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gegründet von Friedrich Lisch,
fortgesetzt
von Friedrich Wigger und Hermann Grotefend.
Mit angehängtem Jahresbericht.
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Druck und Vertrieb der
Bärensprungschen Hofbuchdruckerei.
Vertreter: K. F. Koehler, Leipzig.
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I. | Über die Grenzen der Staatshoheit von Mecklenburg-Schwerin und Lübeck in der Lübecker Bucht. Von Staatsminister i. R. D Dr. Langfeld | 1 |
II. | Über die Grenzen der Staatshoheit in der Travemünder Bucht. Von demselben | 15 |
III. | Die Hoheits- und Fischereirechte in der Travemünder Bucht. Von Univ.-Professor Dr. Julius v. Gierke - Göttingen | 25 |
IV. | Die Travemünder Reede. Reedelage und Reedegrenze. Von Staatsarchivrat Dr. Werner Strecker | 113 |
V. | Rostocker Ehen in alter Zeit. Von Pastor Friedrich Schmaltz - Bremen-Oslebshausen | 185 |
VI. | Mecklenburgs Verhältnis zu Kaiser und Reich vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zum Ausgang des alten Reiches (1763 bis 1806). Von Vikar Dr. Niklot Beste - Benthen | 211 |
VII. | Gelegenheitsfindlingeaus meinen geneanalogischen Sammlungen. Von Forstmeister a. D. C. Frh. v. Rodde - Prüzen bei Tarnow | 321 |
VIII. | Die geschichtliche und landeskundliche Literatur Mecklenburgs 1925/26. Von Staatsarchivdirektor Dr. Friedrich Stuhr | 329 |
Jahresbericht (mit Anlagen A und B) | 347 |
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des
Staatsministers i. R. D. Dr. Langfeld=Schwerin.
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Zwischen dem Freistaat Mecklenburg-Schwerin und der freien Stadt Lübeck ist eine Meinungsverschiedenheit entstanden über die Grenzen ihrer Staatshoheit an der Lübecker Bucht, insbesondere hat die Stadt Lübeck geltend gemacht, daß ihr die Staatshoheit auch an dem Wassergebiete der Ostsee zustehe, welches die mecklenburgische Küste von der Landesgrenze beim Priwall ab ostwärts bis zur Mündung des Baches Harkenbeck bespült, während Mecklenburg an dieser Wasserfläche, soweit sie als Küstengewässer anzusehen ist, die Staatshoheit für sich beansprucht.
Eine Entscheidung dieses Rechtsstreites soll durch die nachstehenden Ausführungen versucht werden.
Für die Entscheidung sind die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes über die Bestimmung der das offene Meer berührenden Grenzen eines Staatsgebietes maßgebend.
Nach Artikel 4 der Reichsverfassung gelten diese Regeln als bindende Bestandteile des Deutschen Reichsrechtes. Gegen ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall kann nicht eingewandt werden, daß nach der Reichsverfassung (vgl. Art. 6 Ziff. 1, Art. 78 Abs. 1 ) die Beziehungen zum Auslande Sache des Reiches sind, und deshalb jene völkerrechtlichen Normen nur noch für die Grenzen des Reichsgebietes gegenüber dem Meere, nicht aber auch für die Bestimmung der Meeresgrenze zwischen deutschen Ländern zur Anwendung kommen können. Denn nach Artikel 2 der Reichsverfassung besteht das Reichsgebiet "aus den Gebieten der deutschen Länder". Die letzteren waren vor dem Eintritt in den Norddeutschen Bund, aus dem das Deutsche Reich hervorgegangen ist, völkerrechtlich selbständige Staaten. Ihr Gebiet, mit dem sie in den Norddeutschen Bund und später in das Reich übergegangen sind, bestimmte sich nach den Regeln des Völkerrechtes auch für ihre Beziehungen zueinander. Es muß deshalb auch heute noch für die Bestimmung der Seegrenze zwischen den Ländern Mecklenburg und Lübeck auf die völker-
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rechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden, die bei ihrem Eintritt in den Norddeutschen Bund bestanden haben. Seitdem sind Änderungen dieses Gebietes nicht erfolgt, insbesondere nicht nach Maßgabe des Artikel 18 Abs. 1 Satz 2 der neuen Reichsverfassung vom 11. August 1919.
Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes über die Grenzen zwischen Staatsgebiet und offenem Meere sind folgende:
1. Eine rechtliche Herrschaft an dem offenen Meere ist nicht möglich. Schon nach dem auf dem römischen Rechte beruhenden gemeinen Rechte war das Meer eine res extra commercium, an der eine rechtliche Herrschaft ausgeschlossen war, eine res communis omnium, die dem Gebrauche aller hingegeben ist 1 ).
Der Freiheitsbegriff des Mittelalters, welcher als Grenzen seiner Betätigung nur die von der Natur oder der persönlichen Schwäche des Handelnden gegebenen Schranken anerkannte, hat freilich sich durch jenen Rechtssatz nicht gebunden gefühlt. Daraus erklärt es sich, daß nicht nur die großen, Seeschiffahrt treibenden Nationen, sondern auch kleine deutsche Territorialherren, deren Gebiet an die See stieß, sich besondere Rechte an dem Meere anmaßen konnten. Ein Beispiel ist das der Stadt Rostock vom Landesherrn eingeräumte Recht, die Fischerei auf der Ostsee, soweit sie sich auf diese hinauszubegeben getrauen sollten, auszuüben. Seitdem jedoch die von Hugo Grotius vertretene Rechtsansicht 2 ) von der bindenden Kraft völkerrechtlicher Normen überhaupt und von der völkerrechtlich gesicherten Freiheit des Meeres insbesondere Gemeingut der Kulturnationen geworden war, ist diese Ansicht auch an die Stelle alter, hiervon abweichenden mittel-
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alterlichen Rechtsanschauungen getreten. Es hat sich deshalb auch für den an das mecklenburgische und lübische Gebiet grenzenden Teil der Ostsee der allgemeine völkerrechtliche Grundsatz der Freiheit des offenen Meeres gegenüber abweichenden partikulären Rechtsbildungen durchgesetzt.
2. Es entsteht jedoch die Frage: Was ist unter dem "offenen" Meere im Sinne dieser Rechtsnorm zu verstehen?
Die allgemein anerkannte Lehre des Völkerrechtes unterscheidet von dem offenen Meere die "Küstengewässer" und die "Eigengewässer" 3 ).
a) Küstengewässer ist der Saum des Meeres, welcher die Küste eines Landes bespült. Dieser Meeresteil unterliegt der Staatsgewalt des Uferstaates, aber nur in einzelnen Beziehungen. Der Uferstaat kann in Ausübung seiner Pflicht, Land und Bürger gegen die aus dem freien Zugang über das Meer her drohenden Gefahren zu schützen, auf dem Küstenmeer Abwehr- und Sicherungsmaßnahmen treffen. Dies gilt nicht nur von der Verteidigung gegen militärische Angriffe, sondern auch von dem Schutt gegen Einschleppung von Seuchen und Krankheiten sowie von der Verhütung von Zolldefrauden und Verfehlungen gegen die Finanzgesetze. Der Uferstaat hat andererseits die friedliche Handelsschiffahrt und Fischerei auf dem Küstenmeer zu dulden, kann jedoch die Fischerei und Küstenschiffahrt auf diesem Meeresteile seinen eigenen Staatsangehörigen vorbehalten. Auf dem Boden dieser Rechtsanschauung steht auch das Reichsgesetz vom 22. Mai 1881, betr. die Küstenschiffahrt (RGBl. S. 97), indem es im § 1 bestimmt:
"Das Recht, Güter in einem deutschen Seehafen zu laden und nach einem anderen deutschen Seehafen zu befördern, um sie daselbst auszuladen (Küstenfrachtfahrt), steht ausschließlich deutschen Schiffen zu."
im § 2 aber zuläßt, daß ausländischen Schiffen dieses Recht durch Vertrag oder Kaiserliche Verordnung eingeräumt werden kann.
Die Grenze des Küstenmeeres bilden nach der Landseite die Linie des tiefsten Standes der Ebbe, nach der Seeseite eine dem Ufer parallel laufende Linie in Entfernung von 5 Seemeilen
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= 5,565 Kilometern. Diese Grenzbestimmung hat in der völkerrechtlichen Theorie und Praxis allgemein die früher üblich gewesene unbestimmte Normierung "auf Kanonenschußweite" verdrängt 4 ).
Die Normalgrenze des Küstenmeeres von 3 Seemeilen muß jedoch eine Einschränkung erleiden, wenn sie hinübergreift in das nach dem gleichen Maßstabe begrenzte Küstenmeer eines anderen Staates. Dieser Fall ist gegeben, wenn zwei Staaten durch einen Meeresteil getrennt werden, der eine geringere Breite hat als sechs Seemeilen, oder wenn die Uferlinie von zwei am Meere aneinander stoßenden Staaten nach innen gebogen ist, so daß die vom Ufer des einen Staates gezogene senkrechte Linie von drei Seemeilen sich mit der vom Ufer des anderen Staates gezogenen Senkrechten Linie von drei Seemeilen schneiden muß. In der völkerrechtlichen Literatur besteht jedoch Einverständnis darüber, daß in diesen Fällen die Küstengewässer der beiden Staaten beschränkt werden. Im ersten Falle, wenn die Staaten durch einen schmalen Meeresarm getrennt werden, wird die Grenze gegeben durch die Mittellinie zwischen beiden Staaten. Im zweiten Falle, wenn die Seegrenzen des Küstengewässers beider Staaten sich schneiden, wird die Grenze gegeben durch eine Linie, die von der Ufergrenze der Staaten ab so in das Meer geführt wird, daß jeder Punkt der Linie von dem Ufer beider Staaten gleich weit entfernt ist 5 ).
Da die Anerkennung des Hoheitsrechtes an dem Küstenmeere auf dem Zwecke, das Land an der Seeseite zu schüren, beruht, so ergibt sich, daß die Rechte am Küstenmeer aus der Staatshoheit über das Landgebiet herausgewachsen sind. Das Küstenmeer eines
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Staates ist rechtlich nicht anders zu beurteilen als "eine Fortsetzung seines Uferlandes" 6 ).
Der berechtigte Staat kann deshalb das Küstenmeer getrennt von den durch dieses gedeckte Landgebiet ebenso wenig rechtswirksam veräußern wie Teile des offenen Meeres. Dagegen würde der berechtigte Staat in der Lage sein, im Wege der Vereinbarung mit dem Nachbarstaate, dessen seewärts belegene Grenze seines Küstenmeeres sich mit der seines eigenen Küstengewässers schneidet, die auf dem allgemeinen Völkerrechte beruhende Bestimmung der Grenze der aufeinander übergreifenden Küstengewässer anderweitig zu regeln, insbesondere dadurch, daß er zugunsten des Nachbarstaates auf den diesem an sich als Küstengewässer gebührenden Meeresteil verzichtet, der jenseits der Mittellinie liegt und deshalb dem verzichtenden Staate zugefallen ist.
b) Von dem offenen Meer ist weiter zu unterscheiden das "Eigenmeer", auch "Territorialmeer i. e. S." genannt. Dazu gehören:
α) Meeresbuchten und durch vorgelagerte Inseln oder Landzungen gebildete Haffe, deren Einfahrt so eng ist, daß sie vom Lande aus gesperrt werden kann;
β) kleinere Buchten, Reeden und Häfen, mögen sie von Natur oder künstlich geschaffen sein, wenn sie von dem Staatsgebiet desselben Staates umgeben sind und beherrscht werden können;
γ) Flußmündungen, d. i. der Teil des Meeres, in welchem Fluß und Meer sich vereinigen und dessen Grenze dem Meere zu "durch die äußerste Linie zwischen den letzten beiden Uferpunkten des Flusses" bestimmt wird, mögen die Punkte sich auf dem natürlichen Ufer oder auf einem künstlichen Bauwerk, z. B. einer Mole, befinden 7 ). Eigenmeere unterliegen in vollem Umfange der Herrschaft des sie umfassenden Staates.
3. Das Recht des Staates an dem Küstenmeere wie an dem Eigenmeere ist kein privatrechtliches, sondern ein öffentlich-rechtliches. Es ist kein Eigentum (dominium), sondern Staatsgewalt (imperium), wie das römische Recht sie schon an dem Meeres-
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ufer anerkannte (vgl. 1. 14. D. de acquirendo rerum dominio 41, 1: "Litora publica non ita sunt, ut ea, quae in patrimonio sunt populi, set ut ea quae primum a natura prodita sunt et in nullius adhuc dominium pervenerunt"). Es ist ein Ausfluß der Staatsgewalt wie die Herrschaft des Staates über die aus Festland oder Inseln bestehenden übrigen Teile seines Gebietes 8 ).
In völkerrechtlicher Beziehung äußert sich diese Herrschaft oder Gebietshoheit vorzugsweise im negativen Sinne, nämlich als Recht "zur Ausschließung jeder anderen nebengeordneten Staatsgewalt von einem bestimmten Teile der Erde" 9 ).
Dieses Recht ist unbeschränkt in Ansehung des Eigenmeeres, dagegen in Ansehung des Küstenmeeres mit der Legalservitut der Duldung fremder Schiffahrt und Fischerei belastet. Im Unterschiede zu der Staatshoheit an dem Festlande kann man deshalb auch sagen: "Der Staat hat eine beschränkte Gebietshoheit in den Küstengewässern" 10 ).
Die Lübecker Bucht ist, wie die Karte zeigt, die südwestliche von den Ländern Mecklenburg-Schwerin, Lübeck, Oldenburg (Fürstentum Lübeck) und Preußen (Holstein) umgebene Ausbuchtung der Ostsee, Für die von Lübeck an diesem Gewässer beanspruchten Rechte kommen für den vorliegenden Fall Preußen und Oldenburg nicht in Betracht. Es handelt sich nur um den Ausgleich der kollidierenden Ansprüche von Lübeck und Mecklenburg-Schwerin. Die Gebiete beider Staaten stoßen an der südlichen Küste der Lübecker Bucht bei dem zu Lübeck gehörigen "Priwall" zusammen, einer Landzunge, die von der Ostsee und dem Travefluß mit seiner östlichen Ausbuchtung gebildet wird.
Der zwischen beiden Ländern entstandene Streit dreht sich um ihre Rechte an dem Küstenmeer. Nach den vorstehend unter III 2 a ausgeführten völkerrechtlichen Grundsätzen würde von dem Grenzpunkte zwischen Mecklenburg und Lübeck am Priwall in die Ostsee hinein eine Linie zu ziehen sein, welche von der mecklenburgischen
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wie von der lübischen Küste überall gleich weit entfernt ist. Der links von dieser Linie liegende Meeresteil gebührt Lübeck, der rechte von ihr liegende gehört Mecklenburg. Lübeck will diese Grenzfestsetzung nicht anerkennen.
Es beansprucht ein Gebiet von der Lübecker Bucht,
dessen Grenze im Westen und Süden durch die lübische und mecklenburgische Küste bis zur Mündung der Harkenbeck, im Osten durch eine von der Harkenbeck auf die Pohnstorfer Mühle und den Turm auf dem Gömnitzer Berg in Holstein gezogene Linie und im Norden durch eine von dieser Linie senkrecht auf den nordwestlich von Lübeck belegenen Brodtener Grenzpfahl gezogene Linie gebildet wird.
Dadurch entsteht ein Ausschnitt aus der Ostsee, der die Form eines unregelmäßigen Vierecks hat, in dessen Südwestecke die Travemündung liegt. Lübeck nimmt diesen Meeresteil als sein Küstenmeer in Anspruch und hat in Ausübung seiner Staatshoheit auf diesem Gebiete neuerdings namentlich die Fischerei auf ihm durch eine Fischereiordnung geregelt, durch welche die nichtlübischen Fischer, insbesondere die mecklenburgischen, von dem Fischfang auf diesem Gebiete tatsächlich fast ganz ausgeschlossen werden.
Es fragt sich: Ist der Anspruch Lübecks auf eine solche, von den völkerrechtlichen Grundsätzen abweichende Bestimmung des Küstenmeeres begründet?
Von lübischer Seite hat man den Anspruch auf verschiedene Weise zu rechtfertigen versucht.
a) Nach einer Ansicht 11 ) wird bestritten, daß die völkerrechtlichen Grundsätze auf diesen Meeresteil überhaupt zur Anwendung kommen können. Es sei nicht das Völkerrecht, sondern ein von diesem verschiedenes partikuläres Gewohnheitsrecht, das sich für die Lübecker Bucht gebildet habe, maßgebend. Dazu ist zu bemerken:
Soweit es sich um Ausübungsakte der von Lübeck beanspruchten Hoheit aus der Zeit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts handelt, müssen sie nach dem vorstehend unter III 1 Ausgeführten unbeachtet bleiben, weil sie durch die zum Durchbruch gekommene, auf dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatze über die Freiheit der Meere beruhende neue Rechtsentwicklung erledigt worden sind. Es kann deshalb nur eine tatsächliche Übung, die nach jenem
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Zeitpunkte sich vollzogen hat, in Betracht kommen. Die Bildung eines Gewohnheitsrechtes für die Herrschaft über das Meer durch tatsächliche Ausübung von Hoheitsrechten war aber auch nach jenem Zeitpunkte nur insoweit möglich, als die Hoheitsrechte an Meeresteilen ausgeübt wurden, an denen eine rechtliche Herrschaft nach allgemeinen Rechtsbegriffen überhaupt ausgeübt werden konnte. Dies traf nicht zu für das rechtlich unfaßbare "offene Meer", sondern nur für die Meeresteile, welche als "Eigenmeere" oder "Küstenmeere" behandelt werden könnten. An dem "offenen" Meere kann ein Staat weder durch Okkupation noch durch sonstige Besitzakte Rechte erwerben 12 ). Selbst durch eine Vereinbarung mit anderen Staaten über das offene Meer kann ein Staat nur vertragsmäßige Rechte erwerben, nicht aber dingliche Rechte an dem Meere selbst 13 ).
Aus der Anwendung dieser allgemeinen, auch für die gewohnheitsrechtliche Rechtsbildung maßgebenden Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß ein neuer Rechtszustand zugunsten Lübecks nur an dem Teile der Lübecker Bucht hätte entstehen können, welcher als "Eigen-" oder "Küstenmeer" der Hoheit eines Nachbarstaates unterlag, also an dem an sich zu Mecklenburg gehörenden Küstengewässer, wie es vorstehend unter III 2 a bestimmt worden ist. Dieses konnte aber im Wege gewohnheitsrechtlicher Rechtsbildung nicht dadurch Lübeck zufallen, daß Lübeck es als sein Herrschaftsgebiet tatsächlich behandelte. Außer der tatsächlichen Übung ist zum Entstehen eines Gewohnheitsrechtes noch erforderlich, daß die Übung opinione juris et necessitatis erfolgt ist, daß sie von der Rechtsüberzeugung getragen worden ist, in der Übung bereits geltendes Recht anzuwenden. Diese Überzeugung muß nicht nur auf lübischer, sondern auch auf mecklenburgischer Seite vorhanden gewesen sein, da sie ein die mecklenburgische Küste bespülendes und dem tatsächlichen Machtbereich Mecklenburgs unterstehendes Gewässer betrifft. Mag man nun auch unterstellen, daß diese Rechtsüberzeugung auf lübischer Seite bestanden hat, auf mecklenburgischer Seite ist sie jedenfalls nicht vorhanden gewesen.
Eine andere Frage ist, ob die einseitige tatsächliche Übung von lübischer Seite etwa als eine Übung bewertet werden kann, die unter dem Gesichtspunkte der Verjährung Lübeck die Staatshoheit über das streitige Gebiet verschaffen konnte. Hierauf wird unten unter V zurückzukommen sein.
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b) Der Travefluß steht in seinem wichtigsten, schiffbaren Teile bis zum Ausfluß in das Meer unbestritten unter der Hoheit Lübecks und bildet einen Bestandteil des lübischen Staatsgebietes. Nach dem Völkerrechte steht dem Staate, welchem ein Fluß gehört, auch dessen Mündung, also der Meeresteil zu, in welchem sich Fluß und Meer vereinigen. Das unbestrittene Recht Lübecks an der Travemündung kann jedoch für die Begründung lübischer Ansprüche auf die Lübecker Bucht nicht verwertet werden. Denn als "Flußmündung" ist völkerrechtlich - wie vorstehend unter III 2 b γ bereits bemerkt worden ist - nur der Meeresteil anzusehen, der nach dem Meere zu durch die äußerste Linie zwischen den letzten beiden Uferpunkten des Flusses begrenzt wird. Das ist ein verhältnismäßig kleiner Meeresteil, der für den vorliegenden Streitfall überall nicht in Betracht kommt.
Auch aus der Fassung der für die Begründung der territorialen Ansprüche Lübecks mit Vorliebe verwerteten Verleihungsurkunde Kaiser Friedrichs I., der sog. Barbarossa-Urkunde von 1188, können Hoheitsrechte an der Lübecker Bucht als Ausflußgebiet des Traveflusses nicht abgeleitet werden. Denn will man auch den von der Urkunde gebrauchten Ausdruck: "usque im mare" nicht als gleichbedeutend mit "usque a d mare", d. h. "bis zu dem Meere", sondern vielmehr als "bis in das Meer hinein" verstehen, so kann eine unbefangene Auslegung darin doch nicht mehr finden als den Ausdruck des Gedankens, daß Lübeck "auch die Mündung" des Flusses habe zuerkannt werden sollen. Für die Annahme, daß auch außerhalb der Travemündung in der Lübecker Bucht, insbesondere soweit sie den in die Trave ein- und ausfahrenden Schiffen als Fahrwasser dient, Lübeck Hoheitsrechte haben verliehen werden sollen, hätte es eines bestimmteren Ausdruckes bedurft. Aber wenn es auch hieran nicht gefehlt hätte, wäre doch in der Verleihung eines so weitgehenden Rechtes an dem offenen Meere nur eine Bekundung der "weitgehenden mittelalterlichen Rechtsanschauung" über die Möglichkeit von besonderen Rechten an dem Meere zu finden, welche - wie bereits unter III 1 bemerkt worden - durch die spätere Entwicklung des Völkerrechtes ihren Rechtsbestand verloren hat.
c) Als ebensowenig stichhaltig erscheint der von Rörig a. a. O. unternommene Versuch, die Lübecker Bucht als "Reede" des Lübecker Hafens für Lübeck in Anspruch zu nehmen. Faßt man den Begriff "Reede" in weitestem Sinne auf, so kann darunter doch nur der vor einem Hafen liegende Meeresteil verstanden werden, auf welchem die Schiffe Anker werfen, wenn sie durch
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ungünstige Wind- oder Flutverhältnisse oder durch andere Gründe bestimmt werden, nicht sofort in den Hafen einzulaufen. In der Regel bildet die Reede einen Teil des "Küstenmeeres" und unterliegt als solcher schon der Gebietshoheit des Hafenstaates. Nach der besonderen örtlichen Gestaltung kann eine "Reede" aber auch durch eine Einbuchtung der Küste oder eine der Küste vorgelagerte Insel oder Halbinsel gebildet werden. Steht in diesem Falle das die Reede einschließende und sie beherrschende Festland im Eigentum desselben Staates, so gehört die Reede auch diesem und steht unter seiner vollen Herrschaft. Eine solche örtliche Gestaltung haben die Schriftsteller im Auge, wenn sie als Beispiele für das "Eigenmeer" außer "Meerbusen, Baien, Buchten und Häfen" auch die "Reeden" aufführen 14 ).
Dagegen besteht kein völkerrechtlicher Rechtssatz, welcher einem als "Reede" zu bezeichnenden Meeresteile als solchem und ohne Rücksicht auf seine räumliche Beziehung zu dem Uferstaate den Charakter des "Eigenmeeres" zuerkennt.
Es bleibt somit nur die Erwägung übrig, ob sich Lübeck für seine Ansprüche an dem streitigen Meeresteile nicht auf ein durch Zeitablauf erworbenes Recht berufen kann.
In dieser Beziehung ist zu beachten, daß das Völkerrecht den Begriff der Verjährung im Sinne des Bürgerlichen Rechtes nicht kennt. "Auf dem Gebiete des Völkerrechtes" - bemerkt v. Lißt in Birkmeyers Encyklopädie § 11 Ziffer 2 - "muß der rechtsbegründende oder rechtsvernichtende Einfluß der Zeit in Abrede gestellt werden. Die Verjährung hat völkerrechtlich weder als acquisitive (insbesondere als Ersitzung) noch als extinktive die Kraft einer rechtserheblichen Tatsache", d. h. einer Tatsache, "an deren Vorliegen Untergang oder Veränderung von völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen geknüpft ist."
Ebenso v. Martens a. a. O. § 90: "Im Unterschiede vom Privatrecht statuiert das Völkerrecht eine Wirkung der Verjährung nur in sehr beschränktem Umfange."
Aber andererseits fügt v. Martens hinzu: "Wirkliche Bedeutung hat im Bereiche des Internationalen nur der unvordenkliche Besitzstand (antiquitas, vetustas, cujus contraria memoria non existit)."
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Es wird deshalb zu prüfen sein,
ob Lübeck in der Lage ist, einen unvordenklichen Besitzstand an dem streitigen Meeresteile nachzuweisen.
Hierfür ist jedoch zu beachten, daß nur ein Besitzstand in Frage kommen kann, in welchem die Ausübung eines vom Völkerrechte anerkannten Rechtes am Meere in Erscheinung tritt. Lübeck hätte also Besitzakte nachzuweisen, welche sich als Ausübung der Staatshoheit am "Eigen-" oder "Küstenmeere" darstellen. Soweit der das lübische Gebiet bespülende Teil der Ostsee als Eigenmeer anzusehen ist, sind die lübischen Rechte unbestritten, im Streite befindlich ist nur die Frage nach dem Umfange des von Lübeck beanspruchten "Küstenmeeres", nämlich nach dem oben unter IV eingangs Bemerkten die Frage, ob Lübeck ein durch unvordenklichen Besitzstand erworbenes Hoheitsrecht auch an demjenigen Teile des mecklenburgischen Küstenmeeres bis zum Ausfluß der Harkenbeck geltend machen kann, der rechts von der vom Grenzpunkte am Priwall in die Ostsee zu ziehenden, von beiden Ufern gleich weit entfernten Linie liegt.
Der Übergang von Staatsgebiet von einem Staate auf einen anderen kann sich nach Völkerrecht nur mittelst derivativen Erwerbs, also durch Abtretung, vollziehen, mag diese freiwillig oder erzwungen (z. B. durch Krieg) sein. Okkupation von Staatsgebiet ist nur an herrenlosem Gebiete möglich 15 ). Wenn Lübeck sich für den Erwerb des bezeichneten Gebietes auf unvordenklichen Besitzstand beruft, so behauptet es, daß die unvordenkliche Ausübung seiner Hoheitsrechte auf diesem Gebiete in ihrer rechtlichen Wirkung der eines Rechtsgeschäftes, z. B. eines Vertrages, gleichkomme, durch das es dieses Gebiet von Mecklenburg hätte erwerben können.
Den Beweis eines solchen unvordenklichen Besitzstandes hat Lübeck zu führen. Bisher hat es ihn nicht: erbracht.
Es erscheint aber auch als sehr zweifelhaft, ob Lübeck die Führung eines solchen Beweises gelingen wird. Denn einmal müßte Lübeck beweisen,
daß es seit unvordenklicher Zeit die Staatshoheit an dem streitigen Gebiete ausschließlich, also ohne daß auch Mecklenburg in der fraglichen Zeit an ihm Hoheitsakte vorgenommen, ausgeübt hat, und es kann hierfür nur solche Besitzhandlungen geltend machen, die, wie die Aus-
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Übung der Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt oder des obrigkeitlichen Strandschutzes publizistischen Charakters gewesen sind, im Gegensatze zu Okkupationshandlungen seiner Staatsangehörigen, die, wie der Fischfang im Küstenmeer oder die Schiffahrt, nur eine Ausübung des allgemeinen Gebrauches oder des freien Verkehrs darstellen, welchem das Küstenmeer jedes fremden Uferstaates unterliegt.
Auf der anderen Seite hat Mecklenburg seit Menschengedenken unbestritten Hoheitsrechte an dem streitigen Gewässer ausgeübt, z. B. durch die Landesherrliche Verordnung vom 10. Oktober 1874 "zum Schutze der Ufer und Dünen des Ostseestrandes" bei Rosenhagen, Brook und anderen Gütern (Rbl. 1874 Nr. 23). Denn die Feldmarken der genannten Güter Rosenhagen und Brook bilden seewärts gerade den Teil der mecklenburgischen Küste, welchen das streitige Gewässer bespült. Im § 1 der Verordnung wird ausdrücklich verboten, "aus der Ostsee bis 400 Meter in die See hinein ohne Erlaubnis der Ortsobrigkeiten Sand, Kies, Ton oder Lehm zu graben, Gras, Dünenkorn oder sonstigen Anwuchs abzuschneiden und Seetang oder Steine wegzunehmen". Die Verordnung bildet mithin eine unzweideutige Ausübung eines Staatsaktes nicht nur an dem Ufer, sondern auch an dem Meere.
Aus vorstehenden Ausführungen folgt:
Mecklenburg-Schwerin hat einen nach allgemeinem Völkerrecht wohlbegründeten Anspruch auf die Staatshoheit an dem streitigen Meeresteil. Sein Anspruch aus Zurückweisung der lübischen Ansprüche auf dieses Gebiet ist liguide. Für Mecklenburg ist actio nata. Mecklenburg kann diesen Anspruch ohne weiteres gegen Lübeck vor dem Staatsgerichtshof nach Maßgabe des Artikels 19 der Reichsverfassung erheben. In dem sich daraus entwickelnden Prozeßverfahren wird Lübeck den Erwerb des von ihm behaupteten Hoheitsrechtes zu beweisen haben.
Will Mecklenburg nicht selbst klagen, so kann es die Angelegenheit auch dadurch zum gerichtlichen Austrag bringen, daß es, ohne auf die Proteste Lübecks Rücksicht zu nehmen, seine Staatshoheit, etwa durch Maßnahmen der Polizeigewalt, an dem fraglichen Gebiete erneut betätigt und Lübeck es überläßt, dagegen bei dem Staatsgerichtshofe seine vermeintlichen Rechte im Klagewege geltend zu machen.
Schwerin, den 5. Februar 1925. (gez.) Langfeld.
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des
Staatsministers i. R. D. Dr. Langfeld - Schwerin.
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Das jüngste Erachten des Professors Rörig in Kiel: "Nochmals Mecklenburger Küstengewässer und Travemünder Bucht" veranlaßt mich in Ergänzung meines Gutachtens vom 5. Februar d. Js. - in folgendem als "Rechtsgutachten" zitiert - zu nachstehenden Bemerkungen:
Das Rechtsgutachten beschränkte sich darauf, die Frage:
ob an dem streitigen Meeresteile - dem die mecklenburgische Küste vom Grenzpunkte mit Lübeck am Priwall bis zur Harkenbeck bespülenden Gewässer - Lübeck oder Mecklenburg die Staatshoheit zukommt?
von allgemeinen rechtlichen Gesichtspunkten aus zu beantworten. Die Würdigung der tatsächlichen Vorgänge, in denen die Ausübung der Staatshoheit der beiden streitenden Teile in Erscheinung getreten ist, überließ das Rechtsgutachten dem von dem Geheimen und Hauptarchiv in Bearbeitung genommenen und inzwischen vollendeten Erachten, das in folgendem als "Archiverachten" zitiert werden soll.
"Rechtsgutachten" und "Archiverachten" widersprechen sich nicht, wie Rörig meint, sondern ergänzen sich.
Wie seinerzeit der Schiedsspruch des 4. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890 indem Rechtsstreite zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin über die Grenze ihres Staatsgebiets an dem Dassower Binnensee, geht auch das "Rechtsgutachten" von der Ansicht aus, daß für die Entscheidung eines Streites zweier Staaten über die Grenze ihres Staatsgebietes in erster Linie die Normen des allgemeinen Völkerrechts grundleglich zu machen sind, und daß erst in zweiter Linie zu ermitteln ist, ob die völkerrechtliche Grenze etwa durch einen besonderen Rechtstitel, z. B. durch Verleihung seitens einer übergeordneten Staatsgewalt, wie in dem früheren Falle, durch Vertrag der beteiligten Staaten oder durch Ersitzung, geändert worden ist. Von diesem Standpunkte aus kommt das "Rechtsgutachten" zu dem Ergebnis: daß der streitige
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Meeresteil als "Küstengewässer" im Sinne des Völkerrechts dem Uferstaate, also Mecklenburg, zuzusprechen ist, und daß die Grenze zwischen dem mecklenburgischen Hoheitsgebiete und dem lübischen Küstengewässer durch eine Linie gebildet wird, welche von der Ufergrenze am Priwall ab in gleicher Entfernung von den Ufern beider Staaten sich in das Meer erstreckt. Das "Rechtsgutachten" hat jedoch nicht übersehen, daß den beteiligten Staaten durch das Völkerrecht eine gewisse Freiheit zur anderweitigen Festsetzung dieser Grenze überlassen worden ist, insbesondere in der Form, daß durch Vereinbarung die Grenze des Küstengewässers zugunsten Lübecks nach der mecklenburgischen Seite hin verschoben werden konnte, vorausgesetzt, daß bei solcher Verschiebung das dadurch Lübeck zugefallene Gebiet noch immer vom festen lübischen Staatsgebiet aus sich beherrschen ließ, also kurz gesagt: bis zur völkerrechtlichen Dreimeilengrenze, gerechnet vom Lübecker Ufer ans. Nach den örtlichen Verhältnissen hätte - an diesem Maßstabe gemessen - durch die Verrückung der Grenze das ganze streitige Küstengewässer bis zur Harkenbeck Lübeck zugewiesen werden können. Eine vertragsmäßige Verrückung der Grenze kommt nicht in Frage. Was durch sie erreicht werden konnte, wäre jedoch auch durch langjährige Ausübung der lübischen Staatshoheit an dem fraglichen Meeresteile zu erreichen gewesen, mochte jener tatsächlichen Übung für ihre rechtsändernde Wirkung die Bedeutung eines zwischenstaatlichen Gewohnheitsrechts oder die eines unvordenklichen Besitzstandes zugekommen sein. Ob eine solche Rechtsänderung in der Tat eingetreten ist, darüber konnte sich das "Rechtsgutachten" nicht abschließend aussprechen, weil zur Zeit seiner Ausarbeitung das erst durch das "Archivgutachten" zusammenzustellende und tunlichst urkundlich zu erweisende tatsächliche, die Ausübung der Staatshoheit an dem Gewässer sowohl seitens Lübecks als seitens Mecklenburgs ergebende Material noch nicht vorlag.
Von der zu treffenden Würdigung dieses Materials wird die Entscheidung des vorliegenden Rechtsfalls abhängen.
Es wird auf Grund desselben der Staatsgerichtshof insbesondere die Fragen zu entscheiden haben:
Genügt das von Lübeck in bezug genommene Material, um den von Lübeck zu führenden Beweis des Erwerbs des Hoheitsrechts an dem streitigen Meeresteile indem Umfange, wie ihn Lübeck beansprucht, zu erbringen?
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sowie eventuell:
Ist seitens Mecklenburgs der Gegenbeweis gegenüber dem klägerischen Beweise geführt, sei es direkt durch den Nachweis, daß die von Lübeck geltend gemachten Beweismittel nicht stichhaltig sind, sei es indirekt durch den Nachweis, daß nicht Lübeck, sondern Mecklenburg in der kritischen Zeit die Staatshoheit an dem strittigen Meeresteile ausgeübt hat?
Was Rörig auch in seinem jüngsten Erachten vorgebracht hat, reicht nicht aus, um eine andere Stellungnahme als die, welche sich aus dieser einfachen Rechtslage ergibt, zu rechtfertigen.
Rörig lehnt die Berücksichtigung des allgemeinen Völkerrechts für den vorliegenden Rechtsstreit schlechthin ab. Er will nur partikuläres Gewohnheitsrecht gelten lassen, das sich für das Verhältnis Mecklenburgs und Lübecks zu der Travemünder Bucht im Laufe einer über Jahrhunderte sich erstreckenden rechtsgeschichtlichen Entwicklung gebildet haben soll. Er macht aber außerdem für die Hoheitsrechte Lübecks an der streitigen Wasserfläche einen Erwerbsgrund geltend, der schon vor der Entstehung des heutigen Völkerrechts sich verwirklicht haben soll, - die Okkupation eines herrenlosen Gebietes.
Für diesen letzten Erwerbsgrund ist jedoch zu beachten, daß die Ostsee im Mittelalter wie heute noch ein herrenloses Gebiet gewesen ist aus dem Grunde, weil schon nach ihrer natürlichen Beschaffenheit ihre rechtliche Beherrschung unmöglich gewesen ist. Tatsächlich beherrschbar waren nur die Wasserflächen, auf welche von dem festen Lande aus eingewirkt werden konnte, nämlich das Küstengewässer. Daß auch dieses im Mittelalter eine durch Okkupation beherrschbare res nullius gewesen ist, das muß Lübeck doch erst beweisen. Bisher hat es diesen Beweis nicht erbracht. Das Gegenteil, daß das Küstengewässer der Okkupation nicht mehr offen stand, ergibt sich vielmehr aus den eingehenden Ausführungen des "Archiverachtens" über die von den Territorialherren und - auf Grund deren Verleihung - von einzelnen Städten an dem Strande ausgeübten, aus dem Hoheitsrechte fließenden Befugnisse. Zum "Strande" gehörten aber außer dem festen Ufer auch die von der Flut überströmten Flächen des Strandes.
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Was nun weiter die Ablehnung der Anwendung des allgemeinen Völkerrechts auf den vorliegenden Fall betrifft, so wäre Rörig zuzustimmen, wenn man seiner eigenartigen Auffassung beipflichten müßte, daß die Anwendung des Völkerrechts nichts anderes sei als ein "Analogieschluß", und daß das allgemeine Völkerrecht nur eine Zusammenfassung der übereinstimmenden partikularrechtlichen Normen für das zwischenstaatliche Verhältnis der Völker bilde. Ein Analogieschluß wäre die Anwendung des Völkerrechts, wenn es keine unmittelbare Geltung beanspruchen könnte. Seine Anwendung wäre alsdann nicht anders zu beurteilen als der Fall, daß ein deutscher Richter einen ihm vorliegenden Rechtsstreit nach den für diesen maßgebenden Bestimmungen des englischen oder französischen Rechtes entscheidet. Und wäre das Völkerrecht nur eine Kompilation der übereinstimmenden zwischenstaatlichen Rechtsnormen der einzelnen Staaten, so müßte der Richter vor seiner Anwendung immer erst feststellen, daß es auch in dem Lande, dessen Recht der abzuurteilende Fall unterliegt, maßgebend ist. Schon diese Konsequenzen rechtfertigen das Bedenken an der Richtigkeit der Ansicht Rörigs über Wesen und Bedeutung des Völkerrechts. Rörigs Ansicht ist aber überhaupt rechtsirrtümlich. Sie wird dem wirklichen Charakter des Völkerrechts nicht gerecht. Wenn Rörig unter Berufung auf Triepel von dem Satze ausgeht: "Es gibt, wenn man so sagen darf nur partikuläres Völkerrecht, nur Sätze, die für zwei, drei, viele, niemals aber für alle Staaten gelten, und ein allgemeines Recht läßt sich aus diesen Einzelrechten nur im Wege der Vergleichung und Zusammenstellung der in mehreren oder vielen Staaten gleichmäßig, kraft besonderer Rechtsquelle geltenden Rechtssätze gewinnen", - so muß zugegeben werden, daß viele Normen des allgemeinen Völkerrechts auf Grund partikulärer Rechtsentwicklung, insbesondere zwischenstaatlicher Verträge, allgemeine Anerkennung erlangt haben. Daraus folgt aber noch nicht, daß alles Völkerrecht nur partikuläres Recht ist. Die Mehrheit der Völkerrechtslehrer lehnt jedenfalls diese Auffassung ab. Auch das allgemeine Völkerrecht ist eine Rechtsnorm, die aus einer alle Kulturstaaten bindenden Rechtsquelle fließt. Es ist nichts anderes als die Rechtsordnung für die Gemeinschaft, zu der im Laufe der Zeit alle Kulturstaaten sich zusammengeschlossen haben, teils auf Grund gemeinsamen Rechtsempfindens, teils auf Grund praktischer Erwägungen. Das allgemeine Völkerrecht regelt nur die Verhältnisse der einzelnen Staaten zueinander und zu der Gesamtheit. Es ist aber ein
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gemeines Recht, nicht ein allgemeines, aus der Übereinstimmung der Rechtsordnung der Einzelstaaten sich ergebendes Recht. Es bindet die einzelnen Staaten, weil sie der Gemeinschaft, für die es sich entwickelt hat, angehören. Für die Anwendung eines völkerrechtlichen Rechtssatzes auf die zwischenstaatlichen Verhältnisse eines deutschen Staates genügt deshalb auch die Tatsache, daß der Satz dem allgemeinen Völkerrecht angehört, es bedarf nicht noch des Nachweises, daß der betreffende Satz in dem Staate als partikuläres Recht gilt. Das Völkerrecht bildet gewissermaßen das Grundgesetz der Völkergemeinschaft. Als solches enthält es wirkliche und zwingende Rechtsnormen, nicht nur theoretische Lehrsätze 1 ). Für das Deutsche Reich wenigstens ist in dieser Hinsicht jeder Zweifel beseitigt durch die Bestimmung des Art. 4 der Reichsverfassung: "Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts."
