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Verein für mecklenburgische Geschichte und
Altertumskunde

 
 

Mecklenburgische

   

Jahrbücher

 
 
 

          Gegründet von Friedrich Lisch, fortgesetzt
          von Friedrich Wigger und Hermann Grotefend

 
 
 
 
   

99. Jahrgang 1935

 
   

Herausgegeben vom Vereinsleiter
Staatsarchivdirektor i.R. Dr. F. Stuhr

 

Schwerin Meckl.

Druck und Vertrieb der Bärensprungschen Hofbuchdruckerei
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Inhalt des Jahrbuchs.

  Seite
I. Die Entwicklung der bäuerlichen Verhältnisse auf der Insel Poel vom 12. Jahrhundert bis 1803. Von Dr. Gertrud Lembke, Malchow auf Poel 1
II. Die Bedeutung der Stadtsiedlung für die Germanisierung der ehemals slavischen Gebiete des. Deutschen Reiches (mit besonderer Berücksichtigung Mecklenburgs). Von Univ. -Professor Dr. Hans. Spangenberg, Rostock 107
III. Das Zunftwesen der Seestadt Wismar bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur deutschen Zunftgeschichte. Von Studienreferendar Dr. Joachim Brügmann, Wismar 133
IV. Joachim Nikolaus von Dessin. Von Professor Dr. Eduard Moritz, Eichwalde-Berlin 209
V. Siedlungsgeographische und wirtschaftsgeschichtliche Probleme in der Kieler Dissertation von Franz Engel (Schwerin) über deutsche und slawische Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft. Von Staatsarchivrat Dr. Steinmann, Schwerin 219
VI. Hundert Jahre des. Mecklenburgischen Geschichts- und Altertumsvereins. Ein Rückblick auf der Festsitzung am 22. Juni 1935. Von Staatsarchivdirektor Dr. Friedrich Stuhr - Schwerin 239
VII. Friedrich Lisch, Mecklenburgs Bahnbrecher deutscher Altertumskunde. Von Museumsrat Dr. Heinrich Reifferscheid, Neustrelitz 261
Jahresbericht (mit Anlagen A und B) 277
Satzung des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde (gegründet 22. April 1835) 289
Vignette
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I.

Die Entwicklung der bäuerlichen
Verhältnisse auf der Insel Poel
vom 12. Jahrhundert bis 1803

von

Gertrud Lembke.

 

Vignette
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Literaturverzeichnis.

a) Quellen.

1. Mecklenburgisches Urkundenbuch (M.U.B.).

2. Geheimes und Haupt-Archiv zu Schwerin:

Amtsakten.
Poeler Urkunden.
Auswärtiges. Lübeck.
Kirchenvisitationsakten.
Akten zur Erteilung der Kurwürde über Abtretung der lübischen Dörfer.
Akten der Schwedischen Rentkammer.
Jnventarien der Schwedischen Rentkammer.
Protokollbücher 1680-1804.
Anlagen zu den Protokollbüchern.

3. Landratsamt Wismar:

"Geschichte des Amts und der Insel Poel" von Kuhberg, 1859 (handschriftlich).

4. Staatsarchiv Lübeck:

Senatsakten.
Akten aus dem Archiv des Hospitals zum Heiligen Geist, Lübeck.

b) Darstellungen.

Balck, Domaniale Verhältnisse. Rostock 1864.
Barnewitz, F., Geschichte des Hafenorts Warnemünde. Rostock 1925.
Blanck, W., Die Freischulzen im Lande Stargard. Meckl.-Strelitzer Geschichtsblätter 5. Jg. 1929
Böhlau, Über Ursprung und Wesen der Leibeigenschaft in Mecklenburg. Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd. 10.
Dade, Heinrich, Die Entstehung der mecklenburgischen Schlagwirtschaft. Diss. Rostock 1891.
Endler, C. A., und Folkers, I. U., Das mecklenburgische Bauerndorf. Rostock o. I.
Hefenbrock, Lübecker Kapitalanlagen in Mecklenburg bis 1400. Diss. Kiel 1927.
Koppmann, K., Zur Geschichte der mecklenburgischen Klipphäfen. Hansische Geschichtsblätter, Jahrgang 1885, S. 101 ff.
Kötzschke, P.R., Das Unternehmertum in der ostdeutschen Kolonisation des Mittelalters. Diss. 1894.
Kötzschke, R., Deutsche Wirtschaftsgeschichte. 1921.
Loy, C., Der kirchliche Zehnt im Bistum Lübeck von den ersten Anfängen bis zum Jahre 1340. Diss. Kiel 1909.
Malchow, Carl, Geschichte des Lübecker Domkapitels. Diss. Rostock 1881.
Maybaum, H., Die Entstehung der Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg. (Amt Gadebusch und Amt Grevesmühlen.) Beihefte zur Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. VI. Heft 1926.

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Mielck, O., Die mecklenburgische Bonitierung nach Scheffel Saat. Rostock 1926.
Stuhr, Fr., Stammtafeln des Geschlechts von Stralendorff. Schwerin 1917.
Techen, F., Geschichte der Seestadt Wismar. Wismar 1929.
Wiebe, Georg, Zur Geschichte der Preisrevolution des 16. und 17. Jahrhunderts. Staats- und sozialwissenschaftliche Beiträge. 2. Bd. Leipzig 1895.
Willgeroth, C., Beiträge zur Poeler Familienkunde. Wismar 1934.
Witte, H., Besiedelung des Ostens und die Hanse. Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins. München 1914.
Nützliche Beyträge zu den Neuen Strelitzschen Anzeigen. 1768-1771. Mecklenburgische Gemeinnützige Blätter. Bd. 4. 1801.

Jahrbücher für Mecklenburgische Geschichte (M.J.B.):

Ahlers, Das bäuerliche Hufenwesen in Mecklenburg. M.J.B. 51.
Brennecke, Die ordentlichen, direkten Staats-Steuern Mecklenburgs im Mittelalter. M.J.B. 65
Ihde, R., Amt Schwerin. Geschichte seiner Steuern, Abgaben und Verwaltung bis 1655. M.J.B. 77. Beiheft.
Lisch, G. C. F., Die rechtliche Stellung der Bauern im Mittelalter. M.J.B. 15.
Schmalz, Die Begründung und Entwicklung der kirchlichen Organisation Mecklenburgs im Mittelalter. M.J.B. 72.
Steinmann, P., Die Geschichte der mecklenburgischen Landessteuern und Landstände bis zur Neuordnung des Jahres 1555. M.J.B. 88.
Techen, F., Über die Bede in Mecklenburg bis zum Jahre 1385. M.J.B. 67.
Wigger, F., Die Festung Pöl. M.J.B. 48.
Witte, H., Wendische Zu- und Familiennamen. M.J.B. 71.

Abkürzungen und Erklärungen.

M.U.B. = Meckl. Urkundenbuch (z. B. M.U.B. 1703, 1283 oder: M.U.B. 1703 (1283) = Urkunde Nr. 1703 vom Jahre 1283. - Steht nur eine Zahl, so ist stets die Nr. der Urkunde gemeint.)
M.J.B. - Meckl. Jahrbuch.
HGH. = Heiligen-Geist-Hospital (Lübeck).
(ß) = Schilling.
M. = Mark lübisch.
Drbt. = Drömpt (tremodium).
Sch. = Scheffel.
Rtlr. = Reichstaler.
Tal. = talentum.
Pfg. = Pfennig.
h = Hufe.

Maße:

1 modius = 1 Sch.
12 Sch. = 1 Drbt. (tremodium).
96 Sch. = 1 Last.
12 Pfg. = 1(ß).
16 (ß) = 1 M.
3 M. = 1 Rtlr.
4 Pfg. = 1 Witten (albus).
24 (ß) = 1 Gulden.
48 (ß) = 1 Rtlr.

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Inhaltsverzeichnis.

Seite
Vorwort 7
Einleitung: Die politische Geschichte der Insel 8
I. Die Kolonisationszeit (1163-1318)  
  1. Die kirchliche Eingliederung in das Bistum Lübeck 8
  2. Die Besiedlung der Insel durch deutsche Bauern 9
    a) Die Art der Kolonisation 9
    b) Die Zusammensetzung der Poeler Bevölkerung 11
  3. Die mecklenburgischen Fürsten auf Poel 12
  4. Der Verkauf der Insel an die Ritter im Jahre 1318 13
  5. Der Erwerb der Grundherrschaft durch die Lübecker Kirche 14
II. Die Rückgewinnung Poels durch die mecklenburgischen Herzöge (1358-1615)  
  1. Der Streit um Bede und Gerichtsbarkeit mit dem Lübecker Domkapitel 15
  2. Der Streit um dasJagdrecht mit den Stralendorffs 17
  3. Flottenpläne um den Hafen in Gollwitz 17
  4. Säkularisation der Güter des Domkapitels. 1555 18
  5. Der Prozeß um die "lübischen Dörfer" mit dem Heiligen-Geist-Hospital 19
  6. Die Erwerbung der Stralendorffschen Güter. 1615 20
III. Poel im Besitz der mecklenburgischen Herzöge. (1555-1648)  
  1. Die Einrichtung des Amtshofes Kaltenhof und der Bau eines Jagdhauses 21
  2. Der Festungsbau (1614-1618) 23
  3. Die Festung Poel im 30jährigen Kriege 24
  4. Die Abtretung der Insel an Schweden. 1648 25
IV. Poel unter schwedischer Herrschaft. (1648-1803)  
  1. Poel im Pfandbesitz des Grafen Steinberg und anderer Pfandinhaber. (1648-1694) 26
  2. Poel unter Verwaltung der Amtspächter. (1694-1803) 28
  3. Die Abtretung Poels an Mecklenburg. (1802-1803) 31
Hauptteil: Die bäuerlichen Verhältnisse auf der Insel Poel 32
I. Die Verwaltung  
  1. Die Vogteiverwaltung im 14. Jahrhundert 32
  2. Die Verwaltung der "lübischen Dörfer" (14. Jh.-1802) 33
  3. Poel als Mecklenburgisches Amt (um 1550-1648) 36
  4. Die Verwaltung Poels unter schwedischer Herrschaft 37
    a) Die Ausbildung des Oberschulzenamtes in der Zeit der Verpfändung. (1648-1694) 37
    b) Die Vergebung des Amts in Generalpacht. (1694-1803) 37
  5. Einordnung Poels in die meckl. Ämterverwaltung. (1803) 39
II. Die bäuerlichen Abgaben  
  1. Die kirchlichen Abgaben (Zehnt) 40
  2. Die grundherrlichen Abgaben 42
    a) Pacht 42
    b) Schweinezins 44
  3. Die öffentlich-rechtlichen Abgaben 45
    a) Unter mecklenburgischer Herrschaft 45
      aa) Ordentliche Bede 45
      bb) Landbede 46
      cc) Stolbede 47
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      dd) Ablager 48
      ee) Rauchhuhn 49
    b) Unter schwedischer Herrschaft 50
      aa) Konsistorial- und Tribunalsgelder 50
      bb) Fuhrgelder 50
      cc) Kontribution 51
      dd) Reichssteuern 51
      ee) Vergleich mit dem übrigen Mecklenburg 51
  4. Die Gesamtbelastung der Hufe in den verschiedenen Jahrhunderten 52
III. Die Dienste  
  1. Die öffentlichen Dienste 55
    a) Die Burg- und Brückendienste im 14. Jahrhundert 55
    b) Die Extradienste im 17. und 18. Jahrhundert 56
  2. Die Hofdienste unter mecklenburgischer Herrschaft 57
    a) Die gerichtsherrlichen Dienste 57
    b) Die Hofdienste für den Kaltenhof 59
  3. Die Hofdienste unter schwedischer Herrschaft 61
    a) Verringerung der Dienste auf einen Tag je Hufe und die Möglichkeit der Ablösung durch Dienstkorn 61
    b) Die schärfere Anspannung der Dienste 62
    c) Die Dienstordnungen von 1754 und 1771 63
    d) Die Dienste der Käter und Büdner 64
    e) Die Ablösung der Hofdienste 1790 65
  4. Vergleich der Hofdienste auf Poel und in Mecklenburg 66
IV. Das Bauernrecht  
  1. Stellung der Bauern im Mittelalter 67
    a) Erbpacht und Erbzeitpacht 67
    b) Das bäuerliche Patriziat 69
      aa) Abbo von Poel 70
      bb) Die Familie Kros 73
      cc) Heinrich Holtorp 77
      dd) Die Schulzen 78
      ee) Die Schulzenfamilie Elers 79
      ff) Die Schulzenfamilie Buck 80
      gg) Ergebnisse
  2. Stellung der Bauern in der Neuzeit 82
    a) Das Absinken des bäuerlichen Rechtes im 15 und 16. Jahrhundert 82
    b) Die Freiheit von der Leibeigenschaft unter schwedischer Herrschaft 85
    c) Das Poeler Erbrecht im 17. und 18 Jahrhundert 88
      aa) Anerbenrecht 88
      bb) Abfindung der Geschwister 90
      cc) Interimswirtschaft 92
      dd) Altenteil 93
      ee) Erbrecht der Käter 93
V. Einiges zur Wirtschaftsgeschichte Poels  
  1. Hufengröße 94
  2. Verteilung von Groß - und Kleinbesitz 98
  3. Wirtschaftsweise 99
    a) Viehzucht 99
    b) Ackerbau 101
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Vorwort.

