einer Leih- und Zettelbank sei abzulehnen, weil der erforderliche bare Fonds durch Anleihen beschafft werden müßte und somit der Kündbarkeit wegen keine Sicherheit bieten würde. Aus diesem Grunde sei auch die Errichtung eines Kreditinstituts nach dem Muster der preußischen Landschaft nicht möglich. Im übrigen könne eine solche Einrichtung dem Lande äußerst schädlich werden. In Schlesien sei die Schwindelei im Güterhandel durch das Kreditsystem außerordentlich erleichtert worden, und z. Zt. herrsche dort drückender Geldmangel. "Mit Banken, Kreditsystem und Papiergeld würde die Schwindelei des Güterkaufs fortdauern, und überspannte Preise der Produkte oder der liegenden Gründe können sie nicht aufrechterhalten. Die Grundbedingung und vornehmste Grundlage aller Verbesserung des Kredits ist ein sicheres Hypothekenwesen mit den erforderlichen Kreditgesetzen und einer zweckmäßigen Konkursordnung."

Der Engere Ausschuß und die Kommitte traten dem Gutachten voll und ganz bei. Sie erklärten die Errichtung einer landschaftsähnlichen Anstalt für nicht durchführbar. Den von Norrmann vorgebrachten Gründen fügten sie weitere an. Die Festsetzung allgemeiner Taxgrundsätze sowie einer Beleihungsgrenze wurde als sehr schwierig hingestellt. Vor allem aber gab die "Haftung des ganzen Landes für den Privatkredit der singulorum" wegen der "Inkonvenienzen, die jede soli-


162) Acta, betreffend das Kreditwesen in Mecklenburg, 1776/1815.
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darische Verbindlichkeit . . . . mit sich führt," zu Bedenken Anlaß. Vorgeschlagen wurde die zwangsweise Errichtung von Hypothekenbüchern, sofern die Gläubiger dies im Einzelfall verlangten, ferner die Abschaffung sämtlicher Pfandprivilegien sowie der Adjudikate und schließlich der Erlaß einer Konkursordnung. Endlich wird in diesem Gutachten noch bemerkt, daß sich der Personalkredit unendlich bessern würde, wenn der übertriebene Luxus und die Hazardspiele eingeschränkt bzw. verboten würden.

Von Interesse sind auch die Vorschläge zur "Beförderung und Verbesserung des Geldumlaufs". Norrmann bringt in ungeschminkten Worten seine Meinung über die wahren Ursachen des Geldmangels zum Ausdruck. "Das Geld muß leicht und oft von einer Hand zur andern gehen; es muß sich nicht bloß bei einzelnen reichen Individuen anhäufen. Liegt der arbeitende Teil eines Volkes unter der Knechtschaft, so gibt es nur wenige wechselseitige Dienste. Tausende arbeiten, nicht aus Wahl, nicht durch Belohnung gereizt, auch nicht in der Absicht, sich ein reichlicheres Auskommen zu verschaffen, sondern für das Auskommen weniger Herren, von denen sie nur erhalten, was zu ihrer Subsistenz erforderlich ist. Wünscht man das Geld im Lande zu vermehren, so muß man die Beschäftigungen und Arbeiten im Volk zu befördern und vervielfältigen suchen; das Land unabhängig machen von der Einfuhr ausländischer Waren, d. h. Industrie befördern, damit das von dem Ausländer erworbene Geld im Lande bleibt. Der größte Teil des Geldgewinnes aus der Produktion des Landes wird von den verhältnismäßig wenigen, in deren Hände er kommt, auf Gegenstände des größeren Wohllebens verwandt, für welches immer wieder zuviel auswärts bezahlt wird. Auch von den Mittelklassen im Volk wird eine zu große Summe nach auswärts bezahlt."

Norrmann bringt dann vier Hilfsmittel in Vorschlag. In erster Linie hält er eine Vermehrung des Kleinbesitzes auf den Rittergütern und im Domanium sowie eine Milderung der "Knechtschaft" für erforderlich 163 ). Nur wenn dem Landmanne die Früchte seines Fleißes zuteil würden, könnte man mit


163) In den 80er Jahren war bereits in verschiedenen Schriften zu dieser Frage Stellung genommen worden. Siehe Boll a. a. O. S. 575 ff.
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einer Vermehrung der Bevölkerung und mit einem sicheren Absatz der im Lande herzustellenden Industrieprodukte rechnen. Der zweite Vorschlag geht dahin, in verstärktem Maße den Anbau von sogen. Handelsgewächsen, besonders Hanf, Flachs, Hopfen und Zichorien, zu betreiben. Der dritte beschäftigt sich mit der Förderung der städtischen Industrie. Mecklenburg kaufe selbst die alltäglichsten Bedürfnisse der Kleidung, Bequemlichkeit usw. vom Ausländer. Die Herstellung der gewöhnlichen Gewebe aus Flachs, Hanf und Wolle für die mittleren und niederen Volksschichten könnte beträchtlich erweitert werden. Dadurch würde die Handelsbilanz des Landes günstig beeinflußt werden. Zum Schluß empfiehlt Norrmann die Errichtung einer Depositenkasse zur Unterbringung kleinerer Geldbeträge gegen geringe Zinsen, um die müßig liegenden Gelder der vielen "kleinen Leute" nutzbar zu machen.

Der Engere Ausschuß und die Kommitte brachten außerdem die Errichtung von Wollmagazinen in Vorschlag, ferner Einfuhrverbote bzw. -zölle für mehrere Waren (Hüte, Leinwand, Schuhwaren, Equipagen), da diese im Lande selbst in guter Beschaffenheit angefertigt würden. Außerdem wurde die Aufnahme einer ausländischen Anleihe empfohlen, um damit die dem Landkasten angeliehenen Kapitalien inländischer Herkunft frei zu machen.

Zimmermann 164 ) ging noch weiter; er forderte Einfuhrverbote für Zucker und Kaffee; eine 50%ige Wertabgabe bei der Einfuhr von Pferden und sonstigem Vieh, von Kleesamen, Wein, Tuchen, Leder; eine 100%ige Wertabgabe für Luxus- und Modeartikel.

Von den vielen Vorschlägen gelangte keiner zur Durchführung. Mecklenburg trieb einer schweren Kreditkrise entgegen, ohne daß die so dringend erforderliche Neugestaltung des Kreditwesens erreicht worden war.

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164) A. a. O. § 45 ff.
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III. Teil.

Die mecklenburgische Kreditkrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Gründung des Ritterschaftlichen Kreditvereins
(1805 bis 1819).

I. Abschnitt.

Ursachen und Verlauf der Kreditkrise.

Die Hauptursache der 1805/06 einsetzenden Kreditkrise bildete die aus der Zeit der günstigen Konjunkturen herstammende hohe Verschuldung vieler mecklenburgischer Rittergüter. In den beiden vorhergehenden Abschnitten haben wir bereits die Höhe und Art der Verschuldung erörtert und dabei festgestellt, daß durch den spekulativen Besitzwechsel, aber auch durch umfangreiche Meliorationen und Intensivierungen eine bedeutende Zunahme der Verschuldung, besonders mit auswärtigem Kapital, eingetreten war 165 ). An dieser Stelle müssen wir auf die Güterverschuldung wegen ihrer Bedeutung für die Entstehung der Krise noch etwas näher eingehen.

Nach Zimmermann 166 ) betrug 1804 die Gesamtverschuldung der mecklenburgischen Rittergüter etwa die Hälfte der damaligen Kaufpreissumme. Letztere veranschlagt er auf 100 Millionen Rtlr., was unter Zugrundelegung des damaligen Hufendurchschnittspreises von rund 24 000 Rtlr. 167 ) bei rund 4000 katastrierten Hufen richtig erscheint. Danach betrug die Verschuldung insgesamt 50 Millionen Rtlr. Ein Anhalt zur Prüfung dieser Schätzung läßt sich zunächst aus der Höhe des Kapitalwertes der während der Spekulationsperiode (1790 bis 1804) zum Verkauf gelangten Güter gewinnen. Der umgesetzte Kapitalwert belief sich in Mecklenburg-Schwerin bei 588 Verkäufen auf rund 49 Millionen Rtlr. Zu berücksich-


165) S. S. 225 und 230.
166) A. a. O. § 42.
167) S. Anlage Nr. 1.
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tigen ist, daß in dieser Zeit viele Güter mehrmals verkauft wurden, ferner aber auch, daß die im Handel gewesenen Güter besonders hoch verschuldet worden waren. Es erscheint deshalb nicht zu hoch gegriffen, wenn man die aus den Spekulationskäufen hervorgegangene Verschuldung auf 15 Millionen Rtlr. beziffert. Hinzu kommen die von den übrigen Gütern in derselben Zeit aufgenommenen Meliorationskredite, in geringem Maße auch Konsumtivkredite, die zusammen mit der 1790 bereits vorhandenen Verschuldung wohl ebenfalls auf 15 Millionen Rtlr. zu bemessen sind. Rechnet man die strelitzschen Rittergüter noch hinzu, so kann man eine Gesamtverschuldung von nahezu 35 Millionen Rtlr. als ziemlich gewiß annehmen.

