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von
großherzoglich meklenburgischem
Geheimen Archiv=Rath,
Conservator der
geschichtlichen Kunstdenkmäler des Landes,
Direktor der großherzoglichen
Alterthümer= und Münzen=Sammlungen zu
Schwerin,
Commandeur des königl.
dänischen Dannebrog= und des königl.
preußischen Kronen=Ordens, Ritter des Rothen
Adler=, des Nordstern und des Oldenburg.
Verdienst=Ordens 3 Cl., Inhaber der
großherzogl. meklenb. goldenen
Verdienst=Medaille und der königl.
hannoverschen goldenen Ehren=Medaille für
Wissenschaft und Kunst am Bande, der
Kaiserlich österreichischen und der großen
kaiserlich russischen goldenen
Verdienst=Medaille für Wissenschaft,
wirklichem Mitgliede der königlichen
Gesellschaft für nordische Alterthumskunde
zu Kopenhagen und der königlichen Akademie
der Wissenschaften zu Stockholm,
correspondirendem Mitgliede der königlichen
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen,
der kaiserl. archäologischen Gesellschaft zu
St. Petersburg,
der antiquar.
Gesellschaft zu Abbeville und der
Oberlausitz. Gesellschaft der Wissensch. zu
Görlitz,
wirklichem Mitgliede der
archäologischen Gesellschaft zu Moskau,
Ehrenmitgliede der anthropologischen
Gesellschaft zu Berlin,
der geschichts=
und alterthumsforschenden Gesellschaften zu
Dresden, Mainz, Hohenleuben, Meiningen,
Würzburg, Königsberg, Lüneburg, Emden,
Luxemburg, Christiania, Zürich, Stettin und
Greifswald,
correspondirendem Mitgliede
der geschichts= und
alterthumsforschenden Gesellschaften zu
Lübeck, Hamburg, Kiel, Hannover, Leipzig,
Halle, Jena, Berlin, Salzwedel, Breslau,
Cassel, Regensburg, Kopenhagen, Graz, Reval,
Riga, Leyden, Antwerpen, Stockholm und des
hansischen Geschichtsvereins,
als
erstem Secretair des Vereins für
meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.
In Commission in der Stillerschen Hofbuchhandlung.
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A. Jahrbücher für Geschichte.
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I. | Aus dem Leben der Königin Sophie Louise von Preußen, von dem Archivrath Dr. Wigger zu Schwerin | 3 | |
II. | Ueber Herzogin Anna, Tochter des Herzogs Magnus II. von Meklenburg | 98 | |
III. | Ueber den Bildhauer Rudolph Kaplunger und sein Bild von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch zu Schwerin | 100 | |
IV. | Ueber Heinrich Alkopf zu Wismar, von demselben | 104 | |
V. | Ueber die Johanniter-Comthureien Mirow und Nemerow, von demselben | 106 | |
Mit zwei Holzschnitten. | |||
VI. | Ueber die Drenow auf Poel, von demselben | 110 | |
VII. | Ueber die Bisthums- und Kirchspiels-Grenzen bei und in Wismar, von Dr. Crull zu Wismar | 113 | |
Mit zwei Steindrucktafeln. | |||
VIII. | Ueber die Verwandtschaft des meklenburgischen Fürstenhauses mit den Königen von Schottland, von dem Archivrath Dr. Wigger | 151 | |
IX. | Ueber ein Bild der Prinzessin Katharina, Enkelin des Herzogs Karl Leopold, von dem Amtmann Schlettwein zu Dömitz | 155 | |
X. | Zur Geschichte des alten Schloßbaues zu Schwerin, von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch | 157 |
B. Jahrbücher für Alterthumskunde.
I. | Zur Alterthumskunde im engern Sinne. | |||
1) | Vorchristliche Zeit. | |||
a. | Steinzeit | 161 | ||
b. | Bronzezeit | 164 | ||
c. | Eisenzeit | 167 | ||
d. | Alterthümer anderer europäischer Völker | 170 | ||
2) | Christliches Mittelalter und neuere Zeit | 171 | ||
II. | Zur Baukunde. | |||
Christliches Mittelalter. | ||||
Kirchliche Bauwerke | 177 | |||
Kirche und Pfarre zu Vellahn, von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch | 177 |
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Kirche zu Russow, von demselben | 199 | |||
Kirche zu Kirchdorf auf Poel, von dem Dr. Crull zu Wismar | 204 | |||
III. | Zur Münzkunde | 218 | ||
Münzfund von Granzin, von dem Geheimen Archivrath Dr. Lisch | 218 | |||
Münzfund von Züsow, von demselben | 221 | |||
IV. | Druck= und Schreibfehler=Verbesserungen und Zusätze | 223 |
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:
Von
Dr.
F. Wigger,
Archivrath.
In dem Verhältniß des Schweriner Hofes zum preußischen trat in Folge der Streitigkeiten des Herzogs Friedrich Wilhelm mit seiner Ritterschaft ein wesentlicher Umschwung ein. Man näherte sich so weit, daß am 31. März 1708 ein Schutz= und Trutzbündniß zu Stande kam, durch welches die früheren Erbverträge zu Gunsten Preußens erneuert, dem Könige Friedrich I. schon jetzt die Annahme des Titels und des Wappens eines Herzogs von Meklenburg zugestanden ward, er dagegen die Verpflichtung übernahm, dem Herzoge gegen dessen Ritterschaft daheim und in Wien kräftigen Beistand zu leisten. Bald hernach, im April desselben Jahres, erschien Herzog Friedrich Wilhelm zu einem kurzen Besuche am Hoflager zu Potsdam und fand eine gar freundliche Aufnahme; ja es entspann sich hier zwischen den beiden benachbarten Regenten ein Freundschaftsbund, der mit geringen Schwankungen bis an den Tod des Königs in herzlichster Weise fortgedauert hat.
Es ist schon von Zeitgenossen die Vermuthung ausgesprochen worden, daß damals in Potsdam auch bereits die Einleitung zu einer Verschwägerung getroffen sei; doch ist
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diese Annahme unrichtig. Vielmehr ist noch erst ein Todesfall in der königlichen Familie eingetreten, bevor an eine solche Verbindung gedacht ward. Es starb nämlich am 13. Mai (1708) des Königs kleiner Enkel, der damals noch einzige Sohn des Kronprinzen.
Wie tief dieses Ereigniß den König auch erschütterte, er ließ sich dadurch nicht abhalten, noch in demselben Monat nach Karlsbad zu reisen, wo er seine sehr angegriffene Gesundheit herzustellen hoffte.
Sein Wunsch erfüllte sich, der Brunnen that bald die beste Wirkung; das körperliche Befinden und die Stimmung des Monarchen hoben sich in gleich erfreulicher Weise.
Während nun dort am Kurorte der König am Abend des 17. Juni auf der Wiese spazierte, schlich sich sein vertrauter Kammerdiener Hammerstein, der aus meklenburgischem Hofdienst in den preußischen übergetreten war, 1 ) in die Wohnung des meklenburgischen Gesandten Geh. Raths Klein, der sich dem königlichen Reisegefolge angeschlossen hatte. Hammerstein machte demselben auf eidlich versicherte Discretion wichtige Mittheilungen. Der König habe ihm, so erzählte er an Klein, vor einigen Tagen vertraulich eröffnet, daß, weil er merkte, wie die Wasserkur, welche hannöversch gesinnte Minister ihm so angelegentlich widerrathen, gut einschlüge, er sich wohl entschließen dürfte, falls Gott ferner dazu sein gnädigstes Gedeihen geben wollte, wieder zur Ehe zu schreiten, weil ihm die Irreconnaissance des hannoverschen Hofes sehr sensible wäre und er nicht wissen könnte, ob die Kronprinzessin weiter mit Söhnen beerbt würde, dabei aber zu besorgen sei, daß, wenn insonderheit das dem Kronprinzen gestellte Prognostiken, daß er nämlich nicht lange leben wurde, nach Gottes Willen eintreffen sollte, er, der König, ohne männliche Nachkommenschaft verstürbe, während ihm Gott doch solche noch in einer neuen Ehe schenken könnte.
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Hammerstein fügte nun weiter hinzu, daß er dem König "auf Eid" über Alter, Größe, Gestalt, Gottesfurcht, Gemüth und Erziehung der Grabowschen Prinzessin (Sophie Louise) habe aussagen müssen; und auf seine pflichtmäßige Antwort, daß die Prinzessin etwa 20 oder 21 Jahre (richtiger 23) zähle, an Größe der Kronprinzessin gleiche, dabei aber von ungemein schönem Wuchse und von angenehmer Gestalt, sehr gütigem und liebreizendem Gemüthe und in aller Gottesfurcht erzogen sei, habe Se. Majestät geäußert: er müsse sie sehen und wolle zu dem Ende eine Jagd an der meklenburgischen Grenze veranstalten, den Herzog Friedrich Wilhelm, welchem er jetzt von Herzen ergeben sei, dazu einladen, bei dieser Veranlassung dann auch der Herzogin=Wittwe (Christine Wilhelmine) zu Grabow einen Besuch machen und so Gelegenheit nehmen, die Prinzessin zu sehen und zu sprechen. Der König würde aber, bemerkte der Kammerdiener weiter, auch eine Einladung nach Schwerin gern haben und wünsche sehr ein Bildniß der Prinzessin vorher zu sehen. Uebrigens waren nach Hammerstein's Angabe der Oberkämmerer (Graf Kolbe v. Wartenberg) und der Rath v. Ilgen unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit von Sr. Majestät ins Geheimniß gezogen.
Bei dieser unvermutheten Eröffnung des Kammerdieners erinnerte sich Klein, daß ihn schon vor etwa acht Tagen der Oberkämmerer und hernach auch Ilgen wie von Ungefähr nach denselben Umständen befragt hatten. Er versicherte Hammerstein, im Fall die Sache gelingen würde, der Erkenntlichkeit seines Herrn und versprach das gewünschte Portrait herbeizuschaffen.
Schon am andern Tage erbat er solches von seinem Herzog, ohne dabei sein Geheimniß zu verrathen. Er begnügte sich mit der Andeutung, daß er durch einen Eid gebunden sei, daß aber, "falls Gott den Endzweck dieses seines Desiderii felicitiren sollte, sodann Sr. Dchl. Prinzessin Schwester große Glückseligkeit und des hochfürstlichen Hauses Lustre und Aufnahme merklich befördert und auguriret werden dürfte."
Als am 19. Juni der König seine Rückreise antrat, offenbarte unterwegs der Gen.=Feldmarschall Graf Wartensleben, der auf des Königs Befehl mit Klein den Wagen theilte, Letzterem dasselbe, was dieser schon aus dem Munde des Kammerdieners wußte, und wiederum versprach Klein das gewünschte Bildniß, bat nun aber noch von Gera aus seinen Herrn, ihn unter einem Verwande auf einige Tage nach Schwerin abzurufen.
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Das Geheimniß blieb nicht lange bewahrt. Kaum war der König nach Berlin zurückgekehrt, als auch schon die ganze Stadt von seiner Absicht und von der bevorstehenden Jagd "voll war". Selbst der sonst so vorsichtige Ilgen ging bereits mit verständlichen Andeutungen gegen Klein heraus. Zwei Portraits langten bald bei diesem an; sie wurden Hammerstein übermittelt, und dieser zeigte eins dem Könige. Es war nicht eben getroffen; wenigstens Klein meinte, er "halte es mit dem Original". Auch dem Könige gefiel es wohl nicht ganz; er äußerte, er müsse die Prinzessin selbst sehen.
Einige Wochen verflossen hierauf, ohne daß die Angelegenheit gefördert ward. Als ihm aber Klein an seinem Geburtstage (12. Juli) ein Glückwunschschreiben seines Herzogs überreichte, sprach der König unter Versicherung seiner beständigen Freundschaft für seinen fürstlichen Nachbar die Hoffnung aus, den Herzog Friedrich Wilhelm bald zu besuchen; er verbat jedoch alle Ungelegenheit. Als später Wartensleben ihn fragte, ob es ihm genehm sei, wenn zu seinem Empfange auch die meklenburgische Ritterschaft nach Schwerin zu Hofe entboten würde, antwortete der König: er verlange keine von denen zu sehen, welche sich gegen ihren Landesherrn nicht mit geziemendem Gehorsam und Respect aufführten.
Den Tag der Abreise zur Jagd hielt König Friedrich lange so geheim, daß Wartensleben ihn noch nicht kannte, als schon die Einladung zu der Jagd an den Herzog von Meklenburg abging. Warum? das erfahren wir nicht, wohl aber, daß man sich in Berlin bereits viel Mühe gab, des Königs Vorhaben zu hintertreiben.
Dies gelang indessen keineswegs; vielmehr führte der Monarch seine Absicht aus. An die große Jagd schloß sich sein Besuch in Schwerin; er traf dort am 18. August mit seinen vornehmsten Hofbeamten und einem Gefolge von nicht weniger als 186 Personen ein, und er ward mit einer Pracht empfangen, deren Herstellung die herzoglichen Cassen zu erschöpfen drohete.
Natürlich hatte der Herzog Friedrich Wilhelm zu diesem Tage auch seine Mutter, die Herzogin Christine Wilhelmine, welche zu Grabow ihren Wittwensitz hatte, und seine Schwester Sophie Louise eingeladen. Die Prinzessin gefiel dem Könige sofort in so hohem Grade, daß er sie schon am andern Tage zu seiner Braut erklärte und am 20. August "die Mariage feierlichst abgeschlossen" ward. 1 )
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Während dann schon am Morgen des 21. der größte Theil des königlichen Gefolges Schwerin verließ, konnte Se. Majestät sich erst am Abend von der Braut trennen. Als Klein, der zur Verhandlung über die Ehepakten nach Berlin ging, sich am 26. dem Könige zu Charlottenburg vorstellte, fand er diesen in der heitersten Stimmung und von der "liebwerthen Person" seiner Braut sehr entzückt. Mit Befriedigung vernahm König Friedrich, daß die Prinzessin Sophie sich um seine Rückkehr beunruhige und, bevor sie nicht Nachricht von seiner glücklichen Ankunft habe, sich nicht öffentlich zeigen wolle.
Auch der Kronprinz und seine Gemahlin erklärten sich gegen den meklenburgischen Gesandten über "diese Alliance von Herzen vergnügt;" sie wollten sich gegen die Königin,
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"wie einem gehorsamen Sohn, Tochter, Dienerin und Diener geziemte und so aufführen, daß sie hofften, dadurch dero mütterliche Affection und Liebe ihnen zu acquiriren." Der Kronprinz nahm Klein treuherzig bei der Hand und trug ihm auf: "Herr Geh. Rath, schreibe Er der Königin, meiner Mama, daß ich alle kindliche Veneration vor sie habe und recht impatient bin, daß ich ihr nicht die Cour machen und meine Freude ihr temoigniren solle! Ich werde in allen meinen Anliegen mich an sie halten, und habe das Vertrauen zu sie, sie werde solches jederzeit durch ihr Hochvermögen bei meines Vaters Gnaden gütigst und freundmütterlich appuyren."
Gleich befriedigt äußert sich Klein auch über den Eindruck, welchen des Königs Verlobung auf den Hof und die Residenz gemacht hatte. Alles, "ja die Geistlichkeit," meldet er seinem Herzog, sei voll Freuden über die Berichte, welche die preußischen Minister nach ihrer Heimkehr aus Schwerin durchgehends von der Prinzessin "gütigem und gottergebenem, auch liebreizendem Naturell" gegeben hätten; insonderheit aber habe sich die königliche Braut sowohl bei dem Könige selbst, als auch bei allen seinen Dienern und bei der Geistlichkeit dadurch große Liebe und Achtung erworben, daß sie alle überflüssige Pracht und kostspielige Weitläufigkeit bei ihrer Heimführung verbeten hatte.
Ob Klein nicht manches Compliment für eine echte Münze nahm, lassen wir dahin gestellt. Der König selbst erwartete ohne Zweifel von seiner neuen Ehe großes Glück. Oft sprach er seine Sehnsucht nach der Braut aus; er bedauerte, noch ihrer Gegenwart entbehren zu müssen. Dem Maler Weidemann, der so oft die Königin Charlotte gemalt hatte, trug er auf, sein eigenes Bild für die Prinzessin zu malen, und er schickte ihn nach Grabow, um für ihn auch die Prinzessin zu portraitiren. Da es ihm der Maler aber zu lange machte, ließ er sich noch jenes unvollkommene Bildniß wieder bringen, um sich selbst aus diesem die geliebten Züge seiner Braut zu vergegenwärtigen. Man kann nicht zweifeln, daß, wenn er ursprünglich - ungeachtet mancher Abmahnungen seiner Räthe - zu der neuen Ehe zunächst durch die oben erwähnte Sorge um das Fortbestehen seines Hauses bestimmt war, jetzt die Prinzessin Sophie Louise sein Herz aufrichtig gewonnen hatte.
Welche Erwägungen auf meklenburgischer Seite durch Kleins erste Kundgebungen von der Absicht König Friedrichs hervorgerufen waren, ob man hier alle Rücksichten, welche bei
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dieser Vermählung in Betracht kamen, sorgfältig erwogen hat, bezeugen unsere Quellen nicht. Der Herzog Friedrich Wilhelm, ein Fürst von vielem natürlichen Verstande, dabei leichtlebig, gutmüthig, gehörte überhaupt nicht zu den stets berechnenden, selbstsüchtigen Charakteren; und er liebte seine einzige Schwester viel zu herzlich, als daß er sich durch politische Beweggründe, durch Vortheile, welche ihm aus solcher Verschwägerung mit dem mächtigen Nachbar, durch die Nachtheile, welche aus einer Ablehnung dieser Verbindung erwachsen konnten, oder durch den Glanz, der der Schwester und auch ihres ganzen Hauses zu warten schien, hätte in seiner Entscheidung bestimmen lassen. Er achtete aber seinen Bundesgenossen ganz aufrichtig und sehr hoch; die edlen Eigenschaften, sowie die freundschaftliche Gesinnung für sein Haus, welche er an dem Könige wahrgenommen hatte, ließen ihn vielleicht manchen Punkt übersehen, der von Bedeutung werden und wohl auch ernste Bedenken erregen konnte.
Der König Friedrich I. ist einigermaßen durch seine Stellung zwischen dem großen Vater und dem noch größeren Enkel verdunkelt; dennoch hatte seine Regierung manchen bedeutenden Erfolg aufzuweisen; und er wußte die Königswürde nicht nur zu erwerben, sondern ihr auch die gebührende Achtung bei den andern Großmächten zu verschaffen und zu erhalten. Seine Schwächen, Eitelkeit und Prunksucht, Unselbständigkeit gegenüber seinen Günstlingen, fallen uns mehr in die Augen als seinen Zeitgenossen, die fast an allen Höfen ähnliche Wahrnehmungen machten. Daneben traten die Tugenden, welche den König zierten, um so heller hervor. Er war für alles Edle empfänglich, tapfer, großmüthig, religiös, gutherzig und mildthätig, gegen seine Umgebung liebevoll und bei aller Reizbarkeit versöhnlich; und wenngleich er in beklagenswerther Abhängigkeit von französischer Hofsitte die ränkesüchtige und aufgeblasene, gemein denkende Frau seines Günstlings und Premier=Ministers, des Oberkämmerers Grafen v. Wartenberg, in seinem Hofleben eine Rolle spielen ließ, die sich jener der Maitressen des Königs Ludwig XIV. näherte, war er doch in der Ehe treu.
Bei alledem war aber Friedrich in seinem ehelichen Leben doch nicht glücklich geworden. Seine erste Gemahlin, Elisabeth Henriette von Hessen=Cassel, die er, erst 22 Jahre alt 1679 als Kronprinz heimgeführt hatte, war nach kaum vierjähriger Ehe gestorben; sie bleibt ebenso wie ihre Tochter (die Gemahlin des Erbprinzen Friedrich von Cassel, † 1705) ganz außerhalb unseres Gesichtskreises.
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Desto lebhafter schwebte den Zeitgenossen das Bild der zweiten Gemahlin König Friedrichs vor, der Mutter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, Sophie Charlotte aus dem hannoverschen Hause, die am 1. Febr. 1705 gestorben war. Diese hatte vor ihrer Vermählung mehrere Jahre in Paris und auf Reisen zugebracht und ihren seltenen Geistesgaben eine bewundernswürdige Ausbildung gegeben; an Anmuth und Feinheit kam ihr keine andere Frau gleich. Und dennoch ward weder sie selbst am preußischen Hofe, noch durch sie ihr Gemahl glücklich. Ihre Neigungen gingen eben zu weit auseinander. Charlotte überragte den Gemahl an Geist sehr weit; wollte sie, nach ihres Günstlings Leibniz Ausspruch, nicht allein das Warum? sondern auch das Warum des Warum? wissen, so konnte ihr des Königs auf das Staatswesen und vornehmlich auf eine Hofhaltung voll Pracht und Etiquette gerichteter Sinn nicht genügen. Sie unterhielt sich lieber mit Leibniz und andern erleuchteten Geistern über die höchsten Probleme des Glaubens und Wissens als mit geistlosen Damen über gleichgültige Tagesereignisse; sie beschäftigte sich lieber mit Musik, als daß sie Complimente bei Visiten wechselte; und sie veranstaltete lieber in Charlottenburg nach ihrem Geschmack mit Gästen nach ihrer Wahl Opern und Ballette, als daß sie an jenen Berliner Hoffesten theilnahm, welche König Friedrich mit besonderer Vorliebe und großer Verschwendung nach französischen Vorbildern pflegte. Die hervorragende Stellung, welche die Gräfin Wartenberg am Hofe einnahm, verletzte sie. Der steife Zwang der Etiquette, unter deren Herrschaft sich der König und sein Hof bewegten, und auch des Königs Empfindlichkeit und Reizbarkeit, machten Sophie Charlotte den vertrauten Umgang mit ihrem Gemahl unerquicklich. Es bestand viele Jahre hindurch zwischen ihnen ein kühles Verhältniß, welches sich auf äußerliche Höflichkeit beschränkte; die Königin wohnte zuletzt meistens von ihrem Gemahl getrennt in Charlottenburg.
War nun aber Sophie Louise, die "Princesse von Grabow", geeignet, des Königs Herz dauernd zu fesseln und selbst in ihrem künftigen Glanze Genüge und Glück zu finden? Der König zählte damals, als er um sie warb, erst 51 Jahre; aber bei seiner schwächlichen Constitution war er mehr gealtert, als seine Jahre vermuthen ließen, seine Reizbarkeit hatte sich gesteigert; es war nicht eben leicht, den von Schmeichlern verwöhnten Fürsten stets bei guter Laune zu erhalten. - Sophie Louise, damals 23 Jahre alt (ihr Geburts=
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tag der 6/16. Mai 1685), hatte ihren Vater, den Herzog Friedrich, der als apanagirter Prinz das alte Schloß zu Grabow bewohnte und nach demselben wohl auch Friedrich von Grabow genannt ward, schon verloren, als sie kaum 3 Jahre zählte {28. April/8. Mai 1688}. Bald hernach waren ihre beiden ältesten Brüder Friedrich Wilhelm und Karl Leopold aus dem Hause der Mutter auf den Wunsch des Oheims, des regierenden Herzogs Christian Ludwig I., nach Schwerin gekommen, um dort unter den Augen der Räthe erzogen zu werden; und Friedrich Wilhelm hatte in seinem 18. Lebensjahre (1692, nach des Oheims Tode) die Regierung übernommen, war lange Zeit unvermählt geblieben, hatte aber 1704 die treffliche Landgräfin Sophie Charlotte von Hessen=Cassel heimgeführt und ein Hof leben begründet, an dem auch Mutter und Schwester zu Zeiten Theil nahmen. sonst war Sophie Louise mit ihrem jüngsten Bruder Christian Ludwig bei der Mutter auf ihrem einsamen Wittwensitz, dem Schlosse zu Grabow, erzogen; ein paar Hofdamen, der Hofprediger und die Lehrer waren fast die einzigen Personen gewesen, mit denen sie weiter noch verkehrte. Hier im Grabower Schlosse herrschte der ungezwungenste und herzlichste Ton, vertrauensvoll kam man hier einander entgegen; die Mutter erzog die Tochter in aller Gottesfurcht und mit zärtlicher Liebe, vielleicht aber auch mit allzuviel Nachgiebigkeit, durch welche ein gewisser Hang zum Eigensinn bei der Prinzessin gefördert ward. Sophie Louise war mit einem guten natürlichen Verstand begabt, der in kurzen Aeußerungen leicht das Rechte traf, sie hatte sich die Kenntnisse angeeignet, welche man damals von einer Fürstin verlangte, sie sprach fließend französisch und trieb die Musik mit Vorliebe und Verständniß. Im Allgemeinen aber hatte sie eine große geistige Gewandtheit nicht erlangt, wenigstens verrathen ihre (deutschen) Briefe eine gewisse Ungeübtheit. Ebenso wenig hatte sie im mütterlichen Hause Gelegenheit gefunden Menschenkenntniß zu erwerben; und doch sollte sie fortan den Mittelpunkt eines Hofes bilden, der in Parteien zerrissen war, wo Ränke an der Tagesordnung waren, jede Partei sich bemühete des Königs Schwächen auszubeuten, Glätte und Gleißnerei die Unterscheidung von Wahrheit und Heuchelei erschwerte! Schon, daß sie das kronprinzliche Paar, das mit ihr fast in gleichem Alter stand (der Kronprinz war etwa 3, die Prinzessin etwa 2 Jahre jünger als sie), am Hofe vorfand, erschwerte voraussichtlich ihre Stellung. Kam sie den erwähnten
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freundlichen und gewiß aufrichtigen Worten des Kronprinzen mit gleichem Vertrauen entgegen, so ließ sich vermuthen, daß die Wartenberg=Wittgensteinsche Partei (die mit Recht in dem Kronprinzen einen heimlichen Gegner sah, damals aber den König noch beherrschte) den Gemahl gegen sie einzunehmen versuchen würde; und verhielt sie sich kühl gegen das kronprinzliche Paar, so mußte auch dies ihr Feindschaft erwecken, zumal die Kronprinzessin ihrem Schwiegervater gar sehr gefiel und sie sich um seine Gunst ersichtlich bemühete. Kurz, nur die größte Klugheit hätte hier das rechte Maß finden mögen; aber das ungeheuchelte Vertrauen, welches in dem kleinen Kreise zu Grabow herrschte, fand am preußischen Hofe kaum einen gedeihlichen Boden.
Ueberdies verlangte der König von seiner Gemahlin, daß sie glänzen sollte. Dazu fehlten der Prinzessin von Grabow die Gaben auch keineswegs; ihre Feinheit und ihre Anmuth hatten ja sofort auf den König den angenehmsten Eindruck gemacht. 1 ) Aber sie hatte im Hofleben fast keine Erfahrung gesammelt. Sie war in Grabow so einfach erzogen, war wenig hinausgekommen; vor zwei Jahren hatte sie die Mutter ins Bad begleitet, das scheint ihr einziger größerer Ausflug gewesen zu sein. Und ihres Bruders Hofhaltung war wohl verhältnißmäßig glänzend, aber doch gering im Vergleich zu der preußischen.
Ob Sophie Louise nun die Geschmeidigkeit und Gewandtheit entwickeln würde, welche ihre künftige Stellung unter den obwaltenden Verhältnissen erforderte, war aber um so zweifelhafter, da ihr Sinn wenig auf äußerlichen Glanz gerichtet, vielmehr für ihre Jahre ungewöhnlich gereift und ernst war, da sie sich nicht nur äußerlich, kirchlich, sondern von ganzem Herzen zum Christenthum bekannte und unbedingt verwarf und unterließ, was wider ihr Gewissen stritt. Sie hatte die Hand des Landgrafen von Hessen=Darmstadt (Ernst Ludwigs), der im Jahre 1705 seine Gemahlin Dorothea Charlotte von Brandenburg=Anspach verloren hatte, trotz seiner sehr lebhaften Bewerbungen vornehmlich deswegen ausgeschlagen, weil es ihr zu Ohren gekommen war, daß er mit einer Gräfin von Zinzendorf ein irregulaires Leben führe.
An der ehelichen Treue des Königs von Preußen zweifelte die Prinzessin von Grabow nun freilich nicht; sie wußte über=
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dies, daß er ein religiöser und auch kirchlich gesinnter Fürst war. Aber es bestand zwischen ihnen ein confessioneller Gegensatz, der auch alsbald hervortrat. Denn der König hing nach Seiner Erziehung der reformirten Confession an und bekannte sich zu derselben auch mit voller Ueberzeugung; ebenso sagte man, daß er die Reformirten vor den Lutheranern begünstigte. Daneben aber zeigte auch er, wie schon seine Vorgänger, eine unionistische Tendenz und in seinen späteren Jahren eine Vorliebe für die Verfassung und den Ritus der englischen Hochkirche. Das strenge Festhalten der Lutheraner an ihren symbolischen Büchern und an den dogmatischen Unterschieden von den Reformirten war ihm verdrießlich, erschien ihm, dem logische Schärfe nicht eben eigen war, mehr als Eigensinn denn als achtbare Ueberzeugung. Dagegen war Sophie Louise eine sehr aufrichtige und entschiedene Bekennerin der lutherischen Confession, in welcher sie von Kind auf unterwiesen war. Die meklenburgische Geistlichkeit jener Zeit wachte um so aufmerksamer über Reinheit der lutherischen Lehre, da diese früher in der reformirten Confession des Herzogs Hans Albrecht II. von Güstrow und neuerdings in Herzog Christians I. Uebertritt zur katholischen Kirche eine Gefahr für die lutherische Landeskirche erkannt hatte.
Es war für die Prinzessin eine Gewissenssache, diesen Punkt schon in den Ehepakten klar zu stellen. Ja sogleich bei ihrer ersten Bekanntschaft sprach sie mündlich mit dem Könige darüber und ließ ihm bei seiner Abreise nach Berlin den betreffenden Paragraphen in folgender Fassung zugehen:
"Das exercitium religionis Augustanae confessionis wird von Ihrer Majestät dem König Ihro Majestät der Königin solchergestalt concediret und verstattet, daß Sie in einem bequemen Zimmer bei Hofe durch einen Lutherschen Prediger nicht allein den ordentlichen Gottesdienst an Sonn=, Fest= und übrigen Tagen besorgen, sondern sich auch einen Lutherschen Confessionarium nach eigenem Gefallen wählen und von demselben das heilige Nachtmahl nach Lutherscher Art Ihro administriren und reichen lassen möge."
Der erste (preußische) Entwurf hatte noch den Zusatz enthalten: "Wobei Sie (die Königin) dennoch nicht unabgeneigt sein, auf Verlangen Ihro K. M. dem reformirten Gottesdienst in Anhörung der Predigten mit beizuwohnen, auch nach geschehener Copulation von dem Grund sothanen Gottesdienst[es] sowohl von Ihro K.
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Maj. selbst, als denen darzu verordneten Geistlichen einen schriftmäßigen und gründlichen Bericht anzuhören und zu admittiren, solchen bei sich wohl zu überlegen und mit denen fundamentis religionis Lutheranae zu conferiren und sich der Wirkung der göttlichen Schrift und Regung des heiligen Geistes und dessen Ueberzeugung nicht zu widersetzen, auch gerne geschehen zu lassen, daß, falls der große Gott diese Ehe mit Kindern gesegnen sollte, dieselbe von einem der reformirten Religion zugethanen Geistlichen getaufet und in sothaner Religion erzogen werden mögen." Auf diesen Zusatz, der des Königs Absicht, seine künftige Gemahlin in die reformirte Kirche hinüberzuführen, so deutlich verrieth, war man auf meklenburgischer Seite nicht eingegangen. Ebenso wenig wollte es aber der König bei dem Verlangen seiner Braut bewenden lassen. Klein hatte in Bezug auf diesen Punkt bei den Verhandlungen über die Ehepakten in Berlin einen gar schweren Stand. Endlich brachte er es mit seinen "glimpflichen und submissen" Vorstellungen bei Sr. Majestät selbst, die fast eine ganze Stunde währten, so weit, daß der König sich geneigt zeigte, seiner künftigen Gemahlin dieselbe Religionsfreiheit zuzugestehen, deren sich die Kronprinzessin erfreute. Mittlerweile aber lief bei dem meklenburgischen Unterhändler ein neues Schreiben der Prinzessin ein, wonach jedenfalls die Freiheit behalten wollte, sowohl nach ihrem Belieben zu communiciren, als auch in ihrem Gemache vor sich Gottesdienst halten zu lassen; sie könne sich nicht binden lassen, "ordinairement" denen reformirten Predigten beizuwohnen, obgleich sie nicht ermangeln werde, sich dann und wann bei Gelegenheit dabei einzufinden. "Ich zweifle nicht" - schließt sie, - "I. M. der König werden hierin um so viel weniger difficil sein, als Sie Sich gnädigst erinnern werden, was Ich bei Dero Anwesenheit hieselbst mündlich mit Deroselben hierüber geredet, und Ihnen nicht unbekannt ist, daß auf solche Art es ebenfalls mit andern Königinnen 1 ) pfleget gehalten zu werden. Und weil mir an diesem Articul ein Großes gelegen, so recommendire selbigen Ihm höchlich zur Erreichung meiner Intention." Dies Schreiben versetzte Klein in eine nicht geringe Verlegenheit. Er meldete der Prinzessin am 9. Sept., der König
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habe seiner künftigen Gemahlin rücksichtlich der Religionsübung Gleichstellung mit der Kronprinzessin zugestanden, "und kann ich," fügte er hinzu, "nicht anders als rathen, diesfalls nichts weiter erinnern zu lassen, wo Dieselben sich nicht des Pietismi verdächtigt machen (wovon I. F. Durchlaucht Deroselben mehrer éclaircissement geben kann) oder die Hannoversch=Gesinnten, so ohnedem wegen der großen Distinction, so der König in allen zwischen Sie und die Kronprinzessin zu machen suchet, durch Ew. K. M. Prévalance in der größten Jalousie gesetzet sein, zu mehrer Aigreur und heimlichen Afterreden wider Sich reizen und stimuliren wollen."
Die Kronprinzessin durfte nun freilich auch an andern Tagen, als wann sie communicirte, in ihrem Gemach predigen lassen, that es aber aus politischen Gründen nur, wenn sie durch Krankheit ans Zimmer gefesselt war; sonst ging sie mit dem Kronprinzen in des Königs Capelle, ließ jedoch ihren Beichtvater Bossart zu sich kommen, so oft es ihr gefiel, sich mit ihm aus Gottes Wort zu unterhalten; und der König kam öfters zu ihr, wenn sie sich predigen ließ.
Die Unterhandlungen Klein's zogen sich nun noch weit hinaus; noch am 26. October schrieb Sophie Louise, es müsse durchaus bei ihrem ersten Project bleiben; wollten die preußischen Bevollmächtigten Ilgen und Printzen sich dazu nicht verstehen, so sollte Klein ein beigelegtes Schreiben an den König selbst abgeben.
Da kam dann endlich dieser Paragraph in solcher Fassung zu Stande, daß es der künftigen Königin freistehen sollte, "mit Sr. K. M. Approbation einen Prediger aus dem Berlinischen Lutherischen Ministerio zu ihrem Beichtvater zu erwählen und durch denselben in einem Dero Vorzimmer sich das heil. Abendmahl, so oft es der Prinzessin Liebden gefällig sein wird, administriren zu lassen; wie denn auch dieselbe auf den in Gottes Händen stehenden Fall des zu beziehenden Witthumssitzes daselbst den Gottesdienst durch einen Hofprediger ihrer Religion verrichten lassen kann." Im Uebrigen sollte auch für die künftige Königin gelten, was der König der Kronprinzessin rücksichtlich der Religionsübung zugestanden und in seinem Testamente wiederholt und als eine pragmatische Sanction für sein Haus verordnet hatte.
Wir glaubten diesen Artikel der Ehepakten weitläufiger besprechen zu müssen, theils weil uns diese Verhandlungen einen Einblick in das religiöse Leben der Prinzessin verstatten theils weil diese Angelegenheit später nicht ohne Einfluß auf
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den ganzen Lebensgang der Königin geblieben ist. Im Uebrigen bemerken wir kurz, daß die Ehepakten glänzend genug waren. War der Prinzessin Sophie Louise von ihrem Bruder eine Ausstattung von 15000 Thlr. zugesagt, so bewilligte ihr König Friedrich eine Morgengabe von 1200 Thlrn. und an Kleider=, Hand= und Spielgeldern jährlich 20,000 Thlr., von den Dotalgeldern und der Gegengabe eine Rente von 3000 Thlrn., einen ansehnlichen Hofstaat, ein Witthum (Gröningen im Halberstädtischen) von 25,000 Thlrn. jährlicher Einkünfte u. s. w. Endlich betrugen die Donativgelder der preußischen Provinzen 71000 Thlr. und 4000 Ducaten.-Die Prinzessin und ihre Mutter verwandten auf die Ausstattung der jungen Königin 44000 Thlr. u. s. w.
Klein war nicht wenig erfreut, daß die Verhandlungen über die Ehepakten endlich ihren Abschluß empfingen. Schon am 9. Sept. hatte er seinem Herzog in großer Sorge gemeldet, "daß, wo jemalen, sich gewiß anitzo die Widrig= und Hannoversch=Gesinnten rührten und die Köpfe heimlich zusammensteckten, wo möglich durch Intriguen diese Alliance zu turbiren und wohl gänzlich über [den] Haufen zu werfen." In Hannover hatte der Kämmerer Marschall v. Bieberstein (Ende August) die Verlobung notificiren müssen und hatte dort allerdings von der Unzufriedenheit mit derselben deutliche Spuren gemerkt. Man fand dort des Königs Sorge um Nachkommenschaft bei dem jugendlichen Alter des kronprinzlichen Paares nicht gerechtfertigt; und schon bei dem ersten Gerücht von dieser Verlobung mit der meklenburgischen Prinzessin "verursachte" es zu Hannover "keine geringe Sorge, ob es der Kronprinzessin gefallen werde, hinkünftig eine junge Königin über sich zu sehen." Der König, ohnehin auf Hannover nicht gut gestimmt, wünschte nun auch, daß seine Braut den von dort eingegangenen Glückwunsch nicht vor ihrer Vermählung beantwortete. Ueber Hannover gelangten auch allerlei verleumderische Andeutungen über die künftige Königin (wie man meinte, von einigen Mitgliedern der meklenburgischen Ritterschaft, die dadurch das Einvernehmen des Herzogs Friedrich Wilhelm mit dem Könige zu zerstören suchten) nach der preußischen Residenz und wurden dann hier ausgebeutet, entstellt und erweitert. Trotz der "täglich von dem König öffentlich declarirten Liebe und Estime" für seine Braut wurden in seiner Umgebung "die giftigsten Intriguen anitzo geschmiedet und die nachtheiligsten Calumnien in der Stadt, insonderheit unter denen Weibern, disseminiret." Man begnügte
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sich nicht sie eine "Pietistin" zu schelten, sondern man erlog schändliche Liebeshändel, die sie gehabt haben sollte u. s. w.; ja es fielen sogar Reden in dem Sinne, daß "Verlobung noch keine Verheirathung sei." Einige "königliche Ministri" schritten indessen ein und brachten diese feindselige Partei durch ihre Verwarnungen zum Schweigen. So berichtet Klein und bittet um Anweisung, wie er sich dabei zu verhalten habe. Von Schwerin aus antwortete man dem Gesandten, man müsse so gemeine Lügen ignoriren, wenigstens bis der König solche erführe und seinerseits dagegen einschritte; der Königin früheres und späteres Leben werde sie widerlegen; was Gott mache, das könne der Teufel nicht stören.
Leider erfuhr aber die Prinzessin selbst Etwas davon, wenn auch nicht die Einzelheiten; sie ließ jenen königlichen Beamten für ihr Einschreiten danken. Aber welche Befürchtungen mußte sie hieraus für ihre Zukunft schöpfen! Die Namen der Gegner nennt uns Klein nicht; sie müssen aber in den höheren Hofregionen gesucht werden. Denn die Freunde, schreibt Klein, ließen sich "ihm ein Mehres sagen zu wollen nicht undeutlich vermerken, wann nicht Furcht, sich der disaffectionirten Partei Haß und Verfolgung noch mehr zu exponiren, und der Respect für den König sie zurückhielte." Dagegen erwähnt er die Kammerherren Marschall von Bieberstein und von Kniphausen als der künftigen Königin besonders ergeben; von dem Ersteren rühmt er, daß er sofort für dieselbe importirt war.
Dem Könige scheinen jene Klatschereien verborgen geblieben zu sein, oder er hat sie verachtet und ignorirt. Er war zu glücklich über seine bevorstehende Vermählung 1 ) und zu eifrig beschäftigt, ungeachtet die Prinzessin sich solchen verbeten hatte, zu einem überaus glänzenden Einzuge die Vorbereitungen zu treffen und der Königin Gemächer würdig herzustellen, wobei ihm zu seiner Freude die Schwiegertochter gefällig zur Hand ging. Ein großartiger Hofstaat ward ernannt, die Oberhofmeisterin sowohl als die 6 Hofdamen sollten Gräfinnen sein, vielleicht weil der Obermarschall Graf Wittgenstein für die erstere Charge seine Schwiegermutter, eine Reichsgräfin v. Sayn=Wittgenstein, und für eine der
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letzteren eine Schwägerin ausersehen hatte. Denn auch in solchen Fragen machten sich Eigensucht und Parteigeist geltend Daß der Herr v. Marschall nicht Oberhofmeister ward (nach späteren Andeutungen, weil er nicht Graf war), das verstimmte Klein sehr. Den Grafen von Schwerin, den der König wirklich ernannte, hielt der Gesandte für eine Creatur der feindlichen Partei. Auch darin, daß auf des Oberkämmerers Betrieb der Secretair der vorigen Königin wieder zum Secretair der künftigen Königin bestimmt ward, sah die der letzteren günstige Partei eine Tücke der gegnerischen; und vor den "Königlichen Türken, so E. Maj. zum Kammerdiener geben worden ist", ließen die ihr Ergebenen durch Klein die Prinzessin warnen. Es scheint hiernach, als wenn der Graf Wartenberg von vorne herein oder doch jetzt schon als Gegner der künftigen Königin angesehen ward. Und vielleicht mit Recht, da es bekannt ist, wie abhängig er von seiner herrschsüchtigen und hochmüthigen Gemahlin war, diese aber allen Grund hatte, von einer künftigen Herrin eine Einbuße an Einfluß und Stellung zu befürchten. Uebrigens erschien zu den bevorstehenden Vermählungsfeierlichkeiten gerade jene Rangordnung, welche bekanntlich ohne Rücksicht auf Stand und Abkunft dem Oberkämmerer und seiner Gemahlin den Vorrang vor allen dem königlichen Hause nicht angehörenden und nicht regierenden Fürsten und Fürstinnen einräumte.
Allmählich fanden die Vorbereitungen zu den Festlichkeiten ihren Abschluß. Selbst zu der Vermählungsfeier in Schwerin, die auf den 19. Nov. festgesetzt war, brachte Klein das Programm aus Berlin mit.
Wir überheben uns einer Beschreibung derselben. Man machte in Schwerin alle Anstrengungen, das Fest dem Könige zu Liebe so glänzend als möglich zu gestalten. Die Herzogin=Mutter nahm an Allem Antheil, selbst am Fackeltanze. Ihren Bruder Herzog Karl Leopold hatte die Prinzessin sich als Trauführer gewünscht; er blieb jedoch aus, angeblich weil er seine Equipagen und die Kleider seiner Dienerschaft nicht mehr in Stand setzen könne, in Wirklichkeit wohl, weil es ihn verdroß, daß sein Bruder dem Könige den Titel eines Herzogs von Meklenburg zugestanden hatte; er konnte sich nicht einmal zu einem Gratulationsschreiben an den König entschließen. Für ihn trat nun der jüngste Herzog Christian Ludwig ein. Den König dagegen vertrat am Traualtar der Herzog Friedrich Wilhelm; dieser überreichte dem preußischen Obermarschall Reichsgrafen von Wittgenstein, den der König dazu abgeordnet hatte, den Trauring. Die Stadt Schwerin
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bot an Ehrenpforten und Illuminationen auf, was sie vermochte. Am 21. Morgens reiste die Königin, begleitet von der Mutter, dem Bruder und der Schwägerin, von dort ab, - einem sehr ungewissen Glücke entgegen.
Auf der Grenze verabschiedeten sich ihre Verwandten; es empfing sie hier ihr glänzender Hofstaat; am 24. Nov. ward sie von ihrem Gemahl feierlichst zu Oranienburg eingeholt.
Doch nicht lange vergönnte der König sich die Freude des Zusammenseins mit seiner jungen Gemahlin; er eilte vielmehr bald nach Berlin voraus, um für den bevorstehenden großartigen Einzug in diese Residenz die letzten Anordnungen zu treffen; und er hatte die Genugthuung, daß derselbe am 27. Novbr. von Schönhausen aus durch die Ehrenpforte am Königsthore unter Pauken= und Trompetenschall, Militairmusik und Glockengeläute, welches alles "ein heftiges, aber zugleich liebliches Getöne erregte", ganz nach seinem Wunsche, "bei gutem Wetter und Zusehung vieler tausend Frembden ohne Unglück vollenbracht" ward. Am nächsten Tage setzte er seiner Gemahlin die königliche Krone auf und begab sich mit ihr in feierlichem Zuge und höchstem Glanze - Prinzessinnen hielten die Zipfel vom Mantel der Königin, Gräfinnen trugen ihre Schleppe - in den Dom, wo der Bischof von Bär die Ehe des königlichen Paares einsegnete.
Die weiteren, mit "asiatischer Pracht" ausgestatteten Hoffestlichkeiten, die Festoper und das Ballet, in welchem Hofleute und selbst fürstliche Personen tanzend auftraten, die große Maskerade, das Feuerwerk, die Thierhetze, die Illumination, übergehen wir; es genüge zu bemerken, daß sie sich fast bis Weihnacht hinzogen. Wenn das Volk über solche Verschwendung murrte, so durfte man sie gerade der Königin um so weniger zur Last legen, da sie dieselbe, wie erwähnt, ausdrücklich verbeten hatte und an solchem Pomp keinen Geschmack fand. Wir erwähnen nur, daß sie nicht störend einwirkte, sich vielmehr (nach Klein's Bemerkung) "zu jedermanns Verwunderung gouvernirte", und "ihre allen Collegiis und Landständen sowohl in französischer als teutscher Sprache gegebene gute, gnädige Antwort allen umb und vor dem Throne Stehenden große Satisfaction, zu ihrem hohen Ruhme, gegeben" hat. Es war demnach kein Wunder, daß "die Königin allenthalben Approbation und Liebe fand".
Man erzählt freilich 1 ), der König habe eben damals vom Kronprinzen erfahren, daß die Kronprinzessin sich in gesegneten
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Umständen befinde, mithin für den verstorbenen Sohn des Letzteren ein Ersatz zu hoffen sei, und Friedrich habe eben darum nun seine eigene neue Vermählung bereut, da der Hauptbeweggrund zu derselben, die Furcht vor dem Aussterben seines Stammes, hinfällig geworden, und er sei während der Hochzeit verstimmt gewesen. Indessen ist diese Angabe höchst unglaubwürdig. Denn davon abgesehen, daß jene Hoffnung denn doch eine sehr unsichere war (wie sie denn ja auch damals nicht in Erfüllung gegangen ist), so finden wir nur Andeutungen, daß König Friedrich sich über sein eigenes Ehewerk sehr glücklich fühlte, und daß er "sein Vergnügen auch öffentlich contestirte". Dem meklenburgischen Unterhändler, dem Geh. Rath Klein, verlieh er am 28. Nov. den Adel (da sich derselbe die Freiherrnwürde verbat).
Und wenn Friedrich der Große 1 ) meint, daß die Hochzeitsfeier des Königs einzige Annehmlichkeit von dieser Verbindung, alles Uebrige in dieser Ehe nur unglücklich gewesen sei, so darf dies nicht wörtlich genommen werden; wenigstens gilt es nicht von der ersten Zeit. Es wird vielmehr in unsern Berichten gelegentlich erwähnt, daß König Friedrich im vertrautesten Umgange mit seiner jungen Gemahlin große Befriedigung fand, daß er nicht nur die gewöhnliche Abendstunde, bevor er in die Tabagie ging, sondern auch ganze Nachmittage mit ihr verplauderte, und das Naturell seiner "Fike" ihm gar sehr zusagte. 2 ) Und diese fand gar bald Gelegenheit ihm Beweise von ihrer Liebe und Aufmerksamkeit zu geben. Noch bevor die Vermählungsfeierlichkeiten alle überstanden waren, erkrankte Friedrich. Schon am 17. Decber. schreibt Klein, daß "I. M. der König sich allemal nach der Mittagsmahlzeit sehr übel befinden, und nunmehro zum zweiten Mal innerhalb 4 Tagen die Ader Ihro eröffnen lassen wegen großer Herzensbangigkeit." "Gott gebe", setzt er hinzu, "daß dieses Uebel nicht ingravescire, und dem guten Könige seine doch wenige Kräfte das viele Aderlassen und heftiges Vomiren nicht allgemächlich gänzlich zu höchster Betrübniß unsrer lieben Königin prosterniren und zu Grunde richten." Erst nach vier Wochen erholte sich der König wieder. Im März erkrankte er abermals, und in der Nacht vom 1.
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auf den 2. Mai, zu Oranienburg, erlitt er einen so schweren Anfall, daß man jeden Augenblick den Tod befürchtete.
Die treue und aufopfernde Pflege, welche ihm die Gemahlin in solchen schweren Zeiten bewies, wußte er nicht dankbar genug anzuerkennen und zu rühmen und nach seiner Weise durch Aufmerksamkeiten und Geschenke auch äußerlich auszuzeichnen. Im Jahre 1703 war er damit umgegangen, das Witthum der Königin Charlotte auf 100,000 Rth. zu erhöhen; aber es war eben nur ein vorübergehender Sonnenblick in seiner zweiten Ehe gewesen, diese Angelegenheit hernach liegen geblieben. Jetzt nahm er für seine "Fike" diese Absicht wieder auf. "Ihro Maj. der König haben sich", schreibt Klein am 13. März, "einige Tage wieder nicht am besten befunden, und sind daher commoviret worden, gestern gnädigst zu declariren, der Königin Maj. Dotalitium auf 100,000 Rth. zu verbessern." Widerwillig entwarf Ilgen die Acte; sie gefiel dem Könige nicht ganz. Da er am 14. wieder sich nicht wohl befand, änderte er sie mit Klein nach seinem Gefallen und vollzog sie - wie es scheint, weil er sein Ende nahe glaubte. Statt des Schlosses Gröningen mit 25,000 Rth. Renten bestimmte er das Schloß Moyland bei Cleve oder das Schloß zu Cleve selbst zum Witthumssitze aus cleveschen Aemtern, die hernach angewiesen wurden, sollte dazu ein jährliches Einkommen von 100,000 Rth. fließen. - Am 8. April schenkte der König seiner Gemahlin das vor dem Stralauer Thore von Berlin belegene Lusthaus Belvedere, dann am nächsten Tage wieder eine glänzende Equipage, zu ihrem Geburtstage einen sehr kostbaren Schmuck von Smaragden und Rubinen u. s. w.