Poel ist eine flache, unbewaldete Insel in der Wismarschen Bucht, etwa 10 km nördlich von Wismar. Sie hat einen Flächeninhalt von 37 qkm. Von Süden her schneidet eine Bucht tief ins Land ein, an deren nördlichem Ende das größte Dorf der Insel, Kirchdorf, liegt.

Obgleich die Insel, die hauptsächlich von Bauern bewohnt wird, durch ihre geographische Lage ganz zu Mecklenburg gehört, so ist sie doch durch ihr politisches Schicksal jahrhundertelang von ihm abgetrennt gewesen. Geschichtlich hat sie ein Sonderdasein geführt.

Im 14. und 15. Jahrhundert nämlich gehörte die Grundherrschaft auf Poel fast ausschließlich der Lübecker Kirche mit voller Immunität von allen landesherrlichen Forderungen. Die mecklenburgischen Herzöge brachten die Grundherrschaft erst im 16. Jahrhundert wieder an sich und bauten sie zur Gutsherrschaft aus. Aber schon 1648 mußten sie die Insel wiederum abtreten, und zwar diesmal an die schwedische Krone; bis ins 19. Jahrhundert hinein gehörte Poel mit Wismar und Neukloster zum schwedischen Staatsverband. So kann Wigger mit Recht sagen, kein anderer Landesteil sei den mecklenburgischen Fürsten so oft und so lange entzogen gewesen 1 ).

Die Aufgabe der Untersuchung wird sein, diese Sonderstellung Poels durch die Jahrhunderte zu verfolgen und ihre Auswirkung auf die bäuerlichen Verhältnisse darzulegen.

Die Arbeit beruht in der Hauptsache auf Quellenmaterial. Bis zum Jahre 1400 war dieses im Mecklenburgischen Urkundenbuch gesammelt; für die späteren Jahrhunderte benutzte ich vor allem die Akten des Geheimen und Haupt-Archivs in Schwerin, die mir durch die Erlaubnis des Herrn Staatsarchivdirektors Dr. Strecker zur Benutzung offenstanden. Besonders aber habe ich Herrn Staatsarchivrat Dr. Tessin zu danken, der mir die Quellen erst zugänglich machte und meine Arbeit durch Rat und Anregung jederzeit förderte.



1) Wigger, Die Festung Pöl, M.J.B. 18, S. 2.
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Einleitung:

Die politische Geschichte der Insel.

I. Die Kolonisationszeit (1163 - 1318).

1. Die kirchliche Eingliederung in das Bistum Lübeck.

Die Beziehung Poels zu Lübeck wurde begründet, als die Insel beider kirchlichen Organisation der Slavenlande nicht in das Mecklenburger, sondern in das Lübecker Bistum eingegliedert wurde.

1160 hatte Bischof Gerold von Oldenburg von Heinrich dem Löwen die Genehmigung erlangt, seinen Bischofssitz nach Lübeck zu verlegen. Bei der feierlichen Einweihung der Lübecker Kirchen 1163 wurde das Domkapitel dotiert und erhielt neben andern Einkünften von Heinrich dem Löwen und Bischof Gerold gemeinsam den Zehnten und den Zins von Poel und dazu ein Dorf, nach späteren Eintragungen das Dorf Fährdorf, das am Übergang von Poel zum Festland gelegen ist 2 ).

Diese Zuteilung Poels an das Lübecker Bistum ist deswegen auffällig, weil die ganze Umgegend entweder dem Bistum Schwerin oder dem von Ratzeburg unterstellt wurde. Zur Erklärung muß man die damalige politische Lage der Missionsgebiete berücksichtigen. Wohl war die nominelle Errichtung der wendischen Bischofssitze durch Erzbischof Hartwig von Bremen schon 1149 vorgenommen. Solange aber die Wenden politisch noch Widerstand leisteten, blieb die Einrichtung der Bischofssitze eine rein formelle Anordnung. Ratzeburg blieb vorläufig noch unbesetzt, und Bischof Emmehard von Mecklenburg hat sein Bistum niemals betreten 3 ).

Diese Unfertigkeit des Mecklenburgischen Bistums wird für Heinrich den Löwen der Grund dafür gewesen sein, daß er Poel dem Bistum Lübeck zuteilte, dem einzigen stärkeren deutschen Bistum, das dem heidnischen Wendentum entgegenzustellen war. Man könnte sogar vermuten, daß strategische Gründe bei ihm mitgespielt hätten. Er befand sich 1163 mitten in den Kämpfen


2) M.U.B. 78, 1163.
3) Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III, S. 639.
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gegen Pribislaw und Wertislaw und mochte in der Insel Poel eine Art von vorgeschobenem Fort sehen, das er gern unter christliche und deutsche Herrschaft stellen wollte. Dann hätte die Zuteilung eine beabsichtigte Spitze gegen die mecklenburgischen Fürsten enthalten 4 ). Jedenfalls hat die kirchliche Sonderstellung den ersten Anstoß gebildet zu der häufigen Entfremdung der Insel von den mecklenburgischen Geschicken.

2. Besiedlung der Insel durch deutsche Bauern.

a) Die Art der Kolonisation.

Für die nächste Zeit scheint allerdings die kirchliche Eingliederung in das deutsche Bistum wenig an den alten Verhältnissen geändert zu haben. Poel blieb von der ersten Welle deutscher Kolonisation zur Zeit Heinrichs des Löwen unberührt. Die Unzugänglichkeit vom Festland her verhinderte eine frühe und rasche Besiedelung 5 ). Die Kämpfe und Wirren nach dem Tode Heinrichs des Löwen lähmten dann vollends die Siedlungstätigkeit.

So war die Insel bis etwa 1200 ausschließlich von Slaven bewohnt. Die Urkunden betonen, daß die Bevölkerung nur spärlich war und in dürftigen Verhältnissen lebte, daß die Wenden "wegen der Armut und der geringen Zahl dieses Volkes nicht imstande waren, den Boden zu bebauen". Für ihre hölzernen Hakenpflüge war anscheinend der Poeler Boden


4) Eine Spitze gegen die meckl. Fürsten scheint auch Schlie (Bd. 2, S. 222) anzunehmen, wenn er den Grund für die Eingliederung nach Lübeck in "der gewaltigen organisatorischen Macht der alten Kirche" sucht, "die es. für richtig hielt, dem weltlichen Arm des Landesherrn möglichst viele geistliche Autoritäten entgegenzustellen." Doch kommt dieser rein kirchliche Grund für Heinrich den Löwen ja gar nicht in Frage, während der politische Beweggrund auf dieselbe Gegnerstellung zum Landesfürsten drängte.
5) Wann Poel zu einer Insel geworden ist, ist nicht mehr festzustellen. Der Ausdruck "insula" kommt in den Urkunden nicht vor, es heißt darin meist "terra" oder "provincia Pole". Dagegen erscheint der Name Fährdorf in der latinisierten Form "Vera" schon 1247. Das läßt darauf schließen, daß schon damals eine Furt zwischen Poel und dem Festland bestand. Jegerow (Bd. I, S. 378) benutzt den Namen "Vera" als angeblichen Beweis für die Übertragung slavischer Namen ins Deutsche. Er setzt an: Vera verderbt aus Mira und dies latinisiert aus einem slavischen Namen der ganzen Insel. (Mira Insula, Ptolemäos Romae 15).
Richtig widerlegt ihn Witte (I. Kolonisation Mecklenburgs. im 13. Jahrhundert. Ein kritisches Nachwort, von Hans Witte, S. 40). Vera latinisiert gleich Fähre. Noch heute heißt es im Volksmund "Bi de Fähr".
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zu schwer; sie werden in der Hauptsache von Fischfang und Viehzucht gelebt haben, wohl auch gelegentlich vom Seeraub, da das Strandrecht bis 1220 Geltung hatte und auch dann nur mit vorübergehender Wirkung aufgehoben wurde 6 ).

Die deutsche Besiedlung Poels ging nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, in der Hauptsache von der Lübecker Kirche aus, sondern von Fürst Heinrich Borwin selber 7 ). Er hatte die wirtschaftliche und kulturelle Überlegenheit der deutschen Bauern und die Vorteile, die dem Fürsten und dem Land durch sie erwuchsen, im Lande Gadebusch kennen gelernt, das ihm gerade zugefallen war 8 ). Wenn er sich als wendischer Fürst für die deutsche Kolonisation einsetzte, so verfolgte er dabei zwei Ziele: die Schaffung eines wirtschaftlich leistungsfähigen Bauernstandes und die Organisierung eines wehrkräftigen Kriegerstandes, der durch das Lehnsband an seine Person geknüpft war 9 ). Deshalb gab er, z. B. in den Ämtern Gadebusch und Grevesmühlen, große Landstriche einzelnen Rittern zu Lehn und belastete sie mit der Verpflichtung zur Kriegsfolge. In anderen Gebieten nahm er die deutsche Kolonisation sel-ber in Angriff, um durch den bäuerlichen Zins seine Einnahmen zu erhöhen.

Auf Poel nun behielt Heinrich Borwin die Grundherrschaft der meisten Dörfer in Händen. Er beauftragte Unternehmer, in seinem Dienste Kolonisten in Altdeutschland anzuwerben und die Vermessung und Zuteilung des Landes vorzunehmen. Einer dieser Lokatoren ist uns dem Namen nach bekannt, ein gewisser Wasmodus. Das von ihm gegründete Dorf Wasmodesdorp wurde später unter dem Namen Wester-Gollwitz dem Amtshof Kaltenhof zugelegt 10 ). Einen anderen Lokator Poels können wir möglicherweise in Heinrich von Brandenhusen erkennen, der 1254 genannt wird 11 ), wenn wir annehmen, daß das von ihm gegründete Dorf nach ihm benannt worden sei. Heinrich von Brandenhusen aber ist ritterlicher Abkunft und hat die


6) Witte, I, S. 134.
7) M.U.B. 197, 1210.
8) Witte, I, S. 123.
9) Maybaum, S. 17.
10) M.U.B. 313. Der Zehnt von Wasmodesdorp wird darin dem Camerarius des Lübecker Domkapitels vom Bischof überwiesen. Daß Wasmodesdorp mit dem späteren Wester-Gollwitz identisch ist, geht aus dem Verzeichnis der Einkünfte des Lübecker Bischofs und Domkapitels von 1475 hervor (Auswärtiges Lübeck, Vol. II), das diese Einkünfte des Camerarius bei Wester-Gollwitz aufführt.
11) M.U.B. 730.
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Ansiedelung wohl nicht im Dienste des Fürsten, sondern im eigenen Interesse durchgeführt, denn er hat die Grundherrschaft in Brandenhusen und Seedorf in Händen 12 ). Auch Timmendorf wird von einem Lokator ritterlicher Abkunft (Berkhan?) gegründet sein 13 ). Außer diesen fürstlichen und ritterlichen Lokatoren haben wahrscheinlich das Lübecker Domkapitel 14 ) und das Johanniskloster in Lübeck an der Besiedlung teilgenommen; dieses hat das "Wendfeld" 15 ) 1266 an deutsche Bauern vererbpachtet 16 ). Fürst, Adel und Geistlichkeit nahmen also Anteil an dem Werk der Kolonisation, und die Grundherrschaft auf Poel war zwischen ihnen geteilt.

b) Die Zusammensetzung der Poeler Bevölkerung.

Die Frage nach der Herkunft der Poeler Bauern ist nur auf dem Wege der Namenforschung lösbar 17 ). Als Material für die Nachforschung kommen natürlich nur die Bauernnamen der Kolonisationszeit bis etwa 1340 in Frage. Von den untersuchten 136 Eigennamen sind 19 von ausgesprochen friesischer und westholsteinischer Prägung 18 ), während die Mehrzahl der übrigen allgemein niederdeutsch oder biblisch sind. Hiernach kann mit einiger Bestimmtheit gesagt werden, daß der Einwanderungsstrom in der Hauptsache nicht von Westfalen her gekommen ist, wie man bisher allgemein annahm, sondern daß die Insel, durchweg von Holstein und Dithmarschen her besiedelt wurde 19 ).


