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III.

Die Hoheits-
und Fischereirechte
in der Travemünder Bucht.

 

Rechtsgutachten

des

Universitätsprofessors Dr. Julius v. Gierke=Göttingen.

 

Vignette
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Inhalt.


Einleitung  29-30
A. Grundlagen für die Entscheidung im allgemeinen  31-40
I. Die von Lübeck in Anspruch genommenen Gewässer  31
II. Die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung  31-40
B. Allgemeine Prüfung der etwaigen besonderen Grundlagen bei dem vorliegenden Streitfall  41-45
C. Die Ausübung von Hoheitsrechten an dem "streitigen Küstengewässer"  46-111
I. Die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor Ausbildung des modernen Völkrerrechts im Allgemeinen - Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer  46-66
II. Die Abgrenzung des gesamten, von Lübeck in Anspruch genommenen Küstengewässers  67-74
III. Lübecker Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer?  74-102
IV. Mecklenburger Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer 102-110
V. Gewohnheitsrecht und Unvordenklichkeit 110-111
D. Entscheidung 112
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Einleitung

I.

Der vorliegende Rechtsstreit zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin ist bei dem Staatsgerichtshof für das deutsche Reich anhängig. Lübeck hat beantragt, festzustellen, daß

  1. dem lübeckischen Staate auf dem bezeichneten Gewässerteil die Gebietshoheit zusteht, daß darüber hinaus
  2. dieser Gewässerteil lübeckisches Eigengewässer (in dem Sinne von öffentlichen Binnengewässern) ist,
  3. daß dem lübeckischen Staat auf diesem Gewässer das ausschließliche Fischereirecht zusteht,
  4. daß die Regierung des Landes Mecklenburg keinerlei Rechte an diesem Gewässer zu beanspruchen hat.

Es ist vorweg zu bemerken, daß für den Antrag unter 3 dem Staatsgerichtshof die volle Zuständigkeit fehlt, und daß der Antrag 4 in dieser Hinsicht nicht einwandfrei gefaßt ist. Nach Art. 19 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 entscheidet der Staatsgerichtshof "über Streitigkeiten nicht privatrechtlicher Art zwischen verschiedenen Ländern". Infolgedessen kann er nicht eine Entscheidung dahin treffen, daß dem lübeckischen Staat auf den Gewässern das "ausschließliche Fischereirecht" zusteht, denkbar ist nur eine Entscheidung über die Fischereihoheit. Entsprechend kann bei dem Antrage unter 4 nicht einfach von "Rechten", sondern nur von Hoheitsrechten die Rede sein.

In dem folgenden Gutachten werde ich mich daher nur mit den nicht privatrechtlichen Ansprüchen, d. h. mit den Hoheitsrechten in bezug auf die Travemünder Bucht beschäftigen.

II.

Die Gutachten anderer Sachverständiger, welche von mir bei meinem Gutachten benutzt worden sind, sind folgende - wobei ich gleich die Abkürzungen, die ich im folgenden benutzen werde, einfüge:

  1. Das erste Gutachten des Professors Dr. Rörig, Kiel: "Hoheits- und Fischereirechte in der Lübecker Bucht, insbesondere auf der Travemünder Reede und in der Niendorfer Wiek", Lübeck 1923 = Rörig I.
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  1. Das zweite Gutachten des Professors Dr. Rörig, Kiel:"Mecklenburgisches Küstengewässer und Travemünder Reede". Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde Bd. XXII Heft 2. Lübeck 1924 (von mir nach den Seiten des Zeitschriftenbandes zitiert) = Rörig II.
  2. Das erste Gegengutachten des Geheimen und Hauptarchivs zu Schwerin vom 31. August 1923 nebst Nachtrag vom 12. Oktober 1923 = Archiv I.
  3. Das Rechtsgutachten des Staatsministers Dr. Langfeld vom 5. Februar 1925 = Langfeld I *).

Nachdem ich längere Zeit mit der Ausarbeitung meines Gutachtens beschäftigt war, sind mir noch folgende Gutachten zugegangen:

  1. Ein zweites Gutachten des Geheimen und Hauptarchivs: "Das vormalige Küstengewässer (Strand) und die Rechtsverhältnisse in der Travemünder Bucht" = Archiv II *).
  2. Eine gutachtliche Gegenäußerung zu zwei Mecklenburger Gutachten von Prof. Dr. Rörig, Kiel = Rörig III.
  3. Ein zweites Gutachten des Staatsministers Dr. Langfeld vom 15. August 1925 = Langfeld II 1 )*).

 


 

*) Anm. des Hrsg.: Es sind gedruckt das Gutachten Langfeld I oben S. 1-14, das Gutachten Langfeld II oben S. 15-24, das Gutachten Archiv II im Jahrbuch 89, S. 1-228. Auf diese Drucke beziehen sich die betreffenden Seitenzahlen in den Noten.

 



1) Dagegen konnte mir ein Gutachten Rehms, das Rörig wiederholt zitiert, nicht zugänglich gemacht werden. Vgl. Anm. 4.
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A.

Grundlagen für die Entscheidung im allgemeinen.

I.

Die von Lübeck in Anspruch genommenen Gewässer.

Das von Lübeck in Anspruch genommene Gewässer ist ein Teil der Lübecker Bucht. Letztere ist eine Ausbuchtung der Ostsee als deren Uferstaaten Mecklenburg-Schwerin, Lübeck, Oldenburg und Preußen in Betracht kommen. Die Ufergrenze der Lübecker Bucht, an welcher die Länder Mecklenburg und Lübeck zusammenstoßen, befindet sich am Priwall, einer zu Lübeck gehörigen Landzunge, die von der Ostsee und dem Travefluß gebildet wird. Der Teil der Lübecker Bucht, den Lübeck in Anspruch nimmt, ist ein der Travemündung vorgelagerter Ausschnitt, dessen Grenzen folgende sein sollen: im Westen und Süden die lübeckische und mecklenburgische Küste bis zur Mündung der Harkenbeck, im Osten eine von der Harkenbeck auf die Pohnstorfer Mühle und den Turm auf dem Gömnitzer Berg in Holstein gezogene Linie, im Norden eine von dieser Linie senkrecht auf den Brodtener Pfahl (Grenze zwischen Lübeck und Oldenburg) gezogene Linie. Lübeck bezeichnet diesen Ausschnitt als "Travemünder Reede im weiteren Sinne".

Hiernach ist festzustellen, daß Lübeck für einen Teil des Meeres, der die deutsche Küste bespült, die Gebietshoheit in Anspruch nimmt, und daß dieser Meeresteil zu einem großen Teil unmittelbar der Mecklenburger Küste vorgelagert ist, nämlich an der Strecke Priwall-Harkenbeck.

II.

Die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung.

M. E. sind bislang die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung in den vorliegenden Gutachten noch nicht mit der erforderlichen Vollständigkeit herausgestellt worden. Durchaus ab-

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zulehnen ist die Art, wie Rörig in seinen beiden ersten Gutachten an die Lösung der Frage herantritt, wenigstens greift er in der allgemeinen Formulierung der rechtlichen Grundlagen völlig fehl. Diese Formulierung geht aber dahin: "Über die Rechtsverhältnisse der Lübecker Bucht entscheidet nicht Völkerrecht, sondern örtliches, zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht" 2 ). "An der Tatsache, daß für die schwebenden Fragen wirklich zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht zu gelten hat, darüber kann es keinen Zweifel mehr geben" 3 ). Wie unrichtig und verwirrend es ist, solche Sätze als Ausgangspunkt der Betrachtung aufzustellen, dürften folgende Erwägungen ergeben. Zunächst ist das, was Rörig "zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht" nennt, gleichfalls "Völkerrecht", es ist das sog. partikuläre Völkerrecht. Es ist ferner durchaus unzulässig, sich bei einem Rechtsgutachten in der Weise von vornherein festzulegen, daß hier ein örtliches Gewohnheitsrecht gelten muß 4 ). Wie ist es denn, wenn es nicht gelingt, ein solches Gewohnheitsrecht nachzuweisen? Es bedarf doch erst einer Untersuchung, ob sich wirklich ein örtliches Gewohnheitsrecht entwickelt hat, und dabei wären die Voraussetzungen des Gewohnheitsrechtes nachzuprüfen. Schließlich ist hier gar nicht berücksichtigt, daß doch auch andere Momente eine Abweichung vom allgemeinen Völkerrecht herbeiführen können, wie eine besondere vertragliche Grundlage oder eine einseitige Einräumung von Rechten (Privilegien) oder eine Rechtsgewinnung kraft Un-


2) Rörig I, S. 5.
3) Rörig II, S. 217.
4) Rörig sagt, er hätte gefunden, daß die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze "versagen". In seinem Gutachten hat er sie aber gar nicht nachgeprüft. Rörig beruft sich ferner darauf, daß der Staatsrechtslehrer Rehm sich seiner Auffassung mit allem Hochdruck angeschlossen habe. Es ist befremdlich, daß hier einfach eine Ansicht vorgeführt wird, ohne daß der Gegenpartei irgendwie die Möglichkeit gegeben wird, ihre Begründung nachzuprüfen. Rörig beruft sich schließlich auf eine Bemerkung Schückings in seinem "Staatsrecht des Großherzogtums Oldenburg" S. 349: "Eine völkerrechtliche Abgrenzung der zum Fürstentum Lübeck gehörenden Teile der Ostsee hat niemals stattgefunden: über diese Frage wird also das Gewohnheitsrecht zu entscheiden haben." Es ist schwer verständlich, wie diese kurze Bemerkung in einem Grundriß, welche offensichtlich nicht genau gefaßt ist, zum grundlegenden Ausgangspunkt einer speziellen Untersuchung gewählt werden kann. Gelegentlich macht Rörig auch geltend, daß die Rechtsprechung der letzten 12 Jahre sich auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage vollzogen habe. Dies ist angesichts der fortgesetzten Streitigkeiten zwischen Lübeck und Mecklenburg in den letzten Jahren eine sehr kühne Behauptung.
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verdenklichkeit 5 ) Dagegen wird in dem ersten Gutachten Langfelds richtig gekennzeichnet, daß an sich die allgemeinen völkerrechtlichen Normen gelten, und die etwaigen besonderen Grundlagen von Lübeck zu beweisen seien. Allein es wird in diesem Gutachten dem nicht richtig Rechnung getragen, daß wir bei der völkerrechtlichen Beurteilung der Küstengewässer zunächst von der Stellung des Deutschen Reiches auszugehen und erst dann auf die Rechtsbeziehungen der Länder überzugehen haben. Und es ist mißverständlich, wenn es daselbst heißt, daß etwaige Ausübungsakte der von Lübeck beanspruchten Hoheit aus der Zeit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts unbeachtet bleiben müßten, "weil sie durch die zum Durchbruch gekommene, auf dem allgemeinen Grundsatze über die Freiheit der Meere beruhende neue Rechtsentwicklung erledigt worden seien" 6 ). Vielmehr muß auch alles vor dem Ende des 17. Jahrhunderts liegende bewertet werden, insoweit es sich in der späteren Zeit fortsetzen konnte und fortgesetzt hat, ohne zwingenden völkerrechtlichen Grundsätzen zu widersprechen. Daß seine Ausführungen auch nur in diesem Sinne zu verstehen sind, hat Langfeld in seinem zweiten Gutachten klargestellt 7 ).

Nach meiner Ansicht wird man in bezug auf die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung am besten zu trennen haben: die allgemeinen Grundlagen einerseits und die etwa möglichen besonderen Grundlagen andererseits.

a) Die allgemeinen Grundlagen.

Es handelt sich bei der Lübecker Bucht, insbesondere bei der angeblichen Travemünder Reede, um einen Teil des Meeres, welcher die Küsten des Deutschen Reiches und die Küsten mehrerer deutscher Länder bespült. Entsprechend dem bundesstaatlichen


5) An anderen Stellen kommt Rörig hierauf zu sprechen (S. Rörig I, S. 44 ff.). - In seinem dritten Gutachten hat dann Rörig auf Grund des Gutachtens von Langfeld I seine früheren allgemeinen Formulierungen zurückgenommen und unterscheidet partikuläres und allgemeines Völkerrecht, wobei letzteres als subsidiares Recht in Betracht käme. Doch hat er sich auch hier von der alten, irrigen Vorstellung nicht ganz frei gemacht, insbesondere fehlt ihm auch hier die Erkenntnis, welche Voraussetzungen für ein wahres, anerkanntes Gewohnheitsrecht nachgewiesen werden müssen.
6) Vgl. die Bemerkungen Rörigs in seinem dritten Gutachtengegenüber dem Gutachten von Langfeld.
7) Es ist also statt "weil" "insoweit" zu lesen.
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Charakter des Deutschen Reiches ist daher in bezug auf die Hoheitsrechte über diese Fläche zwischen dem Deutschen Reich und den einzelnen Ländern - wir begnügen uns mit Lübeck und Mecklenburg - zu unterscheiden 8 ).

α) Das Deutsche Reich.

Die Hoheitsrechte des Deutschen Reiches über die es bespülenden Meeresteile bestimmen sich nach den Regeln des Völkerrechts, wobei zu beachten ist, daß das Reichsgebiet sich zwar aus den Gebieten der deutschen Länder zusammensetzt, aber dem Ausland gegenüber als ein einheitliches Gebiet bewertet werden muß (Art. 4 und Art. 2 der neuen RV.). Nach modernem Völkerrecht sind aber in bezug auf die einen staatbespülenden Meere zu unterscheiden die Eigengewässer (die nationalen Gewässer im engeren Sinn), die Küstengewässer (la mer territoriale) und das offene Meer. Der Unterschied beruht darauf, daß die Eigengewässer zum Staatsgebiet gehören, die Küstengewässer nicht zum Staatsgebiet gehören, aber einer beschränkten Gebietshoheit unterworfen sind, das offene Meer schließlich auch von einer solchen beschränkten Gebietshoheit frei ist. Die Grenzziehung zwischen diesen drei Gruppen ist streitig. Was die Küstengewässer 9 ) anlangt, so ist bekannt, daß in der neueren Gesetzgebung Deutschlands und anderer Staaten sowie in verschiedenen neueren Verträgen die Entfernung vielfach auf drei Seemeilen bestimmt wird, diese aber vom niedrigsten Wasserstande der Tiefebbe gerechnet. Dies ist insbesondere auch in dem von den Nordseestaaten geschlossenen Vertrage betreffend die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee vom 6 Mai 1882 geschehen. Allein diese Berechnungsweise ist keineswegs allgemein anerkannt, und gerade im 20. Jahrhundert ist die Grenze vielfach sehr viel weiter, insbesondere durch einseitige Staaten präzis hinausgeschoben worden 10 ). Im Anschluß an die historische Entwicklung müßte die Grenze soweit herausgerückt werden, als


8) Die Literatur läßt durchgehends diese wichtige Unterscheidung vermissen, obschon ihre große praktische Bedeutung bei Buchten, an welche mehrere Länder grenzen, auf der Hand liegt. Siehe weiter im Text.
9) Vgl. v. Lißt "Völkerrecht" 11. Aufl., § 9 V und die dort angeführte Literatur: ferner neuerdings v. Lißt-Fleischmann "Völkerrecht" 12. Aufl., S. 142 ff.
10) Siehe v. Lißt-Fleischmann "Völkerrecht" 12. Aufl., S. 143.
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der Uferstaat seine tatsächliche Herrschaft auszuüben und seine Interessen zu sichern vermag 11 ). Was die Eigengewässer anlangt. So braucht hier nur auf ihre Abgrenzung von den Küstengewässern eingegangen zu werden, wie sie sich bei den Baien und Buchten darstellt. Baien und Buchten sind in ihrem inneren, von den Ufern aus noch vollständig beherrschten Teile Eigengewässer des Uferstaates, hieran schließen sich die Küstengewässer, an sie die offene See. Die Abgrenzung dieses inneren Teiles pflegt man so vorzunehmen, daß man sich von Küste zu Küste eine gerade Linie in solcher Breite der Bucht gezogen denkt, daß der Mittelpunkt der Linie durch die auf beiden Seiten errichteten Strandbatterien noch erreicht wird 12 ). In der Staatenpraxis (Deutschland, Frankreich) hat man z. T. die Breite auf 10 Seemeilen festgelegt, weitergehende Ansprüche Englands sind nicht anerkannt worden.

Wenden wir diese Ergebnisse auf das Verhältnis des Deutschen Reiches zu der Lübecker Bucht an, so müssen wir folgendes feststellen:

Die Lübecker Bucht ist, jedenfalls zu ihrem größten Teil, insbesondere aber auch in dem hier interessierenden Teil, nach allgemeinem Völkerrecht ein Eigenmeer des Deutschen Reiches. Unzweifelhaft nämlich kann der Anfang der ganzen Bucht von der Landseite an gerechnet auf weite Strecken hinaus in seiner Breite von den beiden Uferbuchtseiten aus vom Deutschen Reich durch Strandbatterien beherrscht werden, ist übrigens auch nicht breiter als 10 Seemeilen.

β) Die einzelnen Länder: Lübeck und Mecklenburg.

Es kann keinem Zweifel unterliegen und es ist ein seit langer Zeit anerkannter Grundsatz, daß über die Grenzverhältnisse der deutschen Gliedstaaten an Grenzgewässern die Grundsätze des Völkerrechts gelten. Treffend sagt das Reichsgericht in seinem Schiedsspruch zwischen Lübeck und Mecklenburg vom 21. Juni 1890:


11) Siehe Anm. 9. - Die Tragweite der Strandbatterien, auf welche die "Drei-Seemeilen-Zone" zurückgeht, beträgt heute ein Mehrfaches jener Entfernung.
12) Hierzu und zu dem Folgenden siehe v. Lißt "Völkerrecht", 11. Aufl., § 9 V, 3, und v. Lißt-Fleischmann "Völkerrecht" 12. Aufl., S. 146/147.
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"Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auch auf das Verhältnis der Gliedstaaten des Deutschen Bundes beziehungsweise Reiches untereinander unterliegt keinem begründeten Bedenken. Denn schon im alten Deutschen Reiche trennten sich seit Ausbildung der Landeshoheit die einzelnen Glieder von einander als verschiedene, wenn auch in mancher Hinsicht unselbständige Staatspersönlichkeiten mit besonderen Gebieten, und diese Eigenschaft haben sie niemals wieder eingebüßt, vielmehr ist ihre Selbständigkeit zeitweise - während des Bestehens des Deutschen Bundes - eine wesentlich erhöhte gewesen und zum Teil bis jetzt geblieben.. . . Es würde an jeder Regel für die Abgrenzung dieser Gebiete fehlen, wenn man nicht die vorstehenden Grundsätze auch auf sie für anwendbar erachten wollte. Dieser Anwendung stehen weder äußere noch innere Gründe entgegen."

Bei dem Schiedsspruch des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890 handelte es sich um Binnengewässer. Es ist aber selbstverständlich, daß genau dasselbe auch für Meeresgrenzgewässer zu gelten hat. Und ebenso unzweifelhaft ist es, daß an alledem durch die neue Reichsverfassung vom 11. August 1919 nichts geändert ist. Zwar ist die Selbständigkeit der "Länder" gegenüber früher zugunsten des Reiches beschränkt worden, aber immer noch sind die Länder Gliedstaaten mit eigener Gebietshoheit (vgl. Art. 2 der RV.).

Somit entscheiden über die Abgrenzung der Hoheitsrechte der an der Lübecker Bucht gelegenen Länder über die Lübecker Bucht ebenfalls zunächst die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere ist die Abgrenzung zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin hiernach vorzunehmen. Hier erhebt sich aber die Frage, ob für die Abgrenzung die völkerrechtlichen Regeln für Eigengewässer, die von mehreren Staaten umgeben sind, zur Anwendung kommen, oder ob wir die Normen für die Abgrenzung von Küstengewässern zur Geltung zu abringen haben. Wir sahen nämlich, daß jedenfalls ein großer Teil der Lübecker Bucht als Eigengewässer des Deutschen Reiches in Betracht kommt, und es liegt nun der Gedanke nahe, daß es auch als Eigengewässer für die anliegenden Uferstaaten zu verteilen sei. Man könnte daran denken, daß insoweit die Rechtsverhältnisse am Bodensee, bei welchem von der herrschenden Lehre eine geteilte Herrschaft der Uferstaaten angenommen wird 13 ), entsprechend zur


13) Über die Rechtsverhältnisse am Bodensee vgl. die Angaben bei v. Lißt "Völkerrecht" § 9 Anm. 7 und v. Lißt-Fleischmann "Völkerrecht" 12. Aufl., S. 139 Anm. 6. Von manchen wurde ein Kondominat angenommen. Die Praxis des Weltkrieges hat für geteilte Herrschaft entschieden
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Anwendung zu bringen seien. Allein diese Analogie muß deshalb abgelehnt .werden, weil es sich bei der Lübecker Bucht nicht um ein vom Meer abgeschlossenes Gewässer handelt, und jeder einem einzelnen Staat zugeteilte Teil für sich allein betrachtet sich nicht als ein von diesem Staat für sich beherrschbares "Bucht"-Gewässer darstellen würde. Man muß daher bei der örtlichen Abgrenzung der Hoheitsrechte unter den der Lübecker Bucht anliegenden deutschen Ländern nicht von einer Betonung ihres Charakters als Gliedstaaten ausgehen, sondern gerade umgekehrt sie als Staaten werten, und eine Abgrenzung unter ihnen nach den Regeln für solche Meeresgewässer vornehmen, welche für sie vom Standpunkt ihrer Selbständigkeit aus allein in Betracht kommen können - das aber sind die Regeln über Küstengewässer 14 ).

Nach anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen werden Küstengewässer unter mehreren, an ihnen nebeneinanderliegenden Staaten derart abgegrenzt, daß an der Ufergrenze der beiden Staaten eine Linie in die See in der Weise gezogen wird, daß jeder Punkt dieser Linie von dem Ufer der beiden Staaten gleich weit entfernt ist 15 ). Es kann also kein Uferstaat eine Hoheit über einen Meeresteil in Anspruch nehmen, welcher dem anderen Uferstaat in der angegebenen Grenze vorgelagert ist. Diese völkerrechtlichen Grundsätze ergeben sich aus der Natur der Sache. Denn das Küstengewässer dient als Schutzstreifen für den Uferstaat, und jede fremde Vorlagerung in dem Rahmen dieses Schutzstreifens greift auf das empfindlichste in die Sicherheit des Uferstaates ein. Hieran kann grundsätzlich auch nichts ändern, wenn die Uferstaaten als Gliedstaaten eines zusammengesetzten Staates in Betracht kommen, denn eine unbedingte Garantie ist nicht dafür gegeben, daß der Gesamtstaat nicht vorübergehend oder dauernd zusammenbricht.

Wenden wir die so gefundenen allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze auf das Verhältnis von Lübeck und Mecklenburg-Schwerin hinsichtlich der Lübecker Bucht und auf das von Lübeck in Anspruch genommene Gewässer an, so ergibt sich folgendes:


14) Insoweit die Lübecker Bucht Eigengewässer des deutschen Reiches ist, kommt sie daher als "Reichsgebiet" in Betracht, obschon sie sich auf das Gebiet eines einzelnen Landes nicht stützt. Doch ist diese interessante, bisher nicht beachtete Tatsache hier nicht weiter zu verfolgen.
15) Vgl. Langfeld, S. 4 und 5 und die dort Zitierten.
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Nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen ist der Anspruch Lübecks auf ein Hoheitsrecht insoweit völlig unbegründet, als er den der mecklenburgischen Küste vorgelagerten Meeresteil (Priwall-Harkenbeck) - jenseits einer an der Grenze der beiden Staaten am Ufer in die See hinein gezogenen, von den Ufern beider Staaten gleich weit entfernten Linie - umfaßt 16 ).

b) Die etwa möglichen, besonderen Grundlagen.

Die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze sind nicht unbedingt maßgebend, vielmehr können sie, insoweit sie nicht zwingender Natur sind, im einzelnen Falle beiseite geschoben sein. Nun sind die Abgrenzungen der Hoheitsrechte über Küstengewässer unter benachbarten Staaten der richtigen Ansicht nach nicht zwingender Natur; es handelt sich nicht um "unveräußerliche" Rechte eines Staates, die nicht in den Besitz eines anderen Staates kommen könnten. Denn nach herrschender Lehre kann die Gebietshoheit, wie die Staatsgewalt überhaupt, durch die zugunsten anderer Staaten übernommenen oder auferlegten dauernden Verpflichtungen beschränkt sein 17 ). Infolgedessen kann auch die "beschränkte Gebietshoheit", wie sie am Küstengewässer besteht 18 ),zugunsten eines benachbarten Uferstaates eingeengt sein. Diese Einengung aber wäre an sich auf verschiedener Grundlage möglich. Denkbar wäre:

α) Eine Einschränkung kraft partikulären Gewohnheitsrechts. Es müßte also nachgewiesen werden, daß eine erweiterte Hoheit von einem Staat andauernd ausgeübt worden ist, und zwar in der Weise, daß bei allen Beteiligten


16) Wir begnügen uns hier mit dieser allgemeinen Feststellung, ohne auf die Unterscheidungen Lübecks in seinen drei Anträgen einzugehen.
17) Vgl. v. Lißt "Völkerrecht" 11. Aufl., § 8 III 3, und v. Lißt-Fleischmann "Völkerrecht" 12. Aufl., S. 129, und die zahlreiche daselbst angeführte Literatur.
18) Auf die bekannte Streitfrage, ob dem Uferstaat die "Souveränität" über die Küstengewässer zusteht, braucht hier nicht eingegangen zu werden, da die verschiedenen Ansichten im wesentlichen zu denselben Ergebnissen kommen. Vgl. v. Lißt a. a. O., § 9 Anm. 9.
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die Überzeugung vorhanden war, daß hiermit geltendes Recht verwirklicht werde 19 ).

β) Eine Einschränkung kraft besonderen Rechtstitels. Als solcher könnte ein besonderer Vertrag zwischen den Uferstaaten in Betracht kommen, oder eine mehr einseitige Verleihung (Privileg) eines hierzu Legitimierten. Denkbar wäre auch ein Erwerb kraft Okkupation zu einer Zeit, wo die Gebietshoheit am Küstenmeer noch nicht anerkannt war 20 ).

γ) Eine Einschränkung kraft Unvordenklichkeit 21 ). Zur Unvordenklichkeit aber gehört eine seit unvordenklicher Zeit andauernde Ausübung der erweiterten Hoheit als Rechtsausübung. Hier ist der Nachweis eines Titels nicht erforderlich, noch weniger der Nachweis der Rechtsüberzeugung einer Gemeinschaft, für die sie als objektives Recht in Betracht kommen soll.