Aus diesem gemeinrechtlichen Charakter des Völkerrechts ergibt sich dann aber auch, daß es partikulären Vorschriften vorgehen muß, soweit es nicht selbst einer abweichenden partikulären Normierung Raum läßt. Wie weit dieser zwingende Charakter reicht, das mag für den einzelnen Rechtsfall nicht immer ganz leicht festzustellen sein. Im allgemeinen wird man doch sagen können, daß einer Rechtsnorm, welche nur den natürlichen Verhältnissen entspricht, oder an deren einheitlicher und sicherer Anwendung alle Kulturnationen gemeinsam interessiert sind, ein zwingender Charakter zuzuerkennen ist. Insofern läßt sich auch für das Verhältnis des partikulären Gewohnheitsrechts zu dem allgemeinen Völkerrecht der Gedanke verwerten, dem die bekannte Entscheidung Konstantins Ausdruck gegeben hat, welche in der Lehre des Pandektenrechts 2 ) so verschieden beurteilt worden ist: c. 2 C. quae sit longa consuetudo 8, 53:
Consuetudinis ususque longaevi non vilis auctoritas est, sed non usque adeo sui valitura momento, ut rationem vincat aut legem.
Angewandt auf den vorliegenden Fall, dürfte hiernach eine zwingende Wirkung zuzugestehen sein:
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aus rationellen Erwägungen dem Satze, daß an nicht begrenzten Meeresteilen eine Herrschaft unmöglich, an begrenzten nur soweit möglich ist, als sie vom Ufer aus ausgeübt werden kann;
aus dem allgemeinen Interesse an einer einheitlichen und sicheren Feststellung der Staatsgrenzen dem Satze über die Dreimeilengrenze.
Soweit völkerrechtlichen Rechtsnormen ein zwingender Charakter zukommt, mußte sich für den einzelnen Staat, der sich ihm unterwarf, aus diesem Charakter auch die Folge ergeben, daß das bisherige, mit dem betreffenden Rechtssatz in Widerspruch stehende einzelstaatliche Recht mit der Unterwerfung des Staates unter das Völkerrecht außer Kraft trat. Dies ist der Sinn der von Rörig bemängelten Bemerkung des "Rechtsgutachtens", daß "Ausübungsakte der von Lübeck beanspruchten Hoheitsrechte aus der Zeit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts - der Geburtsstunde des Völkerrechts - unbeachtet bleiben müssen, weil sie durch die zum Durchbruch gekommene, auf den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen über die Freiheit der Meere beruhende neue Rechtsentwicklung erledigt worden sind".
Rörig glaubt die ausschließliche Berechtigung Lübecks an der Travemünder Bucht schon durch das überwiegende Interesse Lübecks an diesem Meeresteile rechtfertigen zu können. Er bemerkt: "Das ganze Travegebiet, soweit es schiffbar war, von Oldesloe bis einschließlich der Travemünder Reede, stellt einen Sonderfall dar, der zu verstehen ist aus der überragenden Stellung, die Lübeck in seiner wirtschaftlichen Nutzung und im Zusammenhange damit in seiner rechtlichen Beherrschung einnahm." Dem muß widersprochen werden. Gewiß ist Lübeck an der Travemünder Bucht weit mehr interessiert als einer der übrigen Uferstaaten. Aber das überwiegende Interesse eines von mehreren Teilnehmern an einer gemeinschaftlichen Sache ist kein Rechtsgrund, aus dem ihm die ganze Sache zugesprochen und über das entgegenstehende Recht der übrigen Teilhaber hinweggegangen werden kann. Es wäre dies ein flagranter Verstoß gegen den Grundsatz: "Justitia est constans et perpetua voluntas, jus suum cuique tribuendi" (l. 1 J. de justitia et jure I, 1). Das vorwiegende Interesse Lübecks an der Bucht kann nur als Motiv für eine vertragsmäßige oder gewohnheitsrechtliche Regelung der Hoheitsverhältnisse im lübischen Sinne dienen. Die Tatsachen, aus denen sich diese Regelung ergibt, müssen aber erwiesen werden. Dieser
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Beweis kann weder ersetzt werden durch die Behauptung, daß das Fahrwasser in der Bucht, in welches die Trave ausläuft, als ein Teil des ganzen, in Lübecks Eigentum stehenden Travestroms anzusehen sei, noch durch die Behauptung, daß Lübeck die "Reede" von Travemünde gehöre und daß ihm deshalb die gesamte Wasserfläche zuzusprechen sei, welche nach den örtlichen Verhältnissen der Reede zugerechnet werden müssen, also insbesondere auch, wie Lübeck geltend macht, bis zu dem festen mecklenburgischen Ufer von Priwall bis zur Harkenbeck.
Flüsse sind rechtlich anders zu behandeln als Meeresteile. An dem fließenden Wasserstrom eines Flusses ist, da er durch die Ufer eingefaßt wird, eine rechtliche Herrschaft an sich möglich, auch wenn dem Staat, der sie in Anspruch nimmt, die Ufer des Flusses nicht gehören. Anders dagegen verhält es sich bei dem offenen Meere. Der Auslauf eines Flusses aus der Mündung in das Meer bildet aber, auch soweit in ihm die Strömung des Flusses noch festgestellt werden kann, einen Teil des Meeres - sei es Eigenmeer, sei es Küstengewässer - und untersteht deshalb den für solche Meeresteile maßgebenden Grundsätzen. Im vorliegenden Falle kommt indessen auf die Entscheidung dieser Kontroverse nichts an, weil das Fahrwasser der sog. Außentrave außerhalb des mecklenburgischen Küstengewässers liegt.
Anlangend dagegen die "Reede", so ist bereits in dem Rechtsgutachten ausgeführt worden, daß ein selbständiger Rechtsbegriff der "Reede" nicht anzuerkennen ist. Es ist unter "Reede" nichts anderes zu verstehen als die Bezeichnung eines Meeresteiles, der bestimmten Zwecken, nämlich der Bestimmung, als Ankerplatz der Schiffe benutzt zu werden, dient, der aber nach seinem Verhältnis zur Küste als Eigenmeer oder Küstengewässer anzusehen ist. Wenn also Lübeck auch das unmittelbar die mecklenburgische Küste bis zur Harkensee bespülende Gewässer als einen Teil der Reede in Anspruch nimmt, so muß es beweisen, daß es auch an diesem, nach allgemeinem Völkerrechte zum mecklenburgischen Küstengewässer gehörigen Meeresteile wirkliche Hoheitsrechte tatsächlich ausgeübt und damit gewohnheitsrechtlich oder durch unvordenkliche Verwährung die Staatshoheit erworben hat.
Es verbleibt somit bei der oben unter II am Ende festgestellten Rechtslage. Der Staatsgerichtshof hat die Aufgabe, auf
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Grund des von den Parteien beigebrachten umfänglichen und nicht leicht zu behandelnden Tatsachen- und Beweismaterials die Frage zu entscheiden,
ob Lübeck der Beweis der durch Gewohnheitsrecht oder unvordenklichen Besitz erlangten Staatshoheit an der streitigen Wasserfläche in vollem oder in beschränktem Umfange gelungen ist.
Der Altmeister des deutschen Handelsrechts, welcher vorübergehend auch eine Zierde unserer Landesuniversität gewesen ist, Heinrich Thöl, macht im Vorworte zur ersten Auflage seines "Handelsrechts" über die Judikatur des früheren hanseatischen Oberappellationsgerichts in Lübeck die Bemerkung: aus den Entscheidungen dieses Gerichts habe ihn ein Geist angeweht, "kräftig und frisch wie reine Seeluft". Möchte es dem Staatsgerichtshof gelingen, durch seine Entscheidung in einer lübischen Sache dieses gesunde Rechtsempfinden neu zu beleben. Mehr noch wäre es jedoch zu begrüßen, wenn die Parteien noch vor der Entscheidung im Wege der Verständigung über eine klare, sichere und den Interessen beider Staaten entsprechende Regelung ihrer Seegrenzen den Streitfall erledigen sollten.
Schwerin, den 15. August 1925.
(gez.) Langfeld.
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des
Universitätsprofessors Dr. Julius v. Gierke=Göttingen.
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Einleitung | 29-30 | ||
A. | Grundlagen für die Entscheidung im allgemeinen | 31-40 | |
I. | Die von Lübeck in Anspruch genommenen Gewässer | 31 | |
II. | Die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung | 31-40 | |
B. | Allgemeine Prüfung der etwaigen besonderen Grundlagen bei dem vorliegenden Streitfall | 41-45 | |
C. | Die Ausübung von Hoheitsrechten an dem "streitigen Küstengewässer" | 46-111 | |
I. | Die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor Ausbildung des modernen Völkrerrechts im Allgemeinen - Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer | 46-66 | |
II. | Die Abgrenzung des gesamten, von Lübeck in Anspruch genommenen Küstengewässers | 67-74 | |
III. | Lübecker Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer? | 74-102 | |
IV. | Mecklenburger Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer | 102-110 | |
V. | Gewohnheitsrecht und Unvordenklichkeit | 110-111 | |
D. | Entscheidung | 112 |
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Der vorliegende Rechtsstreit zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin ist bei dem Staatsgerichtshof für das deutsche Reich anhängig. Lübeck hat beantragt, festzustellen, daß
Es ist vorweg zu bemerken, daß für den Antrag unter 3 dem Staatsgerichtshof die volle Zuständigkeit fehlt, und daß der Antrag 4 in dieser Hinsicht nicht einwandfrei gefaßt ist. Nach Art. 19 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 entscheidet der Staatsgerichtshof "über Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern". Infolgedessen kann er nicht eine Entscheidung dahin treffen, daß dem lübeckischen Staat auf den Gewässern das "ausschließliche Fischereirecht" zusteht, denkbar ist nur eine Entscheidung über die Fischereihoheit. Entsprechend kann bei dem Antrage unter 4 nicht einfach von "Rechten", sondern nur von Hoheitsrechten die Rede sein.
In dem folgenden Gutachten werde ich mich daher nur mit den nicht privatrechtlichen Ansprüchen, d. h. mit den Hoheitsrechten in bezug auf die Travemünder Bucht beschäftigen.
Die Gutachten anderer Sachverständiger, welche von mir bei meinem Gutachten benutzt worden sind, sind folgende - wobei ich gleich die Abkürzungen, die ich im folgenden benutzen werde, einfüge:
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Nachdem ich längere Zeit mit der Ausarbeitung meines Gutachtens beschäftigt war, sind mir noch folgende Gutachten zugegangen:
*) Anm. des Hrsg.: Es sind gedruckt das Gutachten Langfeld I oben S. 1-14, das Gutachten Langfeld II oben S. 15-24, das Gutachten Archiv II im Jahrbuch 89, S. 1-228. Auf diese Drucke beziehen sich die betreffenden Seitenzahlen in den Noten.
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Die von Lübeck in Anspruch genommenen Gewässer.
Das von Lübeck in Anspruch genommene Gewässer ist ein Teil der Lübecker Bucht. Letztere ist eine Ausbuchtung der Ostsee als deren Uferstaaten Mecklenburg-Schwerin, Lübeck, Oldenburg und Preußen in Betracht kommen. Die Ufergrenze der Lübecker Bucht, an welcher die Länder Mecklenburg und Lübeck zusammenstoßen, befindet sich am Priwall, einer zu Lübeck gehörigen Landzunge, die von der Ostsee und dem Travefluß gebildet wird. Der Teil der Lübecker Bucht, den Lübeck in Anspruch nimmt, ist ein der Travemündung vorgelagerter Ausschnitt, dessen Grenzen folgende sein sollen: im Westen und Süden die lübeckische und mecklenburgische Küste bis zur Mündung der Harkenbeck, im Osten eine von der Harkenbeck auf die Pohnstorfer Mühle und den Turm auf dem Gömnitzer Berg in Holstein gezogene Linie, im Norden eine von dieser Linie senkrecht auf den Brodtener Pfahl (Grenze zwischen Lübeck und Oldenburg) gezogene Linie. Lübeck bezeichnet diesen Ausschnitt als "Travemünder Reede im weiteren Sinne".
Hiernach ist festzustellen, daß Lübeck für einen Teil des Meeres, der die deutsche Küste bespült, die Gebietshoheit in Anspruch nimmt, und daß dieser Meeresteil zu einem großen Teil unmittelbar der Mecklenburger Küste vorgelagert ist, nämlich an der Strecke Priwall-Harkenbeck.
Die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung.
M. E. sind bislang die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung in den vorliegenden Gutachten noch nicht mit der erforderlichen Vollständigkeit herausgestellt worden. Durchaus ab-
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zulehnen ist die Art, wie Rörig in seinen beiden ersten Gutachten an die Lösung der Frage herantritt, wenigstens greift er in der allgemeinen Formulierung der rechtlichen Grundlagen völlig fehl. Diese Formulierung geht aber dahin: "Über die Rechtsverhältnisse der Lübecker Bucht entscheidet nicht Völkerrecht, sondern örtliches, zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht" 2 ). "An der Tatsache, daß für die schwebenden Fragen wirklich zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht zu gelten hat, darüber kann es keinen Zweifel mehr geben" 3 ). Wie unrichtig und verwirrend es ist, solche Sätze als Ausgangspunkt der Betrachtung aufzustellen, dürften folgende Erwägungen ergeben. Zunächst ist das, was Rörig "zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht" nennt, gleichfalls "Völkerrecht", es ist das sog. partikuläre Völkerrecht. Es ist ferner durchaus unzulässig, sich bei einem Rechtsgutachten in der Weise von vornherein festzulegen, daß hier ein örtliches Gewohnheitsrecht gelten muß 4 ). Wie ist es denn, wenn es nicht gelingt, ein solches Gewohnheitsrecht nachzuweisen? Es bedarf doch erst einer Untersuchung, ob sich wirklich ein örtliches Gewohnheitsrecht entwickelt hat, und dabei wären die Voraussetzungen des Gewohnheitsrechtes nachzuprüfen. Schließlich ist hier gar nicht berücksichtigt, daß doch auch andere Momente eine Abweichung vom allgemeinen Völkerrecht herbeiführen können, wie eine besondere vertragliche Grundlage oder eine einseitige Einräumung von Rechten (Privilegien) oder eine Rechtsgewinnung kraft Un-
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verdenklichkeit 5 ) Dagegen wird in dem ersten Gutachten Langfelds richtig gekennzeichnet, daß an sich die allgemeinen völkerrechtlichen Normen gelten, und die etwaigen besonderen Grundlagen von Lübeck zu beweisen seien. Allein es wird in diesem Gutachten dem nicht richtig Rechnung getragen, daß wir bei der völkerrechtlichen Beurteilung der Küstengewässer zunächst von der Stellung des Deutschen Reiches auszugehen und erst dann auf die Rechtsbeziehungen der Länder überzugehen haben. Und es ist mißverständlich, wenn es daselbst heißt, daß etwaige Ausübungsakte der von Lübeck beanspruchten Hoheit aus der Zeit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts unbeachtet bleiben müßten, "weil sie durch die zum Durchbruch gekommene, auf dem allgemeinen Grundsatze über die Freiheit der Meere beruhende neue Rechtsentwicklung erledigt worden seien" 6 ). Vielmehr muß auch alles vor dem Ende des 17. Jahrhunderts liegende bewertet werden, insoweit es sich in der späteren Zeit fortsetzen konnte und fortgesetzt hat, ohne zwingenden völkerrechtlichen Grundsätzen zu widersprechen. Daß seine Ausführungen auch nur in diesem Sinne zu verstehen sind, hat Langfeld in seinem zweiten Gutachten klargestellt 7 ).
Nach meiner Ansicht wird man in bezug auf die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung am besten zu trennen haben: die allgemeinen Grundlagen einerseits und die etwa möglichen besonderen Grundlagen andererseits.
Es handelt sich bei der Lübecker Bucht, insbesondere bei der angeblichen Travemünder Reede, um einen Teil des Meeres, welcher die Küsten des Deutschen Reiches und die Küsten mehrerer deutscher Länder bespült. Entsprechend dem bundesstaatlichen
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Charakter des Deutschen Reiches ist daher in bezug auf die Hoheitsrechte über diese Fläche zwischen dem Deutschen Reich und den einzelnen Ländern - wir begnügen uns mit Lübeck und Mecklenburg - zu unterscheiden 8 ).
Die Hoheitsrechte des Deutschen Reiches über die es bespülenden Meeresteile bestimmen sich nach den Regeln des Völkerrechts, wobei zu beachten ist, daß das Reichsgebiet sich zwar aus den Gebieten der deutschen Länder zusammensetzt, aber dem Ausland gegenüber als ein einheitliches Gebiet bewertet werden muß (Art. 4 und Art. 2 der neuen RV.). Nach modernem Völkerrecht sind aber in bezug auf die einen staatbespülenden Meere zu unterscheiden die Eigengewässer (die nationalen Gewässer im engeren Sinn), die Küstengewässer (la mer territoriale) und das offene Meer. Der Unterschied beruht darauf, daß die Eigengewässer zum Staatsgebiet gehören, die Küstengewässer nicht zum Staatsgebiet gehören, aber einer beschränkten Gebietshoheit unterworfen sind, das offene Meer schließlich auch von einer solchen beschränkten Gebietshoheit frei ist. Die Grenzziehung zwischen diesen drei Gruppen ist streitig. Was die Küstengewässer 9 ) anlangt, so ist bekannt, daß in der neueren Gesetzgebung Deutschlands und anderer Staaten sowie in verschiedenen neueren Verträgen die Entfernung vielfach auf drei Seemeilen bestimmt wird, diese aber vom niedrigsten Wasserstande der Tiefebbe gerechnet. Dies ist insbesondere auch in dem von den Nordseestaaten geschlossenen Vertrage betreffend die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee vom 6 Mai 1882 geschehen. Allein diese Berechnungsweise ist keineswegs allgemein anerkannt, und gerade im 20. Jahrhundert ist die Grenze vielfach sehr viel weiter, insbesondere durch einseitige Staaten präzis hinausgeschoben worden 10 ). Im Anschluß an die historische Entwicklung müßte die Grenze soweit herausgerückt werden, als
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der Uferstaat seine tatsächliche Herrschaft auszuüben und seine Interessen zu sichern vermag 11 ). Was die Eigengewässer anlangt. So braucht hier nur auf ihre Abgrenzung von den Küstengewässern eingegangen zu werden, wie sie sich bei den Baien und Buchten darstellt. Baien und Buchten sind in ihrem inneren, von den Ufern aus noch vollständig beherrschten Teile Eigengewässer des Uferstaates, hieran schließen sich die Küstengewässer, an sie die offene See. Die Abgrenzung dieses inneren Teiles pflegt man so vorzunehmen, daß man sich von Küste zu Küste eine gerade Linie in solcher Breite der Bucht gezogen denkt, daß der Mittelpunkt der Linie durch die auf beiden Seiten errichteten Strandbatterien noch erreicht wird 12 ). In der Staatenpraxis (Deutschland, Frankreich) hat man z. T. die Breite auf 10 Seemeilen festgelegt, weitergehende Ansprüche Englands sind nicht anerkannt worden.
Wenden wir diese Ergebnisse auf das Verhältnis des Deutschen Reiches zu der Lübecker Bucht an, so müssen wir folgendes feststellen:
Die Lübecker Bucht ist, jedenfalls zu ihrem größten Teil, insbesondere aber auch in dem hier interessierenden Teil, nach allgemeinem Völkerrecht ein Eigenmeer des Deutschen Reiches. Unzweifelhaft nämlich kann der Anfang der ganzen Bucht von der Landseite an gerechnet auf weite Strecken hinaus in seiner Breite von den beiden Uferbuchtseiten aus vom Deutschen Reich durch Strandbatterien beherrscht werden, ist übrigens auch nicht breiter als 10 Seemeilen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen und es ist ein seit langer Zeit anerkannter Grundsatz, daß über die Grenzverhältnisse der deutschen Gliedstaaten an Grenzgewässern die Grundsätze des Völkerrechts gelten. Treffend sagt das Reichsgericht in seinem Schiedsspruch zwischen Lübeck und Mecklenburg vom 21. Juni 1890:
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"Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch auf das Verhältnis der Gliedstaaten des Deutschen Bundes beziehungsweise Reiches untereinander unterliegt keinem begründeten Bedenken. Denn schon im alten Deutschen Reiche trennten sich seit Ausbildung der Landeshoheit die einzelnen Glieder von einander als verschiedene, wenn auch in mancher Hinsicht unselbständige Staatspersönlichkeiten mit besonderen Gebieten, und diese Eigenschaft haben sie niemals wieder eingebüßt, vielmehr ist ihre Selbständigkeit zeitweise - während des Bestehens des Deutschen Bundes - eine wesentlich erhöhte gewesen und zum Teil bis jetzt geblieben.. . . Es würde an jeder Regel für die Abgrenzung dieser Gebiete fehlen, wenn man nicht die vorstehenden Grundsätze auch auf sie für anwendbar erachten wollte. Dieser Anwendung stehen weder äußere noch innere Gründe entgegen."
Bei dem Schiedsspruch des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890 handelte es sich um Binnengewässer. Es ist aber selbstverständlich, daß genau dasselbe auch für Meeresgrenzgewässer zu gelten hat. Und ebenso unzweifelhaft ist es, daß an alledem durch die neue Reichsverfassung vom 11. August 1919 nichts geändert ist. Zwar ist die Selbständigkeit der "Länder" gegenüber früher zugunsten des Reiches beschränkt worden, aber immer noch sind die Länder Gliedstaaten mit eigener Gebietshoheit (vgl. Art. 2 der RV.).
Somit entscheiden über die Abgrenzung der Hoheitsrechte der an der Lübecker Bucht gelegenen Länder über die Lübecker Bucht ebenfalls zunächst die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere ist die Abgrenzung zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin hiernach vorzunehmen. Hier erhebt sich aber die Frage, ob für die Abgrenzung die völkerrechtlichen Regeln für Eigengewässer, die von mehreren Staaten umgeben sind, zur Anwendung kommen, oder ob wir die Normen für die Abgrenzung von Küstengewässern zur Geltung zu abringen haben. Wir sahen nämlich, daß jedenfalls ein großer Teil der Lübecker Bucht als Eigengewässer des Deutschen Reiches in Betracht kommt, und es liegt nun der Gedanke nahe, daß es auch als Eigengewässer für die anliegenden Uferstaaten zu verteilen sei. Man könnte daran denken, daß insoweit die Rechtsverhältnisse am Bodensee, bei welchem von der herrschenden Lehre eine geteilte Herrschaft der Uferstaaten angenommen wird 13 ), entsprechend zur
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Anwendung zu bringen seien. Allein diese Analogie muß deshalb abgelehnt .werden, weil es sich bei der Lübecker Bucht nicht um ein vom Meer abgeschlossenes Gewässer handelt, und jeder einem einzelnen Staat zugeteilte Teil für sich allein betrachtet sich nicht als ein von diesem Staat für sich beherrschbares "Bucht"-Gewässer darstellen würde. Man muß daher bei der örtlichen Abgrenzung der Hoheitsrechte unter den der Lübecker Bucht anliegenden deutschen Ländern nicht von einer Betonung ihres Charakters als Gliedstaaten ausgehen, sondern gerade umgekehrt sie als Staaten werten, und eine Abgrenzung unter ihnen nach den Regeln für solche Meeresgewässer vornehmen, welche für sie vom Standpunkt ihrer Selbständigkeit aus allein in Betracht kommen können - das aber sind die Regeln über Küstengewässer 14 ).
Nach anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen werden Küstengewässer unter mehreren, an ihnen nebeneinanderliegenden Staaten derart abgegrenzt, daß an der Ufergrenze der beiden Staaten eine Linie in die See in der Weise gezogen wird, daß jeder Punkt dieser Linie von dem Ufer der beiden Staaten gleich weit entfernt ist 15 ). Es kann also kein Uferstaat eine Hoheit über einen Meeresteil in Anspruch nehmen, welcher dem anderen Uferstaat in der angegebenen Grenze vorgelagert ist. Diese völkerrechtlichen Grundsätze ergeben sich aus der Natur der Sache. Denn das Küstengewässer dient als Schutzstreifen für den Uferstaat, und jede fremde Vorlagerung in dem Rahmen dieses Schutzstreifens greift auf das empfindlichste in die Sicherheit des Uferstaates ein. Hieran kann grundsätzlich auch nichts ändern, wenn die Uferstaaten als Gliedstaaten eines zusammengesetzten Staates in Betracht kommen, denn eine unbedingte Garantie ist nicht dafür gegeben, daß der Gesamtstaat nicht vorübergehend oder dauernd zusammenbricht.
Wenden wir die so gefundenen allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze auf das Verhältnis von Lübeck und Mecklenburg-Schwerin hinsichtlich der Lübecker Bucht und auf das von Lübeck in Anspruch genommene Gewässer an, so ergibt sich folgendes:
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Nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen ist der Anspruch Lübecks auf ein Hoheitsrecht insoweit völlig unbegründet, als er den der mecklenburgischen Küste vorgelagerten Meeresteil (Priwall-Harkenbeck) - jenseits einer an der Grenze der beiden Staaten am Ufer in die See hinein gezogenen, von den Ufern beider Staaten gleich weit entfernten Linie - umfaßt 16 ).
Die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze sind nicht unbedingt maßgebend, vielmehr können sie, insoweit sie nicht zwingender Natur sind, im einzelnen Falle beiseite geschoben sein. Nun sind die Abgrenzungen der Hoheitsrechte über Küstengewässer unter benachbarten Staaten der richtigen Ansicht nach nicht zwingender Natur; es handelt sich nicht um "unveräußerliche" Rechte eines Staates, die nicht in den Besitz eines anderen Staates kommen könnten. Denn nach herrschender Lehre kann die Gebietshoheit, wie die Staatsgewalt überhaupt, durch die zugunsten anderer Staaten übernommenen oder auferlegten dauernden Verpflichtungen beschränkt sein 17 ). Infolgedessen kann auch die "beschränkte Gebietshoheit", wie sie am Küstengewässer besteht 18 ),zugunsten eines benachbarten Uferstaates eingeengt sein. Diese Einengung aber wäre an sich auf verschiedener Grundlage möglich. Denkbar wäre:
α) Eine Einschränkung kraft partikulären Gewohnheitsrechts. Es müßte also nachgewiesen werden, daß eine erweiterte Hoheit von einem Staat andauernd ausgeübt worden ist, und zwar in der Weise, daß bei allen Beteiligten
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die Überzeugung vorhanden war, daß hiermit geltendes Recht verwirklicht werde 19 ).
β) Eine Einschränkung kraft besonderen Rechtstitels. Als solcher könnte ein besonderer Vertrag zwischen den Uferstaaten in Betracht kommen, oder eine mehr einseitige Verleihung (Privileg) eines hierzu Legitimierten. Denkbar wäre auch ein Erwerb kraft Okkupation zu einer Zeit, wo die Gebietshoheit am Küstenmeer noch nicht anerkannt war 20 ).
γ) Eine Einschränkung kraft Unvordenklichkeit 21 ). Zur Unvordenklichkeit aber gehört eine seit unvordenklicher Zeit andauernde Ausübung der erweiterten Hoheit als Rechtsausübung. Hier ist der Nachweis eines Titels nicht erforderlich, noch weniger der Nachweis der Rechtsüberzeugung einer Gemeinschaft, für die sie als objektives Recht in Betracht kommen soll.
Zu beachten wäre dabei noch zweierlei: Einmal muß den Staat, welcher sich auf die erweiterte Hoheit beruft, die Beweislast treffen, und dabei werden an die Beweisführung besonders strenge Anforderungen zu stellen sein, weil es sich um einen anormalen Eingriff in die Hoheitsrechte eines anderen Staates handelt. Sodann ist zu bemerken, daß die Einschränkung
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sich auf alle am Küstengewässer möglichen Hoheitsrechte oder nur auf einige von ihnen beziehen kann.
Auf unseren zur Entscheidung stehenden Fall angewendet, würde sich hieraus folgendes ergeben:
Lübeck müßte nachweisen, daß ihm kraft einer der oben angegebenen, besonderen Grundlagen das staatliche Hoheitsrecht (oder eines der staatlichen Hoheitsrechte) an Küstengewässern an der der mecklenburgischen Küste Priwall-Harkenbeck vorgelagerten Meeresstrecke anstelle von Mecklenburg zusteht.
Von dem Ausfall dieses Beweises wird dann der weitere Gang der Untersuchung abhängen. Wir wollen im folgenden das an sich Mecklenburg zukommende Küstengewässer Priwall-Harkenbeck mit "streitigem Küstengewässer" bezeichnen.
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1. Es ist zunächst unbestritten, daß ein besonderer Vertrag zwischen Lübeck und Mecklenburg über die Hoheit an dem streitigen Küstengewässer nicht abgeschlossen worden ist. Lübeck kann daher den Beweis einer besonderen vertraglichen Grundlage nicht erbringen.
2. Was die einseitige Verleihung seitens eines hierzu Legitimierten (Privileg) anlangt, so wird in den Gutachten von Rörig der Versuch gemacht, das sog. Barbarossaprivileg von 1188 in gewisser Weise zugunsten Lübecks heranzuziehen. Allein dieser Versuch muß als völlig fehlgeschlagen bezeichnet werden, und die von Rörig vertretene Ansicht ist ganz unhaltbar. Wir sehen ganz davon ab, daß nach neueren Forschungen sich das Privileg von 1188 als eine Fälschung darstellt 22 ).
Die Stelle der Urkunde, um die es sich handelt, lautet so:
"Insuber licebit ipsis civibus et eorum piscatoribus piscari per omnia a supradicta illa Odislo usque in mare preter septa comitis Adolfi, sicut tempore ducis Heinrici facere consueverunt."
In seinem ersten Gutachten hatte Rörig zu dieser Stelle erklärt 23 ): "Der Ausdruck ,bis ins Meer' läßt nach dem festzustellenden Sprachgebrauch kaum einen Zweifel, daß wirklich ein Stück Meeres mit einbegriffen sein soll." In der Anmerkung hierzu
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fährt er dann wörtlich fort: "In dem bekannten Reichsgerichtsurteil von 1890 werden die Worte "usque in mare" mit "bis ins Meer" wiedergegeben, also auch eine Ausdehnung bis über die eigentliche Mündung hinaus angenommen." Dieser Sprachgebrauch werde auch noch durch einen Vergleich mit dem Freibrief Friedrichs II. von 1226 bestätigt, da hier für die Kennzeichnung" bis zur Mündung" der Ausdruck "usque ad mare" gebraucht werde. An einer späteren Stelle seines ersten Gutachtens sagt dann Rörig wörtlich 24 ): "In der Tat ließe sich aus dem Privileg Friedrichs I. die Übertragung des Fischereiregals ,usque in mare' folgern; nachweisen nicht." - Auf verschiedene Einwendungen des Mecklenburgischen Geheimen und. Hauptarchivs hin sucht Rörig in seinem zweiten Gutachten 25 ) die Stelle des Barbarossaprivilegs insbesondere mit dem Privileg für Rostock von 1256 in Parallele zu setzen, in dem es heißt: "a ponte aquatico . . . usque Warnemunde necnon extra portum in marinis fluctibus eo tanto dotamus beneficio piscature, quantum pre intemperie aeris audeant attemptare." Er meint, daß das angesehene Lübeck doch nicht hatte schlechter dastehen sollen als das jüngere und bescheidenere Rostock. Daher ergebe das Barbarossaprivileg eine Fischereigerechtigkeit Lübecks auf dem Meere (Reedegebiet); darüber hinaus sei aber als wirklicher Rechtszustand auch ein weitergehendes Hoheitsrecht auf Grund späterer Zeugnisse bereits damals anzunehmen. Im übrigen sei Lübeck gar nicht das Fischereiregal auf dem Meere "übertragen" worden, sondern es handele sich nur um die Anerkennung eines von Lübeck kraft eigenen Rechts erworbenen Fischereihoheitsrechts am Meere. Diese letzten Bemerkungen Rörigs erklären sich aus seiner absonderlichen Meinung, auf welche später zurückzukommen ist, daß nämlich ein Regal am Küstengewässer nicht bestanden habe, dieses vielmehr als völlig herrenlos der freien Okkupation offengestanden habe. Wir sehen daher hier 25 ) von einer Widerlegung ab und begnügen uns mit der Feststellung, daß Rörig in seinem ersten Gutachten erklärt hat, daß man aus dem Barbarossaprivileg eine Übertragung des Fischereiregals über Stücke des Meeres folgern könne, und daß Lübeck in einem Schreiben an Mecklenburg vom 12. Juni 1616 die Zugehörigkeit des "Travestromb mit dem Port und der Reide"
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zu Lübeck auf "kayserliche und königliche Privilegien" stützt, wobei nach Rörig die "Reide" das ganze, jetzt von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer umfassen soll 27 ). Es ist daher nötig, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das Barbarossaprivileg eine Verleihung von Hoheitsrechten über das Meer enthält.
Diese Frage ist voll und ganz zu verneinen. Die Deutung, die Rörig den Worten "usque in mare" gibt, ist unhaltbar. Die Worte können hier nur bedeuten "bis zum Meere". Und zwar aus folgenden Gründen: Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Ausdruck "usque in mare" in zahllosen Urkunden der damaligen Zeit, und zwar auch in Urkunden der kaiserlichen Kanzlei, in dem Sinn "bis zum Meere" gebraucht wird 28 ).Würden die Worte bedeuten, daß die Fischerei "bis in das Meer hinein" übertragen werden sollte, so wäre damit ein abgegrenzter Meeresteil nicht gegeben. Es ist aber alsdann ausgeschlossen, daß die Urkunde sich derart ausgedrückt hätte, wie es geschehen ist. Man würde nämlich niemals an eine Verleihung einer beliebig weit ausgedehnten Fischerei im Meere die Ausnahme der ganz oberhalb in der Trave gelegenen Lachswehr angeknüpft haben, da dies völlig einer anschaulichen Darlegung widersprechen würde 29 ). - Weiter ergibt der Bericht des gleichzeitigen Chronisten Arnold, daß Lübeck nur Hoheitsrechte "a mari usque
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Thodeslo" erhalten hat 30 ). - Was aber die Gegenüberstellung des Barbarossaprivilegs und der Verleihungsurkunde für Rostock von 1256 anlangt 31 ), so verfährt Rörig hierbei und bei der anschließenden Betrachtung ganz ungenau. Zunächst läßt er beidem Barbarossaprivileg die Ausnahme von der Lachswehr des Grafen Adolfs ganz fort, obschon ihr durchaus entscheidende Bedeutung zukommt 32 ). Sodann wird bei der anschließenden Betrachtung bei dem Rostocker Privileg aus den Worten "in marinis fluctibus" plötzlich ein "usque (!) in marinis fluctibus" gemacht 33 ). In Wirklichkeit ergibt eine unbefangene Betrachtung gerade mit größter Deutlichkeit, daß Rostock eben ein Fischereirecht im Meere erhält, Lübeck aber nicht. - Aufs Schärfste zurückzuweisen ist schließlich noch die Behauptung Rörigs, daß das Reichsgerichtsurteil von 1890 eine Ausdehnung der Hoheitsrechte Lübecks bis über die eigentliche Mündung hinaus auf Grund des Barbarossaprivilegs angenommen habe. Das Reichsgericht übersetzt zwar die Worte "usque in mare" mit "bis ins Meer", es versteht darunter aber, wie seine Ausführungen unzweifelhaft zeigen, "bis zur Mündung ins Meer" 34 ). An manchen stellendes Urteils ist dies auch mit dürren Worten ausgesprochen; so schließt sich z. B. das Reichsgericht der Ansicht von Lübeck an, daß es sich "um die Einverleibung des Traveflusses, soweit dessen Wasser bei höchstem Wasserstande reicht, von der Mündung bis zur Brücke bei Oldesloe" handele, und es spricht von einer "Verleihung der Herrschaft über den Travestrom in der weitesten Ausdehnung seiner Wasserfläche bis zur Mündung" 35 )
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Lübeck kann daher den Beweis, daß für es eine besondere Grundlage kraft eines Privilegs gegeben sei, nicht erbringen.
3. Die Frage, ob Lübeck als besondere Grundlage ein Gewohnheitsrecht nachweisen kann, setzt eine Untersuchung über die tatsächliche Ausübung von Hoheitsrechten im Laufe der Geschichte voraus. Gleiches ist aber auch bei der Frage der Unvordenklichkeit der Fall. Daher kann die Untersuchung in bezug auf beide Fragen zunächst auf weite Strecken zusammengehen. Dementsprechend wollen wir in einem besonderen Abschnitt: Die Ausübung von Hoheitsrechten an dem streitigen Küstengewässer im Laufe der geschichtlichen Entwicklung betrachten. Dabei wird es aber unumgänglich nötig sein:
a) eine allgemeinere Betrachtung über die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor der Ausbildung des modernen Völkerrechts und allgemeine Folgerungen hieraus für das streitige Küstengewässer voranzustellen. Denn in den Gutachten Rörigs werden in dieser Hinsicht ganz sonderliche Ansichten vertreten.
b) Und ferner eine Prüfung vorzunehmen, auf welchen Fundamenten eigentlich die Abgrenzung des gesamten von Lübeck beanspruchten Küstengewässers (der von ihm sog. Travemünder Reede) beruht.
4. Wir haben oben als eine mögliche, besondere Grundlage für die Ansprüche Lübecks auch den Erwerb kraft Okkupation in einer Zeit, wo eine Gebietshoheit über Küstengewässer noch nicht anerkannt war, angeführt. Diese Frage kann ihre Erledigung erst finden, nachdem die Rechtsverhältnisse an den Küstengewässern in früherer Zeit klargestellt worden sind (oben 3 a).
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Die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor Ausbildung des modernen Völkerrechts im allgemeinen. - Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer.
Rörig geht in seinen Gutachten von der Vorstellung aus, daß im Mittelalter vor Ausbildung des völkerrechtlichen Begriffs des Küstengewässers die Wasserflächen an den deutschen Küsten des Meeres "offenes Meer" gewesen seien und noch keiner Verfügungsgewalt des Uferstaates unterlegen hätten 36 ). Aus diesem allgemeinen Satz werden dann von ihm wichtige Folgerungen für das im Streit befangene Küstengewässer gezogen.
Das Mecklenburger Staatsarchiv ist der Auffassung Rörigs mit aller Entschiedenheit entgegengetreten und verficht den Standpunkt, daß bereits im Mittelalter ein Hoheitsrecht des Uferstaates an seinen Gewässern an der Küste (Küstengewässern) bestanden und sich in verschiedenen Ausstrahlungen geäußert habe.
Nach meiner Ansicht kann kein Zweifel sein, daß Rörig in einem schweren rechtshistorischen Irrtum befangen ist.
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Es soll im folgenden nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden, die in der vorliegenden Frage vorgebracht worden sind. Wir wollen uns darauf beschränken, einige markante Belege für die richtige Ansicht aneinander zu reihen und das Ergebnis festzulegen und gegen Einwendungen Rörigs zu verteidigen (unter I). Alsdann sollen allgemeine Folgerungen hieraus für das streitige Küstengewässer gezogen werden (unter II).
I. Wenden wir uns zunächst der Besprechung einiger wichtiger Belege zu, so wollen wir dabei so verfahren, daß wir die an die Lübecker Bucht angrenzenden Gebiete an den Schluß stellen, da sich die für sie maßgebenden Quellen am sichersten und besten nach Kenntnis der Quellen anderer Gebiete verstehen lassen.
Ein helles Licht auf die Rechtsverhältnisse am Küstengewässer wirft das Privileg Kaiser Friedrichs II. von 1226 (Preuß. Urkb. I 1. Nr. 56), durch welches er dem Hochmeister des Deutschen Ordens die Landeshoheit verlieh. In diesem lesen wir:
"Concedentes et confirmantes eidem magistro et domni sue - . . . totamterram, quam in partibus Prussiae - conquiret velut vetus et debitum jus imperii in montibus - fluminibus . . . et in mari."
Es kann daher gar keine Frage sein, daß hiermit der Orden auch die Landeshoheit über das dem Binnenlande Preußens vorgelagerten Meere, also über das Küstengewässer der Ostsee, erhielt. Das Küstengewässer untersteht der königlichen Verfügungsgewalt und die Hoheit über es wird als Regal übertragen 37 .
Im Anschluß hieran wurde alsdann vom Deutschen Orden und den Bischöfen von Samland und Ermland ein Fischereiregal in bezug auf die Küstengewässer der Ostsee, soweit sie ihre Länder bespülten, ausgebildet und gehandhabt 38 ).
Man vergleiche hierfür insbesondere:
Die Handfeste des Bischofs Siegfried von Pomesanien für die Stadt Schönwik (Fischhausen) von 1290 und deren Erneuerung
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von 1305 39 ), in welcher es heißt, daß ihren Einwohnern übertragen sei "perpetuam libertatem piscandi in recenti mari" (d. h. dem Haff) und dann fortgefahren wird:
"Poterunt insuper . . . cives in perpetuum libere, cum voluerint in salso mari piscari."