12) M.U.B. 3472.
Die Familie seines Schwiegersohnes Dotenberg, die ihn offenbar beerbt hat, hat nämlich 1311 die beiden Dörfer Brandenhusen und Seedorf mit allen Einkünften, dem niederen und 1/3 des höheren Gerichtes inne.
13) Vgl. S. 12 Anm. 24.
14) M.U.B. 167 (Fährdorf).
15) Wohl das spätere Wangern, vgl. S. 73.
16) M.U.B. 1098.
17) Die Anregung dazu verdanke ich Fräulein Hilde Precht, Hamburg. Herr Dr. Bahlow, Rostock, war so liebenswürdig, die erhaltenen Ergebnisse nachzuprüfen und zu ergänzen.
18) Z. B. Abbo, Nanne, Gösecke, Herder Witte, Boye, Eler, Tymo, Poppo, Thidekin, Lubbe, Zirik, Thede, Sybern, Tibburg und andere.
19) Auch Warnemünde war eine friesische Gründung, wie Barnewitz in seiner Schrift: "Geschichte des Hafenorts Warnemünde" berichtet. 2. Aufl. Rostock, 1925, S. 54.
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Der Anteil der Wenden an der Bevölkerung scheint sehr gering zu sein. Eindeutig als Slaven festzulegen sind nur drei Männer: Nicolaus Slavus, Went und Marquardus Went. Sechs weitere Namen scheinen auch wendischen Ursprungs zu sein, sind aber schon weitgehend eingedeutscht worden 20 ); der Prozentsatz ist also viel geringer als gewöhnlich in Mecklenburg. Die wenigen Wenden scheinen bald vollständig mit der deutschen Bevölkerung verschmolzen zu sein, da nichts auf ihre Sonderstellung hinweist. Wendische Hakenhufen kommen nicht vor, und die wendischen Bauern sind der deutschen Hufenverfassung unterworfen 21 ).

Von den 14 Dörfern auf Poel haben nur drei einen Namen wendischen Ursprungs: Gollwitz, Malchow und Wangern 22 ). Alle andern haben rein deutsche Namen und sind wohl Neusiedlungen gewesen.

3. Die mecklenburgischen Fürsten auf Poel.

Zwei Mächte also, die lübeckische Geistlichkeit (Domkapitel und Johanniskloster) und das mecklenburgische Fürstenhaus, hatten während der Kolonisation auf Poel Fuß gefaßt. Daneben werden im 13. Jahrhundert noch zwei Ritterfamilien genannt, die Grundherrschaft auf Poel besaßen, die Familien Dotenberg 23 ) und Berkhan 24 ); doch beide Familien verkaufen ihren Besitz schon früh.

Es ist nun von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der bäuerlichen Verhältnisse geworden, daß Poel nicht Domanialland und nicht ritterlicher Grundbesitz geworden ist, sondern daß die Lübecker Kirche allmählich die Grundherrschaft in fast allen Poeler Dörfern an sich brachte. Dies ist aber erst zu Anfang des 14. Jahrhunderts geschehen, und im 13. Jahrhundert war die Insel noch durchaus von den Fürsten beherrscht.


20) Z. B. Jacob Tesseke, Martin Knese, Hinricus Teghel, Hinze filius Thechen.
21) Nicolaus Slavus hat 1326 2 Hufen in Niendorf, Went 1329 1 Hufe in Vorwerk usw.
22) Nach Kühnel, M.J.B. 46, S. 31, bedeutet Malchow = Ort des Malech, S. 54 Gollwitz = kahler Ort (golu), S. 154 Wangern vom slav. Personennamen agru.
23) M.U.B. 3472, 1311. Konrad von Dotenberg ist wohl der Schwiegersohn des Lokators Heinrich von Brandenhusen und beerbt diesen in der Grundherrschaft von Seedorf und Brandenhusen. Er verkauft diese 1311 an das HGH.
24) M.U.B. 795, 1257. Konrad Berkhan verkauft die Grundherrschaft in Timmendorf an das Johanniskloster.
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Schon Heinrich Borwin scheint den fürstlichen Hof, die "Curia Uppenfelde", gegründet zu haben und weilte verschiedentlich auf Poel 25 ). Die Insel wurde dann das Leibgedinge der Fürstinnen von Mecklenburg; erst der Luitgard, Gemahlin Johanns von Mecklenburg 26 ), dann der Anastasia, Gemahlin Heinrichs des Pilgers 27 ). Anastasia weilte häufig auf Poel, und ihre Söhne Heinrich und Johann veranstalteten dort größere Jagden. Auf einer dieser Fahrten nach Poel ertrank Prinz Johann am 27. Mai 1289 "in der Lipse by Poele" 28 ). Seine Tochter Luitgart erhielt nach Anastasias Tode die Insel als Witwensitz 29 ). Das mecklenburgische Fürstenhaus nahm also ein ganz persönliches Interesse an der Insel und sah sie als ihr Hausgut an. Die Aussichten für die Gewinnung Poels schienen also recht gering für die Lübecker Kirche zu sein.

4. Der Verkauf der Insel an die Ritter im Jahre 1318.

Anders wurde es aber durch den Verkauf von 1318. Heinrich II. war während seiner ständigen Kämpfe und Fehden in immer größere Schulden geraten. Er mußte daher 1318 den Ritterfamilien Plessen, Preen und Stralendorff die ganze Insel Poel und dazu die Dörfer Friedrichsdorf, Altbuckow, Rakow, Russow, Vorwerk bei Russow, Warkstorf und Groß-Strömkendorf für die Summe von 32 150 M. slav. verkaufen 30 ) und feierlich auf alle landesherrlichen und grundherrlichen Rechte auf der Insel verzichten. Er blieb rechtlich der Lehnsherr der Ritter, und er und seine Nachfolger bestätigten in der Folgezeit


25) Der Name Uppenfelde kommt allerdings erst 1280 vor, doch ist anzunehmen, daß sich Heinrich Borwin bei der Kolonisation gleich einen Hof reserviert hatte. Die Curia lag nahe der Kirche, "prope ecclesiam" (M.U.B. 4690, 1326) etwa an der Stelle, wo später das Schloß gebaut wurde.
26) M.U.B. 791, 1257.
27) M.U.B. 2297, 1294.
28) M.U.B. 2022, 1290. Die Lieps ist noch heute eine Untiefe zwischen Poel und der Boltenhäger Küste.
29) M.U.B. 3887, 1317 Anmerkung und M.U.B. 3934. Sie gibt die Zustimmung zur Verleihung der Mahlfreiheit an die Poeler Bauern.
Luitgart, die Tochter Johanns (III.) von Mecklenburg, mit Helena, Tochter Wizlaos III. von Rügen. Luitgart war in erster Ehe vermählt mit Gerhard II., Grafen von Hoya († 1311), in zweiter Ehe mit Adolf VII., Grafen von Holstein (ermordet 1315), in dritter Ehe (nach 22. November 1318) mit Günther III., Grasen v. Lindow-Ruppin. M.J.B. 50, S. 167.
30) M.U.B. 4024 und 4025, 1318.
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noch die meisten Verkaufsurkunden; alle übrigen landesherrlichen und grundherrlichen Rechte aber gingen an die Ritter über. Diese haben jedoch niemals auf Poel gewohnt, und die "Curia Uppenfelde", die schon 1301 an einen Lübecker Bürger verkauft war, verlor den Charakter eines Hofes und wurde zu einer Bauernstelle 31 ). Die Ritter sahen die Grundherrschaft auf Poel von einem rein finanziellen Standpunkt an und verkauften bald einzelne Hufen und ganze Dörfer, wie sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Deshalb konnte sich der Grundbesitz der Lübecker Kirche nun sehr rasch vergrößern.

5. Der Erwerb der Grundherrschaft durch die Lübecker Kirche.

Die Kirche scheint in ihren Erwerbungen auf Poel planmäßig vorgegangen zu sein. Der Kern ihres Besitzes ist das Dorf Fährdorf, das sie in der Schenkung von 1163 von Heinrich dem Löwen erhalten hatte. Heinrich Borwin hatte um 1200 die Schenkung anerkannt und das Dorf dem Domkapitel zu "geistlichem Recht" verliehen, d. h. befreit von allen Abgaben und Diensten, mit Ausnahme der Landwehr 32 ). Ein weiterer Anreiz für das Kapitel, gerade auf Poel Grundbesitz zu erwerben, lag darin, daß es 1163 den Zehnt der ganzen Insel erhalten hatte. Es geriet deswegen in Streit mit dem Fürsten von Mecklenburg. Als es 1210 auf Drängen Heinrich Borwins diesem die Hälfte des Zehnten abtreten mußte 33 ) und auch später die Zwistigkeiten nicht aufhören wollten, dem Bischof "von Tag zu Tag der Zehnt beschränkt, heimlich entrissen und verfälscht" wurde, "sodaß in neueren Zeiten (um 1280) nicht mehr als 52 Hufen (von 185) dem Bischof den Zehnt zahlen" 34 ), da mußte es der Kirche klar werden, daß sie den Zehnt nur zurückgewinnen würde, wenn sie gleichzeitig die Grundherrschaft erwarb. Deshalb kaufte sie allmählich Hufen und ganze Dörfer zu geistlichem Rechte auf. Sie wies auch anscheinend die Lübecker Kaufleute, die der Kirche fromme Stiftungen machen wollten, auf die mecklenburgische Insel hin. Die Lübecker Kaufherren erwarben dann die Grundherrschaft von den Rittern Preen, Plessen und Stralendorff und stifteten deren Einkünfte für Seelenmessen und Vikareien in den


31) Vgl. unten S. 22.
32) M.U.B. 167, um 1200
33) M.U.B. 197, 1210.
34) M.U.B. 1554, um 1280.
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Lübecker Kirchen, schenkten auch wohl um ihres Seelenheiles willen ganze Dörfer der Kirche oder andern geistlichen Instituten.

Ende des 14. Jahrhunderts hat das Domkapitel die Dörfer Ostergollwitz, Vorwerk, sieben Hufen in Malchow,Fährdorf,Kirchdorf und Westergollwitz in Besitz. Die vier Dörfer Seedorf, Wangern 35 ), Brandenhusen und Weitendorf und ein Teil von Timmendorf gehören dem Heil.-Geist-Hospital (HGH.) in Lübeck und die übrigen Hufen in Malchow zwei Lübecker Bürgern. Einzig vier Hufen in Niendorf sind nicht in lübischem Besitz, sondern zu einer Vikarei in Wismar gestiftet.

Die Ritterfamilien behielten nur noch Teile der hohen Gerichtsbarkeit und einzelne Hebungen in einigen Dörfern. So war praktisch Poel viel näher mit Lübeck verbunden als mit Mecklenburg. Staatsrechtlich aber wird eine Oberherrschaft der mecklenburgischen Herzöge nicht bestritten. Die Verkaufsurkunden werden meist sowohl von den Rittern Preen, Plessen und Stralendorff als auch von den Fürsten von Mecklenburg bestätigt.

Einige Kartenskizzen mögen die Besitzverschiebungen zugunsten der Lübecker Kirche veranschaulichen. (Vgl. S. 104 bis 106).

II. Die Rückgewinnung Poels durch die mecklenburgischen Herzöge (1358-1615).

1. Der Streit um Bede und Gerichtsbarkeit mit dem Lübecker Domkapitel.

Seit dem Verkauf der Insel 1318 hatten die mecklenburgischen Fürsten weder Grundherrschaft noch Dienste noch Bede auf Poel. Sie scheinen sich wirklich nur dann um Poel bekümmert zu haben, wenn sie die Verkäufe der Ritter bestätigten.

Albrecht II. jedoch versuchte, so weit wie möglich, die von seinem Vater verkauften Besitzungen zurückzugewinnen. Er erhob im Jahre 1358 wieder Anspruch auf die Bede, die Gerichtsbarkeit und die Dienste der Poeler Bauern, ohne die Privilegierung der geistlichen Güter zu achten.