Zu beachten wäre dabei noch zweierlei: Einmal muß den Staat, welcher sich auf die erweiterte Hoheit beruft, die Beweislast treffen, und dabei werden an die Beweisführung besonders strenge Anforderungen zu stellen sein, weil es sich um einen anormalen Eingriff in die Hoheitsrechte eines anderen Staates handelt. Sodann ist zu bemerken, daß die Einschränkung


19) Die Erfordernisse des Gewohnheitsrechts, welche nach herrschender Lehre nötig sind, dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Daß partikuläres Gewohnheitsrecht dem allgemeinen Völkerrecht vorgeht, ist herrschende Lehre.
20) Daß diese besonderen Rechtstitel nach völkerrechtlichen Grundsätzen dem allgemeinen Völkerrecht vorgehen, dürfte unbestreitbar sein.
21) Ob im Völkerrecht die Unvordenklichkeit als Grundlage für einen Rechtserwerb in Betracht kommt, ist streitig. M. E. ist die Frage unbedingt zu bejahen. Besonders energisch hat sich für die Bejahung das Reichsgericht in dem Schiedsspruch zwischen Lübeck und Mecklenburg vom 21. Juni 1890 ausgesprochen: "Der Besitz ist nicht nur an sich bei Grenzstreitigkeiten, auch zwischen benachbarten Staaten, bei unaufgeklärtem Rechtszustande der wesentlichste Faktor zur Feststellung der wirklichen Grenze . . . ., sondern er begründet, sofern er als langdauernder die Eigenschaft der Unvordenklichkeit erlangt hat, die Vermutung für die Rechtmäßigkeit des durch ihn dokumentierten Zustandes, welche durch den Nachweis nicht entkräftet wird, daß zu einer vorangegangenen Zeit der entgegengesetzte Zustand dem Rechte entsprochen habe. Um so zweifelloser erscheint die Befestigung eines bestimmten, wiewohl für sich zweifelhaften Erwerbstitels (das Reichsgericht meint hiermit das Barbarossaprivileg von 1188) durch unvordenklichen Besitz." Siehe die Literaturangabe in der Entscheidung des Reichsgerichts. Vgl. auch O. v. Gierke "Deutsches Privatrecht" I, S. 317 Anm. 41. - Unbestritten ist, daß im Völkerrecht die Verjährung nicht Platz greift.
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sich auf alle am Küstengewässer möglichen Hoheitsrechte oder nur auf einige von ihnen beziehen kann.

Auf unseren zur Entscheidung stehenden Fall angewendet, würde sich hieraus folgendes ergeben:

Lübeck müßte nachweisen, daß ihm kraft einer der oben angegebenen, besonderen Grundlagen das staatliche Hoheitsrecht (oder eines der staatlichen Hoheitsrechte) an Küstengewässern an der der mecklenburgischen Küste Priwall-Harkenbeck vorgelagerten Meeresstrecke anstelle von Mecklenburg zusteht.

Von dem Ausfall dieses Beweises wird dann der weitere Gang der Untersuchung abhängen. Wir wollen im folgenden das an sich Mecklenburg zukommende Küstengewässer Priwall-Harkenbeck mit "streitigem Küstengewässer" bezeichnen.

 


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B.

Allgemeine Prüfung der etwaigen Grundlagen bei dem vorliegenden Streitfall.

1. Es ist zunächst unbestritten, daß ein besonderer Vertrag zwischen Lübeck und Mecklenburg über die Hoheit an dem streitigen Küstengewässer nicht abgeschlossen worden ist. Lübeck kann daher den Beweis einer besonderen vertraglichen Grundlage nicht erbringen.

2. Was die einseitige Verleihung seitens eines hierzu Legitimierten (Privileg) anlangt, so wird in den Gutachten von Rörig der Versuch gemacht, das sog. Barbarossaprivileg von 1188 in gewisser Weise zugunsten Lübecks heranzuziehen. Allein dieser Versuch muß als völlig fehlgeschlagen bezeichnet werden, und die von Rörig vertretene Ansicht ist ganz unhaltbar. Wir sehen ganz davon ab, daß nach neueren Forschungen sich das Privileg von 1188 als eine Fälschung darstellt 22 ).

Die Stelle der Urkunde, um die es sich handelt, lautet so:

"Insuber licebit ipsis civibus et eorum piscatoribus piscari per omnia a supradicta illa Odislo usque in mare preter septa comitis Adolfi, sicut tempore ducis Heinrici facere consueverunt."

In seinem ersten Gutachten hatte Rörig zu dieser Stelle erklärt 23 ): "Der Ausdruck ,bis ins Meer' läßt nach dem festzustellenden Sprachgebrauch kaum einen Zweifel, daß wirklich ein Stück Meeres mit einbegriffen sein soll." In der Anmerkung hierzu


22) Vgl. hierüber Archiv I, S. 16 ff. und Archiv II unter II, S. 90 ff.
23) Rörig I, S. 23.
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fährt er dann wörtlich fort: "In dem bekannten Reichsgerichtsurteil von 1890 werden die Worte "usque in mare" mit "bis ins Meer" wiedergegeben, also auch eine Ausdehnung bis über die eigentliche Mündung hinaus angenommen." Dieser Sprachgebrauch werde auch noch durch einen Vergleich mit dem Freibrief Friedrichs II. von 1226 bestätigt, da hier für die Kennzeichnung" bis zur Mündung" der Ausdruck "usque ad mare" gebraucht werde. An einer späteren Stelle seines ersten Gutachtens sagt dann Rörig wörtlich 24 ): "In der Tat ließe sich aus dem Privileg Friedrichs I. die Übertragung des Fischereiregals ,usque in mare' folgern; nachweisen nicht." - Auf verschiedene Einwendungen des Mecklenburgischen Geheimen und. Hauptarchivs hin sucht Rörig in seinem zweiten Gutachten 25 ) die Stelle des Barbarossaprivilegs insbesondere mit dem Privileg für Rostock von 1256 in Parallele zu setzen, in dem es heißt: "a ponte aquatico . . . usque Warnemunde necnon extra portum in marinis fluctibus eo tanto dotamus beneficio piscature, quantum pre intemperie aeris audeant attemptare." Er meint, daß das angesehene Lübeck doch nicht hatte schlechter dastehen sollen als das jüngere und bescheidenere Rostock. Daher ergebe das Barbarossaprivileg eine Fischereigerechtigkeit Lübecks auf dem Meere (Reedegebiet); darüber hinaus sei aber als wirklicher Rechtszustand auch ein weitergehendes Hoheitsrecht auf Grund späterer Zeugnisse bereits damals anzunehmen. Im übrigen sei Lübeck gar nicht das Fischereiregal auf dem Meere "übertragen" worden, sondern es handele sich nur um die Anerkennung eines von Lübeck kraft eigenen Rechts erworbenen Fischereihoheitsrechts am Meere. Diese letzten Bemerkungen Rörigs erklären sich aus seiner absonderlichen Meinung, auf welche später zurückzukommen ist, daß nämlich ein Regal am Küstengewässer nicht bestanden habe, dieses vielmehr als völlig herrenlos der freien Okkupation offengestanden habe. Wir sehen daher hier 25 ) von einer Widerlegung ab und begnügen uns mit der Feststellung, daß Rörig in seinem ersten Gutachten erklärt hat, daß man aus dem Barbarossaprivileg eine Übertragung des Fischereiregals über Stücke des Meeres folgern könne, und daß Lübeck in einem Schreiben an Mecklenburg vom 12. Juni 1616 die Zugehörigkeit des "Travestromb mit dem Port und der Reide"


24) Rörig I 49, siehe auch S. 68.
25) Rörig II, 238 f.
25) Siehe unten C.
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zu Lübeck auf "kayserliche und königliche Privilegien" stützt, wobei nach Rörig die "Reide" das ganze, jetzt von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer umfassen soll 27 ). Es ist daher nötig, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das Barbarossaprivileg eine Verleihung von Hoheitsrechten über das Meer enthält.

Diese Frage ist voll und ganz zu verneinen. Die Deutung, die Rörig den Worten "usque in mare" gibt, ist unhaltbar. Die Worte können hier nur bedeuten "bis zum Meere". Und zwar aus folgenden Gründen: Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Ausdruck "usque in mare" in zahllosen Urkunden der damaligen Zeit, und zwar auch in Urkunden der kaiserlichen Kanzlei, in dem Sinn "bis zum Meere" gebraucht wird 28 ).Würden die Worte bedeuten, daß die Fischerei "bis in das Meer hinein" übertragen werden sollte, so wäre damit ein abgegrenzter Meeresteil nicht gegeben. Es ist aber alsdann ausgeschlossen, daß die Urkunde sich derart ausgedrückt hätte, wie es geschehen ist. Man würde nämlich niemals an eine Verleihung einer beliebig weit ausgedehnten Fischerei im Meere die Ausnahme der ganz oberhalb in der Trave gelegenen Lachswehr angeknüpft haben, da dies völlig einer anschaulichen Darlegung widersprechen würde 29 ). - Weiter ergibt der Bericht des gleichzeitigen Chronisten Arnold, daß Lübeck nur Hoheitsrechte "a mari usque


27) Vgl. Rörig I S. 23 ff.
28) Vgl. Archiv I S. 17 ff.; vor allem Archiv II S. 93 ff. und S. 218 ff. Anlage IV. - siehe ferner noch z. B. die Urkunde von 1264 (Meckl. Urkb. II 122 S. 331): Verkauf eines Zolles, welchen der Fürst v. M. hatte "in flumine Stobenitz usque in Traviam", d. h. auf dem Flusse St. vor seinem Eingang in die Trave. - Sehr belehrend sind auch die Verleihungsurkunden für den Kieler Hafen, welche ich hier zusammenstelle:
a) Urkunde von 1334: "totum plenum et liberum portum ab amne dicta Levoldesouwe usque Bulkehovede . . . cum omni libertate et dominio . . . dimisisse et donasse" (1390 bestätigt).
b) Urkunde von 1461: "gewe wii - de Killer vorde vrii to ewigen tiiden mid alleme genete wente in de apenbaren zee beide siiden mit dem vorstrande".
c) Urkunde von 1661: "Die Kieler Vöhrde mit allem Geniehs bis in die offenbare See mit den Vorständen an beeden Seiten bihs Bülck und Wisch-hovet eigenthümlich besitzen und geniehsen secundum Privil. v. 1334. 1390 und 1461".
Die Urkunden sind abgedruckt in den "Mitteilungen für Kieler Stadtgeschichte" Heft 23 S. 163 ff. - Man ersieht aus ihnen, daß hier auch der deutsche Ausdruck "bis in die See" bedeutet "bis zur See".
29) Vgl. unten Anm. 32.
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Thodeslo" erhalten hat 30 ). - Was aber die Gegenüberstellung des Barbarossaprivilegs und der Verleihungsurkunde für Rostock von 1256 anlangt 31 ), so verfährt Rörig hierbei und bei der anschließenden Betrachtung ganz ungenau. Zunächst läßt er beidem Barbarossaprivileg die Ausnahme von der Lachswehr des Grafen Adolfs ganz fort, obschon ihr durchaus entscheidende Bedeutung zukommt 32 ). Sodann wird bei der anschließenden Betrachtung bei dem Rostocker Privileg aus den Worten "in marinis fluctibus" plötzlich ein "usque (!) in marinis fluctibus" gemacht 33 ). In Wirklichkeit ergibt eine unbefangene Betrachtung gerade mit größter Deutlichkeit, daß Rostock eben ein Fischereirecht im Meere erhält, Lübeck aber nicht. - Aufs Schärfste zurückzuweisen ist schließlich noch die Behauptung Rörigs, daß das Reichsgerichtsurteil von 1890 eine Ausdehnung der Hoheitsrechte Lübecks bis über die eigentliche Mündung hinaus auf Grund des Barbarossaprivilegs angenommen habe. Das Reichsgericht übersetzt zwar die Worte "usque in mare" mit "bis ins Meer", es versteht darunter aber, wie seine Ausführungen unzweifelhaft zeigen, "bis zur Mündung ins Meer" 34 ). An manchen stellendes Urteils ist dies auch mit dürren Worten ausgesprochen; so schließt sich z. B. das Reichsgericht der Ansicht von Lübeck an, daß es sich "um die Einverleibung des Traveflusses, soweit dessen Wasser bei höchstem Wasserstande reicht, von der Mündung bis zur Brücke bei Oldesloe" handele, und es spricht von einer "Verleihung der Herrschaft über den Travestrom in der weitesten Ausdehnung seiner Wasserfläche bis zur Mündung" 35 )


30) Vgl. hierzu auch die Entscheidung des RG. von 1890, ferner Archiv I, S. 18. und Archiv II, a. a. O.
31) Siehe oben S. 42.
32) Man stelle sich einmal vor, daß bei der Verleihung an Rostock Fischwehren auf der Warnow ausgenommen worden waren, so würde dies doch niemals unmittelbar an die Verleihung der beliebig weit ausgedehnten Meeresfischerei angeschlossen sein!
33) Hierdurch wird in einer gänzlich unzulässigen Weise eine Parallele zu dem "usque in mare des Barbarossaprivilegs hervorgezaubert.
34) Der Ausdruck "bis ins Meer", "bis in die See" kann auch heute sehr gut in diesem Sinne verwendet werden. Darüber, daß dies in früherer Zeit geschah, siehe oben Anm. 28.
35) Wenn Rörig in seinem zweiten Gutachten (Rörig II S. 236) sagt, daß er früher darauf verwiesen habe, daß das Reichsgerichtsurteil von 1890 die Worte des Privilegs von 1188 mit "bis ins Meer" wiedergäbe, so wird hiermit nicht der Kern der Sache getroffen. Denn Rörig hat in seinem ersten Gutachten (Rörig I S. 23 Anm. 41) sich auf die Autorität des Reichsgerichts dafür berufen, daß nach dem Barbarossaprivileg eine Ausdehnung über die eigentliche Mündung anzunehmen sei. Das Reichsgericht hat aber gerade das Gegenteil ausgesprochen. Siehe auch Archiv II unter Anm. 181. - Rörig scheint inzwischen die Unhaltbarkeit verschiedener seiner Behauptungen eingesehen zu haben. In seinem dritten Gutachten (Rörig III Exkurs c wird daher etwas ganz Neues behauptet: Lübeck soll vor 1256 eine Aufzeichnung unbekannten Charakters (!) besessen haben, in der die knappen Worte des Barbarossaprivilegs in breiterer Form wiedergegeben waren, die vor allem Worte wie "quantum pre intemperie aeris audeant attemptare" enthalten hätten (!). Mit demselben Rechte könnte Rörig sagen, daß Lübeck eine Aufzeichnung unbekannten Charakters besessen hatte, in dem ihm die angebliche Travemünder Reede zugesprochen wäre! In dieser Weise lassen sich doch die Dinge nicht erledigen.
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Lübeck kann daher den Beweis, daß für es eine besondere Grundlage kraft eines Privilegs gegeben sei, nicht erbringen.

3. Die Frage, ob Lübeck als besondere Grundlage ein Gewohnheitsrecht nachweisen kann, setzt eine Untersuchung über die tatsächliche Ausübung von Hoheitsrechten im Laufe der Geschichte voraus. Gleiches ist aber auch bei der Frage der Unvordenklichkeit der Fall. Daher kann die Untersuchung in bezug auf beide Fragen zunächst auf weite Strecken zusammengehen. Dementsprechend wollen wir in einem besonderen Abschnitt: Die Ausübung von Hoheitsrechten an dem streitigen Küstengewässer im Laufe der geschichtlichen Entwicklung betrachten. Dabei wird es aber unumgänglich nötig sein:

a) eine allgemeinere Betrachtung über die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor der Ausbildung des modernen Völkerrechts und allgemeine Folgerungen hieraus für das streitige Küstengewässer voranzustellen. Denn in den Gutachten Rörigs werden in dieser Hinsicht ganz sonderliche Ansichten vertreten.

b) Und ferner eine Prüfung vorzunehmen, auf welchen Fundamenten eigentlich die Abgrenzung des gesamten von Lübeck beanspruchten Küstengewässers (der von ihm sog. Travemünder Reede) beruht.

4. Wir haben oben als eine mögliche, besondere Grundlage für die Ansprüche Lübecks auch den Erwerb kraft Okkupation in einer Zeit, wo eine Gebietshoheit über Küstengewässer noch nicht anerkannt war, angeführt. Diese Frage kann ihre Erledigung erst finden, nachdem die Rechtsverhältnisse an den Küstengewässern in früherer Zeit klargestellt worden sind (oben 3 a).

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C.

Die Ausübung von Hoheitsrechten an dem streitigen Küstengewässer.

I.

 

Die Rechtsverhältnisse an Küstengewässern vor Ausbildung des modernen Völkerrechts im allgemeinen. - Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer.

Rörig geht in seinen Gutachten von der Vorstellung aus, daß im Mittelalter vor Ausbildung des völkerrechtlichen Begriffs des Küstengewässers die Wasserflächen an den deutschen Küsten des Meeres "offenes Meer" gewesen seien und noch keiner Verfügungsgewalt des Uferstaates unterlegen hätten 36 ). Aus diesem allgemeinen Satz werden dann von ihm wichtige Folgerungen für das im Streit befangene Küstengewässer gezogen.

Das Mecklenburger Staatsarchiv ist der Auffassung Rörigs mit aller Entschiedenheit entgegengetreten und verficht den Standpunkt, daß bereits im Mittelalter ein Hoheitsrecht des Uferstaates an seinen Gewässern an der Küste (Küstengewässern) bestanden und sich in verschiedenen Ausstrahlungen geäußert habe.

Nach meiner Ansicht kann kein Zweifel sein, daß Rörig in einem schweren rechtshistorischen Irrtum befangen ist.


36) Rörig I S. 6 in bezug auf holsteinsche Küste. Rörig nimmt dies aber auch grundsätzlich für alle anderen Küsten an. Vgl. insbesondere Rörig III. Allerdings erkennt er "Sonderbildungen" an. Vgl. unten S. 57.
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Es soll im folgenden nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden, die in der vorliegenden Frage vorgebracht worden sind. Wir wollen uns darauf beschränken, einige markante Belege für die richtige Ansicht aneinander zu reihen und das Ergebnis festzulegen und gegen Einwendungen Rörigs zu verteidigen (unter I). Alsdann sollen allgemeine Folgerungen hieraus für das streitige Küstengewässer gezogen werden (unter II).

I. Wenden wir uns zunächst der Besprechung einiger wichtiger Belege zu, so wollen wir dabei so verfahren, daß wir die an die Lübecker Bucht angrenzenden Gebiete an den Schluß stellen, da sich die für sie maßgebenden Quellen am sichersten und besten nach Kenntnis der Quellen anderer Gebiete verstehen lassen.

1. Ostpreußen und Westpreußen (Pommerellen).

Ein helles Licht auf die Rechtsverhältnisse am Küstengewässer wirft das Privileg Kaiser Friedrichs II. von 1226 (Preuß. Urkb. I 1. Nr. 56), durch welches er dem Hochmeister des Deutschen Ordens die Landeshoheit verlieh. In diesem lesen wir:

"Concedentes et confirmantes eidem magistro et domni sue - . . . totamterram, quam in partibus Prussiae - conquiret velut vetus et debitum jus imperii in montibus - fluminibus . . . et in mari."

Es kann daher gar keine Frage sein, daß hiermit der Orden auch die Landeshoheit über das dem Binnenlande Preußens vorgelagerten Meere, also über das Küstengewässer der Ostsee, erhielt. Das Küstengewässer untersteht der königlichen Verfügungsgewalt und die Hoheit über es wird als Regal übertragen 37 .

Im Anschluß hieran wurde alsdann vom Deutschen Orden und den Bischöfen von Samland und Ermland ein Fischereiregal in bezug auf die Küstengewässer der Ostsee, soweit sie ihre Länder bespülten, ausgebildet und gehandhabt 38 ).

Man vergleiche hierfür insbesondere:

Die Handfeste des Bischofs Siegfried von Pomesanien für die Stadt Schönwik (Fischhausen) von 1290 und deren Erneuerung


37) Vgl. v. Brünneck, "Zur Geschichte des altpreußischen Jagd- und Fischereirechtes" in der Zeitschrift d. Savignystiftung f. Rechtsgeschichte (germ. Abt.) Bd. XXXIX, S. 120.
38) v. Brünneck, a. a. O. S. 120 ff. - Es ist m. E. nicht erforderlich, für die Ausbildung des Regals auf das benachbarte Pommerellen überzugreifen.
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von 1305 39 ), in welcher es heißt, daß ihren Einwohnern übertragen sei "perpetuam libertatem piscandi in recenti mari" (d. h. dem Haff) und dann fortgefahren wird:

"Poterunt insuper . . . cives in perpetuum libere, cum voluerint in salso mari piscari."

In der Erklärung des Landmeisters Helwig von Goldbach über das Fischereirecht der Predigermönche in Elbing von 1302 40 ) lesen wir ferner:

"Quod idem prior et conventus . . . in recenti mari cum una sagena et in salso mari similiter cum una . . . libere piscandi, sicut dicta maria ad domum Elbingensem pertinent, habeant facultatem."

Im Jahre 1342 41 ) verlieh der Hochmeister Ludwig König den Fischern der Stadt Danzig die Berechtigung neben und mit den Leuten des Klosters Oliva 42 ), im Meere zu fischen, außerdem bestimmt er:

"In salso mari unam liberam navium habebunt peromne nostrum dominium pro captura allecum et piscium quorumcunque."

D. h. sie erhalten ein Schiff frei von Abgaben für den Fischfang im salzigen Meere in dem ganzen Herrschaftsgebiet des Ordens, d. h. in seinen Küstengewässern (man kann auch übersetzen "an unserm ganzen Herrschaftsgebiet entlang") 43 ).

Schon etwas früher sind uns Privilegien der Herzöge von Pommerellen überliefert, aus denen sich ergibt, daß diese ein Fischereiregal über ihre Küstengewässer ausübten.

Die älteste Urkunde ist das Privileg des Herzogs Suantepolk für das Kloster Sarnowitz von 1275 44 ), in welcher es heißt:

"Insuder addimus eis liberam potestatem in salso mari piscandi rumbos, esoces vel alios quoscunque pisces . . . stationes eciam que sunt vel haberi poterunt in terminis ipsorum . . . cum omni jure et proventus allecis de navibus


39) Urkundenbuch für das Bistum Samland, Nr. 191 und 208.
40) Codex Dipl. Warm. I, Nr. 231.
41) Codex Dipl. Pomm. III, Nr. 291.
42) Über Oliva vgl. noch unten Anm. 46.
43) "Dominium" bedeutet im Mittelalter "Herrschaft", und zwar sowohl das "Herrschaftsgebiet" wie das "Herrschaftsrecht". Vgl. z. B. R. Schroeder in seinem Gutachten in dem Kieler Hafenprozeß (Mitt. d. Gesellschaft f. Kieler Stadtgeschichte, Heft 23, S. 38 ff.). In der Urkunde von 1342 kann es nur "Herrschaftsgebiet" bedeuten.
44) Codex Dipl. Pomm. I, Nr. 288.
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in eisdem stationibus allec capientibus . . . conferimus et donamus."

v. Brünneck 45 ) hat diese Stelle etwas freier so wiedergegeben:

"Der Herzog gewährte danach den Nonnen des Klosters . . . die Freiheit und die Gerechtsame, im salzigen Meere Schollen (Flundern), Hechte und sonstige Fische jeder Art zu fangen, auch innerhalb näher bezeichneter Grenzen den Heringsfang zu betreiben und in der See an geeigneten Stellen Einrichtungen und Anstalten zu haben und noch künftig anzulegen, welche das Fangen der Heringe ermöglichten und erleichterten."

Auch aus anderen Privilegien der Herzöge von Pommerellen erhellt das Fischereiregal am Küstengewässer 46 ).

2. Pommern.

Die älteste Urkunde, welche uns in der hier interessierenden Frage über die Küste des Festlandes Pommerns Auskunft gibt, ist die Gründungsurkunde der deutschen Stadt Kolberg von 1255. Wir schließen an sie sogleich die Besprechung zweier späterer Privilegien für Kolberg an.

Das Gründungsprivileg von 1255 47 ) ist von zwei Herrschern erteilt, dem Bischof von Kammin Hermann und dem Herzog von Pommern Wratislaw III. Zu dieser Zeit gehörte beiden das "Land" Kolberg, indem der östliche Teil dem Bischof, der westliche dem Herzog zustand. Die Stadt Kolberg aber wurde in der Weise gegründet, daß zwar ihr Grundstock im östlichen Gebiet lag, sie aber auch Berechtigungen im westlichen Teil und Gerechtsame, die beiden Herrschern gemeinsam waren, erhielt. In diesem Privileg heißt es nun:

"Piscationem quoque in fluvio Persanta et salsi maris, in quantum attingere possunt, liberam donavimus civitati sepe dicte."

Dies bedeutet: "Auch verleihen wir der genannten Stadt die freie Fischerei in dem Persantefluß und in dem Salzmeere, so weit sie zu reichen vermögen." Hiernach wird den Kolbergern die freie


45) a. a. O. S. 122.
46) Vgl. das Privileg f. d. Kloster Belbuck von 1281 (Pommersches Urkundenbuch II 1224), die Bestätigung von 1291 für Oliva und Sarnowitz (a. a. O. III Nr. 1598). Der hier interessierende Wortlaut ist angeführt Archiv II S. 213. - Über Oliva vgl. noch v. Brünneck, a. a. O. S. 122.
47) Pommersches Urkundenbuch II, 606.
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Meeresfischerei verliehen, soweit sie sie betreiben können 48 ) also zu beiden Seiten des Ausflusses der Persante ohne bestimmtere Angabe.

Das Privileg ergibt also mit voller Sicherheit ein Fischereiregal der beiden Herrscher an ihren Küstengewässern.

Einen weiteren Einblick in dieses Regal erhalten wir alsdann durch die Privilegien für Kolberg von 1266 und 1286. Das Privileg von 1266 49 ) rührt von Barnim I., dem Erben Wratislaw III. in bezug auf den östlichen Teil des Landes Kolberg 50 ) her. In ihm wird nun unter anderem die freie Küstenfischerei der Stadt festgelegt auf die Meeresgewässer längs des Stadtgebietes, insoweit sie zur Landesherrschaft Barnims gehören:

"ut . . . ubicumque in salso mari, in quantum se eiusdem civitatis termini iuxta mare salsum in agris et campis extendunt . . . ut prescriptum est, allecia libere et absque cuiuslibet thelonei solucione capere valeant in locis predictis, quantum ad nostrem pertinent dominationem."

Wir sehen hier deutlich, wie die Küstengewässer zur Herrschaft des Uferstaates gehören, denn nur in bezug auf seine Küstengewässer erläßt der Herzog seine Verfügung. Gleichzeitig erkennen wir, daß man die Wasserflächen selbst als zur Landesherrschaft gehörig betrachtete. Die Urkunde von 1266 ist auch deshalb wichtig, weil sie uns die normale Abgabe vom Fischfang mitteilt:

"decem et octo denariorum de remo et unius masse allecium de navi," d. h. 18 Pfennige vom Ruder und eine "massa" Heringe vom Schiff," und diese Fischfangabgabe mit "theloneum" bezeichnet wird, das also von dem Zoll im engeren Sinne scharf zu unterscheiden ist 51 ).