Die junge Königin ihrerseits durfte wohl in steter Sorge um das zarte Leben ihres Gemahls sein; aber im Allgemeinen fühlte sie sich in ihrer Lage keineswegs unglücklich. Leider sind die Briefe, welche sie an ihre Mutter richtete, 1725 im Grabower Schloßbrande untergegangen; aber vor uns liegt ein Brief von ihr an ihren Bruder Christian Ludwig vom 11. März 1709, in welchem sie ihn um seine Vermittlung zum Engagement einer Lehrerin der Musik bittet, von der sie namentlich im Generalbaß unterrichtet zu werden wünschte. In diesem Schreiben bemerkt sie ausdrücklich: "daß ich, Gott Lob! hier recht wohl lebe."
Wie sie es von Grabow her gewohnt war, mit den Ihrigen vertraulich und mit ihrer ganzen Umgebung unbefangen und freundlich umzugehen, so bemühete sie sich ohne Zweifel mit rechtem Ernste nicht nur um die Liebe und
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Zufriedenheit des Königs, sondern sie suchte sich auch sonst in ihrem Kreise beliebt zu machen. Als ein Beispiel ihrer Aufmerksamkeit gegen die Neigungen Anderer erwähnen wir daß sie sich von ihrem Bruder Friedrich Wilhelm sechs recht lange Recruten erbat, um den Kronprinzen mit denselben zu erfreuen. Und wie wenig Gefallen sie auch an Hoffesten fand, sie fügte sich auch in Bezug auf diese den Wünschen ihres Gemahls; ja bei der großen Thierhetze im Circus, die, wie oben erwähnt, eine von den zahlreichen Festlichkeiten war, welche sich an ihre Vermählung anschlossen, hat sie sogar, wie Pöllnitz 1 ) erzählt, von ihrer Loge aus einen Bären durch einen Büchsenschuß erlegt. Die ungewöhnliche Strenge des Winters vom Jahre 1709 und die Kränklichkeit des Königs hemmten dann freilich den Strom der Hoffestlichkeiten; aber als zu Anfang Juli in Potsdam "zwei Friedriche", die Könige von Polen und von Dänemark, erschienen, um "den dritten Friedrich" zu besuchen, reihete sich ein Fest an das andere (während die unterdessen verhandelnden Minister immer weiter aus einander kamen). Die beiden königlichen Gäste und Sophie Louise waren am 12. Juli Gevattern bei Wartenberg's Sohn, später auch bei der Tochter des Kronprinzen, der Prinzessin Wilhelmine. Auch an den meisten übrigen Festlichkeiten jener Tage nahm die Königin Theil. Aber der Gegenwart ihres Bruders mußte sie dabei entbehren - der Etikette wegen. Sie rieth ihm selbst, lieber ein ander Mal zu kommen, da ihm bei jener Zusammenkunft nicht die gebührende Ehre zu Theil werden möchte. Er hätte früher vielleicht seine Schwester zu ihrer Vermählung selbst dem Könige zugeführt, wenn dieser nicht zuvor seinen Stiefbrüdern, den Markgrafen, den Vorrang vor dem regierenden Herzog von Meklenburg zuerkannt hätte, den der Herzog ihnen nicht zugestehen wollte.
Einzelne Anzeichen der großen Verschiedenheit in Charakter und Denkungsweise zwischen dem Könige und der Königin mögen sich bald genug gezeigt haben; aber sie führten doch keineswegs so bald eine ernstliche Verstimmung herbei. Die Bekenntnißfrage ward sogleich und, wie es scheint, zu beiderseitiger Zufriedenheit geordnet. Am 16. Dec. 1708 wurde in der Königin Vorzimmer die erste lutherische Predigt gehalten, das ganze königliche Haus - mit Ausnahme des durch Unwohlsein zu seinem Bedauern zurückgehaltenen
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Königs -, "alle Großen vom Hofe", der Bischof v. Bär und einige reformirte Hofprediger wohnten derselben bei. Die Stelle eines Beichtvaters und Hofpredigers bei der Königin war, wir wissen nicht auf wessen Vorschlag, einem der würdigsten lutherischen Prediger jener Zeit übertragen, einem Schüler des frommen Spener, Johann Porst, der als Herausgeber eines Gesangbuches lange in gesegnetem Andenken geblieben ist, der durch seine innige Frömmigkeit, eine Milde und sein auf die Bethätigung des Glaubens durch Liebeswerke gerichtetes Streben der Königin bald unendlich lieb und werth ward und, wie wir sehen werden, auf ihr ganzes religiöses Leben einen bedeutenden Einfluß ausgeübt hat. Auch dem Könige mußte Porst sehr willkommen sein. Denn wiewohl er ein treuer Lutheraner war, pflegte er sich doch, wie überhaupt die Pietisten im Gegensatz zu den meisten lutherischen Predigern jener Zeit, in seiner Polemik gegen die Reformirten zu mäßigen und sie thunlichst ganz zu vermeiden. Eben wegen dieser friedfertigen Richtung war er von der Pfarre zu Malchow (bei Berlin), welche er durch Spener's Empfehlung erhalten hatte, 1704 nach Berlin berufen und ihm die Pfarre auf dem Friedrichswerder und der Dorotheenstadt verliehen, welche Lutheranern und Reformirten gemeinschaftlich war. Vielleicht bedachte man aber bei seiner Bestellung zum Hofprediger nicht, ob die Neigung der Pietisten, sich aus der Welt zurückzuziehen und ihre Freuden zu meiden, unter Porstens Einfluß nicht auch auf die Königin übergehen, ob diese sich dann nicht in ihrer ernsten Geistesrichtung ein Gewissen daraus machen würde, an manchen Vergnügungen des Hofes Theil zu nehmen, welchen Andere sich unbefangen überließen.
Man hat der Königin den Vorwurf gemacht, daß sie versucht habe ihren Gemahl zu der lutherischen Confession hinüberzuziehen. In Wahrheit aber hatte sie, wie man aus dem oben erwähnten ersten preußischen Entwurf der Ehepakten und aus den weiteren Verhandlungen über dieselben ersieht, von Anfang an vielmehr eine defensive, als eine offensive Stellung. Vielleicht hätte der König, den die confessionelle Frage allerdings sehr beschäftigte, um des ehelichen Friedens willen confessionelle Erörterungen mit seiner trotz ihrer Jugend in ihrem Bekenntnisse doch so festen Gemahlin besser ganz vermieden. Wenn man Pöllnitz 1 ), der damals als Kammerjunker um den König war, vollen Glauben schenken darf, so
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kam der König eines Tages erregt aus dem Zimmer der Königin und erzählte seinen Hofleuten (unter denen auch Pöllnitz war) ein merkwürdiges Gespräch, welches er soeben mit seiner Gemahlin geführt hatte. Sie habe, erzählt Pöllnitz, ihren Schmerz darüber ausgedrückt, ihren Gemahl reformirt und damit außerhalb des Heilsweges zu wissen. Der König habe sie dann gefragt: Sie halte ihn also für verdammt? Wie sie dann nach seinem Tode, wenn sie von ihm spräche, sich ausdrücken werde, da sie nicht "der selige König" sagen könne? Und die Königin, anfänglich verlegen, habe nach einigem Nachdenken geantwortet: Ich werde sagen: "der liebe verstorbene König."
Pöllnitzens Ungenauigkeit ist allerdings bekannt genug, er mag diese Erzählung, die er erst mehr als 20 Jahre später aufzeichnete, nach seiner Art zugespitzt und ausgeschmückt haben; dennoch wird etwas Wahres daran sein. Aber gewiß trugen solche Gespräche nicht dazu bei, die gegenseitige Liebe des königlichen Paares zu erhöhen; nach Pöllnitz 1 ) hätte sogar eben dieses Gespräch die Liebe des Königs für seine Gemahlin gedämpft. Aber selbst wenn solche Unterhaltungen zunächst nicht von langdauerndem Einfluß auf das gute Vernehmen waren, so ließen sie die Königin doch ohne Zweifel nur um so schmerzlicher empfinden, daß sie sich gerade rücksichtlich ihres heiligsten Herzensbedürfnisses am preußischen Hofe in einer gewissermaßen isolirten Stellung befand; und es war darum natürlich, daß sie nur um so mehr mit ihrem Beichtvater Porst zu Rathe ging, daß sie in den Unterhaltungen mit ihm Trost und Klarheit suchte, seiner Richtung sich mehr und mehr zuneigte. Durch ihn trat sie dann auch mit August Hermann Francke in Beziehungen und bethätigte bald durch milde Gaben ihr lebhaftes Interesse für seine Halleschen Stiftungen.
Man möchte denken, zur Kronprinzessin, die ja etwa gleichen Alters war und sich gleichfalls zur lutherischen Lehre bekannte, hätte Sophie Louise in das engste Freundschaftsverhältniß treten und an ihr gewissermaßen einen Rückhalt und eine Stütze finden müssen. Aber allem Anscheine nach stand sie mit dieser (wie mit dem Kronprinzen) wohl in freundlichem Verkehr, aber nicht auf vertraulichem Fuße. Der Königin Schuld war dies nicht; die Schwiegertochter wollte ihr nicht einmal ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen
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vergönnen. Wenigstens berichtet der meklenburgische Geschäftsträger Burmeister, der für die Königin keineswegs Partei nimmt, sondern sie sehr freimüthig und oft ungünstig beurtheilt, dem Herzog Friedrich Wilhelm am 12. Januar 1710, die Königin habe neulich mit der Kronprinzessin wegen deren Hofmeisterin "ein scharff contrasto" gehabt; sie habe nämlich verlangt, wenn die Schwiegertochter zu ihr ins Zimmer trete, möge sie die Hofmeisterin im Vorzimmer bleiben lassen, die Kronprinzessin aber habe dies verweigert, sich dabei sehr exaltirt, habe sich darüber beim König beklagt und Recht behalten. - Die Neigungen der beiden fürstlichen Damen gingen überhaupt weit auseinander. Die Kronprinzessin ließ ihre lutherische Confession wenig hervortreten, sie vergönnte überhaupt religiösen Bedenken weniger Einstuß auf ihre Anschauungen über das damalige Hofleben, suchte sich den Wünschen des Schwiegervaters in aller Weise anzubequemen und war als eine junge, lebenslustige Dame nicht nur dem König höchst angenehm, sondern auch der ganzen Hofgesellschaft viel willkommener als die ernster gestimmte Königin Sophie. Sie lebte auch schon zwei Jahre länger am Berliner Hofe als diese; sie hatte gewissermaßen die Stelle einer Königin angenommen; und was sehr wichtig war, man hatte auf sie früher alle Hoffnung auf das Fortbestehen des königlichen Hauses gesetzt, und dieses beruhete auch jetzt wieder auf ihr, da des Königs dritte Ehe kinderlos blieb. Eben dieser Umstand, daß ihr der Kindersegen versagt war, hat das Leben der Königin Sophie in vielen Beziehungen getrübt; er hat nicht nur auf ihr leibliches und geistiges Leben den allergrößten Einfluß ausgeübt, sondern sie auch am Hofe nie recht die ihr gebührende Stellung gewinnen lassen. Ihren Gemahl betrübte dies um so mehr, da erst 1710 dem Kronprinzen wieder ein Sohn geboren ward, dieser aber schon im ersten Lebensjahre verstarb, und sich der Wunsch des Königs, außer dem Kronprinzen wenigstens noch einen eventuellen Thronerben zu haben, dann 1712 mit Friedrichs Geburt wohl erfüllte, doch aber dabei die Sorge nicht ausgeschlossen blieb, daß auch dieser Prinz gleich seinen Brüdern eines frühen Todes sterben würde.
Mit dem Markgrafen Albrecht und seiner Gemahlin unterhielt die Königin Sophie kaum engere Beziehungen, als es die Höflichkeit verlangte. Der ebenso tapfere, als lebenslustige und weltlich gesinnte Markgraf hatte für das Wesen seiner Schwägerin kein Verständniß; er und seine Gemahlin Marie Dorothea von Kurland standen dem Kronprinzen
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und der Kronprinzessin nahe, zu denen sie nach ihrer ganzen Eigenthümlichkeit auch besser stimmten.
Fand also die junge Königin bei ihren nächsten Angehörigen am Hofe kein recht warmes Entgegenkommen, so standen die Hofleute ihr schon darum allein viel ferner, wenngleich sie ihr natürlich äußerlich die schuldige Ehre bewiesen und der Respekt vor dem König sie abhielt, die Ehrerbietung zu verletzen.
Der ganze Hofstaat der Königin war vom Obermarschall Grafen von Wittgenstein nicht passend gewählt. Der Oberhofmeister Graf von Schwerin galt für einen feinen Hofmann; wir finden aber keine spur davon, daß er seiner Gebieterin mit richtigen und klugen Rathschlägen zur Hand gegangen wäre; er scheint ohne Einfluß auf sie geblieben zu sein. Und was die Damen betrifft, so schreibt Klein gleich nach der Vermählung (2. Dec. 1708): "Sonsten ist hier Alles noch im vorigen und guten Zustande, nur daß die Königin übel daran ist, da ihre ganze Bedienung aus fremden und den Hof und dessen Manier gar nicht kennenden Dames bestehet, da es dann an Anstößen nicht allemal fehlen kann." Man darf daher Pöllnitz 1 ) wohl Glauben schenken, wenn er die Oberhofmeisterin als eine Frau von bornirtem Stolze schildert und sich über den beinahe impertinenten Hochmuth der Hofdamen beklagt. Alle verdankten ihre Stellung ihrem gräflichen Range und meistens ihren Beziehungen zur herrschenden Hofpartei, welche, wie wir oben sahen, von vorne herein dem Erscheinen der Prinzessin von Grabow großentheils mit wenig Wohlwollen und mit Mißtrauen entgegengesehen hatte. Wir finden nicht, daß Sophie Louise sich zu der einen oder zu der andern von diesen Damen hingezogen fühlte oder einer von ihnen gar ein besonderes Vertrauen schenkte. Aufrichtig ergeben waren ihr unter der übrigen Hofgesellschaft außer dem oben erwähnten Kammerherrn Marschall v. Bieberstein, den aber politische Geschäfte vielfach von Berlin fern hielten - so viel wir aus unsern Correspondenzen entnehmen können, vornehmlich der General=Feldmarschall Graf Wartensleben und der Kammerherr v. Printzen. Großes Vertrauen schenkte sie dem Geh. Rath v. Kameke (dem "kleinen" Kameke, wie man ihn zur Unterscheidung von seinem Vetter, dem Grand-maître de la garderobe, dem "großen Kameke", kurzweg zu nennen pflegte); wie es ihm beim Könige gelungen war, so schmeichelte er sich durch seine
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Klugheit und seine höfische Glätte bald auch bei dessen junger Gemahlin ein. Der Tonangeber am Hofe, der "Ministrissimus", Oberkämmerer Graf Wartenberg, scheint sich das Vertrauen der Königin nie erworben zu haben. Wie er sich von Anfang an der dritten Vermählung des Königs gegenüber neutral verhalten hatte, so scheint er auch später weder die Gunst der Königin gerade gesucht, noch, wenigstens so lange ein Einvernehmen zwischen ihr und seiner Frau bestand und seine eigene Stellung ungefährdet blieb, geradezu gegen sie machinirt zu haben. Der Gräfin Wartenberg aber mehr als den nothwendigsten Verkehr zu gestatten, war Sophie Louise natürlich unmöglich.
In solcher Vereinsamung empfand sie das Bedürfniß, eine treue Dienerin um sich zu sehen, welche für ihre Denkungsweise Verständniß hätte, gegen welche sie sich vertrauensvoll und ohne Rückhalt aussprechen könnte. Ihre Wahl fiel auf eine langjährige Bekannte am Hofe zu Grabow, Eleonore v. Grävenitz. Im Berliner Hofstaat ward dieselbe nicht angestellt, sondern die Königin nahm sie auf eigene Hand in ihren Dienst und besoldete sie selbst. Das Fräulein erhielt jedoch eine Wohnung im Schlosse. Ihr Amt war, wie es scheint, das einer dame d'atour; wenigstens half sie der Königin bei der Toilette, und die Garderobe und der Schmuck derselben waren unter ihrer Obhut.
Die Familie v. Grävenitz war ein altes märkisches Geschlecht. Eleonorens Vater, der Hauptmann Friedrich v. Grävenitz, saß auf dem alten Familiengute Schilde (bei Perleberg) und besuchte von hier aus öfters den Hof zu Grabow, wo er dem Herzog Friedrich stets ein willkommener Gast war. In seinen späteren Jahren trat er aber in den Dienst des letzten Herzogs von Güstrow, Gustav Adolfs, ward dessen Marschall, und nach dem Tode dieses Herzogs (1695) wurde er vom Herzog Friedrich Wilhelm als Kammerpräsident und Oberhauptmann nach Schwerin berufen. Hier starb er jedoch schon nach 2 Jahren (1697). Zu dem Stammgute Schilde und dem Gütchen Dodow (im Stift Ratzeburg), das schon sein Vater gekauft hatte, erwarb der Hauptmann im westlichen Meklenburg das schöne, mit Dodow grenzende Gut Waschow und den Pfandbesitz von Schwanheide; da er aber aus seinen beiden Ehen (mit einer v. Pentz und mit einer v. Wendessen) acht oder neun Söhne und mindestens drei Töchter hinterließ, so zersplitterte sich sein Vermögen sehr, und seiner Wittwe (der geb.
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v. Wendessen), die überdies mit den Söhnen aus der ersten Ehe in einem Rechtsstreit befangen war, blieb nur ein geringes Einkommen. Dies mag ein Grund mehr gewesen sein, weshalb Eleonore (die zweite rechte Tochter der verwittweten Kammerpräsidentin) in den Hofstaat der Herzogin Christine Wilhelmine eintrat. Uebrigens stand die Familie in Grabow noch in Ansehen; wir finden dort in den Jahren 1690-1700 ein "Kammerfräulein" Anna Sophia v. Wendessen 1 ), und Ulrich v. Grävenitz (ein Sohn des Hauptmanns Friedrich aus der ersten Ehe, der Stammvater des jetzt auf den Fideicommißgütern Waschow und Dodow und Zühr angesessenen Zweiges) war (mindestens in den Jahren 1697-99) Kammerjunker der Herzogin. Der Hauptgrund aber, welcher die Herzogin bestimmt haben wird, ein so junges Fräulein wie Leonore v. Grävenitz, die höchstens 18 Jahre zählte 2 ), 1703 zu ihrer Hofdame (oder wie man sich damals ausdrückte, zu ihrem "Kammerfräulein" 3 ) zu wählen, war wohl ohne Zweifel die Absicht, ihrer Tochter Sophie Louise eine Gesellschafterin von etwa gleichem Alter zu geben. Und da allem Anschein nach Eleonore zunächst die einzige junge Dame im Hofstaate war, so bildete sich leicht während der fünf Jahre, die sie zusammen im Schlosse zu Grabow verlebten, ein vertrauliches Verhältniß zwischen der Prinzessin und ihr aus. Späterhin (etwa 1706) nahm auch die Kammerpräsidentin mit ihrer jüngsten Tochter, Henriette, ihren Wohnsitz zu Grabow 4 ) und erfreute sich der Gunst der alten Herzogin in so hohem Grade, daß diese sie gelegentlich zu ihrer Reisebegleiterin wählte.
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Schon diese engen Beziehungen zu der ehrwürdigen Herzogin Christine Wilhelmine würden uns, wenn nicht auch andere glaubwürdige Zeugnisse vorlägen, verbürgen, daß die Grävenitzischen Damen, und namentlich Eleonore, ihren Ruf völlig unbefleckt erhalten hatten und fürstlicher Gesellschaft würdig waren. Man durfte es also ihnen in keiner Weise zur Last legen, daß Eleonorens ältere Schwester Christine Wilhelmine damals anfing in Würtemberg ihre schlimme Rolle zu spielen. So lange sie in Meklenburg gewesen war, hatte auch diese sich nichts zu Schulden kommen lassen. Als sie aber ihren Bruder, einen würtembergischen Hauptmann, zu Stuttgart besuchte, warf der wüste Herzog Eberhard Ludwig sein Auge auf sie und ließ sie sich, obwohl vermählt, sogar antrauen, weil sie sich sonst weigerte ihm zu Willen zu sein; ihr Bruder ward nun zum Grafen v. Grävenitz, sie selbst zur Gräfin v. Aurach erhoben. Als der Herzog hernach seine Ehe mit der Gräfin annulliren mußte 1 ), verheirathete er sie 1710 mit einem Grafen v. Würben, den er gleich darauf aus Würtemberg entfernte, während die Gräfin ("die Landverderberin") und ihr Bruder länger als 20 Jahre ihr berüchtigtes Favoritenregiment fortsetzten.
Diese Umstände erfüllten alsbald die ganze Welt mit Entrüstung. Auch der Königin von Preußen konnte also dies öffentliche Aergerniß nicht verborgen geblieben sein; Eleonore wird sich kummervoll genug darüber geäußert haben. Aber schwerlich hat Sophie Louise geglaubt, daß ein Schatten davon auf die völlig schuldlosen märkischen und meklenburgischen Verwandten der würtembergischen Favorite fallen könnte, zumal auf Eleonore, die sie als rein und tugendhaft kannte.
Und wie es scheint, erregte die Berufung Eleonorens am Berliner Hofe Anfangs auch nirgends Bedenken; man hielt dies junge Mädchen, die erst wenig über 20 Jahre zählte und keine einflußreiche Verwandtschaft am Hofe hatte, vielleicht kaum der Beachtung werth; sie bekam ja, weil nicht zum Hofstaat gehörend, nicht einmal eine Stellung in der Hofgesellschaft. Auch daß sie regelmäßig in den Andachten der Königin gesehen ward und, so viel man davon erfuhr, auf deren religiöse Richtung und Neigung mit Hingebung und Verständniß einging, mochte zunächst um so weniger
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Aufmerksamkeit erregen, da im Jahre 1709 durch den schrecklichen Winter und seine schlimmen Folgen, namentlich aber durch das Umsichgreifen einer pestartigen Krankheit in Ostpreußen und die große Besorgniß, daß dieselbe sich schnell weiter verbreiten, auch Berlin erreichen, vielleicht die ganze Monarchie heimsuchen werde, der Berliner Hof überhaupt ernster als gewöhnlich gestimmt ward und sich darum einen von dem über dies Unglück tief betrübten Könige angeordneten Bußtag und selbst die täglichen Hausandachten seiner Gemahlin eine Weile schon gefallen ließ.
Von Dauer war diese Stimmung jedoch nicht; und je mehr sich die Königin in ihrer religiösen Richtung unter dem Einflusse Porstens befestigte, um so störender mußten ihre täglichen Andachten, ihr reger Verkehr mit Geistlichen, ihre Beschäftigung mit der inneren Mission, wie man heute sagen würde, ihre "Pietisterei", wie man sich damals ausdrückte, der an eine so ernste Lebensanschauung nicht gewöhnten und vergnügungssüchtigen Hofgesellschaft werden.
Auch dem Könige selbst mißfielen - vielleicht unter den Einwirkungen seiner Umgebung, mit der er Abends in der Tabagie zu plaudern pflegte - die seiner Meinung nach übertriebenen Religionsübungen seiner Gemahlin mehr und mehr. Indessen ließ er sie einstweilen noch gewähren. Wir hören auch lange noch keine Klagen über einen Einfluß der Grävenitz auf ihre Gebieterin, sei es in Bezug auf deren Glaubensrichtung oder in irgend welcher Hinsicht.
Vielleicht wäre auch alles Ungemach vermieden, wenn die Königin dauernd hätte in dem guten (äußerlichen) Einvernehmen mit der Beherrscherin des Hofes, der Gräfin Wartenberg, bleiben können. Aber gegen das Ende des Jahres 1709 trübte sich dasselbe. Welch ein Kreuz diese Gräfin schon für die Königin Charlotte gewesen war, ist oben berührt. Seit deren Tod war die Macht und die Anmaßung dieses Weibes unter dem Einflusse des Oberkämmeres aber noch stetig gewachsen; wir erwähnten schon, daß der König in der neuen Rangordnung sie sogar über die nicht regierenden Fürstinnen gestellt hatte. Wie drückend ihre Herrschaft den andern Damen des Hofes sein mochte, noch wagte niemand gegen sie aufzutreten; denn wer sich mit ihr überwarf, hatte sich damit auch die Ungnade ihres Mannes zugezogen und sich am Hofe unmöglich gemacht. Ihre Ueberhebung kannte nun vollends keine Schranken mehr, seitdem sie bei der Taufe der Prinzessin Wilhelmine (1709)
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sich mit der Gemahlin des niederländischen Gesandten um den Vortritt gerauft, und der König ihr nicht nur Recht gegeben, sondern ihr auch auf diplomatischem Wege die Genugthuung verschafft hatte, daß die Gegnerin Abbitte leisten mußte. 1 ) Die Königin Sophie Louise hatte lange mit bewundernswürdiger Geduld und Langmuth, offenbar um des Friedens willen, das Gebahren der Gräfin ertragen; endlich sah sie sich genöthigt, ihrer ungezügelten Anmaßung entgegenzutreten.
Nach Pöllnitzens Erzählung 2 ) erlaubte sich die Wartenberg, als sie während des Königs Reise nach Leipzig zu Anfang des Wahres 1710 mit andern Damen des Hofes von der Königen zu einer gemeinsamen Stickerei für den König eingeladen war, sich in das Gemach der Königin durch ihren eigenen Diener Kaffee bringen zu lassen, ward dafür aber von Sophie Louise hinausgewiesen und mußte nach einigem Sträuben diesem Befehl Folge leisten, ja hernach auf des Königs Befehl Abbitte thun. Wenn diese Erzählung überall genau ist (unsere Quellen melden nichts davon), so wird sich dies Ereigniß doch wahrscheinlich etwas früher zugetragen haben.
Denn schon am 19. Dec. 1709 berichtet der meklenburgische Legationssecretair Burmeister von Entzweiungen. "Es sind hier," schreibt er, "einige Leute, die nichts mehr suchen, als die Königin und die Oberkämmererin immer mehr und mehr unter einander zu brouilliren, so ihnen bishero noch ziemlich geglücket. Denn entweder die Königin oder die Oberkämmererin ist hierinnen unglücklich, so haben sie utroque casu gewonnen Spiel und erhalten dasjenige, was sie intendiret haben. Die Hannoversche "(kronprinzliche) "Faction" (vermuthlich also die beiden v. Kameke)" wird dermaßen von allen Theilen anitzo appuyret, daß es nicht zu beschreiben ist, und fänget der König immer mehr und mehr an in seinem Herzen den Kronprinzen und die Kronprincesse zu lieben, welche ihn dann ungemein caressiren. Der König ist sonsten über dem allen, was hier passiret, dermaßen mißvergnügt und chagriniret, daß er ganze Stunden unterweilen sitzet und aus Unmuth aus den Nägeln beißend sich vor Chagrin nicht zu lassen weiß. Das gute Einvernehmen zwischen dem Kronprinzen, der Kronprincesse und der Oberkämmerin nimmt ungemein zu, und hat vor einigen Tagen,
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als verwichenen Sonnabend, diese letztere die beiden erstern tractiret, allwo sie sich so vergnüget bezeiget, daß sie bis in die sinkende Nacht zusammen geblieben und getanzet haben. Alle Welt fänget anjetzo an, der Frau Oberkämmererin dermaßen die Cour zu machen, daß es alle Tage so voll, daß kein Apfel zur Erde kommen kann, so noch niemalen so stark gewesen. Von allem diesem profitiret Keiner mehr als wie die Kronprincesse, und werden Herodes und Pilatus anjetzo Herzensfreunde."
Die Wartenbergsche Partei glaubte im Verein mit der ihr sonst gegenüberstehenden kronprinzlichen die Stellung der Königin untergraben, ihren Gemahl gegen sie leicht einnehmen zu können. In ihrer vorschnellen Siegesfreude sprengte sie schon aus, der König werde feine bevorstehende Reife nach Leipzig wohl bis Cleve ausdehnen, um seiner Gemahlin aus dem Wege zu gehen. Und ward dies erreicht, wie konnte man dann nicht gegen die Abwesende weiter machiniren!
Indessen vernahm Burmeister doch auch "von sichern Ohren," daß, wie sehr auch "Uebelwollende" hierauf hinarbeiteten, "der König zu einer solchen Extremität sich nicht resolviren werde," "so lange die Königin noch in den terminis bleibe, daß sie sich des Königs Verordnungen directe nicht widersetze, auch die gute intelligence zwischen" (mit) "dem Kronprinzen und der Kronprincesse zum wenigsten äußerlich cultivire."
Und in der That ließ König Friedrich sich so leicht nicht verleiten, als die Wartenberg gedacht hatte. Er war hocherfreut, als seine Gemahlin sein Weihnachtsgeschenk mit einem kostbaren Neujahrsgeschenk erwiderte; und es machte ihn froh, die feindliche Clique aber bestürzt, daß die Königin, ohne sich in ihrem geraden Sinne durch Cabalen bestimmen zu lassen, auch das kronprinzliche Paar und - gegen ihre bisherige Gewohnheit - sogar dessen Dienerschaft mit Geschenken bedachte. Man wußte, wie hoch der König solche Aufmerksamkeit zu schätzen wußte. Die Gräfin Wartenberg beeilte sich dann auch alsbald - sei es auf einen Wink des Königs, sei es aus eigenem Antriebe und eigener Berechnung - wieder einzulenken: sie machte, noch bevor der König die Reise nach Leipzig antrat, der Königin wieder die Cour, "da dann", schreibt Burmeister, "Ihre Maj. sie sehr distinguiret und fast mit Keiner als mit ihr über öffentlich sehr freundlich geredet haben." Etwas später berichtet er, daß "die Frau Ober=Kämmererin alle Courtage wieder oben kommt, mit der Königin publiquement speiset, auch von ihr allezeit wohl
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receviret und distinguiret wird." Doch sehe man, setzt er hinzu, "daß im Herzen kein gut Vertrauen von Allen zu hoffen" sei.
Der König war mit solcher Großmuth und Versöhnlichkeit seiner Gemahlin gar sehr zufrieden; seine Verstimmung gegen sie schien sich ganz in Wohlgefallen aufgelöst zu haben. Während der Januarwoche, die er unter Festlichkeiten - und unter dem vergeblichen Bemühen, den König August für sein "großes Dessein", die Theilung Polens, sowie für andere Wünsche zu gewinnen 1 ) - in Leipzig verlebte, äußerte er öfters, er wünschte nur erst wieder aus dem Leben heraus und wieder bei seinem Mütterchen zu sein, damit sie ihn recht pflegen könnte. Er versäumte nicht, ihr die schönsten Geschenke von der Reise heimzubringen.
Ebenso wie hier während der Reise, wo er der pflegenden Hand seiner "Fike" entbehren mußte, erkannte er auch sonst, zumal wenn, wie im Frühling 1710, seine heftigen Anfälle von Beklemmung und Ermattung wiederkehrten, das liebevolle Benehmen seiner Gemahlin stets sehr an, und auch sonst verbrachte er noch immer viel Zeit in ihrer Gesellschaft.
Die Königin ließ sich aber durch seine augenscheinlich große Zuneigung dazu verleiten, ihre Gewalt über das Herz ihres Eheherrn zu überschätzen. Wie sehr er auch ihren Werth anerkannte, trat zu andern Zeiten bei gegebenem Anlaß doch wieder seine Verstimmung über diejenigen Seiten ihres Charakters hervor, die ihm nun einmal nicht zusagten. Und leider waren seine Ohren, wie sich Burmeister ausdrückt, "sehr sensible"; er lieh sie nur zu leicht den Einflüsterungen seiner Umgebung. Diese aber fing allmählich an, den Einfluß der Königin auf ihren Gemahl zu fürchten. Daß dieselbe, je länger sie am Hofe lebte und je gründlicher sie das Treiben an demselben kennen lernte, sich davon, zumal sie im Umgange mit Porst in der pietistischen Lebensanschauung immer fester und sicherer ward, abgestoßen fühlte, war natürlich. Burmeister schreibt am 19. Januar 1710, "mit der Königin stünden die Sachen noch so in crisi, und würde sich Alles wohl geben, wenn sie dann und wann nur Ein und Andern caressirte, so ihr gute Dienste leisten könnte, und zumal diejenigen, so jederzeit um den König seien, und wenn er abwesend, Alles zum Besten kehren könnten." Er beklagt es wiederholt, daß sie sich keine "Freunde mit dem ungerechten Mammon mache";
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sie galt für geizig, weil sie lieber Hülfsbedürftige unterstützte, als Hofleute beschenkte. Die Letzteren wußten ja auch recht gut, wie wenigen von ihnen die Königin Vertrauen schenkte; die Wartenberg war viel zu rachsüchtig, um ihre Demüthigung zu verschmerzen, ihr Anhang bildete also von selbst eine feindliche Partei. Aber es ging der Königin leider die Gabe ab, die Charaktere zu durchschauen; in ihrem einmal gefaßten Mißtrauen verkannte sie auch solche Persönlichkeiten, die ihr Vertrauen wohl verdient hätten, und verletzte sie obenein.
Namentlich galt dies von dem Geh. Rath Rüdiger v. Ilgen, der allerdings durch Wartenberg emporgekommen war und in den auswärtigen Angelegenheiten für dessen rechte Hand galt, sich aber um das Parteitreiben gar wenig kümmerte und unbeirrt und unbestechlich, ohne Selbstsucht seines Königs Interessen mit seltener Klugheit und Umsicht verfolgte. Es ist wahr, man legte es gerade ihm zur Last, daß Meklenburg von der preußischen Alliance nicht die Früchte sah, die es erwartet hatte; aber dies kümmerte die Königin wenig, denn sie stand in der obschwebenden Sache nicht auf ihres Bruders Seite. Empfindlicher mochte es sie berühren, daß Ilgen in den Verhandlungen über das neue Witthum ihr Gegner gewesen war. Auch hatte Ilgen vielleicht wenig Einschmeichelndes; denn der König war bei aller Anerkennung seines Eifers und seiner Geschicklichkeit für seine Persönlichkeit gleichfalls nicht eingenommen. Er gewann auch dadurch nicht die Königin für sich, daß er in den höheren Hofkreisen einer der Wenigen war, die sich fest zur lutherischen Lehre bekannten. Sophie Louise machte nun eines Tages ihm - Burmeister meldet nicht, worüber - in Gegenwart des Königs einen Vorwurf. "Und wie der König sich zu ihm umgekehret und en colère gesaget: Herr v. Ilgen, ist das wahr? so fänget dieser an bei seiner Seelen Seligkeit zu contestiren, und daß er niemalen Gott schauen wolle, wenn dem also. Worauf der König die Königin angesehen, welche blutroth geworden, daß sie nicht ein Wort weiter dazu gesaget." - Gleich hieß es am Hofe, sie fange nun auch schon an die Minister zu verklagen! "Zu diesem allem", setzt Burmeister hinzu, "wird sie durch die Instigation der verfluchten Betschwestern verleitet." - Das Mißtrauen der Hofleute gegen die Königin und die Furcht vor ihrem Einfluß auf den Gemahl wuchs durch einen solchen Fall natürlich nicht wenig; und man gab ihr dann auch solche Maßregeln schuld, an denen sie unbetheiligt sein mochte.
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Großes Aufsehen erregte es namentlich, daß im Frühling 1710 der Markgraf Albrecht, an dessen lustigen Fahrten der ehrbahre König schon längst Anstoß genommen hatte 1 ), durch einen schriftlichen Befehl aufgefordert ward, seine Zimmer im Schlosse zu räumen. Daß der Grund, dieselben müßten für die Kinder des Kronprinzen eingerichtet werden, nur ein Vorwand war, erkannte man sogleich. So viel Burmeister unter der Hand in Erfahrung bringen konnte, waren die "veritablen Ursachen" "vornehmlich diese, daß er 1) den Kronprinzen zu allen Debauchen angeführet, als zu dem ungemein vielen Tobackschmauchen, zu Zerbrechung der Gläser, Zerreißung der Kleider, Zerschneidung der Halstücher und Hemden, Werfung der Perruquen ins Feuer und dergl. in denen Gesellschaften, wann sie unter sich bei einander zusammen gewesen (wie sie dann dieses eine Zeit lang, zumalen bei Anwesenheit des Fürsten von Dessau, dermaßen practisiret, daß Einer mit halbem Kleide, der Andere ohne Aermel, der Dritte ohne Perruque und so zu Hause gekommen); 2) daß er selbst große Debauchen gemachet, öfters an einem Morgen 2 bis 3 malen Frühstücke an der Küche und unzählige Bouteillen Wein holen lassen, so daß auch vor einiger Zeit schon dem Obermarschall verboten worden, ihm keinen Wein mehr abfolgen zu lassen; 3) daß er öfters sehr frei von der Königin Devotion raisonniret, und sie, Markgraf Albrecht's Gemahlin, zwischen der Königin und der Kronprincesse getragen; auch soll er einmal gar haben den Kronprinzen bei der Hand genommen und die Königin, ohne geführt zu werden, stehen lassen; 4) daß er sich des Königs Befehl in Räumung der Zimmer opponiret, worüber der König sehr sensible geworden, weil er ohnedem, wie bekannt, mit deiner Conduite niemalen sonderlich zufrieden gewesen." - Der Markgraf ward wegen jener über ihn verhängten Maßregel (die aber nachher gemildert wurde) um so mehr bemitleidet, da er schwer erkrankte; namentlich der Kronprinz nahm sehr des Oheims Partei. "Das Meiste bei dieser Sache," bemerkt Burmeister, "ist nur dieses, daß die Uebelgesinnten solches alles der Königin imputiren, als wenn sie den König dazu vermocht und demselben von des Markgrafen Albrecht Leben und Wandel, daß es nicht dem wahren Christenthum conform, die widrigen impressiones beigebracht, woran sie doch wohl unschuldig sein mag." - Der Haß des Hofes gegen die Königin zog hieraus nur neue Nahrung; der Groll gegen ihre "Pietisterei" wuchs.
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Sicherlich ließ sich der König bei seinem Verfahren gegen den Markgrafen durch keine Rücksicht auf die Glaubensrichtung seiner Gemahlin leiten; diese schonte er vielmehr selbst schon längst nicht mehr. Ueber die Zulässigkeit der Comödien war unter seiner Regierung schon viel verhandelt. Er selbst hatte "honnette" Comödien in Berlin endlich zugelassen; die Geistlichkeit aber, auch Spener und Porst, hatten sich eifrig gegen das Theater, wie es damals war, ausgesprochen, und auch bei vielen Anderen erregten die meistens leichtfertigen und rohen Stücke jener Zeit Anstoß. Daß Sophie Louise zu den Letzteren gehörte, darf man nicht bezweifeln. Ihre Schwiegertochter aber wünschte sich eine Schaubühne und bat im Herbste 1709 den Schwiegervater, der ihr nicht leicht Etwas abschlug, sich eine Schauspielertruppe verschreiben zu dürfen; der König ertheilte die Erlaubniß dazu sofort, sogar in Gegenwart seiner Gemahlin. Der Hof amusirte sich auch ohne die Anwesenheit der Königin, und vielleicht nur um so besser. Schon im Januar 1710 schreibt Burmeister: "Es scheint, daß die Königin nur bloß den Namen einer Königin führet, und die Kronprincesse in der That sich schon solche Auctorität giebet, indem sie nach eigenem Gefallen Courtage, Ball hält und Comödien spielen läßt, und eben zu der Stunde, wenn bei der Königin Betstunde ist, wohin von den Hohen bis auf den Niedrigen wie ein Schwarm gelaufen wird, so daß Keiner in der Königin Antichambre (ohne einige von ihren Comtessen) zu sehen ist, und die Königin neulich necessitiret worden, da zur öffentlichen Tafel schon angerichtet war, auf der Assiette zu speisen."
Wenn man aber erwägt, welchen Werth König Friedrich auf die Etiquette legte, so ist klar, wie tief es ihn verstimmte, daß seine Gemahlin, die nach seinem Wunsche der Mittelpunkt eines glänzenden Hofes sein sollte und von ihm mit freigebiger Hand die dazu nöthigen Mittel empfing, an solcher Aufgabe so wenig Freude empfand und sich gewissermaßen bei Seite schieben ließ. Er fragte sie wohl, wo sie denn alles Geld lasse, das er ihr gebe, da sie ja nichts verspiele und verkleide? Es gefiel ihm nicht, daß sie in ihren Gesellschaften die Aenderung einführte, daß (in ihren eigenen Gemächern) überall nicht mehr gespielt werden sollte. Unter dem Vorwande, daß dadurch seine Kammerbedienten eine Einbuße erlitten, drang er später so sehr in seine Gemahlin, daß sie das Spielen wieder einführen mußte.
Es wird von Pöllnitz erzählt, der König habe, um alle pietistischen Einflüsse auf seine Gemahlin zu hemmen, den
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Dr. August Hermann Francke, der auf den Wunsch der Königin von Halle nach Berlin gekommen sei, heimgeschickt; und dem Beichtvater Porst sei angerathen, sich etwas weniger um das Seelenheil der Königin zu bemühen, dieselbe nicht mehr mit Controversen zu unterhalten 1 ). Indessen ist die erste dieser beiden Angaben entschieden erdichtet. Denn Francke hat in jenen Jahren Berlin überall nicht besucht; und flossen seinen Stiftungen auch nicht unbedeutende Summen aus der Chatoulle der Königin zu, so geschah dies doch meistens durch eine dritte Hand, ohne daß ihr Name dabei genannt ward. Und ob dem Beichtvater Porst wirklich solche Winke, wie Pöllnitz angiebt, zugekommen sind, ist uns anderweitig nicht bezeugt; auf Controversen legte er wohl überall wenig Gewicht.
Dagegen vereinigte sich nun mehr und mehr aller Haß des Hofes auf die "Betschwestern", und namentlich auf Eleonore v. Grävenitz. Die Damen beneideten diese natürlich längst um die Gunst und Bevorzugung, deren sie bei ihrer Herrin genoß; man schrieb ihr aber jetzt auch den größten Einfluß auf dieselbe zu. Burmeister war auf dies Hoffräulein äußerst erbost, da er sie für das Unglück der Königin hielt; er nennt sie in seinen Briefen gelegentlich das "Sprachrohr" der Königin, die "Confusionsräthin", die "vice-reine", ohne doch bestimmte Thatsachen anzuführen die ihr zur Last fielen. Die Gegner oder die Gegnerinnen der Königin wußten recht wohl, wie tief sie diese dadurch kränken würden, wenn es gelänge ihre Vertraute zu entfernen; und den Umständen nach mochte es nicht allzu schwer erscheinen, den König für solche Maßregel zu gewinnen.
Der Sturm auf die Grävenitz begann mit ebenso boshaften als grundlosen Verleumdungen. In Hannover - so hieß es - gingen über sie die schlimmsten Reden um, man kenne Ort und Stunde, wann sie zuerst das Gelübde der Keuschheit abgelegt habe. In den Berliner Hofkreisen sprach man ungescheut von ihr wie von einer bußfertigen Magdalena. Ob man nun Eleonore nach ihrer Schwester Wilhelmine beurtheilte, oder ob nach Hannover (dem Zufluchtsort der meklenburgischen Ritterschaft) wieder ebenso, wie früher in Bezug auf die Königin, Klatschereien aus Meklenburg getragen und dort weiter ausgebildet waren, oder ob die Grävenitz, wie früher die Königin, hierin nur das Loos so
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vieler frommer und gläubiger Frauen, gerade in dieser Weise von Weltkindern beurtheilt zu werden, zu ertragen hatte, müssen wir dahingestellt sein lassen. Das Eine erreichte man jedenfalls bald, daß der König eine Pietistin, zumal eine von solchem Ruf, nicht länger um seine Gemahlin sehen mochte.
Er verhehlte es dieser nicht; und dennoch ließ sie auch Leonorens Mutter und später noch eine Schwester nach Berlin kommen und miethete ihnen eine Wohnung in der Stadt. Dadurch aber ward das Uebel nur noch schlimmer; die Geheimräthin durfte gar nicht auf's Schloß kommen, sie war dem König noch verhaßter als die Tochter. Da seine Gemahlin nach Burmeister's Ausdruck "von lauter Spionen und falschen Leuten environniret" war, so ward ihm jede Berührung derselben mit den v. Grävenitz hinterbracht, sein Widerwille gegen diese Damen nur immer aufs Neue angefacht.
Man konnte wohl sehen, daß ein Gewitter im Anzuge war; den Ausbruch beschleunigt zu haben, war die Schuld der Königin selbst. Der Schlag erfolgte ganz plötzlich. Als sie am 28. April ihrem Gemahl nach Alten=Landsberg nachreiste, war dieser noch ganz in alter Weise für sie eingenommen; er gedachte, weil sie diesen Ort damals zum ersten Mal besuchte, sie dort mit Ehrenpforten und andern Festlichkeiten zu empfangen, und es schmerzte ihn, als sie, ohne dies zu ahnen und um ihm eine Ueberraschung zu bereiten, schon anlangte, ehe noch seine Vorbereitungen vollendet waren. Auch der Geburtstag der Königin (6./17. Mai) ward noch so wie sonst gefeiert.
Aber schon am 28. Mai thut Burmeister Meldung von einem "scharfen Contrasto" zwischen den beiden Majestäten. Nach seiner Darstellung entsprang der Zwist zunächst gar nicht aus einem Gespräch über die Grävenitz, sondern die Königin bat ihren Gemahl, wie schon früher mehrmals, um eine Aenderung ihrer Ehepakten. Sie fand nämlich die Unterschriften nicht genügend, wünschte Hollands und Englands Garantie für ihr Witthum, freie Verfügung über die Witthumsbeamten und das Recht einen Hofprediger zu bestellen. Als sie hierüber ihrem Gemahl, der allerdings in Rücksicht auf den Kronprinzen wohl Bedenken tragen mußte hierauf einzugehen, eine halbe Stunde "etwas vorgeweint" hatte, ging derselbe in hellem Zorn davon, ließ ihr durch die Geheimen Räthe v. Kameke und v. Ilgen sagen, "er wolle hinfort nicht mehr von ihr tormentiret sein und den Rest seiner Tage
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nicht in Verdruß zubringen; sie sei so gestellt, daß sie als Königin leben könne;" er ließ auch sonst "sehr empfindliche Reden von ihrem Kopf und Eigensinn verlauten," "auch von ihrer changirten Conduite bediente er sich gar sensibler Expressionen," "daß sie seinen Tod wünsche," "ihn nicht mehr so tendrement liebte, sondern dies alles nur ein verstelltes und auf eigen Interesse abzielendes Wesen wäre" u. s. w.
Der Kronprinz war über die Veranlassung des Zerwürfnisses sehr verstimmt, da sich in der Forderung seiner Mutter ein Mißtrauen gegen ihn äußerte, das freilich, wenn man erwägt, was nach seines Vaters Tode geschah, nicht so ganz ungerechtfertigt erscheint. Auch jetzt schon äußerte er sich gelegentlich gar bedenklich: "Er sehe keine Raison, worumb die jetzige Königin mehr verlangte, als wie seine Mutter gehabt hätte;" "er würde sehen, wie ihre Conduite ferner wäre: darnach würde er sich zu reguliren und dasjenige zu halten wissen, was ihr wäre versprochen worden." In seiner Erbitterung ließ er sich sogar zu der Aeußerung hinreißen: "Man könnte allezeit die Leute judiciren aus denen, mit welchen sie umgingen; z. B. wenn eine hohe, vornehme etwan eine Person distinguirte, die vor diesem so und so gelebt hätte, und sie demungeachtet sie hernach zu ihrer Favoritin machete, so könnte man auch allerhand daraus schließen und argumentiren."
Gewiß war jener Schritt der Königin ein höchst unverständiger. Denn wer den Kronprinzen kannte, mußte sich sagen, daß er sich durch keine Clauseln und Garantien werde über seine Verpflichtung hinaus binden lassen. Im Grunde konnte sie also hiemit nichts gewinnen. Und was konnte ihr, die nicht eigensüchtig war und für ihren eigenen Gebrauch so geringer Mittel bedurfte, die sich lieber selbst Genüsse versagte, um für milde Zwecke wirken zu können, an einer Sicherung des erhöheten Witthums liegen? Ihrer Stellung aber hatte sie durch jenen unbedachten Schritt unsäglich geschadet. Ihre Feinde triumphirten; sie sprachen schon die Hoffnung aus, der König werde sich mit ihr auf denselben Fuß stellen wie mit der Königin Charlotte, d. h. sie aus Berlin entfernen.
Dies geschah dann freilich doch nicht; das gute Einvernehmen zwischen dem königlichen Paar stellte sich äußerlich bald wieder ein. Aber die vormalige Innigkeit fehlte; und nachdem nun der eine Fall vorgekommen war, genügte die leiseste Veranlassung den ohnehin reizbaren Fürsten zu verstimmen; und die Zwischenträger ruheten nicht. Wenigstens
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ward durch Klatscherei in der nächsten Zeit noch ein neuer Verdruß herbeigeführt, der aber doch schnell vorüberging. Die Königin war darüber tief betrübt, sie bat ihren Gemahl herzlich um Verzeihung. "Nicht wiederthun," antwortete dieser dann wohl. sei "die beste Buße." In halbem Scherze mußte sie die Nachwirkungen noch oft empfinden. Als sie bei einer Gelegenheit über ihren Bruder Friedrich Wilhelm, dem sie sonst so sehr ergeben war, die Aeußerung that, daß er sich früher rücksichtlich des sechsten Gebotes Manches habe zu Schulden kommen lassen, entschuldigte der König seinen Freund lebhaft mit seiner Jugend; wenn er selbst noch jung wäre, setzte er hinzu, wollte er es auch so machen und sich gar einen Serail (Harem) halten, um nicht von Einer so viel geschoren zu werden.