In der Erklärung des Landmeisters Helwig von Goldbach über das Fischereirecht der Predigermönche in Elbing von 1302 40 ) lesen wir ferner:
"Quod idem prior et conventus . . . in recenti mari cum una sagena et in salso mari similiter cum una . . . libere piscandi, sicut dicta maria ad domum Elbingensem pertinent, habeant facultatem."
Im Jahre 1342 41 ) verlieh der Hochmeister Ludwig König den Fischern der Stadt Danzig die Berechtigung neben und mit den Leuten des Klosters Oliva 42 ), im Meere zu fischen, außerdem bestimmt er:
"In salso mari unam liberam navium habebunt peromne nostrum dominium pro captura allecum et piscium quorumcunque."
D. h. sie erhalten ein Schiff frei von Abgaben für den Fischfang im salzigen Meere in dem ganzen Herrschaftsgebiet des Ordens, d. h. in seinen Küstengewässern (man kann auch übersetzen "an unserm ganzen Herrschaftsgebiet entlang") 43 ).
Schon etwas früher sind uns Privilegien der Herzöge von Pommerellen überliefert, aus denen sich ergibt, daß diese ein Fischereiregal über ihre Küstengewässer ausübten.
Die älteste Urkunde ist das Privileg des Herzogs Suantepolk für das Kloster Sarnowitz von 1275 44 ), in welcher es heißt:
"Insuder addimus eis liberam potestatem in salso mari piscandi rumbos, esoces vel alios quoscunque pisces . . . stationes eciam que sunt vel haberi poterunt in terminis ipsorum . . . cum omni jure et proventus allecis de navibus
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in eisdem stationibus allec capientibus . . . conferimus et donamus."
v. Brünneck 45 ) hat diese Stelle etwas freier so wiedergegeben:
"Der Herzog gewährte danach den Nonnen des Klosters . . . die Freiheit und die Gerechtsame, im salzigen Meere Schollen (Flundern), Hechte und sonstige Fische jeder Art zu fangen, auch innerhalb näher bezeichneter Grenzen den Heringsfang zu betreiben und in der See an geeigneten Stellen Einrichtungen und Anstalten zu haben und noch künftig anzulegen, welche das Fangen der Heringe ermöglichten und erleichterten."
Auch aus anderen Privilegien der Herzöge von Pommerellen erhellt das Fischereiregal am Küstengewässer 46 ).
Die älteste Urkunde, welche uns in der hier interessierenden Frage über die Küste des Festlandes Pommerns Auskunft gibt, ist die Gründungsurkunde der deutschen Stadt Kolberg von 1255. Wir schließen an sie sogleich die Besprechung zweier späterer Privilegien für Kolberg an.
Das Gründungsprivileg von 1255 47 ) ist von zwei Herrschern erteilt, dem Bischof von Kammin Hermann und dem Herzog von Pommern Wratislaw III. Zu dieser Zeit gehörte beiden das "Land" Kolberg, indem der östliche Teil dem Bischof, der westliche dem Herzog zustand. Die Stadt Kolberg aber wurde in der Weise gegründet, daß zwar ihr Grundstock im östlichen Gebiet lag, sie aber auch Berechtigungen im westlichen Teil und Gerechtsame, die beiden Herrschern gemeinsam waren, erhielt. In diesem Privileg heißt es nun:
"Piscationem quoque in fluvio Persanta et salsi maris, in quantum attingere possunt, liberam donavimus civitati sepe dicte."
Dies bedeutet: "Auch verleihen wir der genannten Stadt die freie Fischerei in dem Persantefluß und in dem Salzmeere, so weit sie zu reichen vermögen." Hiernach wird den Kolbergern die freie
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Meeresfischerei verliehen, soweit sie sie betreiben können 48 ) also zu beiden Seiten des Ausflusses der Persante ohne bestimmtere Angabe.
Das Privileg ergibt also mit voller Sicherheit ein Fischereiregal der beiden Herrscher an ihren Küstengewässern.
Einen weiteren Einblick in dieses Regal erhalten wir alsdann durch die Privilegien für Kolberg von 1266 und 1286. Das Privileg von 1266 49 ) rührt von Barnim I., dem Erben Wratislaw III. in bezug auf den östlichen Teil des Landes Kolberg 50 ) her. In ihm wird nun unter anderem die freie Küstenfischerei der Stadt festgelegt auf die Meeresgewässer längs des Stadtgebietes, insoweit sie zur Landesherrschaft Barnims gehören:
"ut . . . ubicumque in salso mari, in quantum se eiusdem civitatis termini iuxta mare salsum in agris et campis extendunt . . . ut prescriptum est, allecia libere et absque cuiuslibet thelonei solucione capere valeant in locis predictis, quantum ad nostrem pertinent dominationem."
Wir sehen hier deutlich, wie die Küstengewässer zur Herrschaft des Uferstaates gehören, denn nur in bezug auf seine Küstengewässer erläßt der Herzog seine Verfügung. Gleichzeitig erkennen wir, daß man die Wasserflächen selbst als zur Landesherrschaft gehörig betrachtete. Die Urkunde von 1266 ist auch deshalb wichtig, weil sie uns die normale Abgabe vom Fischfang mitteilt:
"decem et octo denariorum de remo et unius masse allecium de navi," d. h. 18 Pfennige vom Ruder und eine "massa" Heringe vom Schiff," und diese Fischfangabgabe mit "theloneum" bezeichnet wird, das also von dem Zoll im engeren Sinne scharf zu unterscheiden ist 51 ).
In dem Privileg von 1286 52 ) gibt der Herzog vom Pommern Bogislav IV. der Stadt Kolberg die Freiheit des Fischfanges im Meere von der Stadt Kolberg an bis zur Swine an jedem Ort,
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der zu seinem Herrschaftsbereich gehört. Der Fischfang wird auf Zugnetze und "Sommernetze" begrenzt und hiermit deutlich als Küstenfischerei gekennzeichnet:
"quod in salso sive in magno mari cum retibus strictis et hiis que somernette vocantur a dicta civitate Colberch usque ad Zwinam in omniloco ubinostrum est piscandi diversi et omnis generis pisces habebunt perpetuam libertatem."
Der Zusatz "in omni loco ubi nostrum est" 53 ) ist offenbar deshalb gewählt, weil dem Herzog von Pommern im Jahre 1286 der westliche Teil des Landes Kolberg nicht mehr gehörte, da dieser im Jahre 1276 von Barnim I. an den Bischof von Kammin übertragen worden war 54 ). Das gesamte Küstengewässer längs des Stadtgebietes Kolbergs gehörte zu dieser Zeit also dem Bischof von Kammin, und das Privileg schlug rechtlich nur durch in bezug auf das Küstengewässer von der westlichen Grenze des Kolberger Stadtgebietes bis zur Swine. - Wichtig an dem Privileg ist noch, daß der Herzog in ihm von Befehlen an alle seine Hauptleute, Vögte, Untervögte, Beamte und Einwohner spricht, daß diese die Gerechtsame der Kolberger nicht beeinträchtigen. Es besteht also eine landesherrliche Aufsicht über die Küstengewässer.
Von Barnim I. von Pommern, dessen Privileg für Kolberg von 1266 wir kennen gelernt haben, rührt auch das Privileg von 1274 ) 55 )für die Stadt Kammin her. In diesem wird ganz entsprechend dem Kolberger Privileg den Bürgern von Kammin für die Fischerei im Meere an der Küste des Landes Kammin Abgabenfreiheit gewährt ("in salso mari . . . quantum ad terram Camynensem pertinet . . ." "ab omni solucione, que nobis vel nostris debetur, ea libera iudicamus").
Sehr häufig sind auch Privilegien, welche Klöstern und Ortschaften abgabenfreie Schiffe beim Schollen- oder Heringsfang in den Küstengewässern des privilegierenden Landesherrn gewähren.
So gibt Barnim I. von Pommern im Jahre 1265 56 ) dem Kloster Dargun ein abgabenfreies Schiff zum Schollenfang "in
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mari salso terre nostre dominio adiancenti" 57 ) wobei die gewöhnlichen Fischfangabgaben mit "pensio", "theoloneo", "exactio" bezeichnet werden. - So gibt der Bischof Hermann von Kammin dem Nonnenkloster bei der Altstadt Kolberg im Jahre 1278 ein abgabenfreies Schiff für den Heringsfang "in terminis nostris" 58 ) oder, wie es in einer anderen Urkunde heißt, "infra terminos Colberg et Coslin" 59 ).
Wir erwähnen ferner noch die weitgehenden Privilegien an das Jungfrauenkloster zu Cöslin von 1278 und 1279 60 ), in denen ein abgabenfreies Schiff für den Heringsfang und die Freiheit gewährt wird, "cum sagena (d. h. dem Schleppnetz) in salso mari pisces in nostris terminis capiendi".
Schließlich wird die Zugehörigkeit des Meeres zur Landesherrschaft auch durch das Privileg an die Stadt Treptow an der Rega von 1309 61 ) bewiesen. Hier erhält die Stadt den Fluß Rega mit allem Nutzen sowohl aufwärts wie abwärts, aber darüber hinaus noch bis auf eine Meile in die Ostsee:
"Dedimus ipsum flumen Reghe liberum cum omni usu ex eo flumine provenienti ac suis navibus ascendendo et descendendo usque ad spatium miliaris unius in ipsum mare salsum."
Was Rügen betrifft, so ergeben Quellen des 13 Jahrhunderts, daß dem Landesherrn das Küstengewässer daselbst gehörte 62 ). Dies wird durch das Rügische Landrecht bestätigt 63 ).
Es ist der "Außenstrand" um Rügen, der "große Strand". Er umfaßt Land und Wasser, "in" welchem die Fischerei betrieben wurde. Er untersteht den Amtleuten, "alle bröke und undat, so up angetagenen stranden upme lande und water von den vischern
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edder sonsten geschuet, dat strafen und richten fürstlicher gnaden amptleude". Im einzelnen ist auf die eingehenden und überzeugenden Ausführungen des Mecklenburger Archivs zu verweisen. Hervorgehoben sei hier nur, wie sich der intensive Zusammenhang zwischen Strand im engeren Sinn (trockener Strand und dem von ihm aus beherrschbaren und nutzbaren Teil des Meeres (Küstengewässer) darin äußert, daß auch das letztere mit unter den weiteren Begriff des Strandes einbezogen wurde.
Bedeutungsvoll ist die Urkunde von 1326 64 ) in welcher uns die Belehnung des Grafen Gerhard mit dem Herzogtum Schleswig durch Waldemar überliefert ist. Die Belohnung erfolgt:
"cum omnibus regalibus ac aliis, cum dominio utili et directo, mari, aquis, portubus."
Wir haben hier eine Parallele zu dem Privileg für den Deutschen Orden von 1226 65 ). Es ist kein Zweifel: das Meer steht unter der Herrschaft des Landesherrn!
Dem entspricht es auch, daß von den Herrschern Schleswigs Privilegien in bezug auf Meeresgewässer an der Küste verliehen werden. So wird im Jahre 1480 der Stadt Schleswig von König Christian I. in bezug auf die Schlei privilegiert 66 ). Sie erhält alle Nutzungsrechte an dem Fluß von der Stadt an "an beyden Syden des Landes, wenthe an dat gemeyne Meer offte solte See enen Wecke Sees buthen Schlyes Muende".
Es wird hier nicht nur die Fischerei, sondern auch die sonstige Nutzung an einem Teil des offenen Meeres verliehen 67 ), ganz ähnlich, wie wir es bei Treptow an der Rega kennengelernt haben 68 ) 69 ).
Für Mecklenburg kommen vor allem die Privilegien für Rostock als unzweifelhafte Belege in Betracht. In dem Privileg
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von 1252 70 ) wird die Fischerei auf der Warnow und Meeresfischerei verliehen:
"Et sic per alveum fluminis Warnowe usque Warnemunde nec non extra portum in marinis fluctibus eos tanto dotamus beneficio piscature, quantum perinteperie aeris et corporias audeant attemptare."
Für die Meeresfischerei werden also keine bestimmten Grenzen angegeben, wie wir dies auch bei der Gründung Kolbergs kennen gelernt haben 71 ). Aber die Parallele geht noch weiter, indem in dem Privileg für Rostock von 1323 diese Meeresfischerei auf die Küste des Rostocker Stadtgebietes begrenzt wird ("in marinis fluctibus inter Zarnestrom et Diderikeshagen") 72 ).
Als ferner im Jahre 1358 73 ) Rostock die volle Gerichtsbarkeit erhielt, wird sie ihm auch in bezug auf das Küstengewässer des Stadtgebietes zugesprochen:
"Tum intra eandem civitatem quam extra in terris et in mari circumquaque, prout in suis terminis . . . se extenduent."
Voll beweiskräftig ist ferner das Privileg für das Kloster Sonnenkamp von 1219 74 ), in welchem dieses Meeresfischerei an der Küste von Brunshaupten erhielt:
"in villa, que dicitur Bruneshovede, XXX mansos, et piscaturam dimidiam etiam juxta mare."
Es hat nichts Auffälliges, wenn hier von einer "halben Fischerei" die Rede ist; die Küstenfischerei kann zur Hälfte verliehen sein, indem die Hälfte einer Küstenstrecke oder die Hälfte von Fischzügen gemeint ist. Daß die piscatura . . . "iuxta" mare Küstenfischerei bedeutet, kann nicht zweifelhaft sein, wörtlich würde es mit Fischerei "an dem Meere entlang" zu übersetzen sein.
In bezug auf Holstein haben wir zwei Belege, die sich sogar auf die Lübecker Bucht selbst beziehen. Allerdings ist die Echtheit des einen Belegs streitig.
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In einer Urkunde für die Stadt Neustadt von 1293 oder 1318 wird dieser vom Grafen von Holstein das Privileg erteilt 75 ):
"ut aqua maris sit etiam libera inter villam Rockentin et Hollm, et nihilominus aqua inter distinctiones supernas nominatas (d. h. den Grenzen des Stadtgebietes) sit eisdem appropriata."
Hier wird also ein Stück des offenen Meeres der Lübecker Bucht durch den Landesherrn der Stadt zugeeignet 76 ).
Die Echtheit dieses Privilegs wird von manchen bestritten 77 ), aber von angesehenen Forschern bejaht 78 ). Bis zum Beweise des Gegenteils wird man es als echt ansehen müssen. Der Inhalt des Privilegs hat später zu Recht bestanden.
Das zweite Privileg ist von den Grafen von Holstein für die Lübecker Fischer im Jahre 1252 ausgestellt 79 ). In ihm heißt es:
"Quod per totum districtum dominii nostri apud maria piscatione libere frui debent, et cum navibus suis ubi eis utile visum fuerit, ad litus accedere et redia sua in terra apud littora siccare . . . debent."
Hiernach wird den Lübecker Fischern gewährt:
a) abgabenfreie Meeresfischerei in den Küstengewässern des ganzen Landes,
b) das Recht, an der Küste zu landen und ihre Netze auf dem Lande zu trocknen.
Die Worte "per totum districtum dominii nostri apud maria piscatione libere frui debent" wird man am besten übersetzen: "Sie dürfen längs dem ganzen Gebiet unserer Herrschaft an dem Meere entlang den Fischfang abgabenfrei betreiben" 80 ). Daß Fischereibetrieb im Küstengewässer verliehen
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wird, ergibt sich deutlich aus den folgenden Gewährungen von Berechtigungen am Lande 81 ). Es kann daher keine Frage sein, daß den holsteinschen Landesherrn ein Hoheitsrecht an ihren Küstengewässern zustand, und zwar speziell ein Fischereiregal.
Diesen Belegen, welche die ganze Ostsee an der Küste Deutschlands umfassen, fügen wir hinzu, daß auch die bekannte Geschichte des Strandrechts ergibt, daß den Territorialherrn ein weitgehendes Hoheitsrecht nicht allein über den trockenen, sondern auch über den überfluteten Strand zustand, so daß wir auch in dieser Hinsicht ein Hoheitsrecht an den Küstengewässern feststellen können.
Als Gesamtergebnis können wir daher folgendes festlegen:
Im Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert, stehen die Küstengewässer der Ostsee von der samländischen Küste an bis zur schleswigschen Küste (diese mit eingeschlossen) unter der Hoheit des Landesherrn des Territoriums, das sie bespülen. Man kann von einem landesherrlichen Regal an den Küstengewässern des Meeres sprechen, indem wir Regal in dem bekannten weiten Sinn des Mittelalters nehmen, wonach es sowohl die Hoheits- wie die nutzbaren Rechte umfaßt. Es ist interessant, daß wir eine Urkunde haben, welche uns zeigt, daß dieses Regal auf ein ursprünglich vom deutschen König sich beigelegtes Hoheitsrecht zurückgeht; es ist dies die Verleihungsurkunde Friedrichs II. an den Deutschen Orden von 1226. Dieses Regal an den Küstengewässern bewirkt, daß die Küstengewässer von der Landesherrschaft mit umspannt werden, daß sie mit der Landesherrschaft zusammen übertragen und verliehen werden. Im übrigen zeigt dieses Regal sehr verschiedene Ausstrahlungen. Wir sehen vor allem, wie aus ihm ein Fischereiregal hervorwächst. Die Küstenherrn haben die Fischereihoheit, sie regeln die Art der Fischerei (bestimmte Netze), die Zeit der Fischerei, sie beaufsichtigen die Fischerei, sie beziehen grundsätzlich Abgaben für den Fischfang (theloneum, pensio, exactio u. a.). Sie verleihen Fischereinutzungsrechte, vergeben Fischereiprivilegien mit Abgabenfreiheit (piscatio libera, navis libera). Aber den Küstenherren steht auch die sonstige Nutzung der Küstengewässer zu, sie übertragen daher Teile des offenen Meeres an Städte zur
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allgemeinen Benutzung und zum freien Gebrauch (Treptow an der Rega, Schleswig, Neustadt). Die Küstenherren haben über die Küstengewässer eine Gerichtsbarkeit (Rügisches Landrecht), sie übertragen auch die Gerichtsbarkeit bei vergebenen Meeresstücken (Rostock 1358). Die Küstenherren haben an den Küstengewässern weitgehende Hoheits- und Nutzungsrechts kraft des Strandrechts.
Was die Abgrenzung des Küstengewässers von dem freien, offenen Meers anlangt, so läßt sich dafür eine allgemein gültige Formel für alle Küstenländer nicht aufstellen und ist auch wohl nicht aufgestellt worden. Man wird aber soviel sagen können, daß der Gedanke entscheidend war, daß das Küstengewässer jedenfalls soweit der Landesherrschaft zugehöre, als es vom Strande aus beherrschbar und nutzbar erschien.
So kann es für den rechtshistorisch geschulten Blick gar keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Regal am Küstengewässer mit der Vorläufer des modernen Hoheitsrechts am Küstengewässer ist, wie es das Völkerrecht ausgebildet hat. Es wäre ja auch geradezu wunderbar, wenn die völkerrechtliche Hoheit am Küstengewässer plötzlich aus dem Nichts hervorgezaubert wäre, ohne daß sich eine Anknüpfung an die Vergangenheit fände. Freilich haben Umfang und Inhalt des Hoheitsrechts mannigfache Wandlungen erfahren.
Rörig hat in seinen späteren Gutachten verschiedene Einwendungen gegen die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs erhoben, die in wesentlichen Punkten auch meine vorstehenden Ausführungen treffen.
Von allgemeinerer Art ist die Bemerkung, daß nicht der völkerrechtliche Begriff des Küstengewässers in die ältere rechtshistorische Untersuchung hineingetragen würden dürfe 82 ). Allein dies ist weder vom Mecklenburger Staatsarchiv, noch von mir geschehen. Wir verwenden die Bezeichnung "Küstengewässer" bei der rechtshistorischen Betrachtung der früheren Zeit für die Meeresgewässer an der Küste. Es sind die Meeresgewässer, welche den einzelnen Territorien vorgelagert sind, wobei wir aber nur Teile des wirklichen offenen Meeres mit in Betracht ziehen 83 ). Es handelt sich also lediglich um einen kurzen treffenden Ausdruck, der sich ohne weiteres aus einer Betrachtung und Wertung der mittelalter-
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lichen Quellen ergibt. Die Rechtsverhältnisse dieser Küstengewässer untersuchen wir nur auf Grund der mittelalterlichen Quellen. Und erst alsdann stellen wir fest, daß wir hier Vorläufer des modernen völkerrechtlichen Küstengewässers vor uns haben.
Von allgemeinerer Art ist auch die Bemerkung über die von Rörig anerkannten "Sonderbildungen". Hierüber sagt Rörig 84 ):
"An sich nur Rechte am Strande und freies Meer; Sonderrechte an Meeresteilen - soweit sie nicht als Haffs usw. ohnehin als Binnengewässer behandelt werden - nur im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Schiffahrts- und Fischereibetriebe einzelner Städte am Unterlauf der Flüsse, rechtlich in Übertragung der Rechtsverhältnisse der größeren Binnengewässer unmittelbar hinter den Flußmündungen auf die für den Schiffahrtsbetrieb der Städte notwendige Wasserfläche vor ihnen."
Rörig will auf diese Weise die Rechtsverhältnisse von Rostock und Wismar erklären, er fügt neuerdings auch Kolberg und Schleswig hinzu. - Allein eine auch nur oberflächliche Betrachtung der von uns oben angeführten langen Kette von Belegen beweist, daß der von Rörig aufgestellte Satz ganz unrichtig ist. Es ist schlechterdings ausgeschlossen, hiermit die von uns vorgeführten Quellen erklären zu wollen. Diese Quellen ergeben nicht nur Rechte an "Meeresteilen" im Sinne Rörigs 85 ), sondern Rechte des Landesherrn an dem gesamten Meeresgewässer, das seiner Küste vorgelagert ist. Alle Zuweisungen von Rechten an diesen Meeresgewässern oder in bezug auf sie sind nur Ausschnitte aus dem allgemeinen landesherrlichen Recht am Küstengewässer. Und diese Zuweisungen von Berechtigungen erfolgen nicht bloß an Städte, sondern auch an Klöster, sie erfolgen nicht allein in Zusammenhang mit Flußmündungen, sie stehen vielfach in gar keinem Zusammenhang mit Binnengewässern. Und zahlreiche "Privilegierungen" an Städte oder sonstige Personen in bezug auf abgabenfreien Fischereibetrieb beweisen gerade, daß der Fischfang im Küstengewässer normalerweise der Regelung des Landesherrn unterlag.
Wenn neuerdings Rörig sagt 86 ), daß "kaum ein Anlaß vorliege", in diesem Prozeß auf die vom Staatsarchiv heran-
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gezogenen Urkunden "aus den Gewässern Rügens, Usedoms, Wollins, Neuvorpommerns und Pommerns" einzugehen, so befindet er sich insofern allerdings in einem großen Irrtum, als gerade diese und andere Urkunden dieser Gebiete uns den richtigen Aufschluß über Mecklenburger Urkunden und insbesondere über die wichtige holsteinsche Urkunde von 1252 geben. Gerade aus diesem Grunde sind auch die Quellen weiterer Gebiete, namentlich von Ost- und Westpreußen, mit hereinzuziehen. - Die Bemerkung, daß "zudem" die Gewässer im westlichen Teil dieser Gebiete zum größten Teil "Haffe", "Bodden" sind, ist irreführend, denn bei dem Qellenmaterial des Staatsarchivs sind binnenländische Gewässer ganz ausgeschieden. Und wie steht es mit dem erdrückenden Quellenmaterial für die Küste von der Swine an östlich bis hinauf zur samländischen Küste?
Sehr merkwürdig ist die Berufung Rörigs 87 ) auf das preußische Fischereigesetz vom 11. Mai 1916 und dessen Erläuterungen. Rörig meint, daß die in dem Gesetz grundsätzlich anerkannte Freiheit des Fischfangs in den Küstengewässern mit einem früheren Fischereiregal an der ganzen südlichen Ostseeküste angesichts des "konservativen" Charakters des Fischereirechts nicht vereinbar sei. Es genügt, demgegenüber darauf hinzuweisen, daß die Meeresfischerei im Laufe der Zeit erhebliche Wandlungen durchgemacht hat, indem namentlich infolge der Aufnahme des römischen Rechts sich der Grundsatz des freien Fischfangs durchsetzte 88 ). Und es ist ferner zu beachten, daß das von uns behauptete Fischereiregal sich ja keineswegs in dem Regal im engeren Sinne erschöpfte, sondern auch staatliche Hoheitsrechte am Küstengewässer enthielt, diese aber bestehen auch heute an der ganzen Ostseeküste.
Außer diesen Einwendungen Rörigs, die mehr allgemeiner Natur sind, ist nun noch auf einige Einwendungen einzugehen, die sich auf einzelne unserer Belege beziehen. Was Rügen anbelangt 89 ), so verweise ich auch hier auf die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs 90 ). Es ergibt sich aus ihnen insbesondere, daß Rörig das Rügische Landrecht in seinen entscheidenden Stellen überhaupt gar nicht berücksichtigt hat.
Was die Mecklenburger Belege anbelangt, so ist an erster Stelle auf die wichtigen Urkunden für Rostock von 1252
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und 1323 einzugehen. Rörig bemerkt über sie zunächst 91 ) daß, "sie nicht das mindeste besagen für ein allgemeines mecklenburgisches Hoheitsrecht am Küstengewässer oder gar für ein Fischereiregal an ihm", denn es handle sich (ebenso wie bei Wismar) um "Sonderbildungen" an "Meeresteilen", und die "marini fluctus" ständen in engem Zusammenhang mit der Warnow. Allein es ist ganz unverständlich, wie bei den Verleihungen der Fischerei "extra portum in marinis fluctibus quantum per intemperie aeris et corporis audeant attemptare" von "Meeresteilen" gesprochen und dies mit dem "portus" von Wismar verglichen werden kann. Es tritt ferner bei der Urkunde von 1323 ein Zusammenhang mit der Warnow überhaupt nicht hervor, da diese hier gar nicht erwähnt wird. - An einer ganz anderen Stelle aber läßt sich Rörig über die Urkunde von 1252 näher aus 92 ). Hier führt Rörig folgendes aus: Es habe sich zunächst auf der Warnow und dem "Meeresteile" vor ihrer Mündung de facto ein ausschließliches Fischereirecht der Rostocker Fischer ausgebildet. Dies sei durch die Urkunde von 1252 in der Weise "nachträglich legalisiert", "daß der Landesherr, dem nach der Rechtsanschauung im kolonialen Deutschland das Fischereiregal an der Warnow zustand, der Stadt den bestehenden Zustand durch formale Übertragung des Fischereiregals auf der Warnow legalisierte und auch der Auswirkung bis ins Meer selbst dabei gedachte" (!).
"Unbestimmt und eben nur als Anhang zur eigentlichen Regalverleihung auf der Warnow selbst sind . . . die auf Meeresgewässer bezüglichen Worte der Urkunde gehalten . . .".
"Der bestehende Rechtszustand war durch das Privileg des Landesherrn eben eigentlich (!) nur für die Warnow selbst zu denken. Was darüber hinaus ging, war gewohnheitsrechtliche Neubildung, die nur insoweit durch den Landesherrn legalisiert werden konnte (!), als man das in Betracht kommende Gewässer seewärts vom Warnemünder Hafen als Zubehör der Warnow behandelte" (!)
Man kann schwerlich ein Erstaunen unterdrücken, wenn man diese Ausführungen liest. Sie sind als rechtsgeschichtlich unhaltbar zurückzuweisen. Zunächst gipfeln sie in einer begrifflichen Haarspalterei, die dem mittelalterlichen deutschen Recht völlig fremd ist. Also der Landesherr hat "an sich", "eigentlich"
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am Meeresgewässer gar keine Rechte, er "kann" daher das Meeresgewässer in seine "formale" Verleihung nur hereinziehen, indem und insoweit er es als "Zubehör" des Binnengewässers behandelt. Es ist doch merkwürdig, welche Begrenzung hier der landesherrlichen Gewalt kategorisch gesetzt wird, und welche überaus künstliche Konstruktion ausgedacht wird. Und wie außerordentlich klar und einfach liegen die Rechtsverhältnisse, wenn man unter Verwertung des sonstigen reichen Quellenmaterials, das wir für die Ostsee besitzen, von dem Hoheitsrecht des Landesherrn an seinen Meeresgewässern an der Küste ausgeht. Niemand bestreitet natürlich, daß landesherrliche Verleihungen von Rechten am Küstengewässer häufig in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Verleihungen von Rechten an Binnengewässern stehen, und sie sind auch oft in einer Urkunde zusammen vorgekommen. Allein sie finden sich sehr häufig auch völlig selbständig. Auch da aber, wo sie mit Verleihungen von Rechten an Binnengewässern zusammen erwähnt werden, werden sie rechtlich nicht als Verleihungen von Zubehörstücken angesehen. Auch die Urkunde von 1252 ergibt die völlig selbständige Aneinanderreihung der Verleihung auf der Warnow einerseits und auf dem Meere außerhalb des Hafens andererseits. Und wie wenig man an ein rechtliches Zubehör bei der Meeresfischerei dachte, zeigt die Urkunde von 1323 welche die Warnow überhaupt nicht erwähnt. Auch die Parallele mit Kolberg, die Rörig ausdrücklich anerkennt, beweist die Unrichtigkeit seiner Auffassung, denn es ist doch schlechterdings unmöglich, die ganzen Küstengewässer von Kolberg bis zur Swine als rechtliches Zubehör der Persante anzusehen 93 ).
Was das Privileg für Sonnenkamp von 1219 anlangt, so hat Rörig eingewendet 94 ), daß es sich hier nicht um Meeresfischerei handele, sondern um Fischerei in einem seeartigen Teiche bei dem Meere; dies beweise auch die Verleihung der "halben" Fischerei, von welcher beim Küstengewässer "wohl kaum" die Rede sein könne. Allein es ist sicher, daß die Verleihung der Fischerei in einem Teich in einem mittelalterlichen Privileg durch Benennung dieses Teiches ausgedrückt sein würde, von einem Teiche bei dem Meere ist aber in der Urkunde überhaupt nicht
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die Rede 95 ). Und daß die Verleihung einer "halben" Fischerei bei Küstengewässern einen sehr guten Sinn ergibt, ist früher bereits erwähnt worden.
Schließlich hat Rörig auch zu der holsteinschen Urkunde von 1252 Stellung genommen, und zwar wiederholt.
In seinem ersten Gutachten erklärt Rörig 96 ), daß hier den Lübecker Fischern "vom ganzen Hoheitsgebiet der Grafen am Meere entlang gewährt" sei
"1. freier (d. h. abgabenfreier) Fischfang;
2. Landen der Fischerboote am Strande;
3. Trocknen der Netze an Strande;
4. Verwendung von Holz . . .".
Es wird dann weiter fortgefahren: "Was die Urkunde gewährt oder auch nur bestätigt, sind demnach Befugnisse auf dem Strande selbst; den Fischern soll es gestattet sein, auf holsteinschem Strande, also auf holsteinschem Grund und Boden, alle jene Handlungen vorzunehmen, die nötig sind, um die Wadenfischerei ordnungsmäßig durchführen zu können. Von dem Fischereibetrieb selbst, soweit er sich auf dem Wasser abspielt, enthält das Privileg nichts; konnte es auch nicht. Denn die Wasserflächen an der holsteinischen Küste waren zu einer Zeit, welcher der Begriff des Küstengewässers noch unbekannt war, offenes Meer und unterlagen noch keiner Verfügungsgewalt des Uferstaates; hier bedurfte es also für die lübischen Fischer keiner Privilegierung oder besonderen Anerkenntnis." Lübeck habe ein "besonderes Privatrecht" am Strande erhalten, das es durch seine Fischer nutzen ließ.
Das Mecklenburger Staatsarchiv hat dem gegenüber zunächst darauf hingewiesen 97 ), daß diese Urkunde keineswegs die bloße Gewährung von Strandnutzungen enthalte, sondern außerdem das Zugeständnis des freien Fischfangs im Küstenmeere, und daß die einzelnen Strandnutzungen von der eigentlichen Fischerei getrennt würden.
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Rörig. hat darauf in seinem zweiten Gutachten ausgeführt 98 ): Die Worte in der "wichtigen" holsteinischen Urkunde "per totum districtum dominii nostri apud maria" bedeuteten: "im ganzen Gebiet unserer zwingenden Gewalt an dem Meere (entlang)". Das Herrschaftsgebiet läge also am Meere, schlösse es aber nicht ein. Die spezialisierten Bestimmungen der Urkunde sprächen eindeutig von Freiheiten am festen Ufer. Nur die ersten Worte "piscatione libere frui debent" "könnten zweifelhaft sein". Das Mecklenburger Staatsarchiv mache infolge seiner Annahme eines mecklenburgischen Fischereiregals am Küstengewässer aus dem "districtus dominii apud maria" den "Strand nebst dem Meere an der Küste". Es sei aber unzulässig, Analogieschlüsse aus Ergebnissen für die mecklenburgische Küste zu ziehen, außerdem täte die Auslegung des Staatsarchivs dem Wortlaut der Urkunde Gewalt an. Rörig schließt dann: "Ich bleibe im Einvernehmen mit Rehm bei dem früher Gesagten."
Das Mecklenburger Staatsarchiv ist darauf in seinem letzten Gutachten 99 ) nochmals ausführlich auf die Urkunde von 1252 eingegangen und hat m. E. die Stellungnahme Rörigs schlagend widerlegt. Ich möchte hier noch folgendes hinzufügen:
Die ganze Auslegung Rörigs erklärt sich lediglich aus seiner absonderlichen Ansicht, daß die Landesherren an sich keine Verfügungsgewalt am Meere gehabt hätten, und daß Ausnahmen nur bei "Meeresteilen" als "Zubehör" von Binnengewässern vorhanden gewesen seien. Eine unbefangene Auslegung der Urkunde von 1252 kann auch, ganz abgesehen von einer Verwertung der sonstigen Quellen, zu gar keinem anderen Ergebnis gelangen, als daß es sich hier um die Verleihung der abgabenfreien Meeresfischerei handelt. Die zahlreichen Quellenbelege aus dem gesamten Gebiete der Ostseeküste verstärken aber dies Ergebnis zu einer unumstößlichen Gewißheit. M. E. können "Zweifel" hier überhaupt nicht vorhanden sein. Über die wörtliche Übersetzung habe ich mich oben ausgesprochen. Die Auslegung Rörigs führt zu ganz unverständlichen Ergebnissen für den "abgabenfreien Fischfang" 100 ). In seinem neuesten
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Gutachten sagt Rörig 101 "Ich bleibe dabei, daß es sich in ihr (der Urkunde von 1252) ausschließlich um Vergünstigungen handelt, die den lübischen Fischern im ganzen Landgebiet des Grafen, soweit es ans Meer stößt, erteilt werden. Der freie Genuß der Fischerei besagt nichts anderes als die Freiheit von dem theloneum, bedeutet: Abgabenfreiheit vom Fange. Die Erhebung des theloneums hat aber hier ebenso wenig etwas mit einem Fischereiregal zu tun wie auf Rügen oder in Schonen." Die Auslegung Rörigs wird hierdurch nicht verständlicher. Offenbar denkt er an einen "Zoll", der am Lande erhoben wurde. Aber wenn dies eine Abgabe vom Fischfang ist, so handelt es sich eben um ein Hoheitsrecht in bezug auf die Fangstätte, und das ist das Meeresgewässer und nicht das Land. Im übrigen ist von einem "theloneum" gar nicht die Rede, und selbst wenn dies der Fall wäre, würden wir es mit der Fischereiabgabe zu tun haben, wie wir sie in dieser Bezeichnung in völlig eindeutigen Quellen kennen gelernt haben. Auch der ganze Aufbau der Urkunde spricht gegen Rörig, denn eine Zollabgabe auf dem Lande käme doch erst nach der Landung in Betracht. - Ebenso unverständlich ist mir auch die Berufung Rörigs auf die holsteinsche Urkunde von 1247, in der er eine "gewichtige Stütze" für seine Ansicht gefunden zu haben glaubt. Denn es ist schlechterdings unmöglich, einen Unterschied machen zu wollen zwischen einem "concedere jus piscandi" und einem "piscatione frui debent", und wenn an einer Stelle der Urkunde von 1247 "liber" in Zusammenhang mit einem "theloneum" gebracht wird, so haben wir doch unzählige Urkunden, in denen dies der Fall ist. Die "libera piscatio" aber ist, wie unsere Quellenbelege einwandfrei dartun, ein Fischfang, für den eine Fischereiabgabe nicht bezahlt zu werden braucht, welche an sich auf Grund einer Fischereihoheit geschuldet wurde.
Auch Lübeck selbst hat das Privileg von 1252 in der späteren Zeit für einen Fischereibetrieb auf dem Küstengewässer verwertet 102 ). - Und so hat denn auch bereits Carl Rodenberg
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in seinen Darlegungen über "Die älteste Urkunde für die Stadt Kiel von 1242" anläßlich des Kieler Hafenprozesses über unsere holsteinsche Urkunde von 1252 folgendes ausgeführt 103 ):
"Im Jahre 1252 gewähren die Grafen Johann und Gerhard den Fischern von Lübeck in den Meeren ihres ganzen Herrschaftsbereichs freien Fischfang."
Und in der Anmerkung 2 dazu heißt es:
"Hier wird verfügt für den ganzen Herrschaftsbereich der Grafen, und zwar 1. Für das Meer und 2. für das Ufer. Die Grafen rechneten also die maria zu dem districtus dominii nostri."
II. Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer. Wir wissen, daß das gesamte von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer in der Lübecker Bucht liegt und an der Strecke Priwall-Harkenbeck einen Meeresteil ergreift, welcher der Mecklenburger Küste vorgelagert ist.
Aus unseren Betrachtungen über die Rechtsverhältnisse an den Küstengewässern im Mittelalter können wir daher für diese Strecke - das streitige Küstengewässer - gewisse allgemeine Folgerungen ziehen:
1. Wir konnten für das Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert, ein Hoheitsrecht der Landesherren an ihren Küstengewässern an der Ostsee feststellen. Wir sahen, wie auch Mecklenburger Belege ein solches Hoheitsrecht bestätigen, und wie gerade auch in der Lübecker Bucht auf der der Mecklenburger Seite gegenüber liegenden holsteinschen Seite ein solches Hoheitsrecht anzutreffen war. Es ist hieraus der Schluß zu ziehen, daß auch an der Mecklenburger Seite der Lübecker Bucht und insbesondere an der Strecke Priwall-Harkenbeck ein Hoheitsrecht des Mecklenburger Landesherrn am Küstengewässer seit dem 15. Jahrhundert bestand.
2. Hieraus ergibt sich aber für unseren Streitfall:
a) Lübeck kann durch Okkupation ein Hoheitsrecht an der Mecklenburger Küste Priwall-Harkenbeck nicht erworben haben. Auf dieser besonderen Grundlage kann also Lübeck seinen Anspruch nicht aufbauen.
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b) Somit bleiben nur noch die beiden besonderen Grundlagen: Gewohnheitsrecht und Unvordenklichkeit, zu prüfen.
c) Wir sahen, daß das Hoheitsrecht am Küstengewässer bereits im Mittelalter ein umfassendes Recht mit verschiedenen Ausstrahlungen ist. Soll also wirklich die Gebietshoheit an ihm durch Gewohnheitsrecht oder Unvordenklichkeit erworben werden, so setzt dies den Nachweis der fortgesetzten Ausübung verschieden gearteter wesentlicher Hoheitsrechte voraus. Insbesondere käme Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung in Betracht.
3. Von besonderer Bedeutung ist noch die holsteinsche Urkunde von 1252 104 ). Da sie sich auf das der Mecklenburger Seite der Lübecker Bucht gegenüber liegende Ufer bezieht und Lübecker Nutzungsrechte betrifft, so lassen sich aus ihr entsprechende Vermutungen auch für die Mecklenburger Seite, insbesondere die Strecke Priwall-Harkenbeck, und für Lübecker Rechte an ihr ziehen.
Infolgedessen ist es von Wichtigkeit, zweierlei hier für die Rechtsverhältnisse am holsteinschen Küstengewässer nach Maßgabe der Urkunde von 1252 festzustellen:
a) Die Lübecker erhalten durch sie kein Hoheitsrecht. Sie erhalten lediglich private Fischereinutzungsrechte im Küstengewässer und gewisse private Rechte am Ufer selbst. Das gesamte Hoheitsrecht, auch die Fischereihoheit, bleibt beim Landesherrn.
b) Die Lübecker erhalten kein ausschließliches Fischereinutzungsrecht. Sie erhalten ja gerade abgabenfreien Fischfang, der normale Fischfang wird also gegen Abgaben von anderen betrieben 105 ).
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Ehe wir an eine Betrachtung der Ausübung einzelner wirklicher oder angeblicher Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer gehen, empfiehlt sich eine Prüfung über die Abgrenzung des gesamten, von Lübeck in Anspruch genommenen Küstengewässers.