In dem Privileg von 1286 52 ) gibt der Herzog vom Pommern Bogislav IV. der Stadt Kolberg die Freiheit des Fischfanges im Meere von der Stadt Kolberg an bis zur Swine an jedem Ort,


48) In einem zurzeit noch schwebenden Prozeß ist streitig geworden, worauf sich die Worte "in quantum attingere possunt" beziehen. M. E. kann kein Zweifel sein, daß sie allein auf die Meeresfischerei gemünzt sind, denn für die Flußfischerei sind sie ganz unpassend (vgl. auch das Privileg für Rostock von 1252 unten S. 54).
49) Pommersches Urkundenbuch II, 794; Archiv II, S. 211 unter 3.
50) Wratislav III. starb 1264.
51) Vgl. auch Archiv II, S. 26.
52) Pommersches Urkundenbuch II, 1372, abgedruckt Archiv II, S. 211 unter 4.
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der zu seinem Herrschaftsbereich gehört. Der Fischfang wird auf Zugnetze und "Sommernetze" begrenzt und hiermit deutlich als Küstenfischerei gekennzeichnet:

"quod in salso sive in magno mari cum retibus strictis et hiis que somernette vocantur a dicta civitate Colberch usque ad Zwinam in omniloco ubinostrum est piscandi diversi et omnis generis pisces habebunt perpetuam libertatem."

Der Zusatz "in omni loco ubi nostrum est" 53 ) ist offenbar deshalb gewählt, weil dem Herzog von Pommern im Jahre 1286 der westliche Teil des Landes Kolberg nicht mehr gehörte, da dieser im Jahre 1276 von Barnim I. an den Bischof von Kammin übertragen worden war 54 ). Das gesamte Küstengewässer längs des Stadtgebietes Kolbergs gehörte zu dieser Zeit also dem Bischof von Kammin, und das Privileg schlug rechtlich nur durch in bezug auf das Küstengewässer von der westlichen Grenze des Kolberger Stadtgebietes bis zur Swine. - Wichtig an dem Privileg ist noch, daß der Herzog in ihm von Befehlen an alle seine Hauptleute, Vögte, Untervögte, Beamte und Einwohner spricht, daß diese die Gerechtsame der Kolberger nicht beeinträchtigen. Es besteht also eine landesherrliche Aufsicht über die Küstengewässer.

Von Barnim I. von Pommern, dessen Privileg für Kolberg von 1266 wir kennen gelernt haben, rührt auch das Privileg von 1274 ) 55 )für die Stadt Kammin her. In diesem wird ganz entsprechend dem Kolberger Privileg den Bürgern von Kammin für die Fischerei im Meere an der Küste des Landes Kammin Abgabenfreiheit gewährt ("in salso mari . . . quantum ad terram Camynensem pertinet . . ." "ab omni solucione, que nobis vel nostris debetur, ea libera iudicamus").

Sehr häufig sind auch Privilegien, welche Klöstern und Ortschaften abgabenfreie Schiffe beim Schollen- oder Heringsfang in den Küstengewässern des privilegierenden Landesherrn gewähren.

So gibt Barnim I. von Pommern im Jahre 1265 56 ) dem Kloster Dargun ein abgabenfreies Schiff zum Schollenfang "in


53) In dem Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs werden diese Worte übersetzt: "überall, wo es (d. h. die Fischereigerechtigkeit) ihm (als dem Landesherrn) zustehe." Mir scheint im Hinblick auf die sonstigen Privilegien es wichtiger, sie auf das Herrschaftsgebiet zu beziehen.
54) Pommersches Urkundenbuch II, 1044.
55) a. a. O. II, 981; abgedruckt Archiv II, S. 212 unter 6.
56) a. a. O. II, 775; abgedruckt Archiv II, S. 210 unter 2.
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mari salso terre nostre dominio adiancenti" 57 ) wobei die gewöhnlichen Fischfangabgaben mit "pensio", "theoloneo", "exactio" bezeichnet werden. - So gibt der Bischof Hermann von Kammin dem Nonnenkloster bei der Altstadt Kolberg im Jahre 1278 ein abgabenfreies Schiff für den Heringsfang "in terminis nostris" 58 ) oder, wie es in einer anderen Urkunde heißt, "infra terminos Colberg et Coslin" 59 ).

Wir erwähnen ferner noch die weitgehenden Privilegien an das Jungfrauenkloster zu Cöslin von 1278 und 1279 60 ), in denen ein abgabenfreies Schiff für den Heringsfang und die Freiheit gewährt wird, "cum sagena (d. h. dem Schleppnetz) in salso mari pisces in nostris terminis capiendi".

Schließlich wird die Zugehörigkeit des Meeres zur Landesherrschaft auch durch das Privileg an die Stadt Treptow an der Rega von 1309 61 ) bewiesen. Hier erhält die Stadt den Fluß Rega mit allem Nutzen sowohl aufwärts wie abwärts, aber darüber hinaus noch bis auf eine Meile in die Ostsee:

"Dedimus ipsum flumen Reghe liberum cum omni usu ex eo flumine provenienti ac suis navibus ascendendo et descendendo usque ad spatium miliaris unius in ipsum mare salsum."

3. Rügen.

Was Rügen betrifft, so ergeben Quellen des 13 Jahrhunderts, daß dem Landesherrn das Küstengewässer daselbst gehörte 62 ). Dies wird durch das Rügische Landrecht bestätigt 63 ).

Es ist der "Außenstrand" um Rügen, der "große Strand". Er umfaßt Land und Wasser, "in" welchem die Fischerei betrieben wurde. Er untersteht den Amtleuten, "alle bröke und undat, so up angetagenen stranden upme lande und water von den vischern


57) Die Worte sind zu übersetzen "in dem Salzmeere, das unserer Landesherrschaft zugehört". Siehe Archiv II, S. 25.
58) a. a. O. II, 1101, abgedruckt Archiv II, S. 212 unter 7.
59) a. a. O. II, 1109.
60) a. a. O. II, 1197, 1147.
61) a. a. O. IV, 2547.
62) Es gehören hierher insbesondere die Urkunden von 1225 (Meckl. Urkb. I, 312, siehe Archiv II, S. 15) und von 1249 (Fabrizius, "Urkunden zur Gesch. des Fürstentums Rügen" II, S. 29, siehe Archiv II, S. 209).
63) Vgl. zu Folgendem Archiv II, S. 16 ff.
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edder sonsten geschuet, dat strafen und richten fürstlicher gnaden amptleude". Im einzelnen ist auf die eingehenden und überzeugenden Ausführungen des Mecklenburger Archivs zu verweisen. Hervorgehoben sei hier nur, wie sich der intensive Zusammenhang zwischen Strand im engeren Sinn (trockener Strand und dem von ihm aus beherrschbaren und nutzbaren Teil des Meeres (Küstengewässer) darin äußert, daß auch das letztere mit unter den weiteren Begriff des Strandes einbezogen wurde.

4. Schleswig.

Bedeutungsvoll ist die Urkunde von 1326 64 ) in welcher uns die Belehnung des Grafen Gerhard mit dem Herzogtum Schleswig durch Waldemar überliefert ist. Die Belohnung erfolgt:

"cum omnibus regalibus ac aliis, cum dominio utili et directo, mari, aquis, portubus."

Wir haben hier eine Parallele zu dem Privileg für den Deutschen Orden von 1226 65 ). Es ist kein Zweifel: das Meer steht unter der Herrschaft des Landesherrn!

Dem entspricht es auch, daß von den Herrschern Schleswigs Privilegien in bezug auf Meeresgewässer an der Küste verliehen werden. So wird im Jahre 1480 der Stadt Schleswig von König Christian I. in bezug auf die Schlei privilegiert 66 ). Sie erhält alle Nutzungsrechte an dem Fluß von der Stadt an "an beyden Syden des Landes, wenthe an dat gemeyne Meer offte solte See enen Wecke Sees buthen Schlyes Muende".

Es wird hier nicht nur die Fischerei, sondern auch die sonstige Nutzung an einem Teil des offenen Meeres verliehen 67 ), ganz ähnlich, wie wir es bei Treptow an der Rega kennengelernt haben 68 ) 69 ).

5. Mecklenburg.

Für Mecklenburg kommen vor allem die Privilegien für Rostock als unzweifelhafte Belege in Betracht. In dem Privileg


64) Schleswig-Holsteinsche Regesten und Urkunden III, 590.
65) Siehe oben 1.
66) Corpus Statutorum Slesvicensium II, S. 52.
67) Vgl. dazu auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Kiel vom 8. November 1904 in bezug auf den Kieler Hafen in den Mitt. d. Gesellschaft f. Kieler Stadtgesch., Heft 23, S. 304.
68) Oben unter 2 am Ende.
69) Vgl. auch das Privileg des dänischen Königs Erich Menved für Ripen v. 1292 (Schlesw.-Holsteinsche Urk. I, 42; hier wird der Stadt Ripen die Gerichtsbarkeit über ein Stück des Wattenmeeres im Anschluß an die Verleihung des Vorstrandes übertragen).
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von 1252 70 ) wird die Fischerei auf der Warnow und Meeresfischerei verliehen:

"Et sic per alveum fluminis Warnowe usque Warnemunde nec non extra portum in marinis fluctibus eos tanto dotamus beneficio piscature, quantum perinteperie aeris et corporias audeant attemptare."

Für die Meeresfischerei werden also keine bestimmten Grenzen angegeben, wie wir dies auch bei der Gründung Kolbergs kennen gelernt haben 71 ). Aber die Parallele geht noch weiter, indem in dem Privileg für Rostock von 1323 diese Meeresfischerei auf die Küste des Rostocker Stadtgebietes begrenzt wird ("in marinis fluctibus inter Zarnestrom et Diderikeshagen") 72 ).

Als ferner im Jahre 1358 73 ) Rostock die volle Gerichtsbarkeit erhielt, wird sie ihm auch in bezug auf das Küstengewässer des Stadtgebietes zugesprochen:

"Tum intra eandem civitatem quam extra in terris et in mari circumquaque, prout in suis terminis . . . se extenduent."

Voll beweiskräftig ist ferner das Privileg für das Kloster Sonnenkamp von 1219 74 ), in welchem dieses Meeresfischerei an der Küste von Brunshaupten erhielt:

"in villa, que dicitur Bruneshovede, XXX mansos, et piscaturam dimidiam etiam juxta mare."

Es hat nichts Auffälliges, wenn hier von einer "halben Fischerei" die Rede ist; die Küstenfischerei kann zur Hälfte verliehen sein, indem die Hälfte einer Küstenstrecke oder die Hälfte von Fischzügen gemeint ist. Daß die piscatura . . . "iuxta" mare Küstenfischerei bedeutet, kann nicht zweifelhaft sein, wörtlich würde es mit Fischerei "an dem Meere entlang" zu übersetzen sein.

6. Holstein.

In bezug auf Holstein haben wir zwei Belege, die sich sogar auf die Lübecker Bucht selbst beziehen. Allerdings ist die Echtheit des einen Belegs streitig.


70) Mecklenb. Urkundenbuch II, 686.
71) Siehe oben unter 2.
72) Mecklenb. Urkundenbuch VII, 4224; vgl. hierzu das Privileg für Kolberg von 1266.
73) Mecklenb. Urkundbuch II, 1021; hierzu Archiv II, S. 12.
74) Mecklenb. Urkundenbuch I, 154; hierzu Archiv II, S. 13 f.
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In einer Urkunde für die Stadt Neustadt von 1293 oder 1318 wird dieser vom Grafen von Holstein das Privileg erteilt 75 ):

"ut aqua maris sit etiam libera inter villam Rockentin et Hollm, et nihilominus aqua inter distinctiones supernas nominatas (d. h. den Grenzen des Stadtgebietes) sit eisdem appropriata."

Hier wird also ein Stück des offenen Meeres der Lübecker Bucht durch den Landesherrn der Stadt zugeeignet 76 ).

Die Echtheit dieses Privilegs wird von manchen bestritten 77 ), aber von angesehenen Forschern bejaht 78 ). Bis zum Beweise des Gegenteils wird man es als echt ansehen müssen. Der Inhalt des Privilegs hat später zu Recht bestanden.

Das zweite Privileg ist von den Grafen von Holstein für die Lübecker Fischer im Jahre 1252 ausgestellt 79 ). In ihm heißt es:

"Quod per totum districtum dominii nostri apud maria piscatione libere frui debent, et cum navibus suis ubi eis utile visum fuerit, ad litus accedere et redia sua in terra apud littora siccare . . . debent."

Hiernach wird den Lübecker Fischern gewährt:

a) abgabenfreie Meeresfischerei in den Küstengewässern des ganzen Landes,
b) das Recht, an der Küste zu landen und ihre Netze auf dem Lande zu trocknen.

Die Worte "per totum districtum dominii nostri apud maria piscatione libere frui debent" wird man am besten übersetzen: "Sie dürfen längs dem ganzen Gebiet unserer Herrschaft an dem Meere entlang den Fischfang abgabenfrei betreiben" 80 ). Daß Fischereibetrieb im Küstengewässer verliehen


75) Schleswig-Holsteinsche Regesten und Urkunden II, 826.
76) Ebenso R. Schroeder in seinem Gutachten in dem Kieler Hafenprozeß (Mitt. d. Ges. f. Kieler Stadtgesch., Heft 23, S. 36), ferner Vollguardsen in seinem Gutachten (a. a. O. S. 78) und Carl Rodenberg ebenda, S. 358.
77) Vgl. das Urteil des Oberlandesgerichts Kiel im Kieler Hafenprozeß (a. a. O. S. 300).
78) Siehe die in Anm. 76 angeführten Schriftsteller.
79) Lübecker Urkundenbuch I, 179; vgl. zu folgendem Archiv II S. 23.
80) Man kann auch übersetzen "in dem ganzen Gebiet unserer Herrschaft an dem Meere entlang"; das Herrschaftsgebiet würde dann das Küstengewässer selbst sein. Vgl. Archiv II, S. 23.
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wird, ergibt sich deutlich aus den folgenden Gewährungen von Berechtigungen am Lande 81 ). Es kann daher keine Frage sein, daß den holsteinschen Landesherrn ein Hoheitsrecht an ihren Küstengewässern zustand, und zwar speziell ein Fischereiregal.

Diesen Belegen, welche die ganze Ostsee an der Küste Deutschlands umfassen, fügen wir hinzu, daß auch die bekannte Geschichte des Strandrechts ergibt, daß den Territorialherrn ein weitgehendes Hoheitsrecht nicht allein über den trockenen, sondern auch über den überfluteten Strand zustand, so daß wir auch in dieser Hinsicht ein Hoheitsrecht an den Küstengewässern feststellen können.

Als Gesamtergebnis können wir daher folgendes festlegen:

Im Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert, stehen die Küstengewässer der Ostsee von der samländischen Küste an bis zur schleswigschen Küste (diese mit eingeschlossen) unter der Hoheit des Landesherrn des Territoriums, das sie bespülen. Man kann von einem landesherrlichen Regal an den Küstengewässern des Meeres sprechen, indem wir Regal in dem bekannten weiten Sinn des Mittelalters nehmen, wonach es sowohl die Hoheits- wie die nutzbaren Rechte umfaßt. Es ist interessant, daß wir eine Urkunde haben, welche uns zeigt, daß dieses Regal auf ein ursprünglich vom deutschen König sich beigelegtes Hoheitsrecht zurückgeht; es ist dies die Verleihungsurkunde Friedrichs II. an den Deutschen Orden von 1226. Dieses Regal an den Küstengewässern bewirkt, daß die Küstengewässer von der Landesherrschaft mit umspannt werden, daß sie mit der Landesherrschaft zusammen übertragen und verliehen werden. Im übrigen zeigt dieses Regal sehr verschiedene Ausstrahlungen. Wir sehen vor allem, wie aus ihm ein Fischereiregal hervorwächst. Die Küstenherrn haben die Fischereihoheit, sie regeln die Art der Fischerei (bestimmte Netze), die Zeit der Fischerei, sie beaufsichtigen die Fischerei, sie beziehen grundsätzlich Abgaben für den Fischfang (theloneum, pensio, exactio u. a.). Sie verleihen Fischereinutzungsrechte, vergeben Fischereiprivilegien mit Abgabenfreiheit (piscatio libera, navis libera). Aber den Küstenherren steht auch die sonstige Nutzung der Küstengewässer zu, sie übertragen daher Teile des offenen Meeres an Städte zur


81) Über Rörigs Einwendungen siehe unten.
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allgemeinen Benutzung und zum freien Gebrauch (Treptow an der Rega, Schleswig, Neustadt). Die Küstenherren haben über die Küstengewässer eine Gerichtsbarkeit (Rügisches Landrecht), sie übertragen auch die Gerichtsbarkeit bei vergebenen Meeresstücken (Rostock 1358). Die Küstenherren haben an den Küstengewässern weitgehende Hoheits- und Nutzungsrechts kraft des Strandrechts.

Was die Abgrenzung des Küstengewässers von dem freien, offenen Meers anlangt, so läßt sich dafür eine allgemein gültige Formel für alle Küstenländer nicht aufstellen und ist auch wohl nicht aufgestellt worden. Man wird aber soviel sagen können, daß der Gedanke entscheidend war, daß das Küstengewässer jedenfalls soweit der Landesherrschaft zugehöre, als es vom Strande aus beherrschbar und nutzbar erschien.

So kann es für den rechtshistorisch geschulten Blick gar keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Regal am Küstengewässer mit der Vorläufer des modernen Hoheitsrechts am Küstengewässer ist, wie es das Völkerrecht ausgebildet hat. Es wäre ja auch geradezu wunderbar, wenn die völkerrechtliche Hoheit am Küstengewässer plötzlich aus dem Nichts hervorgezaubert wäre, ohne daß sich eine Anknüpfung an die Vergangenheit fände. Freilich haben Umfang und Inhalt des Hoheitsrechts mannigfache Wandlungen erfahren.

Rörig hat in seinen späteren Gutachten verschiedene Einwendungen gegen die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs erhoben, die in wesentlichen Punkten auch meine vorstehenden Ausführungen treffen.

Von allgemeinerer Art ist die Bemerkung, daß nicht der völkerrechtliche Begriff des Küstengewässers in die ältere rechtshistorische Untersuchung hineingetragen würden dürfe 82 ). Allein dies ist weder vom Mecklenburger Staatsarchiv, noch von mir geschehen. Wir verwenden die Bezeichnung "Küstengewässer" bei der rechtshistorischen Betrachtung der früheren Zeit für die Meeresgewässer an der Küste. Es sind die Meeresgewässer, welche den einzelnen Territorien vorgelagert sind, wobei wir aber nur Teile des wirklichen offenen Meeres mit in Betracht ziehen 83 ). Es handelt sich also lediglich um einen kurzen treffenden Ausdruck, der sich ohne weiteres aus einer Betrachtung und Wertung der mittelalter-


82) Vgl. Rörig II, S. 219.
83) Ich habe daher z. B. die Vergabungen von "Meeresteilen" an die Stadt Stralsund ausgeschieden.
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lichen Quellen ergibt. Die Rechtsverhältnisse dieser Küstengewässer untersuchen wir nur auf Grund der mittelalterlichen Quellen. Und erst alsdann stellen wir fest, daß wir hier Vorläufer des modernen völkerrechtlichen Küstengewässers vor uns haben.

Von allgemeinerer Art ist auch die Bemerkung über die von Rörig anerkannten "Sonderbildungen". Hierüber sagt Rörig 84 ):

"An sich nur Rechte am Strande und freies Meer; Sonderrechte an Meeresteilen - soweit sie nicht als Haffs usw. ohnehin als Binnengewässer behandelt werden - nur im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Schiffahrts- und Fischereibetriebe einzelner Städte am Unterlauf der Flüsse, rechtlich in Übertragung der Rechtsverhältnisse der größeren Binnengewässer unmittelbar hinter den Flußmündungen auf die für den Schiffahrtsbetrieb der Städte notwendige Wasserfläche vor ihnen."

Rörig will auf diese Weise die Rechtsverhältnisse von Rostock und Wismar erklären, er fügt neuerdings auch Kolberg und Schleswig hinzu. - Allein eine auch nur oberflächliche Betrachtung der von uns oben angeführten langen Kette von Belegen beweist, daß der von Rörig aufgestellte Satz ganz unrichtig ist. Es ist schlechterdings ausgeschlossen, hiermit die von uns vorgeführten Quellen erklären zu wollen. Diese Quellen ergeben nicht nur Rechte an "Meeresteilen" im Sinne Rörigs 85 ), sondern Rechte des Landesherrn an dem gesamten Meeresgewässer, das seiner Küste vorgelagert ist. Alle Zuweisungen von Rechten an diesen Meeresgewässern oder in bezug auf sie sind nur Ausschnitte aus dem allgemeinen landesherrlichen Recht am Küstengewässer. Und diese Zuweisungen von Berechtigungen erfolgen nicht bloß an Städte, sondern auch an Klöster, sie erfolgen nicht allein in Zusammenhang mit Flußmündungen, sie stehen vielfach in gar keinem Zusammenhang mit Binnengewässern. Und zahlreiche "Privilegierungen" an Städte oder sonstige Personen in bezug auf abgabenfreien Fischereibetrieb beweisen gerade, daß der Fischfang im Küstengewässer normalerweise der Regelung des Landesherrn unterlag.

Wenn neuerdings Rörig sagt 86 ), daß "kaum ein Anlaß vorliege", in diesem Prozeß auf die vom Staatsarchiv heran-


84) Rörig II, S. 235.
85) Rörig III, Anm. 17.
86) Rörig III unter IV b.
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gezogenen Urkunden "aus den Gewässern Rügens, Usedoms, Wollins, Neuvorpommerns und Pommerns" einzugehen, so befindet er sich insofern allerdings in einem großen Irrtum, als gerade diese und andere Urkunden dieser Gebiete uns den richtigen Aufschluß über Mecklenburger Urkunden und insbesondere über die wichtige holsteinsche Urkunde von 1252 geben. Gerade aus diesem Grunde sind auch die Quellen weiterer Gebiete, namentlich von Ost- und Westpreußen, mit hereinzuziehen. - Die Bemerkung, daß "zudem" die Gewässer im westlichen Teil dieser Gebiete zum größten Teil "Haffe", "Bodden" sind, ist irreführend, denn bei dem Qellenmaterial des Staatsarchivs sind binnenländische Gewässer ganz ausgeschieden. Und wie steht es mit dem erdrückenden Quellenmaterial für die Küste von der Swine an östlich bis hinauf zur samländischen Küste?

Sehr merkwürdig ist die Berufung Rörigs 87 ) auf das preußische Fischereigesetz vom 11. Mai 1916 und dessen Erläuterungen. Rörig meint, daß die in dem Gesetz grundsätzlich anerkannte Freiheit des Fischfangs in den Küstengewässern mit einem früheren Fischereiregal an der ganzen südlichen Ostseeküste angesichts des "konservativen" Charakters des Fischereirechts nicht vereinbar sei. Es genügt, demgegenüber darauf hinzuweisen, daß die Meeresfischerei im Laufe der Zeit erhebliche Wandlungen durchgemacht hat, indem namentlich infolge der Aufnahme des römischen Rechts sich der Grundsatz des freien Fischfangs durchsetzte 88 ). Und es ist ferner zu beachten, daß das von uns behauptete Fischereiregal sich ja keineswegs in dem Regal im engeren Sinne erschöpfte, sondern auch staatliche Hoheitsrechte am Küstengewässer enthielt, diese aber bestehen auch heute an der ganzen Ostseeküste.

Außer diesen Einwendungen Rörigs, die mehr allgemeiner Natur sind, ist nun noch auf einige Einwendungen einzugehen, die sich auf einzelne unserer Belege beziehen. Was Rügen anbelangt 89 ), so verweise ich auch hier auf die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs 90 ). Es ergibt sich aus ihnen insbesondere, daß Rörig das Rügische Landrecht in seinen entscheidenden Stellen überhaupt gar nicht berücksichtigt hat.

Was die Mecklenburger Belege anbelangt, so ist an erster Stelle auf die wichtigen Urkunden für Rostock von 1252


87) Rörig a. a. O.
88) Siehe namentlich v. Brünneck a. a. O., S. 134 ff.
89) Rörig II, S. 233.
90) Archiv II, S. 15 ff.
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und 1323 einzugehen. Rörig bemerkt über sie zunächst 91 ) daß, "sie nicht das mindeste besagen für ein allgemeines mecklenburgisches Hoheitsrecht am Küstengewässer oder gar für ein Fischereiregal an ihm", denn es handle sich (ebenso wie bei Wismar) um "Sonderbildungen" an "Meeresteilen", und die "marini fluctus" ständen in engem Zusammenhang mit der Warnow. Allein es ist ganz unverständlich, wie bei den Verleihungen der Fischerei "extra portum in marinis fluctibus quantum per intemperie aeris et corporis audeant attemptare" von "Meeresteilen" gesprochen und dies mit dem "portus" von Wismar verglichen werden kann. Es tritt ferner bei der Urkunde von 1323 ein Zusammenhang mit der Warnow überhaupt nicht hervor, da diese hier gar nicht erwähnt wird. - An einer ganz anderen Stelle aber läßt sich Rörig über die Urkunde von 1252 näher aus 92 ). Hier führt Rörig folgendes aus: Es habe sich zunächst auf der Warnow und dem "Meeresteile" vor ihrer Mündung de facto ein ausschließliches Fischereirecht der Rostocker Fischer ausgebildet. Dies sei durch die Urkunde von 1252 in der Weise "nachträglich legalisiert", "daß der Landesherr, dem nach der Rechtsanschauung im kolonialen Deutschland das Fischereiregal an der Warnow zustand, der Stadt den bestehenden Zustand durch formale Übertragung des Fischereiregals auf der Warnow legalisierte und auch der Auswirkung bis ins Meer selbst dabei gedachte" (!).

"Unbestimmt und eben nur als Anhang zur eigentlichen Regalverleihung auf der Warnow selbst sind . . . die auf Meeresgewässer bezüglichen Worte der Urkunde gehalten . . .".

"Der bestehende Rechtszustand war durch das Privileg des Landesherrn eben eigentlich (!) nur für die Warnow selbst zu denken. Was darüber hinaus ging, war gewohnheitsrechtliche Neubildung, die nur insoweit durch den Landesherrn legalisiert werden konnte (!), als man das in Betracht kommende Gewässer seewärts vom Warnemünder Hafen als Zubehör der Warnow behandelte" (!)