Er machte nun auch kein Hehl mehr daraus, daß er die häufigen Andachten seiner Gemahlin für Werkheiligkeit ansehe. Er erklärte es für unnöthig, daß während des Aufenthaltes auf einem der Landhäuser der Beichtvater der Königin aus Berlin herbeigeholt würde; er wünschte, sie möge nur seine eigene Kapelle besuchen. Während er selbst bis dahin allsonntäglich zweien Gottesdiensten beizuwohnen pflegte, begnügte er sich jetzt mit einem; und man leitete aus dieser Stimmung die Verordnung ab, durch welche er den Bettag vom Mittwoch vor Pfingsten auf den zweiten Feiertag verlegte.
Bei alledem ging er aber, wenn auch widerwillig, auf jenen unheilvollen Wunsch seiner Gemahlin in Bezug auf die größere Sicherung ihres Witthums bis zu einem gewissen Grade ein. Seine Minister entzogen sich freilich unter Vorwänden einer so delicaten, nach der einen oder nach der andern Seite hin leicht verletzenden Verhandlung. Die Königin ließ aber mit Erlaubniß ihres Gemahls den vormaligen Kammerherrn Grafen Solms kommen, dem sie als einem klugen und zugleich frommen Manne ihr Vertrauen schenkte; und dieser entledigte sich nach einiger Zeit seines Auftrages nicht nur zu beiderseitiger Zufriedenheit (wie? das melden unsere Quellen nicht), sondern er nahm den König auch so sehr für seine Persönlichkeit ein, daß ihm ein neues Amt von Bedeutung angeboten ward.
Der König gewann auch bald die Ueberzeugung, daß der Argwohn gegen den Kronprinzen nicht im Kopfe seiner Gemahlin entsprungen, sondern solch Mißtrauen ihr eingeflößt und sie von einem Andern zu jener verhängnißvollen Bitte verführt sei. Aber er wußte den Schuldigen nicht ausfindig zu machen und ward darum höchst mißtrauisch gegen seine
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Umgebung. Als der General=Feldmarschall Graf Wartensleben (wie dieser selbst an Burmeister erzählte) eines Tages der Königin im Garten begegnete und nicht umhin konnte ihr die Hand zu bieten, kam der König von Ungefähr darüber zu und stellte argwöhnisch seinen alten Diener darum zu Rede. Dieser versicherte jedoch unter hohen Schwüren, die Königin seit Monaten nicht gesprochen zu haben; sein Herr möge ihn rädern und viertheilen lassen, wenn er an jenen Dingen den geringsten Antheil habe. Da beruhigte sich der König. "Ich weiß wohl," antwortete er, "daß Ihr ein ehrlicher Mann seid." - Aber wer konnte denn der Rathgeber der Königin gewesen sein, da sie die meisten der höchsten Staatsbeamten so fern von sich hielt, und dem meklenburgischen Geschäftsträger oft sogar eine Audienz versagte? "Die Gescheidtesten des Hofes", und mit ihnen Burmeister, waren aber über den Urheber oder die Urheber des Unglücks nicht in Zweifel. Außer der Grävenitz, die natürlich an allem Unheil wenigstens mitschuldig sein sollte, bezeichneten sie geradezu den Geh. Rath v. Kameke als den Anstifter. "Er wird," schreibt Burmeister, "der Königin Alles leicht und faisable machen, dem König hingegen ihre Sentiments nicht fideliter, sondern bei üblem tempo referiren und Alles odieux vorstellen, wie ers noch nicht gar lange bei einem seiner besten Freunde, nämlich dem Kammerherrn Marschall, als der ümb Verbesserung seines Gehaltes angehalten und sich an ihn adressiret gehabt, ebenso gemacht hat." Allerdings genoß Kameke, wie schon bemerkt, des Vertrauens der Königin; und die Vermuthung liegt nicht fern, daß er mindestens mit höfischer Geschmeidigkeit zu willig auf ihre Wünsche und Bedenken eingegangen war und die Schwierigkeiten der Erfüllung nicht sofort hervorgehoben hatte. Schlimmer beurtheilt ihn Burmeister; er schreibt schon am 28. Mai von ihm: "Dieser findet bei allen Fällen sein Conto; denn entweder die Königin reussiret, so hat er dieselbe jederzeit zum Appui; oder sie reussiret nicht, so weiß er sich bei dem Kronprinzen groß und breit zu machen, daß er solche Dinge anrathe, wodurch Brouillerie entstehet und der König der Königin von Tagen zu Tagen gehaßter und feinder werde." Es ist dabei freilich zu beachten, daß Kameke schon für einen entschiedenen Feind Wartenberg's galt, Wartensleben aber, der Burmeister zu informiren pflegte, ebenso entschieden auf der Seite des Oberkämmerers stand. Indessen entzog Sophie Louise seitdem Kameke ihr Vertrauen; und leider trug auch diese Erfahrung nur wieder dazu bei, ihren Hang zu argwöhnischer Zurückhaltung zu bestärken, ganz
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abgesehen davon, daß Kameke's Einfluß auf den König in stetem Zunehmen begriffen war und er der armen Königin unendlich viel schaden konnte. Des Königs Verdacht fiel, wie es scheint, gar nicht auf diesen Günstling, dessen Gesellschaft ihm immer unentbehrlicher ward; und man lenkte seinen Argwohn auch geflissentlich auf die Pietisten, die Geistlichkeit, vorzüglich aber auf das Fräulein v. Grävenitz. Von dieser leitete er bald alle Verstimmung und Verwirrung an seinem Hofe her. Seine Gemahlin dagegen schloß sich an sie, wie es scheint, nur um so enger an; sie schenkte ihr das vollste Vertrauen, sie konnte sich gegen sie allein frei aussprechen, denn sie kannte ihre Frömmigkeit, ihre treue Ergebenheit und Verschwiegenheit. Sie erklärte sie für ganz unentbehrlich in ihrem Dienste, bei der Toilette, bei der Garderobe u. s. w., und wollte sie darum auch überall auf die Landschlösser mitnehmen, obwohl ihr Gemahl häufig genug wiederholte, wie unangenehm ihm diese Persönlichkeit war und wie dringend er ihre Entlassung wünschte. "Die Canaille ist noch Ursache an meinem Tode," äußerte er sich einmal zornig über sie gegen seine Gemahlin. Und doch gab Letztere seinem Wunsche nicht Gehör!
In der Regel verkehrte nun freilich der König mit seiner "Fike" wieder recht freundlich, oft ganz vertraulich; aber von Zeit zu Zeit stieg der Groll wieder in ihm auf. In Gegenwart aller ihrer Damen und vieler Herren vom Hofe erklärte er ihr einmal (nach Burmeisters Bericht) ohne Umschweif, sie mache durch ihre Pietisterei und jetzige Conduite seinen ganzen Hof confuse. Sie sei zwar sonst eine charmante Königin, und er sei mit ihrer Person an und für sich gar wohl zufrieden; daß sie aber so dem pietistischen Schwarm anhinge, sei wohl eine rechte Strafe für ihn und sein ganzes Land. Und als die Königin ihm entgegnete, ob das eine Strafe Gottes sei, wenn der König eine Gemahlin habe, die nichts mehr suche als ihrem Gott zu gefallen und ein fromm, christlich Leben zu führen? -da antwortete er: Er halte es nicht sowohl für eine Strafe Gottes, als daß ihm der liebe Gott zu erkennen gebe, was er Gutes gehabt, und was er anjetzo habe.
Ein ander Mal warf er seiner Gemahlin wieder vor, daß sie sich gar nicht in Kleidern hervorthue und nicht ihrem Stande gemäß erscheine, während die andern Damen seinem Hofe noch Ehre machten. Er fügte die Frage hinzu: Wo sie denn alles Geld ließe? Sie stellte die Frage entgegen: Ob es nicht besser sei, daß sie von dem Gelde den Armen und
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Nothdürftigen Gutes thue, als daß sie es auf Staat und Putz verwendete? Er aber erwiderte verstimmt: "Ich sehe noch blutwenig, wem Sie davon Gutes thun; Sie mögen es denn der Grävenitzen, Porsten und Francken geben, die Andern kriegen wohl wenig davon."
Das königliche Paar ward eine Weile in der That sehr unglücklich. Vieles drückte damals den Monarchen. Die auswärtigen Angelegenheiten machten ihm viele Sorgen, und noch mehr bekümmerte ihn die traurige Lage mancher seiner Provinzen, namentlich Ostpreußens, welches durch Seuchen und Hagelschlag entsetzlich mitgenommen war. Der Glanz der Hofhaltung hatte ihn lange getäuscht über die Mißregierung seiner Günstlinge, des Grafen Wartenberg und namentlich des mit diesem eng verbundenen, als hart, hochfahrend und eigennützig verhaßten Grafen Wittgenstein, dem neben der Obermarschalls=Würde auch die Leitung der Domanial=Verwaltung oblag und der, nur um seinem Herrn zu gefallen, zu allen Verschwendungen am Hofe immer reichliche Mittel dargeboten, daneben aber Wartenberg immer höhere Einkünfte, bis ins Unglaubliche, verschafft und, da eine Hand die andere wusch, seine eigene Bereicherung verfolgt hatte. Weil die üblen Folgen dieser Art von Staatswirthschaft allgemach nur allzu deutlich an den Tag traten, so glaubte der Kronprinz, - der allen Pomp haßte und von Kind auf eine Sparsamkeit, die schon seine Mutter für Geiz angesehen hatte, bewies und, wie natürlich, die Verschwendung bei Hofe und die Bereicherung der Günstlinge seines Vaters mit wachsendem Ingrimm sah, - in Verbindung mit einigen, meist von Ehrgeiz getriebenen Anhängern jetzt eine Aenderung herbeiführen zu können und zu müssen. Im Sommer des Jahres 1710 gewann dieser Plan eine festere Gestalt. Als der Oberkämmerer im Juni erkrankte, hielten nach Burmeisters Mittheilung viele sein Uebel für eine "Staatskrankheit" und Wittgensteins Stellung schon für gefährdet. Aber Wartenberg genas und erhielt vom Könige unzweifelhafte Beweise ungeschmälerter Gunst. Dagegen bewog der Kronprinz, um Wittgenstein zu stürzen, den Vater zu einem Befehl an die sämmtlichen Regierungen 1 ), sich über den wachsenden Nothstand des Landes zu äußern und Mittel zur Abhülfe vorzuschlagen.
Die hierauf eingehenden Berichte der Regierungen warfen auf Wittgensteins Verwaltung ein gar übles Licht.
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Wohl versuchte er im Herbst sich zu rechtfertigen; aber er konnte es doch nicht hintertreiben, daß eine Commission zur Prüfung jener Berichte niedergesetzt ward. Lange bevor diese am 23. Decbr. ihre Resultate dem Könige vorlegte und dadurch Wittgensteins Verhaftung und Abführung nach Spandau am 29. Dec. herbeiführte, war man am Hofe auf einen Umschwung gefaßt, und die Parteien gegen einander gespannter und feindseliger als je. Wenn auch für Wittgensteins Verwaltung nicht verantwortlich, schien Wartenberg dessen voraussichtlichen Sturz nicht überdauern zu können. Vornehmlich aber ward des Oberkämmerers Stellung dadurch gefährdet, daß dieselbe mit der seiner Frau untrennbar verbunden war, dem Könige aber deren zügellose Anmaßung und Herrschsucht anfing widerlich zu werden. Als im Sommer 1710 die schöne, kluge und feine russische Gräfin Matweeff 1 ) in Deutschland erschien, um im Auftrage Peters des Großen in Wolfenbüttel über die Ehepakten seines Sohnes mit der braunschweigischen Prinzessin Charlotte zu verhandeln, stritt auch mit dieser bei ihrer Durchreise durch Berlin die Wartenberg um den Vorrang und erlitt dabei eine Demüthigung. Der König nahm sie diesmal nicht in Schutz; es verletzte ihn vielmehr tief, daß die Ober=Kammerherrin hiedurch seinen Hof gewissermaßen bloßgestellt hatte. Nicht minder verhaßt als ihre Anmaßung war ihm ihre Habsucht. Wenn Burmeister recht berichtet war, so äußerte der König später (zu Ende Jan. 1711), "daß, wenn er (Wartenberg) gestorben wäre, er sie, die Ober=Kammerherrin, nacher Spandau ins Spinnhaus bringen und all das Ihrige nehmen lassen wollen."
Allmählich drängte sich ihm wohl der Gedanke auf, sein "ganzes Theatrum changiren" zu müssen; aber es konnte dem schon alternden Regenten nicht leicht werden, sich mit dieser Aussicht zu befreunden, in der ihm lieb gewordenen Hofhaltung eingreifende Aenderungen und Einschränkungen vorzunehmen und dem vieljährigen täglichen Umgange mit seinem Günstlinge Wartenberg, der ihm trotz seinem Eigennutz doch auch viel Eifer und Ergebenheit, Tüchtigkeit und Umsicht bewiesen hatte, auf immer zu entsagen.
Man wird es natürlich finden, daß unter allen diesen Umständen seine Reizbarkeit empfindlicher ward und er weniger
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Nachsicht mit dem festen, ja hartnäckigen Beharren seiner Gemahlin in dem, was ihm unangenehm war, bezeigte.
"Ich Weiß nicht," äußerte er einmal im September, jenes Jahres gegen einen Vertrauten (der es aber Burmeister wieder erzählte), "ich bin sehr unglücklich mit meinen Weibern. Die vorige die ruinirte wegen der vielen Depensen, so sie mir that, mein ganzes Land und prostituirte mich noch dabei vor der ganzen Welt (wobei er den guten Freund ansah, um ihm zu verstehen zu geben, daß er wohl selbst denken könne, worauf er ziele. 1 ) Was man von der jetzigen Renommée raisonniret hat, ist weltkundig, und ich [bin] mit ihrem Comportement gar nicht zufrieden, weiß auch nicht, wo das Ding wohl noch lange währet, ob ich mich auch nicht separiren und sie sitzen lasse. Denn ich [bin] nicht ein solcher Kerl als wie mein Ober=Kammerherr (Wartenberg), der sich vom Weibe scheren läßt." Der Vertraute (wohl Wartensleben) redete ihm aber den letzten Gedanken aus: diese Ehe sei ja sein eigener Entschluß gewesen, man müsse mit den Weibern Geduld haben, sie seien einmal nicht rein wie Engel. "Es ist wohl wahr," versetzte der König, "was Ihr saget, und Ihr habt Recht."
Und doch fühlte er sich jetzt oft durch ganz harmlose und gleichgültige Bemerkungen seiner Gemahlin verletzt. Vergebens versicherte diese ihm dann, daß sie auf der Welt nichts mehr suche als sich ihrem Gemahl gefällig zu machen; Verstand komme aber nicht vor Jahren (sie zählte erst 25!); er möge doch nur Geduld mit ihr haben und nicht gleich Alles übel nehmen. "Das Compliment," entgegnete er dann wohl, "haben Sie mir schon oft gemacht; ich habe aber noch keine Besserung gespürt." Es mißfiel ihm jetzt sogar, daß die Königin nach ihrer täglichen Gewohnheit sich durch einen Kammerdiener bei ihm erkundigen ließ, was er mache. Da ließ sie ihn fortan durch einen Kammerherrn fragen, wie er sich befinde und ob sie zu ihm kommen dürfe. Sie hatte die Freude, daß dies von ihrem Gemahl ihr gut genommen ward.
Als der König im Herbste zu den großen Jagden nach Landsberg und Golz ging, verdroß es ihn, daß seine Gemahlin,
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die doch, wie erwähnt, bald nach ihrer Vermählung bei der Thierhetze im Circus von ihrer Loge aus sogar einen Bären erlegt haben soll, sich jetzt ein Gewissen daraus machte, selbst zu schießen. Er forderte sie daher auch nicht zur Theilnahme an der Weinlese und andern Festlichkeiten auf, wies auch Wartenslebens Fürsprache für sie barsch zurück, und machte sogar gelegentlich kritische Bemerkungen über die Unterhaltung "der Princesse von Meklenburg" bei der Tafel. Als sie bei einem Jagddiner nach der Hofsitte aufstand, um auf die Gesundheit des Königs zu trinken, erklärte dieser ihr verdrießlich, sie solle nirgends mehr mit hingehen, sie mache immer so viel Wesens! - Das war denn doch selbst dem Kronprinzen zu viel. Er bemerkte gegen Wartensleben: "Mein Gott, wie tractirt doch anjetzo der König die Königin rüde! Denn steht sie auf, so ist es nicht recht; steht sie nicht auf, so ist es auch nicht recht; und wie kann sie es Wissen? Ich weiß, daß Er ein guter Freund von ihr ist; sage Ers ihr einmal mit guter Manier!" Wartensleben antwortete, daß er sie fast gar nicht mehr spreche. "Und sagen wirs ihr," entgegnete der Kronprinz, "so hinterbringt sie Alles dem König wieder und haben wir dann denselben aufm Halse. Ihr ist auch weder zu rathen noch zu helfen, wo sie nicht die Grävenitz abschafft."
Gewiß sprach der Kronprinz hier ein richtiges Wort; um des häuslichen Friedens willen hatte Sophie Louise ihrem Gemahl längst nachgeben und wenigstens einstweilen in eine Trennung von ihrer Freundin willigen müssen. Aber nicht aus Eigensinn beharrte sie bei deren Beschützung, auch nicht aus Eigennutz, obwohl sie diese Dienerin ihrer Geschicklichkeit und Treue wegen für unersetzlich hielt und natürlich ungern die Einzige, vor der sie ihr Herz ausschütten mochte, von dannen gehen sah. Sie glaubte vielmehr, ihre Eleonore nicht preisgeben zu dürfen, da sie überzeugt war, daß diese allein um ihres Glaubens willen alle Verfolgungen und Verlästerungen zu erdulden hatte; und sie wollte durch deren Entlassung den Verläumdungen nicht gewissermaßen einen Schein der Wahrheit geben. Ueberdies hatte sie gegen dieses aus dem Dienste der Mutter in den ihrigen herüber genommene Fräulein Verpflichtungen. Und sollte sie die Mittellose nöthigen, nach Stuttgart zu gehen und dort ein Unterkommen zu suchen, vielleicht sie gar in den Strudel ihrer Schwester hineinziehen lassen? Wenn wohlmeinende. Hofleute ihr den Rath gegeben hatten, die Grävenitz von sich zu thun, hatte sie geantwortet: "Man
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muß sich auf Gott verlassen und nicht auf Menschen; denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen." - Indem die Königin nun aber hartnäckig der Freundin Ruf und Stellung zu erhalten suchte, führte sie nur eine gewaltsame Katastrophe herbei.
Am 23. Oct., während des Aufenthaltes zu Potsdam, eröffnete König Friedrich seiner Gemahlin, er habe gehofft, sie werde die Grävenitz, die er nicht leiden könne, von selbst entlassen; da dies aber nicht geschehen sei, so befehle er hiemit, daß dieselbe am andern Tage von dannen gehe. Vergebens that die Königin Fürbitte, rühmte die Tüchtigkeit des Fräuleins und bat, nicht zu glauben, was ihre Feinde vorbrächten. Der König wollte von jener nichts mehr hören; es bleibe, entgegnete er kurz und heftig, bei seinem Befehl, wo nicht, so möge die Königin selbst mitgehen. Nicht einmal die Ablieferung der ihr anvertrauten Sachen wollte er der Grävenitz noch zugestehen. - Sophie Louise ward, nach ihres Gemahls eigener Erzählung, hierüber äußerst bestürzt; sie könnte sich, meinte er, "nicht kläglicher anstellen und mehr lamentiren, wenn sie ihn selbst verloren hätte, als wie sie um dies Mensch thäte." Der Grävenitz selbst ließ er den Hof verbieten; sie mußte das Schloß am 24. verlassen. Mutter und Schwester nahmen sie in Berlin bei sich auf.
Nur mit Mühe gelang es der Königin, die nichts hinter ihres Gemahls Rücken thun mochte, die Erlaubniß zu erwirken, daß sie einige Tage später um der Ablieferung willen ihre Getreue auf ein paar Stunden zu sich aufs Berliner Schloß kommen lassen durfte. Neue Propositionen verbat sich der König, sonst wolle er seine Gemahlin nach Cleve, und die Grävenitz nach Spandau schicken. Und doch, trotz dieser scharfen Drohung, glaubte Sophie Louise, in gänzlicher Verkennung seines Temperaments, immer noch, ihres Gemahls Zorn durch freundliches Entgegenkommen besänftigen zu können, zumal kein einziges Factum vorlag, welches solche Maßregel zu rechtfertigen schien. Am 9. Novbr. äußerte sie, sie wolle, was es auch koste, die Ehre Leonorens gerettet wissen, damit deren Feinde, die sie so unschuldig verfolgten, nicht ihren Willen hätten. Sie ließ v. Printzen und v. Kameke kommen und fragte sie, warum doch der König die Grävenitz so sehr hasse? Sie bat deren Beschimpfung zu verhüten; denn sie selbst müsse die Ehre derselben retten, da sie ja in ihrem Dienste stehe. Daß beide - und v. Printzens Ergebenheit war ihr doch nicht zweifelhaft - erklärten, sich nicht in diese Sache mischen zu können, hätte
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der Königin wohl zur Warnung dienen sollen; aber dennoch wagte sie selbst am Abend noch eine Fürbitte bei ihrem Gemahl! Jedoch, wie zu erwarten stand, mit dem schlechtesten Erfolg. Der König erhitzte sich dermaßen, daß er in der Nacht sehr unwohl ward, was ihm nach schwerem Aerger öfters widerfuhr. Am nächsten Morgen begegnete er seiner Gemahlin zwar freundlich, befahl auch noch der Oberhofmeisterin, ihre Gebieterin um die Entfernung der Grävenitz zu ersuchen; aber ohne den Erfolg davon abzuwarten, ertheilte er um 2 Uhr dem Geh. Rath v. Printzen, der sich diesen Auftrag ausbat, den Befehl, die Verhaßte aus Berlin zu schaffen, Printzen fuhr mit seinem Secretair zu dieser hin, eröffnete ihr des Königs Willen, und verbot ihr, vor der Abreise noch jemand zu sprechen oder jemals an die Königin einen Brief zu richten: man würde ihre Briefe erbrechen; und falls sie jenes Verbot überträte, würde der König sie an einen Ort bringen lassen, wo sie gewiß weder Feder noch Dinte mehr finden solle.
Man kann sich die Ueberraschung denken. Umsonst flehete Eleonore, da sie doch nicht gestohlen oder sonst etwas Strafbares begangen habe, ihr einen Aufschub von einigen Tagen zu gewähren, um Richtigkeit mit der Königin machen zu können. Als sie dann die Bitte aussprach, sich nach Halle zurückgehen zu dürfen, begab sich v. Printzen, den Secretair als Wache zurücklassend, zum König, um dessen Entscheidung einzuholen. Dieser schlug ihr erzürnt den Aufenthalt zu Halle ab und verwies sie seines Landes, ließ ihr im Uebrigen aber die Wahl des Ortes frei. Nachdem sie Grabow genannt hatte, fuhr um 5 Uhr eine sechsspännige königliche Kutsche vor und nahm Leonore und ihre Schwester (Henriette) nebst dem genannten Secretair auf. Leonore fürchtete Anfangs immer noch, man werde sie direct nach Spandau fahren; aber es ging der Gränze zu, freilich nicht in der Richtung auf Grabow, sondern auf Fürstenberg. Der Wagen brachte sie bis zu dem meklenburgischen Grenzorte Tornow, zu einem ihr befreundeten Gutsbesitzer.
Die Königin ahnte nicht, was vorging. Als aber ihr Gemahl am Abend nach seiner Gewohnheit zu ihr kam, erzählte er selbst ihr dieses, ohne Umschweife: "Ihr wisset, daß Ihr mir gestern wieder von der Canaille gesagt und desfalls nicht wenig Chagrin und Verdruß gemacht habt. Ich bin Eures Bruders Exempel gefolgt; und wie der es mit seiner Gemahlin 1 ) gemacht, so habe ich es auch gemacht: ich habe
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sie vor einer Stunde in einen Wagen setzen und so wegbringen lassen."
Hatte die Königin diesen Ausgang geahnt? oder war ihr Schmerz zu tief, als daß sich derselbe in Thränen und Klagen äußern konnte? Schon längst hatte sie sich zur Verwunderung des Hofes gewöhnt, bei Verstimmungen des Königs völlige Ruhe, ja Kälte zu zeigen; auch jetzt sprach sie von diesem Vorfall kein Wort, that auch "ganz indifferent." Wohl konnte sie nun sich damit trösten, daß sie der Beschimpfung ihrer Freundin nicht durch gutwillige Entlassung Vorschub geleistet hatte; aber der Verlust, den sie erlitten, war für sie unersetzlich, sie hat keiner Persönlichkeit auch nur annähernd ein ähnliches Vertrauen wieder geschenkt. Wie lieb sie die Grävenitz behielt, ersieht man daraus, daß sie sich noch im Jahre 1712 von ihrem Bruder Friedrich Wilhelm ein Zeugniß über das frühere Wohlverhalten derselben ausbat und zu ihren Acten nahm. 1 ) Sie bewies fortan eine Entsagung, die man achten mußte; aber es nagte Gram an ihrem Herzen, und wahrscheinlich ist diese erschütternde Erfahrung auch nicht ohne Einfluß auf ihre eigene Katastrophe geblieben.
Sie enthielt sich, des Königs Weisung folgend, alles Briefwechsels mit der ihr entrissenen Freundin.; sie erwähnte dieser gegen ihn nur noch einmal, indem sie ihn kurz vor Weihnacht bat, ob sie derselben, da sie aller Mittel zu ihrem Unterhalt entbehre, nicht eine Unterstützung schicken dürfe. Verdrießlich, wie er damals über Wittgensteins und Wartenbergs bevorstehenden Sturz war, antwortete er: Seinetwegen möge sie ihr schicken, was sie habe und was sie wolle; er wolle aber nichts von derselben hören. Und am andern Tage ließ er durch v. Printzen der alten Geh. Räthin v. Grävenitz ankündigen, daß sie alsbald die Stadt zu verlassen habe und mit niemand vorher sprechen noch
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correspondiren dürfe. Auf ihre Bitte ward ihr ein Aufschub von einem Tage und Vorspann bewilligt; am 23. Decbr. reiste sie incognito von Berlin ab.
Wahrscheinlich ist auch sie nach Grabow gegangen, obwohl Burmeister schon längst den Herzog Friedrich Wilhelm darauf aufmerksam gemacht hatte, daß weder er noch seine Mutter zu Grabow Leonore freundlich aufnehmen möchte, und daß er sich durch Entfernung derselben in Berlin sehr angenehm machen würde 1 ).
Weil nicht lange nach der Ausweisung Leonorens v. Grävenitz aus Berlin auch der Sturz des Grafen Wittgenstein und die Entlassung des Grafen Wartenberg, und damit die Entfernung seiner Frau vom Hofe erfolgte: so liegt die Vermuthung nicht fern, und Pöllnitz 2 ) hat sie als Thatsache ausgesprochen, daß die Königin, durch die v. Kameke gewonnen, ihrem Gemahl stark zugeredet und dieser deshalb endlich darein gewilligt habe, einen Minister (Wartenberg) zu entfernen, von dem er bis dahin sich nicht trennen zu können vermeinte. Dennoch beruht diese Angabe auf einer ganz irrigen Auffassung von der damaligen Lage der Königin und überhaupt auch von ihrem Charakter. Denn wir nehmen sonst keine Spur von Rachsucht oder Ränkesucht an dieser frommen Frau wahr; wir wissen auch, daß sie es mit keiner
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der beiden Parteien am Hofe hielt, dem Parteitreiben überhaupt ferne stand. Schon im August meldete Burmeister, daß sie Kameke durchschaut habe und ihm nicht mehr trauete; es konnte ihr nicht entgehen, daß die Partei des Kronprinzen ihrer religiösen Richtung ebenso abhold war, wie die Wartenbergsche; und sie hat es später erfahren, daß man auch nach Entfernung der letzteren den König ebenso eifrig wie vorher gegen sie einzunehmen suchte. Und weit entfernt, daß sie in der Zeit, als der König seine letzten Entschlüsse faßte, einen Einfluß auf ihn gehabt hätte, war vielmehr ihre eigene Existenz bedroht, sie überdies krank. Man war erstaunt über ihre Gelassenheit, da man ihre aus frommem Gottvertrauen fließende Kraft nicht begriff. Sie "lässet sich auch gegen keinen im geringsten merken," schreibt Burmeister am 16. November, "ob ihr was arriviret sei oder nicht, so daß sich Viele in diese Verstellung (!), die sie an der Königin nimmer und in Ewigkeit waren vermuthen gewesen, nicht finden können und nicht Wissen, was sie dadurch intendire, . . denn sie keinen Menschen en particulier spricht. Der König scheinet anjetzo etwas mehr content zu fein und hat gesaget gehabt, daß, wenn sie ihn so von indifferenten Sachen entretenirte, als wie sie ein paar Abende gethan hätte, so würde sie ihm allezeit angenehm sein." Burmeister legte auf solche Zufriedenheit Seiner Majestät aber nicht viel Gewicht. Er meinte, die Königin müsse sich ihr künftiges Verhalten völlig von ihrem Gemahl vorschreiben lassen, ihm auch erklären, daß sie seinem Willen "mit dem größten Plaisir nachkommen wolle." "Hierbei," fährt er fort, "muß sie auch nicht vergessen, allen Leuten bon acceuil zu machen, und zumalen gegen den Kronprinzen und die Kronprinzessin wohl zu thun: so kann man alles Passirte den üblen consiliis der bewußten Person" (der Grävenitz) "imputiren, und wird sie sich wieder en credit und estime setzen." Sonst, meint er, "wird der König von Tagen zu Tagen gegen sie kälter werden und seine Affection verringern, äußerlich zwar gegen sie wohl thun (wodurch sie sich leider am meisten einschläfern lässet, da man hergegen hier dies für die schlimmste Marque hält), ehe man sich aber versiehet, eine solche Resolution fassen, die nimmer und in Ewigkeit zu redressiren stehet. Denn wo er erst den rauhen Handschuh ausziehet, so kann er ihn nicht wieder ankriegen, es erfolge auch daraus, was es wolle."
Burmeister folgt bei diesen Mittheilungen den Winken der wenigen Freunde; diese Beurtheilung der Lage war richtig. Denn natürlich änderte die Königin ihre religiöse Ueber=
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zeugung mit der Entfernung der Grävenitz nicht, mithin auch nicht ihre auf derselben beruhende Weise sich zu benehmen und zu handeln; der Anstoß, den ihr "Pietismus" erregte, blieb in gleicher Kraft bestehen. Der König wechselte in jenen Tagen eigenhändige Briefe mit dem Herzoge Friedrich Wilhelm und der Herzogin zu Grabow, deren Inhalt wir nicht kennen; er wünschte auch, daß man aus Schwerin den Geh. Rath v. Klein zu ihm sende, ohne daß er den Grund davon angab. Was aber im Werke war, erfuhr der Herzog zu Anfang Decembers aus einer mündlichen Mittheilung des aus Berlin heimkehrenden Obersten Schwerin (des späteren Feldmarschalls), nämlich daß , "man in Berlin sich dahin bearbeitete, die Königin bei Continuation ihrer Conduite nacher Cleve zu schicken!" Der Herzog wies darum den zu andern Geschäften eben nach Berlin gereisten Geh. Rath v. Klein am 7. December an, seiner Schwester nachdrücklich alle Folgen, die daraus entstehen würden, vorzustellen und sie insonderheit darauf aufmerksam zu machen, daß man ihr nicht die Freiheit lassen würde, dort "die Leute von der Pietisterei nach ihrem Gefallen bei sich zu nehmen und zu halten," sondern sie "nichts desto weniger darin einschränken und über ihre Conduite vigiliren" würde, ganz davon abgesehen, was nach des Königs Tode der Thronfolger über sie verhängen dürfte.
Leider hat Klein die Antwort der unglücklichen Königin nicht dem Papier anvertraut, sondern sie zur mündlichen Berichterstattung nach seiner Heimkehr aufbewahrt. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß sie mit jenem Plan selbst nicht ganz unzufrieden war; denn wäre ihre Antwort nur einigermaßen beruhigend ausgefallen, so hätte sie der Gesandte gewiß geschrieben. Einstweilen aber, da man sie an ihrer Stelle ließ, bemühete sich Sophie Louise, ihre Pflicht nach bester Einsicht, und soviel sie bei ihrer Kränklichkeit es vermochte, zu erfüllen; sie suchte ihren Gemahl durch ihre Gespräche zu zerstreuen, und zu Weihnacht und Neujahr erfreuete sie ihn wieder gar sehr durch die reichen Geschenke an die Mitglieder des königlichen Hauses.
Das Jahr 1711 begann für das Königspaar recht trübe. Die Königin litt seit längerer Zeit an einer "Halskrankheit," dann an einem kranken Arm, so daß sie ganz ans Zimmer gefesselt ward. Der König kränkelte gleichfalls. Die Enthüllungen über Wittgensteins Verwaltung und seine Verhaftung hatten ihn heftig erregt; die Trennung von seinem ihm so theuren Liebling Wartenberg schien ihm freilich un=
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vermeidlich geworden zu sein, aber sie ward dem Monarchen unendlich schwer. Die Störung in dem gewohnten Gange des Hoflebens und die Anstrengungen, welche die neue Ordnung der Staats= und Hofverwaltung mit sich brachte, erschütterte seine ohnehin stets bedrohete Gesundheit. Man hörte ihn wohl sagen, er wolle nun einmal selbst Oberkammerherr und Obermarschall sein; er wolle "nicht nur allein sein Lebtag keinen Favoriten und Premier=Minister mehr haben, sondern auch seinen Successoribus als eine Staatsmaxime anrathen, dergleichen nicht zu haben." Dann aber war er auch wieder "einige Tage sehr pensiv," "und scheinet", schreibt Burmeister, "daß, wenn Ein und Anderes nicht geschehen wäre, man anitzo sich nicht so präcipitiren würde." Mit Sorgen erzählten sich die Höflinge, daß er noch mit Wartenberg correspondire, ja in einen Brief Ohrringe für dessen Frau im Werthe von 16-20000 Thlrn. eingelegt habe. Er selbst gestand auch dem General Grafen Christoph v. Dohna 1 ) ganz offen, wie schwer es ihm werde, des Oberkämmerers entrathen zu müssen, und daß er ihn gern zurückkehren ließe, wenn er sich von seiner Frau trennen wollte, der er, unter der Bedingung nie in Berlin und am Hofe zu erscheinen, ein Schloß anzuweisen bereit war. In der That gewann allerdings der Kronprinz durch jene Umwälzung eine viel bedeutendere Stellung und einen heilsamen Einfluß auf die sparsamere Staatsverwaltung; aber, wiewohl des Geh. Raths v. Kameke Einkommen und Geschäftskreis erweitert ward, v. Printzen das Amt des Obermarschalls, der Grand-maître v. Kameke die Geschäfte des Oberkämmerers, wenn auch ohne den Rang, empfing, der Fürst v. Dessau als zweiter Feldmarschall neben Wartensleben gestellt ward, und Ilgen nun ziemlich unabhängig die auswärtigen und die Justizsachen verwalten konnte: - immer erlangten diese Beamten doch nicht ganz das, was man wohl erwartet hatte, und lange ließ die Sorge um Wartenbergs Rückkehr sie nicht zum vollen Genuß ihrer Errungenschaft kommen. Hernach aber dämpfte der König selbst ihre Freude, indem er ganz unvermuthet den Grafen Alexander v. Dohna, den einst Wartenberg vom Hofe verdrängt hatte, zurückrief und ihm im Staatsrath die erste Stelle nach dem Kronprinzen anwies. Dies geschah erst nach Ostern; und bevor damit die Organisation einen Abschluß erhielt, kam der König nicht recht zur Ruhe und zu einer einigermaßen behaglichen Stimmung.
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Dazu kam nun die Sorge um seine kranke Gemahlin. Ihr Uebel im Arm wollte auch nach Monaten nicht weichen. Sie äußerte im Februar den Wunsch, Schwalbacher zu trinken und Schlangenbad zu gebrauchen; aber eine Reise dorthin erschien jetzt, wo man nun auf einmal in demselben Grade sparen wollte, wie man früher verschwendet hatte, zu kostbar. Zu den Berliner Hofärzten hatte sie wenig Vertrauen - Weil sie keine Pietisten seien, meinte ihr Gemahl; er gestattete ihr, den Leibarzt ihres Bruders, den Hofrath Dr. Schaper aus Rostock, zu consultiren, der für sehr tüchtig galt und sich durch zahlreiche Schriften einen Namen gemacht hatte 1 ). Ihr Zustand war nicht unbedenklich; man befürchtete Schwermuth. Der König selbst leitete das ganze Uebel daraus her, daß seine Gemahlin sich von allem Verkehr ausschließe und sich zur Stubengefangenen mache. Darüber habe er sich, äußerte er, oft recht herzlich geärgert und sie gebeten, wenn sie mit andern Leuten nicht gern umgehen möge, doch wenigstens zu ihm zu kommen und sich die Lebensweise der Kronprinzessin zum Muster zu nehmen; da aber dies alles bei ihr nicht verfangen wolle und sie ihrer eigenen Caprice folge, so wisse er in der Welt nicht, was er weiter thun solle. Er schrieb in seiner Rathlosigkeit an seine Schwiegermutter; diese entschuldigte aber die Tochter mit ihrer Jugend; sie hoffte, die Königin werde mit der Zeit lernen sich besser in des Gemahls humeur zu schicken.
Man hielt es nun für ganz zweckmäßig, in die Stelle der Grävenitz eine andere Dame zu setzen, welche beständig um sie sein, ihr Handreichung thun und sie unterhalten könnte. Die Königin warf ihr Auge auf eine Dame, die klug und im Hofleben erfahren war; aber sie fand keinen Beifall, weil sie zu pietistisch sei. Die v. Kameke brachten dafür eine Andere in Vorschlag, die sich freilich fromm geberdete, aber voll Heuchelei und Falschheit war. Sie ward glücklicher Weise umgangen. Im März interessirte sich die Königin wohl für eine Gräfin Leiningen, und als diese für sehr pietistisch verschrien ward, für eine Gräfin Solms, die aber dasselbe Bedenken gegen sich hatte. Unter ihren Hofdamen hätte dann Sophie Louise gern die Tochter des Generals Grafen Dohna beständig um sich gehabt; aber v. Printzen bewog - im November! - den König, sich für die Gräfin Truchseß zu entscheiden. Die Königin machte dagegen keine Einwendung. Doch nun erhob sich am Hofe
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ein großer Streit über der Truchseß künftige Stellung, über ihren Gehalt und ihren Rang. Endlich erhielt diese Gräfin freilich die Geschäfte einer dame d'atour, verblieb aber daneben in ihrer bisherigen Stellung als Hofdame. Die Grävenitz konnte sie der Königin nicht ersetzen.
Damals, als diese Entscheidung endlich erfolgte, hatte die Angelegenheit auch ihre Bedeutung schon größtentheils verloren; am meisten hätte Sophie Louise im Frühling einer geeigneten Gesellschafterin bedurft. Im März erreichte nämlich das Uebel den höchsten Grad. Da sich einige heftige Paroxysmen einstellten, glaubte sie selbst ihr Ende nahe; sie trug schon ihrem Hofprediger auf, was er ihretwegen nach ihrem Tode dem Könige, dem Kronprinzen und dessen Gemahlin sagen sollte.
Porst war nämlich, auf des ängstlich gewordenen Königs Wunsch, in jenen Tagen viel um die Kranke, weil er das Meiste über sie vermochte. Auf sein Zureden ließ sie, bevor Schaper anlangte, Berliner Aerzte zu und unterzog sich auf deren Rath einem Aderlaß. Darüber war der König sichtlich erfreut; mit freundlichem Lächeln wünschte er ihr, daß durch diesen Aderlaß auch der böse Eigensinn mit fortgehen möge. Und weil es Sitte sei, Frauen, wenn sie, ihren Männern gehorsam, sich zum ersten Male zur Ader ließen, zu beschenken, überreichte er ihr einen goldenen Zahnstocher mit Diamanten. Die Königin lehnte dies Geschenk aber ab; sie bedauerte, "daß sie leider vor der ganzen Welt so interessirt passiren müsse; ihr sei des Königs Gnade viel lieber als alle Präsente." Etwas empfindlich fragte dieser sie nun, ob dies etwa ein pietistisches Principium sei und sie solches von dem - eben fortgegangenen - Hofprediger habe? Er ließ Porst zurückrufen; der sollte entscheiden, ob sie dies aus aufrichtig gutem Herzen dargebotene Geschenk nicht mit gutem Gewissen annehmen könne? Porst bejahete die Frage; und Sophie Louise, die wohl nicht geahnt hatte, daß ihr Gemahl die Sache so ernst nehmen würde, bat tausendmal um Verzeihung.
Diese ward ihr gern gewährt. Der König besuchte sie Tag für Tag fleißig; und er hatte die Freude, sie nach einem kurzen Rückfall, von dem sie am 5. April nach der Predigt betroffen ward, allmählich genesen zu sehen. Als er im Frühling noch ohne sie nach Landsberg gehen mußte, schrieb er ihr täglich die zärtlichsten Briefe, nannte sie seine "incomparable reine" und "très-chère Fike"; er erklärte ihr, es
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sei ihm unmöglich, länger ferne von ihr zu bleiben, er müsse zu ihr in die Stadt kommen u. s. w.
Und trotz alledem versuchten die Gegner der Königin, die nimmer ruheten, ihren Gemahl doch wider sie einzunehmen. Ihr ward seine zunehmende Schwäche zur Last gelegt, als wenn der Kummer um Wartenberg und alle Sorgen der Staatsverwaltung, welcher er sich mehr als früher unterzog, hätten ohne Spuren an seiner schwachen Constitution vorübergehen können. Es ward ihm vorgestellt, seine Gemahlin sei melancholisch und bekomme zuweiten einen Raptus; wenn er sie mehr von sich entferne, so werde er ein weit längeres und vergnügteres Leben führen; er möge sie darum auf denselben Fuß wie die Königin Charlotte stellen, d. h. von sich thun. Burmeister schreibt darüber äußerst entrüstet, daß die Feinde der Königin solches "nachgrade ungescheut dem Könige fälschlich beibringen; denn weiln sie wohl sehen, daß Keiner hier dem Könige es benimmt, so heißet es wohl mit Recht [von ihnen]: "Petrus ward dreist," da man unterweilen doch wohl weiß, woher die schlaflosen Nächte eigentlich herrühren, und gewiß die Königin nicht allzeit an dem Chagrin schuld, wiewohl ich ihre Conduite nicht justificire, denn sie Vieles ändern könnte. Aber darin beklage ich sie nur, daß, was die andern Großenhansen einbrocken, die Königin unterweilen ausessen muß, indem diese so schön den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und es auf sie zu wälzen wissen."
Ganz ohne alle Wirkung blieben solche immer dreistere Einflüsterungen nicht; und man "wollte aus vielen Dingen gar schließen, daß die Königin selbst dazu inclinire;" sie sehnte sich wohl aus der Berliner Hofluft wenigstens auf eine Zeitlang hinaus. Die Aerzte riethen ihr zu einer Reise nach Pyrmont, und sie freute sich sehr auf solche Zerstreuung und hoffte von der Kur den besten Erfolg. Aber die Räthe konnten auch zu dieser Reise, von der doch, wenn nicht das Leben der Königin, so doch ihre Gesundheit abhing, wieder kein Geld finden, und der König unterstützte den Wunsch seiner Gemahlin nicht.
Als er selbst am 28. April sich zu einer Brunnenkur nach Charlottenburg begab, machte er wohl der Kronprinzessin, deren Gemächer doch von den seinigen entfernter lagen, aber nicht seiner Gemahlin einen Abschiedsbesuch; er ließ sich bei der Letzteren nur durch den Schweizer, den er eben antraf, mit seiner Mattigkeit in den Füßen entschuldigen: sie möge nur bald ganz genesen, um ihm folgen zu können. Darüber
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weinte Sophie Louise stundenlang und fuhr gegen Abend dann nach Charlottenburg hinaus. Ihr Gemahl ging ihr dort wohl freundlich entgegen, aber mit Thränen in den Augen kehrte sie aus seinem Gemach zurück; man hörte sie im Garten schwermuthsvoll ausrufen: Berlin! Berlin!
Schon gewann es den Anschein, als ob das vor Kurzem wieder hergestellte sehr gute Einvernehmen abermals zerstört werden sollte. Niemand wagte den Urhebern der Zwietracht geradezu entgegenzutreten; aber der General=Feldmarschall Wartensleben bewies sich doch als ein treuer Freund Sophie Louisens. Er hatte nämlich vernommen, daß zu derselben Zeit, wo der König zu seiner Zerstreuung nach den Sorgen des Winters einen längeren Aufenthalt in Cleve und in den Niederlanden nehmen wollte, der Herzog Friedrich Wilhelm eine Badereise nach Aachen machen würde, und rieth diesem nun, während des Aufenthaltes am Rhein den Schwager aufzusuchen und bei solcher Gelegenheit das Gespräch auf die unglückliche Schwester zu leiten, um des Königs Absicht dabei zu erforschen, ob er die Gemahlin wirklich von sich entfernen wolle, im Fall aber seine Entscheidung dahin nicht gehe, ihn zu bestimmen, daß er ihr alsdann auch, unbeirrt durch Einflüsterungen, die Liebe und die Ehre erweisen möge, welche ihr gebührten.
Die Königin ahnte hievon nichts. Bevor ihr Gemahl am 20. Mai von Potsdam aus jene Reise antrat, wagte sie, da ihr Unwohlsein sich nur allzu schwer geltend machte, noch einmal, ihn um die Bewilligung einer Reise nach Pyrmont zu bitten. Aber sehr barsch schlug er ihr solche ab: "Sie solle nicht immer damit wiederkommen! sie suche ihn nur zu ärgern. Es sei nun bald jährig, daß sie, auch zu Potsdam, ihn so geärgert, daß er seitdem keine gesunde Stunde gehabt habe; sie werde aber nicht eher aufhören, als bis sie ihn ins Grab gebracht." Und wiewohl sie ihm am andern Tage wieder freundlich entgegenkam, und auch er versöhnt zu sein schien, fügte er doch beim Abschiede die Warnung hinzu, sie solle "Eins ändern, oder es würde auf die Länge nicht gut thun!"
Aber diese Reise des Königs, welche auf volle drei Monate ausgedehnt ward, bezeichnet einen Wendepunkt in dem Leben der unglücklichen Fürstin. So oft auch Burmeister ihrer wieder Erwähnung thut, nie berichtet er weiter von einer Verstimmung zwischen ihr und dem König. Dieser mochte sein Unrecht einsehen; schon vom ersten Nachtlager
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aus richtete er an seine Fike einen verbindlichen Brief, und diese ward dadurch hoch erfreut. Sie trank ihren Pyrmonter Brunnen nun im Belvedere, und auch hier, fern von dem Treiben des Hofes, hoben sich ihre Gesundheit und ihre Stimmung in erfreulichster Weise. Der Herzog Friedrich Wilhelm unternahm allerdings nach Beendigung seiner Kur von Aachen aus noch eine Reise nach den Niederlanden, um die Truppen zu sehen und seinen Schwager aufzusuchen. Ob er dort Wartenslebens Rath befolgt, ob der König in Folge ihrer Unterredung neue Vorsätze gefaßt hat, ob er während so langer Entfernung ihrer Vorzüge recht inne ward, ob er sich fernerhin Einflüsterungen von seiner Umgebung verbat, oder ob die sonst so eifrigen Feinde der Königin doch endlich die Vergeblichkeit ihrer boshaften Bemühungen einsahen: das alles entzieht sich unserer Kenntniß. Sicher ist nur, daß das vormalige vertrauliche Verhältniß zwischen dem königlichen Paar wieder Boden gewann. Wiewohl Friedrich seinen Widerwillen gegen die lutherisch=pietistische Richtung seiner Gemahlin nicht überwunden hat, scheint er doch allmählig duldsamer gegen sie geworden zu sein und ihre Tugenden mehr und mehr geschätzt zu haben. Seit der Wartenbergschen Katastrophe war die Hofluft etwas reiner und frischer geworden; das Parteitreiben hatte sich gelegt; der König war, seitdem er sein Hof= und Staatswesen neu geordnet hatte, in besserer Stimmung. Er gab jetzt selbst weniger als früher auf eine glänzende Hofhaltung, machte also auch vielleicht in dieser Hinsicht weniger Ansprüche an seine Gemahlin. Und seitdem die Wartenberg aus ihrem Gesichtskreise verschwunden war, konnte sie auch unbefangener hervortreten und am Hofleben Theil nehmen; und sie scheint es in der That gethan zu haben. Sie hatte überdies schwere Erfahrungen gemacht, die an ihrem ernsten Sinne nicht vorübergegangen sein konnten ohne segensreiche Folgen für ihr eigenes Verhalten. So läßt sich wohl der plötzliche Umschwung in ihrem Verhältnisse zum Gemahl nach einem Jahre voll Mißstimmung und Zwiespalts erklären.
Auch mit dem Kronprinzen und seiner Gemahlin finden wir Sophie Louise seitdem in freundlichem Umgange. Der Schmerz über den Tod des damals einzigen Sohnes des Kronprinzen (der am 31. Juli 1711 verstarb) beugte alle Mitglieder des Königshauses tief nieder und stimmte vielleicht alle versöhnlicher und milder gegen einander. Nur einmal, im Herbst 1711, gerieth der Kronprinz in seiner nicht immer rücksichtsvollen, oft heftigen Weise mit der Mama
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in ein kleines Mißverständniß; der König führte ihn aber zu derselben hin und stellte alsbald den Frieden wieder her.