Wir fragen:
I. Rörig geht bei seiner Abgrenzung 106 ) von der sog. Nautischen Reede, d. h. einem Ankerplatz für Schiffe, aus. Zu ihr werden die Meeresstreifen hinzugenommen, die zwischen ihr und dem Lande liegen, sowohl nach der Mecklenburger wie nach der holsteinschen Seite, unter Angabe ihrer Endpunkte am Lande (Harkenbeck einerseits - Brodtmer Pfahl andererseits). Seewärts wird das Gebiet dann abgegrenzt durch eine Richtungslinie Harkenbeck-Pohnsdorfer Mühle-Gömnitzer Berg und durch ein Lot, das von dem Brodtemer Pfahl auf diese Richtungslinie gefällt ist. Das so abgegrenzte Gebiet sei als Travemünder Reede im weiteren Sinne bezeichnet worden.
Nun wäre es doch zweifellos das wichtigste gewesen, möglichst genau die Lage der nautischen Reede nach Maßgabe der alten Quellen anzugeben. Allein dies geschieht nicht. Es wird lediglich auf die Kartenskizze II im Anhang verwiesen,. und da finden wir die nautische Reede eingezeichnet und in der Kartenerklärung heißt es für sie: "10 m Wassergrenze (ungefähre Abgrenzung der Reede im nautischen Sinn)". Hiermit ist aber die Lage der alten nautischen Reede in keiner Weise bewiesen;
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auch in dem zweiten Gutachten Rörigs ist dies nicht geschehen 107 ). - Soviel aus dem bisher vorgebrachten Material zu erkennen ist, ist nun aber die von Rörig angenommene Lage Der alten nautischen Reede unzutreffend. Mit ihr stimmt, wie wir noch sehen werden, die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547 in keiner Weise überein, und das Mecklenburger Staatsarchiv hat weitere Belege dafür beigebracht, daß die alte Reede dicht vor der Travemündung am westlichen Teile der Bucht gelegen war 108 ).
Wir kommen nun auf die Hinzunahme der "Wasserstreifen"- zwischen der nautischen Reede Rörigs und den Ufern - zu der nautischen Reede.
Für uns steht dabei im Vordergrund die Mecklenburger Seite, doch soll auch über die holsteinsche Küste etwas hinzugefügt werden.
Für die Mecklenburger Seite führt Rörig 109 ) als Beleg zunächst an die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547:
"dath ein erbar radt to Lübeck je und allewege strom und strant van der reyde an beth in die Harkenbeke tho verbiddende gehett hebben, we ock noch in desse stunde."
Allein diese Worte ergeben nicht einen Wasserstreifen zwischen einer Reede und einem Ufer, so daß die Reede die eine Längsgrenzenseite, das Ufer die gegenüberliegende Längsseite bildet. Der Ausdruck "von der Rede an bis in die Harkenbeck" kann unmöglich in diesem Sinne verstanden werden. Dagegen finden die Worte ihre Erklärung durch die Untersuchungen des Mecklenburger Staatsarchivs 110 ), welches würdigt, daß die Aussage des Zöllners anläßlich einer Vernehmung über das Strandrecht am Priwall abgegeben wurde. Daher war die Küste des Priwalls in der Uferstrecke von der Reede bis zur Harkenbeck eingeschlossen. Mit Recht folgert das Staatsarchiv hieraus, daß die alte nautische Reede nordwestlich vom Priwall oder wenigstens diesem gegenüber gelegen haben muß. Wenn
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dies aber der Fall ist, so erscheinen die Worte des Zöllners "von der Reede an bis in die Harkenbeck" verständlich, indem sie so auf einen Strom und Strand hinweisen, die in der Weise liegen, daß die Reede nur die westliche, die Mündung der Harkenbeck die östliche Grenzbestimmung angibt.
Als weiteren Beleg für einen solchen "Meereszwischenstreifen" zwischen Reede im nautischen Sinn und dem Ufer führt Rörig den Fischereivergleich von 1610 an.
Hier heißt es:
"Erstlich sollen die Travemünder Fischer mit Setzung ihrer Netze sich des Travestrohms binnen und außerhalb des Blockhauses wie dann auch der ganzen Reide gantzlich enthalten, bey . . ; zwischen dem Blockhause aber und dem Mevenstein an der Holstenseiten, auch der Harkenbeke und Blockhause auf der Meckelborgerseiten mogen sie ihre Netze setzen . . ." "Außerhalber aber gemelter Orten mögen die Travemünder in die Sehe und am Lande fischen und Netze setzen als sie best können."
Zweifellos handelt es sich bei der Fischereistrecke "Harkenbeke und Blockhause" um die Meeresstrecke am Mecklenburger Ufer bis zur Mündung der Harkenbeck. Aber daß diese Meeresstrecke eine Wasserfläche ist "zwischen der Reede (im nautischen Sinn nach Rörig) und der Küste", ergibt sich in keiner Weise aus dem Vergleich.
Noch weniger ergibt dafür etwas der Vergleich von 1826, denn in diesem ist von der nautischen Reede überhaupt nicht die Rede. Und wenn Rörig bemerkt, daß die Fischer im Jahre 1827 diesen Vergleich "Vergleich wegen Befischung des Ufers der Travemünder Reede" genannt hätten, so ist durch nichts bewiesen, daß mit der "Travemünder Reede" hier die nautische Reede Rörigs gemeint ist, auch wäre diese Bezeichnung selbst dann keineswegs" ganz zutreffend", denn die Strecke wäre nicht allein das Ufer der nautischen Reede, sondern auch das Ufer der Außentrave. Die Erklärung des Mecklenburger Staatsarchivs, daß die Fischer die Worte "Travemünder Reede" im Sinne von Travemünder "Bucht" gebrauchen 111 ), ist daher die zutreffende. Alsdann ist aber auch der Ausdruck in der Relation zum Urteil des Oberappellationsgerichts Lübeck von 1825 (das diesem Ver-)
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gleich voranging) "Ende der Rehde, wo die Harkenbeck sich ergießt," einfach auf das Ende der "Bucht" zu beziehen 112 ).
Für die holsteinsche Küste 113 ) wird die Hinzunahme von Meeresstreifen zwischen nautischer Reede und Ufer von Rörig gefolgert zunächst für die Zeit, ehe Brodten lübeckisch wurde, aus den Verhandlungen Lübecks mit dem Domkapitel im Jahre 1775, bei denen Lübeck ein Jahrzehnte lang ausgeübtes Recht, am Brodtmer Ufer Steine zu holen, geltend machte. Rörig meint, ein "derartig weitgehendes wirtschaftliches Nutzungsrecht am Strande eines fremden Territoriums" sei "selbstverständlich undenkbar", "wenn Lübeck nicht zum mindesten auf der Wasserfläche vor dem Strande Gebietshoheit gehabt hätte". Daher sei auch diese Wasserfläche mit zu der nautischen Reede hinzugenommen worden. - Wir meinen, daß es "selbstverständlich undenkbar" ist, aus einem Recht, vom Wasser aus an einem fremden Ufer Steine zu holen, eine Gebietshoheit des Steineholenden an der vorgelagerten Wasserfläche zu folgern 114 ). Im übrigen ist zu betonen, daß bei der ganzen Angelegenheit von einzelnen Meeresstreifen zwischen nautischer Reede und Ufer nirgends gesprochen wird. - Für die spätere Zeit beruft sich Rörig auf einen Bericht des Travemünder Stadthauptmanns von 1804, in welchem dieser von dem "Ufer längs der Rehde am Brodtener Felde" redet, und auf den Niendorfer Fischereivergleich von 1817, in welchem als Anfangspunkt seines Gebietes die "travemünder Reede" genannt wird. Hier handele es sich um die Travemünder Reede im weiteren Sinn. Allein das Mecklenburger Staatsarchiv hat m. E. nachgewiesen, daß der Ausdruck "Reede" hier einfach im Sinne von Travemünder "Bucht" gebraucht ist 115 ). 116 ).
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Ganz mißglückt ist schließlich Rörig die Abgrenzung des Küstengewässers nach der Seeseite hin 117 ). Durch die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs wird er völlig widerlegt 118 ). Die angebliche Richtungslinie Harkenbeck-Gömnitzer Berg hat es überhaupt nie gegeben und konnte es nicht geben, und die Eingabe des Travemünder Lotsenkommandeurs vom 8. Februar 1828 kann unmöglich sie gemeint haben, denn nach ihr befand man sich schon eine Seemeile vor Travemünde in offener See außerhalb der Reede. Mit dieser Richtungslinie bricht aber auch die völlig unnatürliche Lotlinie vom Brodtmer Pfahl, die einen sonderbaren spitzen Winkel für das angebliche Lübecker Küstengewässer herausschneiden würde, ganz zusammen.
Wir erwähnten bereits; daß Rörig Belege anführt, aus denen sich ergeben soll, daß mit "Reede" auch das gesamte, von ihm abgegrenzte Küstengewässer bezeichnet worden sei. Wir sahen aber, daß bei diesen Belegen aus dem 19. Jahrhundert "Reede" nur in dem belanglosen Sinne von Travemünder Bucht: gebraucht worden ist. Nun beruft sich aber Rörig für seine "Reede" im weiteren Sinn auch darauf, daß bei den Fischreusenstreitigkeiten - von 1616 und 1658 Lübeck geltend machte, daß auf der "statt reyde" die Reusen angelegt worden seien, die Anlage aber auf den Meeresstreifen vor der Mecklenburger Küste erfolgt sei 119 ). Dem gegenüber sei bereits hier darauf hingewiesen, daß dieses angebliche Lübecker Herrschaftsgebiet von Mecklenburger Seite sofort bestritten wurde 120 ). Und es ist durchaus irreführend, wenn Rörig einfach sagt 121 ), daß in dem sich anknüpfenden Schriftwechsel der Herzog von Mecklenburg für dieselbe Wasserfläche "die rede oder der strohme" gebraucht habe. Denn in Wirklichkeit handelt es sich bei dem Herzog um eine Ablehnung des von den Lübeckern vertretenen Standpunktes unter Verwendung, aber gleichzeitiger Ablehnung des von den Lübeckern beliebten Sprachgebrauchs: "Entlich können wir Euch auch des Angebens, das inhalts obberurten Eurn Schreibens die Reide oder der Strom der Ends Euch gehörig sein solte, gar nit einig sein, inmassen wir demselben hiemit feirlich wollen contradicieret und wiedersprochen haben."
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II. Ehe Rörig sein erstes Gutachten erstattete, ist von Lübeck ein Hoheitsrecht über die Gewässer in der Travemünder Bucht mit den von Rörig angegebenen Grenzen niemals ausdrücklich geltend gemacht worden.
Im Gegenteil, man suchte seit dem Jahre 1870 die Hoheitsgrenze ganz anders zu bestimmen. Im Jahre 1870 nahm das Lübecker Stadt- und Landamt eine Hoheitsgrenze an von einer Seemeile ins Meer, von der Landgrenze Lübecks an gerechnet 122 ), im gleichen Jahre, und zwar am 10. Oktober 1870, schrieb der Senat der freien und Hansestadt Lübeck auf eine Anfrage an die Kgl. Regierung zu Schleswig,
"daß nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen auf Kanonenschußweite vom lübeckischen Ufer dem hiesigen Staate das Recht der Fischerei ausschließlich zusteht" 123 ).
Im Jahre 1895 berichtet das Lübecker Stadt- und Landamt 124 ), "daß Lübeck von jeher mit obrigkeitlichen Anordnungen auf den Teil der Travemünder Bucht innerhalb der Linie Harkenbeck-Haffkruger Feld sich beschränkt habe", und daß jenseits dieser Linie die "freie See" liege.
Das Lübecker Fischereigesetz vom 11. Mai 1896 nahm dann diese Linie als Grenze an innerhalb der Travemünder Bucht.
Der fünfte Nachtrag zu diesem Gesetz vom 10. Januar 1925 setzte an Stelle dieser Beschreibung die "Travemünder Reede". Und eine Bekanntmachung vom gleichen Datum begrenzte diese "Reede" nach Maßgabe des Gutachtens von Rörig.
Es ist daher festzustellen, daß Lübeck sich erst durch die gesetzliche Regelung vom 10. Januar 1925 zu dem jetzt von ihm in Anspruch genommenen Küstengewässer bekannt hat.
III. Folgerungen für das streitige Küstengewässer (Strecke Priwall-Harkenbeck).
Wir können aus den vorstehenden Betrachtungen folgende Folgerungen für das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck ziehen
1. Aus den Ausführungen unter I ergibt sich:
a) Das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck ist nicht ein Meeresstreifen, der zwischen dem Ufer und einer nautischen
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Reede in der von Rörig skizzierten Weise liegt: Es ist kein Meeresstreifen, der längshin auf der dem Ufer gegenüberliegenden Seite von der nautischen Reede begrenzt wurde. Mit dieser Feststellung ist eine grundlegende Vorstellung Rörigs für die angebliche Hinzunahme des Meeresstreifens zu dem Hoheitsrecht über die nautische Reede beseitigt. Für Rörig kommt der Meeresstreifen als notwendiger Schutzstreifen für die Hoheit über die nautische Reede in Betracht. Allein die wirkliche Lage der alten nautischen Reede zeigt, daß dies in keiner Weise der Fall war. Man vergleiche hierzu die Kartenskizze II Rörigs und die Kartenskizze des Mecklenburger Staatsarchivs (Archiv II zwischen S. 126 und 127). Man erkennt dann, wie völlig schief es z. B. ist, wenn Rörig im Hinblick auf das streitige Küstengewässer sagt 125 ): "Die Entstehung von Hoheits- und Nutzungsrechten an den Strandmeeren zwischen Reede und Ufer erfolgte nicht in der Richtung von der Küste nach der angeblich herrenlosen See zu, sondern in der Richtung von der mit Hoheitsrechten bereits erfüllten Reede im nautischen Sinn in der Richtung auf die Ufer hin, gleichgültig wessen Hoheit diese unterstanden." Und wie es in keiner Weise auf das streitige Küstengewässer paßt, wenn Rörig sagt: "Es ließe sich der Gedanke der Herrschaft des die Hoheit auf der Reede im nautischen Sinn besitzenden Staates über die Strandmeere der Reede aus dem Bedürfnis und Verlangen nach Schutz des die Reedehoheit besitzenden Staates und seiner Interessen ableiten" 126 ).
b) Es ist nicht nachgewiesen, daß das streitige Küstengewässer einen Teil eines "Hoheitsgebietes" bildet, der als "Reede" bezeichnet wurde.
c) Die Begrenzung des streitigen Küstengewässers nordöstlich seewärts durch die Richtungslinie Harkenbeck-Gömnitzer Berg ist unhaltbar. Es fehlt also an der notwendigen Grenzziehung, wie sie für eine erfolgreiche Inanspruchnahme erforderlich ist, auch an dieser Seite.
2. Aus den Ausführungen unter II ergibt sich:
Im Jahre 1870 hat Lübeck die Ansicht offiziell vertreten, daß allgemeine völkerrechtliche Grundsätze für die
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Travemünder Bucht maßgebend sind. Hiermit steht die Inanspruchnahme des ganzen streitigen Küstengewässers völlig im Widerspruch.
Im Jahre 1896 hat Lübeck durch sein Fischereigesetz eine Fischereihoheit über einen Teil des streitigen Küstengewässers in Anspruch genommen (Seegrenze im Nordosten: Linie Harkenbeck - Haffkruger Feld).
Erst durch die Gesetzgebung von 1925 hat Lübeck das ganze streitige Küstengewässer in seine Fischereihoheit einzubeziehen gesucht.
Wenn wir nunmehr zu einer Prüfung der Frage übergehen, auf welche Akte sich Lübeck als Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer beruft und berufen kann, so ist zunächst noch eine allgemeine Behauptung Rörigs zurückzuweisen, welche von ihm als Grundlage für seine Betrachtungen verwendet wird. Rörig behauptet nämlich, daß das ganze, von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer eine rechtliche Einheit mit der Binnentrave mit Einschluß des Dassower Sees und der Pötenitzer Wiek gebildet habe und daher öffentliches Binnengewässer und Lübecker Staatsgebiet sei 127 ). Als "Thatsachen" für diese Behauptung führt Rörig zunächst das Barbarossaprivileg von 1188 an, allein wir sahen, daß dieses überhaupt nur die Binnentrave bis zur Mündung erwähnt 128 ). Es wird ferner eine Stelle aus einem Schreiben Lübecks von 1616 anläßlich der Fischereistreitigkeiten aufgeführt und auf diese sogar der größte Wert gelegt. Dabei wird aber unter anderem gar nicht hervorgehoben, daß gerade diese Stellungnahme Lübecks von Mecklenburg auf das entschiedenste bestritten wurde. Diese Stelle darf daher nicht als grundlegende "Thatsache" bewertet werden. Rörig beruft sich ferner auf Lübecker Fischereiverordnungen und Fischereigesetze (1585, 1881,1887, 1896). Allein sie könnten doch höchstens eine Fischereihoheit ergeben, im übrigen werden sie aber gar keiner eingehenden Untersuchung unterzogen. Schließlich wird auf die Eidesformel der lübischen Fischer 129 ) verwiesen, nach
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welcher diese zur Aufsicht über des Rates "Ströme" verpflichtet gewesen seien, und diese auch auf dem streitigen Küstengewässer betätigt hätten. Allein auch hier würde höchstens eine Fischereihoheit herauskommen, und es fragt sich, ob sie wirklich auf dem streitigen Küstengewässer zu Recht bestanden hat. - Es kann also kein Zweifel sein, daß Rörig mit diesen "Thatsachen" die rechtliche Einheit von Binnentrave und dem Küstengewässer nicht bewiesen hat. Rörig setzt aber in seinen folgenden, einzelnen Betrachtungen immer voraus, daß dieser Beweis erbracht ist. So fehlt bei diesen eine unabhängige Würdigung 130 ), insbesondere ist es ganz unzulässig, aus Rechtsverhältnissen der Binnentrave und ihrer Ausbuchtungen schließen zu wollen, daß es bei dem Küstengewässer ebenso gewesen ist 131 ).
Was nun aber die Einzelfälle anlangt, die Rörig für die Ausübung einer Lübecker "Gebietshoheit" auf dem streitigen Küstengewässer geltend macht, so bemerkt Rörig hierüber allgemein folgendes 132 ):
"In einer großen Zahl aktenmäßig belegter Einzelfälle ist die Ausübung der Gebietshoheit Lübecks auf dem ganzen Reedegebiet (Reede im weiteren Sinn nach der Abgrenzung Rörigs) belegt. Zu nennen wären Sicherungsmaßnahmen für die Fahrt; Anlegung von Buchtfeuern; Maßnahmen der Seebefriedigung auf der Reede unter Heranziehung militärischer Machtmittel; eine allgemeine Verordnungsgewalt; Ausübung der Polizeigewalt über Jagd und Fischerei; vor allem aber das deutlichste Zeichen für volle Gebietshoheit: die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit und die Fischereihoheit. Auf letztere wird weiter unten noch einzugehen sein. Hier seien Akte der Hochgerichtsbarkeit kurz aktenmäßig nachgewiesen."
In der Tat geht Rörig darauf auf das Fahrrecht und später auf die Fischerei ein. Wir aber fragen, wo bleibt die große Zahl aktenmäßig belegter Einzelfälle für die sonstigen
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von Rörig erwähnten Maßnahmen? Und betrafen sie auch das streitige Küstengewässer und nicht etwa nur insbesondere das Fahrwasser der Außentrave und die alte nautische Reede? Mit solchen allgemeinen Behauptungen ist doch gar nichts bewiesen 133 ) 134 ).
Wenden wir uns nun den Maßnahmen zu, die Rörig in spezialisierter Weise als Hoheitsakte Lübecks geltend macht. So kommen für eine Prüfung in Betracht:
1. Akte in bezug auf die Fischerei.
2. Das "Fahrrecht".
3. Maßnahmen in bezug auf gestrandete Schiffe.
Man kann also sagen, daß Maßnahmen zu prüfen sind, welche die Fischereihoheit, die Gerichtshoheit in Kriminalsachen und die Strandungshoheit betreffen. Hiernach soll im folgenden unterschieden werden.
Von Rörig wird geltend gemacht, daß Lübeck Gesetze und allgemeine Verordnungen kraft einer gebietsrechtlichen Fischereihoheit über das streitige Küstengewässer erlassen habe.
Sehen wir uns diese Fischereiverordnungen näher an.
a) Die älteste, in ihrem Wortlaut überlieferte Fischereiverordnung Lübecks, welche hier in Betracht kommt, stammt aus dem Jahre 1585.
In dem ersten Gutachten von Rörig 135 ) haben wir nur sehr wenig über sie erfahren. Er sagt eigentlich nur über sie:
"Die auf gebietsrechtlicher Grundlage aufgebaute Fischereiverordnung von 1585 erstreckt sich nach dem Wortlaut der Einleitung "up des erbaren radts und gemeiner stadt stromen und angehorigen potmessigkeiten" und regelt die Fischerei auf dem Binnengewässer so gut wie auf dem Reedegebiet."
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In seinem zweiten Gutachten wird ein wenig näher auf diese Ordnung eingegangen 136 ). Rörig bemerkt, daß sie das gesamte "Strandmeer bis zur Harkenbeck ausdrücklich mit behandele". "Zunächst" werde den Schlutupern erlaubt, Laubbüschel für den Aalfang "auf der Mecklenburger Siden" am Ufer entlang zu legen, aber nur mit Wissen und Willen der Wetteherrn; es hätte "also über die Belegung des flachen Wassers am Mecklenburger Ufer der Travemünder Reede Lübeck verfügt". Es sei ferner bestimmt, daß von Jakobi bis Michaelis sich Schlutuper und Travemünder Fischer im genau angegebenen Verhältnis in die Befischung der Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck zu teilen hätten. "Dazu treten Bestimmungen über die übrige Wadenfischerei der Schlutuper und Travemünder noch über die angegebenen Strecken hinaus bis in die opene wilde see."
Um zu einer richtigen Würdigung der Fischereiverordnung von 1585 zu gelangen, können aber diese spärlichen und z. T. ungenauen und nicht zutreffenden Betrachtungen nicht genügen.
Sehen wir uns zunächst den Eingang der Verordnung 137 ) an; hier heißt es:
"Nachdem einem erbarn rade van ohren underdanen den olderluden und gemeinen vischern sowol binnen dieser stadt alß tho Travemunde und Schluckup geseten allerhandt Klagen vorgekamen, dat de fischerey up des erbarn radts und gemeiner stadt stromen und angehorigen potmeßigkeiten eine tydt hero in unrichtigkeit geraden und einer dem andern baven alt hergebrachte gewonheit desfalls jmpaß gedahn . . ., hefft ein erbar radt . . . folgendes jedem deel thor gewissen nachrichtung, wo with, wanne, wolang und" woferne ein jeder der visherey gebrucken solle und möge, diese Verordnung . . . verfaten laten."
Es wird darauf zunächst die Fischerei der Lübecker, dann die der Schlutuper und schließlich die der Travemünder Fischer geregelt. Doch sind in mancher Hinsicht die Regeln für die einzelnen Fischergruppen nicht getrennt.
Was die Fischereigebiete anlangt, so wird unterschieden die Fischerei "binnen der Traven" und "buten der Traven".
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Das Gebiet außerhalb der Trave wird auch mit "See"b bezeichnet. Vergleiche hierfür die Bestimmungen:
"Steit den Schluckupern fry, mit der enckelen waden van dem bolwercke an jnn der sehe an beiden siden des landes, so fernne alß se sich wagen wöllen, von Michaelis an beth tho Winnachten tho fischenn,"
und
"De Travemunder mögen -jn der see buten der traven . . . vischen."
In dem Gebiet außerhalb der Trave (also in der "See") wird unterschieden eine Fischerei mit den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck, ferner eine Fischerei in der "Wieck" und schließlich eine Fischerei in der offenen See, soweit wie ein jeder sein Leben wagen will.
Was die Regelung der Fischerei außerhalb der Trave anlangt, so ist die für uns wichtigste in den ersten und zweiten Artikeln der Reglung für die Travemünder Fischer enthalten. Hier ist bestimmt:
a) "De Travemunder vischer mögen jnn der see buten der Traven dag vor dag, wenn ehnen gelevet, so with sich des erbarn radts gerechtigkeit erstrecket und se ohre helse wagen willen, vischen . . ."
b) "Tom andern, offt ock wal de Travemunder und Schluckuper na oldern gebrucke befoget, dat ganze jahr dorch van Travemünde an beth in de wick und opene wilde see, so with ein jeder sin levent wagen will, tho vischen," so soll künftighin in der Zeit von Jakobi bis Michaelis folgender Unterschied gemacht werden:
Die Travemunder können alsdann alle Tage fischen auf den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck, ferner in der "Wiek" und der offenen See.
Die Schlutuper aber dürfen in dieser Zeit fischen,
mit 1/3 ihrer Waden und nur am Montag vormittags und in drei Nächten der Woche auf den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck,
mit 2/3 ihrer Waden alle Tage außerhalb dieser Strecke in der Wieck und der offenen See.
Um zum Verständnis der Ordnung von 1585 zu gelangen, ist naturgemäß von der Einleitung auszugeben. Hier heißt es, daß Klagen von den Untertanen, und zwar den Fischereikorporationen der Lübecker, der Travemünder
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und der Schlutuper, an den Rat gekommen sind über die Fischerei auf des Rates und der Stadt Ströme und "angehorigen potmeßigkeiten", und daß deshalb die (Ordnung verfaßt worden ist, welche angibt, wie weit, wann, wie lang und inwiefern ein jeder die Fischerei gebrauchen soll. Nun kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auf den "Strömen" der Stadt die Fischereihoheit zustand, und daß der Ausdruck "angehorige potmeßigkeiten" übersetzt werden kann mit "zugehörigen Gebieten, die unter der Botmäßigkeit der Stadt stehen", also mit "zugehörigen Hoheitsgebieten". Nur größte Oberflächlichkeit könnte aber hieraus folgern, daß infolgedessen alle in der Ordnung selbst behandelten Fischereigebiete und infolgedessen ohne weiteres auch die Strecke Priwall-Harkenbeck unbedingt zu den Hoheitsgebieten der Stadt gerechnet wurden. Dies bleibt vielmehr zu prüfen.
α) Es ist daher zunächst zu fragen, ob die Ordnung von 1585 wirklich nur Gebiete umfaßt, welche der "Botmäßigkeit" der Stadt, also ihrer Hoheit, unterstanden?
Da aber erkennen wir, daß die Ordnung auch die Fischerei in der "Wiek" und darüber hinaus in der weiterliegenden See, ferner aber auch in der über die Harkenbeckmündung hinausliegende See zuweist und regelt.
Unter der "Wiek" ist die Niendorfer Wiek zu verstehen; sie wird teils selbständig genannt, teils ist sie in der "See" eingeschlossen. Allgemein wird die Fischerei außerhalb der Trave in der See zugewiesen mit den Worten "Soweit sich des erbarn radts gerechtigkeit erstreckt und se ohre helse wagen willen".
Wie aber stand es mit der Fischerei der Stadt in der Niendorfer Wiek und der darüber hinausliegenden See an der holsteinschen Küste? Wir erinnern uns an das wichtige Privileg von 1252, durch welches Lübeck die abgabenfreie Fischerei an der ganzen holsteinschen Küste erhielt 138 ). Wir haben festgestellt, daß die Lübecker hiermit lediglich ein privates Nutzungsrecht, aber kein Hoheitsrecht, auch keine Fischereihoheit, bekamen 139 ).
Hat sich hierin etwas in der späteren Zeit geändert? Da ist es nun von Wichtigkeit, daß gerade kurze Zeit vor der Ordnung von 1585 Lübeck selbst gegenüber dem Amtmann von Cismar sich auf dieses Privileg von 1252 berufen hatte. Nach den Mit-
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teilungen von Rörig 140 ) glaubte im Jahre 1577 der Amtmann von Cismar, der Lübecker Fischerei an der Küste seines Amtsbezirkes ("auf seines amptes gepitte") entgegentreten zu sollen.
Es sei ihm "ganz ungeheuerlich" erschienen, daß die Travemünder Fischer "in eines Fürsten jurisdiction oder grundt und boden fischerei zu halten macht haben konnten". Als sich die Lübecker auf das Privileg von 1252 beriefen, erklärte sich 1583 schließlich der Amtmann bereit, "den Travemündern an der Küste seines Amtes keine Schwierigkeiten mehr zu machen". Der Amtmann erkannte also die Fischereiberechtigung der Lübecker nach Maßgabe des Privilegs von 1252 an, eine Gebietshoheit oder Fischereihoheit auf dem Küstengewässer seines Amtes hat er dagegen nicht eingeräumt, ebenso wenig auch ein ausschließliches Fischereinutzungsrecht der Lübecker. Auch an anderen Küstenstrecken Holsteins ist es um die gleiche Zeit zu Streitigkeiten gekommen; aus den Mitteilungen Rörigs 141 ) ergibt sich, daß man hier zu gewissen Abgrenzungen der Fischereiberechtigung der Lübecker und der Küstenbewohner kam, so war es insbesondere auch in der Niendorfer Wiek 142 ). Es hat sich also gegenüber dem Privileg von 1252 nichts Grundlegendes geändert 143 ).
Es ergibt sich somit, daß die "Wieck" und die sonstigen Küstengewässer der holsteinschen Küste von der Ordnung von 1585 mit umfaßt werden, aber der "Hoheit" der Stadt oder ihrer "Botmäßigkeit" nicht unterstanden 144 ). Was Lübeck hier hatte, sind private, nicht ausschließliche Fischereiberechtigungen, und sie werden in der Ordnung den drei Fischereikorporationen erneut zugewiesen unter Schlichtung von Streitigkeiten, wobei wir gewisse Beschränkungen der Schlutuper finden. In bezug auf diese Berechtigungen tritt Lübeck als gewöhnlicher Fischereiberechtigter in fremden Gewässern auf, der nur dadurch Besonderheiten aufweist, daß ihm eine Korporationshoheit zusteht 145 ). Dritten gegenüber wird ein Hoheitsrecht gar nicht gehandhabt. Man würde ja auch sonst zu dem "ungeheuerlichen" Ergebnis gelangen, daß
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Lübeck sich ein Hoheitsrecht nicht allein über die Wiek, sondern über das ganze holsteinsche Küstengewässer beigelegt habe 146 ).
Wird das Gesagte berücksichtigt, so erscheint es durchaus verständlich, daß die Ordnung von 1585 in bezug auf die Fischerei "außerhalb der Trave in der See" davon spricht, daß sie reiche, "soweit sich des Rates Gerechtigkeit erstrecket und sie ihre Hälse wagen wollen". Der Ausdruck "Gerechtigkeit" ist hier in dem allgemeinen Sinn von "Berechtigung" zu nehmen. Gleichzeitig erkennt man, daß der Ausdruck "Botmäßigkeit" in der Einleitung der Ordnung zu weitgreifend gefaßt ist und infolgedessen mit dem Inhalt der Ordnung in Widerspruch steht 147 ).
Es entsteht allerdings die Frage, ob es nicht etwas Auffälliges ist, wenn Lübeck in einer einheitlichen "Ordnung" die Fischerei auf seinen Hoheitsgebieten und die Fischerei in fremden Gewässern, auf denen ihm nur Fischereiberechtigungen zustanden, behandelt. Wir können diese Frage wohl am besten dadurch erledigen, daß wir bemerken, daß Lübeck auch noch in neuester Zeit ausdrücklich eine solche Fischereiordnung erlassen hat. Die Fischereiordnung für den lübeckischen Freistaat vom 28. Februar 1881 bestimmt in § 1:
Die Fischereiordnung findet Anwendung auf die Küsten- und Binnenfischerei in allen unter lübeckischer Staatshoheit befindlichen und denjenigen fremdherrlichen Gewässern, auf denen und insoweit ein lübeckisches Mitbefischungsrecht ausgeübt wird, mit Ausnahme der geschlossenen Gewässer.
β) Wie stand es nun mit dem streitigen Küstengewässer (Strecke Priwall-Harkenbeck)?
Da ist nun jedenfalls das Nächstliegende, daß es von Lübeck mit als fremdherrliches Gewässer hereingezogen worden ist, in dem ihm Fischereiberechtigungen zustanden. Es handelt sich ja bei ihm genau so wie bei der Wiek und den
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sonstigen holsteinschen Küstengewässern um ein Küstengewässer an einem fremden Territorium. Auch an ihm bestand an sich ein landesherrliches Hoheitsrecht 148 ). Offenbar sind die Fischereirechte Lübecks hier aber auf Grund stillschweigender Duldung des Landesherrn erworben worden 149 ). Daß sie alsdann kräftiger ausgestaltet gewesen sein sollten wie an der holsteinschen Küste, ist besonders unwahrscheinlich 150 ). Und ebenso wenig haben wir Anlaß, Lübeck unterzuschieben, daß es in der Ordnung von 1585 mehr in Anspruch nahm, als ihm wirklich zukam.
Zunächst ist allerdings bei ihr eine Auslegung Rörigs richtigzustellen. Es wird in der Ordnung von 1585 den Schlutupern erlaubt, "jedem söhs questen up der mekelborger siden by Scharlang to leggenn, jedoch mit der weddeherrn weten, willen und nalath". Rörig sagt über diese Erlaubnis zur Legung von Laubbüscheln zum Aalfang: "Also über die Belegung des flachen Wassers am mecklenburgischen Ufer der Travemünder Reede verfügt 1585 nicht etwa Mecklenburg, sondern Lübeck" 151 ). Rörig versteht natürlich unter der "Travemünder Reede" hier die von ihm konstruierte Reede im weiteren Sinn. Allein eine Begrenzung des Ufers ist hier gar nicht angegeben, sie hätte aber durch Nennung der Harkenbeck erfolgen müssen, da die Ordnung auch die Fischerei außerhalb der Harkenbeck kennt. Da aber unmöglich das ganze Mecklenburger Seeufer ohne Grenze gemeint sein kann, läßt sich hieraus schon folgern, daß überhaupt die ganze Ortsbestimmung Rörigs nicht richtig ist. Offenbar bezieht sich die Stelle auf das Ufer an der Binnentrave an der Mecklenburger Seite 152 ). Und dies wird bestätigt durch eine andere Stelle der Ordnung von 1585, in der es heißt, daß die Travemünder "jnn der traven mit leggung der queste und angeln van den
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tögen, de aldar van olders gehalden worden, bliven, und de Schluckupper dadurch an ehrer vischerey nicht behindern 153 ).
Sehen wir uns aber das an, was in der Ordnung von 1585 sich wirklich auf die Strecke Priwall-Harkenbeck bezieht, so ist in ihr nichts zu finden, was unserem nächstliegenden Ergebnis widerspricht, ja es lassen sich Momente anführen, welche es bestätigen. Zunächst ist festzustellen, daß die Ordnung nichts von einem ausschließlichen Fischereirecht Lübecks an der streitigen Strecke erwähnt, ein solches würde allerdings in starkem Grade auf ein Hoheitsrecht hinweisen. Sodann ist bei der Annahme eines Hoheitsrechts völlig unerklärlich, daß in der Ordnung nicht eine feste Abgrenzung gegenüber dem sonstigen Mecklenburger Küstengewässer gegeben wird. Nicht allein, daß die Harkenbeck gar nicht als hoheitsrechtlicher Endpunkt akzentuiert wird, indem auch von der Fischerei außerhalb der Harkenbeck die Rede ist, vor allem fehlt jede Abgrenzung des streitigen Küstengewässers durch die Angabe einer Linie von der Harkenbeckmündung in die See hinein.
Angesichts aller dieser Momente müßten es schon völlig eindeutige Beweise außerhalb der Ordnung von 1585 sein, welche Anlaß geben könnten, von unserer Deutung abzugehen. Mir scheinen solche nicht vorzuliegen. Zu beachten wäre dabei zunächst die Aussage des Zöllners Tydemann im Jahre 1547, die wir schon früher angeführt haben 154 ). Er sagte:
"Datt ein erbar radt to Lübeck je und allewege strom und strand von der reyde an beth in die Harkenbeke tho verbiddende gehett hebben, we ock nech in desse stunde."
Zur Würdigung dieser Aussage ist zu beachten, daß sie gelegentlich eines Streites zwischen Lübeck und Mecklenburg über das Strandrecht am Priwall gemacht wurde. Daraus ergibt sich zunächst, daß sie, für die Strecke Priwall-Harkenbeck überhaupt keine unmittelbare Bedeutung gehabt hat. Beachtet man aber ferner, daß es bei der Aussage gerade auf ein Strandrecht im engeren Sinne ankam, ein solches jedoch Lübeck an dieser weiteren Strecke überhaupt nicht besessen hat, so wird der Beweiswert dieser Aussage ganz abgeschwächt. Man kann daher nicht annehmen, daß sich Lübeck bei seiner Ordnung von Vorstellungen hat leiten lassen, die dieser Aussage zugrunde lagen.
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Weiter wäre die Stellungnahme Lübecks bei den Fischreusenstreitigkeiten 1616 in Betracht zu ziehen, aus der Rückschlüsse für 1585 gemacht werden könnten. Es mag daher bereits hier bemerkt werden, daß die Ausführungen Lübecks in dieser Angelegenheit widerspruchsvoll und nicht stichhaltig sind und durch eine ganz besondere Neuerung im Fischfang hervorgerufen worden sind. Dagegen wird unsere Auslegung durch die Mecklenburger Stellungnahme und die Mecklenburger Zeugenaussagen bestätigt 155 ).
Nach alledem können wir sagen, daß überwiegende Gründe dafür sprechen, daß Lübeck in der Fischereiordnung von 1585 die Fischerei in dem streitigen Küstengewässer nicht kraft einer Fischereihoheit über dieses Küstengewässer geregelt hat.
b) Der Vergleich von 1610 stellt sich als eine Verordnung Lübecks dar, welche auf Grund von Streitigkeiten der lübischen Fischerkorporationen erlassen wurde und sich auf dieselben Gebiete bezieht wie die Verordnung von 1585 156 ). Er hat in bezug auf das streitige Küstengewässer denselben Charakter wie die Verordnung von 1585. Neue Momente, die Anlaß zu einer anderen Ansicht geben könnten, treten nicht zutage.
c) Der Vergleich von 1826 157 ) betrifft in der Hauptsache die Strecke Priwall-Harkenbeck, aber es ist auch die Fischerei außerhalb der Harkenbeck (und des Mövensteins) hereingezogen 158 ). Es handelt sich um einen Vergleich, der zwischen den Travemündern und den anderen Lübecker Fischerkorporationen zur Beendigung endloser Streitigkeiten abgeschlossen und von den Wetteherren bestätigt wurde. Auch hier ergeben sich keine neuen Momente, welche gegen unsere Deutung sprechen, daß Fischereiberechtigungen Lübecks in fremdherrlichen Küstengewässern in Frage stehen, die den Fischerkorporationen Lübecks zugeteilt sind. Rörig behauptet freilich, daß dieser Vergleich die ausschließliche Fischerei der lübischen Fischereikorporationen ergebe. Er
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gebe "ein so minutiöses Bild der dort ausgeübten Wadenfischerei und der Strandfischerei mit Netzen, Angeln und Krabbenhamen, daß es ausgeschlossen ist, sich weitere Befugnisse derselben Art an diesem Küstenstriche auch nur zu denken" 159 ). Allein dies ist eine durch nichts bewiesene Behauptung. Sie wird auch unter anderem dadurch widerlegt, daß unstreitig Mecklenburger Fischer seit 1870 zu einer Zeit, wo dieser Vergleich noch galt, Jahrzehnte hindurch gefischt haben 160 ). Man versteht nicht, wie sie Platz gefunden hätten, wenn die Behauptung Rörigs richtig wäre. Oder sollten die Lübecker Fischerkorporationen unter Preisgabe ihrer angeblich bis ins einzelne geregelten Befugnisse ihnen Platz gemacht haben?
d) Die Fischereiordnung vom 28. Februar 1881.
Sie geht zurück auf ein zwischen mehreren Regierungen am 1. Dezember 1877/8. Mai 1880 getroffenes Übereinkommen wegen Herbeiführung übereinstimmender Maßregeln zum Schutze und zur Hebung der Fischerei.
Sie bezieht sich, wie wir schon früher sahen 161 ), "auf die Küsten- und Binnenfischerei in allen unter lübeckischer Staatshoheit befindlichen und denjenigen fremdherrlichen Gewässern, auf denen und insoweit ein lübeckisches Mitbefischungsrecht ausgeübt wird, mit Ausnahme der geschlossenen Gewässer" § 1.
In § 3 ist alsdann bestimmt:
"Im Sinne dieser Ordnung ist Küstenfischerei diejenige Fischerei, welche in dem der lübeckischen Staatshoheit unterworfenen Teile der (Ostsee und in der Trave mit ihren Ausbuchtungen (einschließlich des Dassower Sees und Poetenitzer Wyck) von der Mündung aufwärts bis zur Herrenfähre und dem Damm der Chaussee von Lübeck nach Travemünde, Binnenfischerei diejenige, welche in den übrigen Gewässern und in der Trave bis abwärts zu dem Punkte, wo die Küstenfischerei beginnt, betrieben wird."