35) Wann Wangern aus dem Besitz des Johannisklosters in den des Heiligen-Geist-Hospitals übergegangen ist, geht aus den Urkunden nicht hervor.
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Anfangs verteidigte das Domkapitel seine Rechte mit Erfolg, indem es sich an den Papst mit einer Beschwerde wandte 36 ). In einem Schiedsspruch vom 4. Jan. 1360 stellte sich der Schiedsrichter Antonius von Plessen gemäß der eindeutigen Rechtslage auf die Seite des Domkapitels und verbot dem Herzog jegliche Bedeerhebung bei Androhung des Interdikts und der Exkommunikation. Wenn Albrecht auch zuerst den Spruch anfocht und sich seinerseits an den päpstlichen Stuhl wandte, so mußte er doch endlich nachgeben und am 18. Mai 1361 einen Vergleich mit dem Domkapitel schließen, in dem er auf alle Abgaben, Bede und Dienste verzichtete 37 ). Doch scheint er die Gerichtsbarkeit zum Teil erlangt zu haben; es wird nämlich bestimmt, daß überall dort, wo das Kapitel mit dem Herzog zusammen das Gericht habe, nicht ein Teil allein Recht sprechen solle, sondern die Beauftragten beider Parteien innerhalb von 14 Tagen den Fall gemeinsam untersuchen und aburteilen sollen. In diesem Punkte hatte also Albrecht ein Anrecht gewonnen, auf Poel einzugreifen.

Er kümmerte sich im übrigen nicht viel um den ausgesprochenen Verzicht, und seine Eingriffe auf Poel mehrten sich. Eine Urkunde aus dem Jahre 1378 gibt darüber Aufschluß: wegen der Bedrückungen gewisser unfrommer Tyrannen und der den Colonen der Hufen beständig aufgelegten Tallien und Exaktionen seien die Bauern so in Not geraten, daß sie den Zins für die Vikarei der Familie Constantin in der Lübecker Marienkirche nicht mehr zu zahlen imstande seien. Die Vikarei muß daher neu dotiert werden 38 ).

Schließlich willigten das Domkapitel und der Bischof in die regelmäßige Bedezahlung ihrer Bauern an den Herzog ein, um nicht "turbieret und molestieret" zu werden 39 ). Dies geschah wohl schon im 15. Jahrhundert 40 ). Außer der Bede zogen die


36) M.U.B. 8599 enthält die ganzen Verhandlungen.
37) M.U.B. 8890, 1361.
38) M.U.B. 11124, 1378.
39) Auswärtiges Lübeck, Vol. II. Aussage des Bischofs im Prozeß gegen den Herzog.
40) Leider sind die Nachrichten aus dem 15. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts überaus dürftig. Das Absinken der Kultur während dieser für Mecklenburg ganz besonders chaotischen Zeit spiegelt sich in dem Mangel und der schlechten Beschaffenheit der vorhandenen Urkunden wider. Die flüchtige, fast unleserliche Schrift der wenigen auf Papierfetzen gekritzelten Urkunden steht in eindrucksvollem Gegensatz zu der sorgfältigen, schönen Ausführung der Pergamenturkunden des 12. und 13. Jahrhunderts.
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Herzöge dann noch die Gerichtsbarkeit und mit ihr die Dienste und das Rauchhuhn der meisten

auern an sich und wiesen sie dem Amt Buckow zu 41 ).

2. Der Streit um das Jagdrecht mit den Stralendorffs.

Während des 15. Jahrhunderts bildete sich auch das Jagdrecht der Herzöge auf Poel nach Gewohnheitsrecht heraus und dazu die damit verbundene Ablagerpflicht der Bauern. Für ihre Jagdausflüge bauten sich die Herzöge ein Jagdhaus auf der Insel 42 ). Von diesem ist auch in dem Kirchenvisitationsprotokoll von 1534 die Rede. Es heißt da: "vp desse Drenow hefft gestann en huß, dar inne der fursten jacht lach, wenner se dar jageden efft jagenn letenn dar vp dem lannde. Dat ßulige huß hefft Hinrich Stralendorp dem Manne, de darin wanede, weltlich dalebrackenn vnnd

hefft dessulue Drenow to sinem kroge gelecht vnnd brucket der gelick sins eigenn gudes, vnnd de Jacht in sinenn katenn gelecht" 43 ). Daraus geht hervor, daß die Stralendorffs den Herzögen das Jagdrecht nicht zugestehen wollten und daher das Jagdhaus abreißen ließen. Während des 16. Jahrhunderts haben nach den Aussagen im Stralendorff-Prozeß beide Parteien, der Herzog und die Ritter, auf Poel gejagt und auch beide das Ablager von den Bauern gefordert 44 ).

3. Flottenpläne um den Hafen in Gollwitz.

Ende des 15. Jahrhunderts kam für die Herzöge noch ein wirtschaftliches Interesse hinzu, um dessentwillen sie auf Poel Fuß fassen wollten. Die Herzöge Magnus und Balthasar wollten den Getreidehandel, den sie den Holländern in Mecklenburg verboten hatten, ihrer Herrschaft unmittelbar nutzbar machen; sie verschafften sich ein Schiff und versuchten, den kleinen Hafen Gollwitz für den Getreideumschlag zu benutzen. Der Plan scheiterte, da ihnen das Schiff vom Herzog von Schles-


41) Prozeß des Domkapitels mit dem Herzog. Poeler Urkk., Fasc. 8.
42) Die erste Nachricht darüber findet sich in der Chronik von Wismar, pag. 42, für das Jahr 1436. Herzogin Catharina erhielt damals von ihren Söhnen zum Nießbrauch unter anderm auch die Gebäude auf dem Lande Poel.
43) Vergleiche G. C. F. Lisch: Über die Drenow auf der Insel Poel. M.J.B. Bd. 41, S. 110.
44) Amt Poel, Vol. I A-B.
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wig 1491 fortgenommen wurde 45 ) Der Gedanke wurde aber damit nicht aufgegeben 46 ); am Hofe Albrechts VII. erwog man sogar den Plan, eine eigene fürstliche Handelsflotte zu schaffen und dafür den Gollwitzer Hafen auszubauen. Die Stadt Wismar aber duldete die Hafenanlage nicht, und als 1533 in Gollwitz ein fürstliches Lusthaus erbaut werden sollte, brachte sie diesen Bau wohl mit Recht mit den Hafenplänen in Beziehung; die Ratssendboten von Wismar und Rostock protestierten also dagegen: aus dem Lust- könne leicht ein Unlusthaus werden, warnten sie 47 ). Herzog Albrecht blieb dabei, es sei nur ein Jagdhaus geplant, dessen er auf seinen Jagdfahrten dringend bedürfe 48 ). Doch kam der Bau anscheinend wegen dieses Protestes nicht zustande.

4. Säkularisation der Güter des Domkapitels. 1555.

Die Reformation bot Herzog Johann Albrecht die erwünschte Gelegenheit, die bedeutende Grundherrschaft des Lübecker Domkapitels in Mecklenburg vollends an sich zu bringen. Im Jahre 1555 legte er Beschlag auf die Poeler Dörfer und ließ von da an die Pacht der Bauern durch den Amtmann von Bukow einziehen. Das Domkapitel protestierte und klagte beim Reichskammergericht, wandte sich auch an den Kaiser selbst. Aber der Prozeß 49 ), der anfangs recht günstig für das Kapitel verlief, zog sich hin mit Aktenaustausch, Klagen und Verhandlungen. 1571 wurde dem Herzog die Aufhebung seines Verbots für die Poeler Bauern, dem Domkapitel Zins zu zahlen, anbefohlen. Aber dies nützte den Lübeckern kaum, da inzwischen der Amtshof auf Poel eingerichtet wurde und die plötzlich scharf angezogenen Hofdienste es den Bauern ohnehin unmöglich machten, Pacht nach Lübeck und nach Bukow zu zahlen. Doch


45) Witte, Meckl. Gesch. I, S. 297.
46) Steinmann, M.J.B. 86, S. 118.
47) Koppmann, Klipphäfen, Hans. Geschichtsblätter 1885.
48) Es heißt in seiner Antwort: "...wann er sine Fürstliche Gnaden up dem Lande Pöhle were, so müste Sein Gnaden liggen mit den Buren to Hus, dar repen de Köhe, dar blecketden de Schaape, dar quarkten de Schwine, da reget et gar miteinander und bölkete altomalen; ... darto wäre id fehrlich so to liggende umb dem Brande willen ... in sodanne Strohhüsen ... und wäre darum alldar alleine ein Lust-Hüsken, dar Sein Gnaden mit ereme Gemahl bequemlicken inne wesen möchte, gemeinet to buwende." (Nach Kuhberg, S. 31.)
49) Auswärtiges Lübeck, Vol. II, 8.
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Herzog Ulrich und später Herzog Johann waren nun zu einem Vergleich geneigt, zumal ihnen die Rostocker Professoren Michael Crassens und Laurentius Kirchhof in ihrem Gutachten 1579 angesichts der klaren Besitztitel der Lübecker dazu rieten 50 ). Nach langen Verhandlungen kam endlich am 7. Sept. 1598 ein Vergleich zustande. Das Domkapitel verkaufte alle seine Dörfer in Mecklenburg mit allen Rechten für 37 000 M. an die mecklenburgischen Herzöge. Außer den Poeler Dörfern handelte es sich dabei um die Dörfer Stove, Güstekow, Neuburg und Hageböck auf dem Festland 50 )

5. Der Prozeß um die "lübischen Dörfer" mit dem Heiligen-Geist-Hospital.

Ausgenommen von dieser Abtretung aber waren die "lübischen Dörfer" Brandenhusen, Wangern, Weitendorf und Seedorf, die seit dem 14. Jahrhundert dem Heiligen-Geist-Hospital (HGH.) in Lübeck gehörten. Auch sie hatte der Herzog 1555 beansprucht und zum Amt Bukow gelegt 51 ). Das HGH. schritt zur Klage beim kaiserlichen Kammergericht in Speier. Der Rat der Stadt Lübeck als Vertreter des HGH. drang auch mit seiner Klage durch. Am 30. Juli 1566 verurteilte das Gericht den Herzog, die Güter wieder zurückzugeben, und. auch der Kaiser Maximilian II. befahl ihm den Verzicht. Als Johann Albrecht sich um den Entscheid nicht kümmerte, mußte der Rat noch einmal das Gericht anrufen. 1583 fiel die endgültige Entscheidung zugunsten des Hospitals, und der Herzog mußte von nun an auf die Hofdienste und Pacht der "lübischen Bauern" verzichten. Staatsrechtlich aber gehörten auch die "lübischen Dörfer" zu Mecklenburg, und die Bede wurde unbestritten von den herzoglichen Beamten erhoben. Sie hatten aber eigene Verwaltung und unterstanden der Gerichtsbarkeit des Vogteigerichtes in Lübeck.


50) Auswärtiges Lübeck, Vol. II, 8.
50) Auswärtiges Lübeck, Vol. II, 8.
51) Kuhberg II, 7 gibt andere Daten und eine andere Begründung für die Einziehung an: Die Besetzung sei 1566 erfolgt, da die Lübecker am 31. Dezember 1566 ein Schiff, das unter mecklenburgischem Geleit fuhr und schon in den neutralen Hafen bei Gollwitz eingefahren war, dort durch ihre Kriegsschiffe verfolgen und nehmen ließen. Dafür habe der Herzog alle lübischen Besitzungen einziehen lassen. Den Vorgang berichtet Rudloff, Bd. I, S. 209, sagt aber nichts von der Einziehung der Güter. Die Wegnahme des Schiffes kann jedoch nicht die Ursache der Einziehung gewesen sein, da schon am 30. Juli 1566 das Urteil des Prozesses gesprochen wurde.
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6. Die Erwerbung der Stralendorffschen Güter. 1615.

Als der Herzog 1555 Besitz von den Gütern des Domkapitels ergriff, geriet er sogleich auch mit den Rittern Stralendorff auf Goldebee in Streit. Diese hatten nämlich noch eine Reihe von Einzelhebungen in den Poeler Dörfern behalten und im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts weitere Renten, teils von ihren Verwandten in Preensberg und Zurow, teils von der Lübecker Kirche erworben, welche die Einkünfte der Vikareien, die durch die Reformation erledigt waren, an die Ritter verkaufte 52 ). Das "Jus Patronatus Ecclesiarum" (das Recht, die Prediger einzusetzen) hatten sie seitdem Verkauf von 1318 unbestritten ausgeübt 53 ). Uber ihre Rechte hinausgehend, hatten sie im 16. Jahrhundert versucht, wüste Hufen an sich zu ziehen, durch die Bauern beackern zu lassen und selber eine Gutswirtschaft auf Poel einzurichten. Die Bestrebungen des Herzogs, die Dienste der Bauern für seine Gutswirtschaft zu nutzen, durchkreuzten also die Pläne der Ritter, und ein Zusammenstoß war unvermeidlich.