Der Kanzler v. Klein, der Ende August nach Berlin geschickt ward, fand "sowohl Ihro Maj. den König als die Königin in Charlottenburg bei Gott Lob! guter Gesundheit, als besserer Zufriedenheit," und zu Anfang Novembers, wo er abermals in Berlin war, meldet er sogar: "I. Maj. die Königin habe wohl, und den Hof sehr content von sie zu sein, vorgefunden." Ja in einem Schreiben Burmeisters vom November 1711 heißt es sogar: "Die Königin fängt an von Tagen zu Tagen mehr beim König zu vermögen, und er hat sie noch neulich magnifique wieder beschenket. Sie bewirbet sich auch aller Apparance nach ümb ein gewisser Soutien und fängt an sich Freunde mit dem ungerechten Mammon zu machen, so daß gewiß ist, daß, wo man es, wie man saget, beim rechten Ende anfänget und darunter continuiret, man noch von Vielem hören wird, woran wohl Keiner gedacht hat."
Daß Sophie Louise diesen Einfluß nicht mißbrauchte, dafür bürgt ihre gewissenhafteste Rechtlichkeit, die auch ihre Gegner nicht bestritten haben. Ein Beispiel davon gab sie ihrem Bruder Friedrich Wilhelm. Denn wie nahe er ihrem Herzen auch stand, und wie bereitwillig sie auch öfters bei ihrem Gemahl (bei dem es mehr Eingang fand als bei Ilgen) ein gutes Wort für Meklenburg einlegte, um ihrem Heimathlande Erleichterung von dem fast vernichtenden Druck des nordischen Krieges zu verschaffen, - ließ sie sich doch nicht bewegen, für den Bruder einen Schritt in Wien zu thun, den sie mit ihrer Ueberzeugung nicht vereinigen konnte. Als nämlich 1711 der Kaiser Joseph I., ein warmer Gönner der meklenburgischen Ritterschaft, gestorben war, suchte der Herzog von Meklenburg=Schwerin den neuen Kaiser Karl VI. für sich günstig zu stimmen; man hielt es für sehr wirksam, wenn seine Schwester Sophie Louise in diesem Sinne ein freundliches Schreiben an des Kaisers Mutter richtete. König Friedrich ertheilte seine Genehmigung; aber die Königin ließ sich dazu nicht bestimmen. Sie könne, antwortete sie, solches nicht mit gutem Gewissen thun, ihr Bruder habe keine gerechte Sache. Wiederholt stellt man ihr vor, sie sei nicht recht berichtet; aber sie behauptete das Gegentheil, sie wolle sich solcher Sünde nicht theilhaftig machen.
Ihre größte Theilnahme dagegen erweckte das unverdiente Loos des vormaligen, durch Wartenberg seiner Zeit
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gestürzten Präsidenten Eberhard v. Danckelmann. Was sie für ihn gethan, bekannte dieser Ehrenmann - nicht etwa damals, als seine Gönnerin im Glücke saß, sondern späterhin, als Nacht ihren Geist umhüllte, und zu einer Zeit, wo er selbst durch Friedrich Wilhelm an den Hof zurückgerufen, und damit seine Ehre wieder hergestellt war. - Er äußerte am 19. April 1713 zu dem meklenburgischen Gesandten, dem Präsidenten v. Koppelow, "ein recht herzliches Mitleiden über der Königin Zustand, sagte zugleich, daß er ihr nicht genugsam danken könne für die Gnade und Treue, so sie in Vorbitten vor ihn gethan, und wünschte, daß er es mit treuen Diensten auf einige Art und Weise wiedervergelten könnte. Es thäte ihm in der Seele leid, wenn er hie und dort solche verfluchte Historien von der guten Königin hören müßte."
Die hier angedeuteten heimlichen Verläumdungen verstummten freilich nie ganz, und sie verursachten der Königin oft tiefen Schmerz, da manche wohl absichtlich zu ihrer Kenntniß gebracht wurden. Sie ließ sich aber dadurch nicht beirren, weder in ihrer Glaubensrichtung, noch in ihrer Art Wohlthätigkeit zu üben.
Meistens geschahen solche Liebeswerke ganz in der Stille, wir können darum auch wenig davon sagen. Aus einer Notiz bei ihren Acten geht allerdings hervor, daß sie im Halleschen Waisenhause 5 Mädchen und 2 Knaben in ordentlicher Pension hielt, im großen Friedrichs=Hospital zu Berlin 5 Waisenknaben und einen Studiosus, der sie unterrichtete, 5 Mädchen nebst einer Aufseherin, und dazu einen Judenknaben, den sie auf die Taufe vorbereiten ließ, verpflegte, außerdem auch einen reformirten Prediger speiste. Anderes erfahren wir gelegentlich.
Das Jahr 1712 brachte der Königin Sophie Louise sofort eine große Freude; ihr Gemahl gestattete ihr nämlich eine Reise nach Grabow zu der Mutter, bei welcher sie auch den Herzog Friedrich Wilhelm mit seiner Gemahlin antraf. Es hieß sogar, auch der König werde noch dort erscheinen; aber seine Unpäßlichkeit scheint ihn zurückgehalten zu haben. Er war während der Abwesenheit seiner Fike recht verstimmt. "Der König" (so meldet Burmeister am 10. Januar) "ist seit einigen Tagen sehr übel humeur und ganz kreckelich, so daß mit ihm nicht auszukommen, welches gemeiniglich Vorboten sein, und pfleget sich diese Wolke so lange zusammenzuziehen, bis sie durch einen starken Donnerschlag auf einmal dissipiret wird, wovon man schon genugsam Proben hat." Aber dies Mal löste sich die Wolke doch bald und ohne ein Gewitter
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auf. Am 18. Januar, beim Ordensfeste, war seine Gemahlin wieder bei ihm in Berlin. Sie fuhr, da er selbst das Schloß noch nicht wieder verlassen konnte, ins Friedrichs=Hospital, um dort über 1000 Arme speisen zu lassen, während sie den kranken und schwachen ihre Portionen ins Haus sandte.
Die wenige Tage später erfolgte Geburt eines präsumptiven Thronerben (den die Nachwelt Friedrich d. Gr. genannt hat) Versetzte natürlich das ganze königliche Haus in die freudigste Aufregung 1 ). Später trübte freilich Kränklichkeit des Königs und der Königin die Stimmung etwas; aber im Mai konnte Sophie Louise doch Oranienburg aufsuchen, und auch ihr Gemahl fand sich zu ihrem Geburtstage dort ein. Der Sommer ward größtentheils in Charlottenburg verlebt, wo die Königin auch wieder Pyrmonter Brunnen trank. Hier hatte sie im Juli die Freude, ihren Bruder Friedrich Wilhelm zu sehen. Und als ihr Gemahl an seinem Geburtstage (12. Juli) den Grundstein zur Kirche in Charlottenburg zu legen beschloß, bestimmte sie, um ihn damit zu erfreuen, denselben Tag zu einer ähnlichen Feier, "und fuhren" wie eine Zeitung meldet, "I. M. die Königin nach gehaltener Tafel vor das Spandauische Thor, welche Vorstadt forthin nach ihrem Namen die Sophien=Stadt genannt werden sollte, und legte allda den Grund=Stein zu einer neuen Kirche, die ebenfalls den Titul der Sophienkirche erhielt;" worauf am nächsten Tage die Grundsteinlegung zu der Unionskirche in Charlottenburg durch den König selbst erfolgte.
Die Sophienstädtische Kirche lag der Königin sehr am Herzen. In einem uns nur in Entwürfen vorliegenden Codicill zu ihrem Testament verfügte sie - aus Grundlage der von ihrem Gemahl bestätigten Fundation vom 31. Aug. 1712 und des ihr darin übertragenen Rechts der Präsentation
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von evangelisch=lutherischen Predigern, Cantoren und Küstern zu der Pfarrkirche in der nach ihr benannten Sophienstadt - auf ihren Todesfall, daß dieses Präsentationsrecht "Unserm und der Gemeinden auf dem Friedrichswerder und der Dorotheenstadt hier zu Berlin Seelsorgern und Predigern Johann Porsten, wie auch Predigern bei des St. Georgen Kirchen in der Königsstadt hieselbst Johann Lysio" zustehen sollte, und diese es weiter verleihen dürften. Sie sollen sich besonders angelegen sein lassen, "daß die von Uns zum Unterhalt und Salarirung des Predigers, Cantoris und Küsters eingesetzte und vermachte 4000 Thlr. Capital" (die sie nebst weiteren 1000 Thlrn. zum Bau vorschoß) und die davon aufkommenden Zinsen nicht zu einem andern Zwecke verwandt werden. Ihre eigenen Erben verpflichtete Sophie in demselben Entwurf, aus ihrer Verlassenschaft eine (nicht eingefügte) Summe dazu auszusetzen, daß von den Zinsen "sechs bedürftiger, ehrlicher Leute Kinder beiderlei Geschlechts von gutem Verstande, Gemüthe und Hoffnung aus der eingepfarrten Gemeinde bei der von Uns gestifteten Sophienstädtschen Parochialkirchen allhier nach dem von Uns darüber entworfenen . . . Project unterhalten und erzogen werden können."
Die Königin kam ihrem Gemahl kaum von der Seite, gab ein Fest im Belvedere, folgte ihm nach Alten=Landsberg und Fürstenwalde, wo er Brunnen trank; und weil sie dann in diesem Jahre zuerst Köpenick besuchte, ward sie dort mit Salutschüssen und andern festlichen Vorbereitungen empfangen, wie der König es liebte. Im September finden wir den Hof wieder in Charlottenburg versammelt. Am 11. und 12. October verweilte in Berlin der Czar Peter I.; man bemerkte, daß er bei der offenen Festtafel sich meistens mit der Königin unterhielt. Im Herbst blieb der Hof dann in Berlin; es ward stiller im Schloß, weil der König wieder unpäßlich war und, wie man sagte, am Chiragra litt.
In seinen zahlreichen Relationen spricht der meklenburgische Geschäftsträger oft von Sophie Louise; aber nie klagt er mehr über Mißverständnisse derselben mit ihrem Gemahl. Wenn freilich ihre Neigungen und Ansichten von vorne herein zu verschieden waren, als daß sie sich jemals völlig hätten ausgleichen können, so war die Königin doch offenbar bemüht, sich in ihres Eheherrn Wünsche und Launen zu schicken. Und sie empfing dafür wiederum manche Probe seiner Zufriedenheit und Zuneigung. Gewiß geschah es auch
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vornehmlich um sie zu erfreuen, daß der König ihrem Beichtvater Porst die erledigte Propstei von Berlin verlieh.
In der That schien sich für die Königin trotz der zunehmenden Schwäche ihres Gemahls das Leben immer freundlicher zu gestalten. Aber bevor sie dieses Glückes recht froh geworden war, ward es plötzlich durch ein schreckliches Schicksal auf immer zerstört.
Zu Anfang des Jahres 1713 verbreitete sich das Gerücht, sie sei unpäßlich; aber ihr Leiden schien nicht von Bedeutung zu sein. Dann ward vermuthet, es würden, weil sie immer noch "malade" sei, am Krönungs= und Ordensfeste (18. Januar) die Feierlichkeiten ausfallen; doch raffte sie sich an diesem Tage noch so weit auf, daß sie sich, wie eine Zeitung meldet, Abends gegen 7 Uhr nach dem Armen= und Waisenhause erhob, allwo sie die armen Waisen speisen gesehen und solchen Ihro Königl. und mütterliche Gnade versichert hat.
Dies war jedoch allem Anscheine nach auch das letzte Mal, daß die Königin Sophie öffentlich erschien. Am 22. Januar meldete der Hofrath Burmeister dem Herzog Friedrich Wilhelm schon, sie dürfe das Bette nicht verlassen und "solle unterweilen schlimme Zufälle bekommen." Und eine Woche später schreibt derselbe Berichterstatter, ihr Zustand sei dermaßen miserabel und kläglich, daß es nicht mit der Feder auszudrücken sei; eine anhaltende Ohnmacht folge der andern; sie sei in fortwährendem Delirium, ihrer Sinne ganz unbewußt, rede lauter ungereimtes Zeug und sei nur mit Mühe im Bette zu halten. Vergebens, fährt er fort, rede Porst ihr aus Gottes Wort fleißig zu und suche sie zum Mitbeten zu ermuntern, desgleichen der König und einige Hofdamen; sie wolle niemand um sich leiden, antworte nicht, liege ganze Stunden stille weg, habe seit 3 Tagen nicht mehr geschlafen und gegessen. Burmeister äußert dabei die Meinung, das Uebel "rühre von ungemeinen Mutterbeschwerden her," aber es sei "auch wohl eine Gemüthskrankheit mit dabei, so ihren Ursprung von dem vielen Chagrin und Verdruß mit her hat."
Noch schlimmere Nachrichten brachte sein nächster Brief: religiöse Wahnvorstellungen wechselten mit Erinnerungen an die Grävenitz und mit Reden, in denen ihre vormaligen Differenzen mit dem Könige nachklangen, wenn auch Alles wirre. Der König war vor Kummer in solcher Aufregung, daß er Tag und Nacht keine Ruhe fand, und die Aerzte ihm am 30. Januar den ferneren Besuch des Krankenzimmers ernstlich widerriethen.
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Am nächsten Tage verschaffte ein Aderlaß der Kranken einige Erleichterung; in lichten Stunden bat sie ihre Umgebung um Verzeihung wegen aller ihr etwa zugefügten Beleidigungen. Am Abend traten freilich wieder starke Paroxysmen ein; dennoch konnte der König am andern Tage (1. Febr.) eine Stunde bei der kranken Gemahlin verweilen, wenn auch ihre Reden noch sehr verworren waren.
Am Abend des 2. Februars ereignete es sich dann, daß die Königin wie eine Furie zu ihrem Gemahl hinüber lief und die Thüren der Gallerie öffnete, bevor sie noch von jemand bemerkt und zurückgehalten ward. Der König bekam aber noch bei Zeiten Nachricht davon, ward dadurch freilich sehr alterirt, faßte sich aber doch und bezeugte der Kranken seine Freude über ihr wiederkehrendes Wohlsein und ihre Visite. Sie verlangte nur, der König möge ihre sämmtliche Bedienung wegjagen und ihr neue geben. Er suchte sie zu besänftigen; sie ward in ihr Zimmer zurückgeführt. Aber bis 10 Uhr Abends ließ sie niemand zu sich; darauf speiste sie mit dem Geh. Rath v. Kameke allein, und der Arzt (Christiani behandelte sie seit längerer Zeit) wartete dabei auf. 1 ).
Natürlich ließ sich das Unglück im Schlosse nicht lange geheim halten, und je nach der Parteistellung fielen die Urtheile verschieden aus. "Die ganz Frommen und Heiligen, nämlich die Pietisten," schreibt Burmeister, der ihnen nicht gewogen war, "judiciren, daß es ein geistlicher Kampf mit ihren Sünden sei, und wann sie derselben große Menge und
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Bitterkeiten recht würde erkannt haben, so werde Gott sie überwinden und durchbrechen helfen. Wie sie denn dergleichen Exempel viele erlebt hätten, die da ganze Monate in solchem geistlichen Kampf weggelegen und durch Gottes Gnade doch eluctiret hätten." "In denen deliriis," setzt unser Berichterstatter hinzu, "zumalen wann sie noch leidlich, soll sie die schönsten Sprüche aus der Bibel und denen Gesängen, als: Dein Blut der edle Saft, und dergleichen hervorbringen." Die Leibärzte dagegen, welche Burmeister öfters befragte, äußerten, die Krankheit "rühre mit her" von der Milz und von Mutterbeschwerden; und weil die Kranke so lange nicht gegessen und geschlafen habe, sei "das Geblüt echauffiret worden und die Vapeurs in den Kopf gestiegen"; theils aber fanden sie auch darin die Ursache des Uebels, daß die Königin "bei gesunden Tagen den pietistischen Principiis so nachgegangen wäre, darüber sie sich so vertiefet gehabt, daß ihr die Sinne wären verrücket geworden." Sie fürchteten, daß, wenn auch dieses Mal noch Genesung einträte, Rückfälle nicht ausbleiben würden.
Man konnte jetzt allerdings auch frühere Vorboten des Leidens nachweisen, sie reichten zurück bis in die Zeit des Kummers und der Sorge um den Ausgang der Angelegenheit des Fräuleins v. Grävenitz. Schon im Septbr. 1710 hatte die Königin zu ihrem Gemahl arglos, aber zu dessen höchstem Verdruß, geäußert, sie habe ein paar Mal seine Gestalt zu sich ins Gemach kommen sehen, sie kehre sich aber nicht daran, weil sie nicht an Gespenster glaube. Als sie dann, wie oben erwähnt ward, im Frühling 1711 bei längerem Unwohlsein von Paroxysmen betroffen ward, erkannte das scharfsichtige Auge ihrer Feinde darin schon eine Geistesstörung. Seitdem hatten sich solche Zufälle freilich nicht wiederholt; doch wollten nach dem Ausbruche der Gemüthskrankheit Einige sich erinnern, daß die Königin schon vor Monaten öffentlich über der Tafel und in Privatgesprächen Reden geführt habe, aus denen man habe schließen können, daß es schon damals mit ihrem Verstande nicht ganz richtig gewesen sei.
Der unglückliche König sah die Krankheit seiner Fike allein als eine Folge ihres Pietismus an; er war, wie bemerkt, aufs Tiefste ergriffen und völlig rathlos. Seiner Schwiegermutter, deren Körperschwäche ihren Kindern damals die größte Sorge einflößte, wagte er nicht von dem Zustande seiner Gemahlin (die es auch zu Anfang ihrer Krankheit verbeten hatte) eine Mittheilung zu machen. Dagegen schrieb er eigenhändig am 2. Februar an den Herzog Friedrich
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Wilhelm, daß seine Gemahlin "durch eine zugestoßene Krankheit Dero Sinne beraubet worden", und bat den Schwager um guten Rath.
Der Herzog aber lag damals selbst krank in Hamburg, konnte also nicht nach Berlin eilen; und durch die Weite Entfernung ward bei den damaligen schlechten Wegen der Verkehr nicht wenig erschwert und verzögert. Doch ersuchte er sofort seinen Leibarzt, den Rostocker Professor Schaper, sich wieder zu der Kranken zu verfügen, und entsandte am 7. Februar den Regierungsrath v. Wolffradt direct nach Berlin.
Dieser sprach unterwegs in Grabow vor. Die Herzogin Christine Wilhelmine fand er bereits wegen des Ausbleibens aller Berliner Nachrichten in größter Unruhe; er konnte nicht umhin, ihr den Sachverhalt mitzutheilen. Anfangs nahm die alte Mutter die Schreckenspost mit Ergebung auf, dann aber brach der Schmerz um so heftiger hervor.
Als Wolffradt am 9. Februar Morgens aus Grabow nach Berlin aufbrach, theilten ihm zu seiner nicht geringen Ueberraschung entgegenkommende Reisende mit, daß von Berlin bis Grabow für die Königin Relais gelegt seien, und bald trafen auch acht königliche Gespanne in Grabow ein. Die Kutscher erzählten, die Königin sei am 8. aus Berlin abgereist, habe in Fehrbellin übernachtet, am Abend des 9. oder am nächsten Morgen sei ihre Ankunft in Grabow zu erwarten.
Diese Nachricht bestätigte sich indessen nicht; der uns wohlbekannte meklenburgische Geschäftsträger Hofrath Burmeister hatte sich ins Mittel gelegt.
Nämlich "bei der Gemüthsbewegung über Dero Gemahlin, der Königin Mj., Krankheit" ward der König (wie es in seinem Ehrengedächtniß heißt) den dritten Februar "auch von einer starken Verkältung, schwerem Athem, Husten und febrilischer Alteration befallen." Seine Räthe fürchteten alsbald für sein Leben, zumal, wenn die Königin in seiner Nähe bliebe, er also, wie er denn stündlich sich nach ihrem Befinden erkundigte, in höchster Unruhe erhalten würde; sie beschlossen daher schon am 3., die Königin aus Berlin zu entfernen, zunächst nach Schönhausen. Burmeister stellte dagegen vor, daß es dort an allen Vorbereitungen zur Aufnahme der Kranken, auch an den zur Pflege und Wartung nöthigen Leuten fehle, die Fenster zu ebener Erde belegen seien, eine etwanige Flucht der Königin aber üble Nachreden hervorrufen würde. Dann schlug man Burmeister Grabow
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vor, die Ortsveränderung, der Aufenthalt in der Heimath, die Pflege der Mutter würden nach der Aerzte Ansicht einen höchst wohlthuenden Einfluß ausüben; für Pflege und Wartung würde der König Sorgen, man habe dort ja auch Schaper zur Hand. Aber Burmeister ahnte den Plan des schlauen Ilgen. Er machte dagegen geltend, daß es dort ebenso an allen nöthigen Vorbereitungen, an Pflege und an Aerzten fehle; daß ferner die Herzogin=Mutter, selber sehr krank und ohne eine Ahnung von diesem Unglück, vor Schreck über den Anblick der kranken Tochter den Tod nehmen könnte, und der Zustand der Königin dadurch nur um so mehr verschlimmert würde.
Doch mit allen Reden erreichte er zunächst nur so viel, daß man es noch acht Tage mit der Kranken in Berlin ansehen wollte, damit er wenigstens unterdessen erst an den regierenden Herzog berichten könnte.
Damit schien ein längerer Aufschub gewonnen zu sein; aber Burmeister täuschte sich. Schon am nächsten Tage kam Ilgen zu ihm mit der Nachricht, die Königin habe jetzt die größte Sehnsucht nach ihrer Heimath. Sie habe, erzählte er, den Geh. Rath v. Kameke mit der dringenden Bitte um Erlaubniß zur Reise nach Grabow an den König geschickt und hinzugefügt, sie wolle sonst den Gemahl und Kameke an jenem Tage vor Gott verklagen; denn in Berlin sei sie von lauter Leuten umgeben, die sie nicht gern um sich sehe; Grabow, Schwerin, Doberan dagegen seien ihr gleich, wenn nur ihre Mutter, ihre Brüder, Fräulein Grävenitz und Dr. Schaper da seien; bei den Ihrigen hoffe sie in 14 Tagen zu genesen. Solcher Sehnsucht nach Grabow, meinte nun Ilgen, müsse doch nachgegeben werden, zumal die Königin aus vielen politischen Gründen jetzt allerdings aufs Land nicht gebracht werden könne. Er wünschte darum, Herzog Friedrich Wilhelm möchte den Regierungsrath v. Wolffradt, zu dem auch die Königin Vertrauen hege, nach Berlin senden, um dort über der Kranken Pflege und Unterhalt mit den Räthen Verabredungen zu treffen.
Kameke aber, der nach Burmeisters fester Ueberzeugung der Königin die Reise nach Meklenburg eingeredet hatte, wünschte gar, Wolffradt möge ihr eine dringende Einladung von dem Herzoge Friedrich Wilhelm überbringen! Er behauptete, die kranke Fürstin könne nach Versicherung der Aerzte die Reise ohne Schaden machen, da der Leib frisch und stark sei. sie Speise und Trank nehme; ja sie würde vor der Reise den Schlaf nicht wieder erlangen, der seit drei
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Wochen fehle. Endlich erbot er sich, da er mit der Kranken so schön auskommen könne, einige Zeit bei ihr in Grabow zu verweilen u. s. w.
Ohne Weiteres (denn man wollte sich durchaus in Berlin der unglücklichen Frau entledigen) wurden alle Vorbereitungen zur Reise getroffen und jene Relais gelegt, die Wolffradt noch in Grabow sah. Nur durch die allerentschiedensten Einreden, vornehmlich durch die Vorstellung, daß er doch erst von seinem regierenden Herzog eine Antwort erwarten müsse, brachte Burmeister es dahin, daß die Abführung der Kranken nach Grabow unterblieb und die Relais zurückgezogen wurden. Dagegen ward ohne sein Vorwissen in Folge eines im Ministerium gefaßten Beschlusses die Königin am 8. Februar Morgens aus Berlin einstweilen nach Perwenitz 1 ) (bei Nauen) gebracht, wo sie am Mittage anlangte und trotz ihres Wunsches weiter zu reisen verbleiben mußte und "durch fingirte Schreiben und Nachrichten amusirt" ward.
Am 9. Februar ging ein von Ilgen entworfenes königliches Schreiben an den Herzog Friedrich Wilhelm nach Hamburg ab. Darin heißt es, der König möge seine Gemahlin bei ihrem dermaligen Zustande und der unerfreulichen Jahreszeit freilich nur ungern fortlassen, er habe aber ihrem "unablässigen Anhalten" und ihrem "unbeschreiblichen Verlangen" zu den Ihrigen zu kommen nicht entgegen sein wollen, weil die Aerzte von der Veränderung der Luft und des Ortes auf eine Zeitlang eher als von andern Mitteln Heilung erwarteten. Die Königin sei Tags zuvor abgereist; wenn aber ihr Befinden oder andere Umstände eine Unterbrechung der Reise erheischten, so solle man an einem bequemen Orte bleiben und es nach Berlin berichten. Der König bat nun den Herzog, seiner Schwester zu verstatten, daß sie sich "in etwas" in ihrer Familie aufhalte. "Ich erbiete mich darneben," heißt es in diesem Briefe weiter, "Alles zu fourniren, was zu Ihro Majestät und Dero. Hofstaat Subsistenz erfordert wird, ohne daß Ew. Durchlaucht damit in dem Allergeringsten beschweret werden sollen." Der König sei überzeugt, der Herzog werde "zum wenigsten, wie weit selbiges (Mittel) etwa succediren wolle, einen Versuch thun, und würde man hienächst, wann wider besseres Verhoffen es hiermit nicht nach Wunsch ausschlagen sollte, alsdann wegen dessen, so gestalten Sachen nach weiter vorzunehmen
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sein wird, sich mit einander allemal eines Näheren vereinigen können. Weshalb Ich dann mit Ew. Durchl. ferner vertraulich communiciren und in Erwartung Dero selben beliebiger Resolution und Meinung stets verbleiben werde" u. s. w.
Die Herzogin=Mutter, auf deren Wort hiebei natürlich das Meiste ankam, hatte dem Könige früher geschrieben, daß in dieser schlimmen Jahreszeit und nach jüngst überstandener schwerer Krankheit eine Reise der Königin nicht rathsam erscheine. Sie war also offenbar nicht davon unterrichtet, daß die Krankheit noch fortdauerte, und glaubte, ihre Tochter sei zurechnungsfähig. Sie gab nun ihrem Sohne zu bedenken, ob man nicht dem Verlangen der Königin nachgeben und diesen Heilversuch machen müsse. Sie "befürchtet" in ihrem Schreiben an Herzog Friedrich Wilhelm "gar nicht, daß daraus einige Ungelegenheit entstehen würde, indem der König sehr viel Liebe für die Königin hat."
Während jenes königliche Schreiben auf dem Wege nach Hamburg war, traf Wolffradt am 11. Februar in Berlin ein, sprach hier die königlichen Räthe und auch Burmeister. Letzterer War über das ganze Intriguenspiel äußerst erbost, und rieth, man solle nur in einen 14tägigen Aufenthalt der Königin zu Grabow willigen und ihren und ihrer Leute Unterhalt aus den nächsten preußischen Aemtern ausbedingen. Auch Ilgen und Kameke sprachen nur von einem 14tägigen Aufenthalt; wenn dann noch keine Besserung einträte, so würden andere Maßregeln zu treffen sein. Aber Wolffradt erklärte, er könne nichts positives zusagen, bevor er nicht die Königin selbst gesprochen habe. Burmeister hatte sie nämlich in ihrer Krankheit gar nicht gesehen, theils, wie er schreibt, weil das Befinden derselben den Zutritt zu ihr nicht gestaltete, theils aber, weil er auch politische Raisons gehabt habe, die sich der Feder nicht anvertrauen ließen; er würde, behauptet er, der Königin nur mehr Tort und Verdruß verursacht und sich selbst in Berlin unmöglich gemacht haben.
Wolffradt fand bei seiner Ankunft zu Perwenitz (am 13.) die Umgebung der Königin (den Oberhofmeister Grafen Schwerin, die Oberhofmeisterin Gräfin Wittgenstein, zwei Hofdamen, Kammerherren, den Arzt Christiani u. s. w.) ganz consternirt über die Zufälle, in welche die Kranke, wenn auch nicht in dem Maße wie in Berlin, von Zeit zu Zeit gerathe. Wolffradt selbst fand die Königin ziemlich abgemattet; in ihren Reden aber nahm er während einer zweistündigen Unterhaltung von Geistesabwesenheit keine Spur wahr. Sie sprach übrigens nur von ihrer Reise nach Grabow, von der
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nichts in der Welt sie abbringen könne. Aber am andern Tage fand Wolffradt es mit ihr vom Morgen bis zum Abend wieder "nicht richtig." "Der Zustand der Königin," meldet er, "ist leider, wie ich mit Augen gesehen, so, daß Alles in der Welt tentiret werden muß, um ihr zu helfen. Es hat Apparence, daß ihr Anwesen in Meklenburg viel dazu contribuiren könnte; die Kosten will man hier gern dazu geben. Allein, was daraus werden wird, wenn der König, wie es das Ansehen hat, indes mit Tode abgehen sollte, kann ich nicht anders als mit Grauen ansehen."
Da Kameke, der zur Berathung in Perwenitz erwartet wurde, - wegen des Königs zunehmender Krankheit - ausblieb, begab sich Wolffradt nach Hamburg zurück. Hier willigte am 21. Februar der Herzog Friedrich Wilhelm in die Reise seiner Schwester nach Grabow. Er antwortete seinem Schwager, die Mutter wolle es "auf eine kurze Zeit versuchen." Mit ihr möge der Oberhofmeister Graf Schwerin bei seiner Ankunft nähere Verabredungen nehmen.
Aber als dieses Genehmigungsschreiben in Berlin eintraf, war die Königin bereits - in Grabow.
Sie gab nämlich ebenso plötzlich, als sie ihn gefaßt hatte, ihren Reiseplan in Perwenitz wieder auf; auch hier könne, meinte sie, ihr Scheidungsproceß geführt werden (es war nämlich eine ihrer Wahnvorstellung, daß sie vom König geschieden und die Gemahlin des Sultans von Marocco würde). Dadurch in die größte Verlegenheit gesetzt, eilte der Oberhofmeister Graf von Schwerin am 17. nach Berlin, um Verhaltungsmaßregeln zu erbitten. Die Sache ward in einem Minister=Conseil berathen, dem auch der Kronprinz beiwohnte. Wenige Tage später erfuhr Burmeister, der Kronprinz habe sich gegen einen Vertrauten "sehr übel damit zufrieden" geäußert, daß "man mit der Königin so im Lande herümb und von einem Orte zum andern gezogen sei; denn man ein rechtes Consilium medicorum hätte formiren und untersuchen sollen, ob sie zu curiren sei oder nicht, und wenn, dann also alle Mittel in der Welt darzu anwenden, oder wo nicht, sie gleich an einen etwas im Lande entlegenen Ort bringen sollen, damit ihr Zustand besser wäre cachiret geblieben und nicht so éclat geworden, wodurch man seinen Herrn Vater und das ganze königliche Haus prostituiret" habe. In jenem Conseil ist er aber mit dieser Anficht jedenfalls nicht durchgedrungen; vielmehr ward dort beschlossen, Relais nach Grabow zu legen, die Königin aber, bis sie sich zur Reise entschließe, in Perwenitz zu lassen.
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Schwerin und Kameke, die sich hierauf nach Perwenitz begaben, hatten dort einen sehr schweren Stand. Der junge Herzog Christian Ludwig, der seine Schwester besuchte, schreibt nach Grabow heimgekehrt am 21. Februar an seinen Bruder Friedrich Wilhelm, er habe Kameke in Perwenitz vorgefunden; derselbe habe schon alle Anstalt gemacht, die Königin nach Schwerin bringen zu lassen, auch schon einige Kammer= und Küchenwagen vorausgesandt. "Weil nun die Königin, da sie eben reisen sollte, selbst darauf verfiel," setzt er hinzu, "vorhero erst an Ew. Liebden zu schreiben, so habe ich Alles gethan, was möglich gewesen, umb sie bei dieser Intention zu erhalten, und hat sie mir Einliegendes bei meiner Abreise gegeben. - - Es ist sonsten nicht zu beschreiben, wie der Oberhofmeister Schwerin, ohne Zweifel auf Ordre, die Reise der Königin nach Meklenburg poussirt. Er hat öfter zu ihr gesaget, wenn sie nicht reisen wollte, hätte er Ordre, mit den meisten Leuten nach Berlin zu kommen und niemand als die Kammerfrauen da zu lassen." Auf Herzog Christian Ludwigs Bemerkung, daß in Grabow noch keine warme und festverschlossene Zimmer für die kranke Schwester hergestellt seien, antwortete Kameke ihm dreist, zu Berlin sei mit Wolffradt bereits Alles verabredet, und der regierende Herzog sei damit zufrieden, werde selbst mit seinem Bruder Karl die Königin fürs Erste in Grabow empfangen und sie nach Schwerin begleiten! Am 20., Nachmittags, brach der Reisezug aus Perwenitz auf, am 23. Februar langte die Königin in Grabow bei der Mutter an. -
Während Sophie Louise in ihrem Irrsinn eine Scheidung von ihrem Gemahl wünschte, hatte dieser ihrer in seiner Krankheit stets aufs Zärtlichste gedacht, ja in der ersten Woche sich nicht mit Erkundigungen begnügt, sondern selbst zu ihr eilen wollen und sich diesen Entschluß nur mit Mühe ausreden lassen. Ihr Aufenthalt in Perwenitz beunruhigte ihn; man sagte ihm darum, ein Unwohlsein sei die Ursache. Wiederholt äußerte er, er ziehe sich dies Unglück seiner Gemahlin so zu Gemüthe, daß er nicht davon kommen werde. Als er am 13. Februar von deiner Familie Abschied genommen hatte, erkundigte er sich auch nach der Königin und befahl, derselben in seinem Namen für ihre Liebe und Treue zu danken, auch baldige Besserung und allen Trost und Vergnügen zu wünschen 1 ).
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Kurz vor seinem Ende - er starb am 25. Februar - befahl er den umstehenden Bedienten sämmtlich, sein Zimmer zu verlassen, bis auf seinen Beichtvater und den Obermarschall v. Printzen. Dann wandte er sich an Letzteren mit den Worten: "Ich merke wohl, daß mein Sterbestündlein nicht weit. Grüßet die Königin und gebet ihr diesen Ring!" Er fügte hinzu: "Wenn die Königin mich, und ich sie recht gekannt, würden wir uns einander nicht so viel Verdruß gemachet haben 1 )."
Die Nachricht von dem Tode ihres Gemahls machte auf die Königin Sophie Louise, deren Bewußtsein in Grabow schon klarer geworden war, einen tiefen Eindruck und verschlimmerte ihr Leiden wiederum etwas. Dennoch war am 8. März ihr Befinden "dann und wann noch ziemlich, so daß Hoffnung zur Restitution nicht verloren, wenn sie nur Medicamente gebrauchen wollte."
An eben diesem Tage erfuhr sie aber zuerst, welche Wirkung der Tod des Königs auf ihre äußere Lage ausüben sollte.
Bekanntlich beschränkte der junge König Friedrich Wilhelm I. sogleich nach seinem Regierungsantritt den glänzenden Hofstaat seines Vaters auf das Allernothwendigste, ohne viel Rücksicht auf die Härte zu nehmen, mit welcher diese an sich ganz lobenswerthe Maßregel viele ohne Weiteres entlassene Hofbeamte traf. Auch den Comtessen, Pagen und Laquaien seiner unglücklichen Mutter ward schon drei Tage nach dem Tode des alten Königs die Tafel bei Hof aufgesagt, das Futter für ihre Pferde verweigert. Man sprach es schon damals in Berlin aus, daß die verwittwete Königin in ihrem dermaligen Zustande nicht als Königin werde gehalten, ihr der Wittwensitz nicht eingeräumt, sondern bis zu ihrer Wiederherstellung ihr an einem entlegenen Ort im Lande ein Aufenthalt und einige Weiber zur Bedienung würden angewiesen werden.
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Am 8. März gelangte nun nach Grabow an den Oberhofmeister Grafen Schwerin der Befehl, sämmtliche Equipagen der Königin=Wittwe nach Berlin zurückgehen zu lassen und mit ihrem Hofstaat heimzukehren, so weit die Bedienung nicht freiwillig bei der Königin bleiben wolle! Als auf diese unglaubliche Botschaft der Herzog Friedrich Wilhelm am andern Tage nach Grabow eilte, war Schwerin mit seinem Schwarm schon auf und davon; von der vornehmsten Klasse des Hofstaats, Oberhofmeister und Oberhofmeisterin, Hofdamen u. s. w., sah die Königin sich in der Stunde der Noth völlig verlassen; von der übrigen Dienerschaft harrten Einige treu bei ihrer jetzt so unglücklichen Gebieterin aus, namentlich ihr Kammerdiener Cleff und der Lakai Lüdert, ihre Kammerfrau Tanger und ihre Kammerjungfern Hedwig Pfeiffer und Anna Gertrud Haften.
Ein undatirtes, von Ilgen unterzeichnetes Schreiben im Namen des Königs Friedrich Wilhelm ward dem Herzog zu Grabow eingehändigt. Von der Zurückberufung des Hofstaates enthielt dies kein Wort, wohl aber des Königs Wunsch, "nunmehr je eher je lieber einen gewissen Schluß zu fassen, wie es mit Ihrer Maj. künftigem Séjour und Lebensart einzurichten," worüber er sich mit dem Herzog gern "eines Gewissen vereinigen" wollte und zu dem Ende die Abfertigung Wolffradts oder Koppelows mit den nöthigen Instructionen erbat.
Die von preußischer Seite gegen die jetzt verwittwete Königin und einen verbündeten Fürsten durch die Zurückberufung des Hofstaates bewiesene Rücksichtslosigkeit forderte allerdings zu einer scharfen Entgegnung heraus. Herzog Friedrich Wilhelm antwortete also am 13.: Obwohl er gehofft habe, der König würde, "in billiger Compassion mit dem jetzigen leider gedoppelten unglücklichen der Königin Zustand", "vor einer Vereinigung in Conformität mit den Ehepakten keine Veränderung gemacht haben, so habe er selbst doch bei seiner Anwesenheit in Grabow erfahren, daß trotz der in den Ehepakten der Königin verheißenen freien Disposition über ihre Bedienung alle ihre Bediente zurückberufen seien und sie dadurch von der nöthigen und standesmäßigen Bedien= und Aufwartung zu nicht geringer Vermehrung der Affliction entblößt sei." Der Herzog sprach weiter die Ueberzeugung aus, der König werde keine Schwierigkeiten machen, der Mutter zu halten, was sein Vater heilig versprochen habe. Er meldete endlich, Koppelow solle bald nach Berlin kommen, "um bei dem König dieserwegen Alles zu vergleichsmäßiger Richtigkeit zu befördern."
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Bei Abgabe dieses Schreibens führte der Hofrath Burmeister dem Minister Ilgen zu Gemüthe, wie sehr eine solche Handlungsweise gegen das Urtheil der honnetten Welt verstoße. Aber dieser, der um Ausreden nicht leicht verlegen war, entschuldigte sich damit, daß man ihm den Zustand der Königin gefährlicher geschildert, ihre Umgebung auch so sehnlich um Zurückberufung gebeten habe. Daß der König nicht gut gegen Meklenburg gesinnt sei, davon wisse er nichts; aber Stiefmütter hätten Privatleute, also auch große Herren nicht gern. Und der Graf Dohna verhehlte Burmeister nicht, daß jene Antwort des Herzogs "etwas ombragirt," man aber dem Könige "daraus nur generaliter referiret habe, um ihn nicht touchiret zu sehen."
Der meklenburgische Geh. Rath und vormalige Präsident des Land= und Hofgerichts Ernst Christoph von Koppelow ließ sich erst nach einigem Sträuben zu der Mission nach Berlin bestimmen, von der er sich keinen befriedigenden Erfolg versprach. Seine Instructionen, die er von dem regierenden Herzog und dessen Mutter empfing, enthielten den Auftrag, das Inventar und die Pretiosen der Königin, insbesondere auch den Ring, welchen ihr Gemahl auf dem Sterbebette für sie an Printzen gegeben hatte, sicher zu stellen, ferner darauf zu dringen, daß ein Bevollmächtigter der Königin während ihrer Indisposition von ihrem Witthum Besitz nähme, damit sie, so lange Krankheit sie hindere dasselbe zu beziehen, von dort ihren standesmäßigen Unterhalt habe. Bei der "leider noch anhaltenden Indisposition und Gemüthsunruhe" nahmen der Herzog und seine Mutter die Curatel über die Kranke in Anspruch.
Als Koppelow am 29. März in Berlin eintraf, hörte er allerlei Besorgnisse erregende Gerüchte. Man erzählte ihm, der junge König habe Belvedere schon verschenkt, die Orangerie der Königin bald diesem, bald jenem zugesagt, ihr Juwelenkästlein in die Schatzkammer tragen lassen u. s. w. Aber als er am 2. April zur Audienz gelangte, sprach sich der König doch sehr Vertrauen erweckend aus; er versicherte, allzeit ein aufrichtiger Freund des regierenden Herzogs von Meklenburg und seines Hauses sein zu wollen. Er ließ sich auch eingehend über den dermaligen Zustand seiner Stiefmutter berichten und fragte, ob denn der Gesandte keine Commission von ihr selbst empfangen habe. Dieser konnte ihm nur sagen, daß Sophie Louise ihm solche allerdings hatte geben wollen, aber, als sie ihre Chatoulle geöffnet und
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gefunden, daß man in Koppelows Abwesenheit einige hierzu nöthige Sachen herausgenommen, auf ihre Brüder recht verdrießlich geworden war und einen Andern schicken zu wollen erklärt hatte. "So werdet Ihr wohl alle ein wenig Schelte bekommen haben," meinte der König, der bei guter Laune war. Er hatte sie aber früher im Zustande der Tobsucht selbst gesehen, konnte sich also wohl nicht davon überzeugen, daß die augenblickliche Besserung von Dauer sein werde. "Wie wollt Ihrs denn halten?" fragte er. "Will die Königin wieder anhero kommen, so will ich ihr einen Ort auf einem Amte oder sonsten anweisen, da sie auf eine honnette Art sein kann."
Koppelow wußte wohl, daß der junge König unbedingte Offenheit verlangte und daß er einmal dem schwedischen Gesandten gesagt hatte: "Ich bin kein Minister; ich schenke klaren Wein ein." Er stutzte aber, als er merkte, daß Friedrich Wilhelm nicht einmal das Leibgedinge Gröningen zugestehen wollte, wiewohl dies in den ersten Ehepakten verschrieben war, und hielt es darum nicht für zweckmäßig, geradezu die Forderungen seiner Auftraggeber darzulegen, sondern erwiderte ausweichend, daß er der Königin und seiner hohen Interessenten Intentionen hierin eigentlich nicht wisse. Man würde sich aber, fügte er hinzu, des Königs Sentiments leicht conformiren, weil man die feste Zuversicht hege, daß Se. Maj. für die Königin so sorgen würde, wie es seiner bekannten Generosität gemäß für ihn rühmlich und ihr zuträglich sei.
Den König befriedigte diese Antwort nicht. Er hieß den Gesandten weiter mit ihm ins Zimmer treten und fragte kurz: "Sage Er mir recht, was wollt Ihr haben? Was soll ich ihr geben?" - Darauf konnte Koppelow wieder nicht so kurz antworten; er bat nur, mit einigen Ministern deswegen in Unterhandlung treten zu dürfen. Der König verwies ihn demgemäß an Dohna, Printzen und Ilgen. Der günstige Augenblick war aber damit vorübergegangen. Der Feldmarschall Graf v. Wartensleben rieth dem Gesandten, "den König auch ferner auf den Fuß von générosité zu setzen," denn das sei erfolgreicher, als wenn er viel mit den Ministern und wenig mit dem Könige spreche. Die Minister vertraten nur ihres Herrn Interesse, ließen sich auch auf keine mündliche Verhandlung ein, sondern nöthigten Koppelow seine Wünsche schriftlich vorzutragen, die sich natürlich auf die Ehepakten und auf seine Instruction stützten.
In der Resolution vom 18. April erbot sich dann freilich der König Friedrich Wilhelm, für die Königin Gröningen
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herzustellen und selbst sie dort "nach Beschaffenheit ihres jetzigen Zustandes mit einer honorablen Subsistance und nöthigen Bedienung zu versehen;" und er gestattete auch Koppelow, die Sachen der Königin in ihren Gemächern auf dem Berliner Schlosse mit dem Grand-maître v. Kameke und dem Obermarschall v. Printzen zu inventiren und ihre dort vorhandenen Briefschaften durchzusehen; aber Alles sollte, bis völlige Richtigkeit getroffen sein werde, unter königlicher Versiegelung bleiben. Mit eigener Hand schrieb der König unter Kamekes und Printzens Instruction: "Es soll nichts heraußer genommen werden als das Silber, das zum preußischen Hause gehöret und [sie] in meines Herrn Vaters Zimmer bringen sollen und dort verschließen."
Der König glaubte wahrscheinlich, daß die Annahme dieser Bedingungen nicht zweifelhaft sei. Die Gräfin Truchseß und eine andere Dame waren schon zu den Ehrendamen der verwittweten Königin ernannt. Erstere hatte dem Könige bereits die Juwelen, die sie als dame d'atour in Händen gehabt (so weit sie nicht der Kammerdiener Cleff bei der schnellen Abreise der Königin aus Berlin an sich genommen hatte), in Gegenwart der jungen Königin Sophien Dorothee und Kamekes ausgeliefert. Einige Stücke, welche von Sophie Louise bei ihrer Vermählung mitgebracht waren, hatte der König apart gelegt; vergebens war von seiner Gemahlin und den andern Anwesenden dies und jenes Stück bei der Durchsicht als ein Geschenk vom hochsel. König oder als von Sophie Louise selbst angekauft bezeichnet. Friedrich Wilhelm hatte Alles zu sich genommen, versiegelt und in die Schatzkammer tragen lassen, der Truchseß jedoch ein Geschenk von 300 Rth. Werth gemacht. - Die Juwelen kamen also gar nicht mehr in Frage.
Koppelow war von der königlichen Resolution wenig erbaut. Der König schlug also jetzt stillschweigend den Aufenthalt seiner Mutter in Grabow ab, behielt sich die Verfügung über die Umgebung der Wittwe vor und nahm offenbar (was nach Kamekes Erläuterung nur aus Artigkeit nicht ausdrücklich gesagt war) die Curatel in Anspruch. Hart erschien es, daß der König seiner Mutter, die in Grabow ohne Geld, sogar ohne Trauerkleider und andere Kleider war, nicht einmal die nothwendigsten von ihren Sachen gestattete und nicht verfügte, ihre schon fälligen Quartalgelder auszuzahlen. Koppelow bat hierum in einer neuen Eingabe, empfing aber zur Antwort, es komme nur darauf an, daß man jene Resolution annehme und dem König seine Meinung kund thue.
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Der meklenburgische Gesandte war rathlos; denn die neuen Instructionen der Schweriner Räthe (der Herzog war sehr krank), daß er wenigstens jährlich 35000 Rth. aus dem Witthum zum Unterhalte der Königin und ihres Hofstaates begehren, die Curatel dem Könige nicht zugestehen und den Aufenthalt der Königin zu Grabow wenigstens auf so lange Zeit, als noch Heilversuche gemacht würden, verlangen sollte, waren ganz unzutreffend. Diese Forderungen gingen ja weit über das Witthum der Ehepakten hinaus; eine solche Summe würde der sparsame König seiner Stiefmutter kaum in dem Falle zugestanden haben, wenn sie geistig gesund gewesen wäre. Der Gesandte nahm auf diese Wünsche also keine Rücksicht. -
Als Koppelow des Königs Antwort gegen den Grafen Dohna bedauerte, gestand dieser zu, daß die Form nicht billig sei; "es wäre aber des Königs eigen Werk, und niemand dürfe ihm widersprechen. Er sehe, daß die bösen Leute endlich Ueberhand bekämen und, was noch Gutes, noch verderben würden. Der König sei jung, auch geizig, daneben gönne er bösen Leuten das Ohr. Ein Unglück, daß des Königs Umgebung unter sich nicht einig sei ihm die Wahrheit zu sagen; er (Dohna) exponire sich allein, der König wolle aber unangenehme Sachen von ihm nicht hören. Anfangs habe derselbe noch viel ungünstigere Absichten gehegt; er (Dohna) wisse am besten, was für Mühe es gekostet, solches abzuwenden." Dohna rieth "als Freund, nicht als Minister", diesen Vorschlag einstweilen anzunehmen. Als Koppelow ihm dagegen bemerkte, er würde in seines Herrn Stelle die Schwester lieber bei sich behalten als sie des Königs Discretion hingeben, da entgegnete Dohna: solchen Vorschlag würde dieser mit lachendem Munde annehmen; freilich "das Mensch (die Truchseß) könne die Königin nicht haben"; man solle aber noch nicht viel davon sagen, sonst möchte v. Printzen erst recht darauf bestehen.
Nun suchte der meklenburgische Präsident am 30. April aufs Neue eine Audienz nach. Er konnte dem Könige "auf Ehre und Gewissen" versichern, daß zwischen dem jetzigen und dem früheren Befinden der Königin Sophie ein Unterschied sei wie zwischen Tag und Nacht, daß man, wenn man nur ihr Naturell berücksichtige, Alles mit ihr anfangen könne; sie wünsche jetzt ein Bad zu besuchen, dazu sei aber viel nöthig, weil sie ja bisher ganz hülflos geblieben sei. Seine Principale, setzte er hinzu, dankten dem Könige dafür, daß er den Ehepakten gemäß Gröningen zu ihrer Aufnahme
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herrichten lasse, und sie hofften, er werde in der angefangenen Güte fortfahren und auf eine ihm selbst rühmliche Art dafür sorgen, daß die Wittwe dort standesgemäß, als eine Königin vom preußischen Hause, erhalten werde. Der König versicherte abermals: "Was die Königin betrifft, ist ja meine Schuldigkeit, daß ich vor sie sorge, und will solches so thun, wie ich es vor Gott und der Welt verantworten kann."