Wichtig ist noch die Feststellung, in welchem Umfange auswärtiges Kapital an der Verschuldung teilhatte. Zimmermann schätzt, wie bereits erwähnt 168 ), die jährlichen Zinsen für die auswärts aufgenommenen Kapitalien sowie die jährlichen Einkünfte aus Gütern, die sich im Besitze von Auswärtigen befanden, auf 4- bis 500 000 Rtlr. Diesem Betrage würde bei Annahme eines durchschnittlichen Zins- bzw. Ertragssatzes von 4 1/2 % ein Kapital von etwa 9 bis 11 Millionen Rtlr. entsprechen. Nach einer Schätzung des Steuerrats Schultze 169 ) belief sich das in schwerinschen Rittergütern angelegte auswärtige Leihkapital auf 15 Millionen Rtlr. und der Kapitalwert der in auswärtiger Hand befindlichen Güter auf 3 bis 4 Millionen Rtlr. Nach diesen Angaben darf man annehmen, daß die ritterschaftlichen Güter in Mecklenburg mindestens mit 10 Millionen Rtlr. an auswärtige Gläubiger verschuldet waren.

Natürlich war die Verschuldungshöhe der einzelnen Güter eine durchaus verschiedene. Am stärksten waren die Spekulationsgüter belastet. Nach Zimmermann war mehr als ein Zehntel aller mecklenburgischen Rittergüter nach dem damaligen Stand der Güterpreise zu 75 % und darüber verschuldet. Wenig oder gar nicht verschuldet war nach v. Plessen 170 ) der fideikommissarisch gebundene Grundbesitz. Bei den hochbelasteten Gütern überwogen die Kaufgeldschulden. Nur selten


168) S. S. 228.
169) Über öffentliche Schulden aus dem Kriege und dem allgemeinen Landesindult in Mecklenburg-Schwerin, 1808.
170) Grundzüge zur Verbesserung des Kreditwesens, 1804.
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war einer der Käufer imstande gewesen, bei den hohen Preisen und der oftmals bedeutenden Größe der Güter die Kaufsumme aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Der größte Teil des Kaufgeldes war im Kreditwege beschafft worden. Wer außer dem Inventar ein Drittel des Kaufpreises aus eigenen Mitteln bezahlt hatte, galt als ein vermögender Mann. Neben den mit Kaufgeldschulden belasteten Gütern gab es viele Gutsbetriebe, die zur Durchführung von Kulturverbesserungen in mehr oder weniger bedeutendem Umfange Schulden aufgenommen hatten.

Wie erklärt sich nun die außerordentliche Kreditfähigkeit der mecklenburgischen Rittergüter während der Spekulationsperiode trotz der Mangelhaftigkeit des damals geltenden Hypotheken- und Konkursrechtes? Die günstigen Wirtschaftsverhältnisse während der Hochkonjunktur bildeten zwar den Hebel zu einer erleichterten und erweiterten Kreditgewährung, aber sie verschafften dem Kreditgeber im Einzelfalle noch keine ausreichende Gewähr, daß er sein Kapital auch sicher angelegt habe. Der Umstand, daß die meisten Rittergüter keine Hypothekenbücher eingerichtet hatten, ließ den Realkredit zum Personalkredit oder, wenn man will, zum Personal-Realkredit werden. Bei der Kreditgewährung gab weniger das zum Unterpfand angebotene Grundstück, als vielmehr das persönliche Vertrauen zu dem Kreditnehmenden den Ausschlag. Nach diesem Grundsatz verfuhren vor allem die einheimischen Kapitalisten, und v. Blücher 171 ) berichtet, daß jener "gemischte persönliche Kredit" in Mecklenburg eine außerordentliche Höhe erreichte. "Jedem, der den Ruf von Reichtum, das Zeugnis eines guten Geldwirtes, eines ehrlichen Mannes zu erhalten bemüht war, traute man fast blind und machte sich wenig aus der Ungewißheit der Realsicherheit. Dazu kam . . . . . der Überfluß des Geldes, die mangelnde Gelegenheit, es anzulegen, was von manchem durch eine zu starke Benutzung des vorhandenen persönlichen Kredits dahin gemißbraucht wurde, daß auf ein Grundstück eine dessen Wert oft doppelt und mehr übersteigende Schuldmasse kontrahiert wurde und kontrahiert werden konnte, nicht immer aus unredlichen Absichten, sondern öfters in der festen Überzeugung eines ausreichenden Werts des betreffenden Grundstücks, um sich Mittel zu vermeintlich


171) Über die Erleichterung der Geldzahlungen, 1811.
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vorteilhaften Unternehmungen usw. zu verschaffen." Die Gutsbesitzer ohne Hypothekenbuch wurden für kreditwürdiger gehalten als die mit Hypothekenbuch, da letztere als besonders stark verschuldet galten. Diese Auffassung entsprach durchaus der damaligen Einstellung der Gutsbesitzer, nur dann Hypothekenbücher einzurichten, wenn die Verhältnisse dazu zwangen.

v. Blücher berichtet weiter: "Derjenige, der keine Neigung hatte, allen Aufwand zu vermeiden, oder dem persönliche Verbindungen abgingen und der deshalb von Inländern kein Geld bekommen konnte, wurde wegen des mangelhaften Realkredits genötigt, von dem benachbarten Ausländer zu borgen. Der Ausländer war gewohnt, auf keine weiteren Punkte als auf die Sicherheit der Hypothek Rücksicht zu nehmen. Er kannte das Hypothekenwesen und den Konkursprozeß in Mecklenburg vielleicht gar nicht oder doch nur wenig; er beurteilte die Verhältnisse nach denen seines Landes, und ihm genügten daher die öffentlich errichteten und landesherrlich bestätigten Hypothekenbücher völlig. Er prüfte den Wert der Hypothek ohne Vorurteil und ohne Furcht der Dinge, die da kommen sollen. Und da es manchem reichen Ausländer an guten Gelegenheiten zur sicheren nutzbaren Anlegung seines Geldes gefehlt hatte, so begegnete er solchen Anträgen ohne Bedenken. Bald erweiterte sich die Bekanntschaft des Mecklenburgers im Auslande; Negotianten, auch jüdische, ebneten die Bahn, und Mecklenburgs Gutsbesitzer standen in kurzer Zeit trefflich beim Ausländer angekreidet da." So erklärt sich, daß die von Auswärtigen gewährten Darlehen größtenteils den Platz der ersten Hypothek einnahmen, wie übereinstimmend berichtet wird.

Die schwierige Lage der Gutsbesitzer im Jahre 1804 hatte ihren Grund in den schlechten Ernten und in den zahlreichen Kapitalkündigungen gehabt. Letztere waren, wie erwähnt, die Folge des steigenden Zinsfußes gewesen. Der Kredit selbst war damals, mit Ausnahme bei den überschuldeten Gutsbetrieben, noch nicht ins Wanken gekommen. Aber bereits im Jahre 1805 trat der Umschwung ein. Viele auswärtige Gläubiger zogen mit Rücksicht auf die bedrohliche Entwicklung der Kriegsverhältnisse ihre Kapitalien aus Mecklenburg zurück. Hierselbst brach immer mehr die Erkenntnis durch, daß die Güterpreise infolge der Spekulation den Ertragswert weit über-

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stiegen hatten und die Schuldlasten für viele Güter untragbar waren. Gekündigte Darlehen konnten oft nicht zurückgezahlt werden, da Ersatzkapitalien kaum aufzutreiben waren. So wurde der Hypothekarkredit immer unsicherer. Das Mißtrauen der Gläubiger vergrößerte sich wegen der bestehenden großen Mängel im Kreditrecht 172 ). Auch die minder hoch verschuldeten Güter wurden hierdurch in Mitleidenschaft gezogen.

Als dann im Oktober 1806 Mecklenburg zum Kriegsschauplatz wurde, brach der Kredit völlig zusammen. Wiederum zeigte sich, wie überaus empfindlich der Agrarkredit in seiner damaligen Form gegenüber dem Wechsel der Konjunkturen war. Hatte die Hochkonjunktur der 90er Jahre zur Kreditüberspannung geführt, so brachte der Niedergang der Konjunktur eine völlige Kreditstockung mit sich. Den zahlreichen Kündigungen von Hypothekendarlehen stand in den Zahlungsterminen 173 ) ein gänzlich ungenügendes Angebot an Kapital gegenüber, und dem allgemein gewordenen Mißtrauen entsprachen die wucherischen Leihbedingungen. Das Mißtrauen der Gläubiger war durchaus gerechtfertigt, da die Güterverschuldung so hoch war, daß einige schlechte Ernten und Zinserhöhungen Zahlungstockungen hervorriefen.