Der Streit entzündet sich, als der Bukower Küchenmeister Preen 1568 in Kirchdorf ein fürstliches Haus errichten will. Die Stralendorffs lassen einen Notar des kaiserlichen Kammergerichts nach Poel kommen, der in feierlicher Weise Verwah-


52) Amt Poel, Vol. I, Stralendorff-Prozeß. (A-B.) 1486 kauft Vicke Stralendorff, Goldebee, von Hinrich Stralendorff, Zurow, seinen Anteil an den Gütern Hornstorf, Friedrichstorf, Rakow, Dolgen, Warckstorf und schließlich Poel für 373 M. 1524 kauft Heinrich Stralendorff alle Einkünfte und Gerechtigkeit, die von den Bürgern Clendenst und Kruse 1320 zu einer Vikarei gestiftet worden waren, von den Verwaltern der Vikarei für 412 M. (in Niendorf). 1530 kauft Heinrich Stralendorff für 500 M. von dem Lübecker Capellanus Hinrich Schönenborch einen Anteil Guts und Hufen in Kirchdorf, der 1347 von den Bürgern Jordan von Tribsees und Mathias von Cymescen zu einer Vikarei gestiftet war. 1534 kauft Heinrich Stralendorff den Anteil des Achim Stralendorff aus Preensberg auf dem Lande Poel und in Groß Strömkendorf für 1000 M. mit Gericht und Diensten.
53) Noch 1553 weist Johann Albrecht seinen Küchenmeister in Bukow an, wegen der Einsetzung des neuen Predigers Laurentius Wüsthoff mit den Stralendorffs zu verhandeln, daß sie "ihm zu Gefallen" den Laurentius Wüstehöffen einsetzen. (Stralendorff-Prozeß.)
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rung gegen den Bau einlegt 54 ). Sie versuchen auch die Unterstützung ihrer Standesgenossen gegen den Herzog auszunutzen, und auf dem Sternberger Landtag muß Johann Albrecht 1572 auch den Ständen versprechen, Abhilfe zu schaffen; erst daraufhin werden ihm die 400 000 Gulden zur Tilgung seiner Schulden bewilligt. Danach beginnen Vergleichsverhandlungen, die sich jahrzehntelang hinziehen. Die Stralendorffs mahnen wieder und wieder, doch wissen die Buckower Beamten immer neuen Aufschub der Entscheidung zu erreichen. 1606 klagen die Stralendorffs, daß die "Tagefarth . . zum offtermalen verschoben und in diesem Jahr zum 3. Mal ohn Ursache von den Beambten abgeschlagen" sei. Der Streit geht in erster Linie um die Grundherrschaft in Kirchdorf, um die Dienste der Bauern und Käter dort, um Mahlzwang, Jagd, Ablager und die Gerichtsbarkeit. Im Jahre 1615 endlich, nach fast 60-jähriger Dauer, wird der Prozeß mit einem Vergleich beendet. Für 1000 Reichstaler kauft Adolf Friedrich den Rittern alle ihre Ansprüche auf Poel ab. Für die abgetretenen Rechte des Patronats und der Bedeerhebung erhalten die Stralendorffs Ersatz in Dreweskirchen und Strömckendorf.

III. Poel im Besitz der mecklenburgischen Herzöge (1555- 1648).

1. Die Einrichtung des Amtshofes Kaltenhof und der Bau eines Jagdhauses.

Daß die Herzöge in ihren Versuchen, ganz Poel zu gewinnen, planmäßig vorgegangen sind, wird in einer Urkunde aus dem Jahre 1675 klar ausgesprochen. Die Brüder von Bassewitz haben danach schon im Jahre 1554, also vor der Einziehung der geistlichen Güter auf Poel, dem Herzog auf sein inständiges Drängen die Grundherrschaft über zwei Bauern, Lemke und Steinhagen in Fährdorf, verkauft, "weil er das Landt zu Polen gern allein für sich haben wollte". Der Grund dafür wird sein, daß er schon damals die Anlage eines Meierhofes plante und dazu der Dienste der Poeler Bauern bedurfte. Anfang der


54) Die Form der Rechtshandlung ist wegen ihrer Anschaulichkeit interessant: Der Notarius mißt feierlich das Gebäude mit der Elle aus und wirft als Zeichen des Protestes einen Stein durch das Fenster in das halbfertige Haus. Der Tischler und seine Gesellen werden genötigt, mit ihrer Arbeit innezuhalten.
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sechziger Jahre läßt er dann wirklich ein ganzes Dorf, nämlich Westergollwitz, zu einem "Bauhof" zusammenlegen 55 ). Es werden vier Bauernhöfe eingezogen, und zwar geschieht dies durchaus auf dem Rechtswege. Zweien Bauern kauft der Amtmann Preen die Hufen ab, ein Hof ist abgebrannt und wüst geworden, und von dem vierten "ist der Kerl verlauffen" 56 ).

Gleich nach der Errichtung des Bauhofes ging man an den Bau eines herzoglichen Hauses. In Fleckenhagen, das heißt südlich von Kirchdorf, wo vor dem Verkauf von 1318 die "Curia Uppenfelde" gelegen hatte, wurde 1568 das neue Gebäude errichtet, das wohl als Jagdhaus gedacht war 57 ). Wenn auch das Haus zum Teil durch Handwerker im Taglohn errichtet sein wird, so hatten die Bauern doch die Fuhren für Holz und Steine zu leisten. Während des ganzen Jahrhunderts des Streites zwischen dem Herzog, den Stralendorffs und dem Lübecker Kapitel standen sie unter dreifacher Belastung, da jede der drei Parteien ihre Leistungen beanspruchte. In kurzer Zeit waren sie verarmt und klagten, daß die Wismarer Kaufleute ihnen nicht mehr borgen wollten wegen ihrer vielen Lasten 58 ).

Der Herzog kümmerte sich um die Klagen nicht viel. Nach der Beendigung des Prozesses mit dem Domkapitel wollten Ulrich und Sigismund Augustus sogar zur Vermehrung und Verbesserung des Ertrages der Poeler Güter einen neuen Meierhof bei Malchow einrichten. Die Bauern versuchten, das drohende Unheil durch eine Bittschrift an den Herzog abzuwenden. Sie schilderten ihre Not und ließen als Drohung einfließen: "Sie werden Hungers sterben" oder, "das Gott gnediglich vorhüte, verlauffen müssen". Das Projekt eines zweiten Meierhofes wurde auch wirklich aufgegeben 59 ).


55) Der Zeitpunkt ist nicht genau bekannt. In einer Urkunde von 1567 wird der Bau als vollendet angesehen: die Bauern erhalten einen Nachlaß auf die Ablager-Beiträge, da die 18 Hufen von Westergollwitz, die zum Kaltenhof gelegt worden sind, jetzt keine Beiträge mehr geben.
56) Zeugenaussage von Bauern im Stralendorff-Prozeß.
57) Wigger gibt für den Bau das Jahr 1562 an. Ich weiß nicht, auf welche Nachricht er sich dabei stützt. Jedenfalls ist 1568 das Gebäude noch im Bau, denn bei dem Protest der Stralendorffs gegen den Bau werden die Tischler genötigt, ihre Arbeit niederzulegen. S. o. S. 21, Anm. 54.
58) Amt Poel, 10, Pächte. Bittschrift der Bauern. 1599.
59) Amt Poel, Vol. II, B.
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2. Der Festungsbau (1614-1618).

Bald aber tauchte ein Plan auf, der auf das bäuerliche Leben von noch einschneidenderer Wirkung werden sollte. Poel sollte Festung werden.

Hans Witte stellt den Schloßbau in Zusammenhang mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 60 ). Aber nach der Darstellung von Wigger 61 ) wurde der Bau in der Hauptsache schon in den Jahren 1614-1618 fertiggestellt. Der Plan wird gewiß schon früher gefaßt, durch die Kriegsgefahr aber dahin verändert worden sein, daß aus dem beabsichtigten Lustschloß eine Festung wurde.

Adolf Friedrich beauftragte den Kapitän Pilooth aus Emden mit der Bauleitung. Das Jagdhaus wurde abgebrochen und ein festes Schloß mit sternförmigen Wallanlagen an derselben Stelle errichtet. Gleichzeitig wurde auch der "Schloßgarten" nach Pilooths Plänen angelegt. Die Wälle wurden reichlich mit Kanonen bewehrt, und der Herzog ernannte Pilooth 1619 zum "Capitain auf unsere Vestung Pöle und über unsere Schiffe . .". Diese Schiffe waren gleichfalls ein Werk Pilooths und bestanden aus bewehrten Kriegsjachten und einem Lastschiff, die den Kern einer projektierten Kriegsflotte Adolf Friedrichs bildeten. Die Kosten des Baues waren sehr beträchtlich und werden von Wigger auf 23 000 Rtlr. berechnet, obgleich der Herzog die Arbeitskräfte und die Materialien des ganzen Landes dazu heranzog. Aufgebote aus allen Ämtern arbeiteten an dem Schanzwerk unter Führung von Landreitern und Vögten. Am meisten war natürlich die Bauernschaft auf Poel belastet. Auch nach Beendigung des Baues wurde sie herangezogen, da Pilooth 1619 eine "Bauernwacht" organisierte, nach der von den 37 Bauern auf Poel jede Nacht sechs den Wachtdienst übernehmen mußten. Nach Abzug der Musketiere, die Kapitän Pilooth anfangs als militärische Besatzung auf dem Schloß hatte, mußten auch am Tage zwei Mann Wache stehen; trotz vieler Klagen zog der Vertreter Pilooths die Bauern zu Fuhrdiensten für die Wälle und zum Exerzieren auf der Festung heran. Der große Krieg warf seine Schatten voraus.


60) Witte, Mecklenburgische Geschichte, 2. Bd., S. 139.
61) Für die ganze Geschichte des Baus vgl. Wigger, "Die Festung Pöl", M.J.B. 48.
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Das Schloß diente verschiedentlich als Lustschloß; vor allem bei dem Besuch Gustav Adolfs am 11. Mai 1620, vor seiner Reise nach Berlin zur Werbung um Marie Eleonore von Brandenburg. Auch auf der Rückreise machte er auf Poel Halt. Ein glänzendes Fest wurde noch im September 1620 gefeiert, als Gustav Adolfs Braut von Poel aus nach Schweden hinüberging.

3. Die Festung Poel im Dreißigjährigen Kriege.

Als 1626 König Christian von Dänemark, der Führer der protestantischen Union, von Tilly geschlagen war, nahmen die Dänen ihren Rückzug durch das verbündete Mecklenburg und zogen so dies Land mit in den Krieg hinein. Es spielt dabei die unglücklichste Rolle, da der Herzog in untätiger Unschlüssigkeit zwischen den Kaiserlichen und den Dänen schwankte; schließlich wurde Mecklenburg von beiden Parteien als Feindesland angesehen und behandelt. Die Dänen zogen sich über Wismar nach Poel zurück und brachen die Brücke bei Fährdorf hinter sich ab. Aber anstatt die Insel mit der neuerbauten Festung energisch zu verteidigen und so die ungeheuren Opfer für die Befestigung der Insel zu rechtfertigen, ließen sie die Festung im Stich und schifften sich von Poel aus ein. Kampflos wurde die Festung am 21. Nov. 1627 an Wallenstein übergeben und von diesem der Obrist-Wachtmeister Wartesla zum Kommandanten ernannt. Drei wallensteinsche Kompanien lagen nun in Einquartierung auf Poel, und der Druck auf die Einwohner verstärkte sich noch mehr. Im Sommer 1628 ließ Wallenstein die Brückenschanze bei Fährdorf und den Walfisch, die kleine Insel vor Poel, befestigen und ausbauen. "Aus allen Ämtern wurden Schanzer unter scharfer Bedrohung heran geholt, und das ganze Land litt unsäglich darunter."