Aber dieser Versicherung schien die königliche Resolution (vom 6. Mai) auf Koppelows neuen Vortrag, welche natürlich die Minister wieder von ihrem Standpunkte aus abgefaßt hatten, doch wenig zu entsprechen. Daß Se. Majestät als das Oberhaupt seines Hauses, dem die Wittwe durch ihre Vermählung jetzt angehörte, die Curatel über dieselbe ausdrücklich in Anspruch nahm, war zu erwarten gewesen. Daß er ihr aber weder die Freiheit in Grabow zu verbleiben gab und dafür keine Entschädigung an die Mutter vorschlug, noch Letzterer irgend welchen Einfluß auf die Umgebung der unglücklichen Tochter einräumte, sondern einfach erklärte, die Bestellung der Beamten komme ihm (als dem Curator) allein zu und bei dem Etat derselben (1 Hofmeister, 2 Ehrendamen, 2 Kammerfrauen u. s. w., im ganzen 21 Personen und 1 Gespann Pferde) habe es sein Verbleiben, erschien Koppelow wenig rücksichtsvoll. In Betreff der Juwelen hieß es in der Resolution, sie seien in guter Verwahrung und könnten allemal, wenn es erfordert würde, verabfolgt werden - mit Ausnahme der Fideicommiß=Juwelen. Auch wegen der Möbel in Belvedere (das Haus selbst gehöre als Immobile dem königlichen Hause) sollten, wenn man eine Specification derselben übergäbe, keine Schwierigkeiten gemacht, zwei bis drei (!) der besten Kleider der Königin gewünschtermaßen ausgeliefert, auch die auf Reminiscere fällig gewesenen Quartalgelder angewiesen werden. Von den Capitalien der Königin, von den Donativgeldern (es waren noch 42000 Rth.) und von deren Zinsen ward nichts erwähnt. Diese Entscheidung rief eine gewisse Bestürzung hervor. Wie konnte man verlangen, daß die alte Herzogin ihre unglückliche Tochter fremden Menschen hingab, die sie nicht kannte, und vor der zum Theil selbst ein preußischer Minister warnte? Wie mochte man der hülfsbedürftigen Wittwe ihr notorisches Eigenthum wie Kleider und dgl. vorenthalten? Die Quartalgelder, welche ausgezahlt wurden, reichten nicht einmal aus, die Schulden zu decken und das Allernöthigste anzuschaffen, da die Kranke Berlin ja in Eile hatte verlassen müssen; konnte sie doch wegen mangelnder Trauerkleider
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nicht einmal öffentlich erscheinen! Da der Wittwe selbst das von ihr Eingebrachte nicht zugestanden ward, Meklenburg aber ohne sein Verschulden durch den nordischen Krieg in eine furchtbare Bedrängniß gerathen war, blieb ihr auch nicht die Möglichkeit, ihre Gesundheit durch eine Brunnenkur, die ihr doch schon einmal so gute Dienste geleistet hatte, wieder herzustellen. Und wie mußte dies auf ihren Gemüthszustand einwirken! - Der kaiserliche Gesandte rieth ganz entschieden von der Annahme jener Vorschläge ab und empfahl, Intercessionsschreiben von andern Mächten zu erwirken, hülfe aber Alles nicht, schließlich Recurs an den Kaiser zu nehmen.
Darauf ging man auf meklenburgischer Seite doch nicht ein; vielmehr ward Koppelow, da man sah, daß einstweilen beim König nichts weiter auszurichten war, nur noch angewiesen, die Inventur der Sachen der Königin nunmehr zu erwirken, und diese ward dann auch im Juni zu Stande gebracht.
Wohl nur, um den Rechten seiner hohen Principale gegenüber jener königlichen Resolution nichts zu vergeben, richtete Koppelow am 1. Juni noch ein Memorial an Se. Maj., worin er abermals seinem Fürstenhause die Curatel und die davon abhängige Regulirung des Hofstaates vindicirte, den königlichen Etat, weil dabei die Königin "kaum mit kleinesten appanagirten fürstlichen und gräflichen Wittwen in Parallele zu setzen," verwarf und einen neuen Etat von 49 Personen (zu 43750 Rthlrn.!!) vorschlug, die der Königin während des Brautstandes und der Ehe geschenkten Juwelen dem Fideicommiß absprach u. s. W., jedoch von einer Beweisführung absah, "in der Hoffnung, daß der König von selbst geneigt sei, der Wittwe nicht leid, sondern viel eher wohl zu thun," und seine Desiderien so erledigen werde, "daß damit der Königin annoch betrübtes, doch, dem Höchsten sei Preis! sich zur großen Besserung anschickendes Gemüth, absonderlich bei der vorseienden Brunnenkur, erfreuet werde." Auch die Herrichtung des Wittwensitzes Gröningen brachte er in Erinnerung, damit derselbe, wenn die Königin nach ihrer Kur sich dorthin begeben wolle, in Ordnung sei.
Eine schriftliche Antwort empfing er hierauf gar nicht; vermuthlich wollte man die Frage wegen der Gültigkeit der späteren Witthumsverschreibung, auf welche die sonst unerklärlich hohe Forderung eines Etats von 43750 Rth. allein gestützt werden konnte, umgehen. Ilgen suchte ihn vielmehr auf, um ihn in einer langen Besprechung zu überreden. "Weil es aber," schreibt Koppelow, "allezeit leichter, eine gute als
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eine böse Sache zu defendiren, vermochte er mit aller seiner Beredsamkeit doch wenig vorzubringen, was recht und billig." Auch eine Conferenz setzte er noch an ("wo er dann mit Secundanten fechten wird"); Erfolg hatte sie aber natürlich nicht. Der Unterschied in den Anschauungen des meklenburgischen Geh. Raths und der preußischen Minister war viel zu groß, als daß eine Einigung zu erreichen gewesen wäre.
Die junge Königin Sophie Dorothee hatte Koppelow sogleich bei seiner Ankunft ihres herzlichsten Mitleids mit ihrer armen Schwiegermutter versichert und ihm ihre beste Unterstützung versprochen; auch bei seiner Abschiedsaudienz erbot sie sich noch, mit ihrem Gemahl über diese Angelegenheit zu reden. "Man weiß aber wohl," bemerkt er, "daß ihr Vermögen sich nicht weit erstrecke." -
Nicht lange hernach, am 31. Juli 1713, starb der Herzog Friedrich Wilhelm von Meklenburg=Schwerin. Sein Bruder und Nachfolger Karl Leopold legte auf die Freundschaft des Königs von Preußen nicht weniger Gewicht als jener; sein Rath v. Petkum ging nach Berlin, um über eine Erneuerung des Bündnisses vom Jahre 1708 zu verhandeln. Auch die Alimentation der verwittweten Königin kam dabei wieder in Anregung. Mündlich verstand sich der König (Anf. Februar 1714) dazu, für ihre Interims=Verpflegung außerhalb Landes jährlich - 10000 Rth. zu zahlen! auch die derselben rechtmäßigen zustehenden Möbel, Geld, Pretiosen u. s. w. ohne Verzögerung verabfolgen zu lassen und die Zinsen von den im Lande stehenden Capitalien abzutragen. Der Herzog Karl Leopold fand aber jene Summe durchaus unzureichend, um darauf die Schwester zu übernehmen; und umsonst versuchte v. Printzen den König zu einer Erhöhung des Jahrgeldes auf 12000 Rth. zu bewegen. Die Verhandlung gerieth also wieder in Stocken.
Die alte Herzogin Christine Wilhelmine erfuhr im März mit Schrecken aus Schwerin, daß der König ein Jahrgeld von 10000 Rth. angeboten, dabei aber auch noch verlangt habe, den Hofstaat der Königin selbst zu reguliren, und daß er die kranke durchaus in Grabow nicht lassen wollte. Sie erklärte, sie könne die Tochter, "so lange sie noch in diesem Zustande sei, an keinem andern Orte als bei sich Wissen, und die Königin war "nach denen bei ihr erwachsenen Impressionen in keine Wege zu disponiren, sich dorthin" (nach Preußen) "zu begeben."
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Die Verhandlungen ruheten nun einstweilen. Der Hofrath Burmeister berichtete übrigens am 26. August 1714, daß ihm "ein besonders guter Freund im Vertrauen gesaget," die Königin Sophie Dorothee habe kurz vor ihres Gemahls Abreise (nach Ostpreußen) Gelegenheit gesucht, diesem warm zuzureden, daß er doch endlich die Angelegenheit der verwittweten Königin zum Stande bringe, und sie habe dabei u. a. zu ihm geäußert: "Wilhelmchen! Wilhelmchen! versündigen wir uns auch an Gott, daß wir die Königin so sitzen lassen und ihr nicht geben, was ihr gebühret? Sie ist ohnedem von Gott so betrübet, daß wir sie nicht mehr betrüben sollten; und ich befürchte, daß die Zeit mal kömmt, da es mir ebenso gehen dürfte, als wie ihr." Auf die Einwendung des Königs, sie habe ja auf diesen Fall ihren Sohn, der sie nicht "abandonniren" würde, entgegnete sie: "Ja, kann uns Gott aus gerechtem Gerichte den Sohn" (Friedrich, der damals noch einziger Sohn war) "nicht nehmen und einen Fremden auf den Thron setzen? Wird der mich dann nicht eben auf den Fuß tractiren und sagen: Es ist einmal hier im Hause introduciret und eingeführet worden, daß einer königlichen Wittib nur sollen so viel Tausende gegeben werden; das hat der Zeit die bekommen, und hiemit müßt Ihr Euch nun auch begnügen lassen?" Der König antwortete etwas verlegen: "Er habe 10000 Rth. vor der Hand angeboten, die lägen bereit, und damit könne sie in ihrem jetzigen Zustande auskommen oder auf ihr Witthum (Gröningen) gehen, wo sie ihren Unterhalt finden solle. Man habe ihm angerathen, weil man die Sache in Stocken kommen lasse, und der Herzog (Karl Leopold) von Meklenburg so wenig Consideration für ihn zeige und seine Freundschaft nicht verlange, so solle er auch eine fermeté hierunter zeigen und abwarten, bis der Herzog sich mit ihm auf besseren Fuß gesetzt habe. Dies wolle er nun auch thun. Denn wo er Freund von wäre, da wäre er recht Freund von, und habe dem Herzog genugsame Proben von seiner Freundschaft gegeben" u. s. w.
Daß unter dieser Spannung zwischen den Regenten allein die beiden fürstlichen Damen in Grabow, die doch nichts verschuldet hatten, leiden mußten, scheint der König gar nicht erwogen zu haben.
Schon Ende Februars (1714) hatte der Obermarschall v. Printzen dem vormaligen Secretair der Königin Sophie, Hofrath Schmeil, die "Meubles=Cammer" derselben ungesäumt zu räumen befohlen. Da Koppelow den Schlüssel
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zum Vorhängeschloß mitgenommen hatte, so mußte der Hofschlosser das Schloß erbrechen. Die Sachen wurden revidirt und durch enge Passagen in Kasten auf einen Boden gebracht. Und als im September 1715 ein Landgraf von Hessen zum Besuch erwartet wurde, riß man "auf Befehl" die Siegel von der Königin Gemächern, brachte "die Sachen" nach vorgängiger Revision an einen andern Ort und versiegelte die Thüren zu demselben. Der Castellan (Rumbke) verlangte, "vielleicht praemeditate auf den künftig vorzunehmenden Diebstahl," ein genaues Inventar, log dabei, er habe sich deswegen nach Grabow gewandt, empfing aber nur ein Verzeichniß der Bureaux, Cassetten, Spinden u. s. w., aber keins von ihrem Inhalt. Der König erkundigte sich 1716 wohl einmal nach den Sachen der Mutter, jedoch ohne Befehle zu geben; von Grabow aus ward auch nichts abgefordert. Am 25. Mai 1718 ward der Castellan verhaftet, v. Printzen ließ zu Anfang Juni eine Entsiegelung vornehmen, die Schlösser der Schränke und Koffer öffnen und den Inhalt genau inventiren; am 8. Juni ward an dem Delinquenten die Execution vollzogen. Ein heftiger Brand "in der Königin Majestät Gemächern" verzehrte am 6. Januar 1719 meistentheils, was darinnen war 1 ). -
Von der Königin Sophie Louise selbst erfahren wir aus den ersten Jahren ihres neuen Aufenthaltes zu Grabow nur sehr wenig. Im März 1713 schrieb ihre Mutter an den Herzog Christian Ludwig: "Hier ist es noch in dem Zustand, wie uns Dl. gelassen. Gestern den ganzen Tag ist die Bibauen nicht bei sie" (bei der Königin) "gewest, weiln sie so wunderlich gewesen. Wegen des Logiments über dem Thor" (das Thorhaus stand unmittelbar am Schloßgraben) "muß man noch Bedenken tragen, daß sie da nicht zu Schaden kommet. - Es verlanget die Königin die Fräulein Rothlieben" (die ihr Musikunterricht ertheilt hatte, jetzt Conventualin) "von Rühn auf eine Zeitlang bei sich zu haben."
Ihre Brunnenkur, deren Koppelow Erwähnung that, mag dann zunächst gute Dienste geleistet haben. Wenigstens muß man in Grabow die Königin wieder als völlig zurechnungsfähig angesehen haben, da sie am 21. Mai 1713 bei der Taufe eines Kindes ihres Lakaien Lüdert neben ihrer Mutter und ihrem Bruder Christian Ludwig als Gevatterin verzeichnet ward und auch noch am 9. November jenes Jahres
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wiederum als Taufzeuge erschien. Auch beantwortete sie am 1. October 1713 einen Brief ihres Bruders, des Herzogs Karl Leopold, in folgender Weise (doch in ihrer sehr üblen Orthographie):
"Monsieur mon cher frère! Ihr Schreiben von 30. Sept. ist mich von Cleffen überreicht worden. Es ist mich recht lieb gewesen, daß ich von Sie vernehme, daß Sie mit sicher Escorte nach Güstrow gehen. Ich globe, Sie haben Ursach sich sehr wohl zu bewahren, wie Sie wohl wissen, daß ich schon gute Erinderung gegeben, und wünsch recht sehr, Sie balde wieder zu sprechen und Sie zu temoigniren, wie ich mit Treue und Beständigkeit bin
Ihre
Dies ist übrigens der letzte uns vorliegende Brief von der Hand der unglücklichen Königin. Die Brunnenkur scheint doch nicht nachhaltig gewirkt zu haben, die Hoffnung auf Genesung verschwand immer mehr. Als ihr jüngster Bruder Christian Ludwig ihr meldete, daß er sich am 13. Nov. 1714 mit der Prinzessin Gustave Karoline von Mekl.=Strelitz vermählt hatte, wollte sie das Schreiben nicht beantworten; sie war "ganz kaltsinnig" 1 ). Die alte Herzogin Christine Wilhelmine schreibt im Januar 1715 an Wolffradt, den langjährigen, vertrauten Diener ihres Hauses, die Königin wolle keine Arznei nehmen, es sei eine bedenkliche Krankheit zu befürchten; und drei Monate später meldet sie ihrem Sohne, dem regierenden Herzog: "Sonsten befindet sich die Königin und ich noch im schlechten Zustand, wie Ew. Liebden uns gelassen." - Die Verhältnisse, unter denen Sophie Louise lebte, waren auch keineswegs geeignet ein krankes Gemüth zu heilen. Es konnte keinen heilsamen Einfluß auf sie ausüben, daß ihr, die nun einmal gegen alle Medicin eingenommen war, die Mittel zu einer Badereise, welche sie hätte zerstreuen und aufheitern können, versagt blieben, daß, weil ihr Sohn, der König, sich mit ihrem Bruder nicht verständigen konnte und ihr deshalb alle Wittwengelder vorenthalten blieben, was ohnehin für sie schmerzlich genug sein mußte, sie nicht mehr die Mittel hatte, nach ihrer früheren Weise Wohltätigkeit und innere Mission zu üben, und sie sich auch zu gänzlicher
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Unthätigkeit verurtheilt sah. In ihrer Umgebung fand sie auch keine Aufheiterung. Wegen der Kränklichkeit der Mutter herrschte im Schlosse eine trübe Stimmung; die Kammerfräulein der alten Herzogin (Frl. v. Buggenhagen und v. Rapp) sagten der Königin wenig zu. Ihre Schwägerin, die Herzogin Gustave Karoline, welche mit ihrem Gemahl einen andern Flügel des Schlosses bewohnte, war für die Vielgeprüfte eben noch zu jung, und erschien zu spät, als daß sie derselben hätte in ihrer Schwermuth noch eine kräftige Stütze sein und einen belebenden Einfluß auf sie hätte ausüben können; sie scheinen einander nie recht nahe gekommen zu sein. Zu allem übrigen niederbeugenden Leide kam aber noch die drückende Sorge um den Herzog Karl Leopold hinzu. Denn die Maßregeln, welche dieser in seinem Streite mit der Stadt Rostock und der Ritterschaft ergriff, ließen ein schlimmes Ende ahnen.
Da er aber sich eng an den Czaaren Peter I. von Rußland anschloß, und seine Verhandlungen mit Preußen über eine nähere Verbindung, wobei allerdings auch die Witthumssache der Königin wieder zur Sprache kam, keinen günstigen Verlauf nahmen, der König Friedrich Wilhelm ihm im October 1718 gewissermaßen einen Scheidebrief gab: so schwand auch die letzte Aussicht für die fürstlichen Damen in Grabow, durch den regierenden Herrn mit dem König über die Witthumssache zu einem befriedigenden Abkommen zu gelangen.
Als dann im Februar 1719 Truppen zur Vollstreckung der kaiserlichen Execution in Meklenburg einrückten und den Herzog aus dem Lande drängten, und eine kaiserliche Commission die Landesregierung größtentheils übernahm: da gerieth auch der kleine Hof zu Grabow vollends in die größten Verlegenheiten und in immer größere Schulden. Und was sollte aus der armen Königin werden, wenn der täglich drohende Tod ihrer Mutter wirklich eintrat? Die alte Herzogin sah sich also, da Karl Leopold sich ihr in seiner dermaligen Lage nicht anschließen zu können erklärte, genöthigt, auf eigene Hand mit dem Könige von Preußen in Verhandlung zu treten. Sie sandte zu diesem Zwecke den Hofrath Verpoorten im Februar 1720 nach Berlin. Friedrich Wilhelm wies diesen aber am 27. Februar damit ab, daß sein früheres Angebot vom Herzog Karl Leopold nicht angenommen, er selbst also an der Verzögerung nicht schuldig sei, und daß "sich auch ohnedem dergleichen Dinge nicht wohl anders als zwischen denen Chefs und regierenden Herren beiderseits
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Häuser tractiren ließen." Eine zweite, ausführliche, aber ruhig gehaltene Vorstellung las der König freilich geduldig durch, cassirte sie aber sofort.
Darüber waren selbst die Minister stutzig. "Bedenkt der König nicht," sagte Gersdorf zu Verpoorten, "daß es eine gewissenhafte Sache sei, gegen seines Vaters Gemahlin sich so zu bezeugen?" Aber, setzte er hinzu, alle Remonstrationen hülfen bei Sr. Majestät nicht, wenn sie einmal "sich opinatrirten." Und Ilgen bezeugte vor Gott und in Hinblick auf das jüngste Gericht, "daß er dem König, nebst dem Herrn v. Printzen, als ehrliche Leute, der Königin Sache" ("als seines liebsten Königs, von dem er soviel Gnade genossen, Wittwe") "aufs Beste vorgesagt und gebeten hätten; sie könnten aber nichts davor." "Es wären," fügte er mißvergnügt hinzu, "die Zeiten nicht, die man sich einbildete oder erinnerte; der König sei Herr und dirigire Alles; sie wären keine Räthe, sondern Diener und Unterthanen und bloße Executores, die des Königs Meinung nur vollziehen müßten." Man hätte sich, meinte er, nicht auf den Rechtspunkt berufen sollen, "zumal der König an keine Pacta von der Gattung gehalten sein wollte," "nicht viel disputiren, sondern es seiner générosité anheim geben;" "der König würde sich ehender bewegen lassen, aus Compassion gegen die Königin ein Mehreres zu bewilligen, als mit Rechtsgründen sich obligiren lassen."
Diese Saite schlug nun eine dritte Vorstellung von Seiten der Herzogin (vom 10. April) an; man dachte auch daran, Sr. Majestät einige recht große Recruten zu schicken!
Aber es erfolgte gar keine Antwort von ihm. Mündlich äußerte Ilgen zu Verpoorten, der König werde die Sache mit dem Herzog ausmachen. "Was braucht," äußerte Ilgen aber weiter, "die Königin so viel Geldes, da sie Gott nach seinem heiligen Gerichte in solches Unglück kommen lassen? Es hat ja mehr königliche Personen gegeben, in Dänemark, im Hause Preußen und Brandenburg, in Frankreich - -; und hat man sich sattsam erkundigt, wie man sonst an andern Orten es gehalten. Es ist nicht nöthig, daß man, Andere reich zu machen, so viel hingiebt." Bescheiden wandte Verpoorten ein: "Man verlange es nicht Tonnen=Goldesweise, und suche nicht reich zu werden, wolle aber auch deshalb nicht arm werden; der Königin gebe man ja nicht einmal dasjenige, was die Zinsen des Eingebrachten, die alle Adelige hätten, betrügen." Ilgen: "Ei! das sollte ihnen gefallen, wenn sie so viel Geld mit einander bekämen!" Ver=
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poorten: "Haben wir doch noch gar nichts in acht Jahren gekriegt!" - Gersdorf war überzeugt, daß Ilgen selbst den König umgestimmt habe.
Nun ward noch der hannoversche Geh. Rath, Freiherr v. Bernstorff gebeten, beim König von Preußen Fürsprache einzulegen. Als aber dieser es ablehnte, entsandte die Herzogin den Hofrath Verpoorten 1721 nach Wien.
Er sollte dort die Ungerechtigkeit des Königs von Preußen auf Grund der Ehepakten u. s. w. darlegen, weiter aber nichts zu erwirken suchen, als einen billigen Ersatz für die Auslagen, welche die Herzogin für die Verpflegung der Tochter während ganzer acht Jahre geleistet hatte, daneben aber auch eine Ordnung für die Zukunft erbitten. Er erhielt nicht nur eine Vollmacht bei dem Kaiser, sondern auch Empfehlungsschreiben an die Kaiserin, an den Prinzen Eugen von Savoyen, an die Grafen v. Althan, Sinzendorf, Windisch=Grätz, Stahremberg, Schönborn u. a.; und diese zeigten sich alle sehr willfährig, auch die Mutter der Kaiserin that Fürsprache. Prinz Eugen, welcher die Königin Sophie Louise bei seinem Besuche zu Berlin (1. April 1710) persönlich kennen gelernt hatte, und der Graf Sinzendorf sagten ihre Unterstützung schriftlich, Andere mündlich zu. Man wunderte sich in Wien über die Ausflüchte und die "Härtigkeit" des Königs Friedrich Wilhelm I. (den man dort nicht liebte) und darüber, daß man von meklenburgischer Seite nicht schon längst über denselben geklagt habe; aber es fand Beifall, daß Verpoorten nicht zunächst den Weg Rechtens beschreiten wollte, sondern nur um eine diplomatische Vermittelung anhielt. Der Kaiser versprach ihm in einer Audienz am 11. März, er wolle über die Sache resolviren; diese kam also vor den Geheimen Rath, nicht vor den Reichshofrath.
Die Mitglieder des Geheimen Raths äußerten sich privatim so gegen Verpoorten, daß dieser die beste Hoffnung daraus schöpfte. Graf Schönborn glaubte, eine Intercession werde genügen, der König werde sich nicht durch eine Verhandlung vor dem Reichshofrath öffentlich bloßstellen. "König hin, König her! Wenn die Könige ihren Gemahlinnen können ihre teutschen Fürstenthümer verschreiben, können und sollen sie sie auch daraus ernähren." Windisch=Grätz urtheilte, es sei eine Sache, die ganz allen Principien der Vernunft, des Wohlanstandes und des Rechts zuwider sei. Ein anderer einflußreicher Mann am Hofe, Fürst Tr., verhieß seine Unterstützung und gab daneben seiner Antipathie gegen den
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König Friedrich Wilhelm und der in Wien überall herrschenden Besorgniß und Eifersucht gegen das immer mehr aufblühende und Oestreichs Machtstellung immer mehr bedrohende Königreich Preußen ungeschminkten Ausdruck. "Es sei freilich an dem," bemerkte er, "daß die Kurfürsten, wenn sie schon so nebenher König wären, in dergleichen Fällen die kaiserliche Judicatur respectiren sollten; wie schlecht solches aber beobachtet würde, wäre zumal bei diesem Herrn bekannt."
Am 19. Juli konnte Verpoorten schon ein günstiges Resultat berichten, welches ihm der Referendarius Graf Schönborn und v. Glandorf mittheilten: "der Kaiser habe sich allergnädigst erklärt, wegen I. M. der verwittibten Königin sich mit Nachdruck anzunehmen." "Weil der Herr König sich zu gut dünkte, dem kaiserlichen Residenten zu Berlin Audienz zu geben, die Ministri aber sich entschuldigten, daß sie in odieusen Dingen dem Könige keinen Vortrag thun dürften, auch die Schreiben Sr. Kaiserlichen Maj. von dem spitzigen Ilgen spöttisch und verächtlich tractiret und beantwortet würden: so wäre das Resultat dahin gefallen, daß durch den Herrn Vicekanzler dem (preußischen) Residenten Kannengießer, der seines Herrn schlechten Respects ohnerachtet gleichwohl alle Tage die Ministros des Kaisers fatiguirte und den Kaiser selbst anliefe, der Vorhalt und Bedeutung geschehen sollte, daß Se. Kais. Maj. gerne sehen thäten, wenn der König in dieser offenbaren billigen Sache der Königin und deren Frau Mutter die Indemnisation willig widerfahren ließe, damit Se. Maj. nicht genöthigt würden, auf fernere Klagen Dero Amt bei solchen Umständen zu interponiren."
Welchen Eindruck dieses kaiserliche Fürschreiben in Berlin gemacht, erfuhr Verpoorten am 26. August von Kannengießer. Der König hatte "es sehr ungütig aufgenommen, daß man diese Sache bei Sr. Kais. Maj. anhängig zu machen gesucht, und ihm (dem Gesandten) rescribirt, dem Reichs=Vice=Kanzler die Anzeige zu thun, daß er (der König) sich in dieser Personalsache von niemand vorschreiben ließe und verhoffte, Kais. Maj. (würden) ihm darunter wider dessen königliche Souveraineté nichts zumuthen oder verhängen." Es war Kannengießer ferner geantwortet, "wie die Pacta dotalia wider die Pacta domus regiae liefen und, allzu oneros verfasset, vor den Successorem nicht verbindlich wären!" Und doch hatte man von meklenburgischer Seite sich ja nur auf die ursprünglichen Ehepakten, nicht auf das verbesserte Witthum von 1709, berufen und auch nicht einmal die vollständige Erfüllung der ersteren verlangt!
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Nun blieb allerdings kein anderer Weg mehr übrig, als eine förmliche Klage bei dem Reichshofrath einzureichen, was am 5. November (1721) geschah. Die Herzogin Christine Wilhelmine rief den Kaiser als den Obervormund für betrübte, nothleidende fürstliche Wittwen an, und bat ihn, ihr von dem König in Preußen als Kurfürsten zu Brandenburg und Fürsten zu Halberstadt für den neunjährigen Vorschuß zum nothdürftigen Unterhalt ihrer Tochter, welche sie nach des hochsel. Königs in Preußen Maj. freiwilligem Antrag und eigener Abschickung aus ohnumgänglicher Noth und mütterlichem Mitleiden einstweilen übernehmen müssen, 90000 Rth. zu verschaffen, sowie eine Ordnung über den künftigen Unterhalt der Königin herbeizuführen.
Der Reichshofrath verfuhr mit dem König sehr gelinde; es erfolgte am 27. November folgendes Conclusum: Obwohl I. Kais. Maj. der Frau Implorantin gestalten der Sachen Beschaffenheit und sonderlichen Umständen nach mit dem gebetenen mandato sine clausula zu Statten zu kommen wohl befugt wären, so versähen sie sich aber gegen des Königs Gemüths Billigkeit, daß derselbe in Erwägung der verwittibten Königin und Kurfürstin kundbaren Nothstands und andern mit einschlagenden wichtigen und sonderlich in des vorigen Königs und resp. Vatern verbindlichen pactis enthaltenen gegründeten Ursachen selbst geneigt sein werde, dem gerechten Gesuch gebetener Maßen die gehörige Zufriedenstellung und Vergnügung zu thun, mithin nicht nur die Zeit von 9 Jahren vorgeschossene und 90000 Rth. betragende Alimentations=Kosten sammt denen daher rührenden Zinsen, Schäden und Unkosten gedachter Frau Implorantin zu restituiren, sondern auch pro futuro zur quartalen Pränumeration 2500 Rth. alle Versicherung zu stellen.
Als Friedrich Wilhelm, wie zu erwarten stand, in der ihm gestellten Frist von zwei Monaten nicht antwortete, erkannte der Reichshofrath am 16. April 1722 auf ein "Rescriptum magis serium" "sub comminatione reahs executionis;" aber auch darauf achtete der König ebensowenig. Er wußte recht wohl, daß man nicht zu der angedroheten Execution gegen ihn schreiten würde.
Auch von meklenburgischer Seite erfolgte kein weiterer Anruf, da die alte Frau Herzogin Christine Wilhelmine zu Grabow am 16. Mai 1722 ihr kummerreiches Leben beschloß. Der Herzog Karl Leopold hatte die Zeitumstände schon für zu ungünstig gehalten, um sich den Schritten in Wien, die ihm überhaupt ganz nutzlos erschienen, anzuschließen; und er
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hielt es auch ferner nicht für politisch, den König nutzlos zu reizen, er schwieg. König Friedrich Wilhelm I. aber hat der Königin=Wittwe und ihren Verwandten nie Witthumsgelder gezahlt.
Indessen war der Gegenstand zu bedeutend, als daß er nie wieder in Anregung gebracht wäre. Es geschah aber erst, als die Königin, ihr Stiefsohn und ihr Bruder Karl Leopold gestorben, in Meklenburg=Schwerin ihr jüngster Bruder Christian Ludwig II. zur Regierung gekommen war, und dieser aufs Neue über ein Bündniß mit Preußen zu verhandeln begann. Auf meklenburgischer Seite berechnete man diese Forderung, - von der eingebrachten Aussteuer, Kleidern, Geschmuck, Kleinodien u. s. w. abgesehen, - mit den aufgelaufenen Zinsen auf zwei Millionen Thaler. Aber natürlich hatten König Friedrich II. und seine Minister kein Ohr für solche, wie sie sich ausdrückten, "alten," "abgethanen," "illiquiden," "auch sonst ganz unstatthaften" Prätensionen, die von Seiten des königlichen Hauses "niemalen agnosciret, sondern mit stattlichen (!) Gründen jederzeit abgelehnet worden" seien, auf die nicht einmal die Königin Sophie Louise selbst ein Anrecht gehabt, da sie "die königlichen Lande zu verlassen (!) und den ihr angewiesenen Wittwensitz nicht zu beziehen gut gefunden!" "Die alten Forderungen," hieß es auf preußischer Seite, "und alles Praeteritum müsse gänzlich in Vergessenheit gestellet werden;" man wolle für die Zukunft desto nützlicher sein.
Der Herzog Christian Ludwig erwog, daß, wenn der König von Preußen allen Forderungen der Schuldigkeit und Billigkeit sein Ohr verschloß, man am Ende keine Execution gegen ihn werde bewirken können. Er entschloß sich also dazu, in der Bündnißurkunde vom 14. April 1752 auf jene Forderung für sich und seine Nachfolger, wie es begehrt ward, ausdrücklich zu verzichten. -
Kehren wir nach dieser Abschweifung zur Lebensgeschichte der unglücklichen Königin zurück!
Welchen Eindruck der Tod der von ihr so herzlich geliebten Mutter auf sie gemacht hat, wird uns nicht berichtet, wohl aber, daß ein Schreiben, welches ihr Bruder Karl Leopold in dieser Veranlassung an sie richtete, sie sehr erfreuete.
Dieser Herzog hatte sich von Dömitz, wo er eine Weile residirte, nach Danzig begeben und übte von hier aus seine Regierungsgewalt aus, soweit die kaiserliche Commission sie ihm noch gelassen hatte. Da sein Bruder Christian Ludwig
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nicht gemeint war, das Witthumsamt Grabow, an welches er Ansprüche erheben konnte, zu verlassen, so befahl Karl Leopold dem Justizrath Amsel, vom Grabower Schlosse Besitz zu nehmen. Der konnte freilich den Herzog Christian Ludwig nicht vertreiben, wußte aber doch selbst ein Unterkommen im Schlosse zu finden. Er thut nun in den Briefen, die er nach Danzig schrieb, der Königin öfters Erwähnung; und man muß es dem Herzog Karl Leopold nachrühmen, daß er sich seiner Schwester annahm, soviel er immer vermochte. Die Dienerschaft der Königin fand Amsel in der übelsten Lage, sie hatte zum Theil seit 1713 keinen Gehalt mehr empfangen. Auf Karl Leopolds Befehl ward der Königin endlich wenigstens das Notwendigste gereicht; erst drei Monate nach dem Tode der Mutter empfing sie die längst erbetenen Trauerkleider. Ein kleiner Hofstaat ward ihr bestellt, ein Major von Bülow zum Chef desselben, Fräulein Wilh. Kath. Marg. v. Rapp, welche der Herzogin=Mutter schon 12 Jahre als "Kammerfräulein" treu gedient hatte, zur Hofdame ernannt. Nur ungern verstand sich diese Letztere dazu, und der Königin war sie unangenehm; sie sei nicht mehr die alte Rappen, bemerkte ihr jene, als sie zu ihr ging; ja die Kranke ward schon unruhig, wenn sie nur die Rapp im Vorzimmer hörte. Ueberhaupt sah sie schon längst die Frauen, namentlich die Hofdamen, mit Mißtrauen an. Sie brachte den größten Theil des Tages im Bette zu, stand oft fast nur auf, um sich selbst ihr Bette aufzumachen, und ließ die auf das geringste Maß beschränkten Hülfsleistungen und Dienste durch ihre Kammerfrau Tanger 1 ) und ihren in großer Treue ausharrenden Kammerdiener Cleff besorgen. Letzterer theilte das Mißtrauen seiner Gebieterin gegen ihre Umgebung; er wich nicht von ihr und hütete ängstlich vor jedermanns Blicken die Kostbarkeiten der Königin, welche er 1713 aus Berlin mit fortgenommen hatte.
Die Tanger erstattete auf herzoglichen Befehl über den Zustand der Königin am 4. Sept. 1722 Bericht. Sie schreibt, "daß sich I. Maj. in so weit ziemlich wohl befinden, außer daß sie dann und wann eine heftige Gemüthsunruhe spüren lassen, welche auch so ausbricht, daß sie [sich] mit sich selbst besprechen. Dieses ist die eine Zeit heftiger wie die andere,
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nachdem das Wetter sich regieret. So balde solche Unruhe vorbei, legen I. Maj. sich zur Ruhe und schlafen; nachher sind sie recht guter humeur, wobei sie Gott Lob! recht gut essen und trinken. I. Maj. sind die meiste Zeit im Bette und stehen sehr wenig auf; ihr Zeitvertreib ist Singen, Lesen und Beten." - Sie war übrigens sehr reizbar.
Ihr Bruder Christian Ludwig besuchte sie zuweilen, um sie zu unterhalten; er konnte sie aber nicht bewegen, ihre Zimmer zu verlassen und einmal in den Garten hinunter zu kommen; jedoch schauete sie mitunter hinab in den Garten und in die ziemlich reizlose Umgebung des Schlosses. Mit seiner Gemahlin scheint die Königin in keine Beziehung getreten zu sein und dem kleinen Prinzen Friedrich, der späterhin durch andere Einflüsse dem Pietismus zugeführt ward, keine Beachtung geschenkt zu haben. Ob sie den Geistlichen zu Grabow den Zutritt verstattete, wird uns nicht gemeldet; wir erfahren auch nicht, ob Porst und andere geistliche Freunde aus früherer Zeit sich noch um sie bekümmerten. Am 4. Jan. 1723 meldet Amsel nach Danzig, die Königin sei bisweilen etwas unruhig, doch meistentheils stille und in Ruhe. Er setzt dann hinzu: "Den mittelsten heiligen Weihnachtstag ließen Dieselbe des hiesigen Organisten Sohn, einen Knaben von 10 Jahren, für sich kommen, und mußte derselbe Anfangs eine Arie, darauf das Lied: "Gieb dich zufrieden" u. s. w. I. Maj. von Anfang bis zum Ende für Dero Bette fürsingen." - Mit der Außenwelt mochte die Königin keinen Verkehr mehr unterhalten; ein für sie bestimmtes Neujahrsschreiben aus Wolfenbüttel hat sie gar nicht erbrochen. An Amsel wandte sich im Frühling 1725 einmal der Oberst v. Waldow, um sich auf Befehl des Königs von Preußen nach dem Befinden der verwittweten Königin zu erkundigen, und erhielt die Antwort, daß es noch ziemlich gut sei. Sonst findet sich in unsern Acten keine Spur davon, daß der preußische Hof nach der unglücklichen Frau noch irgendwie gefragt hätte. -
Seit dem Tode der Mutter verlebte Sophie Louise noch drei Jahre zu Grabow. Da traf aber am 3. Juni 1725 diese Stadt das entsetzliche Unglück, daß sie durch eine furchtbare Feuersbrunst, die während des Gottesdienstes ausbrach und sich schnell ausbreitete, fast ganz zerstört ward. Auch das Schloß wurde von den Flammen ergriffen, und nur mit Mühe gelang es Cleff, seine Herrin selbst und ihre wertvollsten Sachen zu retten. Da in Grabow kein Aufenthalt für sie zu schaffen war, ward sie zunächst nach dem
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noch nicht ganz vollendeten Jagdschloß zu Neustadt gebracht, wo auch ihr Bruder Christian Ludwig mit seiner Familie später Wohnung nahm. Die einzige Freude, welche der Königin aus diesem schweren Unglücksfall erwuchs, war die, daß Fräulein v. Rapp, längst ihrer Stellung überdrüssig, ihren Abschied nahm, weil sie die Fahrt nach Neustadt auf einem Bauerwagen hatte machen müssen!
Sobald der Herzog Karl Leopold die Nachricht von der Grabower Feuersbrunst empfing, befahl er (13. Juni) Bülow, Amsel und Cleff, gemeinschaftlich dafür zu sorgen, daß seine Schwester unverweilt, in möglichster Stille und heimlich durch den Schloßgarten ins Schweriner Schloß geführt würde. Er wies ihr auf demselben die "französischen Kammern" zur Wohnung an und ließ auch "der Czaarin Saal" für sie herrichten. Lobenswerthe Anordnungen wurden getroffen, um alle Unruhe in der nächsten Umgebung der königlichen Gemächer zu verhüten.
Die Königin empfing die Weisung, sich nach Schwerin zu begeben, mit großer Befriedigung; sie freuete sich auf den schönen Garten und die schöne Aussicht, deren sie sich noch aus ihrer glücklichen Jugend erinnerte. In der Nacht vom 25. zum 26. Juni langte sie auf ihrem neuen Wohnsitz an. Und in der That übte die Ortsveränderung den heilsamsten Einfluß auf ihr Befinden aus. Oefter als sonst pflegte sie auf längere Zeit das Bette zu verlassen und bewundernd der schönen Aussicht von ihren Zimmern zu genießen; ihre Stimmung ward so heiter, daß sie mit ihrer Bedienung sogar scherzen konnte.
Aber mit dem Ausblick aus ihrer Wohnung mußte sie sich freilich auch begnügen; denn sie war eine Festungsgefangene. Karl Leopold hatte nämlich an den Commandanten Obristen v. Zülow und an den Major v. Bülow den strengsten Befehl erlassen, wenn die Königin sich von Schwerin fortbegeben oder auch nur eine Ausfahrt machen wollte, dies durch die zweckdienstlichsten Mittel zu verhüten. Bülow dehnte diesen Befehl aber sogar dahin aus, daß, als die Königin Ende Mai einen Spaziergang durch den Garten machen wollte, er dieses als wegen zu rauher Witterung unthunlich darstellte!
Uebrigens hatte die arme Fürstin keine Kleider, in denen sie sich öffentlich hätte zeigen können. Die furchtbare Geldnoth, in welcher der Herzog Karl Leopold steckte, wirkte auf die Hofhaltung im Schweriner Schlosse äußerst drückend ein.
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Von Gehaltszahlung war seit dem Tode der Herzogin keine Rede mehr, manche Bediente warteten auf solche immer noch seit 1713; es fehlte ihnen bisweilen sogar an genügender Speisung, manche mochten sich ihrer schadhaften Kleidung halber in der Stadt nicht mehr sehen lassen. Ueberdies war v. Bülow für seinen Posten nicht die rechte Persönlichkeit: bei der Dienerschaft mangelte es ihm an Respect, um die Königin kümmerte er selbst sich wenig, seine Frau, obwohl sie die Stelle der Rapp vertreten sollte, gar nicht.
Cleff aber, auf den sich die Königin zumeist angewiesen sah, ward allmählich den Andern eine unbequeme Persönlichkeit; schon meldete man allerlei Nachtheiliges über ihn nach Danzig. Er bekam daher (E. 1725) einen Verweis wegen Correspondirens mit Berlin und wegen seines Verkehrs nach außen durch ab= und zureisende Diener. Der höchst mißtrauische Herzog befahl ihm, künftig alle seine Briefe an den Commandanten Obristen v. Zülow einzuliefern ("der dann solche Uns anhero zu weiterer Beförderung, weil Wir doch mit dem Könige correspondiren (!), zufertigen wird"); kein Bedienter sollte die Stadt verlassen, ohne daß Zülow darüber zuvor nach Danzig berichtet habe. Cleff gedachte nun, um dieser drückenden Stellung ein Ende zu machen, persönlich dem Herzog seine Wünsche und Klagen vorzustellen, zumal da seine Bitte, die verstorbene Kammerfrau Tanger durch eine vormalige Dienerin der Königin, Frau Liscow zu Wittenburg 1 ), zu ersetzen, nicht alsbald erfüllt ward. Seine Bitte um Erlaubniß zu einer Reise (die er Zülow nicht näher bezeichnen wollte) ward vom Herzog abgeschlagen, da er bei dem Mangel einer Kammerfrau unentbehrlich sei. Da übertrug jedoch Cleff die Pflege der Königin einem zuverlässigen Lakaien und verließ, indem er sich unter dem Vorwande einer kurzen Reise nach Parchim seiner Gebieterin empfahl, am 18. Febr. (1726) Morgens heimlich das Schloß.
Auf Bülows Meldung nach Danzig erhielt der Commandant v. Zülow wegen dieses Ereignisses, "welches ja die allernachtheiligsten svites nach sich ziehen könnte," einen scharfen Verweis; und weil "Cleffen Exceß also bewandt, daß wegen deren darunter verborgenen Gefährlichkeiten ihme die gehabte Function bei der Königin nicht weiter anzuver=
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trauen" sei, ward Zülow angewiesen, ihn, wenn er zurückkehrte, sofort aus der Stadt zu weisen; ja man sollte sich auch erkundigen, ob die Königin um seine Reise nach Neustadt (Herzog Christian Ludwigs Wohnsitz!) gewußt habe. Bald nach dem Abgange dieses Befehls traf Cleff in Danzig ein, ward aber vom Herzog Karl Leopold nicht vorgelassen, und als er nach Schwerin zur Königin zurückkehrte, hier schon am Thore zurückgewiesen. Seitdem irrte er unstät in Meklenburg umher mit seinen Reiseeffecten und mit den in seinen Händen immer noch befindlichen Kostbarkeiten der Königin; er wußte nicht, an wen er sie abliefern dürfte. Als man ihn 1733 zuerst in Bützow, dann in Neustadt verhaftete und einige Werthstücke bei ihm fand, entdeckte er sofort, daß er deren noch viel mehr habe und sie seiner Königin gehörten. Eine Pension ward ihm abgeschlagen; er lebte in großer Dürftigkeit noch 1742.
So schmerzlich auch für die Königin Sophie Louise der Verlust ihres langjährigen, treuesten und ergebensten Dieners war, das eine Gute hatten die Klagen in Danzig doch, daß dem nach Schwerin entsandten General=Major v. Tilly die Oberaufsicht über den Hofhalt auf dem Schlosse übertragen und wenigstens etwas Geld aus dem Nachlaß der Herzogin Christine Wilhelmine angewiesen ward, wenngleich dieses wenig zureichte.
Seitdem der Herzog Karl Leopold am 8. Juni 1730 von Danzig in Schwerin wieder eingetroffen war und seine Residenz dort gleichfalls auf dem Schlosse nahm, fehlte es an einem Anlaß, schriftlich an ihn über seine Schwester zu berichten. Daher erfahren wir auch einige Jahre lang Nichts von ihr. Ohne Zweifel hat die Anwesenheit des Herzogs Unordnungen, wie sie früher im Schlosse zu Schwerin vorgekommen waren, verhütet, und der Umgang mit dem Bruder mag der Königin recht willkommen gewesen sein. Die Umgebung aber, welche er aus Danzig mitbrachte, konnte auf sie keine Anziehungskraft ausüben und ihren Hang zur Einsamkeit nicht schwächen, wenn wir eine Persönlichkeit ausnehmen, den Hofprediger Johann Christian Menckel. Dieser war ein ebenso begabter als frommer Theologe; er hatte auf der Halleschen Hochschule, unter der Leitung Aug. Herrn. Franckes und seiner Gesinnungsgenossen seine theologische Bildung und Richtung empfangen, begegnete sich also in seiner religiösen Denkungsart mit der Königin und hatte für sie Verständniß; wiewohl er bei seiner Uebersiedelung nach Schwerin
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erst 28 Jahre zählte, hatte er doch schon an verschiedenen Orten gewirkt und als Seelsorger Erfahrung gesammelt.
Den Herzog Karl Leopold beschäftigten übrigens vollauf politische Pläne. Eben während dieses Aufenthaltes zu Schwerin traf er Anstalten, sich mit Gewalt wieder in den Besitz der Landesregierung zu setzen, welche sein Bruder Christian Ludwig seit 1728 als kaiserlicher Administrator, dann seit 1732 als beständiger kaiserlicher Commissar führte. Aber der Landsturm, den Karl Leopold 1733 aufbot, ward schnell auseinander gesprengt. Die holsteinischen und schwarzburgischen Truppen, welche der kaiserliche Commissarius hernach in Sold nahm, erhielten einen kaiserlichen Befehl, Stadt und Schloß Schwerin einzunehmen und den Herzog von dort zu vertreiben. Sie beschossen daher vom 5. bis 7. Febr. 1735 die Stadt; und da angeknüpfte Unterhandlungen ohne Resultat blieben, nahmen sie am 8. die Kanonade wieder auf; am 9. flüchtete Karl Leopold über den See nach Steinfeld und weiter nach der damals schwedischen Festung Wismar. Noch an eben diesem Tage capitulirte das Schweriner Schloß. - Die Königin war in demselben von ihrem Bruder zurückgelassen; ihre Bedienung blieb um sie, auch der Hofprediger blieb in Schwerin. Wie sie jene Tage der Angst und des Schreckens überstanden hat, finden wir nicht angemerkt; am 12. März aber berichtet Bülow, daß mit ihr noch Alles so stehe, wie Karl Leopold es verlassen habe. Der Herzog Christian Ludwig hatte schon vorher einen Secretair abgesandt, um sich nach der Schwester zu erkundigen.
Nachdem die unglückliche Königin unter den erzählten Umständen volle 22 Jahre in Meklenburg verlebt hatte, da schlug endlich auch für sie die Stunde der Erlösung. Am 20. Juli 1735 war sie an einem schweren Magenübel erkrankt; sie klagte auch über schmerzhafte Geschwulst an den Füßen. Ihr Arzt war selbst leidend, für ihn trat ein Kammerdiener und Leibchirurg ein, den sie seit ihrer Vermählung nicht mehr gesehen hatte, aber sogleich wieder erkannte. Er verordnete eine Arznei, welche sie auch nahm, nachdem er sie vorher selbst gekostet hatte. Trotzdem aber ward die Krankheit, die man als eine Magenentzündung bezeichnete, am Abend des 22. sehr heftig und steigerte sich täglich. Nachdem sie "viel hatte ausstehen müssen, aber auch" - wie Bülow meldet - "eine ungemeine Geduld und viele merkliche Proben einer wohlgefaßten Vernunft und brünstigen Andacht von sich spüren lassen," starb sie am 29. Juli 1735.
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Ausführlicher als Bülow berichtete am nächsten Tage der Hofprediger Menckel über die letzten Tage der Königin. Als er auf die Nachricht von ihrer großen Schwäche am 24. in ihrem Vorzimmer erschienen war, ließ sie ihn sofort zu sich eintreten und hörte seinen Reden von dem hohen Adel der Gläubigen unter dem Kreuze, von dem Nutz der Leiden am Fleische in dieser Welt und in der zukünftigen Herrlichkeit sehr aufmerksam zu, schaute ihn mit gefaltenen Händen unverwandt an und bezeugte ihre Erbauung. Dann sprach sie: "Ich bin durch den Vorhang gangen, meinen Jesum zu empfangen." Seine Tröstungen an den beiden folgenden Tagen hörte sie noch mit Aufmerksamkeit an; doch war sie schon zu schwach, um sich noch verständlich zu machen. Am Abend des 26. aber erholte sie sich noch einmal. Der Hofprediger fand "ihr Gemüth sehr munter," sie redete von geistlichen Dingen, antwortete deutlich auf seine Fragen und bat ihn fortzufahren. Als die Kammerfrauen u. a. fragten, wo sie bleiben würden, wenn Majestät sterben sollten, antwortete diese mit ernstlichen Geberden: "Bleibt doch unser Herr Gott lebendig! Sondert Euch nur ab von dem Bösen, so wird Gott euer Vater und Versorger sein," wozu sie Gelegenheit nahm aus dem kurz zuvor angeführten Spruche 2. Cor. VI, 17. 18. Den Hofprediger ermahnte sie, sein beständig in der Wahrheit und in dem Gehorsam Gottes zu bleiben.
Die ganze folgende Nacht beschäftigte die Kranke sich noch mit diesem Gespräch. An den beiden letzten Tagen versagte ihr wieder die Sprache; doch verstand sie Alles, was geredet ward. Am Tage vor ihrem Tode erschienen "ihre Geberden überaus liebreich und holdselig." Das Wort: "Meine Seele dürstet nach Gott" u. s. w. begleitete sie mit einem tiefen Seufzer und erhob die gefaltenen Hände. Die Frage, ob sie fest glaube und hoffe, daß sie als eine siegende Kämpferin Jesu Christi mit diesem ihrem Seelenfreunde bald auf seinem Stuhle sitzen werde, bejahete sie lächelnd mit einer Neigung des Hauptes. Am 29. früh hatte sich alle Empfindung bereits verloren, um 10 Uhr Morgens verschied sie, unter den Gebeten der Umstehenden; von ihren Verwandten war niemand zugegen.