Letzten Endes führt die Notlage der Gutsbesitzer auf die außerordentliche Entwicklung der Güterpreise zurück. Diese waren zwischen 1780 und 1804 auf das Drei- bis Vierfache gestiegen 174 ), während der Reinertrag der Güter sich während dieser Zeit vielleicht verdoppelt hatte 175 ). Von 1790 bis 1804 waren die Güterpreise bei einem Zinsfuß von 3 1/2 oder 4 % zustande gekommen, dieser erhöhte sich dann nominell auf 5 %, unter Einrechnung der vielen hohen Provisionen bei den häufigen Kündigungen jedoch auf mindestens 6 bis 10 % und darüber. Dadurch wurden auf Grund des Kapitalisationssystems nicht allein die Güterpreise bzw. die Grenze der Verschuldbarkeit beträchtlich herabgedrückt, sondern es erhöhten sich auch die Zinslasten mindestens auf das 1 1/2fache bis Doppelte bei gleichbleibenden bzw. sinkenden Reinerträgen. Die vielen kost-


172) Dieses war von Zimmermann in seiner 1804 erschienenen Schrift über Mecklenburgs Kreditverhältnisse einer schonungslosen Kritik unterzogen worden.
173) S. S. 163.
174) S. Anlage Nr. 1.
175) Schultze a. a. O.
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spieligen Meliorationen warfen günstigenfalls 3 bis 4 % Nutzen ab, während die dafür aufgenommenen Kredite nun mit mindestens 6 % verzinst werden mußten.

Geradezu verhängnisvoll gestaltete sich die Lage der Gutsbesitzer dadurch, daß nach Landesgewohnheit halbjährlich an den beiden Zahlungsterminen beliebig gekündigt werden konnte und die gekündigten Darlehen zum folgenden Termin zurückgezahlt werden mußten, sofern nicht vertraglich eine andere Kündigungsfrist festgesetzt war. Die Gläubiger kündigten nicht nur aus Mißtrauen, sondern der häufige Umsatz der Kapitalien war seit der Spekulationszeit infolge der steigenden Leihbedingungen (Provisionen, Prämien usw.) ein sehr einträgliches Geschäft geworden. v. Blücher berichtet 176 ), daß bei dem unzureichenden Kapitalangebot viele Hypothekendarlehen zu jedem Zahlungstermin aufs neue gekündigt wurden und die Kapitalsuchenden durch die vielen Negoziationen in mancherlei Verlegenheiten und Kosten gerieten, die zur Vermehrung der Schuldenmasse beitrugen. "Der Gutsbesitzer als derjenige, der den meisten Privatkredit gebrauchte, sah sich genötigt, längere und kostbare Reisen zu unternehmen, um gekündigte Kapitalien wieder anderswo anzuleihen, und fiel gewöhnlich in die Hände derjenigen, die mit dem Gelde Handel trieben und seine Verlegenheit zu ihrem eigenen Vorteil übermäßig zu benutzen suchten." Und in den Akten heißt es 177 ): "Gerade das Negociieren ist für die Debitores der verzehrende Krebs. Man weiß es aus Erfahrung, daß die sichersten Leute, welche Kapitalien zu negociieren veranlaßt gewesen, nur auf kurze Zeit von Juden und Christen solche erhalten haben und in jedem Zahlungstermin 2 bis 4 % Provision bezahlen müssen. Dies macht aufs Jahr mindestens 4 %, hierzu 5 % Zinsen, macht 9 %. Welcher Gutsbesitzer kann dies lange aushalten? Dieses Übel ist bei den strengsten poenal-Gesetzen nicht zu verhindern." Im übrigen dachte man gar nicht daran, bei dem außerordentlichen Kapitalmangel die Festsetzung von Provisionen, Prämien usw. als Wucher hinzustellen.

Außer dem in Rostock, Schwerin und Güstrow halbjährlich stattfindenden "Kapitalmarkt" gab es in Mecklenburg keiner-


176) Über die Erleichterung der Geldzahlungen, 1811.
177) Acta, betreffend die Einführung eines allgemeinen Landesindults und dessen Wiederaufhebung, 1806/26.
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lei Anstalt oder Organisation für den privaten Kredit- und Kapitalverkehr. Nach Boll 178 ) wurden die Hypothekendarlehen hauptsächlich durch Advokaten vermittelt. "Der Wust unserer Kreditgesetze zwingt jeden, welcher etwas darleihen will, einen Rechtsgelehrten in Rat zu nehmen. Niemand kann ja das Gewebe von Möglichkeiten des Verlustes und der Betrügerei durchschauen, als ein in Mecklenburg speziell erfahrener und recht sorgsamer Jurist. Auch der erfahrene Geschäftsmann ist oft nicht imstande, die Sicherheit einer Forderung zu beurteilen; nur durch die größte Aufmerksamkeit auf die geheimen Handlungen seines Schuldners und seiner Mitgläubiger kann man sich überzeugen, daß man nicht gefährdet wird."

Verschärft wurde die Notlage der Gutsbesitzer durch die Beschränkungen des seewärtigen Getreideabsatzes, die sich aus der im November 1806 beginnenden, gegen England gerichteten Napoleonischen Kontinentalsperre ergaben. Jeglicher Verkehr mit England wurde den Mecklenburgern verboten. Im November 1807 wurde die Sperre auf Schweden ausgedehnt, da sich dieses Land dem Kontinentalbunde nicht anschließen wollte 179 ). Durch die Einbeziehung Hamburgs in das Kontinentalsystem ging der Absatz mecklenburgischen Getreides nach dort völlig zurück. Wenn trotzdem die Getreidepreise bis zum Jahre 1810 nicht übermäßig sanken 180 ), so lag dies zum Teil an dem wenig günstigen Ausfall einiger Ernten, zum andern aber daran, daß infolge des großen Bedarfs der in Hannover und Preußen stehenden Heeresmassen eine völlige Stockung im Getreideabsatz für Mecklenburg nicht eintrat. Außerdem wurde in den Jahren 1808/09 nach den russischen Ostseeprovinzen sowie nach Finnland, und mit Beginn des Jahres 1810 wieder nach Schweden Getreide exportiert 181 ). Die Getreideausfuhr des Strelitzer Landes nahm während des Krieges von 1806 sogar einen gewissen Aufschwung. U. a. wurden die preußischen Magazine beliefert, und der Weizenpreis stieg bis zu 4 Taler 20 Schilling für den Scheffel 182 ).


178) A. a. O. S. 587.
179) F. Stuhr, Die Napoleonische Kontinentalsperre in Mecklenburg: Jahrb. d. V. f. meckl. Gesch. 71 (1906), S. 329/30.
180) S. Anlagen 2 und 3.
181) Stuhr a. a. O. S. 352/53.
182) Vitense a. a. O. S. 380.
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Bereits am 13. Dezember 1806 bewilligte die Schweriner Regierung "zur Abwendung des gänzlichen Ruins der mit Schulden beladenen und von Barschaften entblößten Landeseinwohner" ein "Anstandsjahr" für alle im Kalenderjahr 1807 fällig werdenden verzinslichen Kapitalzahlungen. Von diesem Indult blieben rückständige Zahlungen ausgeschlossen. Die gleiche Maßnahme wurde in Mecklenburg-Strelitz am 6. Januar 1807 durchgeführt. In beiden Ländern wurde dann der Indult bis zum Ablauf des Jahres 1808 verlängert. Zweifellos wurde die schwierige Lage der Gutsbesitzer durch den Indult insofern erleichtert, als die hohen Kosten für die Wiederbeschaffung der so oft gekündigten Kapitalien wegfielen. Schultze meint in der erwähnten Schrift, daß wohl mancher Gutsbesitzer sich die Fortdauer des Krieges gewünscht haben mag, "wenn solcher nur auch den Indult zur Begleitung behalten wollte". Andererseits vernichtete aber der Indult den letzten Rest von Kredit. So ist eine von der Ritterschaft im Jahre 1807 geplant gewesene auswärtige Anleihe in Höhe von 350 000 Rtlr., mit deren Durchführung der Hamburger Bankier Gumprecht Moses beauftragt worden war, anscheinend wegen des Indults nicht zustande gekommen.

Der Iudult konnte den Konkurs zahlreicher Güter nicht verhindern. Schon 1807 brachen viele Gutsbetriebe unter der Last der Zinsen und der infolge des Krieges vermehrten öffentlichen Abgaben zusammen, und in den folgenden Jahren nahm die Zahl der Konkurse erheblich zu 183 ). Viele Konkursgüter wurden für die Hälfte des Ankaufspreises weggeschlagen, so daß sehr viele Gläubiger leer ausgingen. Von diesen Verlusten wurden hauptsächlich die inländischen Gläubiger betroffen, da die auswärtigen sich fast ausnahmslos durch Hypothekenbücher oder Eigentumsrechte gesichert hatten. Mehrere Gutsbesitzer entledigten sich ihrer hochverschuldeten Güter durch öffentliche Verlosungen. die landesherrlich genehmigt waren. So wurde beispielsweise das Gut Benthen mit 10 000 Losen zu je 2 Friedrichsd'or verlost 184 ).

Trotz der bedrängten Lage der Gutsbesitzer erfolgte die Aufhebung des Indults bestimmungsgemäß zum Schluß des Jahres 1808. Es wurde jedoch verordnet, daß die


183) S. Anlage Nr. 5.
184) Vitense a. a. O. S. 382.
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im Trinitatistermin 1808 gekündigten Kapitalien nicht vor Jahresfrist, und alsdann nur zur Hälfte zahlbar sein sollten. Das gleiche wurde für die Jahre 1809/11 mit der Maßgabe bestimmt, daß nur im Trinitatistermin gekündigt werden konnte.