Wir haben früher den § 1 dieser Ordnung dafür verwertet, daß eine einheitliche Reglung der Fischerei auf den Hoheitsgebieten und der Mitfischerei auf fremdherrlichen Gewässern in Lübeck nichts Auffälliges war 162 ). Jetzt entsteht für uns die
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ganz andere Frage, welche Fischereigebiete nach Maßgabe der Ordnung von 1881 als fremdherrliche Gewässer in Betracht kamen. Nun ist eins klar: Geht man rein von dem Wortlaut des § 3 aus, welcher als Küstenfischerei bezeichnet die Fischerei, welche in dem der lübeckischen Staatshoheit unterworfenen Teile der (Ostsee und in gewissen Teilen der Trave betrieben wird, so würde sich ergeben, daß die Fischerei in der Ostsee nur geregelt werden soll, insoweit die Ostsee der lübeckischen Staatshoheit unterlag. Wie weit unterlag sie aber der Staatshoheit Lübecks? Wir wissen, daß man gerade in den Zeiten der Abfassung dieses Gesetzes in Lübeck durchaus völkerrechtlichen Ansichten in bezug auf das Küstengewässer der Ostsee huldigte 163 ). Es ist ferner klar, daß man bei dieser Fischereiordnung, die auf einer Verständigung mehrerer deutscher Staaten beruht, die allgemein anerkannten Grundsätze über die Staatshoheit in Meeresgewässern, im Auge haben mußte. Das Ergebnis wäre alsdann, daß von der Verordnung nicht umfaßt würden einmal die Fischereirechte Lübecks in der Niendorfer Wiek und in den holsteinschen Küstengewässern, und sodann und vor allem aber auch das streitige Küstengewässer (Priwall-Harkenbeck).
Die Auslegung, daß die Fischerei in der Ostsee nur geregelt werden soll, insoweit die Ostsee der lübeckischen Staatshoheit unterlag, hat aber ihre Bedenken, weil sie zu dem Ergebnis führen würde, daß für die fremdherrlichen Gewässer, von denen in der Ordnung die Rede ist, nur die Binnengewässer übrig blieben. Soviel wir sehen, kamen aber für Lübeck zu dieser Zeit keine fremdherrlichen Binnengewässer in Betracht.
Eine andere Auslegung ist dann möglich, wenn man die Definition der Küstenfischerei in § 3 durch § 1 ergänzt 164 ). Das würde bedeuten, daß der Küstenfischerei in den Teilen der Ostsee, welche der lübeckischen Staatshoheit unterliegen, gleichgestellt werden muß die Küstenfischerei in den Teilen der Ostsee, welche fremdherrliche Gewässer sind, in denen Lübeck aber ein Mitbefischungsrecht zusteht. Selbstverständlich könnten die Bestimmungen der Ordnung in den fremdherrlichen Gewässern aber nur insoweit gelten, als sie nicht mit Vorschriften des Inhabers des Hoheitsrechts im Widerspruch stehen. Legt man auch hier die da-
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mals in Lübeck maßgebenden völkerrechtlichen Anschauungen zugrunde, so würden alsdann die vorhin genannten Strecken, insbesondere die Strecke Priwall-Harkenbeck, als fremdherrliche Gewässer, in denen Lübeck ein Mitbefischungsrecht zusteht, unter die Fischereiordnung Lübecks fallen.
Jedenfalls würde das Ergebnis stets sein, daß die Fischereiordnung von 1881 keine gesetzliche Reglung der Fischerei in dem streitigen Küstengewässer auf Grund einer Lübecker Fischereihoheit enthält.
Es ist auffallend, daß Rörig diese wichtige Fischereiordnung Lübecks von 1881 gar nicht bespricht. Offenbar ist er von dem Hoheitsrecht Lübecks auf der Reede im weiteren Sinn derart überzeugt, daß er es als selbstverständlich annimmt, daß die Staatshoheit Lübecks im Sinn der Ordnung von 1881 sich auf sie und damit auf das streitige Küstengewässer erstreckte. Allein wie ist dies damit vereinbar, daß man, wie auch Rörig anerkennt, zur Zeit der Abfassung des Gesetzes völkerrechtlichen Anschauungen in bezug auf die Travemünder Bucht huldigte? Und wie war es mit der Abgrenzung der "Reede", die doch Rörig erst entdeckt hat und die damals ganz unbekannt war?
e) Das Fischereigesetz vom 25. Juni 1896 hat gemäß § 1 das Fischereiregal in der Travemünder Bucht in Anspruch genommen, und zwar bis zur Linie Harkenbeck-Haffkruger Feld (§ 2 IV). Es ist die erste allgemeine Verordnung, auf welche wir stoßen, die eine Reglung in bezug auf das streitige Küstengewässer enthält, welche einwandfrei ergibt, daß sie auf einer Inanspruchnahme einer Fischereihoheit durch Lübeck beruht. Aber sie umfaßt, wie wir bereits früher sahen 165 ), nur einen Teil des streitigen Küstengewässers. Erst das Lübecker Fischereigesetz von 1925 hat unter voller Aufnahme der Rörigschen Behauptungen das ganze streitige Küstengewässer in eine fischereihoheitliche Reglung einbezogen 166 ).
a) Von Rörig wird die Handhabung eines Fischereipolizeizwanges behauptet, durch welchen Lübeck namentlich Dritte von der Fischerei durch Zwangsmaßnahmen ferngehalten hätte.
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α) Im Jahre 1600 sei "nach vorhergehendem Ratsbeschluß den Älterleuten von der Wette befohlen worden, wenn sie den Jochim Schröder (früher Schlutuper Wadenmeister), der im Auftrage des Junkers Vike Bülow auf Harkensee auf der "Reede" Wadenfischerei getrieben hatte, auf der "Reede" anträfen, ihm Kahn, Wade und alle Gerätschaften zu nehmen 167 ). Rörig versteht hier unter "Reede" seine Reede im weiteren Sinn.
Das Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs hat aber die Unrichtigkeit der Rörigschen Behauptungen schlagend nachgewiesen 168 ). Rörig vermengt in diesem Fall Eintragungen im Wettebuch und spätere Aussagen Mecklenburger Fischer, so daß ein ganz falscher Tatbestand entsteht, außerdem widerspricht er seinen früheren Ausführungen, nach denen der Ausdruck "Reede" bis 1616 nur im Sinn von nautischer Reede verstanden worden ist. In Wirklichkeit lag die Sache so, daß der Jochim Schröder außerhalb der nautischen Reede und innerhalb der Trave und Pötenitz gefischt hatte, und der Rat hatte angeordnet, daß ihm Wade und Kahn fortzunehmen sei, sofern man ihn auf des Rates Boden (d. h. am Lübecker Strande) oder auf der nautischen Reede antreffen würde. Hierzu war Lübeck natürlich berechtigt, denn auf der Trave hatte Schröder nichts zu suchen und am Lübecker Strand und der dabei gelegenen nautischen Reede konnte Lübeck polizeiliche Maßnahmen vornehmen. Bei der Aussage der Zeugen im Jahre 1616 handelt es sich dagegen nicht um diesen Fall, sondern um etwas ganz anderes. Die Zeugen bekunden, daß Junker Vike Bülow mit der großen Wade bis an das lübische Blockhaus oder bis nahe an Travemünde gefischt habe und dies ihm nicht verwehrt worden sei. Hier war also freie Fischerei und Lübeck wehrte sie nicht. Es ist aber unrichtig, wenn Rörig unter Vermengung mit dem Fall des Jochim Schröder sagt, daß Bülow es nur einem "Glücksfall" zuzuschreiben habe, wenn seine Wadenfischerei nicht sofort unterdrückt sei.
β) Der Fischreusenstreit von 1616.
Im März 1616 errichteten einige mecklenburgische Adlige eine große Fischreuse am Strande von Rosenhagen, das zu Harkensee gehörte. Die Fischreuse ragte außerordentlich weit in die Travemünder Bucht hinein. Dies ist der Ausgangspunkt des sog. Fischreusenstreites, dessen Verlauf sich aus dem
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Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs ergibt 169 ). Im einzelnen ist auf die dortigen Ausführungen zu verweisen. Es sei hier kurz zusammenfassend folgendes hervorgehoben: Lübeck forderte am 29. März die Adligen zur Entfernung der Reuse auf, diese lehnen es ab und schlagen einen Lokaltermin vor. Als dieser ergebnislos verlief, ließ Lübeck die Reuse durch "einen Haufen Volks" gewaltsam entfernen. Die Adligen beschwerten sich am 6. April beim Herzog von Mecklenburg. Dieser ließ an Ort und Stelle eine eingehende Untersuchung anstellen, bei welcher 11 Zeugen unter Eid über verschiedene, mit der Angelegenheit zusammenhängende Fragen vernommen wurden. Auf den Bericht der Kommission hin richtete der Herzog an Lübeck ein Beschwerdeschreiben vom 22. Mai, in welchem Schadenersatz verlangt, die Neuerrichtung der Reuse mitgeteilt und mit Repressalien gedroht wurde. Gleichzeitig wies der Herzog die Adligen zur Neuerrichtung der Reuse an. Auf dieses Schreiben antwortete Lübeck unter dem 12. Juni 1616. - Es verging nunmehr einige Zeit mit Herstellung der Reuse. Sie wurde erst am 24. April 1617 ins Wasser gesetzt.
Am 27. April 1617 wurde die Reuse wiederum von Lübeck gewaltsam zerstört. Jetzt wurde von Mecklenburger Seite (Herzöge und einer der Adligen) beim Reichskammergericht gegen Lübeck geklagt. Es wurde ein Mandat gegen Lübeck vom 5. Juli 1618 erwirkt, durch welches Lübeck angewiesen wurde, die Reusen und Pfähle zu restituieren und in den vorigen Stand zu setzen. Hiergegen überreichte der Lübecker Syndikus, Lizentiat Martin Khun, am 2. Oktober 1618 eine Exzeptionsschrift beim Reichskammergericht. Über den weiteren Verlauf des Prozesses sind wir nicht unterrichtet.
Für die Beurteilung des Vorfalls sind natürlich von besonderer Wichtigkeit die beiden Schreiben Lübecks, das eine vom 29. März 1616 an die Adligen, das andere vom 12. Juni 1616 an den Herzog. Dabei ist zu beachten, daß dieses zweite Schreiben eine Antwort auf die Beschwerdeschrift des Herzogs vom 22. Mai 1616 ist. Der Standpunkt Lübecks tritt ferner entscheidend hervor in der Exzeptionsschrift des Syndikus Khun. Es kann keine Rede davon sein, daß dieses Schreiben als Quelle überhaupt auszuscheiden habe (!), wie Rörig will 170 ). Rörig behauptet, der Syndikus sei von Lübeck nicht orientiert worden, er sei das Opfer von Mißverständnissen geworden 171 ). Allein das ist unzutref-
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fend 172 ). Ganz sonderbar ist schließlich die Berufung Rörigs auf die Protestationsklausel; es handelt sich um die allgemein gebräuchliche Klausel, die jeder Prozeßvertreter formalerweise anwendete, eine spezielle Bedeutung kommt ihr in unserm Fall nicht zu. - Wertvolle Ergänzungen für unsere Erkenntnis bieten aber auch die Schreiben der Adligen, der Kommissionsbericht und die Zeugenaussagen, die natürlich in unbefangener Weise gewürdigt werden müssen.
Da wir prüfen wollen, ob ein Hoheitsakt Lübecks vorliegt und vorliegen kann, der in einer Fischereihoheit über das streitige Küstengewässer wurzelt, gehen wir am besten von dem Schreiben der Lübecker an den Herzog vom 12. Juni 1616 aus.
Der Anfang des Schreibens enthält zunächst wichtige Zugeständnisse:
Es wird erklärt, daß ihnen niemals in den Sinn gekommen sei, die Adligen in dem "jure piscandi", "wan sie sich nur derselben wie herkommens und je allewege biß die zeit so woll bei ihnen selbst als ihren vorfahren gebreuchlich gebraucht" irgendwie zu "turbiren oder zu behindern" 173 ).
Und in unmittelbarem Zusammenhang wird hinzugefügt, daß sie noch weniger etwas hätten vornehmen wollen, wodurch der Herzog an seinem "des orths angrentzendem lande und desselben bottmeßichkeit" beeinträchtigt würde.
Als Begründung für die Zerstörung der Reuse wird alsdann angegeben, daß sie eine neue, ungewöhnliche, präjudizierliche und sehr schädliche Art der Fischerei darstelle: sie sei "uff unserem unstreitigen reide" derart weitgehend in das Wasser herein gemacht worden, daß hierdurch die Fischerei des Travestroms, des Dassower Sees und anderer Örter zerstört und außerdem auch die Schiffahrt im Aus- und Eingang verhindert worden sei. Es sei nicht richtig, daß solche Reusen und Pfähle an der holsteinschen Küste gebraucht würden; Lübeck würde sie sich aber auch da nicht gefallen lassen. Schließlich wird gesagt:
"Deweil dan . . . der Trauenstromb mit dem port und der reide, von Olderschlo an biß in die offenbahre see, unangesehen viele underscheidliche territoria daran stoßen, dieser guten statt wie mit Keyserlichen und Königlichen privilegien auch underschedlichen actibus possessoriis, so woll criminal- als civil-sachen, da es nott sein solte, woll zu behaupten, zugehorich." -
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Es ist hiernach folgendes festzustellen:
Die Lübecker wenden sich gegen eine Fischfangeinrichtung, die außerordentlich weit mit ihren Pfählen und Anhängseln in die Bucht hineinragte und so bisher noch nicht angewendet worden war, weil sie ihrem Fischereibetrieb in der Trave und auch sonst schädlich war und angeblich sogar die freie Ein- und Ausfahrt bei der Trave verhinderte. Sie erkennen aber völlig an die sonstige Fischereiberechtigung der Mecklenburger und die "Botmäßigkeit" des Herzogs.
Was die Fischerei der Mecklenburger als solche anlangt, so wird das Zugeständnis Lübecks nicht allein in der Exzeptionsschrift mehrmals wiederholt, sondern es ist hier auch ausdrücklich vom Fischen mit Waden und Netzen die Rede. Es wird ferner die Mecklenburger Fischerei voll bestätigt durch die Zeugenaussagen in diesem Prozeß 174 ), die man noch durch die Zeugenaussagen in dem Streit wegen der Seefischerei bei Gaarz im Jahre 1618 175 ) verstärken kann.
Was bedeutet aber die "Botmäßigkeit" des Herzogs? Was darunter gemeint ist, wird aufgeklärt durch einen Zusatz im Konzept des Lübecker Schreibens, durch die Exzeptionsschrift und durch das Schreiben des Herzogs vom 22. Mai 1616, auf das Lübeck ja antwortete. Der Herzog sagt in seinem Schreiben 176 ): Es sei notorisch und den Lübeckern bekannt,
"das so wol das feste Land als der Strand und die Strandgerechtigkeit und was dem anhengig nit allein des Orts, do die Reusen gestanden", - sondern von Wismar bis Travemünde "dem Fürstl. Hause Mecklenburg iure superioritatis unzweifelhaft einzig und allein zuständig."
In dem Konzept des Lübecker Schreibens hatte daher auch an Stelle des Wortes "Botmäßigkeit" gestanden: "Strand und Strandgerechtigkeit" 177 ), und man hatte die letzten Worte lediglich gestrichen, um nicht damit das Strandrecht im engeren Sinn (Bergerecht) unnötigerweise anzuerkennen 178 ). In der Exzeptionsschrift wird dann wieder zweimal davon gesprochen, daß Lübeck sich niemals die "Strandgerechtigkeit" habe anmaßen
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wollen, und um den früheren Bedenken Rechnung zu tragen, ist der Ausdruck "novum jus der Strandgerechtigkeit" gewählt.
Es ergibt sich hieraus, daß Lübeck die "Strandgerechtigkeit" des Herzogs allgemein und auch an der in Frage stehenden Uferstrecke anerkannt hat. Und zwar in ihrem vollen Umfang! "Strandgerechtigkeit" ist aber der technische Ausdruck für "Strandhoheit", diese bezieht sich jedoch nicht bloß auf den trockenen Strand, sondern auch auf das Küstengewässer, und umfaßt auch die Fischereihoheit 179 ). Deshalb werden auch in dem Schreiben und in der Exzeptionsschrift 180 ) die Strandgerechtigkeit und die Fischerei in eine enge Verbindung gebracht.
Wenn nun Lübeck weiter erklärt, daß die Reuse auf seiner "Reede" gestanden und diese "Reede" ihm auf Grund kaiserlicher Privilegien und zahlreicher Besitzhandlungen zugehörig sei, so ist dies, insoweit das mecklenburgische Küstengewässer in Frage steht, ein völliger Widerspruch zu dem früheren Anerkenntnis. Sieht man aber von diesem Widerspruch ab, so ist folgendes festzustellen: Lübeck führt hier den Ausdruck "Reede" neu ein 181 ), um etwas ganz anderes zu bezeichnen, als bisher darunter verstanden wurde; bisher kannte man nur die nautische Reede 182 ). Ferner: Lübeck macht sich einer Unwahrheit schuldig, wenn es sagt, daß ihm diese Reede durch kaiserliche Privilegien zugesprochen sei, denn das Barbarossaprivileg enthält nur Verleihung der Flußfischerei bis zur Mündung der Trave 183 ). Schließlich, Hoheitshandlungen Lübecks auf der "Reede" (im erweiterten Sinn Lübecks) gegenüber Dritten sind nicht bekannt. Auch das ergeben völlig einwandfrei die Zeugenaussagen 184 ). Eine Aufsicht der Fischereiältesten Lübecks gegenüber Dritten hat hier nicht bestanden 185 ). - Wie wenig geheuer Lübeck auch bei der neuen
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Reede ist, zeigt sich darin, daß es als Grund für sein Vorgehen nicht die Störung der Fischerei auf dieser Reede, sondern die Störung der Fischerei in der Binnentrave und der Traveeinfahrt hervorhebt. Die Exzeptionsschrift aber wandelt, um dem neuen Reedebegriff "Facon" zu geben, die "Reede" fogar zum "portus" um 186 ).
Das Vorgehen Lübecks in dem Fischreusenstreit von 1616 ist daher nicht als die Ausübung einer ihm zustehenden Fischereihoheit zu werten, denn die von ihm für eine solche vorgebrachte Begründung ist nicht stichhaltig und steht mit seinen eigenen Zugeständnisse im Widerspruch. Das Vorgehen Lübecks ist eine unrechtmäßige Gewalttat, die als Anmaßung eines Rechtes erschien und als solche zurückgewiesen und gebrandmarkt wurde.
Zu ganz anderen Ergebnissen gelangt Rörig. Nach ihm bedeutet der Fischreusenstreit von 1616 "die erfolgreiche Abwehr Mecklenburger Versuche, den alten Bestand lübischer Hoheitsrechte nach Inhalt und räumlicher Ausdehnung zurückzudrängen 187 ). Der Irrtum Rörigs aber beruht auf sehr verschiedenen Gründen. Vor allem darauf, daß er von dem wirklichen Vorhandensein einer von lübischen Hoheitsrechten erfüllten Reede im weiteren Sinn ausgeht, und die Behauptungen Lübecks über sie, die hier zum ersten Male auftreten, für bare Münze nimmt. Ein weiterer schwerer Fehler von ihm ist der, daß er die Exzeptionsschrift als ergänzende Quelle ausschaltet 188 ), die sämtlichen Mecklenburger Zeugenaussagen verwirft 189 ) und immer wieder den von ihm ganz falsch verstandenen Vorgang über die Fischerei des Jochim Schröder heranzieht 190 ). Die wichtigen beiden Zugeständnisse Lübecks in seinem Schreiben vom 12. Juni 1616 und in der Exzeptionsschrift in bezug auf die Strandgerechtigkeit und die Mecklenburger Fischerei werden von Rörig in einer geradezu gewaltsamen und ausgetüftelten Weise zu beseitigen gesucht.
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Lübeck habe nur "Botmäßigkeit am Lande selbst" zuerkennen wollen 191 ), und bei dem allgemeinen Zugeständnis der bisherigen und zukünftigen Fischerei der Mecklenburger sei Lübeck unehrlich und mit einer "reservatio mentalis" verfahren!! 192 ). Die Fischereihoheit Lübecks habe bis unmittelbar ans Ufer gereicht, und die Mecklenburger hätten nur Krabbenfang, vielleicht auch Aalfang betrieben 193 ). Mir scheint, daß diese Ausführungen Rörigs sich selbst richten.
Nicht recht verständlich ist es, wenn Rörig in seinem dritten Gutachten auf die Verhältnisse an der Schlei und auf das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 20. Juni 1920 verweist 194 ). An der Schlei hatte die Stadt Schleswig kraft Privilegs ein ausschließliches Fischereirecht und hat dies gegen Eingriffe der Anlieger durch Zerstörung und Wegnehmen von Fischereigeräten, Pfählen usw. geschützt. Nun zitiert Rörig aus dem Urteil den Satz: "Deutlicher kann der Ausschluß Dritter nicht ausgesprochen werden." Allein dies wird doch von keinem Menschen bestritten. Selbstverständlich wollte Lübeck mit seiner Zerstörung der Reuse den Ausschluß der Reusenleger, mit diesem Fanggerät zu fischen, aussprechen. Aber während Schleswig in Ausübung eines feierlich verbrieften, wirklichen Rechts und mit rechter Gewalt handelte, beging Lübeck im Jahre 1616 unter Anmaßung eines Rechts eine unrechtmäßige Gewalttat. Das sind doch himmelweit verschiedene Dinge.
γ) Die Fischreusenzerstörung in Jahre 1658.
Als einen weiteren Fall berechtigter Handhabung fischereirechtlicher Polizeigewalt glaubt Rörig die Fischreusenzerstörung im Jahre 1658 anführen zu können 195 ). Es war wiederum bei Rosenhagen von einem Junker von Bülow eine große Fischreuse gesetzt worden. Die Lübecker Fischereiältesten machten am 14. Juli 1658 eine Eingabe hierüber an den Rat 196 ) mit der Mitteilung, daß infolge der Reuse die Fische "nicht mehr herein suchen können"
und eine Vergrößerung des Werkes zu befürchten sei. Sie verweisen auf den Vorgang von 1616 und bitten um eine erneute 'entsprechende Verfügung zur Zerstörung der Reuse. Es folgt
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dann der Vorgang, wie er in dem Protokoll vom 26. Juli 1658 197 ) geschildert wird.
Rechtlich ist der ganze Vorgang genau so zu beurteilen wie der Vorgang im Jahre 1616. Rörig macht demgegenüber insbesondere geltend, daß im Jahre 1658 die Anzeige der Fischer ausdrücklich erfolgt sei, weil es des Rates "jurisdiction, hoch- und gerechtigkeit" betreffe, und die Fischer zu einer solchen Anzeige kraft des nunmehr präzise formulierten Fischereides verpflichtet gewesen seien. Allein die Eidesformel ist ganz allgemein gehalten, sie umfaßt die "Ströme" des Rates und verpflichtet zur Anzeige einer jeden Verletzung der "frei- hoch- und gerechtigkeit" des Rates. Die entscheidende Frage ist doch aber die, ob wirklich das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck unter der Fischereihoheit der Stadt stand. Hier aber hatte Lübeck im Jahre 1618 die Strandgerechtigkeit und Fischereihoheit Mecklenburgs anerkannt. - Rörig beruft sich ferner darauf, daß man sich im Jahre 1658 das Vorgehen Lübecks habe gefallen lassen. Allein wir kennen die weiteren Ereignisse nicht, und es ist unstatthaft, irgend etwas Bestimmtes zu vermuten.
δ) Aus der ganzen Zeit von 1658 bis 1911 kann Rörig keine Fälle von fischerpolizeilichen Zwangsmaßnahmen Lübecks gegen Mecklenburger Fischer anführen.
Rörig sucht dies für die Zeit bis zum Jahre 1870 daraus zu erklären, daß nunmehr Mecklenburger Fischer auf der "Reede" überhaupt nicht mehr erschienen seien 198 ). Seit dem 19. Jahrhundert sei es sogar mit dem Krabben- und Aalfang der Mecklenburger an der Strecke Priwall-Harkenbeck zu Ende gewesen 199 ). Die letzte Bemerkung hängt mit der falschen Vorstellung Rörigs über das Aufhören der "Strandgerechtigkeit" zusammen, auf welche später noch zurückzukommen ist. Hier müssen wir die Behauptung Rörigs von dem Fehlen der Mecklenburger Meeresfischerei mit der größten Entschiedenheit zurückweisen.
Diese Behauptung ist angesichts der Fülle der Belege, die wir zur Zeit des Fischreusenstreites haben, geradezu ein Unding. Selbst wenn Lübeck seinen Willen in bezug auf die neuen großen Fischreusen durchgesetzt hätte, warum sollten die Mecklenburger den sonstigen herkömmlichen Fischfang hier aufgegeben haben? Hierzu lag ja auch vom Lübecker Standpunkt aus nicht die aller-
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geringste Veranlassung vor! - Für die Zeit nach 1870 will Rörig die "Zulassung" Mecklenburger Fischer aus dem Eindringen völkerrechtlicher Anschauungen erklären 200 ). Rörig vergißt dabei nur, daß nach völkerrechtlichen Anschauungen eine lübische Fischereihoheit an dem streitigen Küstengewässer gar nicht bestand 201 ) 202 ).
b) Von Rörig wird als Beweis für die Handhabung des "Fischereiregals" auf dem streitigen Küstengewässer angeführt, daß Lübeck Abgaben für den Fischfang auf dem streitigen Küstengewässer von seinen Lübecker Fischern erhoben habe (bereits seit 1502) 203 ). Allein es ist nicht nachgewiesen, daß diese Abgaben (bis 1896) wirklich für die Seefischerei erhoben wurden, das Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs macht wahrscheinlich 204 ), daß es Abgaben für die Binnenfischerei gewesen sind. Aber auch wenn es Abgaben für die Seefischerei waren, so ist nicht einzusehen, warum hieraus auf ein Fischereiregal geschlossen werden muß. Auch mit unserer Annahme, daß es sich um einfache Fischereirechte Lübecks handelte, deren Nutzung es an seine Fischereikorporationen verteilte, ist es sehr gut vereinbar, daß sich Lübeck hierfür ein Entgelt ausbedungen hat.
c) Schließlich wird von Rörig 205 ) als Zeichen des Lübecker Fischereiregals geltend gemacht, daß lübeckische Gerichte die Streitigkeiten der lübischen Fischerkorporationen hinsichtlich ihrer Fischerei auf dem streitigen Küstengewässer entschieden hätten. Allein die Lübecker Gerichte sind hierfür auch kompetent gewesen, wenn es sich um Aufteilung von Fischereirechten Lübecks unter seine Fischerkorporationen gehandelt hat.
Von Rörig werden Fahrrechtshandlungen Lübecks auf dem streitigen Küstengewässer behauptet. Es handelt sich um die gerichtliche Leichenschau bei unnatürlichen Todesfällen, die im Mittelalter dem Inhaber der Gerichtshoheit zustand und in dieser Form seit dem Ende des 18.
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Jahrhunderts in Fortfall gekommen ist. Wir unterscheiden die Zeit der Fahrrechtsfälle und die spätere Zeit.
1. Die Fahrrechtsfälle. Zunächst müssen die in dem ersten Gutachten Rörigs erwähnten Fälle aus dem Jahre 1559 und 1628 206 ) völlig ausscheiden. Denn es ist ganz klar, daß es sich bei ihnen um Unglücksfälle handelte, die sich auf der nautischen Reede ereignet haben. Rörig hat sie wohl deshalb auch in seinem zweiten Gutachten nicht erwähnt. Im übrigen ist noch folgendes zum Verständnis voranzuschicken. Wir erinnern uns, daß Rörig in bezug auf die Fischerei der Mecklenburger erklärt hatte, daß sie am Ufer Krabbenfang und wohl auch etwas Aalfang hätten betreiben können. In bezug auf das Fahrrecht wird dagegen Mecklenburg als Inhalt seiner "Strandgerechtigkeit" etwas mehr eingeräumt. Für Fahrrechtsfälle soll Mecklenburg zuständig gewesen sein, wenn eine Leiche "grundrührig" geworden sei, d. h. am Strande im flachen Wasser festgemacht worden sei, wenn man sie durch "Waten" hätte erreichen können. Dagegen sei Lübeck zuständig gewesen, wenn es sich um Leichen gehandelt hätte, die im Wasser frei getrieben hätten. Hierüber seien sich Mecklenburg und Lübeck im Jahre 1616 völlig einig gewesen. Damals hätte man nur darüber gestritten, ob die Leiche "grundrührig" oder "frei treibend" gewesen sei 207 ). - Allein diese Ausführungen Rörigs sind durchaus irrtümlich. Es kann keine Rede davon sein, daß Mecklenburg seine "Strandgerechtigkeit" und damit auch sein Fahrrecht nur auf "grundrührige" Leichen habe beschränken wollen, vielmehr wurde die Grundrührigkeit in diesem Falle nur angeführt, um damit schlagend die Behauptung Lübecks zu widerlegen, daß die Leiche von seinem Beauftragten "in der See treibend" eingeholt worden wäre 208 ). Dies wird insbesondere dadurch bewiesen, daß Mecklenburg seine "Strandgerechtigkeit" und sein Fahrrecht im Jahre 1616 bei dem Fischreusenstreit soweit erstreckt hat, bis "die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet" 209 ). Es hat also eine Watengrenze nicht anerkannt, viel-
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mehr reicht ihm seine Fahrrechtsberechtigung und sein Küstengewässer bis zum Anfang der hohen See. Darum hatte Mecklenburg andererseits gegen eine Einholung der Leichen auf der hohen See von seiten Lübecks nichts einzuwenden, da hier selbstverständlich die Einholung jedermann gestattet war 210 ). Auch sonst ist eine Watengrenze für die Ausübung des Fahrrechts nirgends bekannt. Es ergibt sich somit, daß aus dem Fall von 1616 für eine rechtmäßige Hoheitshandlung Lübecks auf dem von Mecklenburg in Anspruch genommenen Küstengewässer nichts zu entnehmen ist. Denn wenn in bezug auf den Tatbestand die Behauptung Lübecks zugrunde gelegt wird, fiel die Einholung der Leiche außerhalb desselben und war überhaupt keine Hoheitshandlung, wenn aber für den Tatbestand die Angaben Mecklenburgs zutreffen und die festgemachte Leiche von Lübeckern losgelöst worden war, war die Handlung Lübecks unrechtmäßig.
Wie liegt es bei den anderen Fahrrechtshandlungen, die Rörig für Lübeck geltend macht? Es handelt sich um die Vorgänge der Jahre 1792, 1799 und 1804. Rörig bemerkt über sie in seinem ersten Gutachten 211 ), "daß Lübeck den Rosenhagener Strand nach Leichen von Ertrunkenen absuchen ließ, 1792 blieb das Suchen ergebnislos". In seinem zweiten Gutachten 212 ) heißt es für alle drei Fälle: "Hingegen suchen 1792, 1799 und 1804 die Lübecker mit Booten den Strand nach Ertrunkenen ab und holen die Ertrunkenen nach Travemünde ein" (!). In der Anmerkung dazu werden einige weitere Angaben gemacht. - Die Feststellungen des Mecklenburger Staatsarchivs 213 ) über diese Fälle ergeben aber, daß für die Fälle von 1792 und 1799 gar nicht feststeht, wo die Leichen gefunden wurden, und daß 1804 überhaupt nichts gefunden worden ist. Für Fahrrechtshandlungen ist jedoch das Finden und der Fundort das Entscheidende 214 ).
2. Für die spätere Zeit sagt Rörig in seinem ersten Gutachten: "Im 18. Jahrhundert kam das Fahrrecht außer Gebrauch; an seine Stelle trat . . . das Physikatszeugnis. Nach wie vor wurden aber die auf der Reede treibenden Leichen von Lübeck aus eingeholt (1737, 1741); und der lübeckischen Jurisdiktion unterstanden alle jene Rechtsfragen, welche durch Ertrinken von
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Schiffern auf der Reede hervorgerufen wurden; auch dann, wenn es Schiffer fremder Nationalitäten waren (1752, 1769, 1770, 1788 [englisches Schiff], 1793 [norwegisches Schiff], 1795 [englisches Schiff], 1800)".- Allein dies sind alles Behauptungen, die dadurch nicht bewiesen werden, daß eine Jahreszahl daneben gesetzt wird; hier sind doch eingehendere Ausführungen nötig. Sind denn die Leichen an der Mecklenburger Küste eingeholt worden? Was sind "alle Rechtsfragen, die durch das Ertrinken von Schiffern hervorgerufen werden"?
In seinem zweiten Gutachten bemerkt Rörig auch etwas über die Folgen des Fortfalls des Fahrrechts für Mecklenburg 215 ), welches ihm ja nach Rörigs Ansicht wenigstens bei "grundrührigen" Leichen zugestanden haben soll. Für Mecklenburg soll hiermit auch das mit dem Fahrrecht zusammenhängende Hoheitsrecht 216 ) verloren gegangen sein. Es bleibt aber ein Rätsel, warum die Mecklenburger nicht auch fernerhin Leichen, die sie im "Waten" erreichen konnten, "eingeholt" haben sollen.
In bezug auf Strandungsfälle wird von Rörig in entsprechender Weise wie bei den Fahrrechtsfällen zwischen der älteren Zeit und dem Beginn des 19. Jahrhunderts unterschieden.
1. Ältere Zeit. Für die ältere Zeit erkennt Rörig als zweiten 217 ) Inhalt der "Strandgerechtigkeit" ein Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer an, nämlich das Strandrecht und später ein Bergerecht in bezug auf gestrandete Fahrzeuge. Allein entsprechend wie bei dem Fahrrecht habe es eine sehr einengende Grenze gehabt, allerdings sei bei ihm die Grenze doch etwas "weiter" gewesen. Während bei dem Fahrrecht eine "Watengrenze" entscheidend gewesen sei, sei in bezug auf gestrandete Schiffe eine "Rittgrenze" in Betracht gekommen 218 ). Als Beleg für die Rittgrenze glaubt er einen Bericht des Vogtes von Travemünde aus dem Jahre 1660 über zwei in
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der Bucht vor Rosenhagen gesunkene Schiffe verwenden zu können 219 ). Allein das Mecklenburger Staatsarchiv hat gezeigt 220 ), daß Rörig seine Quelle falsch verstanden hat; der Vogt erwähnt eine solche Grenze nicht, er berichtet vielmehr, daß der Herzog zwei berittene Gendarmen geschickt habe zur Erkundung des Strandungsfalles, diesen habe er, der Vogt, gesagt, das Schiff liege in einer Tiefe von drei Faden (5,4 m), daher seien Boote und Seeleute zur Bergung nötig, Reiter und Bauern würden nichts nützen können 221 ). Auch die sonstigen Akten des Falles von 1660 ergeben mit Sicherheit, daß eine solche Rittgrenze nicht in Betracht kam. Einerseits heißt es in dem mecklenburgischen Protokoll über die Untersuchung durch den Herzog selbst, daß man eine Bergung nicht hätte vornehmen können, weil keine Boote zur Stelle gewesen wären 222 ). Andererseits beruft sich Lübeck in einem Schreiben an den Herzog nur darauf, daß die Schiffe nicht an den Strand gekommen, sondern drei Klafter tief in See geblieben seien 223 ). Nun werden zwar für Teile der Mecklenburger Küste, insbesondere für die Wismarer Bucht, Ritt- und (oder) Wurfgrenze als Begrenzung des Strandrechts erwähnt 224 ), allein es handelt sich dabei nur um vereinzelte Zeugenaussagen. Wie das Mecklenburger Staatsarchiv nachgewiesen hat, sind solche Begrenzungen des landesherrlichen Strandrechts dem praktischen Leben völlig fremd 225 ). Es handelt sich offenbar um Verwechslungen mit Begrenzungen von grundherrlichen Rechten 226 ). Was die hier in Frage stehende Küstenstrecke anlangt, so wird von einem Zeugen im Jahre 1616 erwähnt, daß der Strand so weit dem Herzog gehöre, als man "mit einem wehligen Pferde hineinreiten und schwimmen und von demselben mit einem Pflugeisen weiter werfen könne", allein der Zeuge hatte vorher angegeben, daß des Herzogs Strand und Strandgerechtigkeit sich erstrecke, "so weit die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet" 227 ).
Und diese letzte Formulierung wird auch von allen übrigen Zeugen angewendet, die von einer Ritt-, Pferdeschwimm- und
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Wurfgrenze nichts wissen 228 ). Man wird daher die Schiffsgrenze als maßgebend betrachten müssen, die Schwimm- und Wurfgrenze existierte nur in der Phantasie des Zeugen und ist bei ihm offenbar durch Verwechslung mit anderen Begrenzungen veranlaßt worden. Ganz unzulässig ist es übrigens, wenn Rörig erklärt, daß die Kommissare der Rittgrenze des Zeugen eigenmächtig die Schwimmgrenze hinzugefügt hätten 229 ). - Aber Rörig selbst hält an seiner Rittgrenze gar nicht fest. So bemerkt er an einer anderen Stelle, daß entscheidend gewesen sei, ob die Fahrzeuge am Mecklenburger Strande "angeschlagen" worden seien. Auch dies ist allerdings unrichtig. Der Ausdruck "Anschlagen am Strande" wird von Fahrzeugen überhaupt nie gebraucht, er ist ja auch ganz unpassend. Rörig übernimmt das Wort "anschlagen" aus einer Zeugenaussage von 1616, hier aber bezieht es sich auf Holz, das von einem vor etwa 20 Jahren gesunkenen Prahm weggeschwemmt war.
Kann somit kein Zweifel sein, daß eine Rittgrenze nicht bestanden hat, daß vielmehr das Strandrecht des Herzogs bis zur Meerestiefe reichte und darüber hinaus offenes freies Meer war, so erledigen sich auch die von Rörig für eine Strandungshoheit Lübecks angeführten Fälle. In dem Faß von 1660 war zwar die Ladung des Schiffes von Lübeck geborgen worden, allein, wenn die Lübecker Angaben richtig waren, handelte es sich um ein Versinken im offenen Meer, und auch auf Mecklenburger Seite waren erhebliche Zweifel vorhanden, ob dies nicht zutraf 230 ). Was aber den Fall aus dem Jahre 1665 betrifft, so konnte die Strandgerechtigkeit Mecklenburgs nicht ausgeübt werden, weil der Seegang so hoch war; im übrigen aber haben die Schiffer sich selbst geholfen und das Schiff wieder flott gemacht 231 ).
2. Die spätere Zeit. Rörig sagt entsprechend wie bei den Fahrrechtsfällen: "Strandungsfälle kamen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Fortfall; mit der mittelalterlichen
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"Strandgerechtigkeit" hatte es ein Ende 232 ). Man kann dies nicht ohne das größte Erstaunen lesen. Es ist unrichtig, daß es mit der mittelalterlichen Strandgerechtigkeit ein "Ende" hatte. Vielmehr hat sich das Strandrecht bereits im Mittelalter immer mehr zu einem Hilfs- und Bergungsrecht abgeschwächt, in dieser geläuterten Form als Hoheitsrecht des Küstenherrn an seinem Küstengewässer erhalten und ist durch Strandungsordnungen eingehend als solches geregelt worden 233 ). Und da fragen wir: Wo sind denn neuere Fälle für die Ausübung einer lübischen Strandungshoheit in bezug auf die Strecke Priwall-Harkenbeck? Wo sind Hoheitsakte Lübecks, die beweisen, daß es an die Stelle von Mecklenburg in bezug auf das diesem angeblich abhanden gekommene Hoheitsrecht getreten ist?
Mecklenburger Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer
Wir erinnern uns, daß wir auf Grund der mittelalterlichen Quellen, welche für die Ostseeküste maßgebend sind, gefolgert haben, daß im Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert: ein umfassendes Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer, soweit es vom Strande aus beherrschbar und nutzbar erschien, bestanden hat 234 ). Bei der folgenden Betrachtung der Akte, welche Lübeck als Hoheitsakte in bezug auf das streitige Küstengewässer anführt, ließ es sich nicht vermeiden, auch Mecklenburger Hoheitsakte bereits mit hereinzuziehen. Im folgenden sollen diese Angaben für Mecklenburg namentlich noch in bezug auf die neuere Zeit ergänzt werden. Dabei haben wir gelegentlich der Würdigung der von Lübeck geltend gemachten Hoheitsakte gelernt, daß Mecklenburg in der früheren Zeit vor Ausbildung des modernen Völkerrechts das streitige Küstengewässer seiner Hoheit unterworfen ansah bis zur schiffbaren Meerestiefe 235 ); in der modernen Zeit sind dann völkerrechtliche Gesichtspunkte maßgebend erschienen. Dies muß beachtet werden,
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wenn wir nunmehr auf einzelne Abspaltungen des allgemeinen Hoheitsrechtes eingehen.
1. Fischereihoheit. Die mittelalterlichen Fischereiabgaben, welche Mecklenburg auf Grund des Fischereiregals zustanden, sind anscheinend frühzeitig in bezug auf das streitige Küstengewässer fortgefallen. Auch Lübeck hatte für seine Fischereiberechtigung keine Abgaben zu zahlen. Aber diese Fischereiberechtigung Lübecks wurde nicht als Fischereihoheit angesehen. Sie erschien vielmehr nur als Mitbefischungsrecht, genau so wie Lübeck auch an anderen Stellen der Mecklenburger Küste die Fischerei ausübte. Dies und nichts anderes will auch die Formulierung der ersten Frage bei der Mecklenburger Zeugenvernehmung im Fischreusenstreit 1616 besagen 236 ):
"Ob nicht wahr, das die Hertzogen zu Meckelnburg und deroselben Beambten . . . den Strandt und die Strandgerechtigkeit, so weit die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet, von Travemunde an biß hinunter, so weit Meckelburgisch Grund und Boden sich erstrecket, von undenklichen Jahren hero vor sich allein vertheidiget und vertretten und so weinig den Lubischen alß jemand anders das allergeringste außerhalb der gemeinen Fischereyen daran gestanden . . ."