Karl Leopold gab auch in seinen Notificationsschreiben an die Fürsten über diesen Todesfall seine Bitterkeit über seine Lage kund, daß nämlich seine Schwester als "eine Gefangene," "unter feindlicher Gewalt und Discretion" gestorben, und er nicht im Stande sei, "für ihre standeswürdigsten
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Funeralien und Landestrauer" Veranstaltungen zu treffen. Christian Ludwig erbot sich aber sogleich, "begehrten Falls" und auf des Bruders zu erwartende Erklärung gern alles Mögliche zur standesmäßigen Beisetzung beizutragen. Einstweilen ließ er die Leiche einkleiden und einsargen und in ein Zimmer auf dem Schlosse bringen. Da aber nach mehr als 6 Monaten Karl Leopold immer noch keine Anstalt zur Beisetzung machte, erbat und empfing Christian Ludwig vom Kaiser die Erlaubniß, die Schwester in der Gruft unter der St. Nicolai=Kirche zu Schwerin neben den Eltern und dem Bruder Friedrich Wilhelm beisetzen zu dürfen. Dies ist hernach in aller Stille ausgeführt.
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"Die zweite Gemahlin des Landgrafen Wilhelm II. von Hessen, Anna, Prinzessin von Meklenburg, geboren 1485, gestorben den 6. Mai 1525, und Mutter des Landgrafen Philipp des Großmütigen, hatte sich als Wittwe 1519 zum andern Male mit dem Grafen Otto von Solms=Laubach vermählt. Sie starb zu Rödelheim (bei Frankfurt a. M.), ihr Leichnam wurde aber nach einem Bericht des Balthasar, genannt Schutenbach (!), Amptmanns zu Gießen, am Montag nach Cantate (15. Mai) 1525 nach Marburg gebracht und dort anfänglich in der jetzt nicht mehr vorhandenen Franziscanerkirche (neben der Bibliothek) beigesetzt, den 27. Mai 1546 aber in die dasige Elisabethkirche übertragen. Hier finden sich im südlichen, sogenannten Fürstenthore noch jetzt zwei Grabsteine dieser Fürstin, ein liegender auf der Gruft mit 2 Wappen und Umschrift und ein an der Wand stehender mit dem Reliefstandbild der Entschlafenen. Im Marburger Schloßarchiv ersehen wir aus einer Vertragsurkunde, daß diese beiden Steine erst 1553 angefertigt sind, mithin ein Jahr nach Philipps Rückkehr aus seiner fünfjährigen Gefangenschaft. In einem zu Marburg Sonntags Letare (12. März) Anno 1553 abgeschlossenen Vertrage einigt sich auf Befehl des Landgrafen Symon Ring mit Jacob Steindecker und Thomaß Galer "pildhauer" dahin, zwei Leichensteine für Anna ausführen zu lassen; ersterer soll die Steine behauen liefern und letzterer dieselben Steine vollends ausarbeiten und verfertigen, wie folgt: Den einen Stein, so uff dem Grab liegen soll, mit zweien Wappen, einem hessischen und einem meklenburgischen,
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und mit einer Schrift in margine herumb (Umschrift fehlt), den andern Stein soll er hauen also, daß er aufrichtig hin die Grevin mag gesetzt werden, darauff soll stehen eine weibepilde von hochgemelter Fürstin Witwe Anha, wie im das ist Conterfeit zugestellt - - darüber ein Epitaphium mit zwoen Columnen - - die Buchstaben des Epitaph sollen verguldet, der Grund desselben soll blau sein. Dagegen soll er vom Fürsten haben 15 gulden und 13 alb., die Steine selbst werden für 7 fl. 4 alb. geliefert ."
"Wir lernen aus dieser schätzbaren Urkunde den damaligen Preis des noch vorhandenen Monumentes und die Namen des Künstlers und des Steinhauers, sowie ferner, daß jene Monumentsteine für die bereits 1525 verstorbene Fürstin erst 1553 auf Anordnung ihres Sohnes Philipp angefertigt wurden. Ihre zweite Vermählung mit dem Grafen Otto von Solms hatte ihr Verhältniß zu ihrem damals noch sehr jugendlichen Sohne Philipp getrübt, und so war ihr Grab, welches vor dem Jahre 1546 nicht einmal in der Fürstengruft der Elisabeth seinen Platz erhielt, in den damaligen unruhigen Kriegszeiten ohne Denkstein geblieben. In der düsteren Stimmung während der fünfjährigen Gefangenschaft mochte jedoch Landgraf Philipp den Entschluß gefaßt haben, jener noch unterlassenen Pflicht gegen seine Mutter zu genügen, und so ertheilte er schon im ersten Jahre nach seiner Rückkehr nach Kassel jenen oben erwähnten Befehl."
Abgedruckt aus der Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde. Neue Folge, Bd. V, Heft 1-3, Kassel 1874, S. 288 flgd. Beitrag zur Geschichte der Grabdenkmäler in der Elisabethkirche zu Marburg, von Jacob Hoffmeister. Vgl. auch noch Bd. VI. Heft 1 - 2, Kassel 1875, S. 65 flgd.
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Um die Mitte und in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts herrschte in dem von den Herzogen neu erbaueten Residenzorte Ludwigslust ein sehr reges Kunstleben, welches vorzüglich durch die von dem Herzoge Friedrich (1756 † 1785) ausgeführten großen und vielen Bauten reiche Nahrung fand.
Zu den in dieser Zeit hier beschäftigten Künstlern gehört in erster Reihe auch der Bildhauer Rudolph Kaplunger, dessen Leben und Wirken bisher wenig bekannt gewesen ist. Die Hauptquelle sind die gleichzeitigen Nachrichten in den Anmerkungen des Uebersetzers von "Thomas Nugent's Reisen durch Deutschland und vorzüglich durch Meklenburg, aus dem Englischen übersetzt, 2 Theile, Berlin und Stettin bei Friedr. Nicolai, 1781 und 1782," namentlich die Anmerkungen zum 2. Theil, 1782, S. 313 flgd.
Hier wird Folgendes berichtet. Rudolph Kaplunger war am 2. April 1746 zu Bechin in Böhmen geboren. Sein Vater, ein Bildhauer, bestimmte auch seinen Sohn zu dieser Kunst und ließ ihn daher schon von früher Jugend an in der Zeichnenkunst unterrichten, so daß er sich bei zunehmenden Jahren nicht nur große Fertigkeit im Zeichnen, sondern auch nicht gemeine Kenntnisse in der Malerei erwarb. Endlich ging er zur Ausbildung in der Bildhauerei und den dazu nöthigen Wissenschaften auf Reisen, namentlich nach Prag, Dresden, Potsdam, Metz, Paris und Wien. Wenn auch auf diesen Reisen, auf denen er sich auch viele Sprach=
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kenntnisse erwarb, der Anblick vieler vortrefflicher Gemälde seine Neigung zur Malerei wieder erweckte, so wandte er sich doch endlich mit Eifer wieder der Bildhauerei zu, um in einem einzigen Fache etwas Tüchtiges zu leisten.
"So kam er im J. 1775 nach Ludwigslust," als sich eben der große Schloßbau seiner Vollendung näherte 1 ).
Nach den Anmerkungen zu Nugent a. a. O. S. 234 sind "die an diesem Gebäude befindlichen prächtigen Statuen und modernen Vasen 2 ) insgesammt von dem Hofbildhauer Kaplunger" 3 ), ungleichen, nach der Vorrede zum 2. Theil, die meisterhaft gearbeitete steinerne Gruppe auf der neuen Kaskade," welche 1780 fertig ward 4 ).
Nach den Anmerkungen zu Nugent a. a. O. S. 315 war er 1782? seit zwei Jahren mit Gehalt "engagirt." Am Ende des Jahres 1781 hatte er sich mit einer "Schwester "des berühmten Herrn Hofraths Karsten in Halle verheirathet." Ungefähr seit dieser Zeit hatte er auch eine Dienstwohnung in der neuen großen Straße 5 ).
Am 24. April 1785 starb, nach Vollendung der vielen großen Bauten, Kaplunger's großer Gönner Herzog Friedrich, welchem, der ebenso Kunst und Wissenschaft liebende und fördernde junge, lebhafte Herzog Friedrich Franz folgte.
Seit dieser Zeit finden wir Kaplunger im Staatskalender unter den "Hofkünstlern" als "Hofbildhauer" aufgeführt, zuerst im J. 1786 (im J. 1785 noch nicht) und von hier regelmäßig bis 1796.
Rudolph Kaplunger starb wohl am Ende des Jahres 1795, gegen 50 Jahre alt. Am 26. März 1796 bat die "verwittwete Kaplunger, geborne Karsten," um die beiden "Gnaden=Quartale," Ostern und Johannis 1796, von denen das erste Ostern fällig war, auch um Zahlung der "Fourage=Gelder." Daß Kaplunger noch im Staatskalender für 1796 aufgeführt ist, kommt ohne Zweifel daher, daß dieser Staatskalender am Ende des Jahres 1795 schon gedruckt war, als Kaplunger starb. Im J. 1797 wird er nicht mehr genannt.
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Im Ludwigsluster Kirchenbuche ist nach des Herrn Präpositus Danneel Mittheilung der Sterbetag Kaplunger's nicht verzeichnet, vielleicht weil er gar nicht in Ludwigslust gestorben und begraben ist oder weil er römisch=katholischer Confession war, wie aus andern Bemerkungen im Kirchenbuche hervorgeht.
Kaplunger's Bild.
In den ersten Zeiten unsers Jahrhunderts lebte in Wismar, im "Amtshauptmann Oldenburgschen Hause," ein altes Fräulein Kaplunger, welche ausgezeichnete Stickereien mit Seide in Plattstich machte, namentlich Bilder von Vögeln, "wahre Nadelmalerei." Später wohnte sie bei dem Dr. med. Pentzlin, bei welchem sie 1840 starb und welcher sie auch beerbte. Nach alten Ueberlieferungen sollte sie von einem Bildhauer abstammen. Dies bestätigt auch das Kirchenbuch der S. Marien=Kirche zu Wismar.
Hiernach
"verstarb 1840 Sept. 25 und wurde begraben Sept. 30 Johanna Kaplunger, Tochter des Hofbildhauers Rudolph Kaplunger und seiner Ehefrau geb. Karsten, gebürtig aus Ludwigslust, 56 Jahre alt."
Diese Johanna Kaplunger ist also die Tochter des Hofbildhauers Rudolph Kaplunger.
Nachdem der Dr. med. Pentzlin, der Erbe des Fräuleins Johanna Kaplunger, am 18. März 1870 gestorben war, kaufte der Herr Dr. med. Crull zu Wismar aus dessen Nachlaß in der Versteigerung einen schönen Reliefkopf in Lebensgröße, in Profil, in Marmor, welchen derselbe im J. 1875 dem Verein für Meklenburgische Geschichte, als dessen eifriger Beförderer, schenkte. Das gut gearbeitete Bild stellt im Relief den rechts gewandten Kopf eines jungen Mannes mit feinen Zügen und vollem lockigen Haar dar und ist (mit Hals) ungefähr 12 Zoll (28 Centimeter) hoch. Unten am Halsabschnitt ist ohne weitere Bezeichnung eingegraben
"Ipse fecit 1783."
Nach der Herstammung ist dieses Bild ohne Zweifel das eigene Bild des Bildhauers Rudolph Kaplunger, welcher es bald nach seiner Verheirathung und nach Vollendung seiner meisten und größten Werke selbst entwarf. Zu den Zügen stimmt auch das damalige Lebensalter Kaplunger's, welcher 1783 ein Alter von 37 Jahren hatte.
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Es bleibt für eine andere Annahme der Bestimmung dieses Bildes keine andere Deutung übrig. - Pentzlin hat ohne Zweifel das Bild von der Tochter geerbt und auf diesem Wege ist es in den Besitz des Vereins gekommen, für den es ein wertvolles vaterländisches Kunstwerk und Andenken geworden ist.
Nachtrag.
Die im Vorstehenden mitgetheilte Forschung über Kaplunger's Tod († Ende 1795) wird durch andere im Archive neu aufgefundene jüngere Nachrichten bestätigt. Am 27. Decbr. 1796 verschrieb der Herzog Friedrich Franz "dem an die Stelle des verstorbenen Hofbildhauers Kaplunger wieder angenommenen Bildhauer Busch" ein Jahresgehalt von 400 Thalern. Johann Busch, ohne Zweifel ein Sohn des um Ludwigslust im vorigen Jahrhundert sehr verdienten Hof=Baudirectors und Bauraths Busch zu Ludwigslust, war aber nicht ausführender Bildhauer in Ludwigslust, sondern lebte, mit Ausnahme eines Besuches in Ludwigslust 1801-1802, immer in Rom, wo er auch 1821 gestorben ist. Busch war also nur titulairer Hofbildhauer und sein Gehalt war wohl nur eine Gnadenbewilligung zum Zweck seiner Ausbildung. Nebenbei besorgte er in Rom auch Gypsabgüsse.
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In den Jahrbüchern XXXV, S. 219-222, habe ich bei der Mittheilung der Nachrichten über das Vorkommen von Pfahlmuscheln im Wismarschen Meerbusen in frühem Zeiten auch eines "Kaufmanns" Heinrich Alkopf zu Wismar 1553-1562 gedacht, welcher die fürstlichen Höfe mit Muscheln, Krabben und Seefischen versorgte und sonst noch Aufträge ausführte, auch Baumaterialien lieferte. Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts machte Alkopf wegen seines langen treuen "Dienstes" Anspruch auf ein ihm verschriebenes "Deputat" an Vieh und Korn und auf ein "gutes "Hofkleid." Er war also, wenn auch später Kaufmann und Hoflieferant, ursprünglich Hofdiener.
Ueber diesen Dienst gibt das folgende Creditiv Auskunft, welches von dem Herrn Dr. Crull zu Wismar im Wismarschen Archive entdeckt und in Abschrift gütigst mitgetheilt ist, und welches auch nach andern Seiten hin willkommene Aufklärung giebt.
Denn Ersamen vnserenn lieben getrewen Burgermeister und Ratmhann vnser Stadt Wisßmar.
Vonn gotts genaden Albrecht hertzog zu Megkelenburgkh, Furst zu Wendenn .
Vnnseren gunstigen grus zuuor. Ersamen lieben Getrewen. Wir habenn kegenwertigen vnseren Wurtzkuchenmeister Hinricuss Alkopf Etzlich gewerbe An Euch zu tragen beuolhen. Demnach vnser genedigs vnd guttlichs begeren, Ir wollett Ime In demselbigen seynem Anbringen diss mals gleich vnfs selbsst Gentzli=
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chen und volkomlichen Glauben geben vnd zustellenn vnd sich hierein Guttwilligk vnd vnbeschwerlich bzeigen. Das wollenn wir hinwider kegen Euch In genaden vnd Allem gutten zu erkennen geneigt. Datum Gusstrow Freytags Nach Laurentii Anno . XXIX °.
Hiernach war also Heinrich Alkopf im Jahre 1529 des Herzogs Albrecht von Meklenburg=Güstrow "Würzküchenmeister." Dieser Titel, welcher gewiß sehr selten ist und vielleicht nur an dieser Stelle vorkommt, ist von "Würze oder Gewürz," auch wohl "Kraut" genannte abgeleitet. Alkopf wird also das gewesen sein, was man jetzt einen Mundkoch oder Hof=Conditor nennt; später ward er in Wismar Bürger, Hausbesitzer und Kaufmann und nach jetzigen Begriffen "Hof=Lieferant und Delicatessenhändler," was seinem erlernten Berufe nahe lag.
Nach des Herrn Dr. Crull anderweitiger Mittheilung starb Heinrich Alkopf im Jahre 1565.
G. C. F. Lisch.
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In den Jahrbüchern sind wiederholt, namentlich in Jahrgang II. und IX., die im Lande Stargard, dem jetzigen Großherzogthum Meklenburg=Strelitz, gelegenen Johanniter=Comthureien Mirow, Nemerow und Gardow (Comthurei) behandelt, von denen Gardow wohl eine alte Stiftung war, aber bald mit Nemerow verbunden ward. Außerdem wird die Johanniter=Priorei zu Braunschweig oft in nähere Verbindung mit den meklenburgischen Johanniter=Stiftungen gesetzt. So war im J. 1302 der Stifter der Comthurei Nemerow, verbunden mit Gardow, Ulrich Swave zugleich Comthur von Braunschweig, Nemerow und Gardow (vgl. Jahrb. IX, S. 32 und flgd.). Aber wenn auch die Güter der verschiedenen Stiftungen immer getrennt verwaltet wurden, so scheint doch die Regierung der Ordenshäuser oft willkürlich verschiedenen Personen ohne Rücksicht auf die Comthureien anvertraut gewesen zu sein. Ulrich Swave war z. B. 1298 Comthur zu Nemerow und Braunschweig; während aber 1322 Georg v. Kerkow nur Comthur zu Nemerow war (vgl. Jahrb. IX, S. 264), war 1313 der bisher unbekannte Heinrich Korff Comthur zu Mirow und wahrscheinlich zu Braunschweig. Dies geht aus folgender von dem Herrn Archivrath v. Mülverstedt zu Magdeburg im herzoglich=
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sächsischen Archive entdeckten Urkunde 1 ) hervor. Am 13. Decbr. 1313 schloß nämlich Heinrich Korff, Johanniter=Comthur zu Mirow, mit dem S. Antonius=Hause Lichtenburg (in Sachsen) einen Vergleich, durch welchen er die zwischen ihnen streitig gewordene Kirche der Stadt Prettin (in Sachsen) dem genannten Antoniter=Hause abtrat. Diese Kirche liegt nun sehr weit von Mirow. Vielleicht erklärt sich diese Abtretung aber dadurch, daß die Kirche zu Prettin zu dem näher gelegenen Ordenshause Braunschweig gehört hatte; denn Heinrich Korff datirt die Unkunde auf seinem Hofe Braunschweig ("datum in curia nostra Bruneswich"). Es scheint hieraus hervorzugehen, daß Korff auch Comthur zu Braunschweig war. Dieses engere Verhältniß zwischen den Ordenshäusern Mirow und Braunschweig läßt sich noch in jungem Zeiten verfolgen; so z. B. verlieh am 17. April 1553 der Johanniter=Ordensmeister dem Joachim v. Holstein die Comthurei Nemerow und die Priorei Braunschweig, so wie die Anwartschaft auf die Priorei Goslar.
Es wird bei dieser Gelegenheit jetzt willkommen sein, die im Staats=Archive zu Schwerin in neuern Zeiten entdeckten Siegel, die ältesten bildlichen Denkmäler, der
Comthurei
Mirow. Comthurei Nemerow
1359. Juli
13. 1347. Septbr. 29.
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Comthureien Mirow und Nemerow, in den hierbei stehenden Abbildungen kennen lernen zu können.
Anlage.
Die Johanniter=Comthurei Mirow tritt dem
Antoniter=Ordens=Hause Lichtenburg (in der
preußischen Provinz Sachsen) die zwischen ihnen
streitig gewordene Kirche zu Prettin (in
derselben Provinz) durch Vertrag ab.
D. d.
Braunschweig. 1313. Decbr. 13.
Nos frater Henricus dictus Korf commendator domus in Mirowe totusque conuentus ibidem, ordinis hospitalis sancti Johannis Jerosolimitani, tenore presentium recognoscimus publice profitentes, quod omnis dissentionis et discordie materia, que inter nos et fratres ordinis nostri, ex vna, et religiosos viros et fratres ordinis sancti Anthonii, parte ex altera, vertebatur super ecclesia in Prethin et iure ipsius, prout subiungitur per compositionem amicabilem finita est totaliter et sopita, ita videlicet quod nos et fratres nostri antedicti, nostro et ordinis nostri nomine, omni iuri et actioni, que nobis auf ordini nostro in ipsa ecclesia in Prethin aut prouentibus seu iuribus ipsius vndecumque seu qualitercumque conpetebant, voluntarie ac beniuole renunciauimus: immo sine omni exceptione iuris uel facti, legum uel canonuni, eadem ecclesia omni iure presenti et futuro, si quod habuimus, in fratres et ordinem sancti Anthonii predictos per nos et ordinem nostrum plenarie est translata. Ne etiam renunciatio et translatio huiusmodi a quoquam calumpniari in posterum poterit vel infringi, nos Henricus dictus Korf commendator et conventus predicte domus bona fide promittimus ac nos presentibus obligamus, quod si medio tempere in curia Romana in causa dicte ecclesie, que ibidem ventilatur, seruatis quibuscumque processibus, pro ordine seu fratribus nostris aut contra ipsos sententia tuerit promulgata, nichilominus tamen ea, que premissa et ordinata sunt, ordo et fratres nostri iam dicti omnia et singula nullo quesito colore inuiolabiliter obseruabunt. Super quibus etiam magister ordinis nostri suas patentes litteras eins sigillo sigillatas ordini et fratribus sancti Anthonii supradictis ad maiorem premissorum euidenciam erogabit atque laudabit, approbabit, ratincabit et ex certa scientia confirmabit. In
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quorum omnium euidens testimonium sigillum nostre domus in Mirowe predicte seu conuentus presentibus est appensum. Actum et datum in curia nostra Bruneswich, anno domini millesimo CCC° vicesimo tercio, idus Decembris.
Nach dem Originale mit fehlendem Siegel aus dem Antoniter=Ordens=Hause zu Lichtenburg im Sachsen=Ernestinischen Commun=Archiv zu Weimar s. R. Reg. Or pag. 748. B. No. 9. mitgetheilt durch den Herrn Archivrath v. Mülverstedt zu Magdeburg.
In dem Stadt=Zeugebuche von Wismar, 1518-1530, wird 1528, sonnavendes Marci euangeliste, "Jurgen Rauen compter thor Mirow" als fürstlicher Commissar in einem Streite zu Wismar genannt. Dieser bisher unbekannte Comthur wird also zwischen Melchior Barffus (1514-1527) und Liborius von Bredow (1528-1541) einzuschieben sein. Vgl. Jahrb. II, S. 84, flgd. - Dr. Crull.
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In den Jahrbüchern XXXVIII, 1873, S. 25 flgd. und XXXIX, S. 97 flgd. habe ich das "Land Drenow" (terra Drenow) zwischen der Unter=Warnow und der Abtei Doberan am Meere, jetzt größten Theils zum Domanial=Amte Doberan gehörig, nachgewiesen und den Wendischen Namen Drenow durch "Holzland oder Hagenland" erklärt.
Hinterher ist noch die folgende Nachricht über eine andere "Drenow" im Staats=Archive entdeckt, welche auf der Insel Poel lag.
Inn derfuluen kerckenn is noch ein Furstenlehen
to deme Altare glick gegenn der funte ouer
liggende, hefft her Johann Mei[n]en, ime dath
Bullenberch resignirt,
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dem hertich Albrecht dat vorlent vnnd ock nu her Johann Meynen wedder verlenet hefft Anno . XXVII.
De pechte darto XLIII M. geweset inn vortidenn vnnd scholen noch by XXXV M. sin, vnnd sindt vp deme lande to Pole in etlichen gudernn nutetlicken, alße VIII Rockhoner mit der pacht vann denn pachtgeuernn vnnd noch ein stucke gudes de Drenow genannt, daruan schall de vicarius hebbenn VI M. jerlich, vnnd desse Drenow hort dem vicario mit aller rechticheit vnd herlicheit hogest vnnd sydest ann denn densten, den hebben de Furstenn, vnnd vp desse Drenow hefft geftann en huß, darinne der fursten jacht lach, wenner se dar jageden efft jagenn letenn dar vp dem lannde. Datßulige huß hefft Hinrich Stralendorp dem Manne, de darin wanede, weltlich da lebrackenn vnnd van dar in ßine guder geuoret vnangesehenn des fursten hertich Albrechts geleide, dar de man mit seinem gude inne gewesen vnd noch is, vnnd hefft deßulue Drenow to sinem kroge gelecht vnnd brucket der gelick sins eigenn gudes, vnnd de Jacht in sinenn katenn gelecht. So moten nu de lude vann dem ganzen Lande vngeuerlich by II I drompt haueren darto geuen vnnd entbert dem vicario de VI M. daruan jarlich.
Hiernach war "die Drenow" auf Poel ohne Zweifel auch ein Holz oder Gehölz, bei welchem die Fürsten ein Jagdhaus besaßen, von wo sie ihre Jagd auf Poel trieben. Der Name Drenow ist hier ohne Zweifel noch ein Gattungsname (nomen appellativum), während der Name für das Land bei Doberan schon ein Eigenname (nomen proprium) geworden war.
Die Abgaben von dieser Drenow gehörten zu einer Vikarei der S. Nicolai=Kirche zu Wismar, welche 1534 und später der Priester Johann Meyne als Vikar zu S. Nicolai von den Fürsten zu Lehn trug.
Diese Drenow hatte um diese Zeit Heinrich v. Stralendorf gewaltsam in Besitz genommen, das Jagdhaus abgebrochen und das Feld zu seinem Kruge, wahrscheinlich in Kirchdorf, gelegt, von wo er die Jagd ausübte. Heinrich v. Stralendorf besaß in dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts Strömkendorf vor der Insel Poe und Goldebee und auch Antheile an dem ganzen Lande Poel, welche seine Vorfahren 1418 durch Kauf erworben hatten.
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Es ist die Frage, wo diese Drenow auf Poel zu suchen ist. Wahrscheinlich lag sie nicht weit von dem Hauptorte Kirchdorf, wo die Fürsten etwas später ein großes Schloß baueten, wahrscheinlich bei Seedorf 1 ). In einem "Register, was die Fürsten und die Geistlichen auch das Hospital zum Heil. Geiste und die Stralendorf zu Goldebee und Zurow an Geld und anderer Einkunft auf dem Lande Pole jährlich zu heben haben," vom Jahre 1552, werden Ulrich's v. Stralendorf und auch noch des verstorbenen Herrn Johann Meyne Pächte aus Seedorf folgendermaßen aufgeführt:
Sedorp.
Clawes Munt:
XII s. Olrich Stralendorp.
XII s. tho her Johann Meynen pacht.
Achim Berchane:
XII s. Olrich. Stralendorp.
XII s. Tho zeliger her Johan Meynes lhen.
Jacob Geistmann.
I I m. tho zeliger her Johan Meynes lene.
I I m. Olrich Stralendorp.
Clawes Swarte ----------
Hermen Lemmeke ----------
Diese hier aufgeführten Pächte, welche der Vicar Johann Meyne aus Seedorf bezog, sind ohne Zweifel die Hebungen, welche derselbe zu seinem Lehn hatte. Und hier müssen wir also die Drenow suchen.
Bei dem nahen Oertzenhof steht auf der sonst waldlosen Insel noch ein Eichengehölz, genannt der Schwarzenbusch, nach dem frühern Gehöfte Schwarzenhof, von dem frühern Besitzer Schwarz so genannt. Dieses Gehölz könnte noch ein Rest der Drenow sein 2 ).
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In Gegenwart der Vornehmsten seines Landes zu Sachsen, unter denen sich namentlich auch die Bischöfe und die Grafen von Ratzeburg und von Schwerin befanden, setzte Herzog Heinrich der Löwe im Jahre 1167 zu Lüneburg die Grenzen des Bisthums Ratzeburg fest, nachdem er sich mit dem Metropolitan verständigt und die Einwilligung des Bischofs von Verden erhalten hatte, welcher ältere Rechte geltend machen konnte 1 ). Veranlassung gab wohl, daß das bisher zur Diöcese Ratzeburg gehörige Land Schwerin in Folge der Verlegung des Bischofssitzes von Meklenburg nach Schwerin dem nunmehrigen Schweriner Sprengel und zur Entschädigung dafür dem Bischofe von Ratzeburg das Land Bresen überwiesen worden war, welches bis dahin einen Theil der Diöcese Meklenburg gebildet hatte. Freilich ist es auffallend, daß die betreffende Urkunde den größten Theil der neuen Grenze ganz allgemein angiebt, während sie den übrigen, schon
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vordem bestehenden Tract mit großer Präcision beschreibt, doch dürfte sich dies aus dem Umstande erklären, daß dort namhafte Oertlichkeiten fehlten, welche als Grenzmarken dienen konnten. In Betreff des Anfanges der Grenze sagt die Urkunde: gegen Morgen sind die Grenzen das Wasser, aqua, welches Wissemara heißt, und so aufwärts gen Mittag das Wasser Stivina und von da auf aufwärts in das Wasser Lusnusnizia und aufwärts und abwärts, wo die Länder der Briezaner und Schweriner sich scheiden.
Das scheint nun allerdings ziemlich klar zu sein, aber es wirft sich doch, wenn man diese Beschreibung auf der Karte verfolgen will, sogleich die Frage auf, ob man unter der aqua, que Wissemara dicitur, der älteren Meinung 2 ) nach den aus dem Mühlenteiche im Osten der Stadt Wismar dem Hafen zufließenden Bach, welcher jetzt keinen besonderen Namen führt, zu verstehen hat, oder ob einer neueren Deutung 3 ) gemäß die Bucht von Wismar, wie dieselbe von Pöl und der Liepz abgeschlossen wird, gemeint ist. Jene, die ältere Ansicht, dürfte aber durchaus den Vorzug verdienen, denn abgesehen davon, daß zur schließlichen Bestimmung die Küste vom Fluvius ducis bei Lübek an, also auch die der Bucht von Wismar, bis zum Ausgangspunkte der Grenze als solche genannt wird, so handelt es sich doch zunächst um diesen, und würde derselbe sehr wenig glücklich in der Wismarschen Bucht angegeben sein, da nur deren westliches Ufer zu Ratzeburg gehören sollte und ein fließendes Wasser eine viel genauere Bestimmung bietet, indem dessen Mündung den Anfang, sein Lauf aber den weiteren Zug der Grenze in präcisester Weise anzeigt. Dazu kommt, daß alle namentlich angegebenen Grenzmarken der Urkunde bis auf den Glindesbroc (bei Vorrade, südlich Lübek) Flüsse oder Bäche sind, welche letztere sie als aquae oder, in buchstäblicher Uebertragung, Auen bezeichnet, und daß der fragliche Bach bei Wismar das einzige Mal, wo derselbe urkundlich vorkommt 4 ), gleichfalls geradezu die Aa genannt wird. Auch begegnet nirgends sonst der Name aqua Wissemara oder Wissemara schlechthin für die Bucht, denn der portus, qui dicitur Wissemer, in der gefälschten Bewidmung des Bisthums Schwerin und
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der kaiserlichen Confirmation derselben von 1211 5 ), sowie das Vizmarhofn der Knytlingasaga 6 ) und gar dat Wismerdep, welches sich nicht vor dem fünfzehnten Jahrhunderte finden dürfte, können nicht in Betracht kommen, da Urkunden wie Sage zu einer Zeit entstanden, wo es bereits ein Dorf zu der Wismar gab, in dessen Flur der zum Hafen dienende Winkel der Bucht mit dem Ausflusse der Aa belegen war; daß man den Hafen dann nach der Ortschaft, zu welcher er gehörte, benannt hat, braucht nicht in Abrede genommen zu werden und ist natürlich genug. Endlich wäre es auch unpassend gewesen, das Dorf (später die Stadt) nach der Bucht to der Wismer zu nennen, da dasselbe von dieser ziemlich entfernt gegründet war, während es, wie sich zeigen wird, unmittelbar an dem Bache lag, welchen wir eben als aqua Wissemara verstehen. Nehmen wir also an, daß die Aa ursprünglich den Namen de Wissemara führte * ), so wird dieselbe so geheißen haben bis in den heutigen Mühlenteich hinein, welchen man sich für die Zeit unserer Urkunde hinweg und an seine Stelle ein nicht zu weites, mäßig tiefes Thal - die größte im Mühlenteiche mittelst einer Stange gefundene Tiefe beläuft sich auf 11 Fuß - denken muß, inmitten dessen zwei Bäche zur Bildung der Aa sich vereinigten.
Der ansehnlichere dieser beiden Bäche entspringt in dem jetzt 300 Ruthen Rh. nördlich vom Schweriner entfernten, mit diesem seit dem sechszehnten Jahrhunderte künstlich verbundenen 7 ) See von Losten, fließt nordwärts und nimmt bald nach seinem Austritte aus dem genannten See an seinem linken Ufer bei Brusenbek ein Wasser auf, welches zwischen Niendorf und Hoppenrade, zwischen Gr.=Stiten und Losten, jetzt Fichtenhusen, die Scheide bildet. Dann fließt der Bach weiter nordwärts über die Mödentiner Mühle und wendet sich dem Burgwalle von Meklenburg gegenüber links, um sich in einem langgezogenen Bogen über Hof=Meklenburg,
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zwischen Metelstorf und Karow, zwischen Martensdorf und Steffin über die Walk= und Papiermühle, über die Rothenthors=Mühle, wo er auf dem linken Ufer die städtische Feldmark trifft, und über die Viereggenhöfer=Mühle bis zur Grönings=Mühle zu ziehen. Hier nimmt er wieder eine nördliche Richtung an, fließt über die Mühle zur Klus - dort tritt auch rechts die Wismarsche Feldmark an ihn heran - und ergießt sich etwa 250 Ruthen unterhalb derselben in das hintere Becken des Mühlenteiches. Gleich unterhalb Hof=Meklenburg nimmt unser Bach links einen Wasserlauf auf, welcher Gr.=Stiten von Kl.=Stiten trennt, und an derselben Seite bei Metelstorf einen von Scharfstorf herkommenden Zufluß, auf der rechten Seite aber treten im Teiche der Mühle zur Klus zwei Wasser zu ihm, deren eines von Dorf=Meklenburg und Rosenthal kommt - der "Wallensteins=Kanal" -, während das zweite von Triwalk her durch eine Niederung einfließt, welche die Sevetzow genannt wird.
Der andere der gedachten beiden Bäche, welcher von Südost in den Mühlenteich tritt, kommt von Kleekamp (Bresen) über Maslow, Levetzow und Grese her, an welchen Orten er, bevor die Entwaldung dieser und der benachbarten Güter noch nicht so weit um sich gegriffen hatte, wie gegenwärtig, Mühlen trieb, und trennt sich gegenüber dem Gehöfte zur Gr.=Vlöte in zwei Arme, von denen der linke und schwächere, die Vlota remotior, die Insel Cessin oder Sessin, d. i. die Große und Kleine Vlöte, an der Südseite abschließt und sich in das hintere Becken des Mühlenteiches, der rechte, stärkere aber, die Vlota propinquior 8 ), die Nordseite der genannten Insel begränzt und sich in das untere Bassin ergießt. Sehen wir nun die oben besprochene Aa bis zu dem Punkte im heutigen Mühlenteiche, wo die eben beschriebenen beiden Bäche sich bereinigen, aufwärts als die Wissemar an, so erkennen wir in dem von Losten kommenden, dem Schiffgraben, wie er heute officiell genannt wird, die Stivina der Urkunde 9 ). Dazu führt nicht allein der Umstand, daß der an diesem Bache gelegene, dem Hause zum H. Geiste in Wismar seit 1263 zuständige 10 ) Hof Steffin vormals als der Hof to der Stevinen 11 ), die oberhalb und unterhalb
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desselben belegenen beiden Mühlen aber als Antiqua Stevina und Nova Stevina 12 ) bezeichnet wurden, sondern auch und viel mehr, daß unser Bach bis hinaus nach dem heutigen Brusenbek Kirchspiele trennt, von denen die linksseitigen nach Ratzeburg, die auf dem rechten Ufer aber nach Schwerin gehören. Allerdings überschreitet freilich die zur Schweriner Diöcese gehörige Parochie Meklenburg mit Petersdorf und der Feldmark von Hof=Meklenburg den Schiffgraben, doch kann dies allein nicht wohl hindern, denselben für die Stivine oder Stevine zu erklären. Aus dem geringen Umfange dieses Kirchspiels wird nämlich mit Recht geschlossen, daß dasselbe der ursprünglichen Circumscription der Parochien nicht entstamme, wenn gleich die Errichtung einer Pfarre zu Meklenburg sehr frühen Datums ist, indem ein Pleban daselbst bereits 1223 genannt wird 13 ), und es dürfte eben annehmlicher sein, daß die Bischöfe aus Connivenz gegen die Wünsche des Landesherrn beiderseits zur Begründung einer Pfarrkirche neben dessen Stammburg fördernd zutraten, deren Parochie dem Schweriner Sprengel verblieb, da dieser den größeren Theil hergab und die Kirche auf dem rechten Ufer der Stevine lag, als den Ursprung des Kirchspiels aus der Zeit zu datiren, wo das Land Bresen noch der Schweriner Diöcese angehörte, dasselbe als die Parochie der bischöflichen Kirche von Meklenburg zu deuten * ).
Endlich spricht Alles dafür, daß man die von Niendorf kommende, bei Brusenbek in die Stevine fallende kleine Aue für die Lusnusnizia zu halten hat. Dieselbe wird gleichfalls als aqua bezeichnet, ist eine Grenzlinie und scheidet die Kirchspiele Beidendorf - Gr.=Stiten und Niendorf - und H.=Vicheln - Losten, beziehentlich Fichtenhusen, und
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Hoppenrade - somit aber auch die Diöcesen Ratzeburg und Schwerin, während die beiden anderen linksseitigen Zuflüsse der Stevine keine Parochial=, geschweige denn Bisthumsgrenzen bilden.
Lassen sich demnach letztere zwischen dem Schweriner See und Wismar deutlich erkennen, so sind sie doch innerhalb des städtischen Weichbildes mit der Zeit mehr verwischt worden und außer Betracht gekommen. In demselben liegt auf dem rechten Ufer der Stevine zunächst ein Haus, welches zu dem Mühlengehöfte zur Klus gehört und dessen Bewohner sich zur Pfarre S. Jürgen in Wismar halten gleich wie der auf dem linken Ufer wohnende Müller selbst, nicht aber mit Recht, da die Klus - und diese grade hat auf dem rechten Ufer gelegen 14 ) - zudem der Schweriner Diöcese unterstehenden Kirchspiele Lübow gehörte, wie sich aus einer Urkunde von 1467 ergiebt, laut welcher Diederich Bützow zum Grese eine Messe dotirte in einer Kapelle, welche damals in der Pfarre Lübow bei der Klus neu gebaut werden sollte 15 ) und. die wahrscheinlich identisch ist mit dem eremitorium sancte trinitatis in der Schweriner Diöcese, für das Katharina Wulf, eine Tertiarierin vom Orden des h. Franciscus, 1475 zu Rom einen im folgenden Jahre von Herzog Baltzer als Administrator zu Schwerin bestätigten Ablaß 16 ) erwarb. Der hier liegende Theil der Wismarschen Feldmark bis zu Triwalk und zur hinteren Vlöte, das Tesmerfeld, bildete die Flur des Dorfes Cessin, welches die Stadt 1383 von den von Lüchow kaufte und darauf gelebt hat 17 ).
Auf diesen Abschnitt folgt dann, getrennt von demselben durch die Vlota remocior, die Insel Cessin, welche die von Lüchow seit etwa 1276 an Wismarsche Bürger veräußert haben 18 ). Da diese 1287 den Zehnten davon beim Schweriner Kapitel ablösten 19 ), so ist zwar die Zugehörigkeit der Insel zum Schweriner Sprengel vollständig documentirt,
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jedoch nicht zu ermitteln, ob gleich dem Dorfe auch sie zur Lübowschen Parochie gehört. Wahrscheinlich ist dies aber, da sie nach Namen und ursprünglichen Besitzern von Hause aus mit dem Dorfe ein Ganzes gebildet haben wird und die an ihrer nördlichen Seite fließende Vlota propinquior als die ansehnlichere eher zur Grenze sich darbot als der hintere geringere Arm. Gegenwärtig ist das Gehöft Gr.=Vlöte nach S. Marien in Wismar eingepfarrt.
Welchem Kirchspiele aber, wenn nicht Lübow, könnte die Insel sonst angehört haben? Die jetzigen Gehöfte hinter dem Mühlenteiche sind zu S. Marien Parochie in Wismar gehörig, die vor dem Pöler Thore zu S. Nicolai, und Müggenburg, die kürzlich gelegte Hornstorfer Burg und die Kritzower Burg bilden mit Rohlstorf und Dorf Redentin die Parochie Hornstorf. Daß die ganze öftliche, rechts vom Mühlenteiche und der Aa belegene Hälfte des Stadtfeldes Theil der Schweriner Diöcese sei, besagt unsere Urkunde von 1167 allgemein und ist auch im Einzelnen anderweitig bestätigt 20 ), und daß derselbe, Cessin im ganzen Umfange ausgenommen, nach Hornstorf gehöre, läßt sich aus dem Grunde vermuthen, weil dies das nächste Kirchspiel ist. Freilich ist dabei auffallend, daß dies Pfarrdorf, wenn man sich die in der Wismarschen Feldmark aufgegangenen Ortschaften vergegenwärtigt, dem Mittelpunkte der Parochie so ferne liegt, aber es erklärt sich hinreichend aus dem Umstande, daß in Hornstorf eine Kirche erbaut, eine Pfarre errichtet worden ist an Stelle einer älteren, allerdings auch nicht im Centrum des Kirchspiels, aber doch bequemer gelegenen, der zu Alt=Wismar.
Von einem Orte dieses Namens giebt es jetzt keine Spur mehr, außer daß die Alt=Wismar=Straße in der Stadt und das Alt=Wismar=Thor, beide nach Osten führend, auf die einstige Existenz und die Lage eines solchen in dieser Gegend hinweisen, über welche dann die Nachrichten von Reimer Kock und Latomus 21 ), die ja beide in Wismar zu Hause gehörten, allerdings keinen Zweifel lassen. Daß zu der Wismar schon in Wendischer Zeit eine Niederlassung bestanden hat, ist eben so möglich wie glaublich, aber keines Falls kann dieselbe von Bedeutung gewesen sein, da Helmold ihrer überall nicht Erwähnung thut und Saxo Grammaticus sogar bei jener Gelegenheit den Ort nicht nennt, wo er zum Jahre
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1147 erzählt, daß das Dänische über See gekommene Heer sich mit dem Sächsischen an der Küste zum Zuge gegen Dobin (bei Vicheln) vereinigt habe 22 ), was doch nicht anderswo als bei Wismar, wie auch die Knytlingasaga ausdrücklich angiebt, geschehen sein kann. Der Grund, daß in dieser Gegend eine nennenswerthe Ansiedelung nicht bestand, ist auch klar genug, insofern eine solche den plötzlichen Ueberfällen und Raubzügen, welche der Zeit die Dänen in Wendland, wie die Wenden in Dänemark, auszuführen pflegten, allzusehr bloßgestellt gewesen sein würde, während die soviel früher genannten Lübek und Rostock durch die langen und schmalen Flußzugänge, auf denen fremde Fahrzeuge selbst bei Nacht der Aufmerksamkeit der Anwohner nicht entgehen konnten, bei Weitem mehr geschützt waren. Die Gründung einer Deutschen Kolonie und, wie wir gleich sagen wollen, die Errichtung einer Pfarre zu (Alt=) Wismar wird aber schwerlich nach 1178 stattgefunden haben, da in diesem Jahre bereits Pfarrherren von Kramon, Stük und dem nahen H. Vicheln erscheinen 23 ), die Bildung der Parochien der Schweriner Diöcese, wenigstens des westlichen Theiles derselben, demnach ohne Zweifel vor jenes Jahr fällt. Genannt werden in so früher Zeit allerdings aber weder Ort, noch Pfarre, noch Pleban zu (Alt=) Wismar, und eine zweifelhafte Spur zeigt sich erst, als aus dem portus, qui dicitur Wissemer, des Jahres 1211 eine namhafte Stadt, die Stadt zu der Wismar sich gebildet hatte. Im Anfange des ältesten Grundbuches derselben, welcher um das Jahr 1250 oder bald nachher datirt werden muß, wird nämlich ein dominus Arnoldus, der an einer anderen Stelle her Arnolt de kirchere heißt, nicht bloß als plebanus, sondern als plebanus Wismarie bezeichnet 24 ), und dieser Zusatz legt die Vermuthung nahe, Arnold als Pfarrherrn von Alt=Wismar anzusehen, da es in der Stadt derzeit schon drei Plebane gab, doch wird dieselbe dadurch wieder unsicher, erscheint der gedachte Zusatz als unnöthige Beithat, weil, wenn auch nicht gleichzeitig, so doch baldigst nachher, nämlich 1255, ein Arnold als Pfarrherr von S. Marien genannt wird 25 ). Ausdrücklich und bestimmt geschieht aber der Kirche zu Alt=Wismar
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und ihres Plebans Erwähnung in einem Testamente, welches den Jahren 1262-1272 angehört, und jener allein in zwei Testamentsentwürfen des Rathmanns Alkill, die kaum später als 1277 fallen dürften, in dem Testamente des Rathmanns Jakob Tesseke von etwa 1279 und in dem des Rathmanns Werner von Zütfen, welches den Jahren 1260-1282 entstammt 26 ). Nach dieser Zeit findet sich Nichts weiter von der Kirche, wohl aber begegnet noch 1286 ein Herr Johannes, der Pfarrherr von Alt=Wismar gewesen war und im Jahre darauf noch einmal als dominus Johannes de antiqua Wismaria erwähnt wird. 27 ) Einzig die 1266 zuerst genannte Mühle von Alt=Wismar 28 ) erhält noch für eine Weile das Andenken an den aufgegebenen Ort, der so in einem Transsumte von 1351 zuletzt vorkommt. Der Name findet sich lange nicht wieder in den spärlichen Archivalien der Stadt Wismar und nur erst im Jahre 1446 ist ein Mal von dem Kirchhofe von Alt=Wismar gelegentlich die Rede 29 ). Aus dem Ende desselben Jahrhunderts besitzen wir aber noch eine Anzahl Urkunden diesen Kirchhof betreffend, welche die parochialen Verhältnisse des östlichen Theils der Stadtfeldmark völlig ins Licht stellen. Vielleicht ein vernachlässigter Zustand des gedachten Kirchhofes, oder was es sonst gewesen sein mag, gab etwa gegen 1475 Wismarschen Bürgern Anlaß auf die Errichtung einer Kapelle auf demselben zu denken, welche zu Ehren der h. Jungfrau, des h. Kreuzes und des h. Franziscus gebaut werden sollte. Nun aber waren diejenigen, welche sich mit solchem Plane trugen, nicht des Vermögens, um allein und aus eigenen Mitteln den Bau auszuführen und die Einrichtung zu beschaffen, und suchten deshalb Beistand von den Gläubigen zu gewinnen, indem sie zunächst, anscheinend bei derselben Gelegenheit, als für die obengedachte Klause ein Ablaß in Rom ausgewirkt wurde, dort einen solchen auch für ihr Vorhaben erwarben 30 ), zu welchem sie einen zweiten am 15. August desselben Jahres von dem Administrator der Schweriner Diöcese, Herzog Baltzer, erhielten 31 ).
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Einige Tage später, am 26. d. M., vereinbarten sich dann, nachdem wohl eine Verständigung mit dem bischöflichen Stuhle vorausgegangen war 32 ), die Vertreter des Unternehmens, Drewes Voss und der Schuhmacher Hans Gramekow, in der Wedem zu S. Nicolaus in Wismar vor dem Schweriner Propste, M. Nicolaus Wittenborg, und dem Domherrn Thomas Rode mit dem Pleban zu Hornstorf, Nicolaus Mowe, wegen der in seiner Parochie auf dem Alt=Wismarschen Kirchhofe zu Ehren Gottes, seiner h. Mutter, aller Seligen und des h. Kreuzes - der h. Franz wird nicht genannt - als Tochter von Hornstorf zu erbauenden Kirche oder Kapelle.
Gemäß diesem Vertrage sollte dieselbe mit 100 M. Lübisch dotirt werden, so lange aber dafür noch keine Rente gekauft sei, der Pleban vom Tage der Einweihung ab jährlich 5 M. von den Vorstehern erhalten; würde eine höhere Rente erzielt werden können, so sollte das Mehr dem Pleban zu Gute kommen. Für solche 5 M. sollte derselbe in Person oder durch Stellvertreter jeden Montag eine Messe für alle gläubigen Verstorbenen, jeden Freitag eine vom h. Kreuze feiern. Wenn er sich darin nachlässig bezeigte, so sollten die Vorsteher mit dem Rathe zu Wismar ermächtigt sein, ohne Weiteres einen anderen rechtschaffenen Priester für die Messen zu bestellen. Die Einkünfte des Altars sollten dem Pleban allein verbleiben, andere Opfer aber, wie Wachs, Lichte, Wolle, Lein und dgl., und was mit den Beelden gesammelt 33 ) oder in die Blöcke gesteckt würde, der Kirchenfabrik zufallen. Weder an Sonntagen, noch an Werkeltagen, noch an Festtagen und ganz besonders nicht am Feste des h. Laurenz, des Hornstorfer Patrons, sollten fremde Priester ohne Erlaubniß des Pfarrherrn in der Kapelle Messe halten oder Sammlungen daselbst stattfinden. Würde derselbe aber seine Einwilligung nicht versagen, so sollte die Hälfte von letzteren ihm, das Uebrige der Fabrik gehören 34 .