Wallenstein war 1628 vom Kaiser zum " General der ganzen kaiserlichen Schiffsarmada zu Meer wie auch des ozeanischen und baltischen Meeres General" ernannt. Er wollte nun eine Flotte schaffen und ließ dazu 1629 alle Fischer und Schiffer an den Küsten für eine Kriegsflotte ausheben. Aber auch diesmal blieben die weitausschauenden Pläne, die durch ihren Erfolg große Bedeutung hätten haben können, in den Anfängen stecken. Wallenstein wurde vom Kaiser abgesetzt, und die Kaiserlichen mußten aus Mecklenburg abziehen, nicht ohne das Land erst gründlich zu verwüsten. Am 2. Oktober 1631 verließ

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die Besatzung die Festung Poel, nachdem sie furchtbar im Schloß gehaust hatte. Schon damals war die Festung kaum mehr bewohnbar, und die folgende Zeit war nicht dazu angetan, die Schäden zu heilen. Mit schwedischer Hilfe wurden die vertriebenen Herzöge wieder eingesetzt, von neuem wird das unglückliche Land zum Kriegsschauplatz. Es würde zu weit führen, die Wechselfälle der letzten Kriegsjahre mit ihrer erschütternden Monotonie von Raub, Brand und Plünderung im einzelnen zu verfolgen. Mehrere Male wurde Poel von feindlichen Überfällen heimgesucht, 1635 "erstiegen" die Schweden die Festung, 1638 die Kaiserlichen. Dennoch scheint Poel wegen seiner abgeschiedenen Lage den Leiden des Krieges nicht so sehr ausgeliefert gewesen zu sein, wie etwa die Dörfer und Städte an den großen Heerstraßen. Ein Vergleich zeigt die viel größere Anzahl besetzter Hufen auf Poel als in den Ämtern Schwerin und Stargard:

1655 Amt Schwerin von 562 Stellen 265 besetzt = 47,12 % 62 ),
1640 Amt Stargard von 423 Stellen 30 besetzt = 7     % 63 ),
1647 Amt Poel von 35 Bauernstellen 27 besetzt = 78    % ,
von 20 Katen 12 besetzt = 60    % 64 ).

4. Die Abtretung der Insel an Schweden. 1648.

Nach vieljährigen Friedensverhandlungen machte endlich 1648 der Westfälische Friede dem furchtbaren Kriege ein Ende. Am 24. Oktober unterzeichnete auch der mecklenburgische Gesandte Dr. Abraham Kayser. Der Herzog willigte damit nach langem Sträuben ein, die Herrschaft Wismar mit der Festung auf dem Walfisch und den Ämtern Neukloster und Poel an Schweden abzutreten 65 ). Ausgenommen waren nur die sog. "lübischen Dörfer" auf Poel: Seedorf, Weitendorf, Branden-


62) Ihde, S. 138.
63) Endler-Folkers, Das Mecklenburgische Bauerndorf, Rostock 1930, S. 70.
64) Amtsbeschreibung 1647.
65) Art. X, §§ 6 und 13.
"Imperator de consensu totius imperii concedit etiam Serenissimae Reginae eiusque heredibus ac successoribus Regibus Regnosque Sueciae in perpetuum et immediatum imperii feudum civitatem portumque Wismariensem, una cum Fortalitio Walfisch et Praefecturis Poel (exceptis pagis Seedorf, Weidendorff, Brandenhausen et Wangern ad Hospitale Sancti spiritus, in urbe Lubica pertinentibus)".
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husen und Wangern, die dem HGH. Lübeck gehörten. Diese traten damit in ein staatsrechtlich ganz eigenartiges Verhältnis.

Sie hatten vor 1648 dem Herzog von Mecklenburg als Landesherrn unterstanden. Die Landeshoheit der ganzen Insel ging nunmehr an Schweden über, die Hospitaldörfer aber wurden ausdrücklich davon ausgenommen. So kam es, daß sowohl das schwedische Amt, als auch das HGH. sich die Landes-hoheit zuschrieben 66 ). Die "lübischen Bauern" zahlten die frühere Summe von Königsbede, Stolbede und Zehnten (Kapitelspacht) von 27 Rtlr. 183/4 (ß) in Geld und 4 Sch. Ablagerhafer unter dem Namen Schutzgeld weiterhin an das Amt Poel. Sie trugen auch 1/3 der Kosten und Fuhren zu Brücken- und Kirchenbauten. Sonst aber standen sie unter eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit 67 ). Weitere Steuern sind von schwedischer Seite von ihnen nicht erhoben worden.

IV. Poel unter schwedischer Herrschaft (1648-1803).

1. Poel im Pfandbesitz des Grafen Steinberg und anderer Pfandinhaber. (1648-1694).

Aus den ersten Jahrzehnten der schwedischen Herrschaft wissen wir nur sehr wenig über Poel. Die Schweden legten der Festung Poel wenig Wert bei, nur in der ersten Zeit war noch ein Hauptmann auf dem Schlosse, dann ließen sie es verfallen, während sie die kleine Insel Walfisch und die Stadt Wismar stark befestigten. Das Amt Poel wurde verpfändet; es ging von einem Pfandinhaber zum andern; 1694 heißt es: "Seit dem Münsterischen Friedensschluß sei das Ambt in so vieler Possessoren Hände gewesen", daß niemand recht über die Eigentumsverhältnisse Bescheid wisse. Königin Christine verlieh 1648 Poel an ihren späteren Nachfolger Karl X. Gustav, ließ es aber selber verwalten 68 ). Es ging dann in den Pfandbesitz des schwedischen Generalmajors und Reiterobersten Anton von Steinberg über (1662 bezeugt). Er wohnte nie selbst auf


66) Die obige unklare Fassung des Friedensvertrages wurde in kluger Diplomatie von dem Lübecker Gesandten Dr. Gloxin vorgeschlagen, um der Frage nach der Landeshoheit so viel wie möglich auszuweichen. Senatsakten Lübeck, Ecclesiastica, Hosp. z. Heil. Geist, Vol. F. Fasc. 1.
67) Vgl. Hauptteil, Verwaltung, S. 33 ff.
68) Vgl. Wigger, M.J.B. 48, S. 40.
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Poel und setzte Amtleute ein, von denen nicht viel Gutes berichtet wird. Einer von ihnen, Amtmann Paul Karnolt Schwabach, ist "einmal flüchtig durchgegangen und in Rostock dann verstorben und hat alle Akten mitgenommen" 69 ). Von seinem Nachfolger Elmhoff, der das Amt bis 1675 verwaltete, kennen wir nur den Namen. In diesem Jahre wurde Poel wieder, wie schon 1657-59, von Kriegsnöten heimgesucht. Nach der Niederlage der Schweden bei Fehrbellin rückte der Große Kurfürst und mit ihm die Dänen vor Wismar. Am 4. September 1675 wurde Poel von den Brandenburgern besetzt, nach der Belagerung Wismars aber von den Dänen. In diesem "Dänischen Kriege" wird das "wohlerbaute Schloß . . . gänzlich ruiniert, und ist nichts als die bloßen Wälle, Mauern und Dachung davon übrig geblieben" 70 ). Von 1676-79 schalteten, wie auch in Neukloster, die Dänen im Amt Poel. Nach ihrem Abzug wird den beiden Ämtern die Zahlung von 7790 Talern Kontribution auferlegt. Da das "gantz außgesogene" Amt Poel seinen Anteil unmöglich aufbringen kann, erklärt sich Inspektor Christoph Junge zum Vorschuß dieser Gelder bereit und erhält dafür durch den Generalgouverneur Gyllenstjerna 1680 den Kaltenhof und die Pächte der Bauern auf sechs Jahre, halb als Pfandinhaber, halb als Pächter. Die Anrechte der Gräfin Steinberg wurden dabei völlig übergangen, da "niemand von der Frau Gräfin zugegen gewesen".

Aus dem Kontrakt des Inspektors Junge hören wir ein wenig über den Zustand des Amtes. Die Bauern und Einwohner sind auch "in diesem abgelegten Kriege von den brandenburgischen Reutern in gäntzlichen Ruin gesetzet und von aller Vieh und Fahrnis entblößet, von dem dänischen Amtmann in der Contribution sehr beschwert und gedrückt und dannenhero den Untertanen des Amtes einige Hülfe und Assistence wohl höchstnötig". Der Inspektor soll ihnen daher Geld, Korn, Lebensmittel und Vieh vorstrecken. Der Kaltenhof ist ganz verwildert und liegt ohne das geringste Vieh da. Da das


69) Inventarium Nr. 503. Beschreibung 1694. Der Gouverneur Baron Mellin vermißt Akten und Amtsbücher über die Zeit von 1648 bis 1694. Es wird ihm aber erklärt, Akten lägen nicht vor; aus der mecklenburgischen Zeit lägen die Akten in Schwerin, und der Herzog weigere sich, sie herauszugeben; die späteren wären eben von dem Amtmann Schwabach mit fortgenommen. Andere soll der Amtmann von Järmerstedt mitgenommen haben (nach späterer Angabe).
70) Inventarium Nr. 501, Beschreibung 1694.
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Schloß gänzlich verfallen und auch das Wohnhaus auf dem Kaltenhof alters halber "zu wohnen höchst gefährlich" ist, kann Junge auf Amtskosten sich entweder im Schloß oder auf dem Amtshof "einige Logementer reparieren" und auch einige kleine Bauten auf dem Hof errichten. Die wüsten Hufen darf er solange "durch Einfallkorn" nutzen, bis sie wieder besetzt werden können.

Die Gräfin Steinberg, Katharina Ribbing, zwang aber durch einen Prozeß die Krone Schweden, ihr das Amt wieder herauszugeben. Am 20. Juli 1685 wird den Poeler Einwohnern in einer feierlichen Zusammenkunft mitgeteilt, daß die Gräfin nun wieder in den Besitz Poels träte. Ihr Vertreter, Herr Adam von Bremen, hält einen Gerichtstag ab, in dem die noch immer schlimmen Verhältnisse der Bauern geregelt werden sollen 71 ). Die Bauern sind alle noch sehr verschuldet; wenn sie eine Stelle neu annehmen, so erbitten sie sich meist zwei Freijahre, bis sie den wüsten Acker und die Gebäude in Ordnung gebracht und Vieh angeschafft haben. Haben sie gar kein Vieh, so erhalten sie es, wenn sie zwei Bürgen, meist Verwandte oder Nachbarn, stellen können. Die Oberaufsicht überließ die Gräfin einem Herrn von Järmerstedt; dieser ließ aber den Amtshof Kaltenhof in den Jahren 1685 bis 1693 von dem Poeler Oberschulzen Jochim Schwartz (auf Schwartzenhof, später Oertzenhof) verwalten. Erst 1693 findet sich wieder ein Amtspächter für den Kaltenhof, Jochim Allers.

Im folgenden Jahr, 1694, erklärt aber der König Karl XI. das Amt Poel für eingezogen. Erst von dieser Zeit an wird wieder eine geregelte Wirtschaft auf dem Kaltenhof eingerichtet, und der nächste Amtspächter, Landrentmeister Steeb, versucht nach Kräften durch Bauten und bessere Ackerbestellung den verwilderten Hof wieder in Ordnung zu bringen 72 ).

2. Poel unter Verwaltung der Amtspächter. (1694-1803).

Von 1694 bis zur Abtretung 1803 wurde das Amt für die Krone nutzbar gemacht, indem es wie ein großes Gut an den Meistbietenden verpachtet wurde 73 ). Von 1694 bis 1713 war Landrentmeister Johann Steeb der Pächter des Kaltenhofes. Er scheint sich mit Umsicht und Energie des vernachlässigten


71) Protokollbuch 1685 bis 1694.
72) Inventarium Nr. 503. Pensionscontract des Landrentmeisters Johann Steeb 1604.
73) Die gleiche Art der Nutzung berichtet Jacobs für das Amt Neukloster.
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Hofes angenommen zu haben; er baute eine Scheune, einen Schafstall und einen Vogtskaten, besserte die Gebäude aus und versuchte, den Ackerbau zu heben. Auch die wirtschaftliche Lage der Bauern besserte sich, da Steeb bestrebt war, möglichst wenig Hufen der Bauern "zu Hofdienst zu legen", um seine Bareinnahmen durch das ziemlich hoch bemessene Dienstgeld der übrigen Hufen zu erhöhen. 1705 wird sogar erwogen, ob die Bauern nicht gemeinsam den Amtshof für jährlich 600 Rtlr. pachten sollen 74 ). Die Aussicht auf Dienstfreiheit lockt sie; sie wollen aber nicht die Hofwehr auf dem Kaltenhof übernehmen und dafür in solidum haften. Als Steeb 50 Rtlr. Pacht mehr bietet, sind sie anscheinend recht erleichtert und "haben es ihm gerne abgestanden".

Diese günstige Entwicklung wird aber unterbrochen durch die Wirren des Nordischen Krieges.

Um den Krieg von Deutschland fernzuhalten, war im Haager Konzert 1710 die Neutralität der schwedischen Besitzungen in Deutschland festgesetzt worden. Da aber Karl XII. gegen diesen Vertrag protestierte, rückten die Dänen 1711 gegen Wismar vor. Wismar hatte mehrere Belagerungen durchzumachen, und auch die Ämter Neukloster und Poel brachten furchtbare Opfer. Beide Ämter hatten vor allen Dingen das Magazin in Wismar mit Korn und Fleisch zu versorgen. 1711 allein lieferte der Kaltenhof 1854 Sch. Korn und 500 Schafe und die Bauern von Poel noch 3287 Sch. Korn nach Wismar 75 ). Dazu hatten sie "eine fast unerträgliche Last vieler Holzfuhren" nach Wismar für die Festung zu leisten. Das Holz wurde in der Neuklosterschen Forst geschlagen und mußte von da nach Wismar gefahren werden 76 ). Später traten noch die Fuhren für die Belagerungstruppen hinzu, z. B. hatten die Poeler Bauern vom 14. November 1715 bis zum 11. April 1716 wöchentlich 60 Fuder Brennholz für die alliierten Truppen von Neukloster nach Wismar zu fahren.