Man kann schwerlich ein Erstaunen unterdrücken, wenn man diese Ausführungen liest. Sie sind als rechtsgeschichtlich unhaltbar zurückzuweisen. Zunächst gipfeln sie in einer begrifflichen Haarspalterei, die dem mittelalterlichen deutschen Recht völlig fremd ist. Also der Landesherr hat "an sich", "eigentlich"


91) Rörig II, S. 225.
92) Rörig II, S. 240 Anm. 37.
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am Meeresgewässer gar keine Rechte, er "kann" daher das Meeresgewässer in seine "formale" Verleihung nur hereinziehen, indem und insoweit er es als "Zubehör" des Binnengewässers behandelt. Es ist doch merkwürdig, welche Begrenzung hier der landesherrlichen Gewalt kategorisch gesetzt wird, und welche überaus künstliche Konstruktion ausgedacht wird. Und wie außerordentlich klar und einfach liegen die Rechtsverhältnisse, wenn man unter Verwertung des sonstigen reichen Quellenmaterials, das wir für die Ostsee besitzen, von dem Hoheitsrecht des Landesherrn an seinen Meeresgewässern an der Küste ausgeht. Niemand bestreitet natürlich, daß landesherrliche Verleihungen von Rechten am Küstengewässer häufig in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Verleihungen von Rechten an Binnengewässern stehen, und sie sind auch oft in einer Urkunde zusammen vorgekommen. Allein sie finden sich sehr häufig auch völlig selbständig. Auch da aber, wo sie mit Verleihungen von Rechten an Binnengewässern zusammen erwähnt werden, werden sie rechtlich nicht als Verleihungen von Zubehörstücken angesehen. Auch die Urkunde von 1252 ergibt die völlig selbständige Aneinanderreihung der Verleihung auf der Warnow einerseits und auf dem Meere außerhalb des Hafens andererseits. Und wie wenig man an ein rechtliches Zubehör bei der Meeresfischerei dachte, zeigt die Urkunde von 1323 welche die Warnow überhaupt nicht erwähnt. Auch die Parallele mit Kolberg, die Rörig ausdrücklich anerkennt, beweist die Unrichtigkeit seiner Auffassung, denn es ist doch schlechterdings unmöglich, die ganzen Küstengewässer von Kolberg bis zur Swine als rechtliches Zubehör der Persante anzusehen 93 ).

Was das Privileg für Sonnenkamp von 1219 anlangt, so hat Rörig eingewendet 94 ), daß es sich hier nicht um Meeresfischerei handele, sondern um Fischerei in einem seeartigen Teiche bei dem Meere; dies beweise auch die Verleihung der "halben" Fischerei, von welcher beim Küstengewässer "wohl kaum" die Rede sein könne. Allein es ist sicher, daß die Verleihung der Fischerei in einem Teich in einem mittelalterlichen Privileg durch Benennung dieses Teiches ausgedrückt sein würde, von einem Teiche bei dem Meere ist aber in der Urkunde überhaupt nicht


93) Vgl. das Privileg von 1286.
94) Vgl. Rörig II, S. 226.
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die Rede 95 ). Und daß die Verleihung einer "halben" Fischerei bei Küstengewässern einen sehr guten Sinn ergibt, ist früher bereits erwähnt worden.

Schließlich hat Rörig auch zu der holsteinschen Urkunde von 1252 Stellung genommen, und zwar wiederholt.

In seinem ersten Gutachten erklärt Rörig 96 ), daß hier den Lübecker Fischern "vom ganzen Hoheitsgebiet der Grafen am Meere entlang gewährt" sei

"1. freier (d. h. abgabenfreier) Fischfang;
 2. Landen der Fischerboote am Strande;
 3. Trocknen der Netze an Strande;
 4. Verwendung von Holz . . .".

Es wird dann weiter fortgefahren: "Was die Urkunde gewährt oder auch nur bestätigt, sind demnach Befugnisse auf dem Strande selbst; den Fischern soll es gestattet sein, auf holsteinschem Strande, also auf holsteinschem Grund und Boden, alle jene Handlungen vorzunehmen, die nötig sind, um die Wadenfischerei ordnungsmäßig durchführen zu können. Von dem Fischereibetrieb selbst, soweit er sich auf dem Wasser abspielt, enthält das Privileg nichts; konnte es auch nicht. Denn die Wasserflächen an der holsteinischen Küste waren zu einer Zeit, welcher der Begriff des Küstengewässers noch unbekannt war, offenes Meer und unterlagen noch keiner Verfügungsgewalt des Uferstaates; hier bedurfte es also für die lübischen Fischer keiner Privilegierung oder besonderen Anerkenntnis." Lübeck habe ein "besonderes Privatrecht" am Strande erhalten, das es durch seine Fischer nutzen ließ.

Das Mecklenburger Staatsarchiv hat dem gegenüber zunächst darauf hingewiesen 97 ), daß diese Urkunde keineswegs die bloße Gewährung von Strandnutzungen enthalte, sondern außerdem das Zugeständnis des freien Fischfangs im Küstenmeere, und daß die einzelnen Strandnutzungen von der eigentlichen Fischerei getrennt würden.


95) Vgl. Archiv II S. 15/14. - Gegen die Ausführungen des Staatsarchivs bemerkt Rörig in seinem neuesten Gutachten (Rörig III unter IV b), daß er bei seiner früheren Ansicht bleibe, und daß sich ihr inzwischen Techen im Gegensatz zu seiner früheren Stellungnahme angeschlossen habe. Demgegenüber ist zu bemerken, daß die veränderte Stellungnahme (Techens ohne Bedeutung ist, bis man seine Begründung kennen gelernt hat.
96) Rörig I, S. 6.
97) Archiv I, S. 6.
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Rörig. hat darauf in seinem zweiten Gutachten ausgeführt 98 ): Die Worte in der "wichtigen" holsteinischen Urkunde "per totum districtum dominii nostri apud maria" bedeuteten: "im ganzen Gebiet unserer zwingenden Gewalt an dem Meere (entlang)". Das Herrschaftsgebiet läge also am Meere, schlösse es aber nicht ein. Die spezialisierten Bestimmungen der Urkunde sprächen eindeutig von Freiheiten am festen Ufer. Nur die ersten Worte "piscatione libere frui debent" "könnten zweifelhaft sein". Das Mecklenburger Staatsarchiv mache infolge seiner Annahme eines mecklenburgischen Fischereiregals am Küstengewässer aus dem "districtus dominii apud maria" den "Strand nebst dem Meere an der Küste". Es sei aber unzulässig, Analogieschlüsse aus Ergebnissen für die mecklenburgische Küste zu ziehen, außerdem täte die Auslegung des Staatsarchivs dem Wortlaut der Urkunde Gewalt an. Rörig schließt dann: "Ich bleibe im Einvernehmen mit Rehm bei dem früher Gesagten."

Das Mecklenburger Staatsarchiv ist darauf in seinem letzten Gutachten 99 ) nochmals ausführlich auf die Urkunde von 1252 eingegangen und hat m. E. die Stellungnahme Rörigs schlagend widerlegt. Ich möchte hier noch folgendes hinzufügen:

Die ganze Auslegung Rörigs erklärt sich lediglich aus seiner absonderlichen Ansicht, daß die Landesherren an sich keine Verfügungsgewalt am Meere gehabt hätten, und daß Ausnahmen nur bei "Meeresteilen" als "Zubehör" von Binnengewässern vorhanden gewesen seien. Eine unbefangene Auslegung der Urkunde von 1252 kann auch, ganz abgesehen von einer Verwertung der sonstigen Quellen, zu gar keinem anderen Ergebnis gelangen, als daß es sich hier um die Verleihung der abgabenfreien Meeresfischerei handelt. Die zahlreichen Quellenbelege aus dem gesamten Gebiete der Ostseeküste verstärken aber dies Ergebnis zu einer unumstößlichen Gewißheit. M. E. können "Zweifel" hier überhaupt nicht vorhanden sein. Über die wörtliche Übersetzung habe ich mich oben ausgesprochen. Die Auslegung Rörigs führt zu ganz unverständlichen Ergebnissen für den "abgabenfreien Fischfang" 100 ). In seinem neuesten


98) Rörig II, S. 234.
99) Archiv II, S. 25 ff.
100) Man versucht vergeblich, aus den ersten beiden Gutachten irgendwelche Klarheit zu gewinnen. In dem ersten Gutachten heißt es, es werde gewährt "vom (!) Hoheitsgebiet der Grafen . . . am Meere entlang freier (d. h. abgabenfreier) Fischfang", und das soll sich nur auf das Ufer beziehen. Ist das irgendwie verständlich? - In dem zweiten Gutachten ist von Zweifeln die Rede, wir erhalten aber gar nicht etwas Verständliches geboten. Warum hier übrigens das ganz einfache Wort "dominium" mit "zwingender Gewalt" übersetzt wird, ist ein Rätsel. Und was soll hier wieder die Berufung auf Rehm, dessen Darlegungen dem Leser unbekannt und unzugänglich sind? (Vgl. oben Anm. 4.) - Über das letzte Gutachten siehe die folgenden Ausführungen im Text.
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Gutachten sagt Rörig 101 "Ich bleibe dabei, daß es sich in ihr (der Urkunde von 1252) ausschließlich um Vergünstigungen handelt, die den lübischen Fischern im ganzen Landgebiet des Grafen, soweit es ans Meer stößt, erteilt werden. Der freie Genuß der Fischerei besagt nichts anderes als die Freiheit von dem theloneum, bedeutet: Abgabenfreiheit vom Fange. Die Erhebung des theloneums hat aber hier ebenso wenig etwas mit einem Fischereiregal zu tun wie auf Rügen oder in Schonen." Die Auslegung Rörigs wird hierdurch nicht verständlicher. Offenbar denkt er an einen "Zoll", der am Lande erhoben wurde. Aber wenn dies eine Abgabe vom Fischfang ist, so handelt es sich eben um ein Hoheitsrecht in bezug auf die Fangstätte, und das ist das Meeresgewässer und nicht das Land. Im übrigen ist von einem "theloneum" gar nicht die Rede, und selbst wenn dies der Fall wäre, würden wir es mit der Fischereiabgabe zu tun haben, wie wir sie in dieser Bezeichnung in völlig eindeutigen Quellen kennen gelernt haben. Auch der ganze Aufbau der Urkunde spricht gegen Rörig, denn eine Zollabgabe auf dem Lande käme doch erst nach der Landung in Betracht. - Ebenso unverständlich ist mir auch die Berufung Rörigs auf die holsteinsche Urkunde von 1247, in der er eine "gewichtige Stütze" für seine Ansicht gefunden zu haben glaubt. Denn es ist schlechterdings unmöglich, einen Unterschied machen zu wollen zwischen einem "concedere jus piscandi" und einem "piscatione frui debent", und wenn an einer Stelle der Urkunde von 1247 "liber" in Zusammenhang mit einem "theloneum" gebracht wird, so haben wir doch unzählige Urkunden, in denen dies der Fall ist. Die "libera piscatio" aber ist, wie unsere Quellenbelege einwandfrei dartun, ein Fischfang, für den eine Fischereiabgabe nicht bezahlt zu werden braucht, welche an sich auf Grund einer Fischereihoheit geschuldet wurde.

Auch Lübeck selbst hat das Privileg von 1252 in der späteren Zeit für einen Fischereibetrieb auf dem Küstengewässer verwertet 102 ). - Und so hat denn auch bereits Carl Rodenberg


101) Rörig III unter IV a.
102) Vgl. die Mitteilungen bei Rörig I, S. 8 f.
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in seinen Darlegungen über "Die älteste Urkunde für die Stadt Kiel von 1242" anläßlich des Kieler Hafenprozesses über unsere holsteinsche Urkunde von 1252 folgendes ausgeführt 103 ):

"Im Jahre 1252 gewähren die Grafen Johann und Gerhard den Fischern von Lübeck in den Meeren ihres ganzen Herrschaftsbereichs freien Fischfang."

Und in der Anmerkung 2 dazu heißt es:

"Hier wird verfügt für den ganzen Herrschaftsbereich der Grafen, und zwar 1. Für das Meer und 2. für das Ufer. Die Grafen rechneten also die maria zu dem districtus dominii nostri."

II. Allgemeine Folgerungen für das streitige Küstengewässer. Wir wissen, daß das gesamte von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer in der Lübecker Bucht liegt und an der Strecke Priwall-Harkenbeck einen Meeresteil ergreift, welcher der Mecklenburger Küste vorgelagert ist.

Aus unseren Betrachtungen über die Rechtsverhältnisse an den Küstengewässern im Mittelalter können wir daher für diese Strecke - das streitige Küstengewässer - gewisse allgemeine Folgerungen ziehen:

1. Wir konnten für das Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert, ein Hoheitsrecht der Landesherren an ihren Küstengewässern an der Ostsee feststellen. Wir sahen, wie auch Mecklenburger Belege ein solches Hoheitsrecht bestätigen, und wie gerade auch in der Lübecker Bucht auf der der Mecklenburger Seite gegenüber liegenden holsteinschen Seite ein solches Hoheitsrecht anzutreffen war. Es ist hieraus der Schluß zu ziehen, daß auch an der Mecklenburger Seite der Lübecker Bucht und insbesondere an der Strecke Priwall-Harkenbeck ein Hoheitsrecht des Mecklenburger Landesherrn am Küstengewässer seit dem 15. Jahrhundert bestand.

2. Hieraus ergibt sich aber für unseren Streitfall:

a) Lübeck kann durch Okkupation ein Hoheitsrecht an der Mecklenburger Küste Priwall-Harkenbeck nicht erworben haben. Auf dieser besonderen Grundlage kann also Lübeck seinen Anspruch nicht aufbauen.


103) "Mitteil. d. Gesellschaft f. Kieler Stadtgesch.", Heft 23, S. 358.
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b) Somit bleiben nur noch die beiden besonderen Grundlagen: Gewohnheitsrecht und Unvordenklichkeit, zu prüfen.

c) Wir sahen, daß das Hoheitsrecht am Küstengewässer bereits im Mittelalter ein umfassendes Recht mit verschiedenen Ausstrahlungen ist. Soll also wirklich die Gebietshoheit an ihm durch Gewohnheitsrecht oder Unvordenklichkeit erworben werden, so setzt dies den Nachweis der fortgesetzten Ausübung verschieden gearteter wesentlicher Hoheitsrechte voraus. Insbesondere käme Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung in Betracht.

3. Von besonderer Bedeutung ist noch die holsteinsche Urkunde von 1252 104 ). Da sie sich auf das der Mecklenburger Seite der Lübecker Bucht gegenüber liegende Ufer bezieht und Lübecker Nutzungsrechte betrifft, so lassen sich aus ihr entsprechende Vermutungen auch für die Mecklenburger Seite, insbesondere die Strecke Priwall-Harkenbeck, und für Lübecker Rechte an ihr ziehen.

Infolgedessen ist es von Wichtigkeit, zweierlei hier für die Rechtsverhältnisse am holsteinschen Küstengewässer nach Maßgabe der Urkunde von 1252 festzustellen:

a) Die Lübecker erhalten durch sie kein Hoheitsrecht. Sie erhalten lediglich private Fischereinutzungsrechte im Küstengewässer und gewisse private Rechte am Ufer selbst. Das gesamte Hoheitsrecht, auch die Fischereihoheit, bleibt beim Landesherrn.

b) Die Lübecker erhalten kein ausschließliches Fischereinutzungsrecht. Sie erhalten ja gerade abgabenfreien Fischfang, der normale Fischfang wird also gegen Abgaben von anderen betrieben 105 ).


104) Die große Bedeutung der Urkunde von 1252 für den vorliegenden Streitfall wird auch von Rörig angenommen.
105) Die Ansicht von Rörig, daß an der holsteinschen Küste bis ins 16. Jahrhundert "ausschließlich" (an manchen Stellen heißt es "fast ausschließlich") die Lübecker gefischt hätten (Rörig I, S. 2 f., S. 9; Rörig II, S. 257, S. 278), ist völlig unhaltbar. Vgl. auch Archiv II, S. 137-141. - Beachte auch die neueste Ansicht von Rörig, daß es sich in der Urkunde von 1252, um Zollabgaben für den Heringsfang gehandelt habe. Also sie kannte man an der holsteinschen Küste, aber keine Fischereihoheit!
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II.

Abgrenzung des gesamten, von Lübeck in Anspruch genommenen Küstengewässers
("Travemünder Reede").

Ehe wir an eine Betrachtung der Ausübung einzelner wirklicher oder angeblicher Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer gehen, empfiehlt sich eine Prüfung über die Abgrenzung des gesamten, von Lübeck in Anspruch genommenen Küstengewässers.

Wir fragen:

  1. Wie gewinnt sie Rörig? Sind seine Ergebnisse stichhaltig? (I)
  2. Seit wann hat man in Lübeck eine solche Abgrenzung ausdrücklich vertreten? (II)
    Alsdann ziehen wir die Folgerungen aus diesen Betrachtungen für das streitige Küstengewässer (Strecke Priwall-Harkenbeck) unter III.

I. Rörig geht bei seiner Abgrenzung 106 ) von der sog. Nautischen Reede, d. h. einem Ankerplatz für Schiffe, aus. Zu ihr werden die Meeresstreifen hinzugenommen, die zwischen ihr und dem Lande liegen, sowohl nach der Mecklenburger wie nach der holsteinschen Seite, unter Angabe ihrer Endpunkte am Lande (Harkenbeck einerseits - Brodtmer Pfahl andererseits). Seewärts wird das Gebiet dann abgegrenzt durch eine Richtungslinie Harkenbeck-Pohnsdorfer Mühle-Gömnitzer Berg und durch ein Lot, das von dem Brodtemer Pfahl auf diese Richtungslinie gefällt ist. Das so abgegrenzte Gebiet sei als Travemünder Reede im weiteren Sinne bezeichnet worden.

Nun wäre es doch zweifellos das wichtigste gewesen, möglichst genau die Lage der nautischen Reede nach Maßgabe der alten Quellen anzugeben. Allein dies geschieht nicht. Es wird lediglich auf die Kartenskizze II im Anhang verwiesen,. und da finden wir die nautische Reede eingezeichnet und in der Kartenerklärung heißt es für sie: "10 m Wassergrenze (ungefähre Abgrenzung der Reede im nautischen Sinn)". Hiermit ist aber die Lage der alten nautischen Reede in keiner Weise bewiesen;


106) Rörig I, S. 29 ff.
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auch in dem zweiten Gutachten Rörigs ist dies nicht geschehen 107 ). - Soviel aus dem bisher vorgebrachten Material zu erkennen ist, ist nun aber die von Rörig angenommene Lage Der alten nautischen Reede unzutreffend. Mit ihr stimmt, wie wir noch sehen werden, die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547 in keiner Weise überein, und das Mecklenburger Staatsarchiv hat weitere Belege dafür beigebracht, daß die alte Reede dicht vor der Travemündung am westlichen Teile der Bucht gelegen war 108 ).

Wir kommen nun auf die Hinzunahme der "Wasserstreifen"- zwischen der nautischen Reede Rörigs und den Ufern - zu der nautischen Reede.

Für uns steht dabei im Vordergrund die Mecklenburger Seite, doch soll auch über die holsteinsche Küste etwas hinzugefügt werden.

Für die Mecklenburger Seite führt Rörig 109 ) als Beleg zunächst an die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547:

"dath ein erbar radt to Lübeck je und allewege strom und strant van der reyde an beth in die Harkenbeke tho verbiddende gehett hebben, we ock noch in desse stunde."

Allein diese Worte ergeben nicht einen Wasserstreifen zwischen einer Reede und einem Ufer, so daß die Reede die eine Längsgrenzenseite, das Ufer die gegenüberliegende Längsseite bildet. Der Ausdruck "von der Rede an bis in die Harkenbeck" kann unmöglich in diesem Sinne verstanden werden. Dagegen finden die Worte ihre Erklärung durch die Untersuchungen des Mecklenburger Staatsarchivs 110 ), welches würdigt, daß die Aussage des Zöllners anläßlich einer Vernehmung über das Strandrecht am Priwall abgegeben wurde. Daher war die Küste des Priwalls in der Uferstrecke von der Reede bis zur Harkenbeck eingeschlossen. Mit Recht folgert das Staatsarchiv hieraus, daß die alte nautische Reede nordwestlich vom Priwall oder wenigstens diesem gegenüber gelegen haben muß. Wenn


107) Rörig II, 247. Hier ist nur festgelegt, daß die nautische Reede in der Bucht lag. Warum wird aber nicht Genaueres nach dem "reichlichen Kartenmaterial" angegeben?
108) Das Archiv hat die frühere Ansicht, daß die Reede einstmals auf der Trave lag, zurückgenommen. Hiermit erledigt sich auch die Ordnung für den Leichterverkehr von 1580, die Rörig seinem dritten Gutachten als Anlage beifügt; Art. 2-9 haben im vorliegenden Streitfalle überhaupt gar keine Bedeutung.
109) Rörig I, S. 30 f.
110) Archiv II, S. 102, Anm. 188.
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dies aber der Fall ist, so erscheinen die Worte des Zöllners "von der Reede an bis in die Harkenbeck" verständlich, indem sie so auf einen Strom und Strand hinweisen, die in der Weise liegen, daß die Reede nur die westliche, die Mündung der Harkenbeck die östliche Grenzbestimmung angibt.

Als weiteren Beleg für einen solchen "Meereszwischenstreifen" zwischen Reede im nautischen Sinn und dem Ufer führt Rörig den Fischereivergleich von 1610 an.

Hier heißt es:

"Erstlich sollen die Travemünder Fischer mit Setzung ihrer Netze sich des Travestrohms binnen und außerhalb des Blockhauses wie dann auch der ganzen Reide gantzlich enthalten, bey . . ; zwischen dem Blockhause aber und dem Mevenstein an der Holstenseiten, auch der Harkenbeke und Blockhause auf der Meckelborgerseiten mogen sie ihre Netze setzen . . ." "Außerhalber aber gemelter Orten mögen die Travemünder in die Sehe und am Lande fischen und Netze setzen als sie best können."

Zweifellos handelt es sich bei der Fischereistrecke "Harkenbeke und Blockhause" um die Meeresstrecke am Mecklenburger Ufer bis zur Mündung der Harkenbeck. Aber daß diese Meeresstrecke eine Wasserfläche ist "zwischen der Reede (im nautischen Sinn nach Rörig) und der Küste", ergibt sich in keiner Weise aus dem Vergleich.

Noch weniger ergibt dafür etwas der Vergleich von 1826, denn in diesem ist von der nautischen Reede überhaupt nicht die Rede. Und wenn Rörig bemerkt, daß die Fischer im Jahre 1827 diesen Vergleich "Vergleich wegen Befischung des Ufers der Travemünder Reede" genannt hätten, so ist durch nichts bewiesen, daß mit der "Travemünder Reede" hier die nautische Reede Rörigs gemeint ist, auch wäre diese Bezeichnung selbst dann keineswegs" ganz zutreffend", denn die Strecke wäre nicht allein das Ufer der nautischen Reede, sondern auch das Ufer der Außentrave. Die Erklärung des Mecklenburger Staatsarchivs, daß die Fischer die Worte "Travemünder Reede" im Sinne von Travemünder "Bucht" gebrauchen 111 ), ist daher die zutreffende. Alsdann ist aber auch der Ausdruck in der Relation zum Urteil des Oberappellationsgerichts Lübeck von 1825 (das diesem Ver-)


111) Archiv II, S. 135.
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gleich voranging) "Ende der Rehde, wo die Harkenbeck sich ergießt," einfach auf das Ende der "Bucht" zu beziehen 112 ).

Für die holsteinsche Küste 113 ) wird die Hinzunahme von Meeresstreifen zwischen nautischer Reede und Ufer von Rörig gefolgert zunächst für die Zeit, ehe Brodten lübeckisch wurde, aus den Verhandlungen Lübecks mit dem Domkapitel im Jahre 1775, bei denen Lübeck ein Jahrzehnte lang ausgeübtes Recht, am Brodtmer Ufer Steine zu holen, geltend machte. Rörig meint, ein "derartig weitgehendes wirtschaftliches Nutzungsrecht am Strande eines fremden Territoriums" sei "selbstverständlich undenkbar", "wenn Lübeck nicht zum mindesten auf der Wasserfläche vor dem Strande Gebietshoheit gehabt hätte". Daher sei auch diese Wasserfläche mit zu der nautischen Reede hinzugenommen worden. - Wir meinen, daß es "selbstverständlich undenkbar" ist, aus einem Recht, vom Wasser aus an einem fremden Ufer Steine zu holen, eine Gebietshoheit des Steineholenden an der vorgelagerten Wasserfläche zu folgern 114 ). Im übrigen ist zu betonen, daß bei der ganzen Angelegenheit von einzelnen Meeresstreifen zwischen nautischer Reede und Ufer nirgends gesprochen wird. - Für die spätere Zeit beruft sich Rörig auf einen Bericht des Travemünder Stadthauptmanns von 1804, in welchem dieser von dem "Ufer längs der Rehde am Brodtener Felde" redet, und auf den Niendorfer Fischereivergleich von 1817, in welchem als Anfangspunkt seines Gebietes die "travemünder Reede" genannt wird. Hier handele es sich um die Travemünder Reede im weiteren Sinn. Allein das Mecklenburger Staatsarchiv hat m. E. nachgewiesen, daß der Ausdruck "Reede" hier einfach im Sinne von Travemünder "Bucht" gebraucht ist 115 ). 116 ).


112) Vgl. Archiv II, S. 135. Der Ausdruck "Reede" wurde vom nautischen Ankerplatz auf die Bucht im geographischen Sinn übertragen, in der der Ankerplatz lag.
113) Rörig I, S. 51; II, S. 244.
114) Ebenso Archiv II, S. 130/131; ganz unerklärlich ist, was die Erklärung des Baumeisters Soherr (Rörig I, S. 52) beweisen soll; sie ist ganz ungenau; er sagt, "da der Strand der Stadt gehöre", aber es war unstreitig, daß der Strand der Stadt nicht "gehörte", und Rörig will doch die Zugehörigkeit der "Wasserflächen" zur Stadt beweisen.
115) Archiv II, S. 133, 135.
116) Rörig beruft sich noch auf einen Fahrrechtsfall von 1543, über den Archiv II, S. 130 mit Hecht gesagt wird, daß er gar nichts beweist, ferner auf eine Eintragung im Kämmereiprotokoll 1804, die für unsere Frage bedeutungslos ist (Archiv II, S. 132).
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Ganz mißglückt ist schließlich Rörig die Abgrenzung des Küstengewässers nach der Seeseite hin 117 ). Durch die Darlegungen des Mecklenburger Staatsarchivs wird er völlig widerlegt 118 ). Die angebliche Richtungslinie Harkenbeck-Gömnitzer Berg hat es überhaupt nie gegeben und konnte es nicht geben, und die Eingabe des Travemünder Lotsenkommandeurs vom 8. Februar 1828 kann unmöglich sie gemeint haben, denn nach ihr befand man sich schon eine Seemeile vor Travemünde in offener See außerhalb der Reede. Mit dieser Richtungslinie bricht aber auch die völlig unnatürliche Lotlinie vom Brodtmer Pfahl, die einen sonderbaren spitzen Winkel für das angebliche Lübecker Küstengewässer herausschneiden würde, ganz zusammen.