Die Notlage der Gutsbesitzer wurde unerträglich, als im November 1810 die Ausfuhr der Landesprodukte infolge verschärfter Durchführung der Kontinentalsperre völlig unterbunden wurde. Da von der Getreideausfuhr gewissermaßen die Existenz des Landes abhing, wurde die Schweriner Regierung sogleich bei dem französischen Spezialrat in Hamburg vorstellig. "Seitdem der Stillstand den Handel mit den Naturprodukten des Landes ergreift," so schrieb der Minister Freiherr von Brandenstein, "sehen wir mit Schrecken die Hilfsquellen versiegen, aus denen der Staat sein Leben fristet. Wir sehen aus dem Lande das letzte Stück Geld herausgehen, ohne Mittel zu finden, es zu ersetzen.

Mecklenburg ermangelt vieler unbedingt notwendiger Gegenstände. Es hat nötig aus Frankreich Seidenwaren, Tuche und Hüte, Wein, Öl und vieles mehr, aus Schweden und Rußland Bauholz, Eisen, Kupfer, Vitriol, Teer und Hanf. Die zur Einfuhr dieser Dinge erforderlichen Mittel kann Mecklenburg nur durch den Debit seiner Naturprodukte, nämlich Wolle, Pferde und insbesondere Getreide, sich verschaffen.

Unmöglich ist es, Getreide auf Wagen zu exportieren, die sonst alle übrigen Waren (selbst die Weine von Bordeaux) bis nach Norddeutschland befördern, weil es die Transportkosten nicht zu tragen vermag. Wenn die Häfen geschlossen bleiben, wird der Getreidepreis bald auf Null sein, und unser einziges Subsistenzmittel wird uns keinen Nutzen mehr bringen.

Der Getreidepreis ist bereits schon unter die Hälfte des gewöhnlichen Preises gefallen und fällt noch täglich."

Nach Decker 185 ) stockte der Schiffsverkehr auf der Warnow vom Herbst 1810 bis zum Frühjahr 1813 völlig. Rostocks Handel wurde dadurch lahmgelegt. Wismar erging es nicht anders. In Mecklenburg-Schwerin sank der Preis für einen Scheffel Roggen im Jahre 1811 auf 20 bis 8 Schillinge und in Mecklenburg-Strelitz bereits im Jahre 1810 auf 10


185) Die Napoleonische Kontinentalsperre und ihre Wirkungen in Rostock. Rostocker Diss. 1922 (Auszug).
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Groschen 186 ). Ungeachtet der niedrigen Preise suchten die Gutsbesitzer ihr Getreide möglichst sofort zu verkaufen, um bei der großen Gefahr der französischen Requisitionen und Plünderungen nicht völlig leer auszugehen. Was Thünen in seinem "Isolierten Staat" 187 ) im Hinblick auf den Getreidepreissturz während der 20er Jahre feststellt, nämlich daß "auf allen schlechten, ja auf allen Bodenarten mittlerer Güte der Anbau des Getreides mit Verlust verbunden ist", trifft in Mecklenburg auch für die Jahre 1810/12 zu. Von den im Jahre 1811 eingeführten Lizenzen konnte der mecklenburgische Handel wegen der damit verknüpften hohen Gebühren keinen Gebrauch machen, da sich der Getreideexport nach den nächsten "befreundeten" Häfen vollzog, während die hohe Gebühr für den direkten Handel mit England berechnet war, das auf diesem Wege zu den Kosten für den französischen Flottenbau beitragen sollte. - Trotz ausgedehnten Schmuggels stiegen die Preise für auswärtige, insbesondere Kolonialwaren ins Riesenhafte. 1811 war z. B. 1 Pfund Kaffee (1 Taler) 6mal so teuer wie 1 Scheffel (= 60 Pfund) Roggen (8 Schillinge) 188 ).

Die Kontinentalsperre war für die mecklenburgische Landwirtschaft von verheerender Wirkung. Obgleich für Mecklenburg-Strelitz im August 1811 und für Mecklenburg-Schwerin im Januar 1812 der Generalindult verfügt wurde 189 ), nahm die Zahl der Güterkonkurse zu 190 ). Außer den großen Zinsenlasten drückten besonders die vermehrten Abgaben. Vom 1. Juli 1809 ab hatte die Ritterschaft aus politischen Rücksichten auf die Steuerfreiheit der Hälfte ihrer Hufen verzichtet und sich außerdem zu Beihilfen für die hohen staatlichen Kriegslasten herbeigelassen. Bei Erlaß des Indults hatte Mecklenburg-Schwerin monatlich allein 150 000 Taler für den Unterhalt der fremden Truppen aufzubringen. Die Güterpreise sanken gegenüber 1804 auf annähernd die Hälfte 191 ),


186) Meckl. Anzeigen 1881, Ausgabe Nr. 190.
187) 2. Aufl. 1863, Bd. II 2, S. 226/27.
188) Decker a. a. O.
189) Der Schweriner Herzog konnte sich zunächst zur Erteilung des Generalindults nicht entschließen, da er hiervon die völlige Zugrunderichtung des Kredits befürchtete.
190) S. Anlage Nr. 5.
191) S. Anlage Nr. 1.
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und die Kapitalschulden waren in vielen Fällen kaum noch zu einem Drittel gedeckt 192 ).

Wie groß die Not Mecklenburgs war, mag daraus erhellen, daß selbst der Landkasten im Trinitatistermin 1811 seine Zahlungen einstellen mußte. Anleiheversuche im Aus- und Inlande waren ohne Erfolg geblieben, ebenso die Bemühungen, die Gläubiger zur freiwilligen Stundung zu bestimmen.

Alle Maßnahmen, die zur Erleichterung für den Grundbesitz damals getroffen wurden, waren Palliativmittel und nicht geeignet, der Kreditnot abzuhelfen. In erster Linie ist hier eine in Mecklenburg-Schwerin am 31. III. 1812 erlassene Konstitution über die "möglichste Abwendung der Konkurse" zu nennen. Danach sollte Anträgen von Gläubigerseite auf Einleitung des Konkursverfahrens nur dann stattgegeben werden, wenn sie gehörig begründet waren. Jedoch sollten zuvor die Vermögensverhältnisse des Schuldners gerichtsseitig geprüft und, wenn diese es zuließen, eine gütliche Einigung versucht werden. Scheiterte dieser Versuch, so hatten die Gerichte nach bestimmten Grundsätzen dem Schuldner von Amts wegen Abtragungstermine zu gewähren. Diese Vorschriften richteten sich hauptsächlich gegen damals auftretende Mißbräuche, Konkurse künstlich zu erregen. Der Reichskammergerichtsassessor von Kamptz bemerkt hierzu im Jahre 1809 193 ): "Ein landverderbliches elendes Handwerk ist es, wenn - wie nicht allein im Lande, sondern auch außerhalb . . . . bekannt genug ist - mehrere durch die Stimme des Publikums hinreichend bezeichnete Personen 194 ) zum Teil in eigenen Konventikeln Gelegenheiten, Konkurse zu erregen, ausmitteln und verabreden, demnächst einzeln oder gemeinsam den Kredit der bezeichneten Opfer anzuschwärzen und untergraben, allenthalben Kündigungen und Klagen gegen ihn erregen und den Schuldner dadurch in Verlegenheit und zum Konkurse bringen, um unter der Firma des inmittelst erbettelten Aktorats 195 ) den Konkurs in die Länge zu ziehen und aus den Trümmern sich zu bereichern." Auch von Nettel-


192) Memorandum des E. A. an den Schweriner Landesherrn vom 9. 12. 1811.
193) Acta, die Verhandlungen über den Entwurf und die Publikation einer neuen Konkursprozeß-Ordnung betreffend, 1805/12.
194) Gemeint sind Advokaten.
195) S. S. 187/188.
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bladt 196 ) weiß zu b

erichten, daß ein Teil der Anwälte Konkurse durch unerlaubte Mittel erregt habe.

Solche Fälle waren mittelbar darauf zurückzuführen, daß in dem mecklenburgischen Konkursprozeß nicht der Richter, sondern der "gemeinsame Anwalt" (actor communis) die leitende Stellung einnahm. Diese Posten waren so einträglich, daß damals eine regelrechte "Aktoratsjagd" einsetzte. Nach von Kamptz trösteten sich mittellose Eltern über die Studienkosten ihrer Söhne schon im voraus damit, daß ein gutes Aktorat das Geld wieder in die Familie bringen würde. -

Ferner wurden in beiden Mecklenburg für die im Jahre 1814 fälligen Zinszahlungen Erleichterungen gewährt, und zwar durften die Jahreszinsen statt in zwei, in vier Terminen entrichtet werden.

Der von vielen Seiten gemachte Vorschlag, zur Linderung der Geldnot einen Teil der Staatsschulden zu "fundieren" und in umlaufsfähige Zahlungsmittel umzuwandeln, wurde im Jahre 1810 für die "Bons" (d. s. Bescheinigungen der Landeskreditkommission über Lieferungen an fremde Truppen) praktisch durchgeführt. Natürlich wurde die schwere Notlage der Gutsbesitzer durch diese Maßnahme kaum beeinflußt.