Am härtesten wurden die Einquartierungen empfunden. Man rechnete 1711 auf 2 Hufen 3 Mann Einquartierung 77 ).


74) Vol. 10, Poel, Amtsregister 1705. Verhandlungen der Lustrationskommission.
75) Vol. 10, Poel, Inventare.
76) Inventarium Nr. 418.
77) Die Soldaten verlangten für ein Pferd: 1 Faß Hafer, 10 Pfund Heu, 1 Sch. Häcksel; für jeden Mann täglich 3 Mahlzeiten, 2 Kannen Bier und 12 (ß); außerdem waren täglich ins Lager zu leisten: 120 Bund Stroh und 5 Sch. Hafer. (Vol. 10, Poel, Amtsreg.)
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Für die Jahre 1712/15 berechnen die Bauern ihren Verlust an Bargeld allein auf 8283 Rtlr., alle Fuhren und Verlust an Vieh ungerechnet. Die Äcker lagen unbestellt da, weil das Saatkorn mangelte und alles zur Verproviantierung des Wismarschen Garnison hatte abgeliefert werden müssen.

Da die Stadt Wismar dem Gouvernement für die Garnison schon 1711 31 000 Taler hatte vorstrecken müssen, wurde ihr 1712 in zwei Verträgen das Amt Poel als Pfandbesitz eingeräumt 78 ). Alle Einkünfte, insbesondere die Pacht des Amtmanns, flossen nun in die Kassen der Stadt. Die Verpfändung dauerte bis Trinitatis 1757, bis Poel durch die Zahlung von 8023 Rtlr. 36 (ß) von der Krone eingelöst wurde.

Nachdem 1717-18 die Festungsanlagen in Wismar geschleift worden waren, hörten wenigstens die drückenden Holzfuhren dorthin auf. 1721 aber trat in Wismar eine Kommission zusammen, die über die Tilgung der Kriegsschulden verhandelte. Sie versuchte den Ämtern Poel und Neukloster für die Artilleriefuhren 1000 M. Fuhrgelder aufzuerlegen. Die beiden Bittschriften der Poeler Bauern von 1724 und 1735 blieben ohne Erfolg; die Zahlung mußte geleistet werden.

Für die nächsten 30 Jahre herrschte dann endlich Friede, und eine Zeit wirtschaftlicher Erholung und Aufwärtsentwicklung setzte ein.

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann aber, eine neue Periode der Vergrößerung des Hoflandes gegenüber dem Bauernland. Von eigentlichem Bauernlegen wird man in diesem Fall nicht sprechen können, da die Bauern freiwillig verkauften und das vom Amt neuerworbene Land z. T. schon vorher zu einem Hof zusammengelegen hatte 79 ).

Das Kirchdorfer Feld wird mit dem "Oertzenhof" zusammengelegt; der Amtmann setzt den früheren Pächter Seger als "subarrendator" ein, damit dieser ohne Kosten der Krone eine Meierei einrichte.


78) Im Pfandkontrakt vom 28. September 1712 wurden nur die schwedischen Dörfer verpfändet, am 22. Juni 1713 auch der Amtshof, Kirchdorf und die Pächte der "lüb. Dörfer". (Vol. 10, Poel, Inventare.) Vgl. auch Techen, S. 492, Anm. 35.
79) Nach Aussterben der Oberschulzenfamilie Schwartz war der Schwartzenhof von dem Landrat von Oertzen gekauft, der den "Oertzenhof" verpachtete. Von ihm kaufte 1752 die Krone Schweden den Hof.
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Die Nöte des Siebenjährigen Krieges gehen auch nicht spurlos an Poel vorüber 80 ). 1758 werden von den preußischen Dragonern sieben Knechte und Einlieger von der Arbeit weg geholt und in Uniform gesteckt. Die drohende Einquartierung von 400 Mann auf 14 Tage können die Bauern noch durch eine Zahlung von 200 Rtlr. abwenden; die Fouragelieferungen an das preußische Magazin führen jedoch schließlich dazu, daß die Bauern weder Brot noch Saatkorn mehr haben und der Amtmann sich für sie verwenden muß 81 ). Am 6. Februar 1758 wird auch das seit kaum einem Jahre wieder eingelöste Amt noch einmal an die Stadt Wismar verpfändet.

3. Die Abtretung Poels an Mecklenburg. (1802 und 1803).

Seit dem unglücklichen Ausgang des Nordischen Krieges und der Abtretung der Herzogtümer Bremen und Verden an Hannover 1719 hatte die Herrschaft Wismar für Schweden ihre strategische Bedeutung als Bindeglied der zerstreuten schwedischen Besitzungen in Norddeutschland verloren. Schweden war von seiner Machtstellung herabgesunken und durch die vielen Kriege erschöpft und verschuldet. Die Herzöge hatten dagegen nie die Hoffnung aufgegeben, die abgetrennten Gebiete wieder zu erwerben.

Nach vierjährigen Verhandlungen von 1799 bis 1803 kamen die beiden Parteien zu einem Abschluß. Um den Einspruch der schwedischen Stände zu vermeiden, wurde statt eines regelrechten Verkaufes nur ein Pfandvertrag geschlossen, der nach 100 Jahren und nach wiederum 100 Jahren lösbar war 82 ). Am 26. August 1803 wurde endlich der Vertrag von Malmö unterzeichnet. Die Stadt und Herrschaft Wismar mit den Ämtern Neukloster und Poel wurde hierin für 1 250 000 Rtlr. Hamburger Banko an Mecklenburg verpfändet. Alle Hoheitsrechte gingen nunmehr an den Herzog über. Das Amt Poel


80) Die schwedische Regierung hatte sich 1756 auf dem Regensburger Reichstag als Garant des Westfälischen Friedens gegen Preußen erklärt und auch tätlich in den Krieg eingegriffen. Antrieb dieser unklugen Politik war der Wunsch, Pommern zu erwerben.
81) Vol. 10, Poel, Amtsregister.
82) Alle Einzelheiten der Verhandlungen siehe Schröder, M.J.B. 77. Erst 1903 kam Poel endgültig an Mecklenburg.
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schwedischen Anteils hörte damit auf zu bestehen, es wurde dem Amt Wismar zugelegt.

Die vier "lübischen Dörfer" waren schon ein Jahr früher an Mecklenburg gekommen. Es war Friedrich Franz I. gelungen, für einige in Straßburg vom Herzog abgetretene Kanonikate auf dem Reichsdeputationshauptschluß eine Entschädigung durchzusetzen und dafür gegen Abtretung des Privalls von der Stadt Lübeck den Besitz des HGH. in Mecklenburg, d. h. also die vier "lübischen Dörfer" Weitendorf, Wangern, Brandenhusen und Seedorf auf Poel zu erhalten 83 ). Der Herzog erhielt freie Hand in bezug auf die Verwaltung der Dörfer und legte sie dem Amt Redentin zu. Er sicherte aber den neuen Untertanen zu, ihnen ihre alte Freiheit und ihre Lokalverwaltung zu erhalten. Es kam indessen bald zu einem Konflikt zwischen den Bauern der "lübischen Dörfer" und dem Herzog, als dieser eine außerordentliche Hufensteuer eintreiben wollte. Es handelte sich dabei um die Frage, ob in den "lübischen Dörfern" die Bauern zu einer unveränderlichen Erbpacht säßen oder ob ihre Abgaben erhöhbar seien. Der Prozeß zog sich jahrzehntelang hin und endete schließlich mit der Anerkennung des Eigentumsrechts der "lübischen Bauern" an ihren Stellen 84 ).


Hauptteil:

Die bäuerlichen Verhältnisse der Insel Poel.

I. Die Verwaltung.

1. Die Vogteiverwaltung im 14. Jahrhundert.

Während der Kolonisationszeit ist die Organisation der Verwaltung auf Poel dieselbe wie im übrigen Mecklenburg. Die Verwaltungseinheit ist die "Terra", die Vogtei. Sie geht


83) Kuhberg II, S. 18.
84) Raabe-Quade, I, S. 805 berichtet von diesem Prozeß.
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wahrscheinlich auf die wendischen Verwaltungsbezirke, die Kastellaneien, zurück, die unter den Bezeichnungen "terra" oder "provincia" beibehalten wurden 85 ). Sie standen selbständig nebeneinander und waren nur durch die Person des Fürsten verbunden, der die Vögte einsetzte.

Poel war eine dieser selbständigen Vogteien; der Vogt wohnte auf der Curia Uppenfelde 86 ). Er hatte die oberste Polizei- und Militärgewalt als Vertreter des Fürsten; ihm unterstand das Gerichtswesen, soweit es nicht an Grundherren verkauft oder verliehen war. Auch in den privilegierten Dörfern behielt der Vogt noch 1/3 des Hochgerichtes 87 ). Ihm unterstanden auch die Schulzen, welche die untere Verwaltungsarbeit übernahmen und in ihrem Dorfe die Bede und die grundherrlichen Abgaben der Bauern einsammelten. Mit dem Verkauf von 1318 ging das Recht der Verwaltung über an die Ritter Preen, Plessen und Stralendorff, und wenn in den nächsten Jahrzehnten ein Vogt genannt wird, so muß er von den Rittern eingesetzt sein.

Als die Grundherrschaft der meisten Poeler Dörfer an die Lübecker Kirche überging, übernahm diese automatisch auch die Verwaltung. Sie hat aber allem Anschein nach keinen Vogt auf Poel gehalten, sondern ihre Beamten verwalteten von Lübeck aus die Güter in Mecklenburg. Die unteren Verwal-tungsinstanzen, die Schulzen, gewannen daher gesteigerte Bedeutung. Die Verwaltungsformen werden ähnliche gewesen sein, wie sie in den "lübischen Dörfern" bis 1802 erhalten geblieben sind.

2. Die Verwaltung der "lübischen Dörfer". (14. Jahrhundert bis 1802).

Das Recht der Verwaltung in den "lübischen Dörfern" stand dem HGH. Lübeck zu, einer Privatstiftung zur Pflege alter und


85) Ihde, S. 90.
86) M.U.B. 2297, 1294; Vogt Willekin erhält 4 Hufen in Uppenfelde.
M.U.B. 5866, 1326; Vogt Hermann und sein Bruder Olricus haben 5 Hufen in Uppenfelde.
87) M.U.B. 2480, 1298; Das Domkapitel erlangt die Befreiung Fährdorfs von allen Abgaben und die Erlaubnis, einen eigenen Vogt dort zu haben. 1/3 des Hochgerichts aber bleibt dem Vogt des Fürsten.
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kranker Männer und Frauen 88 ). Es stand anfangs unter der Aufsicht des Lübecker Bischofs, aber schon im 13. Jahrhundert standen ihm zwei weltliche "provisores" zur Seite, die aus dem Rat der Stadt gewählt wurden. Im 14. Jahrhundert ging dieses Amt auf die zwei ältesten Bürgermeister der Stadt über, die unter dem Titel "Obervorsteher" die Verwaltung der Güter des Hospitals beaufsichtigten und nach der Reformation die alleinigen Vorsteher wurden.

Die eigentliche Verwaltungsarbeit aber leistete der Vogt des Hospitals und sein Schreiber. Der Vogt bereiste mindestens einmal jährlich die Güter des Hospitals und hielt Gerichtssitzung an Ort und Stelle. Er führte den Vorsitz im Vogteigericht in Lübeck und gab den "Consens" zu allen Besitzveränderungen der Bauern.

Der Schreiber führte die Protokolle und Listen, fertigte die Hausbriefe aus und hatte alle schriftlichen Arbeiten zu erledigen.

Der Lokalverwaltung auf Poel stand der Oberschulze vor. Er wurde in Lübeck vereidigt 89 ), empfing seine Anweisungen von dort und mußte regelmäßig Bericht erstatten, hatte aber sonst große Bewegungsfreiheit in seinen Anordnungen.