Wir erwähnten bereits; daß Rörig Belege anführt, aus denen sich ergeben soll, daß mit "Reede" auch das gesamte, von ihm abgegrenzte Küstengewässer bezeichnet worden sei. Wir sahen aber, daß bei diesen Belegen aus dem 19. Jahrhundert "Reede" nur in dem belanglosen Sinne von Travemünder Bucht: gebraucht worden ist. Nun beruft sich aber Rörig für seine "Reede" im weiteren Sinn auch darauf, daß bei den Fischreusenstreitigkeiten - von 1616 und 1658 Lübeck geltend machte, daß auf der "statt reyde" die Reusen angelegt worden seien, die Anlage aber auf den Meeresstreifen vor der Mecklenburger Küste erfolgt sei 119 ). Dem gegenüber sei bereits hier darauf hingewiesen, daß dieses angebliche Lübecker Herrschaftsgebiet von Mecklenburger Seite sofort bestritten wurde 120 ). Und es ist durchaus irreführend, wenn Rörig einfach sagt 121 ), daß in dem sich anknüpfenden Schriftwechsel der Herzog von Mecklenburg für dieselbe Wasserfläche "die rede oder der strohme" gebraucht habe. Denn in Wirklichkeit handelt es sich bei dem Herzog um eine Ablehnung des von den Lübeckern vertretenen Standpunktes unter Verwendung, aber gleichzeitiger Ablehnung des von den Lübeckern beliebten Sprachgebrauchs: "Entlich können wir Euch auch des Angebens, das inhalts obberurten Eurn Schreibens die Reide oder der Strom der Ends Euch gehörig sein solte, gar nit einig sein, inmassen wir demselben hiemit feirlich wollen contradicieret und wiedersprochen haben."


117) Rörig I, S. 35 f.; II, S. 248 ff.
118) Archiv II, S. 122-128.
119) Rörig I, S. 34.
120) Vgl. Rörig II, S. 263 ff.
121) Rörig I, S. 34.
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II. Ehe Rörig sein erstes Gutachten erstattete, ist von Lübeck ein Hoheitsrecht über die Gewässer in der Travemünder Bucht mit den von Rörig angegebenen Grenzen niemals ausdrücklich geltend gemacht worden.

Im Gegenteil, man suchte seit dem Jahre 1870 die Hoheitsgrenze ganz anders zu bestimmen. Im Jahre 1870 nahm das Lübecker Stadt- und Landamt eine Hoheitsgrenze an von einer Seemeile ins Meer, von der Landgrenze Lübecks an gerechnet 122 ), im gleichen Jahre, und zwar am 10. Oktober 1870, schrieb der Senat der freien und Hansestadt Lübeck auf eine Anfrage an die Kgl. Regierung zu Schleswig,

"daß nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen auf Kanonenschußweite vom lübeckischen Ufer dem hiesigen Staate das Recht der Fischerei ausschließlich zusteht" 123 ).

Im Jahre 1895 berichtet das Lübecker Stadt- und Landamt 124 ), "daß Lübeck von jeher mit obrigkeitlichen Anordnungen auf den Teil der Travemünder Bucht innerhalb der Linie Harkenbeck-Haffkruger Feld sich beschränkt habe", und daß jenseits dieser Linie die "freie See" liege.

Das Lübecker Fischereigesetz vom 11. Mai 1896 nahm dann diese Linie als Grenze an innerhalb der Travemünder Bucht.

Der fünfte Nachtrag zu diesem Gesetz vom 10. Januar 1925 setzte an Stelle dieser Beschreibung die "Travemünder Reede". Und eine Bekanntmachung vom gleichen Datum begrenzte diese "Reede" nach Maßgabe des Gutachtens von Rörig.

Es ist daher festzustellen, daß Lübeck sich erst durch die gesetzliche Regelung vom 10. Januar 1925 zu dem jetzt von ihm in Anspruch genommenen Küstengewässer bekannt hat.

III. Folgerungen für das streitige Küstengewässer (Strecke Priwall-Harkenbeck).

Wir können aus den vorstehenden Betrachtungen folgende Folgerungen für das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck ziehen

1. Aus den Ausführungen unter I ergibt sich:

a) Das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck ist nicht ein Meeresstreifen, der zwischen dem Ufer und einer nautischen


122) Vgl. Rörig I, S. 29.
123) Das Schreiben befindet sich bei der Regierung zu Schleswig.
124) Rörig I, S. 27.
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Reede in der von Rörig skizzierten Weise liegt: Es ist kein Meeresstreifen, der längshin auf der dem Ufer gegenüberliegenden Seite von der nautischen Reede begrenzt wurde. Mit dieser Feststellung ist eine grundlegende Vorstellung Rörigs für die angebliche Hinzunahme des Meeresstreifens zu dem Hoheitsrecht über die nautische Reede beseitigt. Für Rörig kommt der Meeresstreifen als notwendiger Schutzstreifen für die Hoheit über die nautische Reede in Betracht. Allein die wirkliche Lage der alten nautischen Reede zeigt, daß dies in keiner Weise der Fall war. Man vergleiche hierzu die Kartenskizze II Rörigs und die Kartenskizze des Mecklenburger Staatsarchivs (Archiv II zwischen S. 126 und 127). Man erkennt dann, wie völlig schief es z. B. ist, wenn Rörig im Hinblick auf das streitige Küstengewässer sagt 125 ): "Die Entstehung von Hoheits- und Nutzungsrechten an den Strandmeeren zwischen Reede und Ufer erfolgte nicht in der Richtung von der Küste nach der angeblich herrenlosen See zu, sondern in der Richtung von der mit Hoheitsrechten bereits erfüllten Reede im nautischen Sinn in der Richtung auf die Ufer hin, gleichgültig wessen Hoheit diese unterstanden." Und wie es in keiner Weise auf das streitige Küstengewässer paßt, wenn Rörig sagt: "Es ließe sich der Gedanke der Herrschaft des die Hoheit auf der Reede im nautischen Sinn besitzenden Staates über die Strandmeere der Reede aus dem Bedürfnis und Verlangen nach Schutz des die Reedehoheit besitzenden Staates und seiner Interessen ableiten" 126 ).

b) Es ist nicht nachgewiesen, daß das streitige Küstengewässer einen Teil eines "Hoheitsgebietes" bildet, der als "Reede" bezeichnet wurde.

c) Die Begrenzung des streitigen Küstengewässers nordöstlich seewärts durch die Richtungslinie Harkenbeck-Gömnitzer Berg ist unhaltbar. Es fehlt also an der notwendigen Grenzziehung, wie sie für eine erfolgreiche Inanspruchnahme erforderlich ist, auch an dieser Seite.

2. Aus den Ausführungen unter II ergibt sich:

Im Jahre 1870 hat Lübeck die Ansicht offiziell vertreten, daß allgemeine völkerrechtliche Grundsätze für die


125) Rörig II, S. 261. Der Ausdruck "Strandmeer" soll von Rehm stammen (Rörig II, S. 251 Anm. 51). Er ist aber vom Standpunkt der Gegner aus gar nicht passend. Es müßte von "Reedemeeren" gesprochen werden.
126) Rörig II, S. 261, Anm. 65.
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Travemünder Bucht maßgebend sind. Hiermit steht die Inanspruchnahme des ganzen streitigen Küstengewässers völlig im Widerspruch.

Im Jahre 1896 hat Lübeck durch sein Fischereigesetz eine Fischereihoheit über einen Teil des streitigen Küstengewässers in Anspruch genommen (Seegrenze im Nordosten: Linie Harkenbeck - Haffkruger Feld).

Erst durch die Gesetzgebung von 1925 hat Lübeck das ganze streitige Küstengewässer in seine Fischereihoheit einzubeziehen gesucht.

III.

Lübecker Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer?

Wenn wir nunmehr zu einer Prüfung der Frage übergehen, auf welche Akte sich Lübeck als Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer beruft und berufen kann, so ist zunächst noch eine allgemeine Behauptung Rörigs zurückzuweisen, welche von ihm als Grundlage für seine Betrachtungen verwendet wird. Rörig behauptet nämlich, daß das ganze, von Lübeck in Anspruch genommene Küstengewässer eine rechtliche Einheit mit der Binnentrave mit Einschluß des Dassower Sees und der Pötenitzer Wiek gebildet habe und daher öffentliches Binnengewässer und Lübecker Staatsgebiet sei 127 ). Als "Thatsachen" für diese Behauptung führt Rörig zunächst das Barbarossaprivileg von 1188 an, allein wir sahen, daß dieses überhaupt nur die Binnentrave bis zur Mündung erwähnt 128 ). Es wird ferner eine Stelle aus einem Schreiben Lübecks von 1616 anläßlich der Fischereistreitigkeiten aufgeführt und auf diese sogar der größte Wert gelegt. Dabei wird aber unter anderem gar nicht hervorgehoben, daß gerade diese Stellungnahme Lübecks von Mecklenburg auf das entschiedenste bestritten wurde. Diese Stelle darf daher nicht als grundlegende "Thatsache" bewertet werden. Rörig beruft sich ferner auf Lübecker Fischereiverordnungen und Fischereigesetze (1585, 1881,1887, 1896). Allein sie könnten doch höchstens eine Fischereihoheit ergeben, im übrigen werden sie aber gar keiner eingehenden Untersuchung unterzogen. Schließlich wird auf die Eidesformel der lübischen Fischer 129 ) verwiesen, nach


127) Rörig I, S. 22 ff.
128) Siehe oben S. 41 ff.
129) Sie stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.
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welcher diese zur Aufsicht über des Rates "Ströme" verpflichtet gewesen seien, und diese auch auf dem streitigen Küstengewässer betätigt hätten. Allein auch hier würde höchstens eine Fischereihoheit herauskommen, und es fragt sich, ob sie wirklich auf dem streitigen Küstengewässer zu Recht bestanden hat. - Es kann also kein Zweifel sein, daß Rörig mit diesen "Thatsachen" die rechtliche Einheit von Binnentrave und dem Küstengewässer nicht bewiesen hat. Rörig setzt aber in seinen folgenden, einzelnen Betrachtungen immer voraus, daß dieser Beweis erbracht ist. So fehlt bei diesen eine unabhängige Würdigung 130 ), insbesondere ist es ganz unzulässig, aus Rechtsverhältnissen der Binnentrave und ihrer Ausbuchtungen schließen zu wollen, daß es bei dem Küstengewässer ebenso gewesen ist 131 ).

Was nun aber die Einzelfälle anlangt, die Rörig für die Ausübung einer Lübecker "Gebietshoheit" auf dem streitigen Küstengewässer geltend macht, so bemerkt Rörig hierüber allgemein folgendes 132 ):

"In einer großen Zahl aktenmäßig belegter Einzelfälle ist die Ausübung der Gebietshoheit Lübecks auf dem ganzen Reedegebiet (Reede im weiteren Sinn nach der Abgrenzung Rörigs) belegt. Zu nennen wären Sicherungsmaßnahmen für die Fahrt; Anlegung von Buchtfeuern; Maßnahmen der Seebefriedigung auf der Reede unter Heranziehung militärischer Machtmittel; eine allgemeine Verordnungsgewalt; Ausübung der Polizeigewalt über Jagd und Fischerei; vor allem aber das deutlichste Zeichen für volle Gebietshoheit: die Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit und die Fischereihoheit. Auf letztere wird weiter unten noch einzugehen sein. Hier seien Akte der Hochgerichtsbarkeit kurz aktenmäßig nachgewiesen."

In der Tat geht Rörig darauf auf das Fahrrecht und später auf die Fischerei ein. Wir aber fragen, wo bleibt die große Zahl aktenmäßig belegter Einzelfälle für die sonstigen


130) Vgl. z. B. Rörig I, S. 46: "Die Reede im weiteren Sinn hat ihrer rechtlichen Natur nach nicht als Meeresteil, nicht als Küstengewässer gegolten, sondern als Teil der öffentlichen Gewässer Lübecks. Von dieser grundlegenden Tatsache ist auszugehen (!), wenn es jetzt insbesondere das auf der Reede historisch gewordene Fischereirecht zu behandeln gilt."
131) Wie dies Rörig namentlich hinsichtlich des Dassower Sees tut. Rörig I, S. 48. S. 50 ff., S. 56. - Ein schwerer methodischer Fehler!
132) Rörig I, S. 39/40.
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von Rörig erwähnten Maßnahmen? Und betrafen sie auch das streitige Küstengewässer und nicht etwa nur insbesondere das Fahrwasser der Außentrave und die alte nautische Reede? Mit solchen allgemeinen Behauptungen ist doch gar nichts bewiesen 133 ) 134 ).

Wenden wir uns nun den Maßnahmen zu, die Rörig in spezialisierter Weise als Hoheitsakte Lübecks geltend macht. So kommen für eine Prüfung in Betracht:

1. Akte in bezug auf die Fischerei.
2. Das "Fahrrecht".
3. Maßnahmen in bezug auf gestrandete Schiffe.

Man kann also sagen, daß Maßnahmen zu prüfen sind, welche die Fischereihoheit, die Gerichtshoheit in Kriminalsachen und die Strandungshoheit betreffen. Hiernach soll im folgenden unterschieden werden.

I. Die Fischereihoheit.
1. Gesetzgebung und Verordnungsgewalt.

Von Rörig wird geltend gemacht, daß Lübeck Gesetze und allgemeine Verordnungen kraft einer gebietsrechtlichen Fischereihoheit über das streitige Küstengewässer erlassen habe.

Sehen wir uns diese Fischereiverordnungen näher an.

a) Die älteste, in ihrem Wortlaut überlieferte Fischereiverordnung Lübecks, welche hier in Betracht kommt, stammt aus dem Jahre 1585.

In dem ersten Gutachten von Rörig 135 ) haben wir nur sehr wenig über sie erfahren. Er sagt eigentlich nur über sie:

"Die auf gebietsrechtlicher Grundlage aufgebaute Fischereiverordnung von 1585 erstreckt sich nach dem Wortlaut der Einleitung "up des erbaren radts und gemeiner stadt stromen und angehorigen potmessigkeiten" und regelt die Fischerei auf dem Binnengewässer so gut wie auf dem Reedegebiet."


133) Vgl. Archiv II, S. 121, insbes. Anm. 219. (Auch gegen Rörig II, S. 247, Anm. 47.)
134) Die im Text wiedergegebenen Ausführungen Rörigs sind juristisch insofern zu beanstanden, als die Ausübung der Polizeigewalt über die Fischerei unter die Fischereihoheit fällt.
135) Rörig I, S. 23.
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In seinem zweiten Gutachten wird ein wenig näher auf diese Ordnung eingegangen 136 ). Rörig bemerkt, daß sie das gesamte "Strandmeer bis zur Harkenbeck ausdrücklich mit behandele". "Zunächst" werde den Schlutupern erlaubt, Laubbüschel für den Aalfang "auf der Mecklenburger Siden" am Ufer entlang zu legen, aber nur mit Wissen und Willen der Wetteherrn; es hätte "also über die Belegung des flachen Wassers am Mecklenburger Ufer der Travemünder Reede Lübeck verfügt". Es sei ferner bestimmt, daß von Jakobi bis Michaelis sich Schlutuper und Travemünder Fischer im genau angegebenen Verhältnis in die Befischung der Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck zu teilen hätten. "Dazu treten Bestimmungen über die übrige Wadenfischerei der Schlutuper und Travemünder noch über die angegebenen Strecken hinaus bis in die opene wilde see."

Um zu einer richtigen Würdigung der Fischereiverordnung von 1585 zu gelangen, können aber diese spärlichen und z. T. ungenauen und nicht zutreffenden Betrachtungen nicht genügen.

Sehen wir uns zunächst den Eingang der Verordnung 137 ) an; hier heißt es:

"Nachdem einem erbarn rade van ohren underdanen den olderluden und gemeinen vischern sowol binnen dieser stadt alß tho Travemunde und Schluckup geseten allerhandt Klagen vorgekamen, dat de fischerey up des erbarn radts und gemeiner stadt stromen und angehorigen potmeßigkeiten eine tydt hero in unrichtigkeit geraden und einer dem andern baven alt hergebrachte gewonheit desfalls jmpaß gedahn . . ., hefft ein erbar radt . . . folgendes jedem deel thor gewissen nachrichtung, wo with, wanne, wolang und" woferne ein jeder der visherey gebrucken solle und möge, diese Verordnung . . . verfaten laten."

Es wird darauf zunächst die Fischerei der Lübecker, dann die der Schlutuper und schließlich die der Travemünder Fischer geregelt. Doch sind in mancher Hinsicht die Regeln für die einzelnen Fischergruppen nicht getrennt.

Was die Fischereigebiete anlangt, so wird unterschieden die Fischerei "binnen der Traven" und "buten der Traven".


136) Rörig II, S. 268.
137) Die VO. hat mir in einer Abschrift vorgelegen.
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Das Gebiet außerhalb der Trave wird auch mit "See"b bezeichnet. Vergleiche hierfür die Bestimmungen:

"Steit den Schluckupern fry, mit der enckelen waden van dem bolwercke an jnn der sehe an beiden siden des landes, so fernne alß se sich wagen wöllen, von Michaelis an beth tho Winnachten tho fischenn,"

und

"De Travemunder mögen -jn der see buten der traven . . . vischen."

In dem Gebiet außerhalb der Trave (also in der "See") wird unterschieden eine Fischerei mit den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck, ferner eine Fischerei in der "Wieck" und schließlich eine Fischerei in der offenen See, soweit wie ein jeder sein Leben wagen will.

Was die Regelung der Fischerei außerhalb der Trave anlangt, so ist die für uns wichtigste in den ersten und zweiten Artikeln der Reglung für die Travemünder Fischer enthalten. Hier ist bestimmt:

a) "De Travemunder vischer mögen jnn der see buten der Traven dag vor dag, wenn ehnen gelevet, so with sich des erbarn radts gerechtigkeit erstrecket und se ohre helse wagen willen, vischen . . ."

b) "Tom andern, offt ock wal de Travemunder und Schluckuper na oldern gebrucke befoget, dat ganze jahr dorch van Travemünde an beth in de wick und opene wilde see, so with ein jeder sin levent wagen will, tho vischen," so soll künftighin in der Zeit von Jakobi bis Michaelis folgender Unterschied gemacht werden:

Die Travemunder können alsdann alle Tage fischen auf den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck, ferner in der "Wiek" und der offenen See.

Die Schlutuper aber dürfen in dieser Zeit fischen,

mit 1/3 ihrer Waden und nur am Montag vormittags und in drei Nächten der Woche auf den Strecken Blockhaus-Mövenstein und Blockhaus-Harkenbeck,

mit 2/3 ihrer Waden alle Tage außerhalb dieser Strecke in der Wieck und der offenen See.

Um zum Verständnis der Ordnung von 1585 zu gelangen, ist naturgemäß von der Einleitung auszugeben. Hier heißt es, daß Klagen von den Untertanen, und zwar den Fischereikorporationen der Lübecker, der Travemünder

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und der Schlutuper, an den Rat gekommen sind über die Fischerei auf des Rates und der Stadt Ströme und "angehorigen potmeßigkeiten", und daß deshalb die (Ordnung verfaßt worden ist, welche angibt, wie weit, wann, wie lang und inwiefern ein jeder die Fischerei gebrauchen soll. Nun kann es keinem Zweifel unterliegen, daß auf den "Strömen" der Stadt die Fischereihoheit zustand, und daß der Ausdruck "angehorige potmeßigkeiten" übersetzt werden kann mit "zugehörigen Gebieten, die unter der Botmäßigkeit der Stadt stehen", also mit "zugehörigen Hoheitsgebieten". Nur größte Oberflächlichkeit könnte aber hieraus folgern, daß infolgedessen alle in der Ordnung selbst behandelten Fischereigebiete und infolgedessen ohne weiteres auch die Strecke Priwall-Harkenbeck unbedingt zu den Hoheitsgebieten der Stadt gerechnet wurden. Dies bleibt vielmehr zu prüfen.

α) Es ist daher zunächst zu fragen, ob die Ordnung von 1585 wirklich nur Gebiete umfaßt, welche der "Botmäßigkeit" der Stadt, also ihrer Hoheit, unterstanden?

Da aber erkennen wir, daß die Ordnung auch die Fischerei in der "Wiek" und darüber hinaus in der weiterliegenden See, ferner aber auch in der über die Harkenbeckmündung hinausliegende See zuweist und regelt.

Unter der "Wiek" ist die Niendorfer Wiek zu verstehen; sie wird teils selbständig genannt, teils ist sie in der "See" eingeschlossen. Allgemein wird die Fischerei außerhalb der Trave in der See zugewiesen mit den Worten "Soweit sich des erbarn radts gerechtigkeit erstreckt und se ohre helse wagen willen".

Wie aber stand es mit der Fischerei der Stadt in der Niendorfer Wiek und der darüber hinausliegenden See an der holsteinschen Küste? Wir erinnern uns an das wichtige Privileg von 1252, durch welches Lübeck die abgabenfreie Fischerei an der ganzen holsteinschen Küste erhielt 138 ). Wir haben festgestellt, daß die Lübecker hiermit lediglich ein privates Nutzungsrecht, aber kein Hoheitsrecht, auch keine Fischereihoheit, bekamen 139 ).

Hat sich hierin etwas in der späteren Zeit geändert? Da ist es nun von Wichtigkeit, daß gerade kurze Zeit vor der Ordnung von 1585 Lübeck selbst gegenüber dem Amtmann von Cismar sich auf dieses Privileg von 1252 berufen hatte. Nach den Mit-


138) Siehe oben S. 54, S. 62 ff.
139) Siehe oben S. 66.
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teilungen von Rörig 140 ) glaubte im Jahre 1577 der Amtmann von Cismar, der Lübecker Fischerei an der Küste seines Amtsbezirkes ("auf seines amptes gepitte") entgegentreten zu sollen.

Es sei ihm "ganz ungeheuerlich" erschienen, daß die Travemünder Fischer "in eines Fürsten jurisdiction oder grundt und boden fischerei zu halten macht haben konnten". Als sich die Lübecker auf das Privileg von 1252 beriefen, erklärte sich 1583 schließlich der Amtmann bereit, "den Travemündern an der Küste seines Amtes keine Schwierigkeiten mehr zu machen". Der Amtmann erkannte also die Fischereiberechtigung der Lübecker nach Maßgabe des Privilegs von 1252 an, eine Gebietshoheit oder Fischereihoheit auf dem Küstengewässer seines Amtes hat er dagegen nicht eingeräumt, ebenso wenig auch ein ausschließliches Fischereinutzungsrecht der Lübecker. Auch an anderen Küstenstrecken Holsteins ist es um die gleiche Zeit zu Streitigkeiten gekommen; aus den Mitteilungen Rörigs 141 ) ergibt sich, daß man hier zu gewissen Abgrenzungen der Fischereiberechtigung der Lübecker und der Küstenbewohner kam, so war es insbesondere auch in der Niendorfer Wiek 142 ). Es hat sich also gegenüber dem Privileg von 1252 nichts Grundlegendes geändert 143 ).

Es ergibt sich somit, daß die "Wieck" und die sonstigen Küstengewässer der holsteinschen Küste von der Ordnung von 1585 mit umfaßt werden, aber der "Hoheit" der Stadt oder ihrer "Botmäßigkeit" nicht unterstanden 144 ). Was Lübeck hier hatte, sind private, nicht ausschließliche Fischereiberechtigungen, und sie werden in der Ordnung den drei Fischereikorporationen erneut zugewiesen unter Schlichtung von Streitigkeiten, wobei wir gewisse Beschränkungen der Schlutuper finden. In bezug auf diese Berechtigungen tritt Lübeck als gewöhnlicher Fischereiberechtigter in fremden Gewässern auf, der nur dadurch Besonderheiten aufweist, daß ihm eine Korporationshoheit zusteht 145 ). Dritten gegenüber wird ein Hoheitsrecht gar nicht gehandhabt. Man würde ja auch sonst zu dem "ungeheuerlichen" Ergebnis gelangen, daß


140) Rörig I, S. 8.
141) Rörig I, S. 8/9 und S. 10/11.
142) Ein ausschließliches Fischereirecht der Lübecker bestand niemals. Vgl. oben Anm. 105.
143) Siehe auch die Zeugenaussage in dem Fischreusenstreit von 1616 für das holsteinsche Ufer (Frage 7, Archiv II, S. 156).
144) Vgl. auch Archiv II, S. 146.
145) Vgl. Archiv II, S. 147.
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Lübeck sich ein Hoheitsrecht nicht allein über die Wiek, sondern über das ganze holsteinsche Küstengewässer beigelegt habe 146 ).

Wird das Gesagte berücksichtigt, so erscheint es durchaus verständlich, daß die Ordnung von 1585 in bezug auf die Fischerei "außerhalb der Trave in der See" davon spricht, daß sie reiche, "soweit sich des Rates Gerechtigkeit erstrecket und sie ihre Hälse wagen wollen". Der Ausdruck "Gerechtigkeit" ist hier in dem allgemeinen Sinn von "Berechtigung" zu nehmen. Gleichzeitig erkennt man, daß der Ausdruck "Botmäßigkeit" in der Einleitung der Ordnung zu weitgreifend gefaßt ist und infolgedessen mit dem Inhalt der Ordnung in Widerspruch steht 147 ).

Es entsteht allerdings die Frage, ob es nicht etwas Auffälliges ist, wenn Lübeck in einer einheitlichen "Ordnung" die Fischerei auf seinen Hoheitsgebieten und die Fischerei in fremden Gewässern, auf denen ihm nur Fischereiberechtigungen zustanden, behandelt. Wir können diese Frage wohl am besten dadurch erledigen, daß wir bemerken, daß Lübeck auch noch in neuester Zeit ausdrücklich eine solche Fischereiordnung erlassen hat. Die Fischereiordnung für den lübeckischen Freistaat vom 28. Februar 1881 bestimmt in § 1:

Die Fischereiordnung findet Anwendung auf die Küsten- und Binnenfischerei in allen unter lübeckischer Staatshoheit befindlichen und denjenigen fremdherrlichen Gewässern, auf denen und insoweit ein lübeckisches Mitbefischungsrecht ausgeübt wird, mit Ausnahme der geschlossenen Gewässer.

β) Wie stand es nun mit dem streitigen Küstengewässer (Strecke Priwall-Harkenbeck)?

Da ist nun jedenfalls das Nächstliegende, daß es von Lübeck mit als fremdherrliches Gewässer hereingezogen worden ist, in dem ihm Fischereiberechtigungen zustanden. Es handelt sich ja bei ihm genau so wie bei der Wiek und den


146) Auch das Mecklenburger Küstengewässer außerhalb der Harkenbeck würde alsdann unter diesem Hoheitsrecht stehen.
147) Unsere Betrachtung zeigt auch die Unrichtigkeit und Ungenauigkeit der Darstellung Rörigs. Aus seinem ersten Gutachten mußte man schließen, daß in der Ordnung von 1585 nur von Fischerei auf den Binnengewässern und dem "Reedegebiet" (d. h. im Sinne Rörigs) die Rede sei. In seinem zweiten Gutachten werden dann zwar noch einige Bestimmungen über eine Fischerei in der "offenen, wilden See" erwähnt, aber man gewinnt auch hier ein ganz falsches Bild, weil die Wiek nicht angeführt wird.
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sonstigen holsteinschen Küstengewässern um ein Küstengewässer an einem fremden Territorium. Auch an ihm bestand an sich ein landesherrliches Hoheitsrecht 148 ). Offenbar sind die Fischereirechte Lübecks hier aber auf Grund stillschweigender Duldung des Landesherrn erworben worden 149 ). Daß sie alsdann kräftiger ausgestaltet gewesen sein sollten wie an der holsteinschen Küste, ist besonders unwahrscheinlich 150 ). Und ebenso wenig haben wir Anlaß, Lübeck unterzuschieben, daß es in der Ordnung von 1585 mehr in Anspruch nahm, als ihm wirklich zukam.