Von den vielen sonstigen, in öffentlichen Schriften und Eingaben gemachten Vorschlägen zur Abschwächung der Kreditkrise, wie Errichtung eines landschaftsähnlichen Kreditinstituts nach voraufgegangener Reform des Hypotheken- und Konkursrechtes, Gründung einer Zettel- und Girobank usw. ist keiner verwirklicht worden. Fast allgemein war man der Ansicht, daß während der Krise die Reform des Hypothekenwesens ausgesetzt bleiben müßte, "da sonst der Vermögenszustand eines jeden Grundbesitzers öffentlich bekannt und dieses einem großen Teil der Grundbesitzer nachteilig werden und seinen Kredit untergraben könnte". Mit der Einführung eines landschaftlichen Kreditsystems aber wollte man zweckmäßigerweise bis zum Eintritt des Friedens warten. Die Verhandlungen des Engeren Ausschusses mit dem Landesherrn wegen Einführung einer Konkursordnung, denen ein nach preußischen und französischen Gesetzen bearbeiteter Entwurf des bereits genannten hervorragenden Juristen von Kamptz zugrunde lag,


196) Bemerkungen über einige Gegenstände des mecklenburgischen Konkursprozesses, 1810.
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führten lediglich zu der erwähnten Konstitution vom 31. März 1812 197 ).

Obwohl die Beendigung der Kontinentalsperre im März 1813 den mecklenburgischen Landwirten eine gewisse Erleichterung verschaffte, mußte doch noch mancher hochverschuldete Gutsbesitzer trotz des weiter bestehenden Generalindults den Konkurs über sich ergehen lassen. Die Kredit- und Schuldnot der Gutsbesitzer dauerte bei den gesunkenen Güterpreisen unvermindert fort. Der Individualkredit hatte in Mecklenburg seine zweite große Schlappe erfahren. Es bestand kein Zweifel mehr, daß eine Besserung in den landwirtschaftlichen Kreditverhältnissen nur durch grundlegende Reformmaßnahmen zu erreichen war.

In Preußen lagen die Verhältnisse ähnlich wie in Mecklenburg. In Schlesien setzte der Rückschlag auf die Güterspekulation schon 1800 ein, in den übrigen östlichen Provinzen einige Jahre später, bei Ausbruch des Krieges. Auch hier waren die hohe Verschuldung als Ergebnis des Güterhandels sowie der Preissturz der Grundstücke nach voraufgegangener Hausse die eigentlichen Ursachen der vielen Zusammenbrüche. Hier wie dort konnte der Generalindult den hochverschuldeten Gutsbesitzern keine Rettung bringen.