Im folgenden Jahre, 1476, erlangte man dann noch einen Ablaß vom Bischofe Johann von Ratzeburg 35 ) und
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gewann auf solche Weise allmählich die Mittel, um den Bau zu beginnen. Vielleicht hat man das schon in dem oben genannten Jahre können. So vermuthete wenigstens auch Herzog Baltzer, der am 29. August den Bürgermeistern schrieb, sie möchten ihren Maurer, Hinrik Buxtehude, anhalten, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nämlich in der Kirche zu Bützow eine Kapelle zum h. Kreuze zu erbauen; sollte derselbe zum 1. September nicht in Bützow sein, so werde er, wenn der Maurer bei der neuen Kapelle vor Wismar arbeite, den Fortgang dieser Arbeit bei Strafe der Excommunication untersagen, auch die Weihung verhindern. Ob dieser Zwischenfall den Fortgang des Baues gestört hat, darüber liegt freilich nichts vor, doch wäre es schon möglich, da es mit demselben erst im Jahre 1481 dahin gediehen war, daß man an die Einweihung dachte. Jetzt aber erhoben sich Schwierigkeiten von Seiten des Raths, weil derselbe inzwischen gefunden hatte, daß der Vertrag von 1475 seiner Herrlichkeit zu nahe trete, insofern die Unternehmer des Kapellenbaues in jenem als Vorsteher anerkannt waren, während er die Ernennung von solchen für das auf der Stadt Freiheit belegene Gotteshaus, sowie auch die ausschließliche Bestellung eines Ersatzmannes für den nachlässigen Hornstorfer Pfarrherrn in Anspruch nahm. Mündliche Verhandlungen mit dem Schwerinschen Propste, welcher am 12. März in Wismar war, scheinen diesen von der Rechtmäßigkeit der Forderung des Rathes überzeugt zu haben. Er begab sich zurück und kehrte dann am 18. d. M. wieder 36 ), nachdem er mit Bischof und Kapitel conferirt und deren Einwilligung erlangt hatte, daß die früheren Vereinbarungen wegen der Kapelle für nichtig erklärt und aufgehoben sein sollten. Der Protest aber, welchen der Rath hatte abfassen lassen und ihm zur Besiegelung mitgegeben 37 ), war doch in Bützow bedenklich gefunden, und überbrachte der Propst daher einen anderen, welcher kürzer und allgemein gehalten und mit dem Schwerinschen Sachensiegel versehen war 38 ). Dabei haben sich die Wismarschen Herren zunächst auch beruhigt und am 16. Juni vor dem Propste einen neuen Vertrag mit Nicolaus Mowe abgeschlossen 39 ), in welchem
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nunmehr Bürgermeister und Rath als Contrahenten städtischerseits auftreten, übrigens aber dasselbe bedungen wird, was bereits vorhin mit den beiden Bürgern ausgemacht war; nur darin unterscheidet sich derselbe von dem früheren, daß einerseits die Rechte des Rathes in vollem Umfange anerkannt werden, andererseits aber bestimmt wird, daß bei Nachlässigkeit des Hornstorfer Pfarrherrn nicht ohne Weiteres ein anderer Priester bestellt, sondern zunächst erst Beschwerde bei den Oberen von Seiten der Vorsteher geführt werden soll. Man mochte glauben, daß nunmehr Alles in guter Ordnung sei und die Consecration der Kapelle vor sich gehen könne, aber dem Rathe waren neue Bedenken gekommen. Derselbe war, wie es scheint, schließlich doch nicht zufrieden mit der allgemeinen Fassung, welche man der Cassation des früheren Vertrages in Bützow gegeben, und mit dem Siegel, unter welchem dieselbe ausgestellt war, und setzte es durch, daß der Bischof nunmehr in der bereits im März ihm unterbreiteten Abfassung und unter seinem eigenen Siegel den alten Contract vom 26. August 1475 nochmals widerrief und für null und nichtig erklärte 40 ). Gleichzeitig verwahrte aber auch Bischof Nicolaus seine und des Propstes Rechte bezüglich der Kapelle in vollem Umfange: der Rath mochte gemeint haben, er könne die Kapelle auch wohl dem Ratzeburger Bischofe unterstellen. Endlich waren alle Schwierigkeiten beseitigt und die Einweihung konnte am Tage Aller Heiligen 1481 vor sich gehen 41 ).
In Betreff der weiteren Schicksale der Kapelle zum h. Kreuze ist bekannt, daß die Vorsteher derselben 1503 aus Rosenthal 4 M. Rente kauften und 1513 an einem Rentenkaufe aus Rosenthal, Karow und Losten sich betheiligten, daß in dieser Zeit der Kapelle der Kelch gestohlen wurde, daß 1519 die Vorsteher an vier Wismarsche Bürger Geld ausgethan haben, und daß 1523 die Kapelle testamentarisch bedacht worden ist, und wissen wir weiter, daß 1534 der Inhaber der Hornstorfer Pfarre über den schon 1519 als Provisor vorkommenden Jochim Krämer klagte, derselbe vorenthalte ihm 5 M. von der Kapelle zum h. Kreuze, und gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß Jochim
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Krämer die 5 M. nicht ausgezahlt hat, weil die Rente nicht verdient, der Gottesdienst in der Kirche eingestellt worden war 42 ). Als dann Herzog Johann Albrecht 1554 seinen Hof in Wismar baute, beauftragte er, vermuthlich kraft oberbischöflicher Gewalt, den Rentmeister Andreas Bessel, die Kapelle sammt der Klause abzubrechen und die Steine zum Schloßbau zu nehmen, doch widersetzte sich der Rath dieser Annectirung mit Erfolg und es kam erst 1563 zum Abbruche der Kapelle, deren Materialien mit Genehmigung des Herzogs Ulrich zum Baue der ersten Wasserkunst vor dem Alt=Wismar=Thore verwendet wurden 43 ). Der Kirchhof diente dann nach einem Zeugnisse von 1597 zum Begraben von Selbstmördern und war noch 1721 bekannt als die Stätte, wo die auf dem Markte gerichteten Uebelthäter beerdigt wurden. Damals wollte jemand ein Haus auf demselben bauen und seinen Hof bis an den Fischer= oder Mühlenteich haben. Bald darauf wird er als beim Schweinekruge und auf der (alten) Melkstelle gelegen bezeichnet 44 ), und auch M. Schröder hat offenbar den Platz wohl gekannt und sagt mit ungewöhnlicher Bestimmtheit, daß die Alt=Wismarsche Kirche am Fischerteiche gelegen habe 45 ). Nach der oben mitgetheilten Notiz von 1446 und diesen Nachrichten leidet es keinen Zweifel, daß sie, und also auch Alt=Wismar, in dem Winkel lag, welcher südlich von der vorderen Vlöte und westlich vom Mühlenteiche begränzt wird, und daß also die Parochie Hornstorf im Bisthume Schwerin bis an letzteren und die Aa hinanreicht.
Erwägt man zu dem Vorstehenden, daß Vinekendorp - das heutige Haffeld - am Eingange des Hafens 1260 46 ), Dorsten mit dem großen Moore 1277 47 ) und Dargetzow, gegen Kritzow gelegen, 1279 48 ) von der Stadt erworben und ihrer Feldmark einverleibt worden sind, und daß man nach den achtziger Jahren des dreizehnten Jahr=
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hunderts nicht weiter von Dorf, Kirche oder Pfarrherrn von Alt=Wismar hört, sowie daß dafür 1327 eine Kirche zu Hornstorf erscheint, welche denselben Patron hat, wie nach Maßgabe ihrer Münzen die Stadt Wismar, so wird man zu dem Schlusse kommen, daß, da die Bevölkerung der Parochie von Alt=Wismar durch das Aufgeben dieses Ortes und den Uebergang der gedachten Ortschaften in das Wismarsche Weichbild nunmehr auf den östlichen Theil des Kirchspiels beschränkt, eine größere Nähe ihrer Pfarrkirche derselben jedenfalls erwünscht, und der Stadt eine Kirche zu Alt=Wismar kein Bedürfniß, ja deren Beseitigung vielleicht sogar willkommen war, letztere verlassen und abgebrochen und dem Patrone der Parochie eine neue zu Hornstorf wieder erbaut worden ist. Dem Zeitpunkte, wo dies geschah, lassen sich aber eben keine engeren Grenzen stecken als die angegebenen Jahre 1280 und 1327; die Erwähnung des quondam plebanus spricht für das dreizehnte Jahrhundert, während der Umstand, daß das entfernte Ricquerstorp - das mit Redentin und der See grenzende Baumfeld - 1323 städtischer Seits erworben ist 49 ), die Verlegung der Kirche nach diesem Jahre anzunehmen empfiehlt. Cismerstorp, zwischen Ricquerstorp und Hornstorf liegend, ging dann 1379 auch in städtischen Besitz über 50 ): so erklärt sich die gegen den Umfang der benachbarten alten Kirchspiele auffallend geringe Größe des Hornstorfer, die freilich eben nur scheinbar ist, da dasselbe in der That neben den noch bestehenden, dorthin eingepfarrten Ortschaften die ganze östliche Hälfte des Wismarschen Weichbildes bis auf den nach Lübow gehörigen Theil umfaßt. Gehen wir nunmehr auf das linke Ufer der Stevine über, so weist das Ratzeburger Zehntenregister den dort liegenden Theil des Stadtfeldes dem Kirchspiele Proseken zu. Ein von Woltersdorf kommender Bach, die Köppernitz 51 ), tritt bei Dammhusen, vormals der Dammhusenschen Mühle, in das städtische Weichbild, nimmt seine Richtung nordwärts durch ein tief eingeschnittenes Thal fließend und ergoß sich vormals gleich hinter S. Jakobs Hof gradeswegs in die See, ist aber später abgedämmt und in den Neuen Teich,
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das Reservoir der Lübschen, ehedem dicht vor dem gleichnamigen Thore belegenen Mühle, geleitet worden. Dieser Bach trennt das Feld in zwei ungleiche Hälften, von denen die zwischen Stevine und Köppernitz gelegene größere die Feldmark Dammhusen ausmachte, während die kleinere hinter der Köppernitz gelegene zu Krukow gehörte. Letzteres wurde, nachdem bereits 1229 der rechts der Straße nach der Lübschen Burg, strandwärts befindliche Theil in städtischen Besitz übergegangen war 52 ), sammt der Mühle zur Köppernitz, der späteren Mühle von S. Jakob und diesem gegenüber, im Jahre 1300 angekauft 53 ) und bei dieser Gelegenheit vom Bischofe von der Parochie Proseken abgenommen und der Kirche S. Jürgens in Wismar zugewiesen 54 ). Daß der Bischof auch in Betreff des Dorfes Dammhusen, von dessen 31 Hufen neun schon 1260 in die Hände Wismarscher Bürger kamen und zu Stadtrecht gelegt wurden 55 ), während man den Rest 1299 ankaufte 56 ), zu einer Ueberweisung an S. Jürgen sich herbeigelassen habe, ist freilich nicht documentirt, dürfte aber um deswillen wahrscheinlich sein, weil Dammhusen näher an der Stadt liegt als Krukow. Jedenfalls gehörte Dammhusen im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts zu einer städtischen Pfarre und mit mehr als Wahrscheinlichkeit sammt allen auf seiner Feldmark erbauten Gehöften und Mühlen, wie noch heute, nach S. Jürgen 57 ).
Nicht so klar wie vor den Thoren der Stadt liegen die Diöcesanverhältnisse desjenigen Gebiets vor Augen, auf welchem man die Stadt zur Wismar erbaut hat. Im Jahre 1237 gehörte letztere freilich unzweifelhaft zum Ratzeburger Sprengel, da Bischof Ludolf zu jener Zeit dem Propste des neuen Klosters Rehna die geistliche Gerichtsbarkeit in Wismar und dem ganzen Lande Bresen übertrug 58 ), aber es ist auffallend, daß das bekanntlich in die Jahre unmittelbar vorher fallende Ratzeburger Zehntenregister dieser Stadt mit keinem Worte gedenkt, während es doch bei den übrigen notirt, ob dort Zehnten zu erheben oder nicht, und daß der Bischof in jener Urkunde neben dem Lande Bresen Wismar
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noch besonders nennt, da wir doch annehmen müssen, daß das Land sich bis an die Aa erstreckte, die Stadt also noch in demselben belegen war. Man könnte deswegen wohl dem Gedanken Raum geben, daß der dreikuppige langgestreckte, nach Norden sich senkende Hügel, auf welchem Wismar angelegt ist und dessen ursprüngliche Zugehörigkeit zu dem auf der anderen Seite der Aa gelegenen Alt=Wismar doch nicht in Zweifel gezogen werden kann, von Hause aus eben wie dieses zur Schweriner Diöcese gehört habe - wir sprechen selbstverständlich von der Zeit nach 1167 - und erst in der Folge, aber vor 1237 Ratzeburg zugefallen sei, wenn man dazu ins Auge faßt, daß der Mühlenteich außer der als aqua Wissemara erkannten Aa etwa dem Eintritte der vorderen Vlöte in sein unteres Becken gegenüber einen zweiten, gegenwärtig freilich gänzlich gesperrten Abfluß hat, welcher zunächst in südwestlicher Richtung, dann westlich und endlich nordwärts um die Südseite der Stadt herumfloß, so daß die vor Gründung derselben nicht practisch gewordene Frage, ob der östliche Abfluß allein oder auch der westliche gleicher Weise als aqua Wissemara und Grenzlinie zu betrachten sei, Differenzen über die Zugehörigkeit der neuen Stadt zu dem einen oder dem anderen Sprengel herbeigeführt habe. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß der zweite, links sich wendende Abfluß ein natürlicher sei. Die mittelalterliche Befestigung der Stadt, die Erweiterungen und Verbesserungen derselben im sechzehnten und im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts, Wallensteins Fortification, die Vervollständigung dieser durch die Schweden und deren neuer Festungsbau von 1680 ab haben freilich zusammen mit den Demolirungen aller dieser Werke und den Neuerungen der letzten fünfzig Jahre das Terrain rings um die Stadt wiederholt und so gründlich umgestaltet, daß die Localverhältnisse der früheren Zeit mit völliger Sicherheit kaum sich erkennen lassen. Erwägt man aber, daß die Stevine der bedeutendere Bach ist, so ergiebt sich auch die Wahrscheinlichkeit, daß dieselbe durch das Hinzutreten der schwächeren vorderen Vlöte nicht von ihrer Richtung abgedrängt worden ist, vielmehr letztere in dieselbe mit hineingezogen hat, und das um so mehr, als sie, nunmehr die Aa, in ihrem Laufe nach Norden kein entgegenstehendes Hinderniß, vielmehr eine weite Niederung vor sich fand, welche gegen die Mündung hin den Charakter einer tiefen Wiese annimmt, wogegen der fragliche südliche Abfluß in einem nahezu spitzen Winkel abbiegt, sein schmales, scharf eingeschnittenes Bett zwischen
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theilweise hohen Lehmufern durchgeht, und vom heutigen oder letzten, 1683 angelegten Meklenburger Thore ab das Land, welches er durchfloß, tief liegendes Weideland ist, welches erst hart am Strande morastartig wird. Es lag auch keineswegs außerhalb der Grenzen des Vermögens unserer Altvordern, unter Benutzung einer natürlichen Senkung des Bodens, dem Mühlenteiche, dessen Anlegung man sehr früh anzunehmen haben wird, auch nach Süden einen Abfluß zu schaffen, wie sich das aus den anderen Arbeiten ergiebt, welche in den ersten 25 Jahren nach Gründung der Stadt ausgeführt worden sind, denn ohne die Hülfsmittel zu besitzen, welche der Gegenwart für Erdarbeiten zu Gebote stehen, hat man damals den inneren Hafen geschaffen, hat die Frische Grube, die Salze Grube - jetzt Breite Straße -, und die Vogts= oder Faule Grube angelegt 59 ) und außerdem wohl auch die Stadt, wenigstens theilweise, mit einem Graben gesichert. Gleich diesen Arbeiten war aber auch jener zweite Abfluß des Mühlenteiches von großer Wichtigkeit, insofern derselbe nicht allein die Stadt auf der Südseite, hernach auch die fürstliche Burg, schützend abschloß, sondern auch die Anlegung eines Küterhauses, so wie der nach diesem genannten, 1688 weggebrochenen Mühle vor dem alten Meklenburger Thore 60 ) ermöglichte und weiter auch die Lübsche Mühle mit Wasser versah. Der einzige Umstand, welcher für den natürlichen Charakter des Grabens etwa in Betracht gezogen werden könnte, möchte die Erwähnung eines Wasserlaufes, rivus, in der Gegend der Faulen Grube unter dem Namen Owganc sein * ), doch dürfte dieser nur das von der nächsten Umgebung sich sammelnde Wasser aufgenommen und fortgeleitet haben und seine Lage auch zu östlich gewesen sein, als daß man ihn mit dem fraglichen Graben in Verbindung denken, ihn als ehemaliges unteres Bett desselben betrachten könnte. Sind diese Erwägungen annehmlich, so wird man auch den Gedanken an Grenzstreitigkeiten zwischen Ratzeburg und Schwerin wohl aufgeben und das Fehlen der Stadt im Zehntenregister irgend welchen anderen, vielleicht bloß äußerlichen Ursachen zuschreiben können.
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Was nun die Parochien in Wismar selbst anlangt, so ist zunächst bei der theils notorisch, theils offensichtlich planmäßigen Anlage der Städte im Wendlande die Gründung von Kirchen und Kirchspielen ohne Zweifel von vorne an ebenso wohl bedacht, wie die Einrichtung von Marktplätzen, Straßen, Thoren u. s. w. Nach Kirchberg soll Borwin Wismar fundirt haben, und es erscheint aus Gründen, die hier zu entwickeln oder zu wiederholen nicht der Ort, wahrscheinlich, daß dies im Jahre 1226 geschehen ist 61 ). Mag man dem nun zustimmen oder die Angabe eines, freilich recht späten Chronikanten vorziehen, welcher die Gründung Wismars in das Jahr 1228 setzt 62 ), so ist doch urkundlich sicher, daß dieselbe vor 1229 fällt und daß 1237 Kirchen in Wismar im Bau begriffen, also Parochien gebildet waren, woraus folgt, daß die Angabe Korners 63 ), die Stadt sei 1238 gegründet, nicht richtig ist. Dennoch könnte dies Datum immerhin nicht ohne Bedeutung für die Entstehungsgeschichte Wismars sein. Bisher schon ließen nämlich verschiedene Umstände schließen, daß die Stadt nicht von vorne herein in ihrer jetzigen Ausdehnung angelegt worden sei, sondern, wenn auch schon sehr früh, eine Erweiterung nach Westen hinaus erfahren habe, denn die beim Hause zum h. Geiste von der Lübschen Straße zum Hafen führende Straße heißt die Neustadt 64 ), im ältesten, den Jahren 1250 etwa bis 1272 entstammenden (Ober=) Stadtbuche werden ganz unverhältnißmäßig viele Erben als in nova civitate gelegen bezeichnet, und in einer Urkunde von 1269 wird der Pfarrherr zu S. Martin oder S. Jürgen, der westlichsten Kirche, als plebanus in nova civitate aufgeführt 65 ). Solche Muthmaßung hat aber ihre völlige Bestätigung durch eine Urkunde von 1270 gefunden, welche neuerlich im Archive der Stadt Bremen entdeckt ist; dieselbe sagt ausdrücklich, daß das Haus zum h. Geiste zwischen Altstadt und Neustadt erbaut worden 66 ). Diese Erweiterung und damit die Errichtung einer dritten Parochie,
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der zu S. Jürgen 67 ), kann nicht vor 1235 fallen, da die h. Elisabeth, welche zu den Patronen der Kirche gehört, erst in diesem Jahre canonisirt worden ist, und muß vor rund 1250 stattgefunden haben, da gleich auf dem ersten Blatte des gedachten Stadtbuches die nova civitas erscheint. Nehmen wir dann dazu, daß ebendort im Anfange auch schon der Uebergang mehrerer Häuser auf der Neustadt - im weiteren Sinne - in die zweite Hand verzeichnet ist, so scheint das Jahr 1238 nicht unpassend sich zu bieten, um von ihm die Stadterweiterung zu datiren * ).
Auf jeden Fall bestand die Parochie zu S. Jürgen 1255, da in einem Privilegium von diesem Jahre für das Haus zum h. Geiste, welches 1250 gegründet sein soll 68 ), ihr Pleban genannt wird 69 ). Ist bei solcher Gelegenheit dessen Competenz obenhin, später, 1269, ausdrücklich gedacht 70 ), so kam es zu einer Festsetzung der Parochialgrenzen doch erst im Jahre darauf, 1270, als der Landesherr das ihm zustehende Patronat dieser Kirche auf den Deutschen Orden übertrug. Die betreffende, eben in Bremen aufbewahrte Urkunde erklärt, daß die Grenzen der Parochie die ganze neue Anlage von dort an umfassen sollten, wo die Planken der Altstadt gestanden, und daß nur das zwischen dieser und der Neustadt erbaute Haus zum h. Geiste ausgenommen und bei seinen Privilegien bleiben sollte. Daß die Neustadt jenseits des Hauses zum h. Geiste begann, besagt freilich schon der Name der daranstoßenden Straße, aber es traten auch im Jahre 1874, als beim Sielbau in der Lübschen Straße gegraben wurde, unverhofft, wenn auch, da die Urkunde von 1270 bereits entdeckt war, nicht unvermuthet, aus einer Tiefe von neun Fuß sechs Jahrhunderte lang verborgene Zeugen dafür auf in den Resten des Bollwerks der Brücke, welche hier über den Graben in die Altstadt geführt hatte. Dasselbe lief von der östlichen Ecke des westlichsten Pfeilers an der Südseite der Kirche zum h. Geiste quer über die Straße auf die Scheide des östlichen Eckhauses an der Hohen=Straße zu und war offenbar die Bekleidung des äußeren Grabenbords. Aber auch jetzt noch ist die Grenze der Altstadt in dieser
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Gegend in so weit wahrnehmbar, als die Worthen der Grundstücke Nr. 543 auf der Nordseite der Lübschen Straße und Nr. 479 auf der Südseite auffallend und außerordentlich hoch gegen die westlich daran stoßenden gelegen sind * ).
Zieht man nun an der Ostseite der Kirche zum h. Geiste eine Linie nach Norden, so führt diese die Speicher=Straße entlang, durchschneidet die Breite Straße (Fossa salsa bis 1374) und läuft über den Ziegen=Markt (vormals: Bei der breiten Brücke, bei der Ankerschmiede, beim Pipensode) auf die Mündung der Frischen Grube in den Hafen zu. Verlängert man aber die gedachte Linie nach Süden, so trifft dieselbe in der Häuserreihe gegenüber dem h. Geiste auf die Scheide zwischen Nr. 480 und 481, welche nach dem Alten Stadtbuche vormals ein einziges Grundstück gebildet haben, und durchschneidet diesen ganzen Block sowie den Fürstenhof, läuft quer durch die Papen=Straße, durch die östliche Häuserreihe der Bliden=Straße, trifft die Kreuzungsstelle zwischen dieser und der Dankwarts=Straße und endlich die Stadtmauer westlich dicht beim alten Meklenburger Thore. Mit dieser Linie stimmt nun freilich die Parochialgrenze von S. Jürgen nur zum Theil überein und zwar nördlich bis zur Breiten Straße, südwärts bis gegenüber dem Fürstenhofe. Dort biegt sie westlich ab, läuft die Breite Straße hinab auf die jetzt rasirte Stadtmauer zu und überläßt also den Häuserblock an der Westseite des Ziegenmarktes an S. Nicolai, gegen Süden aber biegt sie östlich ab, geht die Keller=Straße (hinter der alten Schule) hinab, die Grüne=Straße, die Kleinschmiede=Straße und die Wind=Straße entlang bis zur Wind=Pforte, so daß also und zwar sicher schon 1517 - ältere Zeugnisse sind nicht bekannt 71 ) - die ganze untere Hälfte der Meklenburger wie der Dankwarts=Straße sammt der oberen Papen=Straße, welche der oben gedachten Linie nach zu S. Marien gehören würden, Theile der Parochie von S. Jürgen sind ** ).
Crain, welcher gleichwie früher schon Schröder 72 ) eine Erweiterung der Stadt nach Westen hin annahm, sah die
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Parochie von S. Jürgen für identisch an mit der Neustadt Wismar, so daß also der Tract des Plankwerks der Altstadt der heutigen Kirchspielgrenze und nicht jener oben beschriebenen Linie, welche vom h. Geiste südwärts etwa der Bliden=Straße nach auf das (alte) Meklenburger Thor zuführt, entsprochen hätte, und allerdings läßt sich Verschiedenes für diese Meinung sagen. Zunächst wissen wir nämlich von keiner zweiten Regulirung der Parochialgrenze nach 1270, welche den zwischen der heutigen Grenze vom Fürstenhofe ab und der Bliden=Straße liegenden Bezirk S. Marien abgenommen und S. Jürgen zugelegt hätte, zweitens würde, wenn die heutigen Grenzen nicht die ursprünglichen wären, S. Marien=Kirchspiel erheblich größer gewesen sein, als das doch zweifellos gleichfalls zur Altstadt gehörige Kirchspiel S. Nicolai, und endlich der Markt nicht so in nahezu gleicher Entfernung von den drei wichtigsten Landthoren gelegen haben. Zwingend sind diese Gründe freilich nicht. Daß die Lage in der Mitte zwischen den Hauptzugängen der Stadt für den Markt eine zweckmäßige und wünschenswerthe sei, ist allerdings gewiß, und daß man auch in Wismar nach einer centralen Lage gestrebt hat, um so wahrscheinlicher, als die Stadt auf einem Terrain erbaut wurde, welches eine möglichst bequeme Anlage gestattete; absolut nothwendig hat man aber eine solche Situation vormals nicht gefunden, wie die Altstadt Rostock und Stralsund beweisen. Was die verschiedene Größe der beiden alten Kirchspiele anlangt, so kann man zugeben, daß dieselbe etwas Auffallendes haben würde, aber theils wäre ein differenter Umfang doch nicht durchaus unstatthaft und theils wäre es auch möglich, wenn schon nicht recht wahrscheinlich, daß vormals die Grenze zwischen diesen Parochien nicht die Breite Straße, sondern die Böttcher=Straße entlang gegangen wäre, wodurch die Differenz zwischen beiden sich ausgleichen würde. Daß wir aber keine Nachricht von einer anderweitigen Grenzregulirung haben, scheint am wenigsten in Betracht zu kommen, da uns ja z. B. auch von dem Uebereinkommen keine Kunde erhalten ist, gemäß welchem die Kirchspiele Mühlen=Eixen und Dambek beim Bisthume Ratzeburg geblieben sind, während dieselben doch als Theile des Landes Schwerin nach den Bestimmungen der Urkunde von 1176 an das Schweriner Bisthum hätten fallen müssen. Dagegen dürfte dafür, daß die ursprüngliche Grenze der Altstadt und somit auch die von S. Jürgen nicht der heutigen, sondern ungefähr einer Linie folgte, welche der südliche Theil der Bliden=Straße angiebt, hervorzuheben sein, daß in jenem
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Falle ein etwanigen Angriffen auf die Stadt höchst günstiges Terrain vor den Planken sich befunden haben würde, während in diesem die Planken bis auf einen kleinen Abschnitt in der Gegend des Fürstenhofes am Rande des Hügelabfalles sich erhoben, Angriffe also einen ungünstigen Boden gefunden hätten, daß in jenem Falle weiter S. Marien mit dem Kirchhofe in ganzer Länge an der am meisten exponirten Stelle gelegen haben würde, und daß endlich die Anlage der vom Markte südwärts führenden Straßen - Meklenburger und Dankwarts= Straße - dazu nicht stimmt, insofern beide offensichtlich von vorne herein gleiche Bedeutung als Thorstraßen hatten und unmittelbar vom Markte abführend - die Hege ist höchst wahrscheinlich erst im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts entstanden - ihrer Richtung nach sich kaum näher dem Markte als jetzt vereinigen konnten. Trotz dieser Bedenken, die mir nicht ohne Gewicht und naheliegend erscheinen, muß man aber doch die Meinung, die Altstadt habe sich weiter nach Süden ausgedehnt, S. Marien Kirchspiel sei umfänglicher gewesen, als die jetzige Grenze mit S. Jürgen ausweist, aufgeben und Crain beitreten, daß diese letztere auch zugleich den Umfang der Altstadt bestimme, da beim Sielbau der untere Theil der Kleinschmiede=Straße, auf welchen auch die Richtung der Hege zuführt, im Gegensatze zu dem benachbarten Terrain, keinen Urboden zeigte, sondern schlammigen Schutt, der von Pfählen erfüllt war, so daß also dort die Vereinigung der später mehr westlich gelegten Dankwarts= und der Meklenburger Straße, der südliche Eingang der Altstadt sich befunden hätte.
Zwischen S. Marien und S. Nicolai Parochien bilden die Gärber=, die Bademutter= und die Breite Straße die Grenze und vermuthlich wohl von jeher, da dieselben einer natürlichen von Osten nach Westen sich hinziehenden Mulde folgen, welche die Altstadt in zwei Hälften scheidet.
Zum Schlusse ist noch von einer Kirche zum h. Kreuze zu sprechen, die innerhalb der Parochialgrenzen von S. Nicolai auf der Kuppe gelegen haben soll, wo das Kloster der Grauen Mönche stand. Die Existenz derselben ist angenommen theils auf Grund einer Nachricht in einer jetzt verlorenen Wismarschen Chronik über die Einsegnung des Fürsten Heinrich zu seiner Pilgerfahrt zum heiligen Grabe 73 ), theils auf Grund einer Inschrift, welche sich vor=
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mals im Chore des Franciscaner=Klosters auf einer Tafel befand und durch den Küster Hinrich Wolter im letzten Viertel des sechszehnten Jahrhunderts abschriftlich aufbewahrt ist 74 ). Letztere lautet nun freilich so, als wenn Johann der Theologe den Barfüßern 1252 oder richtiger wohl 1251 75 ) eine fertige Kirche eingethan hätte. Wäre das der Fall gewesen, so müßte die Kirche zum h. Kreuze eine Pfarrkirche gewesen sein, da man in jener Zeit noch genug zu thun hatte mit der Fertigstellung der Gotteshäuser für die Gemeinden und Niemand an Errichtung von Kapellen und Oratorien denken konnte. Dann müßte diese Pfarrkirche aber ein winzig kleines Kirchspiel neben S. Nicolai gehabt haben, es wäre denn, daß man annehmen wollte, diese vermeintliche Kirche sei die ursprüngliche Pfarrkirche des nördlichen Stadttheils gewesen, hernach aber, also 1251 oder 1252, aufgegeben und S. Nicolai=Kirche gegründet, die allerdings, aber jedenfalls nur zufällig, vor 1260 nicht genannt wird. Abgesehen jedoch davon, daß dies ein großer unmotivirter Luxus gewesen sein würde, so erscheint es durchaus nicht glaublich, daß man in jener Zeit hier zu Lande und noch dazu in einer Seestadt dem h. Kreuze eine Pfarrkirche sollte dedicirt haben, da man doch sonst in den Wendischen Städten außer U. L. Frau S. Peter, S. Jacob und den h. Nicolaus so ganz entschieden als Patrone bevorzugte und nur ganz besondere Gründe die Wahl anderer Heiligen zu solchen veranlaßten 76 ). Der wahre Sachverhalt ist ohne Zweifel der - und dazu paßt auch die lateinische Inschrift von 1283 77 ) sowohl, wie die Nachricht der anonymen Chronik, aus welcher Schröder unstatthafte Folgerungen gezogen hat -, daß die Barfüßer auf einem ihnen vom Landesherrn angewiesenen Platze zunächst eine Nothkirche errichteten und dem h. Kreuze
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weihten, welches in dem Leben ihres Ordensstifters so bedeutsam ist, in der Folge aber, als sie einen soliden Chor bauten, den h. Franciscus zum Patron erkoren, welchen auch das Conventssiegel zeigt, während das h. Kreuz sich im Siegel des Gardians erhielt 78 ). Nehmen wir diesen Zusammenhang an, so verdächtigen wir freilich die Zuverlässigkeit der deutschen Inschrift, doch wird es wohl erlaubt sein einen einzelnen Ausdruck derselben anzuzweifeln, nachdem bereits gradezu falsche Angaben von Jahreszahlen in derselben nachgewiesen sind, und es wird um so mehr erlaubt sein, als wir allem Ansehen nach die Inschrift nicht in ihrer originalen Fassung, sondern nur in einer Uebersetzung des gedachten Hinrich Wolter besitzen, dessen eigene chronistischen Aufzeichnungen ganz dieselbe Diction zeigen, wie seine "Affschrift". Somit wird es auch nicht nöthig sein, uns mit den möglichen Grenzen eines Kirchspiels des h. Kreuzes zu befassen.
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Ik Dyderk Butzow, knape, wonafftich to deme Gretze in deme kerspele to Lubow, van der gnade des almechtighen godes vornufftich, reddelke vnde wetende myner synne, starck, sund vnde vulmechtich alle myner ledemate, bekenne vnde betughe apenhare in desseme breue vor alle den gennen, de ene seen, horen edder lesen, dat ik mit vrigen willen vnde wol bedachtes modes vmme vormeringhe willen des denstes godes almechtich, Marien vnde alle der vterkoren des ewighen leuendes vnde ok vmme myner vnde myner eliken husfrowen, vnser olderen vnde vnser kindere zelen salicheyt willen vorgheue vnde vorlate, vorlate vnde vorgheue in krafft desses breues quiid vnde vryg myne ene houe landes beleghen tuschen deme Kritzower kerkstighe vnde deme landweghe, de dar gheyt van Lubow na der Wismer, myt aller tobehoringhe vnde schede, nichtes buten beschede[n], to ener ewighen myssen, de me holden vnde synghen schal alle sonnauende in de ere vnser leuen vrowen in der cappellen, de dar nu vp dat nyge schal buwet, bestedighet vnde wyget werden vor der Wismer by der klu e s in deme vorbenomeden kerspele to Lubow. Desse vorbenomede mysse schal de kerkhere to Lubow, de dar denne tor tiid to der stede siid, he sii denne recht kerkhere effte hurepape, holden vnde singhen effe holde[nr vnde singhen laten vp de vorscreuenen tiid in sodaner wiise, dat alle tiid vo e r der mysse schal me singhen de antiphona Alma redemptoris, vnde wannere id so in der tiid is, dat me singhen mach enen sequencien, so schal me singhen den sequencien Aue preclara, vnde bidden denne truwelken in der suluen mysse vor my vnde alle de gennen, dar ik des vor beghere. Dar schal de vorbenomede kerkhere to Lubow effte de genne, de de vorscreuen mysse holt vnde singhet, de wiile ik vnde myn
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elike husfrowe Alheyt leuen, hebben vnde rowelken vpboren de haluen ghulde vnde pacht van der vorscreuen houe landes. Wanner ouer ik vnde myn husfrowe beyde in god vorstoruen synt, so schal alle pacht vnde vpboringhe der vorscreuen houen hebben vnde rowelken sunder gennygherleyge behinderinghe vpboren de vorbenomede kerkhere to Lubow effte de genne, de denne ouer dat vorghande jar de vorscreuen misse holden vnde sunghen hefft. Vnde ik bidde othmodighen myt vlitigher andacht de erwerdighen vorsichtighen wysen heren borghermestere der vorbenomeden stad Wiismer, de nu tor tiid synt vnde to ewighen tiiden tokomende werden, dat se vmme godes vnde Marien wyllen de vorbenomede houe myt erer ghulde vnde pacht nemen in ere beschermynghe vnde leyde, dat lo e n dar wedder vor entfanghende van deme, de dar ys en beloner alles guden. Wereth sake, dat de vorbenomede kerckhere to Lubow de erscreuenen mysse vallen lete, so dat he effte nement van syner weghen de suluen mysse sunghe, so gheue ik den erbenomeden vorsichtighen borghermesteren tor Wysmer, de nu zynt vnde to ewyghen tiiden tokomende moghen werden, de macht na myneme dode, dat se dar enen vromen prester to selten vnde schikken, de desulue mysse vppe de vorscreuen tiid holde vnde synghe, so langhe dat de erbenomede kerckhere des pu e r wol to rade wert, de (!) he suluen de mysse singhe effte singhen late, vnde de sulue prester, de denne de mysse singhet, schal hebben na verlope der tiid alle pacht vnde ghulde, de van der erscreuen houe körnende ys. Vnde ouer alle de tiid, dat de vorbenomede cappelle nicht ghebuwet vnde wyget ys, schal me de erbenomeden mysse holden vnde synghen in der kercken to Lubow. Alle desse vorscreuenen stucke vnde articule laue ik Dyderk Butzow vorbenornet vor my stede vnde vaste myt alle mynen nakomehnghen sunder gennygherleyge wedderstal wol to holdende. Des to tuchnisse vnde bewaringhe hebbe ik myn eghen ingheseghel henghen heten nedden dessen breff, de gheuen vnde screuen is na godes bord dusent veerhundert in deme souen vnde sostyghesten iare des mandaghesz na alle godes hilghen daghe.
Nach dem Originale im Rathsarchive zu Wismar mit der Registratur Desse breff horth to der klues. Das angehängte Siegel mit dunkler Platte enthält einen Schild, dessen unteres Drittel geschacht ist, während die beiden oberen einen vorwärts gekehrten Ochsenkopf zeigen. Umschrift:
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Balthazar, dei gracia dux Magnopolensis, princeps Slauie inferioris, comes Zwerinensis, Stargardie et Rotzstock terrarum dominus necnon eadem et apostolice sedis gracia ecclesie Zwverinensis in spiritualibus et temporalibus pastor et administrator, vniuersis et singulis Cristifidelibus vtriusque status et sexus hominibus presentes nostras litteras intuentibus, lecturis et legi audituris salutem in eo, qui mortificat et viuificat, deducit ad inferos et reducit. Assuete pietatis offitio congruit, vt, vbi cultum diuinum adaugeri conspicimus, diligenter intendamus, ut, quod pusilli nequeunt perficere, plurimorum saltem deo deuotorum manibus solidetur. Sane itaque comperimus, quod quidam Cristifideles zelo deuocionis accensi certam capellam lapideam in honorem intemerate virginis Marie, sancte crucis sanctique Francisci confessoris et Cristifidelium animarum salutem de prope et extra muros opidi Wiszmarie in cimiterio Antiqua(!) Wiszmar nostre Zwerinensis diocesis construere et perficere deo auxihante proponunt. Cum autem non habeant in propriis, vnde tarn laudabile propositum perficere poterint, nisi saltem piorum manibus ad id pie succuratur, ideoque nos Balthazar, princeps et administrator supradictus, omnibus et singulis Cristifidelibus nobis subiectis vere penitentibus, ore confessis et corde contritis, qui ad fabricam et structuram capelle supradicte pia et caritatiua subsidia contulerint elemosinasque suas pie dederint quique corporali manuum exercitio, concilio, auxilio uel fauore pro decore domus dei et iocunda habitacione glorie sue coadiuti fuerint et collaborauerint quique alios ad ea facienda pio zelo incitauerint piasque manus porrexerint adiutrices, quociens aliquot (!) horum huiusmodi fecerint, dummodo id canonice facere poterimus, de omnipotentis dei misericordia et beatorum Petri et Pauli, apostolorum
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eius, auctoritate confisi ouadraginta dies indulgenciarum de iniunctis eis penitenciis misericorditer in domino relaxamus, vt per hec et alia pietatis opera et caritatis exercitia, que ipsi fideles fecerint, ad gaudia prouehi mereantur sine fine duratura. In cuius fidem et testimonium omnium et singulorum premissorum sigillum nostrum presentibus nostris litteris duximus appendendum. Datum in ecclesia nostra cathedrali Zwerinensi sub anno a natiuitate domini millesimo quadringentesimo septuagesimo quinto, indictione octaua, ipso die assumpcionis virginis Marie, que fuit quinta decima mensis Augusti.
Ad mandatum prelibati illustris principis ac reuerendi patris domini, domini Balthazaris, ecclesie Zwerinensis administratoris, Hinricus Kochche, notarius publicus scripsit.
Nach dem Originale im Rathsarchive zu Wismar, an welchem mit einer roth gefärbten leinenen Schnur das große Siegel des Bischofs - Jahrb. VIII, S. 25 - angehängt ist.
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In nomine domini. Amen. Anno a natiuitate eiusdem millesimo quadringentesimo septuagesimo quinto, indictione nona, die vero dominica, vicesima sexta mensis Augusti, pontificatus sanctissimi in Cristo patris et domini nostri domini Sixti diuina prouidencia pape quarti anno quinto coram venerabilibus viris dominis Nicolao Wittenborch, ecclesie cathedralis Swerinensis preposito, et Toma Roden, eiusdem ecclesie canonico, in mei notarii publici testiumque infrascriptorum ad hoc specialiter vocatorum et rogatorum presentia personaliter constituti honorabiles viri dominus Nicolaus Mowe, ecclesie parrochialis in Horenstorp dicte Swerinensis diocesis plebanus, et Hans Gramekow et Drewes Vos, incole siue opidani opidi Wismariensis, Raceburgensis diocesis, volentes, ut asseruerunt, in honorem omnipotentis dei sueque matris intemerate Marie virginis omniumque electorum in gloria dei participum et precipue in honorem salutifere crucis necnon in refrigerium animarum omnium fidelium defunctorum et aliorum siue aliarum sanctorum siue sanctarum precipuum in cimiterio antique Wismer, vulgariter de Olde Wismer kerkhof nuncupato, sub dicta parrochia Hornstorp situato, vnam nouam ecclesiam siue capellam vt et tamquam filiam in Hornstorp erigere, fundare, instaurare, situare, edificare et nouiter creare eamque, ut premittitur, erectam, fundatam, instauratam, situatam, edificatam et nouiter creatam dotare et pro dotata habere, de consensu et voluntate ordinarii et plebani pro tempore existentium desuper habitis ordinauerunt, statuerunt, disposuerunt, approbauerunt et vnanimi consensu voluerunt, ratificauerunt et pro ratho habere voluerunt hunc modum siue ordinacionem subsequentem, videlicet quod dicti fundatores, prouisores siue ordinatores Hans Gramekow et
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Drewes Vos auf eorum vicetenentes debent huiusmodi capellam nouiter erectam cum centum marcis Lubicensibus eiusdem monete dotare et easdem eidem pro dote assignare et contribuere, ita tamen, quod illis temporibus, quibus huiusmodi centum marce ad subleuandum annuales redditus non sunt imposite uel fructus aut prouentus annuatim emonendi pro eisdem non sunt empti, tunc dicti prouisores aut eorum successores dicto plebano aut eius sequaci a tempere dedicacionis et extunc annuatim quinque marcas Lubicenses soluere et expagare [tenentur]. Illis vero centum marcis inpositis et de consensu plebani, si pro eisdem aliqualis summa pecuniaria annuatim emonenda empta fuerit, et si summa sic empta summam quinque marcarum excreuerit, illud totum cedet in usufructum plebani pro tempore existentis et cedere debet. Quarum quinque marcarum siue annualium reddituum vigore plebanus pro tempore existens debet per se aut submissas personas omni septimana duas missas, vnam videlicet die Lune pro fidelibus defunctis, aliam vero die Veneris de sancta cruce, celebrare aut facere celebrari illo adiecto, quod, si plebanus in Hornstorp in huiusmodi missarum celebracione aut earum ordinacione tepidus auf negliens (!) fuerit, extunc dicti prouisores vna cum consolatu Wismariensi et eorum successoribus vnum alium probum et honestum presbiterum siue sacerdotem ad dictas missas seruandas et celebrandas possunt aut valent ordinare plebani in Hornstorp aut cuiuscunque contradictione non obstante. Oblaciones vero, et que altare contingunt siue que ad altare offeruntur, solius plebani vsui reseruentur, alie vero oblaciones, videlicet sera, lumina, lana, linum et huiusmodi, et que ponuntur ad ymagines seu ad truncos: proprietas earundem veniet in vsus structure et conseruacionis in esse eiusdem capelle. Nemo eciam sacerdotum extraneorum absque consensu plebani in festiuitatibus aut aliis diebus, feriatis siue non feriatis, et precipue ipso die Laurencii, quando celebratur patrocinium in Hornstorp, poterit aut valeat missas in dicta capella celebrare nec tunc eciam erunt ibidem peticiones publice cum ymaginibus quoquomodo. Quod si plebano consenciente contingeret, tunc medietas cedet in vsus plebani, reliqua medietas structure reseruetur. Super quibus omnibus et singulis dicti domini, prepositus videlicet et plebanus, vna cum procuratoribus siue prouisoribus sibi a me notario publico infrascripto vnum uel plura publicum seu publica pecierunt fieri instrumentum et
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instrumenta tot, quot forent necessaria. Acta fuerunt hec Wismarie anno, indictione, die, mense et pontiticatu, quibus supra, hora vesperarum uel quasi in domo dotis parrochialis ecclesie sancti Nicolai confessoris Wismariensis, pretacte [Raceburgensis diocesis], presentibus ibidem honorabilibus uiris dominis Nicolao Langhen, eiusdem ecclesie cappellano, Johanne Hoppener, Hinrico Remensnider et Conrado Buwman, presbiteris dicte Raceburgensis diocesis, testibus ad premissa habitis, vocatis specialiter et rogatis.
Et ego Hermannus Bigade, clericus
Raceburgensis
S. diocesis, publicus sacra
imperiali auctoritate notarius,
quia . . . .
Nach einem Original=Instrumente im Rathsarchive zu Wismar.
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Balthazar van gades gnaden hertoge to Mekelnborgh, furste to Wenden, greue to Zwerin, der lande Stargarde vnde Rozstok here vnde vorwesere der kercken vnde stichtes to Zwerin.
Vnnse gunstige grute, ersamen leuen ghetruwen. Vns hehben wol mangk anderen worden to erkennende geuen vnse leuen getruwen radt vnde vorestendere der kerken vnser stadt Butzsow, wodanewysz ze ouer langes euer e e ns ghekomen synt myt mester Hinrik Buxstehude myt juw wonafftich vmme ene nye capellen an de ere des hilgen cruces yn de kerken to Butzsow to murende, dar he sick een deels gudliken ane bewiset hefft vnde en vort in der yegenwardicheit heren Dideric Bru o ns louen gaff vnde sick vorwilkorde wedder vp dat sulffte werck to komende vnde vort to murende, alz he meyst konde, bysunderen vp sunte Laurentii dach, dar ock de zuluen vnse vorestendere vmme to em ouer ghekomen synt vnde bodeschop by em ghehat hebben zodanes vort to vullenthe e nde, des he sick alle tydt gudwillich gebaden vnde louen to gesecht heff[t], vnde doch. nycht vullentoghen effte geholden hefft, dar vnse leue radt vnde vorestendere to groteme schaden vmme ghekomen synt vnde moyenisse vmme lyden, dat ze tome latesten nicht mogen mede hen dulden. Des, ersamen leuen getruwen, alz vns zodane capelle mede an kumpt to vullenthe e nde, ys vnse gantze menynge vnde bidden fruntliken, gy den vpgenanten mester Hinric sunder zument vor juw vorbaden vnde en myt ernste vnder wisen, dat he noch holde, alz he ghelouet hefft, vnde nu amme erstkomenden sondage Egidii to Butzsow ane twifel ouer kome to vullenthe e nde noch, alz he ghelouet hefft. Anders dencken wy vnde vnse radt allen hynder vnde schaden
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deshaluen gheleden gestliker efft werliker wise myt ernste van em to manende. Ock villichte alze de sulffte mester Hinrik vp dit ma e l arbeidet to der nyen capellen vor vnser stadt Wiszmer, dat an vnseme gebede vnde stichte to Zwerm is, so wille wy myt rechte vorbeden, dat zodane capelle by deme banne van nemande vurder gebuwet werde. Ok wyllen wy yd vorbeden vnde hynderen, dat de capelle nicht ghewyet schal werden, so verne desse vnse menynge nicht gantzliken to ende vullentogen werdt. Dar wy ock wedder op begeren juwe scrifflike antwordt by desseme vnseme yegenwardigen. Gescreuen dorch vnses gehetes wegen to Butzow amme dage Johannis decollacionis vnder vnseme yngeseghele ad causas anno etc. lxxvi°.
Den ersamen vnsenn leuen getruwen borgermeisteren
vnser stadt Wiszinar samentliken vnde bisunderen.
Nach dem Originale im Wismarschen Rathsarchive.
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Nicolaus, dei et apostolice sedis gracia episcopus Zwerinensis, coram vniuersis et singulis, quos infrascriptum tangit negocium, quorum interest uel intererit quomodolibet in futurum, per has nostras patentes recognoscimus litteras, quomodo a quodam contractu pridem celebrato et concordia inita inter nos ex vna et discretos viros Andream Vosz et Johannem Gramekow eorumque consortes, opidanos opidi Wismarie Raceburgensis diocesis, partibus ex altera occasione capelle sancte crucis communiter nuncupate, constructe in veteri cimiterio sito extra dictum opidum Wismariense, in nostra tamen Zwerinensi diocesi, et erecte, et presertim de et super jure patronatus eiusdem capelle necnon et disposicione, ordinatione ac proprietate quacumque in totum ex certa nostra sciencia in presencia venerabilis viri domini et magistri Nicolai Wittenborch, prepositi, tociusque capituli ecclesie nostre Zwerinensis resiliuimus ac in presenciarum resilimus. Eundem quoque contractum, vt premittitur, super jure patronatus, disposicione et ordinacione dicte capelle aut alias quoquomodo initum et conceptum penitus et in toto rescindentes nullius decernimus esse firmitatis et momenti munimentaque et documenta inde ante datum harum litterarum concepta ac per honorabilem virum dominum Arnoldum Schroder aut quoscumque alios huiusmodi cause notarios et tabelliones extensa et conscripta, si qua fuerint, spectabili consulatui Wismariensi aut cuicumque alteri non debere futuris temporibus preiudicium generare nulliusque esse roboris aut firmitatis. In cuius rei euidens testimonium sigillum nostrum pro nobis nostrisque successoribus ex certa nostra sciencia presentibus est appensum. Datum et actum in castro nostro Butzow anno a natiuitate domini millesimo quadringentesimo octuagesimo primo, die decima quinta mensis Marcii.
Nach der unbesiegelten Ausfertigung im Wismarschen Rathsarchive.
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Nicolaus, dei et apostolice sedis gracia episcopus Zwerinensis, coram vniuersis et singulis, quos infrascriptum tangit negotium, quorum interest uel intererit quomodolibet in futurum, per has nostras patentes recognoscimus litteras, quatenus a contractu asserto celebrato et concordia inita, vt dicitur et asseritur, mter nos et discretos viros Andream Vos et Iohannem Gramekow eorundem [que] consortes opidanos opidi Wismarie Raseborgensis diocesis occasione capelle sancte crucis communiter nuncupate, constructe in veteri cimiterio sito extra opidum dictum Wizmariense, in nostra tamen Zwerinensi diocesi, et erecte in totum ex certa nostra sciencia resilimus eundemque contractum quomodolibet sic initum et conceptum, vt asseritur, tenore presentium in toto et parte rescindentes nullius volumus et decernimus esse firmitatis et momenti, munimenta et documenta inde ante datum harum litterarum concepta, extensa et conscripta, si qua fuerint, nemini preiudicium debere generare, nullius esse roboris aut firmitatis. Datum in castro nostro Butzow anno domini M° CDlxxx primo, decima quinta mensis Marcii sub sigillo, quo ad causas vtimur, inpenso in fidem premissorum.