Zunächst ist allerdings bei ihr eine Auslegung Rörigs richtigzustellen. Es wird in der Ordnung von 1585 den Schlutupern erlaubt, "jedem söhs questen up der mekelborger siden by Scharlang to leggenn, jedoch mit der weddeherrn weten, willen und nalath". Rörig sagt über diese Erlaubnis zur Legung von Laubbüscheln zum Aalfang: "Also über die Belegung des flachen Wassers am mecklenburgischen Ufer der Travemünder Reede verfügt 1585 nicht etwa Mecklenburg, sondern Lübeck" 151 ). Rörig versteht natürlich unter der "Travemünder Reede" hier die von ihm konstruierte Reede im weiteren Sinn. Allein eine Begrenzung des Ufers ist hier gar nicht angegeben, sie hätte aber durch Nennung der Harkenbeck erfolgen müssen, da die Ordnung auch die Fischerei außerhalb der Harkenbeck kennt. Da aber unmöglich das ganze Mecklenburger Seeufer ohne Grenze gemeint sein kann, läßt sich hieraus schon folgern, daß überhaupt die ganze Ortsbestimmung Rörigs nicht richtig ist. Offenbar bezieht sich die Stelle auf das Ufer an der Binnentrave an der Mecklenburger Seite 152 ). Und dies wird bestätigt durch eine andere Stelle der Ordnung von 1585, in der es heißt, daß die Travemünder "jnn der traven mit leggung der queste und angeln van den


148) Vgl. oben S. 65 II 1.
149) Ein Privileg ist nicht bekannt. Wenn es existiert hätte, hätte es in dem späteren Fischreusenstreit eine Rolle gespielt.
150) Vgl. oben S. 66. Wenn Rörig die Parallele zwischen dem holsteinschen Ufer und dem Mecklenburger Ufer zwar anerkennen will, aber gerade nicht auf der Strecke Priwall-Harkenbeck, weil dort andere rechtliche Voraussetzungen vorlagen, so beruht dies auf seiner irrigen Vorstellung von der Reede im weiteren Sinn und ihrer rechtlichen Einheit mit der Trave.
151) Rörig II, S. 268; siehe oben S. 77.
152) Archiv II, S. 146, Anm. 274 bemerkt, daß die Auslegung Rörigs nicht sicher sei, es handle sich "eher" um das Ufer der Binnentrave.
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tögen, de aldar van olders gehalden worden, bliven, und de Schluckupper dadurch an ehrer vischerey nicht behindern 153 ).

Sehen wir uns aber das an, was in der Ordnung von 1585 sich wirklich auf die Strecke Priwall-Harkenbeck bezieht, so ist in ihr nichts zu finden, was unserem nächstliegenden Ergebnis widerspricht, ja es lassen sich Momente anführen, welche es bestätigen. Zunächst ist festzustellen, daß die Ordnung nichts von einem ausschließlichen Fischereirecht Lübecks an der streitigen Strecke erwähnt, ein solches würde allerdings in starkem Grade auf ein Hoheitsrecht hinweisen. Sodann ist bei der Annahme eines Hoheitsrechts völlig unerklärlich, daß in der Ordnung nicht eine feste Abgrenzung gegenüber dem sonstigen Mecklenburger Küstengewässer gegeben wird. Nicht allein, daß die Harkenbeck gar nicht als hoheitsrechtlicher Endpunkt akzentuiert wird, indem auch von der Fischerei außerhalb der Harkenbeck die Rede ist, vor allem fehlt jede Abgrenzung des streitigen Küstengewässers durch die Angabe einer Linie von der Harkenbeckmündung in die See hinein.

Angesichts aller dieser Momente müßten es schon völlig eindeutige Beweise außerhalb der Ordnung von 1585 sein, welche Anlaß geben könnten, von unserer Deutung abzugehen. Mir scheinen solche nicht vorzuliegen. Zu beachten wäre dabei zunächst die Aussage des Zöllners Tydemann im Jahre 1547, die wir schon früher angeführt haben 154 ). Er sagte:

"Datt ein erbar radt to Lübeck je und allewege strom und strand von der reyde an beth in die Harkenbeke tho verbiddende gehett hebben, we ock nech in desse stunde."

Zur Würdigung dieser Aussage ist zu beachten, daß sie gelegentlich eines Streites zwischen Lübeck und Mecklenburg über das Strandrecht am Priwall gemacht wurde. Daraus ergibt sich zunächst, daß sie, für die Strecke Priwall-Harkenbeck überhaupt keine unmittelbare Bedeutung gehabt hat. Beachtet man aber ferner, daß es bei der Aussage gerade auf ein Strandrecht im engeren Sinne ankam, ein solches jedoch Lübeck an dieser weiteren Strecke überhaupt nicht besessen hat, so wird der Beweiswert dieser Aussage ganz abgeschwächt. Man kann daher nicht annehmen, daß sich Lübeck bei seiner Ordnung von Vorstellungen hat leiten lassen, die dieser Aussage zugrunde lagen.


153) Gerade die letzten Worte bestätigen dieses besondere Recht der Schlutuper auf den Aalfang. Die Worte sind Archiv II a. a. O. fortgelassen.
154) siehe oben S. 68, 69.
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Weiter wäre die Stellungnahme Lübecks bei den Fischreusenstreitigkeiten 1616 in Betracht zu ziehen, aus der Rückschlüsse für 1585 gemacht werden könnten. Es mag daher bereits hier bemerkt werden, daß die Ausführungen Lübecks in dieser Angelegenheit widerspruchsvoll und nicht stichhaltig sind und durch eine ganz besondere Neuerung im Fischfang hervorgerufen worden sind. Dagegen wird unsere Auslegung durch die Mecklenburger Stellungnahme und die Mecklenburger Zeugenaussagen bestätigt 155 ).

Nach alledem können wir sagen, daß überwiegende Gründe dafür sprechen, daß Lübeck in der Fischereiordnung von 1585 die Fischerei in dem streitigen Küstengewässer nicht kraft einer Fischereihoheit über dieses Küstengewässer geregelt hat.

b) Der Vergleich von 1610 stellt sich als eine Verordnung Lübecks dar, welche auf Grund von Streitigkeiten der lübischen Fischerkorporationen erlassen wurde und sich auf dieselben Gebiete bezieht wie die Verordnung von 1585 156 ). Er hat in bezug auf das streitige Küstengewässer denselben Charakter wie die Verordnung von 1585. Neue Momente, die Anlaß zu einer anderen Ansicht geben könnten, treten nicht zutage.

c) Der Vergleich von 1826 157 ) betrifft in der Hauptsache die Strecke Priwall-Harkenbeck, aber es ist auch die Fischerei außerhalb der Harkenbeck (und des Mövensteins) hereingezogen 158 ). Es handelt sich um einen Vergleich, der zwischen den Travemündern und den anderen Lübecker Fischerkorporationen zur Beendigung endloser Streitigkeiten abgeschlossen und von den Wetteherren bestätigt wurde. Auch hier ergeben sich keine neuen Momente, welche gegen unsere Deutung sprechen, daß Fischereiberechtigungen Lübecks in fremdherrlichen Küstengewässern in Frage stehen, die den Fischerkorporationen Lübecks zugeteilt sind. Rörig behauptet freilich, daß dieser Vergleich die ausschließliche Fischerei der lübischen Fischereikorporationen ergebe. Er


155) Siehe unten S. 88 ff.
156) Bei Rörig II im Anhang II. Die wichtigste Stelle ist oben S. 45 mitgeteilt, aus der zu ersehen ist, daß die Verordnung sich auf dieselben Gebiete bezieht, wie die von 1585. Insbesondere ist auch hier von der Fischerei außerhalb der Harkenbeck in die See die Rede.
157) Bei Rörig II im Anhang IV.
158) Unter D 3: "Krabben-Körbe dürfen der bisherigen Ordnung gemäß nur außerhalb des Mevensteins und Harkenbeck, ohne näher damit herein zu rücken, von den Travemünder Fischern gesetzt werden." Vgl. auch Archiv II, S. 146.
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gebe "ein so minutiöses Bild der dort ausgeübten Wadenfischerei und der Strandfischerei mit Netzen, Angeln und Krabbenhamen, daß es ausgeschlossen ist, sich weitere Befugnisse derselben Art an diesem Küstenstriche auch nur zu denken" 159 ). Allein dies ist eine durch nichts bewiesene Behauptung. Sie wird auch unter anderem dadurch widerlegt, daß unstreitig Mecklenburger Fischer seit 1870 zu einer Zeit, wo dieser Vergleich noch galt, Jahrzehnte hindurch gefischt haben 160 ). Man versteht nicht, wie sie Platz gefunden hätten, wenn die Behauptung Rörigs richtig wäre. Oder sollten die Lübecker Fischerkorporationen unter Preisgabe ihrer angeblich bis ins einzelne geregelten Befugnisse ihnen Platz gemacht haben?

d) Die Fischereiordnung vom 28. Februar 1881.

Sie geht zurück auf ein zwischen mehreren Regierungen am 1. Dezember 1877/8. Mai 1880 getroffenes Übereinkommen wegen Herbeiführung übereinstimmender Maßregeln zum Schutze und zur Hebung der Fischerei.

Sie bezieht sich, wie wir schon früher sahen 161 ), "auf die Küsten- und Binnenfischerei in allen unter lübeckischer Staatshoheit befindlichen und denjenigen fremdherrlichen Gewässern, auf denen und insoweit ein lübeckisches Mitbefischungsrecht ausgeübt wird, mit Ausnahme der geschlossenen Gewässer" § 1.

In § 3 ist alsdann bestimmt:

"Im Sinne dieser Ordnung ist Küstenfischerei diejenige Fischerei, welche in dem der lübeckischen Staatshoheit unterworfenen Teile der (Ostsee und in der Trave mit ihren Ausbuchtungen (einschließlich des Dassower Sees und Poetenitzer Wyck) von der Mündung aufwärts bis zur Herrenfähre und dem Damm der Chaussee von Lübeck nach Travemünde, Binnenfischerei diejenige, welche in den übrigen Gewässern und in der Trave bis abwärts zu dem Punkte, wo die Küstenfischerei beginnt, betrieben wird."

Wir haben früher den § 1 dieser Ordnung dafür verwertet, daß eine einheitliche Reglung der Fischerei auf den Hoheitsgebieten und der Mitfischerei auf fremdherrlichen Gewässern in Lübeck nichts Auffälliges war 162 ). Jetzt entsteht für uns die


159) Rörig II, S. 270.
160) Siehe Rörig II, S. 304.
161) Oben S. 81.
162) Dieser Beweiswert bleibt stets bestehen, wie man auch über die folgende Frage denken mag.
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ganz andere Frage, welche Fischereigebiete nach Maßgabe der Ordnung von 1881 als fremdherrliche Gewässer in Betracht kamen. Nun ist eins klar: Geht man rein von dem Wortlaut des § 3 aus, welcher als Küstenfischerei bezeichnet die Fischerei, welche in dem der lübeckischen Staatshoheit unterworfenen Teile der (Ostsee und in gewissen Teilen der Trave betrieben wird, so würde sich ergeben, daß die Fischerei in der Ostsee nur geregelt werden soll, insoweit die Ostsee der lübeckischen Staatshoheit unterlag. Wie weit unterlag sie aber der Staatshoheit Lübecks? Wir wissen, daß man gerade in den Zeiten der Abfassung dieses Gesetzes in Lübeck durchaus völkerrechtlichen Ansichten in bezug auf das Küstengewässer der Ostsee huldigte 163 ). Es ist ferner klar, daß man bei dieser Fischereiordnung, die auf einer Verständigung mehrerer deutscher Staaten beruht, die allgemein anerkannten Grundsätze über die Staatshoheit in Meeresgewässern, im Auge haben mußte. Das Ergebnis wäre alsdann, daß von der Verordnung nicht umfaßt würden einmal die Fischereirechte Lübecks in der Niendorfer Wiek und in den holsteinschen Küstengewässern, und sodann und vor allem aber auch das streitige Küstengewässer (Priwall-Harkenbeck).

Die Auslegung, daß die Fischerei in der Ostsee nur geregelt werden soll, insoweit die Ostsee der lübeckischen Staatshoheit unterlag, hat aber ihre Bedenken, weil sie zu dem Ergebnis führen würde, daß für die fremdherrlichen Gewässer, von denen in der Ordnung die Rede ist, nur die Binnengewässer übrig blieben. Soviel wir sehen, kamen aber für Lübeck zu dieser Zeit keine fremdherrlichen Binnengewässer in Betracht.

Eine andere Auslegung ist dann möglich, wenn man die Definition der Küstenfischerei in § 3 durch § 1 ergänzt 164 ). Das würde bedeuten, daß der Küstenfischerei in den Teilen der Ostsee, welche der lübeckischen Staatshoheit unterliegen, gleichgestellt werden muß die Küstenfischerei in den Teilen der Ostsee, welche fremdherrliche Gewässer sind, in denen Lübeck aber ein Mitbefischungsrecht zusteht. Selbstverständlich könnten die Bestimmungen der Ordnung in den fremdherrlichen Gewässern aber nur insoweit gelten, als sie nicht mit Vorschriften des Inhabers des Hoheitsrechts im Widerspruch stehen. Legt man auch hier die da-


163) Oben S. 72, 73.
164) Man könnte sich hierfür auch darauf berufen, daß das Wort "allen" in § 1 auch auf die fremdherrlichen Gewässer zu beziehen sei.
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mals in Lübeck maßgebenden völkerrechtlichen Anschauungen zugrunde, so würden alsdann die vorhin genannten Strecken, insbesondere die Strecke Priwall-Harkenbeck, als fremdherrliche Gewässer, in denen Lübeck ein Mitbefischungsrecht zusteht, unter die Fischereiordnung Lübecks fallen.

Jedenfalls würde das Ergebnis stets sein, daß die Fischereiordnung von 1881 keine gesetzliche Reglung der Fischerei in dem streitigen Küstengewässer auf Grund einer Lübecker Fischereihoheit enthält.

Es ist auffallend, daß Rörig diese wichtige Fischereiordnung Lübecks von 1881 gar nicht bespricht. Offenbar ist er von dem Hoheitsrecht Lübecks auf der Reede im weiteren Sinn derart überzeugt, daß er es als selbstverständlich annimmt, daß die Staatshoheit Lübecks im Sinn der Ordnung von 1881 sich auf sie und damit auf das streitige Küstengewässer erstreckte. Allein wie ist dies damit vereinbar, daß man, wie auch Rörig anerkennt, zur Zeit der Abfassung des Gesetzes völkerrechtlichen Anschauungen in bezug auf die Travemünder Bucht huldigte? Und wie war es mit der Abgrenzung der "Reede", die doch Rörig erst entdeckt hat und die damals ganz unbekannt war?

e) Das Fischereigesetz vom 25. Juni 1896 hat gemäß § 1 das Fischereiregal in der Travemünder Bucht in Anspruch genommen, und zwar bis zur Linie Harkenbeck-Haffkruger Feld (§ 2 IV). Es ist die erste allgemeine Verordnung, auf welche wir stoßen, die eine Reglung in bezug auf das streitige Küstengewässer enthält, welche einwandfrei ergibt, daß sie auf einer Inanspruchnahme einer Fischereihoheit durch Lübeck beruht. Aber sie umfaßt, wie wir bereits früher sahen 165 ), nur einen Teil des streitigen Küstengewässers. Erst das Lübecker Fischereigesetz von 1925 hat unter voller Aufnahme der Rörigschen Behauptungen das ganze streitige Küstengewässer in eine fischereihoheitliche Reglung einbezogen 166 ).

2. Sonstige Verwaltung und Gerichtsbarkeit.

a) Von Rörig wird die Handhabung eines Fischereipolizeizwanges behauptet, durch welchen Lübeck namentlich Dritte von der Fischerei durch Zwangsmaßnahmen ferngehalten hätte.


165) Siehe oben S. 72, 74.
166) Vgl. oben S. 72, 74.
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α) Im Jahre 1600 sei "nach vorhergehendem Ratsbeschluß den Älterleuten von der Wette befohlen worden, wenn sie den Jochim Schröder (früher Schlutuper Wadenmeister), der im Auftrage des Junkers Vike Bülow auf Harkensee auf der "Reede" Wadenfischerei getrieben hatte, auf der "Reede" anträfen, ihm Kahn, Wade und alle Gerätschaften zu nehmen 167 ). Rörig versteht hier unter "Reede" seine Reede im weiteren Sinn.

Das Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs hat aber die Unrichtigkeit der Rörigschen Behauptungen schlagend nachgewiesen 168 ). Rörig vermengt in diesem Fall Eintragungen im Wettebuch und spätere Aussagen Mecklenburger Fischer, so daß ein ganz falscher Tatbestand entsteht, außerdem widerspricht er seinen früheren Ausführungen, nach denen der Ausdruck "Reede" bis 1616 nur im Sinn von nautischer Reede verstanden worden ist. In Wirklichkeit lag die Sache so, daß der Jochim Schröder außerhalb der nautischen Reede und innerhalb der Trave und Pötenitz gefischt hatte, und der Rat hatte angeordnet, daß ihm Wade und Kahn fortzunehmen sei, sofern man ihn auf des Rates Boden (d. h. am Lübecker Strande) oder auf der nautischen Reede antreffen würde. Hierzu war Lübeck natürlich berechtigt, denn auf der Trave hatte Schröder nichts zu suchen und am Lübecker Strand und der dabei gelegenen nautischen Reede konnte Lübeck polizeiliche Maßnahmen vornehmen. Bei der Aussage der Zeugen im Jahre 1616 handelt es sich dagegen nicht um diesen Fall, sondern um etwas ganz anderes. Die Zeugen bekunden, daß Junker Vike Bülow mit der großen Wade bis an das lübische Blockhaus oder bis nahe an Travemünde gefischt habe und dies ihm nicht verwehrt worden sei. Hier war also freie Fischerei und Lübeck wehrte sie nicht. Es ist aber unrichtig, wenn Rörig unter Vermengung mit dem Fall des Jochim Schröder sagt, daß Bülow es nur einem "Glücksfall" zuzuschreiben habe, wenn seine Wadenfischerei nicht sofort unterdrückt sei.

β) Der Fischreusenstreit von 1616.

Im März 1616 errichteten einige mecklenburgische Adlige eine große Fischreuse am Strande von Rosenhagen, das zu Harkensee gehörte. Die Fischreuse ragte außerordentlich weit in die Travemünder Bucht hinein. Dies ist der Ausgangspunkt des sog. Fischreusenstreites, dessen Verlauf sich aus dem


167) Rörig I, S. 49, dazu I S. 57 und Rörig II, S. 279.
168) Archiv II, S. 147 f.
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Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs ergibt 169 ). Im einzelnen ist auf die dortigen Ausführungen zu verweisen. Es sei hier kurz zusammenfassend folgendes hervorgehoben: Lübeck forderte am 29. März die Adligen zur Entfernung der Reuse auf, diese lehnen es ab und schlagen einen Lokaltermin vor. Als dieser ergebnislos verlief, ließ Lübeck die Reuse durch "einen Haufen Volks" gewaltsam entfernen. Die Adligen beschwerten sich am 6. April beim Herzog von Mecklenburg. Dieser ließ an Ort und Stelle eine eingehende Untersuchung anstellen, bei welcher 11 Zeugen unter Eid über verschiedene, mit der Angelegenheit zusammenhängende Fragen vernommen wurden. Auf den Bericht der Kommission hin richtete der Herzog an Lübeck ein Beschwerdeschreiben vom 22. Mai, in welchem Schadenersatz verlangt, die Neuerrichtung der Reuse mitgeteilt und mit Repressalien gedroht wurde. Gleichzeitig wies der Herzog die Adligen zur Neuerrichtung der Reuse an. Auf dieses Schreiben antwortete Lübeck unter dem 12. Juni 1616. - Es verging nunmehr einige Zeit mit Herstellung der Reuse. Sie wurde erst am 24. April 1617 ins Wasser gesetzt.

Am 27. April 1617 wurde die Reuse wiederum von Lübeck gewaltsam zerstört. Jetzt wurde von Mecklenburger Seite (Herzöge und einer der Adligen) beim Reichskammergericht gegen Lübeck geklagt. Es wurde ein Mandat gegen Lübeck vom 5. Juli 1618 erwirkt, durch welches Lübeck angewiesen wurde, die Reusen und Pfähle zu restituieren und in den vorigen Stand zu setzen. Hiergegen überreichte der Lübecker Syndikus, Lizentiat Martin Khun, am 2. Oktober 1618 eine Exzeptionsschrift beim Reichskammergericht. Über den weiteren Verlauf des Prozesses sind wir nicht unterrichtet.

Für die Beurteilung des Vorfalls sind natürlich von besonderer Wichtigkeit die beiden Schreiben Lübecks, das eine vom 29. März 1616 an die Adligen, das andere vom 12. Juni 1616 an den Herzog. Dabei ist zu beachten, daß dieses zweite Schreiben eine Antwort auf die Beschwerdeschrift des Herzogs vom 22. Mai 1616 ist. Der Standpunkt Lübecks tritt ferner entscheidend hervor in der Exzeptionsschrift des Syndikus Khun. Es kann keine Rede davon sein, daß dieses Schreiben als Quelle überhaupt auszuscheiden habe (!), wie Rörig will 170 ). Rörig behauptet, der Syndikus sei von Lübeck nicht orientiert worden, er sei das Opfer von Mißverständnissen geworden 171 ). Allein das ist unzutref-


169) Archiv II, S. 150 ff. Vgl. auch Rörig II, S. 277 ff.
170) Rörig II, S. 290.
171) Rörig II, S. 285 ff.
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fend 172 ). Ganz sonderbar ist schließlich die Berufung Rörigs auf die Protestationsklausel; es handelt sich um die allgemein gebräuchliche Klausel, die jeder Prozeßvertreter formalerweise anwendete, eine spezielle Bedeutung kommt ihr in unserm Fall nicht zu. - Wertvolle Ergänzungen für unsere Erkenntnis bieten aber auch die Schreiben der Adligen, der Kommissionsbericht und die Zeugenaussagen, die natürlich in unbefangener Weise gewürdigt werden müssen.

Da wir prüfen wollen, ob ein Hoheitsakt Lübecks vorliegt und vorliegen kann, der in einer Fischereihoheit über das streitige Küstengewässer wurzelt, gehen wir am besten von dem Schreiben der Lübecker an den Herzog vom 12. Juni 1616 aus.

Der Anfang des Schreibens enthält zunächst wichtige Zugeständnisse:

Es wird erklärt, daß ihnen niemals in den Sinn gekommen sei, die Adligen in dem "jure piscandi", "wan sie sich nur derselben wie herkommens und je allewege biß die zeit so woll bei ihnen selbst als ihren vorfahren gebreuchlich gebraucht" irgendwie zu "turbiren oder zu behindern" 173 ).

Und in unmittelbarem Zusammenhang wird hinzugefügt, daß sie noch weniger etwas hätten vornehmen wollen, wodurch der Herzog an seinem "des orths angrentzendem lande und desselben bottmeßichkeit" beeinträchtigt würde.

Als Begründung für die Zerstörung der Reuse wird alsdann angegeben, daß sie eine neue, ungewöhnliche, präjudizierliche und sehr schädliche Art der Fischerei darstelle: sie sei "uff unserem unstreitigen reide" derart weitgehend in das Wasser herein gemacht worden, daß hierdurch die Fischerei des Travestroms, des Dassower Sees und anderer Örter zerstört und außerdem auch die Schiffahrt im Aus- und Eingang verhindert worden sei. Es sei nicht richtig, daß solche Reusen und Pfähle an der holsteinschen Küste gebraucht würden; Lübeck würde sie sich aber auch da nicht gefallen lassen. Schließlich wird gesagt:

"Deweil dan . . . der Trauenstromb mit dem port und der reide, von Olderschlo an biß in die offenbahre see, unangesehen viele underscheidliche territoria daran stoßen, dieser guten statt wie mit Keyserlichen und Königlichen privilegien auch underschedlichen actibus possessoriis, so woll criminal- als civil-sachen, da es nott sein solte, woll zu behaupten, zugehorich." -


172) Zu folgendem Archiv II, S. 174 f.
173) An einer späteren Stelle ist nochmals hervorgehoben, daß sie gegen eine hergebrachte Fischerei der Adligen nichts einzuwenden hätten.
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Es ist hiernach folgendes festzustellen:

Die Lübecker wenden sich gegen eine Fischfangeinrichtung, die außerordentlich weit mit ihren Pfählen und Anhängseln in die Bucht hineinragte und so bisher noch nicht angewendet worden war, weil sie ihrem Fischereibetrieb in der Trave und auch sonst schädlich war und angeblich sogar die freie Ein- und Ausfahrt bei der Trave verhinderte. Sie erkennen aber völlig an die sonstige Fischereiberechtigung der Mecklenburger und die "Botmäßigkeit" des Herzogs.

Was die Fischerei der Mecklenburger als solche anlangt, so wird das Zugeständnis Lübecks nicht allein in der Exzeptionsschrift mehrmals wiederholt, sondern es ist hier auch ausdrücklich vom Fischen mit Waden und Netzen die Rede. Es wird ferner die Mecklenburger Fischerei voll bestätigt durch die Zeugenaussagen in diesem Prozeß 174 ), die man noch durch die Zeugenaussagen in dem Streit wegen der Seefischerei bei Gaarz im Jahre 1618 175 ) verstärken kann.

Was bedeutet aber die "Botmäßigkeit" des Herzogs? Was darunter gemeint ist, wird aufgeklärt durch einen Zusatz im Konzept des Lübecker Schreibens, durch die Exzeptionsschrift und durch das Schreiben des Herzogs vom 22. Mai 1616, auf das Lübeck ja antwortete. Der Herzog sagt in seinem Schreiben 176 ): Es sei notorisch und den Lübeckern bekannt,

"das so wol das feste Land als der Strand und die Strandgerechtigkeit und was dem anhengig nit allein des Orts, do die Reusen gestanden", - sondern von Wismar bis Travemünde "dem Fürstl. Hause Mecklenburg iure superioritatis unzweifelhaft einzig und allein zuständig."

In dem Konzept des Lübecker Schreibens hatte daher auch an Stelle des Wortes "Botmäßigkeit" gestanden: "Strand und Strandgerechtigkeit" 177 ), und man hatte die letzten Worte lediglich gestrichen, um nicht damit das Strandrecht im engeren Sinn (Bergerecht) unnötigerweise anzuerkennen 178 ). In der Exzeptionsschrift wird dann wieder zweimal davon gesprochen, daß Lübeck sich niemals die "Strandgerechtigkeit" habe anmaßen


174) Siehe Archiv II, S. 155 f.
175) Siehe Archiv II, S. 177/178.
176) Archiv II, S. 162.
177) Vgl. den Abdruck bei Rörig III, Anlage 1 b, S. 314.
178) Archiv II, S. 166.
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wollen, und um den früheren Bedenken Rechnung zu tragen, ist der Ausdruck "novum jus der Strandgerechtigkeit" gewählt.