Wenn Rörig in seinem dritten Gutachten bemerkt 237 ), daß hiernach gemäß Mecklenburger Auffassung ein "Gemeingebrauch an der Fischerei" und infolgedessen kein "Fischereiregal" bestanden habe, so befindet er sich in einem Irrtum. Die Worte "gemeine Fischereyen" weisen nicht: auf einen "Gemeingebrauch" in dem Sinn, daß jeder Beliebige hier fischen könnte, sondern auf eine gemeinsame Fischerei, die den Lübeckern zugestanden war. Im übrigen besteht auch bei einem Gemeingebrauch eine Fischereihoheit. Daß Mecklenburg sich hier die Fischereihoheit an seiner ganzen Küste (!) absprechen wollte, ist völlig ausgeschlossen. Im übrigen ist: auf unsere Darstellung des Fischreusenstreites zu verweisen, aus der sich auch ergibt, daß der Herzog zur Wahrung seiner Fischereihoheit die erforderlichen Verfügungen und Maßnahmen ergriff 238 ). Es sei hier nur nochmals be-
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tont, daß die Fischereihoheit Mecklenburgs sich nicht bloß auf Krabbenfang und Aalfang bezog, sondern auch auf die gesamte Fischerei, insbesondere Waden- und Netzfischerei.
Allgemeine Fischereiverordnungen Mecklenburgs, welche sich auf das streitige Küstengewässer beziehen, sind, soweit bekannt, erst im 19. Jahrhundert erlassen worden. Es gehören hierher:
a) Die VO. vom 1. Oktober 1868. Sie ist erlassen "für den Fischereibetrieb am Außenstrande der Ostsee", in den Ostseebinnengewässern usw. Sie hat fischereipolizeilichen Charakter, sie verbietet insbesondere das Fischen mit schädlichen Fangzeugen, bestimmt Schonzeiten u. a. m. Sie richtet sich auf die Fischerei an dem ganzen Außenstrande der Ostsee und schließt daher das streitige Küstengewässer ein.
b) Die VO. vom 20. Juli 1875. Sie ist eine Revision der vorigen und enthält gleichfalls die entscheidenden Worte. Sie ist vom Mecklenburger Ministerium auf eine Anfrage hin unter dem 13. August 1875 an das Polizeiamt zu Lübeck geschickt worden. - Erwähnenswert ist, daß die VO. eine allgemeine Schongrenze für bestimmte Zeiten bis 1/8 Meile von der Küste ab (etwa 240 m) kennt (§ 3).
c) Die VO. vom 18. März 1891 enthält eine Reglung für den Fischereibetrieb "in allen unserer Hoheit unterstehenden Binnen- und Küstengewässern". "Der Fischereibetrieb in den Küstengewässern im Sinne dieser Verordnung umfaßt die Fischerei im Außenstrande der Ostsee . . . "(§ 1).
Die unter b erwähnte allgemeine Schongrenze ist letzt bis auf 1 km von der Küste ab normiert (§ 19 Ziff. 5) 239 ).
d) Die VO. vom 22. April 1904 regelt die Fischerei auf Plattfische "an der ganzen Ostseeküste unseres Landes bis auf
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5 1/2 km von der Küste ab" 240 ). Ebenso die VO. vom 20. Dezember 1913 241 ).
2. Das Fahrrecht. Von Fahrrechtshandlungen, die Mecklenburg auf dem streitigen Küstengewässer ausgeübt hat, sind uns zweifellos drei überliefert; es handelt sich
um die Fälle von 1576, 1604 und 1757 242 ). Die "Grundrührigkeit" der Leiche war 1757 vorhanden, aber sie war nicht das Entscheidende 243 ). Entscheidend war, wie sich aus der Zeugenvernehmung im Jahre 1616 für die beiden anderen Fälle ergibt, daß die Leichen im Küstengewässer bis zum schiffbaren Meere hin gefunden worden waren 244 ). - Was. die moderne Zeit betrifft, so ist das Fahrrecht zwar verschwunden, aber die in ihm enthaltene Hoheit ist in die allgemeine Seepolizei über das Küstengewässer übergegangen.
3. Strandungs- und Bergehoheit.
a) Aus der früheren Zeit sind uns verschiedene Fälle überliefert, in denen Mecklenburg seine Strandungs- und Bergehoheit in bezug auf das streitige Küstengewässer ausgeübt hat. Es handelt sich namentlich um zwei Schuten, die im Jahre 1585 Schiffbruch erlitten hatten 245 ); entscheidend war, daß sie außerhalb des schiffbaren Meeres gestrandet waren. Eine "Rittgrenze" kam in keiner Weise in Betracht 246 ). Dies ergibt sich aus der Zeugenvernehmung im Jahre 1616 und den sonstigen Strandungsfällen 247 ). Gleiches ist auch für die Ausübung des Strandrechtes seitens Mecklenburgs im Jahre 1658 anzunehmen 248 ).
b) Im 19. Jahrhundert hat dann Mecklenburg seine Strandungs- und Bergehoheit an seiner gesamten Küste zunächst ausgeübt durch die sog. Regiminalverordnung vom 20. Dezember 1854 und die gleichzeitige
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Instruktion für die an der Ostseeküste gelegenen Ämter, Strandung und Strandgut betreffend. Diese Verordnungen beziehen sich daher auch auf die Küstenstrecke Priwall-Harkenbeck. Aus ihnen sei folgendes hervorgehoben:
In der Einleitung der VO. wird bemerkt, daß sich der Herzog grundsätzlich "des ohnehin seit langer Zeit nicht ausgeübten Regals des Strandrechts" für die Zukunft gänzlich begeben will. Dies bedeutet, daß der Herzog auf das alte Strandrecht im Sinn eines nutzbaren Regals, kraft dessen Schiffe und Schiffsgüter dem Küstenherrn verfallen waren, verzichtet. In den nachfolgenden Paragraphen werden dann Strandungs- und Bergewesen vom Standpunkt: der Strand- und Küstenhoheit aus geregelt. Es werden unterschieden die Strandung eines Schiffes, das von der Schiffsmannschaft noch besetzt ist, und sonstige Strandungsfälle.
Bei der Strandung eines noch besetzten Schiffes wird von der Strandung an der Küste ausgegangen und ihr die Strandung auf einer Sandbank in der Nähe der Küste und die Seenot gleichgestellt (§ 5). Den Beamten sind die gesamten Rettungs- und Bergungsmaßregeln anvertraut (§ 2). Die Hilfe darf dem Schiffer nicht aufgedrängt werden. Will er sich allein helfen, so
"beschränkt sich die Tätigkeit der Behörden darauf, Ordnung am Strande zu erhalten und das gestrandete Schiff gegen alle Eingriffe zu beschützen. Insbesondere haben Sie mit Strenge darauf zu halten, daß sich niemand wider Willen zur Hülfeleistung aufdringe, den Bergenden lästig oder hinderlich werde oder gar den hülflosen Zustand des Schiffes zur Erreichung widerrechtlicher Zwecke benutze" (§ 5).
Es folgen dann noch Bestimmungen für die Beamten über die Rettung der Menschen und die Löschung, wenn Beistand erforderlich ist (§ 6), schließlich das Verfahren nach beendeter Löschung, das hier nicht interessiert (§ 7).
Es kann also gar kein Zweifel sein, daß hier ein Hoheitsrecht über das Küstengewässer mit weitgehendem Polizeizwang ausgeübt wird.
Über die sonstigen Strandungsfälle bestimmt § 8:
"Zu den Geschäften der Beamten gehört auch die Disposition über das eigentliche Strandgut, d. h. alles, was außer den vor-
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gedachten Strandungsfällen, wo sich von der Mannschaft noch jemand auf dem Schiffe befindet, an Schiffen. Schiffsutensilien und Gütern irgend einer Art an den Strand oder in die Flüsse treibt, auch was auf den in der Nähe der Küste befindlichen Sandbänken vom Schiffe und der Schiffsmannschaft verlassen, treibend oder versunken angetroffen oder geborgen wird". Es wird dem Berger eine Anzeige- und Auslieferungspflicht auferlegt. Schließlich folgen Strafbestimmungen für Entwendung und Beraubung der Schiffsbrüchigen (§ 9) 249 ).
Auch hier erkennen wir die Strandungs- und Bergehoheit, denn selbstverständlich haben die Beamten auch hier ihr Aufsichts- und Anweisungsrecht im Küstengewässer und nicht etwa nur auf dem trockenen Strand 250 ).
c) Die VO. vom 24. Dezember 1834 ist dann abgelöst worden durch die Reichsstrandungsordnung vom 17. Mai 1874. Es ist bei ihr folgendes zu beachten:
α) Sie unterscheidet in ähnlicher Weise wie die VO. von 1834: "Bergung und Hilfsleistung in Seenot", d.h. es ist ein Schiff auf den Strand geraten oder es befindet sich ein Schiff sonst unweit des Strandes in Seenot .(§ 4) - und sonstige Strandungsfälle (§ 20 ff.). Zu den letzteren gehört es,
"wenn besitzlos gewordene Gegenstände auf den Strand geworfen oder gegen denselben getrieben und vom Strande aus geborgen werden (Seeauswurf und strandtriftige Güter).
β) Die Verwaltung der Strandungsangelegenheiten wird von Strandämtern geführt. Unter diesen stehen Strandvögte, welche insbesondere die Maßregeln zu leiten haben, die zum Zwecke der Bergung oder Hilfsleistung zu ergreifen sind (§ 1). Die Organisation der Strandämter, die Abgrenzung ihrer Bezirke, die Anstellung der Strandbeamten usw. ist Sache der Einzelstaaten. Die Oberaufsicht hat das Reich (§ 2).
γ) Zur Ausführung der Strandungsverordnung erließ Mecklenburg unter dem 17. September 1874 eine Verordnung, in welcher die Bezirke der Strandämter bestimmt wurden. Der
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Bezirk für das Strandamt Grevesmühlen wurde hier folgendermaßen angegeben:
"von der westlichen Grenze der Feldmark Beckerwitz bis zur Grenze des Gebietes der freien Hansestadt Lübeck".
Es war daher die Strecke Priwall-Harkenbeck mit in den Bezirk des Mecklenburger Strandamtes Grevesmühlen einbezogen, und es blieb auch das ihr vorgelagerte Küstengewässer der Strandungs- und Bergungshoheit Mecklenburg grundsätzlich unterstellt.
δ) Nun ist allerdings zu beachten, daß der Bundesrat des Deutschen Reiches eine Instruktion zur Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 erlassen hat, in welcher die Kompetenzen der deutschen Strandvögte in gewisser Weise ineinander geschoben worden sind. Sie bestimmt nämlich in § 1:
"Wenn ein Schiff vor der deutschen Küste oder in deutschen Gewässern in Seenot gerät, sind die Strandvögte der benachbarten Bezirke gleichmäßig verpflichtet, die erforderlichen Vorkehrungen zur Rettung von Menschenleben, sowie zur Bergung und Hülfsleistung zu treffen. Die Leitung des Verfahrens steht für die ganze Dauer desselben demjenigen Strandvogt zu, welcher zuerst das Schiff betritt."
Es ergibt sich daher:
Im Interesse der Rettung von in Seenot geratenen Schiffen wird das ganze deutsche Küstengebiet als ein einheitliches Gebiet behandelt, so daß auch etwaige Landesgrenzen fallen. Der Strandvogt eines benachbarten deutschen Staates, der eher zur Stelle ist als der Strandvogt des Küstengewässers, in dem sich das Schiff befindet, hat den Vorrang und übt nunmehr die Strandungs- und Bergungshoheit kraft besonderer reichsrechtlicher Delegation aus.
Allein dies bezieht sich nur auf den Fall, daß ein Schiff in Seenot geraten ist. In allen übrigen Strandungsfällen ist jeder Strandvogt nur für seinen Küstenbezirk innerhalb des ihm übergeordneten Strandamts zuständig.
ε) Wie hat nun aber Lübeck den Bezirk seines Strandamtes abgegrenzt? Ich entnehme aus Perels "Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts" 1884 S. 405 251 ), daß der Amtsbezirk des lübischen Strandamtes Travemünde umfaßt:
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"den Ostseestrand auf lübeckischem Gebiete von der mecklenburgischen bis zur oldenburgischen Grenze".
Warum ist denn da aber nicht die Küste Priwall-Harkenbeck mit aufgeführt? Und wie denkt sich Rörig eigentlich die Zuständigkeit des lübischen Strandvogtes, wenn Gegenstände gegen den Strand von Priwall-Harkenbeck "getrieben werden und vom Strande aus geborgen werden" sollen?
4. Verfügungshoheit.
Die Mecklenburger Verordnung vom 10. Oktober 1874 zum Schutze der Dünen des Ostseestrandes bei Rosenhagen . . . verbietet, "im Dünenbezirke oder an den hohen Ufern längs der Seeküste, wie auch aus der Ostsee bis 400 m in die See hinein, von dem seewärts gelegenen Fuße der Dünen bzw. der hohen Ufer gerechnet, ohne Erlaubnis der Obrigkeit Sand, Kies, Ton oder Lehm zu graben, Gras, Dünenkorn oder sonstigen Anwuchs abzuschneiden und Seetang oder Steine wegzuholen" 252 ).
In dieser Verordnung nimmt also Mecklenburg einen Streifen des Küstengewässers, und zwar gerade speziell des streitigen Küstengewässers (Priwall-Harkenbeck), kraft seiner Hoheit in intensivster Weise in Anspruch. Es erstreckt seine Befehlsgewalt auf die Grundlagen und gewisse Produkte des Küstengewässers und behält sich allein die Verfügung über sie vor. Eine stärkere Einwirkung auf das Küstengewässer ist nicht denkbar.
Und gerade diese Verordnung ist auf Ersuchen der Mecklenburger Regierung von Lübeck in Travemünde in ortsüblicher Weise zur öffentlichen Kenntnis gebrach t worden 253 ).
Hiermit hat Lübeck zweifellos das Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer anerkannt.
Wenn Rörig 254 ) hiergegen geltend macht, daß dies durch das lübische Gesetz von 1896 zurückgenommen sei, so ist dem auf das entschiedenste zu widersprechen. Rörig behauptet, daß Lübeck in diesem Gesetz "die Gebietshoheit" auf der Strecke Priwall-Harkenbeck in Anspruch genommen habe. Allein dies ist unrichtig,
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das Gesetz nahm nur das Fischereiregal in Anspruch. Erst im Jahre 1912 scheint Lübeck die Gültigkeit der Mecklenburger Verordnung in Zweifel gezogen zu haben. - Sicher beruhte die Anerkennung der Verordnung durch Lübeck im Jahre 1874 und in der nächsten Folgezeit darauf, daß man völkerrechtlichen Anschauungen in bezug auf das Küstengewässer huldigte. Und wenn Rörig sich auf ein Gutachten Rehms beruft 255 ), daß dieses Anerkenntnis unverbindlich sei, weil es "auf Irrtum im geschichtlichen und logischen Urteil" beruhe. So entgegnen wir folgendes: Einmal ist es doch außerordentlich merkwürdig, daß man in Lübeck so schlecht mit seinen eigenen Hoheitsrechten Bescheid gewußt und eine so grenzenlos dürftige geschichtliche Kenntnis besessen haben sollte. Sodann aber läßt es sich nicht aus der Welt schaffen, daß Mecklenburg Jahrzehnte hindurch das von Lübeck anerkannte Hoheitsrecht tatsächlich ausgeübt hat.
Wir erinnern uns, daß wir in eine Betrachtung der "Ausübung von Hoheitsrechten an dem streitigen Küstengewässer im Laufe der geschichtlichen Entwicklung" eingetreten waren, um hiernach feststellen zu können, ob sich Lübeck auf ein Hoheitsrecht an dem streitigen Küstengewässer im Widerspruch zu den allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen - auf ein Gewohnheitsrecht oder auf Unvordenklichkeit berufen kann 256 ).
Die Beantwortung dieser Fragen fällt nunmehr nicht mehr schwer. Wir müssen folgendes feststellen:
1. Zu einer erfolgreichen Inanspruchnahme des streitigen Küstengewässers kraft Gewohnheitsrechts oder Unvordenklichkeit würde der Nachweis gehören, daß das Küstengewässer in der angegebenen Begrenzung langandauernd der Hoheit Lübecks unterlag. Die Begrenzung ist erst durch das Fischereigesetz von 1925 von Lübeck vertreten worden 257 ). Aber auch andere, die völkerrechtlichen Grundsätze beiseite schiebende Begrenzungen zugunsten Lübecks konnten nicht nachgewiesen werden.
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2. Was aber die lang andauernde Ausübung von Hoheitsrechten anlangt, so ist auch in dieser Hinsicht ein Nachweis Lübecks nicht erbracht. Im Gegenteil erkennen wir, daß Lübeck in früherer Zeit eine Fischereihoheit nicht anstand, und daß bei den Fischreusenstreitigkeiten im 17. Jahrhundert Akte Lübecks vorlagen, die als Gewalttaten und Anmaßungen einer Herrschaft erschienen und daher weder für ein Gewohnheitsrecht noch für die Unvordenklichkeit in Betracht kommen können. Was die spätere Zeit betrifft, so wird von Lübeck erst durch das Fischereigesetz von 1896 eine Fischereihoheit, und zwar nur in einem Teil des streitigen Küstengewässers, in Anspruch genommen. Aber dieses Gesetz beruht auf einem Irrtum und ist von Mecklenburg nicht anerkannt worden. Im Gegenteil, Mecklenburg hat nicht allein die Fischereihoheit seit dem Mittelalter besessen, sondern auch vertreten, und auch im 19. Jahrhundert zuerst für das streitige Küstengewässer fischereipolizeiliche Gesetze erlassen. - Ebenso wenig kann sich Lübeck auf Fahrrechtshandlungen und auf die Ausübung einer Strandungshoheit stützen. Im Gegenteil sehen wir, daß lediglich Mecklenburg in dieser Hinsicht in Betracht kommt. Die Ausübung sonstiger Hoheitsakte wird zwar von Lübeck behauptet, aber in allgemeinen Redensarten, ohne daß irgendwie ein Beweis angetreten wird. In bezug auf Mecklenburg aber fanden wir die wichtige, spezielle Verordnung über den Dünenschutz von 1874.
Allein nicht nur dies. Öfter konnten wir feststellen, daß Lübeck Hoheitsrechte Mecklenburgs unmittelbar anerkannt hat. Es seien hier in Erinnerung gebracht die Anerkenntnisse im Fischreusenstreit von 1616, das lübische Fischereigesetz vom 28. Februar 1881, die Lübecker Abgrenzung seines Strandamtsbezirkes auf Grund der Reichsstrandungsordnung von 1874, die Verkündigung des Mecklenburger Gesetzes über den Dünenschutz von 1874 in Travemünde.
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I. Das Hoheitsrecht Lübecks über das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck.
Es ergibt sich somit, daß Lübeck den Nachweis nicht erbracht, daß ihm auf einer besonderen rechtlichen Grundlage an dem Küstengewässer Priwall-Harkenbeck irgendein Hoheitsrecht in Abweichung von den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen zusteht. Es konnte weder ein partikuläres Gewohnheitsrecht,noch ein besonderer Rechtstitel, noch Unvordenklichkeit nachgewiesen werden. Infolgedessen hat Mecklenburg das gesamte Hoheitsrecht an diesem Küstengewässer, insoweit es nach der allgemein anerkannten völkerrechtlichen Abgrenzung ihm zukommt 258 ).
II. Die Anträge Lübecks 259 ) werden mit dieser Feststellung völlig durchbrochen und sind daher in jeder Hinsicht abzuweisen.
Hiermit versichere ich, daß die vorstehenden Ausführungen meiner Rechtsüberzeugung entsprechen.
Halle a. S., 3. Oktober 1925.
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:
von
Staatsarchivrat Dr. W.Strecker.
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Einleitung | 116 | |
Reedelage und Reedegrenze | 119 | |
A. |
Die alte nautische Reede
Beweise für die Reedelage im Archivgutachten von 1925, S. 119 bis 121. Ergänzungen, S 122 f. Eignung der inneren Bucht für Reedezwecke, S. 123 ff. Andere Ostseereeden, S. 126 - 128. Die Seekarten Waghenaers, S. 128 ff. Außentrave?, S. 133 f. "Trave van Femeren", S. 134 - 136. Geddas Karte, S. 137 bis 139. Die Fälle aus der Seekriegsgeschichte, S. 139 - 141. Seebuch von Månsson, S. 141 - 143. Kartenskizze von 1773, S. 143 - 148. Strandungen am Priwall, S. 148 - 150. - Geologische Veränderungen der Travemünder Bucht, S. 150 - 152. - Die Reede im Mittelalter, S. 153 f. |
119 |
B. |
Die Reede im 19. Jahrhundert
Kartenskizze von 1803, S. 155. Französische Seekarte, S. 156 bis 159. Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828, S. 160 - 163. Quellen aus dem Fischereistreit von 1823, S. 163 bis 169. Neueste Zeit, S. 169 - 172. |
155 |
C. |
Die Peillieniengrenze
Peillinie nur moderne nautische Linie, S. 173 f. Der "Major", S. 174 f. Seine Weglassung auf der französischen Karte, S. 175 ff. Der Punkt A auf der Sahnschen Karte von 1823, S. 178 f. - Landgrenzpunkte und Lotgrenze, S. 179 - 181. Schluß, S. 181 f. |
173 |
Nachwort | 182 | |
6 Beilagen (1-4, 5a, 5b). |
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Als der Streit um das Hoheitsrecht in der Travemünder Bucht zwischen Mecklenburg-Schwerin und Lübeck im März 1925 vor dem Staatsgerichtshofe für das Deutsche Reich anhängig wurde, waren wir noch mit der Anfertigung unseres vorigen Gutachtens beschäftigt, das erst mehrere Monate später (29. August 1925) abgeschlossen werden konnte 1 ). Das Ministerium entschloß sich daher, dem Staatsgerichtshofe zunächst die fertigen Abschnitte des Gutachtens, nämlich die Kapitel A und B des ersten Teiles nebst Anlagen, einzureichen. Zugleich legte es ein Rechtsgutachten des Staatsministers D Dr. Langfeld vom 5. Februar 1925 vor. Gegen dieses und den Torso unseres Gutachtens wendete sich Professor Dr. Rörig mit einer Gegenäußerung vom 6. Juli 1925. Exzellenz Langfeld erwiderte darauf mit einem zweiten Rechtsgutachten vom 15. August 1925. Wir indessen konnten die neue Rörigsche Schrift vorderhand auf sich beruhen lassen, weil vorauszusehen war, daß Rörig nach dem Abschlusse unserer Arbeit noch einmal das Wort ergreifen würde, und wir dann zusammenfassend erwidern wollten. Unterdessen aber erschien das vom Mecklenburg-Schwerinschen Ministerium eingeholte Rechtsgutachten des Universitäts-Professors Dr. J. v. Gierke in Göttingen vom 3. Oktober 1925. Es gelangt zu denselben Ergebnissen wie wir. v. Gierke berücksichtigt auch bereits die erwähnte Gegenäußerung Rörigs und bringt alles Wesentliche vor, was dagegen zu sagen ist. Wir haben dem kaum etwas hinzuzufügen.
Am 10. Oktober 1925 erließ der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich bis zur Entscheidung in der Hauptsache die bekannte einstweilige Verfügung.
Seitdem sind zwei größere Arbeiten über die Streitfrage herausgekommen. Der Professor des öffentlichen Rechts an der
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Universität Rostock Dr. M. Wenzel ließ in der "Mecklenburgischen Zeitschrift für Rechtspflege, Rechtswissenschaft, Verwaltung" 2 ) eine Abhandlung: Die Hoheitsrechte in der Lübecker Bucht, Ein Beitrag zum Meeresvölkerrecht, erscheinen, die auch als Sonderdruck herausgegeben ist 3 ). Wenzel stimmt unseren rechtsgeschichtlichen Ergebnissen ebenfalls zu. Ferner hat Rörig ein neues Gutachten vorgelegt: Nochmals mecklenburgisches Küstengewässer und Travemünder Reede, I. - III. Teil 4 ), im ersten Teile findet sich seine schon genannte Gegenäußerung vom Juli 1925 abgedruckt, im zweiten die einstweilige Verfügung des Staatsgerichtshofes mit den Gründen 5 ), im dritten erwidert Rörig auf das zweite Langfeldsche und das v. Gierkesche Gutachten sowie auf unser Archivgutachten von 1925, auch setzt er sich darin mit der Abhandlung Wenzels auseinander, soweit sie ihm bekannt geworden war.
Mit diesem dritten Teilte der Schrift werden wir uns in unseren folgenden Ausführungen beschäftigen. Wir schicken voraus, daß wir uns auf alles, was die Anwendung völkerrechtlicher Normen im vorliegenden Streitfalle betrifft, über die sich Rörig in der Vorbemerkung 6 ) verbreitet, durchaus nicht einzulassen beabsichtigen, weil wir uns als Historiker nicht für. hierzu befugt halten. Diese Fragen sind von berufener Seite, von Langfeld, v. Gierke und Wenzel, ausführlich besprochen worden. Weiter werden wir den ersten Abschnitt des neuen Gutachtens 7 ) zunächst übergehen. Rörig sucht darin wiederum die Ergebnisse zu erschüttern, die wir für die landesherrlichen Rechte am Küstengewässer seit dem Mittelalter gewonnen haben und die durch die Untersuchungen v. Gierkes noch wesentlich ergänzt sind. Ebenso sucht er unseren Nachweis zu bekämpfen, daß dem Barbarossaprivileg von 1188 für den vorliegenden Streitfall keine Bedeutung beizumessen sei 8 ). Wir sind der Meinung, daß diese Ausführungen Rörigs bei allen, die sich mit dem bisherigen Gang der Untersuchung und den vorgebrachten Quellen bekannt gemacht haben, auf jeder Seite Widerspruch erwecken müssen. Wir behalten uns
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vor, auf einiges davon zurückzukommen, wollen aber fürs erste eingehen auf den Abschnitt B bei Rörig: die Travemünder Reede und ihre Grenzen (S. 76 - 142). Dabei handelt es sich ganz vorwiegend um zweierlei, um die Lage der alten nautischen Reede und um die Linie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle, d. h. es handelt sich um einfache Feststellungen, weniger um eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Während Rörig in dem betreffenden Abschnitte zunächst die neuere Zeit behandelt, wollen wir den umgekehrten Weg gehen.
Wir zitieren das neue Rörigsche Gutachten als Rörig III, die beiden früheren von 1922 (gedruckt 1923) und 1924 9 ) als Rörig I und Rörig II. Unser Archivgutachten von 1925 werden wir, wie es Brauch geworden ist, als Archiv II zitieren 10 ).
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In seiner neuen Schrift hat Rörig zum ersten Male Untersuchungen über die Örtlichkeit der Lübecker nautischen Reede angestellt und kommt zu dem Schlusse, daß darunter von jeher die Wasserfläche vor Rosenhagen zu verstehen sei. Wir dagegen haben in unserem vorigen Gutachten die alte Reede in die innere Bucht, dicht vor die Travemündung, nach dem Brodtener Ufer zu verlegt 11 ).
Warum kam es auf die Örtlichkeit der Reede an? Weil Rörig angenommen hat, daß hier schon seit dem Mittelalter eine Lübecker Gebietshoheit entstanden sei, ferner weil Lübeck beim Fischreusenstreit von 1616 vorgab, daß die bei der Harkenbeck ausgesetzte Reuse auf seiner Reede stehe, schließlich weil die Nachrichten über die Buchtfischerei des Harkenseer Gutsfischers Jochim Schröder von 1600, in denen Rörig einen Beweis für die Lübecker Fischereihoheit sieht, erst nach Feststellung der Lage der alten Reede richtig verstanden werden können 12 ).
Zurückweisen müssen wir Rörigs Behauptung 13 ), wir hätten bei unserer Feststellung über die Reedelage den Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828 zur Hauptgrundlage unserer Beweisführung gemacht "unter völliger Ausschaltung aller anderen Quellenzeugnisse". Wir sind im Gegenteil die ersten gewesen, die überhaupt Zeugnisse für die Lage der alten Reede vorgebracht haben, und zwar vier Quellen aus dem 16., 17. und 18. Jahr-
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ändert 14 ). Auf diese wichtigen Quellen geht aber Rörig so gut wie gar nicht ein. Er kommt (III, S. 104, 121) nur zurück auf die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547 nicht aber auf das, worauf dabei aller Wert zu legen ist 15 ). Den Bericht des Lotsenkommandeurs haben wir bei unserer Untersuchung zunächst gar nicht benutzt. Sondern erst später bei der Behandlung der Reedegrenzen zur Bestätigung der von uns gefundenen Lage der alten Reede verwertet 16 ).
Die alte Reede allein haben wir untersucht. Die moderne ist gleichgültig. Denn, abgesehen von der jüngsten Vergangenheit, hat Lübeck nur zur Zeit der alten Reede, bei den Fischreusen-Streitigkeiten des 17. Jahrhunderts, nachweisbar einen Anspruch auf das mecklenburgische Küstengewässer der Travemünder Bucht erhoben. Im 19. Jahrhundert dagegen hat es sich auf den völkerrechtlichen Standpunkt gestellt, wie seine amtlichen Erklärungen und Handlungen in den siebziger Jahren beweisen 17 ). Und seine später angenommene und bis 1923 festgehaltene Hoheitsgrenze Harkenbeck-Haffkruger Feld führte mitten durch das Gewässer gegenüber der Harkenbeck, das man als Reede bezeichnete, "so daß Lübeck auf einem großen Teile dieser Reede gar keine Hoheit beansprucht hat, also der Ansicht war, daß eine Reede nicht notwendig unter der Gebietshoheit stehen müsse" 18 ).
Nach den erwähnten Quellen befand sich die alte Reede in der inneren Bucht, nach der Westküste zu (1547), beim Blockhause
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(1616), beim Leuchtenfeld (1670), womit immer dieselbe Örtlichkeit gemeint ist. Das Blockhaus wird wiedergegeben auf einer Karten- Skizze des bekannten Kartographen Tilemann Stella von Siegen, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Im Dienste des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg tätig war (Beilage 1) 19 ) Nach der vierten Nachricht endlich lag ein Schiff, das im Mai 1792 auf der Reede gekentert war, laut der Auslage des mecklenburgischen Strandreiters "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen wohl 400 Schritte vom Lande", Und zwar lag es gegenüber dem Priwall und so, daß man zwischen dem Schiff und dem Ufer eine Tonne sehen konnte, die gewiß nicht vor Rosenhagen, wo Rörig die alte Reede Sucht, verankert war. Nun mag der Strandreiter die Entfernung unterschätzt haben, in jedem Falle aber handelt es sich um die innere Bucht, immer noch um die Gegend vorm Blockhause, und hier lagen 1792 mehrere Schiffe auf der Reede 20 ).
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Dazu kommt folgende Nachricht. In dem Strandungsfalle von 1516 21 ), in dem der Travemünder Vogt zwei Schuten, eine am Priwall, die andere bei Rosenhagen geborgen haben sollte, beschwerten sich alsbald die mecklenburgischen Herzöge über diesen Eingriff in ihre Hoheitsrechte. Lübeck erwiderte, daß das eine Schiff hart am Bollwerk und am Priwall Schiffbruch erlitten habe, das andere auf der Reede, wobei der Ort Rosenhagen durchaus nicht genannt wurde. Aus der Entgegnung der Herzöge, die Rörig bei seiner Besprechung dieses Falles (III, S. 119 f.) nicht berücksichtigt, geht hervor, daß man in Mecklenburg die Lübecker Auskunft dahin verstand, daß beide Schiffe am Priwall gescheitert sein sollten 22 ). Man suchte also die Reede, den angeblichen Strandungsort des zweiten Schiffes, gegenüber dem Priwall in der inneren Bucht und nicht vor Rosenhagen.
Zu allen diesen Quellen paßt es, daß während des Fischreusenstreites, bei dem Zeugenverhör in Harkensee 1616, verschiedene Strandungsfälle vorgebracht wurden, in denen Schiffe "uf der Reide zu Travemünde" oder "zu Travemunde uf der Reide" gesunken oder vom Anker gerissen seien 23 ). Das sind Ortsbestimmungen, die nicht auf eine Reede vor Rosenhagen schließen lassen, sondern offenbar für das Gewässer nahe vor Travemünde gelten sollten. Es erklärten denn auch die
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mecklenburgischen Kommissare in ihrem Bericht, daß die Schiffe weitab von der Wasserfläche am Ausflusse der Harkenbeck, wo die Reuse gestanden habe, in der tiefen See "ihren gewönlichen Curs und Gang hielten", d. h. die Schiffe fuhren an der Harkenbeck vorüber, aber sie lagen in dieser Gegend nicht auf der Reede.
Schon jene vier in unserem vorigen Gutachten angeführten Quellen genügten zur Feststellung der alten Reede. Weitere Beweise brauchten wir nicht zu bringen 24 ). Nun aber ist die Frage, ob unsere gewiß sicher begründeten Ergebnisse trotzdem durch das neue von Rörig herangezogene Material, insbesondere das Kartenmaterial, erschüttert werden können. Wir antworten hierauf mit einem entschiedenen Nein. Denn Rörig verfährt bei seinen Untersuchungen gar nicht kritisch, ferner berechnet er die Lage der Reede nach den Wassertiefen, die in seinen Quellen angegeben werden, legt aber eine ganz irrige Fadenlänge von 2 m zugrunde und kommt infolgedessen zu irrigen Tiefen, also auch zu einer verkehrten Örtlichkeit, schließlich ist ihm eine Seekarte aus dem 17. Jahrhundert, worauf die alte Lübecker Reede deutlich verzeichnet ist, nicht bekannt geworden. Sie findet sich in dem Ostsee-Kartenwerk, das der schwedische Seemann Peter Gedda 1695 herausgegeben hat. Wir werden auf dieses Werk mehrfach zurückkommen.
Bevor wir uns aber dem Kartenmaterial zuwenden, wollen wir untersuchen, was es denn mit der so lebhaft verfochtenen Meinung Rörigs auf sich hat, daß die Wasserfläche, die wir für die alte Reede in Anspruch nehmen, für einen Ankerplatz nicht geeignet gewesen sei.
Ganz unverständlich ist uns seine Behauptung 25 ), wir hätten die Reede "ausgerechnet auf die Plate" versetzt. Denn die Plate liegt unmittelbar vor der Travemündung, wo sie auch auf der Sonderkarte der Traveeinfahrt, die sich am Fuße der großen französischen Seekarte der Lübecker Bucht von Beautemps-Beaupré findet, als Barre de la Trave angegeben ist. Und während das Wasser auf der Plate nach Rörigs eigenen Mitteilungen 1789 2 1/2 m 1831 8 - 13 3/4 Fuß (= 2,30 - 3,95 m) tief war 26 ), verzeichnet die Sonderkarte der Einfahrt nach Travemünde, die einen Teil der neuesten deutschen Admiralitätskarte der Lübecker Bucht
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(Nr. 37) bildet, dort, wo wir auf der Kartenskizze unseres vorigen Gutachtens die alte Reede eingetragen haben - also innerhalb der vom Gömnitzer Turm (Major) am Brodtener Ufer vorbeigezogenen Linie - Wassertiefen bis zu 8,4 m 27 ). Auf der älteren Admiralitätskarte von 1873 (Nr. 37) steht in derselben Gegend auf der Majorlinie selbst, die sich leicht ziehen läßt, die Tiefenzahl 8,5 m. Das sind schon fast fünf Lübecker Faden (8,63 m).
Die Majorlinie, die erst im 19. Jahrhundert auftaucht, wird zwar im 17. Jahrhundert und früher keine Bedeutung gehabt haben, doch wollen wir sie bei unseren Untersuchungen als Bestimmungslinie verwenden. Der Ankergrund in der inneren Bucht ist gut. Die deutsche Admiralitätskarte von 1873 gibt innerhalb der Majorlinie, die sich leicht ziehen läßt, die Buchstaben Sk (Schlick). Auch Tanggrund wird vorhanden sein; wenn man auf der erwähnten französischen Seekarte, die 1811 aufgenommen ist, die Majorlinie konstruiert, so findet man zwischen der Linie und der Travemündung vermerkt: S Al (Sable, Algue), außerdem S (Sable) 28 ). Reiner Sandgrund ist aber für eine Reede völlig ausreichend.
Und hier auf der Wasserfläche, wo die alte Reede zu suchen ist, konnten vormals alle Schiffe liegen, auch die beiden großen Kriegsschiffe, deren Tiefgang Rörig (III, S. 114) aus der Arbeit von G. Kloth über Lübecks Seekriegswesen in der Zeit des nordischen Siebenjährigen Krieges (1563 - 1570) 29 ) entnommen hat. Wir begreifen nicht, warum Rörig aus den Angaben dieser Arbeit folgern will, daß die Reede durchaus vor Rosenhagen gelegen haben müsse. Denn das größte damalige Lübecker Kriegsschiff, der "Adler", soll einen Tiefgang von 9 lübischen Ellen gehabt haben; das sind 18 lübische Fuß = 3 Faden (5,17 m) 30 ). Der "Adler"
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hätte also noch nicht 6 m gebraucht 31 ). Überdies ist hinter den Angaben, die sich über dieses Schiff erhalten haben, ein Fragezeichen zu machen 32 ). In der Überlieferung ist es zu einer Art von Märchenschiff geworden, und es war in jedem Falle so überragend groß, daß es als allgemeines Beispiel gar nicht dienen kann. Es gehörte zu dem Typ der damals in der Ostsee noch seltenem Schlachtschiffe 33 ), die eigens für den Krieg gebaut waren und deren Ausmaße für die Bestimmung der alten Lübecker Reede keineswegs entscheidend sind, ganz davon abgesehen, daß auch diese Fahrzeuge in der inneren Bucht reichlich ankern konnten.
Der "Adler" soll 800 Last gehalten haben 34 ) Von den drei übrigen Lübecker Linienschiffen in jenem Kriege war eines halb so groß (400 Last), der Rest noch kleiner 35 ). Früher waren die Schlachtflotten nur aus bewaffneten Kauffahrern zusammengestellt worden, und diese bildeten auch noch im nordischen Siebenjährigen Kriege die Mehrzahl der Schiffe in allen beteiligten Flotten 36 ).
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Von den bewaffneten Handelsschiffen der damaligen Lübecker Flotte aber war nur eines 280 Last groß, die übrigen 200 Last und darunter. Das waren schon große Kauffahrteischiffe 37 ). Auch in dem einen schwedischen Schiffe von 1532, das Rörig anführt, sieht Kloth 38 ) "ein erstaunlich großes Schiff", "das die Fahrzeuge seiner Zeit weit übertraf und jedenfalls für den Kriegszweck gebaut war". Dabei hätte dieses Schiff, das 11 Fuß tief ging, die Plate bei hohem Wasserstande noch überfahren können.
Nach einer Erklärung des Wismarer Rates von 1621 bot eine Tiefe von acht Ellen (= 16 Fuß oder 4,60 m) Raum für große Schiffe zum Ankern und Segeln 39 ). Damit sollte aber nicht gesagt werden, daß die Schiffe eine solche Tiefe brauchten. Vor dem Dorfe Hoben, im Innenwinkel der Wismarer Bucht, wo gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Reede für große Schiffe festzustellen ist 40 ) und wo noch eine dänische Seekarte der westlichen Ostsee von 1818 41 ) einen Anker zeigt, sind auf der deutschen Admiralitätskarte von 1873 nur in der ausgebaggerten Fahrrinne 42 ) Wassertiefen von 5 - 5 1/2 m angegeben, zwischen Hoben und der Rinne finden sich Tiefen bis zu 4 m. Ältere Seekarten, die des Schweden Peter Gedda von 1695 und die etwa gleichzeitige des dänischen Seekartendirektors Jens Sörensen 43 ) verzeichnen an dieser Stelle 2 1/2 Faden (15 Fuß) 44 ).
In derselben Tiefe konnten große Schiffe natürlich auch in der Travemünder Bucht ankern. Ja, noch um die Mitte des
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19. Jahrhunderts hätten binnen der Majorlinie die größten Dampfer liegen können, die es damals in der Welt gab, die aber für die Lübecker Fahrt gar nicht in Frage kamen 45 ). Ebenso hätte dieses Gewässer noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für manche Kriegsschiffe genügt, z. B. für die gedeckten preußischen Korvetten (auch Fregatten genannt) aus der Zeit von 1860 - 1870, die 2600 t und 6 m Tiefgang hatten.