Nach dem Originale im Rathsarchive zu Wismar, dem ein Siegel von Thalergröße mit rother Platte angehängt ist. Dasselbe zeigt einen linkshin fliegenden Adler und hat die Umschrift:
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Nos Nicolaus, dei gracia episcopus Zwerinensis, coram vniuersis et singulis, quos infrascriptum tangit negocium, quorum interest vel intererit quomodolibet in futurum, per has nostras patentes recognoscimus litteras, quomodo a quodam contractu pridem celebrato et concordia inita inter nos ex vna et discretos viros Andream Vos et Iohannem Gramekouwen eorumque consortes, opidanos opidi Wyssmer Raceburgensis diocesis, partibus ex altera occasione capelle sancte crucis communiter nuncupate, constructe in veteri cimiterio sito extra dictum opidum Wissmer, in nostra tamen Zwerinensi diocesi, et erecte, et presertim de et super jure patronatus eiusdem capelle ac dispositione, ordinatione et proprietate quacumque in totum ex certa nostra sciencia in presencia venerabilis viri domini et magistri Nicolai Wittenburgh, prepositi, et capituli ecclesie nostre Zwerinensis resiliuimus et in presenciarum resilimus. Eundem quoque contractum, vt premittitur, super jure patronatus, disposicione et ordinatione dicte capelle aut alias quoquomodo initum et conceptum penitus et in toto rescindentes nullius decernimus esse firmitatis et momenti munimentaque et documenta inde ante datum harum litterarum concepta ac per honorabilem virum dominum Arnoldum Scroder siue quoscumque alios huiusmodi causa notarios et tabelliones extensa et conscripta, si qua fuerint, spectabili consulatui Wyssmariensi aut cuicumque alteri non debere futuris temporibus preiudicium generare nulliusque esse roboris aut firmitatis. Prefatam tamen capellam a diocesi nostra per premissa non abdicamus, ita quod aliquis alius diocesanus alterius diocesis eam consecrando aut officium pastorale inibi exercendo sibi premissorum occasione vsurpare valeat, sed omnia jura episcopalia nobis et successoribus nostris eiusdem
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capelle casu occurrente reseruamus, jure tamen domini prepositi Zwerinensis pro tempere ante omnia semper saluo. In cuius rei testhnoniuni sigillum nostrum ex certa nostra sciencia presentibus est appensuni. Datum et actum in Castro nostro Butzowe anno domini millesimo quadringentesimo octuagesimo primo, antepenultima die mensis Augusti.
Nach dem Originale im Wismarschen Rathsarchive. Angehängt ist das Siegel des Bischofs mit rother Platte, rund, von Thalergröße. Dasselbe zeigt eine Mutter Gottes, unten durch zwei Schilde verdeckt, rechts den bischöflichen, links den der von Pentz mit einem Bischofsstabe hinter dem Löwen. Umschrift:
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Vonn gots gnadenn Virich, Herzogk zw Meckelburgk etc.
Vnsern gunstigenn grus zuuorn. Ersame liebe getreuwenn. Wir haben euwer Schreibenn belangendt die Wasserkunst, damit Ir itzo zu erbauwenn im wergk seyt, empfangenn vnnd, was Ir derwegen weiter vnderthenigk suchenn vnnd bitten thut, daraus gnedigk vornommenn, Seindt demselbenn euwerm zimblichenn bittenn nach gnedigk zufriedenn, dass Ir die inn euwerm Schreibenn gemelte Clawse, für dem Alten Wismarischenn Thor belegenn, so fer Ir die zu ahngezogener notturfft gebrauchenn wherdet, abnemett, Wellichs wir euch nebenn dem, dass wir euch mit gnadenn gneigtt, hinwider zu gnediger antwurt nicht woltenn vorhalten. Datum Buetzouw, denn 13 Augusti Anno lxiii.
Den Ersamen vnsern lieben getreuwen Burgermeistern
vnd Rathmannen vnser Stadt Wismar.
Nach dem Originale im Wismarschen Rathsarchive.
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Von einer verwandtschaftlichen Beziehung zwischen den Regenten von Meklenburg und den schottischen Königen ist bisher freilich nichts bekannt gewesen; dennoch ist solche unzweifelhaft. Es hat nämlich der jüngst verstorbene, seiner Zeit in den öffentlichen Blättern viel genannte päpstliche Archivar Augustin Theiner aus den Registern des Vaticans ein zu Lyon am 20. Mai 1248 gegebenes Schreiben veröffentlicht, in welchem Papst Innocenz IV. der Schwester des Königs von Schottland auf ihre Bitte, trotz dem entgegenstehenden Statut des Cistercienser=Ordens (welches Frauen vom Besuche der Mönchsklöster ausschloß), gestattet, mit sechs würdigen Frauen das Cistercienser=Kloster Doberan in der Schwerinschen Diöcese, dessen Gründer ihr Gemahl, der Edle B. von Rostock sei, jährlich zwei= bis dreimal zu Andachtsübungen zu betreten.
Der Wortlaut des Briefes ist nach Theiner, Vet. monumenta Hibernorum et Scotorum historiam illustrantia (Romae, 1864), p. 50, folgender:
"Innocentius episcopus etc. dilecte filie nobili mulieri . . ., sorori carissimi in Christo filii nostri . . . illustris regis Scotie, salutem etc. Pium arbitramur et congruum, ut in hiis prompti simus ad gratiam, que profectum respiciunt animarum, presertim circa personas nobiles, que pura fide conspicue deo et ecclesie sunt devote. Hinc est, quod nos, tue nobilitatis precibus annuentes, ut cum sex matronis honestis monasterium de Doberan, Cisterciensis ordinis, Zwerinensis diocesis, cuius nobilis vir B. de Rozstoc, maritus tuus, fundator existit, bis vel ter in anno causa devotionis intrare valeas, eiusdem ordinis statuto contrario non obstante, tibi auctoritate presentium conferimus facultatem. Datum Lugduni, XIII. kal. Junii, pontificatus nostri anno quinto."
König von Schottland war im Jahre 1248 Alexander II., welcher seit 1214 regierte und im Jahre 1249 starb; sein Vater und mithin auch der Vater der Fürstin von
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Rostock war König Wilhelm I. von Schottland, welcher in der Geschichte den Beinamen "der Löwe" führt.
Nicht so klar ist aber auf den ersten Blick, welcher Edle Herr von Rostock der Gemahl dieser schottischen Königstochter war. Da der Papst denselben nicht durch einen sonst üblichen Zusatz, wie z. B. "quondam maritus tuus", oder "maritus tuus piae memoriae", oder "maritus tuus felicis recordationis", als bereits verstorben erwähnt, auch das Präsens "existit", nicht das Perfectum "exstitit" gebraucht, so ist man leicht versucht anzunehmen, "B" sei der damals (1248) regierende Herr von Rostock Heinrich Burwin III., und nicht dessen Vater, der am 5. Juni 1226 1 ) verstorbene Fürst Heinrich Burwin II., welcher in den Urkunden in der Regel sich nur Heinrich, gelegentlich 2 ) aber doch auch "Heinricus Burwinus dei gracia dominus in Rozstoc" genannt hat.
Indessen stößt man mit dieser Annahme bei genauerer Betrachtung auf unüberwindliche Hindernisse. Denn erstens geben alle bisher bekannt gewordenen Urkunden uns nur von einer Gemahlin Burwins III. Nachricht, und diese war im Jahre 1248 längst nicht mehr am Leben; dies war Sophie, eine dänische Königstochter. Ueber deren Herkunft kann kein Zweifel bestehen; denn auf ihrem Siegel 3 ), welches an einer Urkunde vom 15. Februar 1237 hängt, hält sie als den väterlichen Schild in ihrer Linken den dänischen Königsschild mit den 3 Leoparden über einander. Sie starb spätestens in den ersten Monaten des Jahres 1241. Denn in einer Urkunde 4 ), welche Burwin III. am 24. April 1241 dem Kloster Dargun gab, gedenkt der Fürst ihrer bereits als verstorben: "quondam vxoris nostre, domine Sophie, filie regis Swetie". Den Irrthum, als ob sie die Tochter eines Königs von Schweden gewesen wäre, werden wir dem Concipienten dieser Urkunde zuschieben müssen; wahrscheinlich legte das Kloster Dargun dem Fürsten diesen Brief ausgefertigt zur Besiegelung vor. Denn der Annahme, daß Fürst Burwin III. seine Gemahlin Sophie von Dänemark bald nach dem 15. Februar 1237 verloren, dann eine schwedische Prinzessin gleiches Namens heimgeführt habe, bis zum 24. April 1241 aber zum andern Mal Wittwer geworden sei, steht entgegen, daß er hier und auch in einer andern Urkunde für das Kloster Dargun vom 14.
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September 1252 5 ) nur von einer verstorbenen Gemahlin spricht ("ad salutem anime domine S., nostre coniugis iam defuncte"). Diese geborne Prinzessin von Dänemark, Sophie, war die Mutter Waldemars, des Sohnes und Nachfolgers von Burwin III.; Waldemar selbst gedenkt ihrer so 6 ): "matris videlicet nostre, domine Sophie".
Indessen, wenn wir freilich auch sonst keine einzige urkundliche Spur davon finden, daß Burwin III. sich nach 1241 zu einer andern Ehe entschlossen hätte, so möchte vielleicht jemand eben aus dem in Rede stehenden Schreiben des Papstes Innocenz IV. doch folgern, daß jener Fürst im Jahre 1248 in zweiter Ehe mit einer schottischen Königstochter gelebt hätte.
Diese Vermuthung wird aber aufs Bestimmteste widerlegt durch des Papstes Angabe, daß der Gemahl der schottischen Prinzessin Gründer des Klosters Doberan sei. Als solcher konnte Burwin III. in keiner Weise bezeichnet werden, da die Gründung dieses Klosters weit vor seiner Lebenszeit lag. Vielmehr erweist eben jene Bezeichnung als fundator des Klosters Doberan unzweifelhaft, daß mit "B. de Rozstoc" Burwins III. Vater, Herr Heinrich Burwin II. von Rostock, gemeint ist. Denn als 1227 Fürst Heinrich Burwin I. starb, waren seine 4 Enkel: Johann, Nicolaus, Heinrich Burwin (III.) und Pribislaw, noch sämmtlich unmündig, Burwin III. also sicher nicht vor 1205, wahrscheinlich aber noch etliche Jahre später, geboren; die Aufrichtung des Klosters zu Doberan - anstatt des im Jahre 1179 von den Wenden zerstörten Klosters zu Althof - ward aber schon im Jahre 1186 vom Bischof Berno und vom Fürsten Burwin I. begonnen, und diese neue Stiftung gewann einen gewissen Abschluß durch die Urkunde vom Jahre 1192 7 ), durch welche Burwin I. dem Kloster Doberan den alten Güterbesitz bestätigte und vermehrte. In dieser Urkunde gedenkt Burwin I. aber ausdrücklich der Zustimmung seiner beiden Söhne, Heinrich Burwins II. und Nicolaus: "de consensu filiorum nostrorum Henrici et Nicolai monasterium dotauimus memoratum." Hatte aber Heinrich Burwin II. zur Ausstattung des Klosters 1192 seinen Consens ertheilen müssen, so durfte er mit Recht der Ehre genießen, zu den Gründern des Klosters gerechnet zu werden.
Ueber die Gemahlinnen Heinrich Burwins II. besitzen
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wir nun bis jetzt sehr wenig Nachrichten. Die Tafel, welche früher im Chor der Franciscanerkirche zu Wismar hing und nur durch eine Abschrift im Kirchenbuche erhalten ist, meldet von Johann I. 8 ): "Johannes Theologus, eyn hertogk (!) tho Mekelnborch van der Linie der koninge Obotritorum vnd eyn szone hern Hinrici Burewini, syn mutter Sophia, des konings to Sweden dochter". - Diese Nachricht ist uns nur aus dieser, dem Ausgange des Mittelalters angehörenden Quelle bekannt, und die Form der Ueberlieferung erweckt an sich wenig Vertrauen; da aber die Angaben der genannten Tafel auf ältere Aufzeichnungen zurück gehen, und die Franciscaner zu Wismar im 13. Jahrhunderte in engen Beziehungen zu dem meklenburgischen Fürstenhause standen, auch sonst nichts dagegen spricht, so ist es immerhin sehr wohl möglich, daß die Mutter Johanns I., Sophia, eine Tochter des Königs (Karl?) von Schweden, war. Dann war diese eben die erste Gemahlin Heinrich Burwins II., und Christine, die Mutter seiner jüngeren Söhne: Nicolaus, Heinrich Burwins III. und Pribislaws, seine zweite Gemahlin, die ihn überlebte. Denn Nicolaus selbst nennt Christine seine Mutter ("matris mee domine Christine"), und zwar in einer Urkunde 9 ), welche von ihm etwa sechs Jahre nach des Vaters Tode, um 1232, ausgestellt ist. Damals lebte die verwittwete Fürstin Christine nach ihres Sohnes Angabe als geistliche Schwester und Clausnerin zu Satow ("soror Christina reclusa de Satowia"). Den Hof Satow hatte ihr Schwiegervater den Cistercienser=Mönchen zu Amelungsborn geschenkt und der Pfarre daselbst 1224 einen Sprengel angewiesen. Einer Dame, die mit dem Cistercienserorden in eine so nahe Beziehung getreten war und als geistliche Schwester bei einem Hofe dieses Ordens lebte, lag in der That die Bitte nahe, in dem von ihrem Gemahl mitgegründeten Cistercienserkloster Doberan von Zeit zu Zeit ihre Andacht verrichten zu dürfen. Bisher war ihre Abkunft unbekannt, und jene um 1232 von ihrem Sohne gegebene Urkunde das einzige Zeugniß von ihrem Leben. Aus dem oben von uns mitgetheilten Briefe des Papstes Innocenz IV. lernen wir nun also, daß die Fürstin Christine eine Tochter des schottischen Königs Wilhelm I. des Löwen war, und daß sie noch im Jahre 1248 lebte.
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Gelegentlich einer Reise durch Jütland, im Sommer 1875, habe ich in Horsens nach Reminiscenzen an die vier Prinzen und Prinzessinnen von Braunschweig=Lüneburg geforscht, welchen die Kaiserin Katharina II. von Rußland i. J. 1780 ein Asyl daselbst verschaffte.
Die Schicksale derselben, ihrer Eltern, und ihres älteren Bruders, des Zars Iwan III. von Rußland, interessiren auch für die Meklenburgische Geschichte wegen der Verwandtschaft dieser Familie mit unserem Fürstenhause.
Bekanntlich war Herzog Karl Leopold von Meklenburg=Schwerin mit einer Nichte Peters des Großen, Großfürstin Katharina Iwanowna von Rußland, vermählt. Dieselbe nahm seit 1722 mit ihrer Tochter, Prinzessin Elisabeth Katharina Christine, ihren Aufenthalt in St. Petersburg, wo letztere demnächst zur griechischen Kirche übertrat, den Namen Anna annahm, sich mit dem Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig=Lüneburg vermählte, und für ihren, i. J. 1740 gebornen, Sohn Iwan, den die Kaiserin Anna zu ihrem Nachfolger ernannt hatte, die Regentschaft übernahm. Schon i. J. 1741 durch Peters des Großen Tochter Elisabeth gestürzt, ward sie mit ihrem Gemahl und ihrer am 26. Juli 1741 gebornen Tochter Katharina zunächst in der Festung Dünamünde internirt, wo sie i. J. 1743 eine zweite Tochter, Elisabeth, gebar, und später nach Cholmogori, am weißen Meer, verbannt, wo sie die Prinzen Peter (1745) und Alexei (1746) zur Welt brachte, und bald nach ihrer letzten Entbindung starb.
Nachdem auch Prinz Anton Ulrich i. J. 1774 gestorben war, wurden 1780 seine genannten, in der Verbannung gebornen, Söhne und Töchter nach Horsens übergeführt woselbst sie, und zwar
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Prinzessin Elisabeth | am | 20. | Octbr. 1782, |
Prinz Alexei | " | 22. | Octbr. 1787, |
Prinz Peter | " | 30. | Januar 1798, |
Prinzessin Katharina | " | 7. | April 1807 |
gestorben und in der Klosterkirche beigesetzt sind.
Vgl. Russische Revue. Monatsschrift für die Kunde Rußlands. Jahrgang 1874. "Die Familie
Braunschweig in Rußland im 18. Jahrhundert."
Ich ermittelte in Horsens, daß sich ein Portrait der Prinzessin Katharina im Besitz eines Fräuleins Rosenkranz, im adligen Stift zu Roeskilde, deren Mutter Hofdame der Prinzessin gewesen war, befinde, und ließ einige Photographien von demselben (von der Größe des Originalportraits) nehmen. Ein Exemplar derselben hat Se. Königliche Hoheit der Großherzog von mir entgegen zu nehmen geruht, das beifolgende erlaube ich mir, dem Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde zu überreichen.
Dömitz, den 29. Mai 1876.
Schlettwein, Amtmann.
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In Jahrbüchern V, S. 48, ist nachgewiesen, daß der im Süden des alten Schlosses belegene Flügel "mit dem Schloßuhrthurm", der sogenannte "Heinrichsbau" oder des "Herzogs Heinrich Neues Haus", an der Stelle der jetzigen hintern Ausfahrt, der Schloßgartenbrücke gegenüber, von dem Herzoge Heinrich dem Friedfertigen in der Zeit 1520 bis 1525 erbauet war. Diese Zeit paßt aber wohl nur auf einen Theil dieses Gebäudes. Wahrscheinlich ließ aber der Herzog in folgenden Jahren das Haus noch bedeutend erweitern. Dies geht aus dem folgenden, von dem Herrn Dr. Crull im Wismarschen Archive jetzt aufgefundenen und hier mitgetheilten Schreiben des Herzogs Heinrich an den Rath der Stadt Wismar vom 7. März 1535 hervor, nach welchem der Herzog den Rath um Beurlaubung des Meisters Achim des Maurers ersuchte, welchen derselbe im Jahre vorher zum Maurermeister seines angefangenen neuen Gebäudes angenommen hatte, da es Zeit zum Beginn der Arbeit sei.
G. C. F. Lisch.
Vnnsernn gunstigen Grues zuuorn. Ersamen lieben getrewen. Weyl wir denn vorm Ihare mit Ewerm zulassen, bewilligung und guthem willen Meister Achim den Maurer bey Euch vor vnserm Maw[r]meister alhie zu Swerin vnsers Newen angefangen gebewes angenommen haben, Vnnd es nun vmb die tzeit ist, das wir zu arbeyten anheben lassen werdenn, Dartzu wir seyner nottorfftigk sein, So ist demnach vnser gutlichs bogern, Wollet demselben Ewerm mitburger vergonnen, das er vff vnser erfurdern sich alher verfugen unb dieselbe vnser arbeith furnemen muge. Mit gutwilliger ertzeigunge in dem thut Ir vns gefallen, Wedderumb kegen auch in gnaden zu erkennen. Datum Swerin, Sontags Letare (7. März) Anno . XXXV.
Den ersamen vunsern lieben getrewen Borgermeistern vnd Rathmannen vnser Stadt Wysßmar.
Nach dem Original auf Papier im Wismarschen Rathsarchive.
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Die Angabe auf S. 37, daß Francke "in jenen Jahren" Berlin überall nicht besucht habe, gilt nur von den Jahren 1710-13. Von seinem Aufenthalte zu Berlin im J. 1709 heißt es in dem Schreiben eines Unbekannten vom Mai 1713, welches in den mir leider zu spät zugegangenen "Neuen Beiträgen zur Gesch. A. H. Francke's" von Kramer (Halle 1875) S. 127 abgedruckt ist: "Dieser Mann" (Francke) "War vor viertehalb Jahr" (also im Spätherbste 1709) "nach Hofe berufen, der Königin in Errichtung der dortigen Armen=Anstalten zu assistiren, that auch solches nach bestem Erkenntniß, und benahm zugleich der Königin, indem er fast täglich ein, zwei, auch mehr Stunden mit derselben in geheimer Unterredung war, überdies in dero Zimmer wöchentlich zwei= bis dreimal in Gegenwart des Hofes einen Sermon hielt, ihre vorgefassete irrige Meinungen in Religions=Sachen, zu der Königin, auch des Königs besonderen Vergnügung. Inzwischen sahen die reformirten Geistlichen hierüber sehr scheel, daß ein Lutheraner so frei und glücklich in Aula predigte, richtete[n] demnach eine Faction auf gegen diesen Mann, und brachten es dahin, daß ihm fürs erste angesagt ward, er solle sich wieder zu seinem Amt nach Halle verfügen, obwohl die Commission zu Einrichtung des Armenwesens noch nicht zu Ende gebracht war; darnach hat man in den Thoren ein Verbot gegeben des Inhalts, daß dieser Mann nicht wieder in die Stadt gelassen werden solle." - Die Glaubwürdigkeit dieses Berichtes, der über Pöllnitzens Angaben noch hinausgeht, müssen wir dahin gestellt sein lassen.
Dr. F. Wigger.
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In der Gegend um Waren, nördlich und nordwestlich an den Müritzgewässern, sind häufig Werkstätten von Steingeräthen entdeckt, auf welchen sich zahlreiche Feuersteinsplitter, Späne, Messer, Pfeilspitzen, sowie Abfall aller Art, verworfene und zerbrochene Stücke, auch hin und wieder Geräthe aus anderen Steinarten, ganz oder in Bruchstücken, finden, namentlich wiederholt bei Eldenburg, Klink, Jabel und Damerow. Alle diese Stätten sind jedesmal oft in den Jahrbüchern beschrieben (vgl. Jahrb. VII, S. 46, und X, S. 262). Die Veranlassung dazu hat wohl die Kreide gegeben, welche bekanntlich in dieser Gegend weit umher ansteht und oft viel Feuerstein enthält. Herr Gymnasiallehrer Struck zu Waren hat eine neue, bis dahin noch nicht bekannte Manufacturstelle zu Eldenburg bei Waren, an dem Ausflusse der Elde aus der Müritz, zwischen der Müritz und dem Cölpin=See, entdeckt. Die Stelle liegt auf einer sandigen Fläche hinter Eldenburg, welche nach der Elde (der Reke) hin steil abfällt. Hier lagen zerstreut Topfscherben, fast alle ohne Verzierungen,
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in großer Menge und abgeschlagene Feuersteinsplitter, auch einige andere Alterthümer von Stein.
Herr Struck hat das Feld abgesucht und hier viele Alterthümer gefunden, welche er an den Verein eingesandt hat. Diese Alterthümer sind folgende:
30 Feuersteinsplitter (Abfall), darunter viele kleine vierseitige spanförmige Messer, davon manche zerbrochen, fast alle mit Schlagmarken, viele kleine dreiseitige, scharf zugespitzte Splitter, wie Pfeilspitzen, eine abgebrochene, roh behauene Dolchspitze, ein kleiner Kern mit mehreren Schlagflächen;
1 Bruchstück von einer längs durch das Schaftloch zerbrochenen Streitaxt aus Diorit; 1 kleiner geschliffener Keil aus Gneis, 7 Cent. lang, wie es scheint ohne Abschlagen aus einem Stück Geschiebe gemacht;
3 kleine Topfscherben mit Verzierungen, welche den in Jahrb. X, S. 254-257 abgebildeten Strichverzierungen der Urnen der Steinzeit gleich sind.
Alle Stücke zeigen also, daß der Fund der Steinzeit angehört.
G. C. F. Lisch.
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Der Herr Baumeister Luckow zu Rostock fand bei Doberan am Meeresstrande am Heiligen Damm unter den bekannten rundlich abgeschliffenen "Dammsteinen" ein großes, starkes, spanförmiges Feuersteinmesser von bräunlicher Farbe, welches er dem Verein schenkte. Das Messer, 10 Cent. lang und 3 Cent. breit, ist im dreiseitigen Durchschnitt geschlagen und zeigt noch die Schlagmarken; an den Schneiden ist es stark abgenutzt. Das Messer ist ganz den von Boucher de Perthes bei Abbeville gefundenen antediluvianischen Feuersteinmessern gleich und jedenfalls sehr alt. Möglich wäre es, daß es mit den Dammsteinen des Heiligen Dammes zur Diluvialzeit vom dänischen Norden herübergekommen wäre; jedoch kann es auch zur ältesten Steinzeit am Fundorte verloren gegangen sein.
G. C. F. Lisch.
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Zu Nütschow bei Sülze wurden im Torfmoor beim Torfgraben zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen ungefähr vier Fuß tief 2 Alterthümer aus Stein gefunden und vom Herrn Amtmann Rötger zu Sülze erworben und überreicht.
1) Ein Keil aus Feuerstein, 6 Zoll lang und dünne, gar nicht geschliffen, aber auf allen Seiten und Kanten sehr regelrecht durch Schlagen und Kröseln in vollständiger Form zum Schleifen vorbereitet.
2) Ein Mahlstein oder Kornquetscher aus hellgrauem Sandstein, faustgroß, fast ganz kugelförmig abgerieben, jedoch noch mit zwei natürlichen Schichtflächen, ein gutes Exemplar.
In den großen "Circipaner"= Mooren bei Sülze und Tribsees hätte man mehr versunkene Alterthümer vermuthen können; es sind aber bis jetzt seit Menschengedenken sehr wenige entdeckt, obgleich es früher an Theilnahme nicht fehlte. Die jetzt gefundenen Stücke dürften vielleicht auf Spuren von einem Pfahlbau leiten.
G. C. F. Lisch.
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An der Stelle des im Jahre 1837 abgetragenen großen Grabes der Steinzeit zu Prieschendorf bei Dassow (Jahrbücher II, S. 25-33) fand in spätern Jahren der Herr Peitzner, jetzt Pächter zu Pogreß und Mitglied des Vereins, noch einen breiten, überall geschliffenen, leider an der Beilschneide zerbrochenen Keil aus Feuerstein, welchen derselbe jetzt dem Verein schenkte.
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Auf dem von dem Frohner zu Neu=Bukow auf der Feldmark des Dorfes Jörnsdorf bei Neu=Bukow in Pacht genommenen Acker bei der zur Frohnerei gehörenden "Flechsenscheure" stieß beim Ackern der Pflug an einer Stelle immer auf Steine, so daß derselbe regelmäßig beschädigt ward. Um dies zu vermeiden, räumte der Frohner die Stelle ab und grub die unter der Erdoberfläche liegenden Steine aus. Bei dieser Arbeit ergab sich, daß die Stelle ein flaches Kegelgrab war. Auf der Stelle lag im Kreise ein niedriger Haufen von kleinen "Feldsteinen", wie sie zum Straßenpflaster verwandt werden, wohl 3 bis 4 Chausseebau=Karren voll. An der Südseite stand eine viereckige Kiste von großem Steinen, welche mit einem großen flachen Steine zugedeckt war. Die Kiste, welche im Innern 1 1/2 Fuß im Quadrat groß war, war mit Sand gefüllt.
In der Kiste stand in dem Sande eine sehr große Urne, welche mit einer dicken Deckplatte von Thon zugedeckt war. Die wohl erhaltene Urne ist cylinderförmig und von Farbe hellbraun, wie gewöhnlich die großen Urnen der Kegelgräber, und 13 Zoll hoch und im Bauchrande weit, und in der etwas verengerten Mündung 10 Zoll weit.
Die Urne war mit zerbrannten Knochen von einem erwachsenen, nicht sehr starkknochigen Menschen und mit Asche und Sand gefüllt.
Zwischen den Knochen lagen 2 Geräthe von
Bronze:
ein dünnes Messer (früher wohl
Schermesser genannt), 2 1/2 Zoll lang, mit
aufgerolltem, drathförmigem, kurzem Griff,
und eine Lanzenspitze oder Messer in Form einer
Lanzenspitze, sehr schmal und gegen 4 Zoll lang.
Die eine Seite ist etwas gewölbt, die andere
Seite ist ganz flach; also ist dieses Stück wohl
in einer offenen Form gegossen.
Das großherzogliche Amt zu Neu=Bukow hat den ganzen Fund 1875 eingefordert und an die großherzoglichen Sammlungen eingesandt.
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Ohne Zweifel war das Grab ein niedriges Kegelgrab der mittleren Bronzezeit und hatte wahrscheinlich den Erdhügel durch Beackerung nach und nach verloren.
G. C. F. Lisch.
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Zu Pogreß bei Wittenburg stehen östlich nicht weit von dem Dorfe in der Nähe von Spuren alter Wohnungen mehrere niedrige Hügel, von denen der Pächter des Gutes Herr Peitzner bei der Beackerung einen abtragen ließ. In dem Hügel stand eine hellbraune Urne ohne Verzierungen, voll zerbrannter Menschenknochen, welche jedoch ganz zerfallen war. Zwischen den Knochen hatte ein großer, dünner Armwulst von Bronze gelegen, der aber in sehr viele kleine Stücke zerbrochen ist, welche jedoch Form und Bestimmung erkennen lassen. Herr Peitzner schenkte alle Bruchstücke dem Vereine. Ohne Zweifel war der Hügel ein Kegelgrab der jüngeren Bronzezeit. Nicht sehr weit von den Hügeln ist in früheren Jahren schon eine Speerspitze oder ein Dolch von Bronze gefunden. - Vgl. übrigens unten den Begräbnißplatz aus der Eisenzeit.
G. C. F. Lisch.
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Auf der Hoffeldmark von Kolbow bei Grabow wurden
im Torfmoor in einer Tiefe von ungefähr 5 Fuß
folgende Alterthümer gefunden und von dem Herrn
Forstmeister Mecklenburg zu Wabel an die
großherzoglichen Sammlungen eingesandt:
1 gewundener Kopfring von Bronze,
1
Lanzenspitze von Bronze, mit Schaftloch und
Nagelloch,
1 kleine Elenschaufel.
Dieser Fund hat dadurch Werth, daß der bronzene Kopfring sehr stark, schön modellirt und tief gefurcht, ganz dem bronzenen Kopfringe gleich, jedoch nicht aus derselben
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Form ist, welcher 1859 zu Reinshagen tief im Moder gefunden und ganz mit einem künstlichen Kittüberzug bekleidet ist, welcher mit eingravirten Verzierungen geschmückt ist. Vgl. Jahrb. XXX, S. 150 flgd. Auf dem Ringe von Wabel läßt sich jedoch kein Kittüberzug wahrnehmen. Auch die Elenschaufel kann dadurch merkwürdig sein, daß sie vielleicht mit den Bronzen gleichzeitig ist.
G. C. F. Lisch.
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Der Herr Dr. Crull zu Wismar kaufte für den Verein in der Stadt von einem Aufkäufer, unter altem Messing, einen großen bronzenen Halsring ohne Rost, welcher ohne Zweifel in der Gegend von Wismar von Arbeitern, wahrscheinlich Torfgräbern, aufgekauft ist. Der starke Ring, welcher geöffnet ist und an den Enden starke Schließhaken hat, ist 21 Centimeter (9 Zoll) im innern Durchmesser weit und kann bequem über den Kopf eines erwachsenen Menschen gezogen und auf die Schultern gelegt werden, kann also nicht zum Kopfring gedient haben. Die Oberfläche ist mit flachen Querreifen verziert, als wenn der Ring gewunden wäre; die Unterfläche ist stark abgerieben. Die Enden sind flach und glatt und die Schließhaken mit kleinen vertieften Kreisen oder Augen verziert. Nach allen Anzeichen gehört der Ring der jungem Bronzezeit an.
G. C. F. Lisch.
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c. Eisenzeit.
Zu Pogreß bei Wittenburg liegt westlich vom Dorfe bei einem Wasserloche nicht weit von den oben S. 165 aufgeführten Kegelgräbern ein ziemlich großer Begräbnißplatz der Eisenzeit, in welchem vier Urnen mit zerbrochenen Menschenknochen dicht unter der Erdoberfläche stehen, welche jedoch fast immer zerdrückt sind oder bald zerfallen. Schon früher sind 3 Urnen, ein ander Mal 6 Urnen bei der Ackerarbeit gefunden, aber immer zerfallen. Im Frühling 1875 gelang es dem Herrn Peitzner, Pächter des Gutes, eine große, mit zerbrannten Menschenknochen gefüllte Urne auszuheben, welche jedoch auch schon mehrere Risse hatte und später beim Transport noch mehr zerfiel.
Die Urne, welche von Herrn Peitzner dem Vereine geschenkt und durch die geschickte Hand der Vereins=Custodin A. Buchheim fast ganz wieder zusammen gesetzt ist, ist 21 Centimeter hoch und ungefähr eben so weit im Bauchrande, kohlschwarz und glänzend von Farbe und ganz mit eingeschnittenen oder eingeritzten Zickzack= und Schrägelinien in Streifen verziert.
Zwischen den Knochenbruchstücken, wahrscheinlich von einem Menschen mittlern Lebensalters, lagen folgende Alterthümer aus Eisen:
Ein langer und breiter Gürtelhaken oder Knippe aus Eisen, 18 Centimeter lang, mit 3 Heftlöchern am breiten Ende und einem kleinen Knopf zum Einhaken am spitzen Ende. Aehnliche Gürtelhaken sind früher gefunden zu Kl.=Plasten (vgl. Jahrb. XIV, S. 334 flgd.) und Bartelsdorf bei Rostock (vgl. Jahrb. XXIX, S. 178, 179 und 182). Auch auf dem Begräbnißplatze von Darzau im Hannoverschen ist ein ähnlicher Gürtelhaken gefunden; vgl. Hostmann Urnenfriedhof von Darzau, S. 79, abgebildet Taf. IX, Fig. 22 und 23.
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Eine Ringschnalle aus Eisen, deren Nadel aber zerbrochen ist. Gleiche Ringschnallen sind auch zu Darzau gefunden und abgebildet von Hostmann a. a. O. Taf. X, Fig. 14 und 15.
Aehnliche Begräbnißplätze der Eisenzeit sind in der Gegend von Wittenburg häufig gefunden und in den frühern Jahrgängen der Jahrbücher beschrieben.
G. C. F. Lisch.
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Zu Rankendorf bei Dassow ward im Jahre 1875 ungefähr 1 Fuß tief unter der Erdoberfläche eine hellbraune Urne ohne Verzierungen mit zerbrannten Menschenknochen gefunden, welche jedoch ganz zerfiel. Die in der Urne gefundenen Alterthümer, welche der Herr Geheimerath von Müller Exc., Besitzer des Gutes, dem Vereine schenkte, sind folgende:
Eine Hakenspange oder "Hakenfibel" (Knippe) aus Eisen, 9 Centimeter lang. Die Spange ist ein schmales, elliptisch geformtes und an beiden Enden zugespitztes Eisenblech, dessen Endspitzen nach unten umgebogen sind. Eine gleich geformte "Hakenfibel" von Silber ward auch in dem "Wendenkirchhof" von Pritzier gefunden; vgl. Jahrb. VIII, B, S. 64, Nr. 14.
Eine Scheibenheftel. Eine kreisrunde, mit erhabenen concentrischen Kreisen auf der Oberfläche verzierte Scheibe aus Bronze von 4 Centimeter im Durchmesser. Die etwas zerbrochene Nadel auf der Rückseite ist von Eisen. Aehnliche Hefteln verschiedener Art wurden auch mehrfach in dem "Wendenkirchhof" von Pritzier gefunden.
Es ist wahrscheinlich, daß sich auf der Fundstelle noch mehr Begräbnisse dieser Art finden.
G. C. F. Lisch.
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Bei dem Dorfe Kösterbek bei Rostock sind grandige, etwas erhöhete Ebenen, auf denen sich leicht viele geschlagene Feuersteinspäne zerstreut finden. Der Herr Kammer=
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Secretair Meyer zu Schwerin fand dort vor vielen Jahren bald 8 Stück, die er jetzt dem Vereine geschenkt hat. Fast alle sind zerbrochen und Bruchstücke oder unvollkommene Fabricate, aber alle sicher von Menschenhand gefertigt, einige mit dem noch erkennbaren Schlagansatz.
Zugleich fand derselbe daneben mehrere Topfscherben, welche wohl gewiß der letzten heidnischen Zeit angehören. Zur Bestätigung fand derselbe dabei auch die Spitze einer großen Messer= oder Scheren=Klinge von Eisen.
Es ist nun freilich möglich, daß hier einst eine Feuersteingeräth=Fabrik der Steinzeit bestand und die hier gefundenen Späne Abfall bei der Verfertigung waren. Es ist aber auch möglich, und noch mehr wahrscheinlich, daß diese Stelle eine wendische Wohnstätte war, da der Gebrauch der Feuersteinmesser wohl alle Perioden der heidnischen Vorzeit hindurch gedauert hat. Es ist nämlich schon oft die Beobachtung gemacht, daß sich auf ehemaligen sicher wendischen Wohnstätten, welche nach den Topfscherben und eisernen Geräthen ohne Zweifel der letzten heidnischen Zeit Meklenburgs angehören, auch häufig zerbrochene oder unvollkommene Feuersteinspäne und andere unvollkommene Geräthe aus Feuerstein finden, so daß sich daraus schließen läßt, daß der Gebrauch feuersteinener Geräthe bei geringen Leuten bis in die letzten Zeiten des Heidenthums fortgedauert habe.
G. C. F. Lisch.
Eine kobaltblaue, ringförmige Glasperle, gefunden in einem Grabe in der Nähe von Rostock schenkte der Herr Hauptmann a. D. Baron von Nettelbladt zu Güstrow.
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d. Alterthümer außereuropäischer Völker.
Herr Fr. Schröder, Consul von Venezuela, Mitglied des Vereins, schenkte dem Verein:
1) sieben Steinkeile von ungleicher Größe, gefunden in Venezuela, wie es scheint aus Kieselschiefer von verschiedener Farbe, alle an der Schneide geschliffen, von denen die größern ganz die Form der norddeutschen Feuersteinkeile haben und überall geschliffen sind;
2) einen Steinhammer, keulenförmig, ohne Schneide und Schaftloch, zum Einklemmen in einen gespaltenen Schaft;
3) ein flaches Götzenbild aus hornblendartigem Gestein, ungefähr 1 Fuß hoch, gefunden auf Portorico.
Eine Pfeilspitze aus Feuerstein, gefunden im Frühling 1875 bei Sardis in West=Virginien in Nordamerika am Ohio, schenkte der Herr Landdrost v. Pressentin zu Dargun.
Eine kleine Urne, schwarz von Farbe, ähnlich den deutschen mittelalterlichen Gefäßen, gefunden in Georgien in den Gräbern von Somthavro bei Mtzoheth, der alten Hauptstadt von Georgien, schenkte der Herr Consul Brüning (aus Schwerin), früher zu Tiflis, jetzt zu Beirut.
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2. Christliches Mittelalter
und neuere Zeit.
Der Herr Premier=Lieutenant Schmarsow zu Schwerin schenkte dem Vereine einen zinnernen Confect=Teller von dunkelgrauer Farbe, welcher auf dem Felde des Forsthofes Kluß bei Güstrow gefunden und durch Geschenk aus einem Privathause in seinen Besitz gekommen ist.
Der Teller (oder Bricken), aus Zinn gegossen, ist fast ganz flach wie eine Scheibe, ohne nennenswerthe Vertiefung und hat 8 Zoll oder 19 Centimeter im Durchmesser. Der Teller ist mit modellirten flachen Reliefs, welche die zwölf ersten deutschen Kaiser aus dem Hause Habsburg zu Pferde darstellen, reich verziert. Auf dem Rande, welcher 2 Zoll breit ist, stehen unter Bogen, die auf barock verzierten Renaissance=Pfeilern ruhen, elf Kaiser zu Pferde, gegen 2 Zoll hoch, über welchen auf den Bogen folgende Namen in kleinen lateinischen Unzialen stehen:
1. RUDOLPH I. 2. ALBERT I. 3. FRIDER. III. 4. ALBERT II. 5. FRIDER. IV. 6. MAXIMI. I.
7. CAROL. V. 8. FERDINAND I. 9. MAXIMIL. II.
10. RUDOLPH II. 11. MATHIAS I.
In der Mitte des Tellers steht ein größeres flaches rundes Medaillon von 2 1/2 Zoll Durchmesser mit einem größeren Reiterbilde des Kaisers Ferdinand II., unter der Krone, mit der rechten Hand ein Schwert (oder Scepter) schwingend, auf einem geschmückten springenden Rosse, über dessen Haupt die Kaiserreihe beginnt. Die Inschrift, zu beiden Seiten des Kopfes, lautet:
12. FERDINAND II: D. G. RO. IM. S. A.
Der Teller ist also ohne Zweifel zur Zeit der Regierung des Kaisers Ferdinand II. (1619 †1637), vielleicht in Veranlassung seiner Kaiserkrönung (1619), gemacht und mag aus der Wallensteinschen Zeit in Meklenburg stammen
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Diese Annahme scheint auch durch den Fundort bestätigt zu werden. Die Kluß, ein alter Forsthof bei Güstrow, Wallensteins Residenz in Meklenburg, liegt vor einem ausgedehnten Wald= und Jagdgebiete (dem Primer und dem Dewinkel), neben dem untergegangenen Dorfe Pustekow oder Püstow, wo schon die in Güstrow residirenden Fürsten von Werle seit dem 14. Jahrhundert ein Jagdschloß, von welchem noch die Stelle (der "Püster") erkennbar ist, und ein Gestüt hatten. (Vgl. Jahrb. XXVI, S. 60 flgd. Es ist also mehr als wahrscheinlich, daß auch Wallenstein und sein Gefolge diese Stelle als Jagdstation benutzte, da hier schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Forst= und Jagdhaus stand. Vielleicht ist der Teller ein Stück von einem Jagdgeschirr, ein Fleisch= oder Brotteller oder ähnliches. Leider ist der Teller im Boden zerbrochen, jedoch ist der Rand ganz erhalten und das Medaillon aus der Mitte, lose daneben vollständig aufbewahrt, noch vollkommen erhalten. Ein großer Theil des flachen Bodens fehlt. Die Arbeit ist sehr gut und sauber und wahrscheinlich nach Medaillen gemacht.
G. C. F. Lisch.
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mitunter durchbrochen, werden hin und wieder mit Geräthen des 17. Jahrhunderts gefunden; so besitzt z. B. die großherzogliche Sammlung eine solche, in der Gegend von Doberan gefundene, durchlöcherte Platte, mit der Jahreszahl 1680, welche an dem Rande in Spitzen und Bogen ausgeschnitten und auf der Oberfläche mit figürlichen Darstellungen gravirt ist. Diese wie Sterne an dem Rande ausgeschnittenen Platten dienten zu Untersätzen auf dem Eßtische. In einem Inventarium des Gutes Roggow bei Neu=Bukow vom Jahre 1650 heißt es:
"An Zinnen.
"1 1/2 Dutzent zinnerne schüsseln.
2
Dutzent zinnerne teller.
4 Sterne, so man
unter die schüsseln leget, u. s. w. "
G. C. F. Lisch.
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Aus sicherer Quelle erfuhr ich, daß vor mehr als 10 Jahren eine "schwärzliche Urne" von Granzin bei Boizenburg durch Geschenk nach Hamburg gekommen, hier aber untergegangen sei, und daß sich in Granzin ein Ackerstück befinde, auf welchem zahllose Scherben zum Vorschein kämen. Da diese Stelle nun ein großer Begräbnißplatz der Eisenzeit sein konnte, so wandte ich mich an den damaligen Pastor Walzberg zu Granzin mit der Bitte, hierüber Nachforschungen anzustellen. Dieser berichtete nun Folgendes:
Das Ackerstück, auf welchem die erwähnte sogenannte "Urne" gefunden sein soll, liegt unmittelbar hinter dem Pfarracker und ist an manchen Stellen mit großen Massen Gefäßscherben wie besäet; jedoch sollen hier nie Alterthümer aus Bronze, Eisen oder Silber gefunden sein. Das Ackerstück heißt noch jetzt der "Töpferkamp" und nach der Ueberlieferung der Dorfeinwohner soll hier früher ein Töpfer gewohnt haben. Hieran schließt sich die Vermuthung, daß der Thon zu der Töpferei aus den großen Gruben geholt sei, welche früher vor dem Kirchhofe waren, auf welchem viel Thonerde steht, während diese Erde auf dem Töpferkamp nicht gefunden wird.
Pastor Walzberg hat die Güte gehabt, mehrere Scherben von dem Töpferberge einzusenden. Diese bestätigen allerdings vollkommen die Sage, da die Scherben, namentlich Gefäß=Henkel, Füße, Ränder, Beine (nach Art der Grapenbeine), alle von fest gebrannten blaugrauen Töpfen des Mittelalters, ungefähr aus dem 15. Jahrhundert, stammen. Wir haben hier also sicher keinen heidnischen Begräbnißplatz, sondern merkwürdiger Weise auf einem Dorfe eine Topffabrik des ausgebildeten christlichen Mittelalters, wenn die Scherben nicht Ueberreste aus ehemaligen Wohnungen sind und die Sage sich durch die Scherben erst in jüngeren Zeiten gebildet hat.
Pastor Walzberg bemerkt dabei, daß hinter der Küsterscheure früher große Massen von Glasscherben von 2 bis 3 Zoll Dicke gefunden seien und hier wohl auch eine Glasfabrik gestanden habe.
Ueber einen ehemaligen heidnischen Begräbnißplatz hat Pastor Walzberg Folgendes in Erfahrung bringen können, und es ist auch möglich, daß die nach Hamburg gekommene "Urne" aus diesem stammt. Hinter dem Töpferkamp auf
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dem südwestlichen Abhange des Berges, gegen 10
Minuten von dem Dorfe entfernt, auf dem Acker,
der damals dem Schulzen Brokmöller zu Sternsruhe
gehörte, an der Stelle des sogenannten
"Hilgen Bökenbarg" (Heiliger
Buchenberg) soll ein heidnischer Begräbnißplatz
gewesen sein, welcher jetzt zum Theil mit Tannen
bepflanzt ist, zum Theil aber noch
Buchengestrüpp trägt. Nach der Erzählung des
Schulzen haben hier in der Erde heidnische
Begräbnisse folgender Art gestanden. Vier Steine
haben eine kleine viereckige Kiste gebildet, in
welcher eine Urne mit Kohlen und Asche gestanden
hat; die Kiste ist mit einem größern Stein
zugedeckt gewesen. Ein Grab hat in der Mitte
gestanden und in einer Schneckenlinie haben sich
mehrere Gräber umher angereihet. Alles dies ist
aber bei der Urbarmachung des Ackers zerstört
und entfernt worden.
Schwerin, 1866.
G. C. F. Lisch.
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Bei der Entdeckung und Untersuchung der alten Fürstenburg Werle, bei Wiek in der Nähe von Schwan, ist auch die Vermuthung ausgesprochen, daß die an diese Burg grenzenden Dörfer in den frühesten Zeiten des Christenthums eben der Burg wegen eine höhere Bedeutung gehabt haben, als in den spätern Jahrhunderten (vgl. Jahrb. VI, S. 96 flgd.) Es ist wahrscheinlich, daß die Burg Werle noch einige Zeit nach der Vernichtung des Heidenthums bewohnt war und daß die angrenzenden Dörfer Burglehen bildeten und vielleicht Rittersitze hatten. Es lebte noch im Jahre 1287 ein Ritter Gerhard von Rukit (bei Werle) auf Niendorf (vgl. Jahrb. VIII, S. 220), und die Fürsten von Werle waren bis zu ihrem Aussterben um die kleine Kirche des an Werle grenzenden Dorfes Mistorf bemüht (vgl. Jahrb. VI, S. 96). Zwar haben die Urkunden bis jetzt noch keine Nachricht über Ritterlehen in diesen Dörfern gegeben; die Dörfer erscheinen, soweit die Nachrichten reichen, immer als Bauergut; aber es liegt doch die Wahrscheinlichkeit nahe, daß in den ersten Zeiten des Christenthums auf den Feldern des ehemaligen Fürstengutes zur Burg Werle Ritterhöfe errichtet wurden.
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Von dieser Ansicht geleitet, hat der frühere Herr Amtsverwalter Balck zu Schwan, jetzt Revisionsrath zu Schwerin, ein scharfes Augenmerk auf diese Dörfer gehabt und ist auch so glücklich gewesen, diese Ansicht bestätigt zu finden. "In jetzt trocken gelegten Seebecken östlich bei Mistorf liegen zwei kleine Erdhügel, etwa 30 Ruthen von einander entfernt, mit Fundamentfelsen gefüllt, welche theils noch regelrecht gestreckt lagen, theils durch einander geworfen und rings umher von Bruchstücken großer mittelalterlicher Mauersteine umgeben waren. In dem einen Hügel, dessen Steine schon früher vielfach zu Bauten benutzt sind, hat sich nie etwas Bemerkenswerthes gefunden. In dem andern Hügel wurden aber im Herbst 1863 beim Ausgraben von Steinen in einer Tiefe von 5 Fuß unter Bauschutt viele mittelalterliche Geräthe" gefunden, welche der Herr Amtsverwalter Balck an sich nahm und mit dem vorstehenden Berichte an den Verein einsandte.
Die gefundenen eisernen Alterthümer sind
folgende:
ein starker Bolzen mit Nagel;
ein Riegel mit Schloßblech;
ein
Sporn;
ein kleines Hufeisen;
eine
große Spange;
ein Beschlag mit Gelenk;
eine Stange;
ein starkes Stämmeisen.
Alle diese eisernen Alterthümer deuten sowohl durch ihre Form, als durch den Rost auf das christliche Mittelalter früherer Zeit.
Außerdem ward noch
ein Gewürzfaß von
Sandstein,
oder wie wir sagen würden: ein
Pfeffer= und Salzfaß, gefunden, welches durch
seine Form sehr beachtenswerth und bisher wohl
noch nicht beobachtet ist. Es sind sehr
regelmäßig und sauber drei runde, mit einander
verbundene Gefäße
, welche auf einem dreieckigen
Fuße stehen; das Ganze ist aus einem Stein
gehauen und sinnreich angeordnet. Das Ganze ist
5 3/4 Zoll hoch und 7 Zoll breit und die drei
Gefäße sind jedes 2 1/2 Zoll tief und ebenso
weit. Das Ganze ist freilich schwer und derbe,
aber wohl zu altmittelalterlichem Geräthe
passend, und es dürfte sich kaum ein anderer
Zweck als der angegebene ermitteln lassen.