Es ergibt sich hieraus, daß Lübeck die "Strandgerechtigkeit" des Herzogs allgemein und auch an der in Frage stehenden Uferstrecke anerkannt hat. Und zwar in ihrem vollen Umfang! "Strandgerechtigkeit" ist aber der technische Ausdruck für "Strandhoheit", diese bezieht sich jedoch nicht bloß auf den trockenen Strand, sondern auch auf das Küstengewässer, und umfaßt auch die Fischereihoheit 179 ). Deshalb werden auch in dem Schreiben und in der Exzeptionsschrift 180 ) die Strandgerechtigkeit und die Fischerei in eine enge Verbindung gebracht.

Wenn nun Lübeck weiter erklärt, daß die Reuse auf seiner "Reede" gestanden und diese "Reede" ihm auf Grund kaiserlicher Privilegien und zahlreicher Besitzhandlungen zugehörig sei, so ist dies, insoweit das mecklenburgische Küstengewässer in Frage steht, ein völliger Widerspruch zu dem früheren Anerkenntnis. Sieht man aber von diesem Widerspruch ab, so ist folgendes festzustellen: Lübeck führt hier den Ausdruck "Reede" neu ein 181 ), um etwas ganz anderes zu bezeichnen, als bisher darunter verstanden wurde; bisher kannte man nur die nautische Reede 182 ). Ferner: Lübeck macht sich einer Unwahrheit schuldig, wenn es sagt, daß ihm diese Reede durch kaiserliche Privilegien zugesprochen sei, denn das Barbarossaprivileg enthält nur Verleihung der Flußfischerei bis zur Mündung der Trave 183 ). Schließlich, Hoheitshandlungen Lübecks auf der "Reede" (im erweiterten Sinn Lübecks) gegenüber Dritten sind nicht bekannt. Auch das ergeben völlig einwandfrei die Zeugenaussagen 184 ). Eine Aufsicht der Fischereiältesten Lübecks gegenüber Dritten hat hier nicht bestanden 185 ). - Wie wenig geheuer Lübeck auch bei der neuen


179) Archiv II, S. 154.
180) Vgl. die Stelle, die in Archiv II, S. 172 hierfür angeführt wird. - Eine andere Stelle in der Exzeptionsschrift steht freilich hiermit im Widerspruch, indem sie die Reede der Stadt zuspricht, auf ihr aber nach allgemeinen Rechten den Anliegern Fischereigebrauch zuerkennt.
181) In dem kurz vorhergegangenen Schreiben an die Adligen war der Ausdruck zuerst gebraucht.
182) Siehe oben S. 71.
183) Siehe oben S. 41 ff.
184) Siehe Archiv II, S. 155 f. - Über die Wadenfischerei des Junkers von Bülow siehe noch unten S. 94.
185) Die Fischereiältesten hatten die Aufsicht über die Binnengewässer und über ihre Mitglieder bei dem Fischfang in der Bucht. Natürlich konnten sie auch sonst jede beliebige "Anzeige" erstatten.
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Reede ist, zeigt sich darin, daß es als Grund für sein Vorgehen nicht die Störung der Fischerei auf dieser Reede, sondern die Störung der Fischerei in der Binnentrave und der Traveeinfahrt hervorhebt. Die Exzeptionsschrift aber wandelt, um dem neuen Reedebegriff "Facon" zu geben, die "Reede" fogar zum "portus" um 186 ).

Das Vorgehen Lübecks in dem Fischreusenstreit von 1616 ist daher nicht als die Ausübung einer ihm zustehenden Fischereihoheit zu werten, denn die von ihm für eine solche vorgebrachte Begründung ist nicht stichhaltig und steht mit seinen eigenen Zugeständnisse im Widerspruch. Das Vorgehen Lübecks ist eine unrechtmäßige Gewalttat, die als Anmaßung eines Rechtes erschien und als solche zurückgewiesen und gebrandmarkt wurde.

Zu ganz anderen Ergebnissen gelangt Rörig. Nach ihm bedeutet der Fischreusenstreit von 1616 "die erfolgreiche Abwehr Mecklenburger Versuche, den alten Bestand lübischer Hoheitsrechte nach Inhalt und räumlicher Ausdehnung zurückzudrängen 187 ). Der Irrtum Rörigs aber beruht auf sehr verschiedenen Gründen. Vor allem darauf, daß er von dem wirklichen Vorhandensein einer von lübischen Hoheitsrechten erfüllten Reede im weiteren Sinn ausgeht, und die Behauptungen Lübecks über sie, die hier zum ersten Male auftreten, für bare Münze nimmt. Ein weiterer schwerer Fehler von ihm ist der, daß er die Exzeptionsschrift als ergänzende Quelle ausschaltet 188 ), die sämtlichen Mecklenburger Zeugenaussagen verwirft 189 ) und immer wieder den von ihm ganz falsch verstandenen Vorgang über die Fischerei des Jochim Schröder heranzieht 190 ). Die wichtigen beiden Zugeständnisse Lübecks in seinem Schreiben vom 12. Juni 1616 und in der Exzeptionsschrift in bezug auf die Strandgerechtigkeit und die Mecklenburger Fischerei werden von Rörig in einer geradezu gewaltsamen und ausgetüftelten Weise zu beseitigen gesucht.


186) "Der Trave-Strome mit dem Port, so man die lübische Reide nennet." Vgl. hierzu das Schreiben Lübecks vom 12. Juni 1616: "Der Travestromb mit dem port und der reide." Über den Hafen zu Travemünde siehe Archiv II, S. 101.
187) Rörig II, S. 294.
188) Oben S. 89.
189) Rörig II, S. 281.
190) Siehe oben S. 87/88; vgl. z. B. Rörig II, S. 286, Anm. 9.
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Lübeck habe nur "Botmäßigkeit am Lande selbst" zuerkennen wollen 191 ), und bei dem allgemeinen Zugeständnis der bisherigen und zukünftigen Fischerei der Mecklenburger sei Lübeck unehrlich und mit einer "reservatio mentalis" verfahren!! 192 ). Die Fischereihoheit Lübecks habe bis unmittelbar ans Ufer gereicht, und die Mecklenburger hätten nur Krabbenfang, vielleicht auch Aalfang betrieben 193 ). Mir scheint, daß diese Ausführungen Rörigs sich selbst richten.

Nicht recht verständlich ist es, wenn Rörig in seinem dritten Gutachten auf die Verhältnisse an der Schlei und auf das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 20. Juni 1920 verweist 194 ). An der Schlei hatte die Stadt Schleswig kraft Privilegs ein ausschließliches Fischereirecht und hat dies gegen Eingriffe der Anlieger durch Zerstörung und Wegnehmen von Fischereigeräten, Pfählen usw. geschützt. Nun zitiert Rörig aus dem Urteil den Satz: "Deutlicher kann der Ausschluß Dritter nicht ausgesprochen werden." Allein dies wird doch von keinem Menschen bestritten. Selbstverständlich wollte Lübeck mit seiner Zerstörung der Reuse den Ausschluß der Reusenleger, mit diesem Fanggerät zu fischen, aussprechen. Aber während Schleswig in Ausübung eines feierlich verbrieften, wirklichen Rechts und mit rechter Gewalt handelte, beging Lübeck im Jahre 1616 unter Anmaßung eines Rechts eine unrechtmäßige Gewalttat. Das sind doch himmelweit verschiedene Dinge.

γ) Die Fischreusenzerstörung in Jahre 1658.

Als einen weiteren Fall berechtigter Handhabung fischereirechtlicher Polizeigewalt glaubt Rörig die Fischreusenzerstörung im Jahre 1658 anführen zu können 195 ). Es war wiederum bei Rosenhagen von einem Junker von Bülow eine große Fischreuse gesetzt worden. Die Lübecker Fischereiältesten machten am 14. Juli 1658 eine Eingabe hierüber an den Rat 196 ) mit der Mitteilung, daß infolge der Reuse die Fische "nicht mehr herein suchen können"

und eine Vergrößerung des Werkes zu befürchten sei. Sie verweisen auf den Vorgang von 1616 und bitten um eine erneute 'entsprechende Verfügung zur Zerstörung der Reuse. Es folgt


191) Rörig II, S. 273.
192) Rörig II, S. 286.
193) Rörig II, S. 272.
194) Rörig III, unter IV c.
195) Rörig II, S. 265, S. 295 ff. Hierzu Archiv II, S. 180.
196) Abgedruckt bei Rörig II, Anlage II, S. 317.
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dann der Vorgang, wie er in dem Protokoll vom 26. Juli 1658 197 ) geschildert wird.

Rechtlich ist der ganze Vorgang genau so zu beurteilen wie der Vorgang im Jahre 1616. Rörig macht demgegenüber insbesondere geltend, daß im Jahre 1658 die Anzeige der Fischer ausdrücklich erfolgt sei, weil es des Rates "jurisdiction, hoch- und gerechtigkeit" betreffe, und die Fischer zu einer solchen Anzeige kraft des nunmehr präzise formulierten Fischereides verpflichtet gewesen seien. Allein die Eidesformel ist ganz allgemein gehalten, sie umfaßt die "Ströme" des Rates und verpflichtet zur Anzeige einer jeden Verletzung der "frei- hoch- und gerechtigkeit" des Rates. Die entscheidende Frage ist doch aber die, ob wirklich das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck unter der Fischereihoheit der Stadt stand. Hier aber hatte Lübeck im Jahre 1618 die Strandgerechtigkeit und Fischereihoheit Mecklenburgs anerkannt. - Rörig beruft sich ferner darauf, daß man sich im Jahre 1658 das Vorgehen Lübecks habe gefallen lassen. Allein wir kennen die weiteren Ereignisse nicht, und es ist unstatthaft, irgend etwas Bestimmtes zu vermuten.

δ) Aus der ganzen Zeit von 1658 bis 1911 kann Rörig keine Fälle von fischerpolizeilichen Zwangsmaßnahmen Lübecks gegen Mecklenburger Fischer anführen.

Rörig sucht dies für die Zeit bis zum Jahre 1870 daraus zu erklären, daß nunmehr Mecklenburger Fischer auf der "Reede" überhaupt nicht mehr erschienen seien 198 ). Seit dem 19. Jahrhundert sei es sogar mit dem Krabben- und Aalfang der Mecklenburger an der Strecke Priwall-Harkenbeck zu Ende gewesen 199 ). Die letzte Bemerkung hängt mit der falschen Vorstellung Rörigs über das Aufhören der "Strandgerechtigkeit" zusammen, auf welche später noch zurückzukommen ist. Hier müssen wir die Behauptung Rörigs von dem Fehlen der Mecklenburger Meeresfischerei mit der größten Entschiedenheit zurückweisen.

Diese Behauptung ist angesichts der Fülle der Belege, die wir zur Zeit des Fischreusenstreites haben, geradezu ein Unding. Selbst wenn Lübeck seinen Willen in bezug auf die neuen großen Fischreusen durchgesetzt hätte, warum sollten die Mecklenburger den sonstigen herkömmlichen Fischfang hier aufgegeben haben? Hierzu lag ja auch vom Lübecker Standpunkt aus nicht die aller-


197) Abgedruckt bei Rörig II, Anlage III S. 318.
198) Rörig II, S. 299.
199) Rörig II, S. 301.
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geringste Veranlassung vor! - Für die Zeit nach 1870 will Rörig die "Zulassung" Mecklenburger Fischer aus dem Eindringen völkerrechtlicher Anschauungen erklären 200 ). Rörig vergißt dabei nur, daß nach völkerrechtlichen Anschauungen eine lübische Fischereihoheit an dem streitigen Küstengewässer gar nicht bestand 201 ) 202 ).

b) Von Rörig wird als Beweis für die Handhabung des "Fischereiregals" auf dem streitigen Küstengewässer angeführt, daß Lübeck Abgaben für den Fischfang auf dem streitigen Küstengewässer von seinen Lübecker Fischern erhoben habe (bereits seit 1502) 203 ). Allein es ist nicht nachgewiesen, daß diese Abgaben (bis 1896) wirklich für die Seefischerei erhoben wurden, das Gutachten des Mecklenburger Staatsarchivs macht wahrscheinlich 204 ), daß es Abgaben für die Binnenfischerei gewesen sind. Aber auch wenn es Abgaben für die Seefischerei waren, so ist nicht einzusehen, warum hieraus auf ein Fischereiregal geschlossen werden muß. Auch mit unserer Annahme, daß es sich um einfache Fischereirechte Lübecks handelte, deren Nutzung es an seine Fischereikorporationen verteilte, ist es sehr gut vereinbar, daß sich Lübeck hierfür ein Entgelt ausbedungen hat.

c) Schließlich wird von Rörig 205 ) als Zeichen des Lübecker Fischereiregals geltend gemacht, daß lübeckische Gerichte die Streitigkeiten der lübischen Fischerkorporationen hinsichtlich ihrer Fischerei auf dem streitigen Küstengewässer entschieden hätten. Allein die Lübecker Gerichte sind hierfür auch kompetent gewesen, wenn es sich um Aufteilung von Fischereirechten Lübecks unter seine Fischerkorporationen gehandelt hat.

II. Das Fahrrecht.

Von Rörig werden Fahrrechtshandlungen Lübecks auf dem streitigen Küstengewässer behauptet. Es handelt sich um die gerichtliche Leichenschau bei unnatürlichen Todesfällen, die im Mittelalter dem Inhaber der Gerichtshoheit zustand und in dieser Form seit dem Ende des 18.


200) Rörig II, S. 305.
201) Vgl. auch oben S. 90.
202) Im Jahre 1911 erfolgte dann die Bestrafung der Bahrendorfern Tagelöhner. Rörig II, S. 306. Die Behandlung dieser neuesten Zeit fällt aus dem Rahmen des Gutachtens.
203) Rörig I, S. 50 ff., II S. 276.
204) Archiv II, S. 182.
205) Rörig I, S. 40.
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Jahrhunderts in Fortfall gekommen ist. Wir unterscheiden die Zeit der Fahrrechtsfälle und die spätere Zeit.

1. Die Fahrrechtsfälle. Zunächst müssen die in dem ersten Gutachten Rörigs erwähnten Fälle aus dem Jahre 1559 und 1628 206 ) völlig ausscheiden. Denn es ist ganz klar, daß es sich bei ihnen um Unglücksfälle handelte, die sich auf der nautischen Reede ereignet haben. Rörig hat sie wohl deshalb auch in seinem zweiten Gutachten nicht erwähnt. Im übrigen ist noch folgendes zum Verständnis voranzuschicken. Wir erinnern uns, daß Rörig in bezug auf die Fischerei der Mecklenburger erklärt hatte, daß sie am Ufer Krabbenfang und wohl auch etwas Aalfang hätten betreiben können. In bezug auf das Fahrrecht wird dagegen Mecklenburg als Inhalt seiner "Strandgerechtigkeit" etwas mehr eingeräumt. Für Fahrrechtsfälle soll Mecklenburg zuständig gewesen sein, wenn eine Leiche "grundrührig" geworden sei, d. h. am Strande im flachen Wasser festgemacht worden sei, wenn man sie durch "Waten" hätte erreichen können. Dagegen sei Lübeck zuständig gewesen, wenn es sich um Leichen gehandelt hätte, die im Wasser frei getrieben hätten. Hierüber seien sich Mecklenburg und Lübeck im Jahre 1616 völlig einig gewesen. Damals hätte man nur darüber gestritten, ob die Leiche "grundrührig" oder "frei treibend" gewesen sei 207 ). - Allein diese Ausführungen Rörigs sind durchaus irrtümlich. Es kann keine Rede davon sein, daß Mecklenburg seine "Strandgerechtigkeit" und damit auch sein Fahrrecht nur auf "grundrührige" Leichen habe beschränken wollen, vielmehr wurde die Grundrührigkeit in diesem Falle nur angeführt, um damit schlagend die Behauptung Lübecks zu widerlegen, daß die Leiche von seinem Beauftragten "in der See treibend" eingeholt worden wäre 208 ). Dies wird insbesondere dadurch bewiesen, daß Mecklenburg seine "Strandgerechtigkeit" und sein Fahrrecht im Jahre 1616 bei dem Fischreusenstreit soweit erstreckt hat, bis "die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet" 209 ). Es hat also eine Watengrenze nicht anerkannt, viel-


206) Rörig I, S. 40.
207) Rörig I. S. 41, II, S. 251 ff., S. 272.
208) Vgl. Archiv II, S. 115.
209) Siehe Frage 1 und 2 bei der Zeugenvernehmung im Fischreusenstreit. Archiv II, S. 47, Anm. 74 und Archiv II, S. 121, Anm. 218. - Die Bemerkungen Rörigs II, S. 272, Anm. 90, gegen diese Zeugenaussagen sind unzutreffend. - Selbst wenn es sich aber hier nur um "Ansprüche" von Mecklenburg handeln würde, so wäre doch die von Rörig behauptete "Übereinstimmung" der Parteien über die angebliche "Watengrenze" widerlegt.
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mehr reicht ihm seine Fahrrechtsberechtigung und sein Küstengewässer bis zum Anfang der hohen See. Darum hatte Mecklenburg andererseits gegen eine Einholung der Leichen auf der hohen See von seiten Lübecks nichts einzuwenden, da hier selbstverständlich die Einholung jedermann gestattet war 210 ). Auch sonst ist eine Watengrenze für die Ausübung des Fahrrechts nirgends bekannt. Es ergibt sich somit, daß aus dem Fall von 1616 für eine rechtmäßige Hoheitshandlung Lübecks auf dem von Mecklenburg in Anspruch genommenen Küstengewässer nichts zu entnehmen ist. Denn wenn in bezug auf den Tatbestand die Behauptung Lübecks zugrunde gelegt wird, fiel die Einholung der Leiche außerhalb desselben und war überhaupt keine Hoheitshandlung, wenn aber für den Tatbestand die Angaben Mecklenburgs zutreffen und die festgemachte Leiche von Lübeckern losgelöst worden war, war die Handlung Lübecks unrechtmäßig.

Wie liegt es bei den anderen Fahrrechtshandlungen, die Rörig für Lübeck geltend macht? Es handelt sich um die Vorgänge der Jahre 1792, 1799 und 1804. Rörig bemerkt über sie in seinem ersten Gutachten 211 ), "daß Lübeck den Rosenhagener Strand nach Leichen von Ertrunkenen absuchen ließ, 1792 blieb das Suchen ergebnislos". In seinem zweiten Gutachten 212 ) heißt es für alle drei Fälle: "Hingegen suchen 1792, 1799 und 1804 die Lübecker mit Booten den Strand nach Ertrunkenen ab und holen die Ertrunkenen nach Travemünde ein" (!). In der Anmerkung dazu werden einige weitere Angaben gemacht. - Die Feststellungen des Mecklenburger Staatsarchivs 213 ) über diese Fälle ergeben aber, daß für die Fälle von 1792 und 1799 gar nicht feststeht, wo die Leichen gefunden wurden, und daß 1804 überhaupt nichts gefunden worden ist. Für Fahrrechtshandlungen ist jedoch das Finden und der Fundort das Entscheidende 214 ).

2. Für die spätere Zeit sagt Rörig in seinem ersten Gutachten: "Im 18. Jahrhundert kam das Fahrrecht außer Gebrauch; an seine Stelle trat . . . das Physikatszeugnis. Nach wie vor wurden aber die auf der Reede treibenden Leichen von Lübeck aus eingeholt (1737, 1741); und der lübeckischen Jurisdiktion unterstanden alle jene Rechtsfragen, welche durch Ertrinken von


210) Vgl. Archiv II, S. 114.
211) Rörig I, S. 41/42.
212) Rörig II, S. 267.
213) Archiv II, S. 117 ff.
214) Über Mecklenburger Fahrrechtshandlungen Siehe unten S. 81.
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Schiffern auf der Reede hervorgerufen wurden; auch dann, wenn es Schiffer fremder Nationalitäten waren (1752, 1769, 1770, 1788 [englisches Schiff], 1793 [norwegisches Schiff], 1795 [englisches Schiff], 1800)".- Allein dies sind alles Behauptungen, die dadurch nicht bewiesen werden, daß eine Jahreszahl daneben gesetzt wird; hier sind doch eingehendere Ausführungen nötig. Sind denn die Leichen an der Mecklenburger Küste eingeholt worden? Was sind "alle Rechtsfragen, die durch das Ertrinken von Schiffern hervorgerufen werden"?

In seinem zweiten Gutachten bemerkt Rörig auch etwas über die Folgen des Fortfalls des Fahrrechts für Mecklenburg 215 ), welches ihm ja nach Rörigs Ansicht wenigstens bei "grundrührigen" Leichen zugestanden haben soll. Für Mecklenburg soll hiermit auch das mit dem Fahrrecht zusammenhängende Hoheitsrecht 216 ) verloren gegangen sein. Es bleibt aber ein Rätsel, warum die Mecklenburger nicht auch fernerhin Leichen, die sie im "Waten" erreichen konnten, "eingeholt" haben sollen.

III. Die Strandungshoheit.

In bezug auf Strandungsfälle wird von Rörig in entsprechender Weise wie bei den Fahrrechtsfällen zwischen der älteren Zeit und dem Beginn des 19. Jahrhunderts unterschieden.

1. Ältere Zeit. Für die ältere Zeit erkennt Rörig als zweiten 217 ) Inhalt der "Strandgerechtigkeit" ein Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer an, nämlich das Strandrecht und später ein Bergerecht in bezug auf gestrandete Fahrzeuge. Allein entsprechend wie bei dem Fahrrecht habe es eine sehr einengende Grenze gehabt, allerdings sei bei ihm die Grenze doch etwas "weiter" gewesen. Während bei dem Fahrrecht eine "Watengrenze" entscheidend gewesen sei, sei in bezug auf gestrandete Schiffe eine "Rittgrenze" in Betracht gekommen 218 ). Als Beleg für die Rittgrenze glaubt er einen Bericht des Vogtes von Travemünde aus dem Jahre 1660 über zwei in


215) Rörig II, S. 301.
216) Das in der "Strandgerechtigkeit" enthalten war. Vgl. Rörig II, S. 272, Anm. 90. Hierzu siehe auch unten S. 105.
217) Den anderen Inhalt der "Strandgerechtigkeit" gab das Fahrrecht ab; vgl. oben S. 96 ff.
218) Nach Rörig I, S. 54, kam auch hier eine "Watengrenze" in Betracht, doch wird dies im zweiten Gutachten zurückgenommen, Rörig II, S. 266, S. 272, S. 511. Freilich wird auch an der Rittgrenze von Rörig nicht immer festgehalten. Siehe später im Text.
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der Bucht vor Rosenhagen gesunkene Schiffe verwenden zu können 219 ). Allein das Mecklenburger Staatsarchiv hat gezeigt 220 ), daß Rörig seine Quelle falsch verstanden hat; der Vogt erwähnt eine solche Grenze nicht, er berichtet vielmehr, daß der Herzog zwei berittene Gendarmen geschickt habe zur Erkundung des Strandungsfalles, diesen habe er, der Vogt, gesagt, das Schiff liege in einer Tiefe von drei Faden (5,4 m), daher seien Boote und Seeleute zur Bergung nötig, Reiter und Bauern würden nichts nützen können 221 ). Auch die sonstigen Akten des Falles von 1660 ergeben mit Sicherheit, daß eine solche Rittgrenze nicht in Betracht kam. Einerseits heißt es in dem mecklenburgischen Protokoll über die Untersuchung durch den Herzog selbst, daß man eine Bergung nicht hätte vornehmen können, weil keine Boote zur Stelle gewesen wären 222 ). Andererseits beruft sich Lübeck in einem Schreiben an den Herzog nur darauf, daß die Schiffe nicht an den Strand gekommen, sondern drei Klafter tief in See geblieben seien 223 ). Nun werden zwar für Teile der Mecklenburger Küste, insbesondere für die Wismarer Bucht, Ritt- und (oder) Wurfgrenze als Begrenzung des Strandrechts erwähnt 224 ), allein es handelt sich dabei nur um vereinzelte Zeugenaussagen. Wie das Mecklenburger Staatsarchiv nachgewiesen hat, sind solche Begrenzungen des landesherrlichen Strandrechts dem praktischen Leben völlig fremd 225 ). Es handelt sich offenbar um Verwechslungen mit Begrenzungen von grundherrlichen Rechten 226 ). Was die hier in Frage stehende Küstenstrecke anlangt, so wird von einem Zeugen im Jahre 1616 erwähnt, daß der Strand so weit dem Herzog gehöre, als man "mit einem wehligen Pferde hineinreiten und schwimmen und von demselben mit einem Pflugeisen weiter werfen könne", allein der Zeuge hatte vorher angegeben, daß des Herzogs Strand und Strandgerechtigkeit sich erstrecke, "so weit die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet" 227 ).

Und diese letzte Formulierung wird auch von allen übrigen Zeugen angewendet, die von einer Ritt-, Pferdeschwimm- und


219) Rörig II, S. 266.
220) Archiv II, S. 109.
221) Es liegt in der Bemerkung eine Verhöhnung der Gendarmen.
222) Vgl. den Bericht im Archiv II, S. 109.
223) Archiv II, S. 110.
224) Vgl. Archiv II, S. 37 ff.
225) Archiv II, S. 40 ff. und Anlage III.- Die Bemerkungen von Rörig in seinem dritten Gutachten unter IV c Sind nicht zutreffend.
226) Archiv II, S. 48 ff.
227) Archiv II, S. 46.
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Wurfgrenze nichts wissen 228 ). Man wird daher die Schiffsgrenze als maßgebend betrachten müssen, die Schwimm- und Wurfgrenze existierte nur in der Phantasie des Zeugen und ist bei ihm offenbar durch Verwechslung mit anderen Begrenzungen veranlaßt worden. Ganz unzulässig ist es übrigens, wenn Rörig erklärt, daß die Kommissare der Rittgrenze des Zeugen eigenmächtig die Schwimmgrenze hinzugefügt hätten 229 ). - Aber Rörig selbst hält an seiner Rittgrenze gar nicht fest. So bemerkt er an einer anderen Stelle, daß entscheidend gewesen sei, ob die Fahrzeuge am Mecklenburger Strande "angeschlagen" worden seien. Auch dies ist allerdings unrichtig. Der Ausdruck "Anschlagen am Strande" wird von Fahrzeugen überhaupt nie gebraucht, er ist ja auch ganz unpassend. Rörig übernimmt das Wort "anschlagen" aus einer Zeugenaussage von 1616, hier aber bezieht es sich auf Holz, das von einem vor etwa 20 Jahren gesunkenen Prahm weggeschwemmt war.

Kann somit kein Zweifel sein, daß eine Rittgrenze nicht bestanden hat, daß vielmehr das Strandrecht des Herzogs bis zur Meerestiefe reichte und darüber hinaus offenes freies Meer war, so erledigen sich auch die von Rörig für eine Strandungshoheit Lübecks angeführten Fälle. In dem Faß von 1660 war zwar die Ladung des Schiffes von Lübeck geborgen worden, allein, wenn die Lübecker Angaben richtig waren, handelte es sich um ein Versinken im offenen Meer, und auch auf Mecklenburger Seite waren erhebliche Zweifel vorhanden, ob dies nicht zutraf 230 ). Was aber den Fall aus dem Jahre 1665 betrifft, so konnte die Strandgerechtigkeit Mecklenburgs nicht ausgeübt werden, weil der Seegang so hoch war; im übrigen aber haben die Schiffer sich selbst geholfen und das Schiff wieder flott gemacht 231 ).