Viele andere Reeden waren nicht tiefer. Man darf durchaus nicht, wie Rörig (III, Anm., 89) es tut, zur Vergleichung auf die Reede von Hela hinweisen, die nach den Angaben in Waghenaers "Spiegel der Seefahrt" bei 25 Faden Tiefe lag 46 ). Denn die Helaer Reede ist ja außergewöhnlich tief, natürlich nicht, weil die Schiffe solcher Tiefe bedürfen, sondern weil der Grund hier steil abfällt. Das sagt Waghenaer ausdrücklich in seinem jüngeren Werk: Thresoor oft Cabinet van der Zeevaert (1592). Er gibt darin diese Reede auf 16 und 20 Faden an und rät, dicht am Lande zu ankern, da man sonst keinen Grund mehr habe 47 ).
Auch Waghenaer hat ungezählte Reeden bei viel geringeren Tiefen. Wir entnehmen aus dem Seekartenwerk von Wilhelm Janß Blaeu, De groote Zeespiegel (Amsterdam 1658) folgende Angaben über Ostseereeden, und zwar aus dem Text des Werkes, der öfter noch genauer ist als die Karten:
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Solche Reeden finden sich auch auf der Nordsee. Natürlich gab es auch tiefere. Das richtete sich nach den geographischen Verhältnissen, dem Ankergrunde, der nicht felsig sein darf, und der Möglichkeit, vorm Winde Schutz zu haben.
Das Kartenwerk Peter Geddas von 1695 gibt auf einer Sonderkarte die Kopenhagener Häfen wieder. Da führt eine Fahrrinne in das Gewässer vor der Stadt zwischen den Inseln Seeland und Amager, und hier liegt der Kriegshafen (de haven voor de Vloot ofte Orloogsscheepen) bei 19 Fuß Tiefe, der Handelshafen (voor de Copvardiescheepen) bei 18 Fuß (3 Faden) 49 ). Solche Tiefe genügte völlig, wie auch die Wismarer Reede beweist, die überhaupt nur 2 1/2 Faden hatte. Die früheste Seekarte, die Rörig zum Beweise dessen, daß die Lübecker Reede vor Rosenhagen gelegen habe, heranzieht, findet sich in dem schon erwähnten "Spiegel der Seefahrt", dem Kartenwerk des holländischen Seemannes Lucas Janß Waghenaer von Enkhuizen aus der zweiten Hälfte des 16, Jahrhunderts. Es behandelt die Gewässer an einem großen Teile der europäischen Küsten. Die Karte, von der Rörig einen Ausschnitt wiedergibt 50 ), zeigt die Lübecker Bucht nebst dem Teile der Ostsee, der östlich von Fehmarn zwischen den dänischen Inseln und der
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deutschen Küste bis jenseits Rügens liegt 51 ). Richtig hebt Rörig (III, S. 107 f.) hervor, daß in dem von ihm mitgeteilten Ausschnitte scheinbar nur die große Lübecker Bucht wiedergegeben wird, tatsächlich aber mit dem Gewässer vor der Trave die Travemünder Bucht gemeint ist.
Da findet sich vor dem Traveausflusse eine Sandbank, die Plate, die nach Rörig "so wesentlich ist, daß sie auf einer Karte so großen Maßstabes angegeben wurde". Das sei "der beste Beweis, was für eine Rolle diese Sandbank für die nordeuropäische Schiffahrt spielte". Auffallend ist es dann allerdings, daß die Fahrrinne, die über die Plate führt, von Waghenaer im Text 52 ) als ein "gutt Tief" von 6 Ellen (= 2 Faden, wie auf der Karte steht) und ausdrücklich als ein Tief "für grosse Schiffe" bezeichnet wird. Zwar bezweifelt Rörig diese Tiefenangabe, aber die Fadenzahlen Waghenaers gelten, wie er ausdrücklich sagt, für die mittlere Fluthöhe 53 ), und wenn es hier auf der Bank, auf die es gerade ankam, nicht stimmen sollte, so ist auf die übrigen Tiefenzahlen Waghenaers noch weniger Wert zu legen 54 ). Im übrigen finden sich Sandbänke überall auf den Waghenaerschen Karten, und sie sind, ebenso wie die Plate, wahrscheinlich auch nicht alle richtig gezeichnet.
Vor der Plate stehen quer über die Bucht zweimal die Zahlen 4 (4 Faden), dann folgen seewärts in einer Linie 6, 12, 12, Zahlen, die die Richtung des Fahrwassers angeben sollen, das dann östlich in die "Trave van Femeren" (wir kommen auf diesen Ausdruck
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zurück) mündet, im Nordwesten aber an der holsteinischen Küste entlang führt. Zwischen den Zahlen 4 und 6 liegt ein Anker Also, folgert Rörig, liege die Reede zwischen 4 und 6 Faden. Darunter versteht er Tiefen von 8 - 12 m; mithin sei die Reede vor Rosenhagen zu suchen.
Nun kommt man aber bei 12 m Tiefe noch gar nicht auf die Höhe von Rosenhagen, womit immer die Gebäude gemeint sind, sondern kaum bis auf die Pötenitz-Rosenhäger Grenze 55 ). Überdies ist die von Rörig angenommene Fadenlänge von 2 m für die frühere Zeit ganz unzulässig. Sie ist überhaupt nicht genau und nur ein Ungefähr aus der Zeit des Überganges zum Metermaß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Faden betrug, wie noch jeder Seemann weiß, 6 Fuß 56 ); es ist der Klafter, die Strecke, die ein Mann mit ausgebreiteten Armen messen kann. Das Fußmaß war überall verschieden, wenn auch die Unterschiede meistens nicht bedeutend waren. Diese Unterschiede übertragen sich natürlich auf den Klafter. Nun werden aber Tiefenzahlen in der Travemünder Bucht auf Lübecker Angaben zurückzuführen sein, und es kann hier gar kein anderes Maß als der Lübecker Fuß und der Lübecker Klafter (Faden) zugrunde gelegt werden 57 ). Der Lübecker Fuß ist aber gleich dem Rostocker, er beträgt 127,5 Pariser Linien = 0,28762 m 58 ).
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Mithin ist ein Lübecker Faden (6 Fuß) = 1,72572 m 59 ). Es sind also
Die Tiefenzahlen, zwischen denen der Anker auf der Waghenaerschen Karte liegt, betragen demnach 6,90 und 10,35 m. Vor allen Dingen aber erhebt sich die Frage, ob Waghenaer die Absicht hatte, ausdrücklich diese Tiefen als Reedegebiet zu bezeichnen, wovon er im Texte kein Wort sagt, oder ob er den Anker willkürlich in die Bucht gesetzt hat, zum Zeichen dessen, daß hier eine Reede war, die ja schließlich jeder finden konnte, der ankam, Daraufhin muß sein Werk, Text wie Karten, im ganzen geprüft werden, und wenn man das tut, so stellt sich heraus, daß die Anker häufig ganz ungenau liegen 60 ). Deswegen läßt sich für die Örtlichkeit der Reede nichts daraus schließen.
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Wichtiger als die Karte bei Waghenaer ist der Text, den Rörig ja auch anführt und bespricht 61 ) Da heißt es, daß vor Lübeck eine große Inwiek und ein guter Hafen sei, wo man vor allen Winden, außer einem Nordost oder Nordnordost sicher liegen möge. Mit dieser großen Bucht und dem großen Hafen wäre nach Rörig "zweifellos die Reede bei Rosenhagen gemeint"; das ergebe sich aus der Warnung vor Nordost und Nordnordost. Als wenn diese Winde nicht in der inneren Bucht genau so gefährlich seien. Geschützt aber lag man nach Waghenaer gegen alle anderen Winde, also auch gegen Nordwest. Zwar wird in der Lübecker Bucht die schwerste See bei nordöstlichen Stürmen aufkommen, weil die Bucht gegen Nordost offen liegt. Soviel aber schirmt die von der mecklenburgischen Küste über acht Seemeilen entfernte holsteinische nicht, daß die Schiffe vor Rosenhagen gegen Sturm aus Nordwest sicher wären; das gilt zumal für die Schiffe der früheren Zeit, die eben der flachen Häfen wegen so rank gebaut waren und infolgedessen leicht kenterten. Wohl aber hatten sie Schutz gegen Nordwest in der inneren Bucht, weil hier das Brodtener Ufer den Sturm abfing. Auch mit dem Schutz gegen Nordwind muß es zu Waghenaers Zeiten in der inneren Bucht besser bestellt gewesen sein als heute. Die Ursache hierfür liegt in geologischen Veränderungen, auf die wir zurückkommen werden. In jedem Falle weisen die Angaben, die Waghenaer im Text macht, auf eine Reede dicht vor der Travemündung hin.
Nun aber hat ja Waghenaer 1592 noch einen zweiten Seeatlas herausgegeben, den - in kleinerem Format erschienen - Thresoor oft Cabinet van der Zeevaert, der manche Verbesserungen bringt und den auch Rörig anführt. Hier findet sich die Lübecker Bucht auf einer Karte, die das westliche Kattegat, die Belte und das Gewässer bis hinter Wismar wiedergibt. Einen Ausschnitt daraus geben wir in der Beilage 2 62 ). Diese Darstellung der Lübecker
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Bucht ist jünger, für das holsteinische Ufer auch genauer als die im Spiegel der Seefahrt, die ihr gegenüber nicht mehr in Betracht kommt. Und auf der jüngeren Karte liegt der Anker vor Travemünde innerhalb der 5-Faden-Tiefen, die sich heute zuerst dicht hinter dem nordwestlichen Teile der Majorlinie finden. Eine Tiefe von 6 Faden wird gar nicht verzeichnet. Wir lassen es zunächst dahingestellt sein, ob man auf diese Lage des Ankers mehr Wert legen darf als auf die im Spiegel der Seefahrt. Der Text im Thresoor bietet nichts. Wichtig aber in den Waghenaerschen Werken ist für uns, außerdem Text im Spiegel, der Umstand, daß der Anker auf beiden Karten nach dem westlichen Ufer zu liegt, worunter, wie ja die Karten aufzufassen sind, das Brodtener Ufer zu verstehen ist. Dieses wird auf der jüngeren Karte übrigens schon ein wenig angedeutet. Es ist gar kein Zweifel, daß die Angaben Waghenaers sich auf eine Reede in der inneren Bucht, fern von Rosenhagen, beziehen.
Noch in anderer Hinsicht hat Rörig die Waghenaerschen Karten nicht richtig aufgefaßt. Auf dem von ihm bekannt gemachten Ausschnitte stehen nämlich vor der Travemündung die Worte: de Trave, Wer dies liest, wird es einfach für den Flußnamen halten. Warum soll er denn nicht vor der Mündung stehen? Ähnliches findet sich doch noch heute oft auf Karten. Der Name steht so weit draußen, weil er sonst die Plate und die Tiefenzahlen dahinter verdecken würde. Auf solche reine Äußerlichkeiten der Karte ist gar nichts zu geben. Rörig aber zieht den Schluß, daß die Travemünder Bucht von der Plate aus weiter seewärts den Namen "de Trave" geführt habe, eine Bezeichnung, die aufs schlagendste beweise, wie richtig .und den Zeitanschauungen entsprechend es sei, wenn er in seinen früheren Gutachten auf die Einheit von Trave und Reede hingewiesen habe. So sagt er denn, "der Sprache (!) Waghenaers folgend": "Die Außentrave seewärts der Plate ist die Travemünder Reede" 63 ). Ferner sieht er in der Karte einen Beweis für seine Auslegung des Barbarossaprivilegs von 1188; denn Waghenaer habe ja 1586 eine Trave "usque in mare" gekannt 64 ). Und zu unserer Feststellung, daß man niemals das Gewässer vor Rosenhagen oder die ganze Bucht "Trave" genannt habe, bemerkt er, daß ein Blick auf seine Kartenbeilage genüge, um sich vom Gegenteil zu überzeugen 65 ).
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Wir wissen aber gar nicht, wie solche Behauptungen erhoben werden können. Gleich auf derselben Karte steht der Name des Fahrwassers, das bei Dornbusch (Hiddensö) vorüber nach Stralsund führt, "de Yelle" gleichfalls vor dem Einlaufe. Und man braucht nur die vorhergehende Karte aufzuschlagen, so findet man, daß es bei allen pommerschen Flüssen ebenso ist. Auch sonst ist es der Fall, z, B. bei der Düna. Wir geben die Karte der pommerschen Küste in der Beilage 4 verkleinert, im Original sind die Buchstaben der Flußnamen genau so groß wie bei der Trave. In Waghenaers Tresoor der Seefahrt aber stehen die pommerschen Flußnamen neben den Flußläufen, und der Name der Trave ist ganz verschwunden 66 ).
Wenn ferner im nordischen Siebenjährigen Kriege die Meldung kam, daß die schwedische Flotte "auf die Trave" gelaufen sein solle, so wird doch damit nicht bewiesen, daß die Reede "Trave" genannt wurde 67 ). Es ist hier ja nur die Richtung der Fahrt gemeint. Im selben Sinne kann man noch heute sagen: auf die Trave, auf die Elbe oder auf die Warnow laufen. Daß man nicht die ganze Travemünder Bucht Trave nannte, ergibt sich klar aus dem Lübecker Fischereivergleich von 1610 68 ). Und in der Fischereiordnung von 1585 wird das Gewässer außerhalb der Flußmündung niemals Trave, sondern "in der See" genannt. Im übrigen kommt es auf den Namen nicht an, denn es wäre gar nicht einzusehen, warum Mecklenburg an einer solchen "Trave" nicht hätte teilhaben sollen.
Schließlich weist Rörig 69 ) darauf hin, daß im Spiegel der Seefahrt "die gesamten Gewässer" zwischen den dänischen Inseln und der mecklenburgischen Küste als "De Trave van Femeren" bezeichnet würden. Das sei "ein sehr interessanter Beleg für die Tatsache, daß die ganzen südwestlichen Gewässer der Ostsee ihr Gepräge von der Bedeutung der auf Lübeck zielenden Schiff-
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fahrt erhielten". Ebenso finde sich die " Trave van Femeren" auf der Karte im Tresoor der Seefahrt, wo außerdem "das gesamte Gewässer der Lübecker Bucht bis nach Fehmarn hinauf" die Bezeichnung "De Trave van Lübeck" führe 70 ). Das ist unrichtig. Es sind nicht die gesamten Gewässer, die so genannt wurden, sondern es handelt sich um ein Mißverständnis Rörigs, der offenbar glaubt, daß "Trave" hier mit dem Flußnamen im Zusammenhange stehe. So ist es aber nicht. Trave (verwandt wahrscheinlich mit le travers, transversum, traversum, die Durchquerung) heißt hier einfach: Fahrwasser. Das ergibt sich schon deutlich aus Waghenaers Beschreibung der Tiefen an der französischen Küste im Spiegel der Seefahrt 71 ); "Zwischen Heissant und Obreueracq 72 ) in der trauen oder farweg ist es tief 60 vadem". Und "Trave" im Sinne von Fahrwasser haben wir auch sonst bei den Beschreibungen französischer und englischer Gewässer 73 ) sowie in der Ostsee gefunden. In der Ostsee kennt Waghenaer eine "Trave van Langhelandt" 74 ); es ist der Langelands-Belt. Und er spricht von der Trave zwischen den kleinen Inseln Sprogö und Romsö, die im Großen Belt liegen 75 ) Auf einer Karte im Tresoor der Seefahrt, die in der Hauptsache die Küste von Rostock bis Danzig darstellt, finden sich zwischen Möen und Rügen in der Richtung auf die Lübecker Bucht die Worte: de Trave nae Lubeck. Diese Bezeichnung wird ebenso wie die "Trave von Fehmarn" ganz unverständlich, wenn man sie mit dem Travefluß in Verbindung bringt. Fehmarn liegt ja noch ganz am westlichen Ende der Ostsee, und wenn man von hier aus nach Osten zu, zwischen den dänischen Inseln und der deutschen Küste in die Tiefe des großen Meerbusens hineinfährt, so sieht man Fehmarn, so lange der Blick reicht, im Westen liegen. Deshalb hieß diese Fahrstraße: de Trave
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van Femeren, Das ist sehr sinnvoll, hat jedoch mit dem Travefluß und der Lübecker Schiffahrt nichts zu tun. Die "Trave van Lubeck" aber ist das Fahrwasser der Lübecker Bucht 76 ).
Damit verlassen wir die Waghenaerschen Karten. Es gibt dann noch eine ganze Reihe älterer Atlanten, die auch Rörig in seinem Exkurs (III, S. 148) meistens erwähnt, aus denen sich aber nichts über die Travemünder Reede entnehmen läßt, weil sich weder ein Anker noch sonst etwas findet, woraus auf die Örtlichkeit der Reede zu schließen wäre 77 ). Zwar hat Rörig versucht, einen Teil dieser Karten zur Stützung seiner These von einer Reede bei Rosenhagen zu verwerten, aber dies erledigt sich bei Betrachtung der Karten von selber 78 ).
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Wichtig ist dagegen die Rörig nicht bekannt gewordene Karte des Kapitäns und Kommandeurs der königlich schwedischen Steuerleute und Lotsen Peter Gedda. Dieser war dem schwedischen Vizeadmiral von Rosenfeldt, der sich schon lange mit der Verbesserung der bisherigen fehlerhaften Ostseekarten beschäftigt hatte, beigeordnet worden, um neue Karten aufzunehmen. Rosenfeldt und Gedda haben dann fünfzehn Jahre hindurch die ganze Ostsee befahren. Gleich darauf hat Gedda aus den von ihnen angefertigten großen Originalkarten ein Kartenwerk über die Ostsee und das Skagerrak zusammengestellt und 1695 in Amsterdam erscheinen lassen 79 ). Wir geben in der Beilage 3 einen Ausschnitt daraus,
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auf dem die Lübecker Bucht mit der Travemünder Reede dargestellt ist 80 ). Die Küsten sind noch recht mangelhaft gezeichnet. Eigene Landmessungen haben Rosenfeldt und Gedda hier zweifellos nicht vorgenommen 81 ). Man sieht auf dem Ausschnitt vor der Travemündung eine Barre, die Plate, durch die ein Tief führt. Westlich davon, zwischen der Flußmündung und Neustadt, findet sich ein Küstenvorsprung und davor ein Riff. Es ist das Brodtener Höved mit dem Steinriff, denn einen anderen Küstenvorsprung und ein anderes Riff gibt es zwischen der Travemündung und Neustadt nicht. Wahrscheinlich soll aber nicht das ganze Steinriff, sondern nur der in der Nähe des Ufers gelegene Teil dargestellt sein. Ungefähr dort, wo das Riff im Süden endet, ist der Möwenstein zu suchen. Ferner zeigt die Karte drei Anker, einen auf der Traue selbst zur Bezeichnung der Flußreede, die es also gab. Die beiden anderen Anker liegen in der Bucht binnen den 5-Faden-Tiefen, einer dicht vor der Flußmündung, der zweite nach dem Brodtener Ufer zu, zwischen 5 und 3 Faden. Weil Gedda mit Ankern keineswegs verschwenderisch ist, so hat dieser zweite Anker sicher seine besondere Bedeutung. Die Reede zog sich also von der Travemündung nach Westen hin in der Richtung auf den Möwenstein.
Nun vergleiche man mit dieser Karte jene vier Quellen, aus denen wir die Lage der alten Reede erschlossen haben (oben S. 120 f.). Sie stimmen völlig damit überein. Und auch die Karte in Waghenaers Tresoor der Seefahrt (Beilage 2) steht mit der Geddaschen durchaus im Einklange. Genau da, wo wir auf der Kartenskizze unseres vorigen Gutachtens
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die alte Reede eingetragen haben, lag sie nach Peter Gedda, dem Spezialisten der Ostseefahrt, 1695, fast achtzig Jahre nach dem Fischreusenstreit. Dieses Ergebnis ist überhaupt nicht mehr zu erschüttern. Und es versteht sich eigentlich von selbst. Denn es wäre ja der helle Widersinn gewesen, die Schiffe bei Rosenhagen ankern zu lassen, wo sie lange nicht so geschützt gelegen hätten und von wo das Leichtern, der größeren Entfernung wegen, viel mehr Zeit beansprucht haben würde. Es ist klar, daß man die Schiffe in die innere Bucht und nahe an die Barre heranbrachte. Wir hatten durchaus recht, in unserem vorigen Gutachten bei der Behandlung des Fischreusenstreites zu erklären, daß niemand etwas von einer Reede bei Rosenhagen gewußt habe.
Dem widerspricht auch durchaus nicht das, was Rörig (III, S. 112 ff.) aus der Seekriegsgeschichte anführt. Die Lübecker Kriegsschiffe, die im nordischen Siebenjährigen Kriege auf der Reede lagen oder wieder auf die Reede kamen, hielten sich natürlich in der inneren Bucht auf, soweit sie nicht über die Plate gesteuert wurden 82 ) Auch die schwedische Flotte, die 1565 ein lübisches Kriegsschiff auf der Reede überraschen wollte, muß - wenigstens zum Teil - in die innere Bucht eingedrungen sein, wo das Fahrzeug, auf das es abgesehen war, zweifellos lag. Die Schweden kamen damals in den Bereich der Geschütze des Blockhauses 83 ). Ebenso die dänische Flotte, die im Jahre 1612 lübische
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Schiffe auf der Reede wegnehmen wollte. An Bord dieser bedrohten Fahrzeuge war "nicht ein einziger Schiffer" (nautischer Führer), und das "wenige Volk", das darauf war, erwiderte zwar das Feuer der Dänen, wußte aber im übrigen keinen Rat, als die Anker zu kappen und die Schiffe "an den Strand und Plate" treiben zu lassen 84 ). Der Wind wehte aus Südosten 85 ). Hätten aber die manövrierunfähigen Lübecker Schiffe bei Rosenhagen gelegen, so wäre gar nicht zu begreifen, wie sie bei der herrschenden Windrichtung auf den Travemünder Strand oder gar auf die Plate hätten treiben können. Sie müssen durchaus ganz in der inneren Bucht geankert haben. Als dann "das übrige Volk" an Bord kam und auch "vom Blockhause und Lande" mit großen Stücken geschossen wurde, brachen die Dänen das Gefecht ab "und legten sich wohl eine halbe Meile zurück auf die Rhede". Gemeint
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ist eine halbe deutsche Meile. Und dieser Ankerplatz wäre nach Rörig immer noch die Lübecker Reede gewesen. Wenn man aber das Ende dieser Reede bei der Harkenbeck annimmt, wie Rörig es tut, so muß man auch den Schluß ziehen, daß die dänische Flotte bis dicht vor die Travemündung gekommen sei, denn von der Plate bis zur Harkenbeck waren es weniger als 4500 m, und etwa eine halbe Meile gingen ja die Dänen zurück. Hatten diese sich dagegen bei dem Feuergefecht in größerer Entfernung von den lübischen Schiffen gehalten, so muß der hernach aufgesuchte Ankerplatz weit jenseits der Harkenbeck gewesen sein. Im übrigen heißt "sich auf die Reede legen" einfach: vor Anker gehen; das kann man an einer Stelle tun, die für gewöhnlich nicht als Ankerplatz dient. Reede ist kein gebietsrechtlicher Begriff, sondern bedeutet ein räumlich unbestimmtes Gewässer vor einem Hafen oder vor einer Küste. Aber wo das Wort "Reede" vorkommt, da ist es für Rörig immer gleichbedeutend mit Hoheitsgebiet.
Rörig hat ferner das Seebuch über die Ostsee herangezogen, das Johann Månsson, vormals Altersteuermann und Kapitän der schwedischen Marine, 1677 herausgegeben hat 86 ). Månsson war ein Vorgänger Peter Geddas, der ihn im Vorworte zu seinem Kartenwerk lobend erwähnt, freilich nicht ohne zu bemerken, daß Månsson keine gehörige Kenntnis von der Meßkunst gehabt habe, so daß er nicht mit der erforderlichen Genauigkeit habe arbeiten können. Die Stelle in dem Seebuche, auf die es ankommt und die Rörig bei Schulze, Segelanweisung für die Lübecker Bucht 87 ), gefunden hat, lautet: "Wil man sättia på Lybeske Redden", so kann man das tun auf 5, 7 oder 8 Faden. Das "sättia" hat Schulze mit: Kurs zusetzen (auf die Lübecker Reede) wiedergegeben, nach Rörig aber hieße es: Anker setzen. Allein aller Wahrscheinlichkeit nach hat Schulze recht, zumal da kurz vorher das "sättia" in dem Seebuche noch einmal vorkommt und bestimmt: Kurs setzen heißt 88 ). Im
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übrigen ist diese Stelle des Seebuches nicht von Belang. Wenn nämlich Månsson hätte sagen wollen: Anker werfen, so wäre seine Anweisung falsch. Das ergibt sich ja daraus, daß in der von Rörig 89 ) angeführten, 1735 erschienenen deutschen Übersetzung des
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Seebuches, worin das "sättia" = Anker werfen aufgefaßt wird, eine offenbare Änderung der Tiefenangabe vorgenommen ist, indem 5 und 6 Faden genannt würden. Diese Ankertiefen von 5 bis 6 Faden werden für die Travemünder Reede auch in der holländischen Seekartenbeschreibung von 1749 90 ) sowie im Text des Seeatlasses angegeben, den der Holländer Voogt etwa 1771 hat erscheinen lassen.
Damit sind wir aber bereits im 18. Jahrhundert. Eine wichtige Quelle ist für diese Zeit die handgezeichnete Kartenskizze der Reede von 1773, die Rörig (III, S. 111 f.) bespricht und von der wir dem Lübecker Staatsarchiv ein Lichtbild verdanken 91 ). Ganz richtig hebt Rörig hervor, daß mit der grotesken Küstenzeichnung der Karte nichts anzufangen ist und daß die Lage der Reede nur durch die eingetragenen Wassertiefen bestimmt wird. Aber eben diese Wassertiefen hätten ihn davon abhalten müssen, die Reede auf die Höhe von Rosenhagen zu verlegen. Er beschreibt selber, daß die Karte Tiefen von 4, 5 und 6 Faden durch entsprechende Zahlenreihen vermerke, die sich quer übers Wasser hinziehen. Die Reihen liegen dicht hinter der Plate 92 ). Zwischen den beiden Linien von 4 und 5 Faden stehen die Worte: Reede vor Travemünde oder Lübeck. Wo aber finden sich solche quer über die Bucht liegende Tiefen von 4 bis 6 Faden? Vor Rosenhagen doch nicht! Zwar gibt es hier diese Tiefen auch, aber, wie überall vor der offenen Küste, längs dem Ufer, ungefähr parallel zu diesem. Fährt man dagegen von Rosenhagen aus quer über die Bucht, so kommt man auf immer tieferes Wasser, bis zu 17 m, und erst auf dem Steinriff wird es wieder flacher. Wohl aber sind jene querliegenden Tiefen viel weiter buchteinwärts vorhanden, in der Mitte des Wassers. Und hier ist die Reede gewesen.
Die Kartenskizze von 1773 lehrt aber auch, daß jene Angaben der Seebücher, wonach die Reede sich bei 5 bis 6 Faden befand, nicht genau sind. Denn die Bezeichnung "Reede vor Travemünde
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oder Lübeck" steht, wie erwähnt, auf der Karte zwischen den Tiefenlinien von 4 und 5 Faden. Und wenn man jene Nachricht von 1792 (oben S. 121) in Betracht zieht, wonach ein gekentertes Schiff 93 ) unter mehreren anderen etwa 400 Schritte vom Lande auf der Reede lag, so müßte man fast das Doppelte dieser allerdings wohl unterschätzten Entfernung rechnen, ehe man überhaupt auf 4 Faden Tiefe kommt. Dann wäre das Schiff ungefähr mitten vor der Uferstrecke Travemünde-Möwenstein zu suchen 94 ). Das ist aber unwahrscheinlich, weil ursprünglich angenommen wurde, daß es am Priwall gestrandet sei. Es wird also nach der Kenterung näher am Priwall gelegen haben, etwa bei 3 Faden (5,17 m) 95 ). Sein Abstand von der Küste hatte dann noch nicht 600 Schritt betragen, und in dieser Gegend könnte auch recht wohl die Fahrwassertonne verankert gewesen sein, die man vor dem Schiffe sah. In jedem Falle muß die Entfernung vom Travemünder Ufer aus berechnet gewesen sein, weil sie vom Priwall aus wegen des dort flacheren Wassers immer zu groß werden würde 96 ). Und weil das Fahrzeug "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen" lag, so müssen diese nicht weit von ihm geankert haben. Mag man nun das verunglückte Schiff bei 3 oder 4 Faden suchen, so besteht doch gar keine andere Möglichkeit, als daß alle diese Schiffe im westlichen Teile der inneren Bucht lagen.
Eine Ankertiefe von 6 Faden jenseits der Majorlinie ist jedenfalls auch im 18. Jahrhundert nicht mehr das Gewöhnliche gewesen. Dafür spricht letzten Endes auch die Nachricht, die Rörig (III, S. 116) über ein Schiff bringt, das 1746 beim Salutschießen auf der Reede in Brand geriet. Zunächst allerdings war dies die einzige Nachricht des Gutachtens, die uns stutzig machte. Denn wenn das Schiff wirklich, wie Rörig angibt, auf 8 Faden geankert hätte, so wäre es ja weit draußen, bei etwa 14 m Tiefe gewesen. Aber
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es handelt sich um einen Irrtum, denn Rörig hat seine Quelle verlesen. Wie uns das Lübecker Staatsarchiv auf eine Anfrage erwidert hat, muß es statt 8 Faden heißen: "5 Faden Tiefe" Also lag auch dieses Schiff - ebenso, natürlich, das in der Nähe ankernde russische - in der inneren Bucht, weitab von Rosenhagen. Es lag auf der 5-Faden-Tiefe der Kartenskizze von 1773.
Die quer über einen Teil der Bucht führende 6-Faden-Linie dieser Skizze ist ungefähr die 10-m-Tiefenlinie, die ja dort, wo sie nach der Trave zu endet, quer über das Wasser läuft (Beilage 5 b).6 Faden aber (10,35 m) waren nach den mitgeteilten Nachrichten die äußerste Ankertiefe seewärts. Mithin steht fest, daß die Reede noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts da zu Ende war, wo sie auf Rörigs Kartenskizze 2, die seinem ersten Gutachten von 1923 beigegeben ist, überhaupt erst anfängt.
Überdies wissen wir aus dem, was im Vorstehenden angeführt ist, daß die Reede sich von der Mitte der inneren Bucht in nordwestlicher Richtung hinzog. So ist sie auch auf der von Rörig erwähnten Karte von 1803 eingetragen 97 ). Es erklärt sich diese Lage der Reede leicht daraus, daß die Schiffe hier am besten den Schutz des hohen Brodtener Ufers genossen. Eine Tiefe von 5 Faden findet sich denn auch zuerst im nordwestlichen Teile der Bucht, gleich hinter der Majorlinie 98 ). Die 4-Faden-Linie liegt weiter buchteinwärts nach der Trave zu. Und wenn ein Schiff auf 6 Faden ankerte, so wird es hinter den übrigen, ebenfalls im westlichen Buchtteile gelegen haben. Hierzu stimmt genau die Kartenskizze von 1773. Auf ihr liegen die Zahlenreihen, die die Tiefen von 4 bis 6 Faden bezeichnen, in der Richtung der Majorlinie, das läßt sich feststellen, weil sich eine Windrose auf der Skizze findet, und es lehrt auch schon der Augenschein. Von den einzelnen Tiefenlinien laufen noch einige Fadenzahlen auf die mecklenburgische Küste zu, die auf der Karte weiter keine Bedeutung haben, als daß sie bezeichnen sollen, wie die Wassertiefe von der Reede aus allmählich abnimmt. Sie sind aber für die
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Bestimmung der Reedelage wertvoll. Von der 6-Faden-Linie, die ja ungefähr die 10-m-Tiefenlinie ist, gehen nämlich ab die Zahlen 5 und 4 1/2. Wenn man jetzt unsere Kartenbeilage 5 b, worauf die Tiefenzahlen der Admiralitätskarte zum Teil angegeben sind, zur Hand nimmt, so sieht man, daß die 10-m-Tiefenlinie in einen Schlauch ausläuft, Dieser muß unberücksichtigt bleiben, er ist auf der Admiralitätskarte von 1873 noch nicht angegeben und gehört wahrscheinlich zum seither ausgebaggerten Fahrwasser 99 ), Nun muß der Ankergrund von 6 Faden auf der Skizze von 1773 dort gewesen sein, wo die 10-m-Linie sich nordwestlich von der Schlauchöffnung hinzieht. Wenn man nämlich von diesem Teile der Linie aus die Richtung auf das mecklenburgische Ufer nimmt, und zwar parallel zur Majorlinie, in deren Richtung ja die Reede verlief, so finden sich Tiefen von 8,9 und 8,8 m 100 ). Auf der Admiralitätskarte folgt dann in genau derselben Richtung die Tiefenzahl 7,5, und dann kommt bald die 6-m-Wassergrenze. Diese Tiefen entsprechen aber den Fadenzahlen, die auf der Skizze von 1773 von der 6-Faden-Linie abgehen. Denn 5 und 4 1/2 Lübecker Faden sind = 8,63 und 7,76 m 101 ). Würde man nun aber den 6-Faden-Ankerplatz auch noch auf dem zurückspringenden südöstlichen Teile der 10-m-Tiefenlinie suchen, so stimmt es schlecht, denn hier nimmt das Wasser zunächst kaum ab, es findet sich auf der Admiralitätskarte die Tiefenzahl 9,9, dann - etwas südöstlich - die Zahl 9,6 (Beilage 5 b) und schon 200 m weiter nach der Küste zu folgt die 6-m-Wassergrenze. In dieser Gegend können Tiefen von 5 und 4 1/2 Faden höchstens auf ganz winzigen Strecken oder Punkten vorhanden sein, die zu bezeichnen für die Reede wenig Zweck gehabt hätte.
Dieselbe Untersuchung kann man über die Fadenzahlen anstellen, die auf der Kartenskizze von 1773 von den beiden übrigen Tiefenlinien ablaufen. Es stimmt auch hier 102 ). Zu beachten aber
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ist besonders folgendes: Die 4-Faden-Tiefen reichen auf der Skizze nach dem mecklenburgischen Ufer zu weiter als die beiden anderen Tiefenreihen 103 ). Das würde durchaus nicht zutreffen, wenn man für den Ankergrund bei 6 Faden die ganze Breite der 10-m-Tiefenlinie in Anspruch nehmen würde. Denn dann hätte die Reihe der 4-Faden-Zahlen hier am kürzesten sein müssen. Es gehen nämlich die 4-Faden-Tiefen nach der Admiralitätskarte (Sonderkarte der Traveeinfahrt) südöstlich nur wenig über den Schlauch hinaus, der von der 10-m-Tiefenlinie abführt 104 ).
Die Reede lag also im nordwestlichen Buchtteil in der Richtung der Majorlinie: 6 Faden ungefähr auf dem nordwestlichen Teile der 10-m-Tiefenlinie, davor die 5-Faden-Tiefen, endlich, noch weiter nach der Trave zu, 4 Faden. Zwischen den einzelnen Linien sind natürlich noch mittlere Tiefen vorhanden, weil das Wasser nicht genau von 6 Faden auf 5 und 4 Faden abnimmt. Die Breite des auf der Kartenskizze bezeichneten Reedegewässers betrug etwa 600 m, die Länge (von dem Gebiet kurz hinter der 10-m-Tiefenlinie an nach der Trave zu) ungefähr 1 km das ergibt eine Fläche von etwa 3/5 qkm. Der mecklenburgische Buchtanteil aber, der ja erst gegenüber der Staatsgrenze am Priwall be-
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ginnt 105 ), wurde von dieser Reede gar nicht berührt.
Es ist ein völliges Unding, die Reede auf Grund der Kartenskizze von 1773 vor Rosenhagen zu suchen. Ganz unrichtig ist auch Rörigs Behauptung, daß die Zahl der Strandungsfälle bei Rosenhagen "beachtenswert groß" sei 106 ). Wahrscheinlich ist sie nicht einmal größer als an anderen Küstengegenden. In unserem vorigen Gutachten haben wir alles mitgeteilt, was aus unseren Akten über Strandungsfälle bei Rosenhagen hervorgeht 107 ). Es ist wenig im Verhältnisse zu den Strandungen am Priwall 108 ). Gerade der Umstand, daß die Reede dem Priwall gegenüberlag, wird wesentlich dazu beigetragen haben, daß Lübeck seinen Anspruch auf die Halbinsel, die sonst von geringem Werte ist und nur als Weide diente, die Jahrhunderte hindurch so tatkräftig verfochten hat. übrigens betrifft die Zusammenstellung bei Rörig III, S. 120 (Anm. 110) zum großen Teile überhaupt keine Strandungen bei Rosenhagen 109 ). Und warum
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sollen denn die beiden 1516 gescheiterten Schuten "Leichterboote
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und Prähme" oder "Ballastboote" gewesen sein? 110 ) Schuten waren zunächst einfach kleine Schiffe 111 ). So ist die 1660 am Priwall gestrandete Lübecker Schute, deren Kapitän Hans Lampe hieß und die Waren nach Dänemark bringen sollte, keineswegs ein Ballastboot gewesen. Ebensowenig die anderen am Priwall aufgelaufenen Schuten aus Wismar, Dänemark und Schweden 112 ).
Soweit wir in den bisherigen Untersuchungen die Lage der Reede nach den Wassertiefen bestimmt haben, die in den Quellen angegeben werden, haben wir dabei die Messungen der neuesten Seekarte zugrunde gelegt, weil diese am genauesten ist. Einige ältere Seekarten aus dem 19. Jahrhundert, die schon Anspruch auf Genauigkeit machen können, widersprechen unseren Berechnungen durchaus nicht 113 ). Die Tiefen der Travemünder Bucht können sich aber im Laufe der Jahrhunderte nicht ganz gleich geblieben sein. Es hängt das zunächst zusammen mit den Veränderungen des hohen Brodtener Ufers, an dessen Zurückdrängung das Meer seit undenklichen Zeiten gearbeitet hat. Mit der fortschreitenden Zerstörung dieses Landvorsprunges ist nach den Angaben des Lübecker Geologen P. Friedrich 114 ) dreierlei verbunden: die Entstehung des Steinriffes, die "allmähliche Verflachung der Lübecker Bucht und "das Emporwachsen einer Sandbarre in der Mündung der Trave, nämlich der Priwallhalbinsel und des Untergrundes von Travemünde". Friedrich berechnet, daß das Brodtener
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Ufer zur Zeit der Gründung Lübecks (1143) noch 800 bis 900 m weiter in die See hineinragte als 1911 115 ). Die gewaltigen, nach und nach abgespülten Sandmassen sind teils in die Niendorfer Wiek, teils in die Travemünder Bucht geschwemmt worden, wo sie sich hauptsächlich am Ufer der inneren Bucht vor der Travemündung abgelagert haben 116 ). Aber sie trugen auch zur Verflachung des Gewässers weiter seewärts bei, woran außerdem der Abbruchssand der mecklenburgischen Küste mitwirkte, der von der Strömung am Ufer entlang geführt wird 117 ). "Die Versandung der ganzen zwischen dem Brodtener Ufer und der mecklenburgischen Landseite einspringenden Travemünder Bucht", so schrieb der Lübecker Wasserbaudirektor Rehder 1898, schreitet "langsam aber stetig fort, sie ist zur Zeit dem Auge weniger erkennbar, weil sie vorwiegend auf den Uferhängen unter Wasser stattfindet . ." 118 ).
Freilich vollzieht sich die Verflachung des Buchtgewässers in weiterer Entfernung von den Küsten nur sehr allmählich 119 ).
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Immerhin wird man für die Zeit vor mehreren Jahrhunderten mit etwas größeren Tiefen gerade in der inneren Bucht rechnen dürfen. Es ist klar, daß dies für das Ergebnis unserer Untersuchungen nur günstig sein kann. Damals, als die Seekarten Waghenaers entstanden, reichte das Brodtener Ufer noch etwa 400 m weiter in die See hinein 120 ), während andererseits die Sandanschwemmungen vor dem etwas zurückspringenden Travemünder Ufer südlich vom Möwenstein noch nicht so stark waren. Mithin bot die Reede in jener Zeit den Schiffen nicht nur gegen Nordwest und Nordnordwest, sondern, wenn sie nahe vor der westlichen Buchtküste ankerten, auch noch gegen reinen Nordwind Schutz. Das muß man ja auch aus den Angaben Waghenaers schließen 121 ). Die Schiffe hatten dann nach den heutigen Tiefenverhältnissen immer noch 4 bis annähernd 6 m Wasser, mehr als auf der Wismarer Reede, die noch nicht 4 1/2 m tief war 122 ). Je weiter dann das Brodtener Ufer zurückgewaschen wurde, desto mehr verminderte sich der Schutz gegen Nord.
Auch in der neueren Zeit haben natürlich nur die größeren Schiffe auf der Reede leichtern müssen. Es gibt zu denken, daß noch Waghenaer das Fahrwasser der Plate als ein "gutes Tief für große Schiffe" bezeichnet, also für Schiffe, die man damals noch zu den großen zählte; freilich nicht zu den größten, die besonders der westlichen Seefahrt gedient haben werden.