 

~~~~~~~~~~

 

II. Abschnitt.

Die Vorschläge und Verhandlungen zur Gründung eines Kreditvereins.

Im März 1814 wurde auf einem ritterschaftlichen Konvent beschlossen, alle Eingesessenen aufzufordern, dem Engeren Ausschuß der Ritterschaft Vorschläge für die Einführung eines Kreditsystems einzureichen.

Nach Lage der Verhältnisse kam es in erster Linie darauf an, durch geeignete Maßnahmen die kurzfristigen hypothekarischen Privatschulden in langfristige bzw. unkündbare Anstaltsschulden umzuwandeln. Im vorigen Abschnitt haben


197) S. S. 246.
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wir erörtert, welch überaus nachteilige und verhängnisvolle Folgen aus der kurzfristigen Kündbarkeit der Hypothekendarlehen entstanden waren. Bei der weitverbreiteten hohen Verschuldung der mecklenburgischen Rittergüter war an die Aufhebung des Generalindults nicht eher zu denken, bis die gedachte Umschuldung erfolgt war, wenn nicht zahllose Gutsbetriebe dem Zusammenbruch preisgegeben werden sollten. So ist es verständlich, daß in den vielen Vorschlägen, die dem Engeren Ausschuß zugingen, das Hauptgewicht auf die Unkündbarkeit des Kredits gelegt wurde. Auf welchem Wege dies zu erreichen wäre, darüber gingen die Ansichten in den Vorschlägen mehr oder weniger auseinander.

Auf das alte Institut des Rentenkaufs zurückgreifend, wurde von dem Justizrat Paepke die Wiedereinführung unablöslicher Renten empfohlen. Durch die "willkürliche Lösung der in Grundstücken radizierten Kapitalien" war nach seiner Meinung ein ungleiches und ungerechtes Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger geschaffen worden. Die Verwirklichung des Vorschlags dachte sich Paepke folgendermaßen. Die Umschuldung erfolgt unter Leitung einer Zentralbehörde, an die jährlich für jede - auch unverschuldete - Hufe mindestens 100 Rtlr. als Tilgungsbeitrag für die bestehenden Kapitalschulden zu entrichten sind. Für diese Beiträge, die sofort an die Gläubiger abzuführen sind, werden Rentenbriefe ausgegeben, die - mit der Spezialhypothek des verschuldeten Gutes sowie der Generalgarantie der Ritterschaft versehen und zu 4 % verzinslich - als Zahlungsmittel für Zinsen und Steuern zugelassen werden. Die Beleihung eines Gutes mit Rentenbriefen erfolgt bis zu 3/4 des Taxwertes. Für darüber hinaus Verschuldete war ein besonderer Tilgungsplan vorgesehen. Die Fortdauer des Indults wurde bis zur vollendeten Durchführung der Umschuldung für erforderlich gehalten. Beachtlich ist an diesem Plan, daß die Umschuldung allmählich und lediglich mit Mitteln des Grundbesitzes selbst vorgenommen werden sollte. Bei der allgemeinen Kreditlosigkeit mußte es freilich aussichtslos erscheinen, die für eine sofortige allgemeine Umschuldung erforderlichen großen Mittel im Wege einer Anleihe zu beschaffen. Von der Aufbringung der Tilgungsmittel abgesehen, hatte die vorgeschlagene Einrichtung große Ähnlichkeit mit der preußischen Landschaft.

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Von den übrigen Vorschlägen verdient noch derjenige des Landrats von Ferber besondere Beachtung, da dessen Plan von dem Engeren Ausschuß der Ritterschaft als zur Durchführung geeignet übernommen wurde. von (Druckfehler) Ferber bringt die Gründung eines sinkenden Fonds zum sofortigen allmählichen Abtrag der ritterschaftlichen Gutsschulden sowie zur Einführung eines daraus hervorgehenden Kreditvereins in Vorschlag. Der Fonds soll während eines Zeitraums von etwa 10 Jahren durch jährliche Hufenbeiträge gesammelt werden. Die Mitgliedschaft zu diesem Verbande eines sinkenden Fonds ist freiwillig; Nichtmitgliedern soll jedoch die Vergünstigung des Indults entzogen werden.

Mit dem sinkenden Fonds werden zunächst die Schulden der am wenigsten verschuldeten Güter getilgt. Die entschuldeten Güter legen Hypothekenbücher nieder, worin die mittels des Fonds getilgten Posten als der assoziierten Ritterschaft zustehend eingetragen werden. Außerdem stellt der Schuldner über die getilgten Posten 5%ige Schuldverschreibungen aus, die bei dem E. A. als gemeinsames Eigentum niedergelegt werden. Jedes Gut erhält alljährlich eine Quittung des E. A. über die eingezahlten Beiträge. Für die Anteile an dem sinkenden Fonds haften die entschuldeten Güter und die Schuldverschreibungen. Will ein entschuldetes Gut hinter dem ritterschaftlichen Kredit neue Schulden aufnehmen, so bedarf es nur der Eintragung ins Hypothekenbuch. Die neuen Schulden sind jedoch von dem Indult ausgeschlossen.

Die Durchführung dieses Plans werde, wie von Ferber meint, zum Ergebnis haben: 1. einen Fonds von 1 1/2 bis 2 Millionen Rtlr., 2. die Gewißheit, daß die dem Verbande angehörenden Güter nicht mehr Schulden haben, als sie zu tragen vermögen. Dieses Ergebnis aber verschaffe die Grundlage zu der Errichtung eines ritterschaftlichen Kreditvereins, wobei vielleicht die Pommersche Landschaft als Muster dienen könnte. Die Schuldverschreibungen würden alsdann durch Pfandbriefe abgelöst werden, während der Fonds - nötigenfalls durch Anleihen verstärkt - dem Kreditverein zu überweisen sei, damit dieser nach Aufhebung des Indults durch die zu erwartenden Pfandbriefskündigungen nicht in Verlegenheit komme.

Dieses Projekt eines Tilgungsfonds mit anschließender Errichtung eines Kreditvereins wurde von dem Engeren Aus-

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schuß der Ritterschaft zu einem ausführlichen Gutachten ausgearbeitet und im März 1815 nach Prüfung durch eine ritterschaftliche Spezialkommitte den Landesherren und der Landschaft zur Durchführung in Vorschlag gebracht.

Während der Schweriner Landesherr schon im Juni den E. A. d. R. wissen ließ, daß er den Vorbereitungsverband nicht für durchführbar halte, wandten sich die landschaftlichen Mitglieder des E. A. im September mit einer gegen die ritterschaftlichen Pläne gerichteten ausführlichen Erklärung an den Schweriner Landesherrn. Diese Stellungnahme der Landschaft ist durchaus verständlich, denn für sie galt es, die gefährdeten Interessen der städtischen Kapitalisten und Geldmäkler in Schutz zu nehmen. Daß sie diese ihre Aufgabe mit allen Mitteln zu erfüllen bestrebt war, zeigt der Verlauf der weiteren Verhandlungen. Zunächst sei aber noch kurz der Inhalt der landschaftlichen Erklärung dargelegt. Der geplante Vorbereitungsverband wurde als Mittel lediglich zur Verlängerung des Indults bzw. zur "Einführung einer höchlich privilegierten Privatsparkasse" bezeichnet. Alle Vorzüge eines Kreditvereins wurden einfach bestritten. Es sei eine "sehr kühne Operation", das unbewegliche Eigentum gegen seine Natur immer mehr in "transportable Papier-Repräsentation" aufzulösen. Diese bewegliche Masse nehme immer etwas von der Natur des Papiergeldes an. Der Anreiz zum Schuldenmachen werde vergrößert. Dadurch würden die großen Gutsbesitzer zur Mittragung allgemeiner Lasten unfähig gemacht und in dem Zustand eines steten Hinstrebens nach privaten Bevorrechtungen erhalten werden. Bei günstigen Konjunkturen würden die Gutsbesitzer bei erweitertem Kredit in Güterankäufen spekulieren, wie es in Schlesien der Fall gewesen sei. Dem Staate aber sei viel mehr mit vielen wohlhabenden Besitzern (Kleinbesitz!) als mit wenigen überreichen gedient.

Der Kreditverein würde unfehlbar alle verfügbaren Kapitalien an sich ziehen, die dann, "im Luxus und in der Spekulation verdampft, fremden Zonen zufliegen". Der Kredit aller anderen Staatsbürger werde gelähmt, um einer einzigen Klasse eine vorübergehende Gunst zu gewähren. Das Ende sei ein allgemeiner Bankerott. Weit besser überließe man alles dem natürlichen Gange der Privatverhältnisse. Die beabsichtigte Reform des Hypothekenwesens allein würde ausreichen, um den Kredit der Gutsbesitzer wiederherzustellen.

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Auf diese Erklärung der Landschaft beschloß der E. A. d. R., von der geplanten Einberufung einer gemeinsamen ritter- und landschaftlichen Kommitte in Sachen des Kreditvereins Abstand zu nehmen. Zugleich wurde versucht, mit den Landesherren in direkte Verhandlungen zu treten. Der Schweriner Fürst war auch nicht abgeneigt, die Errichtung eines Kreditvereins zu fördern. Zunächst hielt er jedoch eine weitere Bearbeitung und Vorbereitung der Angelegenheit für notwendig. Vor allem müßte der Kapitalfonds auf kürzerem Wege zusammengebracht werden.

Im November 1815 ließ sich der Schweriner Landesherr durch zwei Deputierte der Ritterschaft deren Wünsche vortragen. Aus einem Berichte der Deputierten ist zu entnehmen, daß der damalige Minister von Plessen die Bestrebungen der Ritterschaft warm unterstützte. Er gab den Ratschlag, die Einführung eines Kreditsystems als eine rein private ritterschaftliche Angelegenheit und völlig getrennt von dem Indult zu behandeln, denn dann wäre die höchst schwierige Auseinandersetzung mit der Landschaft über den Indult beseitigt. Weiter empfahl er, mit großen Bankhäusern in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Kassel in Verbindung zu treten, da man dort zweifellos die für den Fonds erforderlichen Mittel anleihen könne. Die von ritterschaftlicher Seite angemutete Überlassung einer etwa eingehenden Kriegsentschädigung als verzinsliche Anleihe wäre mit Rücksicht auf die öffentliche Finanzlage nicht möglich.

In einer späteren Unterredung mit dem Justizrat Paepke, der die ritterschaftlichen Vorschläge mit ausgearbeitet hatte, gab der Minister zu verstehen, daß der Plan eines Vorbereitungsverbandes aufgegeben werden müsse, da die Fortdauer des allgemeinen Landesindults auf längere Zeit nicht mehr zu rechtfertigen sei. Man solle möglichst bald die Gründung eines Pfandbriefinstituts in die Wege leiten. Offenbar war dies die Meinung des Schweriner Landesherrn, die nicht unberücksichtigt bleiben konnte, da die Gründung eines Kreditinstituts wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters einer solchen Korporation der landesherrlichen Bestätigung bedurfte. So blieb der Ritterschaft nur übrig, auf den geplanten Vorbereitungsverband zu verzichten und ihren weiteren Vorschlägen lediglich die Errichtung eines Kreditvereins zugrundezulegen.