2. Die spätere Zeit. Rörig sagt entsprechend wie bei den Fahrrechtsfällen: "Strandungsfälle kamen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Fortfall; mit der mittelalterlichen


228) Vgl. Archiv II, S. 47.
229) Rörig II, S. 284. Dabei wird übersehen, daß der Zeuge außerdem noch eine Wurfgrenze vom Pferde aus hinzugefügt hat.
230) Vgl. die Darstellung im Archiv II, S. 109 ff. Es handelt sich hier um den Fall, von dem Rörig in seinem dritten Gutachten unter IV c sagt, daß er vom Mecklenburger Staatsarchiv unterdrückt worden wäre.
231) Siehe die Darstellung im Archiv II, Anlage III, S. 215. - Die Darstellung bei Rörig II, S. 268, gibt den Sachverhalt nicht genau wieder.
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"Strandgerechtigkeit" hatte es ein Ende 232 ). Man kann dies nicht ohne das größte Erstaunen lesen. Es ist unrichtig, daß es mit der mittelalterlichen Strandgerechtigkeit ein "Ende" hatte. Vielmehr hat sich das Strandrecht bereits im Mittelalter immer mehr zu einem Hilfs- und Bergungsrecht abgeschwächt, in dieser geläuterten Form als Hoheitsrecht des Küstenherrn an seinem Küstengewässer erhalten und ist durch Strandungsordnungen eingehend als solches geregelt worden 233 ). Und da fragen wir: Wo sind denn neuere Fälle für die Ausübung einer lübischen Strandungshoheit in bezug auf die Strecke Priwall-Harkenbeck? Wo sind Hoheitsakte Lübecks, die beweisen, daß es an die Stelle von Mecklenburg in bezug auf das diesem angeblich abhanden gekommene Hoheitsrecht getreten ist?

IV.

Mecklenburger Hoheitsakte auf dem streitigen Küstengewässer

Wir erinnern uns, daß wir auf Grund der mittelalterlichen Quellen, welche für die Ostseeküste maßgebend sind, gefolgert haben, daß im Mittelalter, jedenfalls seit dem 13. Jahrhundert: ein umfassendes Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer, soweit es vom Strande aus beherrschbar und nutzbar erschien, bestanden hat 234 ). Bei der folgenden Betrachtung der Akte, welche Lübeck als Hoheitsakte in bezug auf das streitige Küstengewässer anführt, ließ es sich nicht vermeiden, auch Mecklenburger Hoheitsakte bereits mit hereinzuziehen. Im folgenden sollen diese Angaben für Mecklenburg namentlich noch in bezug auf die neuere Zeit ergänzt werden. Dabei haben wir gelegentlich der Würdigung der von Lübeck geltend gemachten Hoheitsakte gelernt, daß Mecklenburg in der früheren Zeit vor Ausbildung des modernen Völkerrechts das streitige Küstengewässer seiner Hoheit unterworfen ansah bis zur schiffbaren Meerestiefe 235 ); in der modernen Zeit sind dann völkerrechtliche Gesichtspunkte maßgebend erschienen. Dies muß beachtet werden,


232) Hörig II, S. 301.
233) Vgl. unten S. 105.
234) Vgl. oben S. 56.
235) Vgl. oben S. 97 f., 101.
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wenn wir nunmehr auf einzelne Abspaltungen des allgemeinen Hoheitsrechtes eingehen.

1. Fischereihoheit. Die mittelalterlichen Fischereiabgaben, welche Mecklenburg auf Grund des Fischereiregals zustanden, sind anscheinend frühzeitig in bezug auf das streitige Küstengewässer fortgefallen. Auch Lübeck hatte für seine Fischereiberechtigung keine Abgaben zu zahlen. Aber diese Fischereiberechtigung Lübecks wurde nicht als Fischereihoheit angesehen. Sie erschien vielmehr nur als Mitbefischungsrecht, genau so wie Lübeck auch an anderen Stellen der Mecklenburger Küste die Fischerei ausübte. Dies und nichts anderes will auch die Formulierung der ersten Frage bei der Mecklenburger Zeugenvernehmung im Fischreusenstreit 1616 besagen 236 ):

"Ob nicht wahr, das die Hertzogen zu Meckelnburg und deroselben Beambten . . . den Strandt und die Strandgerechtigkeit, so weit die Schiffe und die rechte Tiefe des Meeres gehet, von Travemunde an biß hinunter, so weit Meckelburgisch Grund und Boden sich erstrecket, von undenklichen Jahren hero vor sich allein vertheidiget und vertretten und so weinig den Lubischen alß jemand anders das allergeringste außerhalb der gemeinen Fischereyen daran gestanden . . ."

Wenn Rörig in seinem dritten Gutachten bemerkt 237 ), daß hiernach gemäß Mecklenburger Auffassung ein "Gemeingebrauch an der Fischerei" und infolgedessen kein "Fischereiregal" bestanden habe, so befindet er sich in einem Irrtum. Die Worte "gemeine Fischereyen" weisen nicht: auf einen "Gemeingebrauch" in dem Sinn, daß jeder Beliebige hier fischen könnte, sondern auf eine gemeinsame Fischerei, die den Lübeckern zugestanden war. Im übrigen besteht auch bei einem Gemeingebrauch eine Fischereihoheit. Daß Mecklenburg sich hier die Fischereihoheit an seiner ganzen Küste (!) absprechen wollte, ist völlig ausgeschlossen. Im übrigen ist: auf unsere Darstellung des Fischreusenstreites zu verweisen, aus der sich auch ergibt, daß der Herzog zur Wahrung seiner Fischereihoheit die erforderlichen Verfügungen und Maßnahmen ergriff 238 ). Es sei hier nur nochmals be-


236) Archiv II, S. 47, Anm. 74.
237) Rörig III, unter IV c.
238) Siehe oben S. 88 ff. - Es ist übrigens zu beachten, daß der Herzog durch das Reichsrecht in bezug auf ein unmittelbares Vorgehen gegen Lübecker Fischer durch Pfändung beschränkt war. Vgl. die Entscheidung des Reichsgerichtes über die Hoheit über die Trave S. 33.
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tont, daß die Fischereihoheit Mecklenburgs sich nicht bloß auf Krabbenfang und Aalfang bezog, sondern auch auf die gesamte Fischerei, insbesondere Waden- und Netzfischerei.

Allgemeine Fischereiverordnungen Mecklenburgs, welche sich auf das streitige Küstengewässer beziehen, sind, soweit bekannt, erst im 19. Jahrhundert erlassen worden. Es gehören hierher:

a) Die VO. vom 1. Oktober 1868. Sie ist erlassen "für den Fischereibetrieb am Außenstrande der Ostsee", in den Ostseebinnengewässern usw. Sie hat fischereipolizeilichen Charakter, sie verbietet insbesondere das Fischen mit schädlichen Fangzeugen, bestimmt Schonzeiten u. a. m. Sie richtet sich auf die Fischerei an dem ganzen Außenstrande der Ostsee und schließt daher das streitige Küstengewässer ein.

b) Die VO. vom 20. Juli 1875. Sie ist eine Revision der vorigen und enthält gleichfalls die entscheidenden Worte. Sie ist vom Mecklenburger Ministerium auf eine Anfrage hin unter dem 13. August 1875 an das Polizeiamt zu Lübeck geschickt worden. - Erwähnenswert ist, daß die VO. eine allgemeine Schongrenze für bestimmte Zeiten bis 1/8 Meile von der Küste ab (etwa 240 m) kennt (§ 3).

c) Die VO. vom 18. März 1891 enthält eine Reglung für den Fischereibetrieb "in allen unserer Hoheit unterstehenden Binnen- und Küstengewässern". "Der Fischereibetrieb in den Küstengewässern im Sinne dieser Verordnung umfaßt die Fischerei im Außenstrande der Ostsee . . . "(§ 1).

Die unter b erwähnte allgemeine Schongrenze ist letzt bis auf 1 km von der Küste ab normiert (§ 19 Ziff. 5) 239 ).

d) Die VO. vom 22. April 1904 regelt die Fischerei auf Plattfische "an der ganzen Ostseeküste unseres Landes bis auf


239) Das spricht natürlich nicht gegen eine Hereinziehung der Küstenstrecke an der Lübecker Grenze, insofern hier die Kilometergrenze nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu weit reicht; denn die Kilometergrenze wird dann durch die Hoheitsgrenze beschnitten. Die Einleitung der VO. unterwirft sich die Küstengewässer nur insoweit, als sie der Hoheit Mecklenburgs unterstehen.
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5 1/2 km von der Küste ab" 240 ). Ebenso die VO. vom 20. Dezember 1913 241 ).

2. Das Fahrrecht. Von Fahrrechtshandlungen, die Mecklenburg auf dem streitigen Küstengewässer ausgeübt hat, sind uns zweifellos drei überliefert; es handelt sich

um die Fälle von 1576, 1604 und 1757 242 ). Die "Grundrührigkeit" der Leiche war 1757 vorhanden, aber sie war nicht das Entscheidende 243 ). Entscheidend war, wie sich aus der Zeugenvernehmung im Jahre 1616 für die beiden anderen Fälle ergibt, daß die Leichen im Küstengewässer bis zum schiffbaren Meere hin gefunden worden waren 244 ). - Was. die moderne Zeit betrifft, so ist das Fahrrecht zwar verschwunden, aber die in ihm enthaltene Hoheit ist in die allgemeine Seepolizei über das Küstengewässer übergegangen.

3. Strandungs- und Bergehoheit.

a) Aus der früheren Zeit sind uns verschiedene Fälle überliefert, in denen Mecklenburg seine Strandungs- und Bergehoheit in bezug auf das streitige Küstengewässer ausgeübt hat. Es handelt sich namentlich um zwei Schuten, die im Jahre 1585 Schiffbruch erlitten hatten 245 ); entscheidend war, daß sie außerhalb des schiffbaren Meeres gestrandet waren. Eine "Rittgrenze" kam in keiner Weise in Betracht 246 ). Dies ergibt sich aus der Zeugenvernehmung im Jahre 1616 und den sonstigen Strandungsfällen 247 ). Gleiches ist auch für die Ausübung des Strandrechtes seitens Mecklenburgs im Jahre 1658 anzunehmen 248 ).

b) Im 19. Jahrhundert hat dann Mecklenburg seine Strandungs- und Bergehoheit an seiner gesamten Küste zunächst ausgeübt durch die sog. Regiminalverordnung vom 20. Dezember 1854 und die gleichzeitige


240) Diese Grenze - 3 Seemeilen - soll natürlich für das streitige Küstengewässer nur insoweit in Betracht kommen, als hier die Hoheit Mecklenburgs reicht. Vgl. Anm. 239.
241) Auf die allerneueste VO. vom 24. Februar 1925 ist hier nicht einzugehen.
242) Archiv II, S. 120.
243) Unrichtig Rörig II, S. 267. Vgl. hierzu oben S. 96 ff.
244) Archiv II, S. 121. Hierzu oben S. 97.
245) Archiv II, S. 107.
246) Vgl. hierzu die unrichtige Ansicht von Rörig oben S. 99.
247) Siehe oben S. 100.
248) Über diesen Fall Archiv II, S. 108.
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Instruktion für die an der Ostseeküste gelegenen Ämter, Strandung und Strandgut betreffend. Diese Verordnungen beziehen sich daher auch auf die Küstenstrecke Priwall-Harkenbeck. Aus ihnen sei folgendes hervorgehoben:

In der Einleitung der VO. wird bemerkt, daß sich der Herzog grundsätzlich "des ohnehin seit langer Zeit nicht ausgeübten Regals des Strandrechts" für die Zukunft gänzlich begeben will. Dies bedeutet, daß der Herzog auf das alte Strandrecht im Sinn eines nutzbaren Regals, kraft dessen Schiffe und Schiffsgüter dem Küstenherrn verfallen waren, verzichtet. In den nachfolgenden Paragraphen werden dann Strandungs- und Bergewesen vom Standpunkt: der Strand- und Küstenhoheit aus geregelt. Es werden unterschieden die Strandung eines Schiffes, das von der Schiffsmannschaft noch besetzt ist, und sonstige Strandungsfälle.

Bei der Strandung eines noch besetzten Schiffes wird von der Strandung an der Küste ausgegangen und ihr die Strandung auf einer Sandbank in der Nähe der Küste und die Seenot gleichgestellt (§ 5). Den Beamten sind die gesamten Rettungs- und Bergungsmaßregeln anvertraut (§ 2). Die Hilfe darf dem Schiffer nicht aufgedrängt werden. Will er sich allein helfen, so

"beschränkt sich die Tätigkeit der Behörden darauf, Ordnung am Strande zu erhalten und das gestrandete Schiff gegen alle Eingriffe zu beschützen. Insbesondere haben Sie mit Strenge darauf zu halten, daß sich niemand wider Willen zur Hülfeleistung aufdringe, den Bergenden lästig oder hinderlich werde oder gar den hülflosen Zustand des Schiffes zur Erreichung widerrechtlicher Zwecke benutze" (§ 5).

Es folgen dann noch Bestimmungen für die Beamten über die Rettung der Menschen und die Löschung, wenn Beistand erforderlich ist (§ 6), schließlich das Verfahren nach beendeter Löschung, das hier nicht interessiert (§ 7).

Es kann also gar kein Zweifel sein, daß hier ein Hoheitsrecht über das Küstengewässer mit weitgehendem Polizeizwang ausgeübt wird.

Über die sonstigen Strandungsfälle bestimmt § 8:

"Zu den Geschäften der Beamten gehört auch die Disposition über das eigentliche Strandgut, d. h. alles, was außer den vor-

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gedachten Strandungsfällen, wo sich von der Mannschaft noch jemand auf dem Schiffe befindet, an Schiffen. Schiffsutensilien und Gütern irgend einer Art an den Strand oder in die Flüsse treibt, auch was auf den in der Nähe der Küste befindlichen Sandbänken vom Schiffe und der Schiffsmannschaft verlassen, treibend oder versunken angetroffen oder geborgen wird". Es wird dem Berger eine Anzeige- und Auslieferungspflicht auferlegt. Schließlich folgen Strafbestimmungen für Entwendung und Beraubung der Schiffsbrüchigen (§ 9) 249 ).

Auch hier erkennen wir die Strandungs- und Bergehoheit, denn selbstverständlich haben die Beamten auch hier ihr Aufsichts- und Anweisungsrecht im Küstengewässer und nicht etwa nur auf dem trockenen Strand 250 ).

c) Die VO. vom 24. Dezember 1834 ist dann abgelöst worden durch die Reichsstrandungsordnung vom 17. Mai 1874. Es ist bei ihr folgendes zu beachten:

α) Sie unterscheidet in ähnlicher Weise wie die VO. von 1834: "Bergung und Hilfsleistung in Seenot", d.h. es ist ein Schiff auf den Strand geraten oder es befindet sich ein Schiff sonst unweit des Strandes in Seenot .(§ 4) - und sonstige Strandungsfälle (§ 20 ff.). Zu den letzteren gehört es,

"wenn besitzlos gewordene Gegenstände auf den Strand geworfen oder gegen denselben getrieben und vom Strande aus geborgen werden (Seeauswurf und strandtriftige Güter).

β) Die Verwaltung der Strandungsangelegenheiten wird von Strandämtern geführt. Unter diesen stehen Strandvögte, welche insbesondere die Maßregeln zu leiten haben, die zum Zwecke der Bergung oder Hilfsleistung zu ergreifen sind (§ 1). Die Organisation der Strandämter, die Abgrenzung ihrer Bezirke, die Anstellung der Strandbeamten usw. ist Sache der Einzelstaaten. Die Oberaufsicht hat das Reich (§ 2).

γ) Zur Ausführung der Strandungsverordnung erließ Mecklenburg unter dem 17. September 1874 eine Verordnung, in welcher die Bezirke der Strandämter bestimmt wurden. Der


249) Sie werden in der Instruktion allen Küstenämtern noch einmal besonders eingeschärft.
250) Von Interesse ist es, daß § 13 der VO. erwähnt, daß der Bergelohn nach der Amtssporteltaxe vom 2. Juli 1802 gezahlt werden soll.
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Bezirk für das Strandamt Grevesmühlen wurde hier folgendermaßen angegeben:

"von der westlichen Grenze der Feldmark Beckerwitz bis zur Grenze des Gebietes der freien Hansestadt Lübeck".

Es war daher die Strecke Priwall-Harkenbeck mit in den Bezirk des Mecklenburger Strandamtes Grevesmühlen einbezogen, und es blieb auch das ihr vorgelagerte Küstengewässer der Strandungs- und Bergungshoheit Mecklenburg grundsätzlich unterstellt.

δ) Nun ist allerdings zu beachten, daß der Bundesrat des Deutschen Reiches eine Instruktion zur Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 erlassen hat, in welcher die Kompetenzen der deutschen Strandvögte in gewisser Weise ineinander geschoben worden sind. Sie bestimmt nämlich in § 1:

"Wenn ein Schiff vor der deutschen Küste oder in deutschen Gewässern in Seenot gerät, sind die Strandvögte der benachbarten Bezirke gleichmäßig verpflichtet, die erforderlichen Vorkehrungen zur Rettung von Menschenleben, sowie zur Bergung und Hülfsleistung zu treffen. Die Leitung des Verfahrens steht für die ganze Dauer desselben demjenigen Strandvogt zu, welcher zuerst das Schiff betritt."

Es ergibt sich daher:

Im Interesse der Rettung von in Seenot geratenen Schiffen wird das ganze deutsche Küstengebiet als ein einheitliches Gebiet behandelt, so daß auch etwaige Landesgrenzen fallen. Der Strandvogt eines benachbarten deutschen Staates, der eher zur Stelle ist als der Strandvogt des Küstengewässers, in dem sich das Schiff befindet, hat den Vorrang und übt nunmehr die Strandungs- und Bergungshoheit kraft besonderer reichsrechtlicher Delegation aus.

Allein dies bezieht sich nur auf den Fall, daß ein Schiff in Seenot geraten ist. In allen übrigen Strandungsfällen ist jeder Strandvogt nur für seinen Küstenbezirk innerhalb des ihm übergeordneten Strandamts zuständig.

ε) Wie hat nun aber Lübeck den Bezirk seines Strandamtes abgegrenzt? Ich entnehme aus Perels "Handbuch des allgemeinen öffentlichen Seerechts" 1884 S. 405 251 ), daß der Amtsbezirk des lübischen Strandamtes Travemünde umfaßt:


251) Die Angaben bei Perels sind dem Handbuch für die Deutsche Handelsmarine 1883 entnommen.
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"den Ostseestrand auf lübeckischem Gebiete von der mecklenburgischen bis zur oldenburgischen Grenze".

Warum ist denn da aber nicht die Küste Priwall-Harkenbeck mit aufgeführt? Und wie denkt sich Rörig eigentlich die Zuständigkeit des lübischen Strandvogtes, wenn Gegenstände gegen den Strand von Priwall-Harkenbeck "getrieben werden und vom Strande aus geborgen werden" sollen?

4. Verfügungshoheit.

Die Mecklenburger Verordnung vom 10. Oktober 1874 zum Schutze der Dünen des Ostseestrandes bei Rosenhagen . . . verbietet, "im Dünenbezirke oder an den hohen Ufern längs der Seeküste, wie auch aus der Ostsee bis 400 m in die See hinein, von dem seewärts gelegenen Fuße der Dünen bzw. der hohen Ufer gerechnet, ohne Erlaubnis der Obrigkeit Sand, Kies, Ton oder Lehm zu graben, Gras, Dünenkorn oder sonstigen Anwuchs abzuschneiden und Seetang oder Steine wegzuholen" 252 ).

In dieser Verordnung nimmt also Mecklenburg einen Streifen des Küstengewässers, und zwar gerade speziell des streitigen Küstengewässers (Priwall-Harkenbeck), kraft seiner Hoheit in intensivster Weise in Anspruch. Es erstreckt seine Befehlsgewalt auf die Grundlagen und gewisse Produkte des Küstengewässers und behält sich allein die Verfügung über sie vor. Eine stärkere Einwirkung auf das Küstengewässer ist nicht denkbar.

Und gerade diese Verordnung ist auf Ersuchen der Mecklenburger Regierung von Lübeck in Travemünde in ortsüblicher Weise zur öffentlichen Kenntnis gebrach t worden 253 ).

Hiermit hat Lübeck zweifellos das Hoheitsrecht Mecklenburgs an dem streitigen Küstengewässer anerkannt.

Wenn Rörig 254 ) hiergegen geltend macht, daß dies durch das lübische Gesetz von 1896 zurückgenommen sei, so ist dem auf das entschiedenste zu widersprechen. Rörig behauptet, daß Lübeck in diesem Gesetz "die Gebietshoheit" auf der Strecke Priwall-Harkenbeck in Anspruch genommen habe. Allein dies ist unrichtig,


252) Siehe Archiv II, S. 187.
253) Archiv II, S. 187; Rörig II, S. 308.
254) Rörig II, S. 308.
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das Gesetz nahm nur das Fischereiregal in Anspruch. Erst im Jahre 1912 scheint Lübeck die Gültigkeit der Mecklenburger Verordnung in Zweifel gezogen zu haben. - Sicher beruhte die Anerkennung der Verordnung durch Lübeck im Jahre 1874 und in der nächsten Folgezeit darauf, daß man völkerrechtlichen Anschauungen in bezug auf das Küstengewässer huldigte. Und wenn Rörig sich auf ein Gutachten Rehms beruft 255 ), daß dieses Anerkenntnis unverbindlich sei, weil es "auf Irrtum im geschichtlichen und logischen Urteil" beruhe. So entgegnen wir folgendes: Einmal ist es doch außerordentlich merkwürdig, daß man in Lübeck so schlecht mit seinen eigenen Hoheitsrechten Bescheid gewußt und eine so grenzenlos dürftige geschichtliche Kenntnis besessen haben sollte. Sodann aber läßt es sich nicht aus der Welt schaffen, daß Mecklenburg Jahrzehnte hindurch das von Lübeck anerkannte Hoheitsrecht tatsächlich ausgeübt hat.

V.

Gewohnheitsrecht und Unvordenklichkeit.

Wir erinnern uns, daß wir in eine Betrachtung der "Ausübung von Hoheitsrechten an dem streitigen Küstengewässer im Laufe der geschichtlichen Entwicklung" eingetreten waren, um hiernach feststellen zu können, ob sich Lübeck auf ein Hoheitsrecht an dem streitigen Küstengewässer im Widerspruch zu den allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen - auf ein Gewohnheitsrecht oder auf Unvordenklichkeit berufen kann 256 ).

Die Beantwortung dieser Fragen fällt nunmehr nicht mehr schwer. Wir müssen folgendes feststellen:

1. Zu einer erfolgreichen Inanspruchnahme des streitigen Küstengewässers kraft Gewohnheitsrechts oder Unvordenklichkeit würde der Nachweis gehören, daß das Küstengewässer in der angegebenen Begrenzung langandauernd der Hoheit Lübecks unterlag. Die Begrenzung ist erst durch das Fischereigesetz von 1925 von Lübeck vertreten worden 257 ). Aber auch andere, die völkerrechtlichen Grundsätze beiseite schiebende Begrenzungen zugunsten Lübecks konnten nicht nachgewiesen werden.


255) Rörig II, S. 308, Anm. 140. Siehe hierzu oben Anm. 4.
256) Siehe oben S. 45.
257) Siehe oben S. 74.
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2. Was aber die lang andauernde Ausübung von Hoheitsrechten anlangt, so ist auch in dieser Hinsicht ein Nachweis Lübecks nicht erbracht. Im Gegenteil erkennen wir, daß Lübeck in früherer Zeit eine Fischereihoheit nicht anstand, und daß bei den Fischreusenstreitigkeiten im 17. Jahrhundert Akte Lübecks vorlagen, die als Gewalttaten und Anmaßungen einer Herrschaft erschienen und daher weder für ein Gewohnheitsrecht noch für die Unvordenklichkeit in Betracht kommen können. Was die spätere Zeit betrifft, so wird von Lübeck erst durch das Fischereigesetz von 1896 eine Fischereihoheit, und zwar nur in einem Teil des streitigen Küstengewässers, in Anspruch genommen. Aber dieses Gesetz beruht auf einem Irrtum und ist von Mecklenburg nicht anerkannt worden. Im Gegenteil, Mecklenburg hat nicht allein die Fischereihoheit seit dem Mittelalter besessen, sondern auch vertreten, und auch im 19. Jahrhundert zuerst für das streitige Küstengewässer fischereipolizeiliche Gesetze erlassen. - Ebenso wenig kann sich Lübeck auf Fahrrechtshandlungen und auf die Ausübung einer Strandungshoheit stützen. Im Gegenteil sehen wir, daß lediglich Mecklenburg in dieser Hinsicht in Betracht kommt. Die Ausübung sonstiger Hoheitsakte wird zwar von Lübeck behauptet, aber in allgemeinen Redensarten, ohne daß irgendwie ein Beweis angetreten wird. In bezug auf Mecklenburg aber fanden wir die wichtige, spezielle Verordnung über den Dünenschutz von 1874.

Allein nicht nur dies. Öfter konnten wir feststellen, daß Lübeck Hoheitsrechte Mecklenburgs unmittelbar anerkannt hat. Es seien hier in Erinnerung gebracht die Anerkenntnisse im Fischreusenstreit von 1616, das lübische Fischereigesetz vom 28. Februar 1881, die Lübecker Abgrenzung seines Strandamtsbezirkes auf Grund der Reichsstrandungsordnung von 1874, die Verkündigung des Mecklenburger Gesetzes über den Dünenschutz von 1874 in Travemünde.

 


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D.

Entscheidung

I. Das Hoheitsrecht Lübecks über das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck.

Es ergibt sich somit, daß Lübeck den Nachweis nicht erbracht, daß ihm auf einer besonderen rechtlichen Grundlage an dem Küstengewässer Priwall-Harkenbeck irgendein Hoheitsrecht in Abweichung von den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen zusteht. Es konnte weder ein partikuläres Gewohnheitsrecht,noch ein besonderer Rechtstitel, noch Unvordenklichkeit nachgewiesen werden. Infolgedessen hat Mecklenburg das gesamte Hoheitsrecht an diesem Küstengewässer, insoweit es nach der allgemein anerkannten völkerrechtlichen Abgrenzung ihm zukommt 258 ).

II. Die Anträge Lübecks 259 ) werden mit dieser Feststellung völlig durchbrochen und sind daher in jeder Hinsicht abzuweisen.

 


 

Hiermit versichere ich, daß die vorstehenden Ausführungen meiner Rechtsüberzeugung entsprechen.

Halle a. S., 3. Oktober 1925.

(gez.) Dr. Julius von Gierke,
ord. Professor des deutschen Rechts an der Universität Göttingen.

258) Siehe oben unter A. II.
259) Siehe oben S. 29