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Wie aber war es im Mittelalter? Auf dem Lüneburger Hansetage vom 10. April 1412 wurde über ein Gesetz beraten, wonach kein Schiff gebaut werden sollte, das mehr als 100 Last Heringe fassen könne, und kein beladenes Schiff tiefer gehen sollte als sechs lübische Ellen (3,45 m) 123 ). Das wäre gerade die Tiefe, die Waghenaer 170 Jahre später für das über die Plate führende Fahrwasser angab 124 ), eine Tiefe, die also für Schiffe, wie sie 1412 äußersten Falles zugelassen werden sollten, nicht mehr ausgereicht haben würde. Nun aber bezeichnete man in Lübeck im Jahre 1407, also um die Zeit jenes Hansetages, schon Schiffe von über 24 Last als "große" 125 ). 1428, während des Krieges um Schleswig, sprachen die vor Kopenhagen liegenden hansischen Schiffshauptleute die Erwartung aus, daß die im Fahrwasser versenkten Fahrzeuge den Feind verhindern würden, mit "großen Schiffen", die über vier Ellen tief gingen, aus dem Hafen herauszukommen 126 ). 4 1/2 - 6 Ellen (9 - 12 Fuß) Wasser genügten aber schon für Schiffe von 70 - 80 Last 127 ). So groß sind die für die Ostseefahrt gebrauchten Fahrzeuge noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein in der Regel nicht gewesen 128 ).
Fest steht, daß während des Mittelalters im Lübecker Verkehr die kleinen Schiffe vorgeherrscht haben 129 ), die zweifellos
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die Plate überwinden konnten. Erst seit der Mitte des 15, Jahrhunderts wäre hier nach Kloth eine Steigerung der Schiffsgrößen anzunehmen 130 ). 1455 hören wir zum ersten Male von einer Reede vor dem Lübecker Hafen, womit nur die Seereede gemeint sein kann 131 ). Elf Jahre später, 1466, klagte der Lübecker Rat darüber, daß der Hafen flacher geworden sei und die nach Lübeck bestimmten Schiffe nicht ohne zu leichtern einlaufen könnten, woraus sich merklicher Schaden ergeben habe und den Kaufleuten Kosten entständen 132 ). Durch Stromverbesserungen suchte man Abhilfe zu schaffen, sicher also handelte es sich hier um einen Übelstand, der sich noch nicht lange fühlbar gemacht hatte. Vor dem 15. Jahrhundert kann die Lübecker Seereede keine irgendwie wesentliche Rolle gespielt haben. Und sie nun gar schon für die Zeit des Barbarossaprivilegs von 1188 anzunehmen, ist ganz unmöglich.
Da die alte nautische Reede nicht im mecklenburgischen Buchtanteil lag, so hat sie für die obwaltende Streitfrage keinerlei Bedeutung, überhaupt beweist der Umstand, daß sich in der Bucht ein Ankerplatz befand, noch gar nichts für die Lübecker Ansprüche; denn das Ankern von Schiffen ist keine Lübecker Hoheitshandlung, Indem die Wismarer 1455 ein ihnen feindliches Schiff auf der Travemünder Reede wegnahmen, begingen sie eine Tat, die nur unter der Voraussetzung zu denken ist, daß mit einer Lübecker Gebietshoheit auf der Reede gar nicht gerechnet wurde 133 ). Auch die von Rörig angezogene Prahmordnung von 1580 134 ) lehrt nur die Existenz einer Seereede, aber weiter nichts. Denn Vorschriften über den Prahmbetrieb, der ja auch nicht nur auf der See vor sich ging, konnte der Lübecker Rat ohnehin erlassen. Die ankommenden Schiffer aber waren genötigt, sich den Vorschriften zu unterwerfen, weil sie sonst keine Prähme erhielten und nicht löschen konnten.
Nach Wenzel 135 ) liegt die Lösung der ganzen Streitfrage darin, daß Lübeck im 19. Jahrhundert seine Staatspraxis in Hinsicht auf die Travemünder Bucht den völkerrechtlichen Regeln
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angepaßt hat. Die früheren Rechtsverhältnisse seien dieser Tatsache gegenüber belanglos, so daß eine historische Untersuchung darüber überhaupt nicht nötig gewesen sei. In jedem Falle ist es klar, daß die Örtlichkeit der Reede im 19. Jahrhundert nicht von Wichtigkeit ist 136 ). Da aber die Ausführungen, die Rörig darüber macht, wesentliche Irrtümer enthalten, so entgegnen wir folgendes:
Die erste Quelle für diese Zeit ist die von Rörig (III, S. 96) angeführte Kartenskizze von 1803, von der uns das Lübecker Staatsarchiv freundlicher Weise ein Lichtbild besorgt hat. Auf der Skizze wird die Reede durch zwei Anker bezeichnet, die dicht beieinander liegen und, wie auch Rörig erwähnt, etwa in der Richtung der Majorlinie eingetragen sind 137 ). Sie liegen ungefähr nördlich von dem Grenzpfahl, den die Skizze an der Staatsgrenze am Priwall vermerkt, der eine Anker in der Mitte des Wassers, der andere nordwestlich davon. Im übrigen liegen sie fast in einer Linie mit dem Möwenstein, der angegeben ist und buchteinwärts von der Brodtener Rifftonne mit der roten Fahne (später Rote Wete genannt), die ebenfalls angegeben ist und sich auch auf der französischen Seekarte (Kartenbeilage 2 a bei Rörig III) vor dem Brodtener Ufer als Pavillon rouge verzeichnet findet. Zieht man von dieser Tonne aus eine Linie in genau südlicher Richtung auf das mecklenburgische Ufer, so liegen die beiden Anker buchteinwärts von dieser Linie. Hinter den beiden Ankern steht in kleinen Buchstaben das Wort: Rhede. Die Buchstaben sind genau so groß oder klein, wie sie auf der Skizze für die Ortsnamen am Lande, für den Möwenstein, die Harkenbeck usw. verwendet sind. Und das Wort "Rhede" soll natürlich nur angeben, was die Anker bedeuten; daß es hinter diesen steht, worauf Rörig mit Unrecht Wert legt, ist völlig belanglos. Auch bei der Harkenbeck, dem Möwenstein und verschiedenen Ortschaften stehen die Namen rechts dahinter. Mithin lag die Reede 1803 noch ebenso wie auf der Kartenskizze von 1773, und zwar, wie beide Karten schließen lassen, im wesentlichen dicht bei der Majorlinie und noch vor dieser nach der Trave zu. Wäre die Reede 1803 vor Rosenhagen gewesen, das auf der Skizze ange-
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geben ist, so würden die beiden Anker natürlich in der Höhe des Dorfes eingetragen sein.
Keine Quelle ist die französische Seekarte von Beautemps-Beaupré; denn aus ihr geht die Lage der Reede nicht hervor. Was Rörig (III, S. 87) aus der Karte schließen will, ist unrichtig, zum Teil ebenso an den Haaren herbeigezerrt wie die vermeintliche Außentrave bei Waghenaer. Wenn man den Ausschnitt aus der Karte betrachtet, den Rörig (III, Beilage 2 a) abgebildet hat, so sieht man in der Travemünder Bucht einen Punkt a. Mit ihm wäre nach Rörig "auf der Reede eine Stelle vermerkt", von wo sich "für den auf der Reede ankernden Schiffer" eine Ansicht von Travemünde biete, die am Kopfe der Seekarte wiedergegeben ist 138 ). Aber der Punkt a liegt ja nördlich von der Priwallgrenze, und die Reede soll doch nach Rörig bei Rosenhagen gewesen sein! Auch liegt der Punkt nicht "selbstverständlich" jenseits der Majorlinie 139 ), sondern beinahe darauf; die linke Klammer um den Punkt würde unten von der Linie noch geschnitten werden, und die neben dem Punkt stehende Tiefenzahl von 22 französischen Fuß (7,33 m) gehört noch zum Gebiet innerhalb der Majorlinie. Es ist aber wohl nur ein Zufall, daß der Punkt dicht hinter dieser Linie liegt, zumal da die Karte den "Major" nicht verzeichnet. Wahrscheinlich liegt der Punkt auf der damaligen Ansegelungslinie der Traveeinfahrt, und für Seeleute, die über die Plate fahren wollten, erfüllte in dem schwierigen Gewässer die Ansicht von Travemünde ja auch am besten ihren Zweck 140 ). Daß man die Lage der Reede nicht nach dem Punkte a bestimmen kann, lehrt ein ähnlicher Punkt auf der Seekarte. Diese zeigt nämlich auch die Neustädter Reede, wiederum ohne daß ein Anker eingetragen wäre, und hier ist ein Punkt b vermerkt, von wo man eine Ansicht von Neustadt hatte, die gleichfalls am Kopfe der Karte abgebildet ist (Prise en rade au point b). Dieser Punkt b liegt aber zwischen Tiefenzahlen von
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vier, fünf und acht französischen Fuß, und es wird ja niemand annehmen, daß auf diesen Tiefen der Ankerplatz zu suchen sei 141 ).
Ferner stehen auf der Bucht und darüber hinaus die Worte: Rade de Travemünde. Wie Rörig aus der Art, wie diese Worte eingetragen sind, einen Schluß auf die Reedelage ziehen kann, ist unverständlich. Denn es ist ja klar, daß sie in der inneren Bucht wegen der sich dort häufenden Tiefenzahlen keinen Platz fanden. Ohnehin sind die Buchstaben zum Teil auseinandergerückt, um den Tiefenzahlen Raum zu schaffen 142 ). Dasselbe ist der Fall bei der Bezeichnung "Rade de Neustadt" auf der gleichen Karte. Auch hier finden sich die Worte weit draußen bei Tiefenzahlen von 54 -57 Fuß (18 - 19 m), wo der Ankerplatz nicht war. Die deutsche Admiralitätskarte von 1873 zeigt den Anker vor Neustadt neben der 6-m-Tiefenlinie. Auf der Travemünder Bucht hat diese Karte einen Anker binnen der Majorlinie, gleich hinter Tiefenzahlen von 7 und 7,5 m. Im übrigen gelten die Bezeichnungen Rade de Travemünde und Rade de Neustadt nicht bloß für den Ankerplatz, sondern ohne Zweifel für die gesamten Gewässer der beiden Buchten, Wir haben schon in unserem vorigen Gutachten gezeigt, daß der Ausdruck "Reede" für die Travemünder Bucht gebraucht wurde 143 ), und Rörig hat es jetzt bestätigt 144 ). Es ist ja nur zu verständlich, daß man ein solches Gewässer, in dem Schiffe verkehrten und ein Ankerplatz lag, in seinem ganzen Umfange "Reede" nannte, daß also diese Bezeichnung vom eigentlichen Ankerplatze auf die ganze Bucht übertragen wurde. Reede in diesem Sinne ist aber lediglich ein geographischer Begriff. Dagegen heißt die Niendorfer Wiek, die für die Schiffahrt nicht in Betracht kommt, auf der französischen Seekarte: Anse de Niendorf.
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Schließlich finden sich auf der Karte die von Rörig nicht besprochenen Worte: Vase couverte de sable fin bonne tenue. Sie stehen hinter und zwischen den Tiefen von 30 Fuß. Daß sie sich gerade hier finden, hat seinen Grund nur darin, daß an dieser Stelle keine Tiefenzahlen vermerkt sind, also Raum für die Worte frei war. Denn den Schlick (vase) gibt es nicht nur hier, sondern auch weiter seewärts, ebenso weiter buchteinwärts binnen der Majorlinie 145 ), d. h. fast überall in der Bucht. Gerade aber vor einem Teile der Rosenhäger Küste, und zwar dem westlichen Teile, eignet sich der Grund weniger zum Ankern 146 ). Die genannten Worte der Karte gelten also gewiß nicht für den Meeresboden vor Rosenhagen, wo sie ja auch nicht stehen, sondern sie sollen offenbar die vorherrschende Beschaffenheit des ganzen Buchtgrundes und seine Brauchbarkeit fürs Ankern überhaupt angeben. Genauere Vermerke über den Grund sind ja daneben noch vielfach in Abkürzungen oder Anfangsbuchstaben auf der Karte eingetragen 147 ). Z. B. liest man weiter draußen verschiedentlich: Vase argileuse, tonhaltiger Schlick, der zum Ankern sehr geeignet ist, wie denn die Beschaffenheit des Meeresbodens überall vor der Küste kenntlich
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gemacht wird, auch da, wo keine Reeden waren 148 ). Ganz ähnlich jenem allgemeinen Vermerk über den Buchtgrund stehen auf der Karte hinter der Bezeichnung "Stein-Riff" in Klammern die Worte: Fond dangereux pour le mouillage, also eine Warnung vor dem Ankern, obwohl kaum jemand auf den Gedanken kommen konnte, hier vor Anker zu gehen. Außerdem finden sich aber auch auf dem Steinriff genauere Angaben über den Grund dutzendfach.
Rörig vergleicht die französische Seekarte mit der Karte des Travemünder Hafens im Jahre 1848 149 ). Hier entspreche der Eintragung "Rade de Travemünde" genau die Bezeichnung "Guter Ankergrund". Ganz richtig ist das nicht; denn auf der jüngeren Karte beginnen die Worte weiter buchteinwärts, fast bei 4 Faden Tiefe, und ziehen sich von hier in großen Buchstaben ebenfalls bis jenseit der Harkenbeck hin. Daraus aber, daß der Boden einer ganzen Bucht als guter Ankergrund bezeichnet wurde 150 ) - was ja auch zutraf, denn schließlich konnte man hier überall ankern -, läßt sich der übliche Ankerplatz nicht ermitteln. Überdies stehen dieselben Worte auf der Karte noch einmal, aber kilometerweit nördlich, zu beiden Seiten des letzten Steinriffauslaufes, wo das Wasser 80 Lübecker Fuß (23 m) tief ist und selbstverständlich keine Reede war. Dieser zweite Vermerk lehrt gerade, daß "guter Ankergrund" nichts weiter bedeuten soll als: reiner Grund, während das Steinriff, das sich auf der Karte mit seiner äußersten Spitze zwischen die beiden Worte einschiebt, als "Stein- und Kiesgrund" bezeichnet wird 151 ).
Wo zur Entstehungszeit der französischen Seekarte die Reede lag, ergibt sich aus der erwähnten Skizze von 1803, die gar keinen Zweifel darüber aufkommen läßt. Es ist in diesem Zusammen-
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hange einzugehen auf den Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen aus dem Jahre 1828 152 ), den wir nach Rörigs Meinung so ganz falsch verstanden haben sollen. Rörig 153 ) sucht zunächst gewissermaßen den Zeugenwert des Kommandeurs zu erschüttern, indem er auf dessen Schulden und auf die Zuchtlosigkeit zu sprechen kommt, die Harmsen unter den Lotsen einreißen ließ. Das alles aber hat mit der Kenntnis von der Reede, die man dem Kommandeur allerdings zutrauen muß, nichts zu tun. Und wenn der Bericht ohne Aufforderung erstattet wurde und "ganz isoliert bei den Akten liegt, so kann man doch ein derartiges Stück sehr wohl benutzen, wenn es eine klare Auskunft gibt. Dies tut der Bericht zunächst insofern, als die darin als Reedegrenze bezeichnete, vom "Major" ausgehende Linie nicht die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle sein kann, die Rörig als Reedegrenze aufgestellt hat und für die gerade dieser Bericht als einziger Beweis angeführt worden war. Rörig hat seinen Irrtum ja auch zugegeben. Ferner ist klar, daß Harmsen gar keine andere Linie gemeint haben kann als die oft genannte, am Brodtener Ufer vorüberlaufende Majorlinie. Dies ist auch die einzige vom "Major" abgehende Linie, die in jener Zeit überhaupt erscheint.
Dem Kommandeur kam es darauf an, die Fischerei seiner Lotsen, denen die Berechtigung zum Fischfang abgestritten wurde, in Schutz zu nehmen. Nach Rörig (III, S. 78) wollte er sagen, daß das Gebiet am Brodtener Ufer, wo die Lotsen fischten, nicht zur nautischen Reede im Sinne des Vergleiches von 1610 gehöre, die den Travemündern verboten war. Dann aber besteht doch keine andere Möglichkeit, als daß Harmsen eine Grenzlinie für eben diese nautische Reede im Auge hatte. So ist es ja in der Tat gewesen. Rörig dagegen glaubt jetzt zwar auch, daß es sich um die Majorlinie handele, aber nur, soweit sie über das Steinriff führe, wenn nämlich die Lotsen auf dem Steinriff von dem Punkte am Brodtener Ufer aus, "wo zuerst der Gömnitzer Berg sichtbar wird", "ungefähr parallel zum Fahrwasser vor Travemünde Netze aussetzten, so blieben sie ja in der Tat außerhalb der Reede im nautischen Sinne" 154 ). Indessen ist gar nicht zu begreifen, was dann eigentlich die Majorlinie als Grenze für einen Zweck gehabt haben sollte. Ein Blick auf die Karte lehrt, daß sie für die Steinriff-Fischerei gar nicht paßt, für die ja nur eine Grenze am Platze
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gewesen wäre, die "ungefähr parallel zum Fahrwasser" verlief. Es wäre ganz sinnlos gewesen, ausgerechnet auf dem Steinriff eine noch dazu dicht am Ufer vorüberlaufende Reedegrenze anzunehmen.
All dieses Herumdeuteln an Harmsens Bericht ist vergeblich und kann nichts an der Tatsache ändern, daß der Kommandeur die Majorlinie als eine Grenze zwischen der nautischen Reede und der "offenen See" betrachtete, und zwar selbstverständlich als eine Grenze innerhalb der Travemünder Bucht, wo ja die Reede lag. Ebenso selbstverständlich ist es, daß unter "offener See" nur das Gebiet östlich von dieser Grenze begriffen werden kann, für die Reede also nur die Wasserfläche westlich von der Majorlinie, nach der Trave zu, übrig bleibt. Fraglich könnte nur sein, ob Harmsen etwa eine Reedegrenze im Auge hatte, die aus älterer Zeit stammte und für den Schiffsverkehr damals bereits überholt war, als Fischereigrenze aber nach der Ansicht des Kommandeurs noch Gültigkeit hatte. Dies ist zu untersuchen.
Wir haben in unserem vorigen Gutachten noch angenommen, daß die Majorlinie als Reedegrenze lediglich für Fischereizwecke festgesetzt worden sei, während wir eine Reedegrenze für rein nautische Zwecke als unwahrscheinlich ablehnten 155 ). Jetzt aber ist von Rörig die wichtige Nachricht beigebracht worden, daß die Majorlinie eine nautische Linie gewesen ist. Nach der Angabe des Lotsenherrn sagte 1849 der damalige Lotsenkommandeur aus: der Gömnitzer Turm (der ja die Stelle des "Majors" vertrat) diene den Lotsen "noch besonders, da er, in gerade Linie mit dem Brodtener Ufer gebracht, die Ankerplätze auf der Reede angäbe" 156 ). Das kann nur heißen, daß die Schiffe von den Lotsen auf der Linie selbst oder doch in deren Nähe verankert wurden. So ist es gewiß schon zu Harmsens Zeit gewesen. Daher auch der Wunsch, nach dem Umsturz des als "Major" bezeichneten Baumes ein neues Seezeichen als Ersatz zu erhalten. Um 1820 verlief die Majorlinie noch über 100 m weiter östlich 157 ); man hatte auf ihr 5 Faden Wasser 158 ), mehr als für die größten Schiffe nötig war. In keiner Weise ist erwiesen oder auch nur wahrscheinlich, daß, wie Rörig meint, die Majorlinie als "äußerste Linie in der Richtung nach Travemünde zu diente, wo überhaupt
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noch Schiffe verankert wurden" 159 ). Sondern es liegt nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, daß sich die Lage der Reede seit dem 18. Jahrhundert verändert habe. Freilich rechnet jene Kartenskizze von 1773 noch die 6-Faden-Tiefen mit zum Reedegebiet. Aber es ist schwerlich ein Zufall, daß die Bezeichnung "Reede vor Travemünde oder Lübeck" auf der Skizze zwischen den Tiefen von 4 und 5 Faden eingefügt ist, nicht zwischen den Tiefen von 5 und 6 Faden 160 ); denn in den beiden Fällen von 1746 und 1792, in denen wir den Ankerplatz von Schiffen auf der Reede genauer ermitteln können, lagen die Schiffe bei 5 Faden Tiefe (1746), also noch innerhalb der damaligen Majorlinie, oder noch weiter buchteinwärts (1792) 161 ).
Wo Schiffe, die etwa des Nachts und ohne Lotsenhilfe ankamen, vorläufig vor Anker gingen, ist ganz gleichgültig. Für die Lotsen aber galt die Majorlinie zweifellos nicht als äußerste Reedegrenze nach der Trave zu, sondern umgekehrt nach der See zu. Der Grund hierfür wird wiederum darin liegen, daß seewärts hinter der Majorlinie der Schutz gegen Nordwest aufhörte, den das hohe Brodtener Ufer bot. Deswegen war nach Harmsen die Reede an der Majorlinie zu Ende. Anders kann seine Eingabe von 1828 überhaupt nicht aufgefaßt werden. Das Gewässer jenseit der Majorlinie aber rechnete er bereits zur offenen See. Er hätte statt dessen auch wohl sagen können: Außenreede, eine Bezeichnung, die 1823 einmal erscheint und auf die wir sogleich zurückkommen werden; doch paßte es ihm augenscheinlich besser, den Ausdruck "See" zu gebrauchen, wo "jeder gleiches Recht" habe, also auch die Lotsen seiner Meinung nach fischen durften.
Dem widerspricht auch nicht die von Rörig angezogene kleine Abhandlung Harmsens im Schweriner Freimütigen Abendblatt vom 4. August 1826, worin er für die Errichtung eines Leuchtturmes an der mecklenburgischen Küste bei Buckhöft nordöstlich von Wismar eintrat 162 ). Denn wenn er bei dieser Gelegenheit erwähnte, daß bei Nacht kein einigermaßen großes Schiff in den Travemünder Hafen einlaufe, sondern entweder bis zum Tagesanbruche vor Anker gehe oder auf der Reede kreuze, so ist "Reede" hier etwas ganz Unbestimmtes und einfach das Gewässer
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vor dem Hafen 163 ), worunter man getrost noch einen Teil der offenen See verstehen konnte. Mit Gebietshoheit hat das gar nichts zu tun. Einen Lotsen hatten diese Schiffe nicht an Bord; ausdrücklich sagt Harmsen in seiner Abhandlung, daß Lotsen bei Nachtzeit gewöhnlich nicht herauskämen, wenn nicht Notschüsse die größte Gefahr andeuteten. Fahrzeuge, die draußen, jenseit der Majorlinie, kreuzten oder ankerten, waren noch nicht auf der eigentlichen nautischen Reede.
Wie aber verhält sich Harmsens Bericht zu den Angaben, die Rörig aus den Akten über den Fischereistreit macht, der 1823 zwischen den Schlutuper und den Travemünder Fischern ausbrach 164 )? Die Ursache des Streites lag darin, daß die Schlutuper im Gewässer vor Rosenhagen ihre Waden über die dort ausgesetzten Stellnetze der Travemünder hinweggezogen hatten. Sie bestritten den Travemündern die Berechtigung, hier zu fischen, obwohl diesen in dem Fischereivergleich von 1610 nur untersagt war, Stellnetze auf der Trave und der nautischen Reede zu verwenden. In erster Instanz wurde dieser Streit von der Lübecker Wette entschieden. Da ist es denn von Wichtigkeit, daß die Auffassung der Wette über das, was man unter der eigentlichen Reede zu verstehen hatte, mit der Meinung des Lotsenkommandeurs offenbar in Einklang zu bringen ist. Die Wette wollte nämlich die etwa "beim Möwenstein anfangende und sich von dort noch weit in die See erstreckende Außenreede" nicht mehr als Reede im Sinne des Vergleiches von 1610 auffassen 165 ). Danach war die eigentliche nautische Reede ungefähr beim Möwenstein zu Ende. Fast also könnte man glauben, daß die Wette diese Reede auf ein noch kleineres Gebiet beschränkt habe als der Lotsenkommandeur; indessen ist der Möwenstein hier nur als ungenauer Bestimmungspunkt zu werten. Das Gewässer weiter seewärts, richtiger gesagt jenseit der Majorlinie, galt als Außenreede.
Über das, was Rörig neuerdings aus den Akten über diesen Fischereistreit vorbringt, ist schwer Klarheit zu gewinnen. Eine Schwierigkeit liegt schon darin, daß das Wort "Reede" sowohl im Sinne von "nautischer Reede" als im Sinne von "Travemünder Bucht" gebraucht wurde, und nicht jedesmal ohne weiteres deutlich ist, wie man es aufzufassen hat. Wenn der Tatort vor Rosenhagen als "zwischen der Reede und Rosenhagen" gelegen bezeichnet wurde
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(einmal heißt es auch: zwischen Rosenhagen und dem Blockhause) 166 ), so ergibt sich allerdings, daß eine längs der Küste sich hinziehende Wasserfläche gemeint ist, die südlich an das Ufer und nördlich an die Reede grenzte 167 ), Mithin ist das ganze tiefe Gewässer der Bucht als Reede bezeichnet worden. Das beweist aber nicht, daß es überall als Ankerplatz diente, In keinem Falle kann angenommen werden - alle sonstigen Quellen über die Reede schließen es aus - , daß die ankernden Schiffe sich nach Belieben auf der ganzen Mitte der Bucht bis zur Harkenbeck hin verteilten. Sondern zu dieser Reede gehörte auch das Fahrwasser und die Außenreede, die jenseit der Majorlinie begann. Man kannte eben keine Reedegrenze im gebietsrechtlichen Sinne, sondern nur eine praktische Grenze, die Majorlinie. Unzulässig ist es ferner, aus der Art, wie man in diesem Streit den Fischereivergleich von 1610 auszulegen sich bemühte, Rückschlüsse auf die Verhältnisse zu machen, die zur Entstehungszeit des Vergleiches obwalteten. Denn die Akten lehren ja, daß man über den Sinn des Vergleiches sehr verschiedener Meinung war. Für die Zeit um 1610 wissen wir, abgesehen von der Lage der nautischen Reede, nur das eine, daß Lübeck bei Gelegenheit des Fischreusenstreites von 1616 die ganze Bucht Reede nannte, und zwar auch das flache Gewässer vor Rosenhagen, das für Reedezwecke unbrauchbar war.
Nun aber kann man sich eine Vorstellung davon machen, bis wieweit ans Ufer man in dem 1823 ausgebrochenen Prozesse das damals als Reede bezeichnete mittlere Buchtgewässer ungefähr rechnete 168 ). Die Schlutuper Fischer wollten nämlich den Vergleich von 1610 so auslegen, als ob die Travemünder dort, wo die Waden gezogen wurden, überhaupt nicht fischen dürften, sondern nur in der Mitte der Bucht. Diese Auslegung war unzutreffend und wurde auch hernach vom Oberappellationsgericht abgelehnt. Das Lübecker Obergericht aber, das in zweiter Instanz zu entscheiden hatte, machte sie sich zu eigen. Es sei die zwischen dem Ufer und der Reede gelegene Fischereistrecke Blockhaus - Harkenbeck in zwei Längsteile zu zerlegen, von denen der ans Ufer grenzende Teil seewärts bis dahin reichen sollte, wo die Wadenzüge anfingen, die
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ja aufs Ufer zuführten, dieser Teil sollte den Schlutupern freistehen, der andere, an die Reede grenzende Längsteil den Travemündern. Darauf aber erklärten die Travemünder, daß die Waden "an der Gränze des Fischgrundes, bis zu 4 oder 5 Faden Tiefe", ausgeworfen würden. In dem dahinter liegenden Bezirke, der ihnen zugewiesen sei, fänden sich keine Fische mehr, die nur bis zu 5 Faden Tiefe anzutreffen seien. Auch sei dieser Bezirk entweder der Travestrom außerhalb des Blockhauses (also das Fahrwasser) oder die Reede, wo sie nach dem Vergleich von 1610 gerade nicht fischen dürften 169 ). Indessen war diese Erklärung unrichtig. Daß der Fischgrund weiter seewärts reichte, ergibt sich schon aus einer Bestimmung des Vergleiches von 1826, der den ganzen Streit abschloß 170 ). Mit Recht entgegneten denn auch die Schlutuper, daß die Waden nicht an der Grenze des Fischgrundes ausgeworfen würden, sondern daß sich noch hinter der von den Waden durchzogenen Strecke Fische aufhielten. Es muß auch angenommen werden, daß das Obergericht sich über die Auswirkung seiner Entscheidung und über das, was man unter der Reede zu verstehen hatte, klar war. Da aber die Wadenzüge bei einer Tiefe von 4 bis 5 Faden (6,90 - 8,63 m) begannen, so ergibt sich für die Schlutuper eine Fischereistrecke, die sich in einer Breite von etwa 800 m an der mecklenburgischen Küste entlang zog, also bis nahe an die 10-m-Wasserlinie reichte (vgl. Beilage 5 b) 171 ). Dahinter, seewärts, sollte aber erst das Revier der Travemünder kommen und dann die Reede. Mithin kann das, was man hier Reede oder Außenreede nannte, nicht mehr weit in den mecklen-
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burgischen Buchtanteil übergegriffen haben. Es ist einfach die Verlängerung der eigentlichen nautischen Reede, wie wir sie oben festgestellt haben, nach der See zu. Eine Lübecker Gebietshoheit auf diesem Gewässer wird aber durch die bloße Bezeichnung Reede in keiner Weise dargetan.
Beiläufig sei noch aus den Akten über den Fischereistreit erwähnt, daß der Oberappellationsgerichtsrat Hach, der früher Lübecker Wetteherr gewesen war, zu Anfang seiner Relation den Tatort bezeichnete, indem er sagte, daß die Travemünder ihre Netze "ausserhalb der Trave zwischen der Rhede und dem Mecklenb. Ufer" ausgestellt hätten. Auch hieraus geht hervor, daß man die Travemünder Bucht nicht "Trave" nannte, wie Rörig es behauptet. "Außerhalb der Trave" bedeutet hier: in der See.
Zu besprechen bleiben noch zwei von Rörig benutzte Quellen, die in den Zusammenhang dieses Fischereistreites gehören, nämlich die Eingabe der Schlutuper Fischer vom November 1825 und die Bemerkungen des Navigationslehrers Sahn zu der Karte, die er 1823 über das strittige Fischereigebiet angefertigt hatte 172 ).
In der Eingabe von 1825 heißt es, daß man es für nötig halte, genau zu bestimmen, wo die sogenannte Wendseite (der größere Teil der strittigen Fischereistrecke) beginne. Schon ein Besichtigungsprotokoll vom 26. August 173 ) teile die ganze Strecke vom Blockhause bis zur Harkenbeck in zwei Teile, "wofür die Rhede den Abschnitt macht, von ihr an nämlich bis Harkenbeck, und wieder von ihr an bis zum Blockhause". Nun lasse sich aber nicht genau bestimmen, wo die Reede angehe. Die einzige vorhandene Bestimmung hierfür sei diese: Wenn man aus Travemünde ausfahre, so gewahre man bald zur linken Hand einen hohen Baum auf dem Süseler Felde, den "Major". Sobald dieser "auf die bezeichnete Art hinter das hohe Brodtener Ufer zu stehen kömmt, so ist man, nach der allgemeinen Annahme, auf der Rhede" Dieser Umstand bestimme denn auch den Anfangspunkt für die Wendseite, die von hier bis zur Harkenbeck reiche.
Wie ist dies zu verstehen? Nach Rörig so, daß die nautische Reede an der Majorlinie begonnen habe. Diese Deutung aber kann nicht zutreffen. Denn man hätte ja dann eine haarscharfe Grenze gehabt, also auch genau gewußt, von wo an die Reede zu rechnen sei. Und das wußte man gerade nicht: es wird ja ausdrücklich gesagt, daß sich der Anfang der Reede nicht genau bestimmen lasse.
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Dies aber kann nur so gemeint sein, daß schon ein Teil der Wasserfläche westlich von der Majorlinie, nach der Trave zu, zur Reede gehörte. Ferner steht Rörigs Auffassung in vollem Widerspruche zu dem Harmsenschen Bericht von 1828, den er durch eine unhaltbare Interpretation ausgeschaltet hat. Unmöglich konnte der Lotsenkommandeur die Reede da enden lassen, wo sie nach der allgemeinen Ansicht erst anfing. Da nun aber in der Eingabe der Schlutuper Fischer sich das Wort "Reede" offenbar auf die Außenreede mit bezieht, für diese gesamte Wasserfläche (Reede und Außenreede) aber keine Grenzen vorhanden waren, so nahm man als Fischereischeide die einzige bekannte und leicht feststellbare Reedelinie an, eben die Majorlinie, auf und vor der die Schiffe von den Lotsen verankert wurden. Befand man sich, von Travemünde kommend, auf dieser Linie, so war man bereits "auf der Rhede" und hatte schon eine Strecke der Reede hinter sich. An unseren Ermittelungen über den Ankerplatz wird durch die Eingabe der Fischer nichts geändert.
Sodann die Sahnsche Karte von 1823. Diese Karte ist verloren gegangen, doch hat sich der Begleittext dazu erhalten, den Rörig (III, Anl. 3) veröffentlicht Auf der Karte waren zwei Punkte, A und B, vermerkt, und Rörig (III, S. 84) stellt Erwägungen darüber an, wo der Punkt B gelegen habe, den Sahn als "Mitte der Rhede" bezeichnete. Nun aber sind in dem Begleittexte alle Bestimmungswinkel für die beiden Punkte angegeben, so daß man diese leicht auffinden kann. Unsere Beilagen 5 a und 5 b zeigen die Lage der Punkte auf der französischen Seekarte und der jüngsten Admiralitätskarte 174 ). Es ergibt sich daraus, daß der Punkt B nicht da liegt, wo Rörig ihn vermutet hat, nicht vor Rosenhagen und auch nicht weiter seewärts, sondern gerade weiter nach der Trave zu. Das hat aber gar nichts zu bedeuten. Denn "Mitte der Reede" kann hier nicht das heißen, was Rörig darunter versteht, nämlich: Mitte der nautischen Reede. Und zwar schon deswegen nicht, weil - wie Rörig für den Fall, daß der Punkt nach Travemünde zu gelegen habe, richtig gesehen zu haben scheint - ein solcher in der Mitte der nautischen Reede gelegener Punkt als Grenzpunkt keinen Zweck gehabt hätte. Es kommt nirgends ein Fischereibezirk bei Rörig vor, der bis zum Punkte B gereicht hätte, ganz abgesehen davon, daß dieser Punkt nicht auf
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der Fischereistrecke Blockhaus - Harkenbeck (Punkt A), sondern nördlich davon liegt. Zwar gelangt man, wenn man die Strecke Majorlinie - Punkt B um sich selbst verlängert, auf die Höhe von Rosenhagen. Aber nirgends wiederum wird gesagt, daß die Reede oder die Außenreede durch die Majorlinie und Rosenhagen begrenzt gewesen sei. Wie Rörig mitteilt, empfahl noch 1855 die vom Lübecker Lotsendepartement herausgegebene "Nachricht für Seefahrer" sogar den nachts eintreffenden Schiffen, auf 5 bis 6 Faden zu ankern 175 ), also weit vor dem Punkte B buchteinwärts. Die Mitte dieser Reede, die wir zum Teil schon als Außenreede ansehen, würde also viel näher bei Travemünde liegen als der Punkt B. Die Außenreede aber ging sicherlich ohne Grenze in die See über. Und es dürfte sich überhaupt ein Mittelpunkt weder für die Reede noch für die Außenreede noch für beide zusammen genau haben feststellen lassen.
"Mitte der Rhede" muß sowohl in dem Sahnschen Kartentext wie in dem Wetteprotokoll vom 26. August 1825 176 ), das sich auf die Karte bezieht, bedeuten: Mitte der Travemünder Bucht. Es wird in dem Wetteprotokoll, dessen Auszüge bei Rörig im übrigen teilweise unklar sind, gesagt, daß die strittige Wasserstrecke bis zur Harkenbeck gehe und von da in der Mitte der Reede nach Travemünde (d. h. nach dem Blockhause) zurückführe. Ferner bemerkt das Protokoll, daß in der Mitte der Reede sich keine Fische aufhielten. Beide Male kann mit "Reede" nur die Bucht gemeint sein. Es war verständlich, daß man nach Abfischung der Strecke bis zur Harkenbeck mitten durch die Bucht zurückkehrte, weil hier nicht gefischt wurde, man also niemand beim Fange in die Quere kommen konnte. Dagegen ist gar nicht einzusehen, warum man gerade durch die Mitte der nautischen Reede hätte zurückfahren sollen, die als Fischereigebiet noch in Betracht kam.
Die Richtung der Rückfahrt durch die Mitte der Bucht hat nun Sahn durch den Punkt B ausdrücken wollen, den man sich mit dem Blockhause verbunden denken muß. Festzustellen ist, daß Sahn die französische Seekarte zugrunde gelegt hat 177 ). Auf ihr liegt der Punkt B anders als auf der Admiralitätskarte, weil Rosenhagen,
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durch das der Punkt mit bestimmt wird, auf der französischen Karte unrichtig eingetragen ist. Das hat Sahn aber nicht bemerkt 178 ). Um zu ermitteln, wie er den Punkt B gefunden hat, muß man also unsere Beilage 5 a zur Hand nehmen, die den Punkt auf der französischen Karte wiedergibt. Da lehrt schon fast der Augenschein, daß der Punkt auf der Mittellinie der Bucht liegt. sieht man nämlich die Harkenbeckmündung als Ende der Bucht an, wie es ja in Lübeck geschah, und legt von der Mündung aus eine Tangente ans Brodtener Höved, so wird durch diese das Buchtgebiet nach der See zu abgeschlossen. Wenn man dann zu der Tangente unendlich viele Parallelen quer über die Bucht von Ufer zu Ufer zieht und die Mittelpunkte der Parallelen miteinander verbindet, so ist diese Verbindungslinie, die keine gerade Linie sein würde, die Mittellinie der Travemünder Bucht. Nun aber ist der Punkt B auf der Beilage 5 a fast haargenau der Mittelpunkt einer Parallele zur Tangente Harkenbeckmündung - Brodtener Höved, Linien, die man ja auf der Beilage konstruieren kann. Die winzige, kaum wahrnehmbare Abweichung hat gar nichts zu bedeuten und erklärt sich auch leicht 179 ). Der Punkt B hat auf der Sahnschen Karte zweifellos auf der Mittellinie liegen sollen. Warum nun Sahn gerade diesen Punkt der Mittellinie angenommen hat, wird sich kaum feststellen lassen, es kommt auch nicht darauf an. Mit der nautischen Reede kann der Punkt nichts zu tun haben. Viel interessanter ist der Punkt A, den wir noch besprechen werden. -
Was erfahren wir nun aus der späteren Zeit über die nautische Reede?
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Wie wir bereits erwähnt haben, wurde in der von Rörig angezogenen "Nachricht für Seefahrer" von 1855 den Schiffen, die nachts nicht eingebracht werden könnten, empfohlen, in 5 bis 6 Faden Wasser zu ankern. Selbst wenn die Kapitäne sich damals nach dem großen preußisch-dänischen oder dem englischen Faden richteten, so hatten sie bei 6 Faden 11,30 oder 10,97 m Tiefe. Damit kommt man immer noch nicht auf die Höhe von Rosenhagen, wo ja auch - laut dem Segelhandbuche von 1878 - der Ankergrund weniger gut ist 180 ). In § 4 der Lübeckischen Hafen- und Revier-Ordnungen von 1893 und 1904 181 ) heißt es, daß Schiffe bei heftigem Sturm, wenn ein gewisses Zeichen an der Signalstange der Windbake gegeben werde, nicht auf den Travemünder Hafen zusteuern dürften, sondern "auf der Rhede in 10 bis 12 Meter (5 bis 6 Faden) Wassertiefe ankern oder in See halten" müßten. Hier findet sich also zuerst der Faden auf 2 m berechnet, eine Abrundung, die aus der Zeit des Überganges zum Metermaße herrührt und dem großen preußisch-dänischen Faden (1,883 m) einigermaßen nahe kommt 182 ). Im übrigen aber handelt es sich hier ja nur um ein vorläufiges Ankern, und die Angabe der Ankertiefe von 5 bis 6 Faden bedeutet, ebenso wie in der "Nachricht" von 1855, nur einen Ratschlag, läßt aber keinen Schluß auf eine Gebietshoheit über die betreffende Wasserfläche zu. Sonst müßte man ja auch aus der Anweisung: "oder in See halten" denselben Schluß in Hinsicht auf das offene Meer ziehen dürfen. Reeden finden sich vor den Häfen vieler Städte, ohne daß diese je das Eigentum an dem Reedegewässer hätten beanspruchen können.
In dem Segelhandbuche für die Ostsee von 1878 wird gesagt, daß der gute Ankergrund (Schlick und Ton), der sich vor Travemünde bei 17 m Tiefe finde, in der Nähe der Ansegelungstonnen bei 10 und 12 m Tiefe wieder vorherrschend werde. Hier sei die Reede für Schiffe, die leichtern wollten 183 ). Allerdings lagen damals die Ansegelungstonnen von den 10 - 12-m-Tiefen noch weit ab; die Admiralitätskarte von 1873 verzeichnet die äußersten
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Tonnen seewärts, die auch in dem Segelhandbuche erwähnt werden, gar nicht weit hinter der 6-m-Tiefenlinie. Auch findet sich Schlick und Ton noch in der inneren Bucht