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Im Februar 1817 überreichte sie der Landschaft neue Entwürfe zu einem "Regulativ für den ritterschaftlichen Kreditverein" und zu einer "Hypothekenbuch-Ordnung für die ritterschaftlichen Güter". Der Entwurf zu dem Regulativ läßt unschwer erkennen, daß er den preußischen Landschaftssatzungen nachgebildet ist. Allerdings sollte der Kreditverein kein Zwangsverband, sondern eine freiwillige Organisation sein. - Das Muster der Hypothekenbücher entspricht demjenigen der preußischen Hypothekenordnung von 1783. Der Entwurf zu einer Hypothekenbuchordnung sieht die allmähliche Einführung von Hypothekenbüchern vor. Eine Verpflichtung hierzu entsteht im Falle des Beitritts zu dem Kreditverein sowie im Falle des Besitzwechsels. Die spätere Einführung einer Zwangspflicht bleibt vorbehalten. Die Rangordnung der an einem Grundstück vorhandenen Rechte sollte sich nach den bestehenden Vorzugsrechten und die der später entstehenden Rechte nach dem Zeitpunkt der Eintragung richten.

Auch diese Vorschläge fanden bei der Landschaft keinen Beifall. Ihr schien die "absolute Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit des Kreditvereins noch immer nicht völlig erwiesen". Dieser bezwecke lediglich den unmittelbaren Vorteil einer einzigen Klasse von Staatsbürgern. Sowohl auf dem platten Lande als in den Städten würden den übrigen Grundeigentümern alle Geldmittel entzogen werden. Der einzige Erfolg für den Staat wäre, daß der drückende allgemeine Indult endlich aufgehoben werden könnte. Für diesen Erfolg aber habe sich die Ritterschaft die Bemächtigung aller Barschaften ausbedungen.

Im September 1817 wurde in Doberan eine Konferenz über den Entwurf zu den Kreditvereinssatzungen abgehalten, an der die Minister von Brandenstein und von Plessen aus Mecklenburg-Schwerin, der Minister von Oertzen aus Mecklenburg-Strelitz und eine ritterschaftliche Deputation teilnahmen. Hier wurde eine von der Ritterschaft verfaßte ausführliche Denkschrift übergeben, in der die Einwände der Landschaft als unbegründet zurückgewiesen wurden. Der Hauptzweck des Kreditvereins, so wurde ausgeführt, besteht darin, den Wucher zu hemmen und den Zinsfuß auf 4 % herabzusetzen. Mit der Errichtung von Hypothekenbüchern allein läßt sich die erstrebte Aufhebung des Indults nicht herbeiführen, vielmehr ist auch eine zwischen Gläubiger und Schuldner vermittelnde

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Anstalt erforderlich, da Leihkapitalien fast nur durch Unterhändler zu erlangen sind. Wird der Indult ohne zuvorige Errichtung eines Kreditvereins aufgehoben, so werden zahllose Konkurse und unabsehbare Verluste für die Gläubiger eintreten. Der für das städtische Gewerbe usw. befürchtete Mangel an Geldkapital wird nicht eintreten, da sich der Bedarf der Gutsbesitzer an Bargeld durch den Umlauf der Pfandbriefe verringert. Auch können die Pfandbriefe nicht mit Papiergeld verglichen werden, da ihre schrankenlose Vermehrung nach den Statuten nicht zulässig ist. Zwar wird der Verein eine Krediterleichterung mit sich bringen, aber nur in angemessenen Grenzen, denn die Hypothekenbücher und Taxen werden verhindern, daß sich hinter den Pfandbriefen ein übermäßiger Kredit bildet. - Auf der Konferenz kam man überein, den Entwurf nach einigen Abänderungen den Landesherren zur Genehmigung vorzulegen. Diese wurde seitens des Schweriner Fürsten im Oktober 1817 mit der Zusage erteilt, den Entwurf auf dem nächsten Landtage in einer Landtagsproposition den gesamten Ständen zur Prüfung und Beratschlagung vorlegen zu lassen.

Ohne Frage hatte die Ritterschaft diesen vorläufigen Erfolg zum großen Teil dem Minister von Plessen zu verdanken, der immer wieder mit Rat und Tat die Errichtung des Kreditvereins zu fördern gesucht hatte. Von nicht zu unterschätzendem Einfluß auf den Lauf der Verhandlungen dürfte aber auch eine Anzahl von öffentlichen Schriften gewesen sein, in denen hervorragende Praktiker und Wissenschaftler zu der Kreditvereinsfrage Stellung nahmen. Vor allem ist hier ein Aufsatz Thünens "Über die Einführung des Kreditsystems in Mecklenburg" 198 ) zu nennen.

Thünen hält den Indult in Mecklenburg aus folgenden Gründen für notwendig: 1. wegen des gesetzlichen Verbots, mehr als 5 % Zinsen zu nehmen. Diese Bestimmung führt zu zahllosen Kapitalkündigungen, wenn der Wert des Geldes infolge Kriegs oder anderer Unglücksfälle steigt und die Kapitalisten nun ihr Kapital höher als zu 5 % nutzen möchten 199 ), der Gutsbesitzer aber den wahren Preis des Geldes nicht bezahlen kann. 2. Wegen der unnatürlichen Einrichtung, von


198) Neue Annalen der mecklenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft, 1817, S. 401 ff.
199) S. S. 241.
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einem Gute, das keine Kapitalien abwirft, sondern nur jährliche Renten trägt und nicht stückweise verkauft werden kann, doch Kapitalzahlungen zu verlangen 200 ). Die Möglichkeit, Kapitalien zu bezahlen, hängt für den Gutsbesitzer von dem Zufall ab, ob er von einem anderen Kapitalisten Geld geliehen erhält. 3. Wegen der großen Kapitalverluste, die die Gutsbesitzer und Gläubiger bei den niedrigen Preisen für Landgüter durch Güterkonkurse erleiden. - Thünen weist aber auch auf die schädlichen Folgen des Indults hin. Der Kredit wird vernichtet, da der Gläubiger sein zur Hypothek liegendes Kapital durch Verkauf der Obligation nicht flüssig machen kann, denn über deren Sicherheit herrscht in der Regel völlige Ungewißheit.

Zur Beseitigung aller dieser Mißstände schlägt Thünen vor:

  1. die Einführung von unablöslichen Rentenzahlungen statt der bisherigen Kapitalforderungen, wenigstens für die zur ersten Hypothek stehenden Kapitalien;
  2. die gerichtliche Eintragung der Renten;
  3. eine glaubwürdige gerichtliche Taxe des der Rente zur Hypothek dienenden Gutes.

Um zu verhindern, daß die für verschiedene Güter eingetragenen Renten einen verschiedenen Kurs erhalten, wodurch der Umsatz der Papiere und ihr Verkauf ins Ausland sehr erschwert würde, hält Thünen die Gründung eines Kreditvereins nach dem Muster der preußischen Landschaft für erforderlich, allerdings mit dem wesentlichen Unterschiede, daß die Pfandbriefe seitens der Gläubiger nicht kündbar sein dürften. Dadurch würde sich die Beschaffung eines Realisationsfonds erübrigen und ferner die Gefahr ausgedehnter Kündigungen bei steigendem Zinsfuße und somit der Indult selbst ausgeschlossen sein. -

Auf dem Sternberger Landtage im Jahre 1818 gaben dann die Stände ihre Zustimmung zu der Gründung eines ritterschaftlichen Kreditvereins sowie zu der Einführung einer Hypothekenordnung für die ritterschaftlichen Güter. Die landesherrliche Bestätigung der Statuten des Kreditvereins erfolgte im Jahre 1818, die Eröffnung des Kreditvereins im Juli 1819 und der Erlaß der Hypothekenordnung im November 1819.

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200) Diese Fiktion hat später Rodbertus zur Grundlage seines Werkes über die Abhilfe der Kreditnot (1868) gemacht.
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III. Abschnitt.

Wesen und Aufbau des Ritterschaftlichen Kreditvereins von 1819.

Nach der Einleitung zu den Statuten besteht der Zweck des Kreditvereins darin, die Kreditverhältnisse der mecklenburgischen Gutsbesitzer auf eine dauernde, der Lage der Dinge angemessene Weise zu ordnen und als vermittelnde Behörde zwischen Gläubiger und Schuldner das beiderseitige Interesse auf gleiche Weise zu berücksichtigen.

Der Kreditverein ist eine öffentlich-rechtliche Korporation, die der Oberaufsicht der Landesherren untersteht. Beleihungsfähig sind nur die zum ritterschaftlichen Kataster gehörigen und nicht im Besitz der Landesherrschaften befindlichen Hauptgüter, sofern die Gebäude bei einer der ritterschaftlichen Brandsozietäten versichert sind. Der Ein- und Austritt ist den Gutsbesitzern zu jeder Zeit freigestellt. Wie bei der preußischen Landschaft erfolgt die Kapitalbeschaffung mittels Ausgabe auf den Inhaber lautender Pfandbriefe, die auf eine an erster Stelle eingetragene Hypothekenforderung fundiert sind. Für die Sicherheit der Pfandbriefe haften die Kreditverbundenen gesamtschuldnerisch. Die Beleihungshöhe ist auf die Hälfte des taxierten Gutswerts festgesetzt. Der Zinsfuß der Pfandbriefe beträgt 4 %. Außer Zinsen und einmaligen Kosten bei Eintritt in den Verein bzw. Aufnahme eines Pfandbriefdarlehens hat der Schuldner halbjährlich je 1/4 % des Darlehnsbetrages für die Bildung eines Kassen- und eines Tilgungsfonds zu entrichten. Die Mittel des Tilgungsfonds sollen möglichst in Pfandbriefe umgewandelt werden. Neben den genannten Fonds ist noch ein Reservefonds für Kapitialrückzahlungen zu bilden. Die Pfandbriefe sind nur seitens des Inhabers kündbar.

Die Verwaltung des Kreditvereins liegt in den Händen von drei Kreisdirektionen, einer Hauptdirektion, einer Revisionskommitte und der Generalversammlung. Die Mitglieder der Haupt- und Kreisdirektionen werden durch die Generalversammlung gewählt und müssen dem Kreditverein beitreten. Die Hauptdirektion hat die Durchführung der Statuten zu

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überwachen, während von den Kreisdirektionen die eigentliche Verwaltungsarbeit geleistet wird. Die Geschäfte der Revisionskommitte sind den Mitgliedern des gemeinsamen Engeren Ausschusses übertragen. Der jährlich stattfindenden Generalversammlung werden die Geschäfts- und Prüfungsberichte erstattet.

Rückständige Zahlungen der Mitglieder werden nach geschehener Mahnung sofort beigetrieben. Im Nichtbeitreibungsfalle erfolgt die Sequestration und nötigenfalls die Administration des Gutes. Im Konkursfalle findet öffentliche Versteigerung statt; der Zuschlag erfolgt bei einem Mindestgebot von 2/3 des Taxwertes.

Für die Wertermittlung der dem Verein beitretenden Güter sind besondere Taxgrundsätze erlassen. Als Unterlage für die Taxation dient die früher zu Steuerzwecken vorgenommene Hufenbonitierung 201 ), und zwar werden hierbei an Hand des Bonitierungsprotokolls und unter Verwendung von Tabellen, die für die verschiedenen Acker-, Wiesen- und Weidenklassen den Reinertrag ausweisen, die jeweiligen Reinerträge für die abzuschätzenden Flächen berechnet. Nach Vornahme gewisser Abzüge und Zuschläge wird der sich ergebende Gesamtreinertrag zu 4 1/2 % kapitalisiert.

Mit der Errichtung des Kreditvereins war endlich auch die so dringend nötige Reform des ritterschaftlichen Hypothekenwesens durchgeführt worden. Die Hypothekenordnung von 1819 schrieb für alle ritterschaftlichen Landgüter die Eröffnung von Hypothekenbüchern bis zum 1. Januar 1826 vor. Für die dem Kreditverein beitretenden Gutsbesitzer bestand die satzungsmäßige Verpflichtung zur sofortigen Einrichtung. Alle Hypothekenvorzugsrechte sowie Eigentumsvorbehalte und Adjudikate fielen für die Zukunft weg. Die Rangfolge der eingetragenen Rechte richtete sich nach dem Zeitpunkt der Eintragung. Im Konkurs waren nur noch die öffentlichen Abgaben, die Amtsanlagen und Versicherungsbeiträge, und im beschränkten Umfang die Pfarrabgaben bevorrechtigt. -

Alle Vorbedingungen zu einer Besserung der ritterschaftlichen Kreditverhältnisse waren damit gegeben. Aber ehe der


201) S. S. 158. - Die Verwendung der Hufenbonitierung bei Kredittaxen ist auf die Anregung Thünens zurückzuführen, der auch die Ertragszahlen zu den Tabellen geliefert hat. (Mielck a. a. O. S. 71 ff.)
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Kreditverein mit seiner aufbauenden Tätigkeit recht beginnen konnte, wurde Mecklenburg nach kurzer Erholungsperiode von der großen Agrarkrise der zwanziger Jahre mit ergriffen. Thünen berichtet, daß während der Krisenjahre kein dem Kreditverein angehörendes Gut wegen Nichtzahlung der Zinsen unter Sequestration gekommen sei, wenn auch wegen der niedrigen Kornpreise der wirkliche Wert der Güter meist niedriger war als der volle Taxwert des Kreditvereins 202 ). Dank der vorsichtigen Darlehnsbemessung und dank seines soliden Aufbaus konnte der Kreditverein die Krise nicht allein ohne Schaden überstehen, sondern dem Umfange nach gestärkt aus ihr hervorgehen, denn es gehörten dem Kreditverein an im Jahre:

1820 - 3 Güter,          1826 - 78 Güter,
1821 - 15 Güter,          1828 - 90 Güter,

1824 - 66 Güter,          1829 - 96 Güter.

Die Wirkung des neuen Kreditsystems auf den Realkredit der Gutsbesitzer entsprach voll und ganz den gesteckten Zielen. Thünen bekundet, daß "der Kreditverein (während der Krise) sehr erheblich dazu beigetragen habe, den niedrigen statutenmäßigen Zinsfuß von 4 1/2 % aufrechtzuerhalten und eine weitere Abnahme des Güterwertes zu verhindern" 203 ). Der im Oktober 1825, also gegen Ausgang der Krise, versammelte städtische Konvent aber kam zu der Feststellung. (Druckf.) daß es infolge "der glücklichen Operationen des Ritterschaftlichen Kreditvereins in den gewöhnlichen Landeszahlungsterminen an den zu den Versuren erforderlichen Kapitalien nicht fehle". Die umfassende Sicherstellung der Gläubiger in dem neuen Kreditsystem hatte zur Folge, daß städtisches Kapital in größerem Umfange dem ritterschaftlichen Agrarkredit wieder nutzbar gemacht werden konnte. Dies lag vor allem auch im Interesse der Geldkapitalisten selbst, da mit Ausnahme der fürstlichen Kammer und Renterei sowie der städtischen Grundstücke die Landgüter die Hauptgelegenheit boten, Kapitalien zinstragend anzulegen. Andererseits gab es in den mecklenburgischen Städten nicht wenige Bürger, wie Sibeth 204 ) berichtet, denen


202) Angeführt bei Westphal a. a. O. S. 115 ff.
203) H. Westphal a. a. O. S. 115.
204) Über die Verbesserung des Schuldsystems in Mecklenburg-Schwerin. Güstrow 1816. S. 47 ff.
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der Krieg, d. h. die Versorgung der fremden Truppen, bare Gewinne eingebracht hatte, die aber mangels sicherer Anlagemöglichkeiten ungenutzt liegen blieben. Besonders "Kaufleute, Bäcker, Lieferanten, Hospitalväter, Schlächter und diejenigen Bürger, die die Einquartierung für Geld übernahmen, ferner Fuhrleute und Tagelöhner" waren die Träger solcher "Kriegsgewinne". Diesen kleinen Kapitalisten und Sparern bot nun, nach erfolgter Gründung des Kreditvereins, der Ankauf von Pfandbriefen eine sichere und bequeme Kapitalanlage, zumal die Einteilung der Pfandbriefe in Abschnitte von 25 bis 1000 Rtlr. dem Anlagebedürfnis jedes einzelnen Rechnung trug.

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Schlußwort.

Nach Mauer 205 ) lassen sich für den ländlichen Bodenkredit drei geschichtliche Entwicklungsstufen unterscheiden: Gebundenheit, Freiheit und Organisation. Die erste Stufe wird gekennzeichnet durch die Abhängigkeit der Kreditaufnahme bzw. der Grundstücksverpfändung von der Zustimmung der Lehns- oder Grundherren, die zweite durch den Wegfall dieser Beschränkungen und das weitere Angewiesensein auf die private Darlehnsgewährung (Individualkredit), die dritte durch die weitgehende Ersetzung des Individualkredits durch den Anstaltskredit.

Die vorliegende Untersuchung führt uns den Übergang vom Individual- zum Anstaltskredit in Mecklenburg vor Augen. Fragen wir nach den Ursachen, die diesem so bedeutungsvollen Schritte in der Entwicklung des mecklenburgischen Agrarkreditwesens zugrunde liegen, so ist in erster Linie auf die Einbeziehung der mecklenburgischen Landwirtschaft in die Verkehrswirtschaft hinzuweisen. Mecklenburgs Wirtschaft erlitt im Dreißigjährigen Kriege ihren völligen Niedergang. Von einem wirklichen Wiederaufstieg kann wohl erst in dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts die Rede sein, als die Koppelwirtschaft in Mecklenburg Eingang fand. Der Übergang von der extensiven zur intensiven Wirtschaftsweise brachte Ge-


205) Das landschaftliche Kreditwesen Preußens. 1907. Einleitung.
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treideüberschüsse für den Export mit sich. Die rationelle Bewirtschaftung des Bodens entsprang den allgemeinen Bestrebungen nach einer Erhöhung der Gutserträge, welche Wirkung man durch Bauernlegen und Vermehrung der Frondienste zu steigern suchte. In diese Zeit fällt für Mecklenburg das "Eindringen rationalistisch-kapitalistischen Geistes", das "Erwachen des Erwerbstriebes in den Kreisen der Gutsherren". Diese lernen geldwirtschaftlich denken. Aber auch der Boden selbst wird in die Verkehrswirtschaft hineingezogen, da er frei veräußerlich, frei verpachtbar und frei verschuldbar ist. Das Rittergut bleibt nicht mehr ausschließlich der angestammte Besitz adliger Familien. Es wird in vielen Fällen freiwillig veräußert und sogar zum Handelsobjekt, und die Zahl der bürgerlichen Gutsbesitzer wächst. Hierzu trägt auch die durch die kapitalistische Wirtschaftsweise bedingte Verschuldung der Güter bei, die bei ungünstiger Konjunktur zur zwangsweisen Aufgabe des Besitzes führt. In solchen Zeiten wird die Aufrechterhaltung des Besitzes nicht nur durch die Einflüsse der Konjunktur erschwert, sondern der alsdann auftretende Wucher des Geldkapitalisten verschärft die mißliche Lage des Gutsbesitzers bis zum äußersten.

In Preußen verhalf das Institut der Landschaft den adligen Gutsbesitzern nicht nur zur Erhaltung, sondern sogar zu einer Ausdehnung ihres Besitzes und führte zum Feudalkapitalismus 206 ). Die Kredit- und Schuldnot der preußischen Gutsbesitzer zu Anfang des 19. Jahrhunderts darf nicht auf das Kreditsystem als solches zurückgeführt werden, sondern war die Folge einer im System nicht begründet liegenden übermäßigen Krediterleichterung. Die Einführung der ständisch-genossenschaftlichen Kreditorganisation war das Werk des absolutistisch regierten preußischen Staates. In Mecklenburg ergaben sich die Schwierigkeiten bei der Einführung eines geregelten Kreditwesens aus den mannigfachen Gegensätzen zwischen den Ständen. Wenn trotzdem diese Schwierigkeiten schließlich überwunden wurden, so hat hierbei nicht zuletzt der Zwang der Verhältnisse selbst beigetragen, denn es galt doch, den in schwere Kreditnot geratenen Stand der Gutsbesitzer im Interesse des Staates existenzfähig zu erhalten.

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206) Sieveking, Grundzüge der Wirtschaftslehre, S. 211/12.
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Anhang.

 

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Anlage 1.

Kaufpreise der Lehns- und Allodialgüter in Mecklenburg-Schwerin während des Zeitraums von 1770 bis 1824 * ).

Kaufpreise der Lehns- und Allodialgüter in Mecklenburg-Schwerin während des Zeitraums von 1770 bis 1824

Die durchschnittliche Größe einer ritterschaftlichen Hufe beträgt 185 Hektar.


*) Zusammengestellt aus "Die Kauf- und Pachtpreise der Landgüter und die Marktpreise landwirtschaftlicher Produkte in Mecklenburg-Schwerin seit dem Jahre 1770" (Schwerin 1880) bzw. "Über den Wert der ritterschaftlichen Landgüter in Mecklenburg-Schwerin und die sukzessiven Änderungen derselben" (Sep. Abdruck aus den Beiträgen zur Statistik Mecklenburgs).
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Anlage 2.

Die Rostocker Getreidepreise von 1781 bis 1810.

(Akten des Geh. u. Hauptarchivs zu Schwerin).

Die Rostocker Getreidepreise von 1781 bis 1810.

1 Rtlr. = 48 ßl. Die Preise verstehen sich für 1 Scheffel.

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Anlage 3.

Die Boizenburger Getreidepreise von 1791 bis 1810.

(Akten des Geh. u. Hauptarchivs zu Schwerin).

Die Boizenburger Getreidepreise von 1791 bis 1810.

1 Rtlr. = 48 ßl.

Die Preise verstehen sich für einen Scheffel.

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Anlage 4.

Übersicht über die Rostocker, Boizenburger und Dömitzer Kornausfuhr von 1777 bzw. 1782 bis 1791.

(Aufgestellt nach den amtlichen Kornausfuhrlisten 1 ).

Übersicht über die Rostocker, Boizenburger und Dömitzer Kornausfuhr von 1777 bzw. 1782 bis 1791.

(Die bzgl. Rostock gemachten Angaben für 1777 und 1783 umfassen die Ausfuhr je eines halben Jahres.)

Nach Norrmann, Die Freiheit des Getreidehandels, 1802, S.323, betrug die Rostocker Getreideausfuhr jährlich im Durchschnitt

für 1789/94 - 6900 Last und
für 1795/1800 - 9200 Last.

Im Jahre 1796 wurden 11 600 Last und im Jahre 1800 11 100 Last ausgeführt.


1) von Bassewitz, Gedanken über die Kornausfuhr von Mecklenburg. 1792.
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Anlage 5.

Konkurse der Rittergüter Mecklenburgs * ).

(Zusammengestellt aus dem mecklenburg-schwerinschen Staatskalender.)

Konkurse der Rittergüter Mecklenburgs

 

**) Die Zunahme an Gütern folgt aus der Erklärung von Nebengütern (Pertinenzien) zu Hauptgütern.

 

Vignette

*) Für die Jahre 1810/20 entnommen aus: H. Westphal, Die Agrarkrisis in Mecklenburg in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.