Bis 1744 war dies Oberschulzenamt erblich in der Familie Evers in Brandenhusen, und zwar vererbte es sich vom Vater auf den ältesten Sohn. In diesem Jahre starb aber der Oberschulze Peter Evers kinderlos. Seine Witwe wollte das Amt dem Hofe erhalten und bat, es ihrem zweiten Mann, Göttsche, zu verleihen. Der Vogt benutzte jedoch die Gelegenheit, um


88) Schon durch die Ordnung der Brüder und Schwestern des "Heil.-Geist-Hauses in Lübeck" von 1263 wird dem Hospital die Pflege "der armen und kranken Lüde, de dar up den bedden lichen," zur Pflicht gemacht. (Lübecker Urkundenbuch 1. Teil 1843 S. 255-64.)
89) Lübecker Akten. Archiv des H. z. H. G. Poel, Acta verschiedene Gemeindesachen der vier Dorfschaften auf Poel. Eid des Oberschulzen: "Ich schwöre zu Gott dem Allmächtigen einen körperlichen Eid, daß ich E. E. Rath der Stadt Lübeck und Vorstehern des Hospitals zum Heiligen Geist getreu, hold und gehorsam seyn und das mir aufgetragene Amt eines Oberschulzen auf den Dorfschaften Lübischen Antheils auf Pöhl mit aller Treue und Redlichkeit verwalten, was mir vom Voigt und Schreiber auf E. H. Vorsteher Befehl und in deren Namen auferleget wird, gehorsamblich ausrichten, der Dorfschaften Schaden nach Möglichkeit abwenden, und von allen schädlichen Vorfällen in Zeiten berichten will. So wahr ... iuravit Hans Wegener 10. April 1745".
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das Oberschulzenamt stärker von sich abhängig zu machen. Er setzte gegen den Widerspruch der Bauern den Hausmann Wegener in Weitendorf ein, um zu dokumentieren, daß "ihnen kein Vorschlag beikomme" 90 ).

Der Oberschulze hatte die Einsammlung der Abgaben zu leiten, die vier Dörfer in allen Kommunalangelegenheiten zu vertreten und mit den schwedischen Amtleuten und in Kriegszeiten auch mit den "Generales und Commandanten der Kriegsvölker" zu verhandeln. Den Vogt mußte er bei dessen Anwesenheit auf Poel beherbergen und verpflegen 91 ). Er übte das niedere Gericht aus und führte die Untersuchung auch bei ernsteren Vergehen. In schwierigen Fällen erbat er einen Notar aus Lübeck 92 ). Bei Hegung eines "hochnothpeinlichen Halsgerichtes" wurden der Oberschulze (und der Schulze in Weitendorf) als Beisitzer zugezogen 93 ). Er war zum Entgelt für seine Mühe befreit von allen Abgaben, auch von den Reichssteuern, und erhielt als Besoldung 60 M. und zwei Buchen aus der Scharbeutzer Waldung 94 ). Die Holzlieferung wurde 1725 in Geld abgelöst, und zwar durch 18 Rtlr.

Als Exekutivbeamter stand ihm der "Laufer" zur Seite, der wie der Strandreiter 95 ) im schwedischen Teil die Funktion des Gendarmen erfüllte. Auch beim Einmessen der Pachtgerste hatte er zu helfen. Er wurde aus der Reihe der Büdner ernannt. Für seine Arbeit war auch er von allen Abgaben für


90) Einen sachlichen Grund kann er zu der Ablehnung des Göttsche nicht gehabt haben, da dieser schon 8 Jahre später dennoch zum Oberschulzen ernannt wird.
91) Kuhberg II, S. 49.
92) Am 3. Januar 1785 wird ein Protokoll im Hause des Oberschulzen abgehalten wegen eines Übergriffs lübischer Untertanen auf schwedisches Gebiet. Das schwedische Amtsgericht klagt beim Oberschulzen Göttschen, Brandenhusen; dieser meldet es dem Vogt Büeck nach Lübeck und erhält Anweisung, in Gegenwart eines Notars die Aussagen der Angeklagten aufzunehmen.
93) 1698 in dem Hexenprozeß gegen Lucie Bernitt. Auf Anklage zweier Bauern erbittet der Oberschulze einen "kaiserlich geschworenen" Notar, der die Frau verhört. Beim zweiten Verhör ist auch der Vogt des HGH. anwesend. Auf Grund des Gutachtens der Universität Rostock wird Lucie Bernitt, die von Anfang an geständig ist. 1699 verbrannt.
94) Kuhberg II, S. 49.
95) Vgl. unten S. 38.
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seine Büdnerei befreit und erhielt dazu ein Korndeputat, das von der Pachtgerste gekürzt wurde.

3. Poel als Mecklenburgisches Amt. (Um 1550 bis 1648.)

Nach der Einziehung der Güter des Domkapitels führte der Herzog die mecklenburgische Verwaltung auf Poel ein. Anfangs unterstand Poel den Amtsleuten von Bukow, die ihrerseits Unterbeamte einsetzten. Über diese hören wir 1585 in Zeugenaussagen: daß "vor 30 und mehr Jahren die Aufsicht und Verwaltung des Ländleins Poel geringen Leuten gewesen sei, der Vogt selten im Lande, sodaß er nicht so genau auf seines Herren Recht und Gerechtigkeit geachtet habe" 96 ).

Erst nach der Einrichtung des Amtshofes wurde Poel selbständiges Amt. Die kollegiale Verwaltung, die sonst in Mecklenburg üblich war, konnte allerdings wegen der Kleinheit des Amtes nicht durchgeführt werden. In Mecklenburg hatte im 16. Jahrhundert der Hauptmann oder Vogt die Oberaufsicht und das Gerichtswesen unter sich, während der Küchenmeister ihm als Finanzbeamter zur Seite stand 97 ). Auf Poel dagegen war der Küchenmeister der oberste Beamte. Ihm unterstand der Hofmeister, der Verwalter des Amtshofes Kaltenhof, der seinerseits wieder den Pächter der Mühle in Fährdorf einsetzte 98 ). Der Exekutivbeamte war der Strandreiter; er übte die Funktion des späteren Gendarmen aus und sagte auch den Bauern die Dienste an. Die Schulzen oder Burmeister, wie sie im 16. Jahrhundert meist genannt werden, wurden vom Amt eingesetzt; sie wurden zum Einsammeln der Abgaben in ihrem Dorfe und zur Übermittlung der amtlichen Anordnungen an die Dorfgenossen herangezogen 99 ).


96) Es werden als Unterbeamte genannt: Hans Becker, Bäcker aus Bukow; Arnd Ruge, Schlachter aus Wismar; Wyrnhausen, Balbierers Sohn aus Sternberg; Pastor Johann Schmidt und Kriegsmann Bartelt von der Heiden.
97) Ihde, S. 104.
98) Amt Poel Nr. 10. Der Müller Bartold Hamel ist eingesetzt vom Hofmeister in Kaltenhof und hat den Meierhof und die Mühle gegen eine gewisse Pacht anvertraut bekommen.
99) Amt Poel Vol. I A-B, Stralendorfprozeß: Der Amtmann hat Peter Vehrmann zum Burmeister gemacht und läßt sich alle Brüche und Abgaben abliefern.
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4. Die Verwaltung Poels unter schwedischer Herrschaft.

a) Ausbildung des Oberschulzenamts in der Zeit der Verpfändung. (1648-1694.)

Nach der Übergabe der Insel an Schweden 1648 wurde die mecklenburgische Verwaltung mit Küchen- und Hofmeister beseitigt. Während der Zeit des Pfandbesitzes des Grafen Steinberg und anderer Pfandinhaber kann von einer geordneten Verwaltung kaum die Rede sein. Die Amtleute, die vom Grafen Steinberg eingesetzt wurden, wechselten rasch, zeitweise fehlten sie ganz.

Wiederum bildeten sich die lokalen Verwaltungsorgane stärker heraus. In Anlehnung an die Verwaltung des lübischen Teiles der Insel übernahm einer der Schulzen unter der Bezeichnung Oberschulze die Verwaltung. Das Amt wurde erblich in der Familie Schwartz auf Schwartzenhof, die den größten Hof der Insel besaß. Jahrelang verwaltete der Oberschulze auch den Amtshof von seiner Bauernstelle aus, wenn kein Amtmann auf dem Hofe war. Für seine Oberschulzendienste war er von allen Hofdiensten befreit 100 ).

b) Die Vergebung des Amts in Generalpacht. (1694-1803.)

Als die Krone Schweden 1694 das verpfändete Amt wieder einzog, wurde Poel in die Verwaltung der schwedischen Provinzen in Deutschland eingeordnet. Die oberste Verwaltungsinstanz war der General-Gouverneur in Pommern, dem das Gouvernement und der Landrentmeister in Wismar unterstanden. Dieses nun gab das Amt Poel in Generalpacht 101 ), das heißt, es verpachtete das ganze Amt mit allen Einkünften auf Zeit an den Meistbietenden. Der Amtspächter war in erster Linie Landwirt; er bewirtschaftete den Kaltenhof, den er mit dem eisernen Inventar übernahm und wieder nach dem aufgestellten "Inventarium" abzuliefern hatte. Daneben aber erhielt er öffentlich-rechtliche Funktionen: die Verwaltung des Amts und die Gerichtsbarkeit, die Erhebung der Abgaben und der Pacht


100) Inventarium 501.
101) Vgl. S. 28 ff.
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der Amtseingesessenen. Er besoldete die Amtsbedienten, den Vogt und den Strandreiter, und bezahlte auch die Kontributions-, Tribunals- und Konsistorialsgelder, die Priester- und Küstergebühr für die Höfe 102 ).

Der Amtmann hatte auf seine Kosten für regelmäßige Abhaltung der Amtsgerichtssitzungen zu sorgen. Im Amtshause befand sich eine Gerichtsstube, in der mindestens vier Amtsgerichtssitzungen jährlich stattfanden. Der Amtspächter sprach nicht selbst Recht, sondern war nur Beisitzer. In der Zeit der Verpfändung an Wismar ernannte der Stadt-Magistrat 103 ), sonst das Gouvernement einen Juristen als Richter. Der Amtsnotar, der auch vom Amtmann besoldet wurde, führte die Protokolle. Die Strafgefälle erhielt zu einem Drittel der Amtmann für seine Unkosten und Mühe, zu zwei Dritteln wurden sie an die Stadt Wismar als Pfandinhaberin oder an das Gouvernement abgeführt. Seine Unterbeamten waren der Amtsschreiber, der Strandreiter, der Brückenaufseher und die Schulzen.

Der Amtsschreiber besorgte nicht nur die schriftlichen Arbeiten des Amtes, sondern er war auch als Aufseher in der Landwirtschaft des Amtshofs tätig. Er hatte die Listen über die Hofdienste und Extradienste der Bauern zu führen und die Arbeit der Hofdienstleute zu beaufsichtigen.

Der Strandreiter war schon aus der mecklenburgischen Zeit als Exekutivbeamter übernommen. Er erfüllte die Aufgaben eines Landgendarmen, hatte aber auch den Bauern die Dienste anzusagen. Ihm wurde ein Pferd vom Amt gehalten; mit diesem hatte er den Strand der Insel abzureiten, um die Strandgerechtigkeit des Königs wahrzunehmen. Er übte sein Amt bis in das 19. Jahrhundert hinein aus.

Zwischen dem Festland und Poel lagen drei verschieden lange Brücken, deren westlichste eine Zugbrücke war. Zu ihrer Bedienung und zur Bewachung des Übergangs war vom Amt der Brückenwärter angestellt, der in einem Haus direkt an der Brücke wohnte. Er hatte daneben auch noch die Aufgabe, als Aufseher die Bauernwagen bei der Anfuhr des Amts-und Brückenholzes zu Pferde zu begleiten und den Heidereitern


102) Vol. 11, Poel, Verpachtungssachen. Arrendecontract des Amtmanns Hennings 1755.
103) 1753 bei der Neuverpachtung nimmt Syndicus Dahlmann teil als Vertreter der Stadt.
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in Neukloster rechtzeitig Nachricht zu geben, damit diese zur Stelle waren, um das Holz anzuweisen 104 ).

Für die Stellung eines Oberschulzen war in dieser Verwaltung kein Raum mehr. Schon 1705 mußte der ehemalige Oberschulze Schwartz wieder Hofdienste leisten, da "die Oberschulzendienste cessiert" hätten. Jedes Dorf aber hatte einen Schulzen, der vom Amt eingesetzt wurde und als Mittelsperson zwischen dem Amtmann und den Bauern eingeschoben war. Er hatte die Befehle und Anordnungen, auch die Mitteilungen des Amtmanns oder des Gouvernements entgegenzunehmen und an die Bauern weiterzugeben. Er erhob in seinem Dorf die Abgaben und übermittelte auch die Wünsche und Beschwerden der Dorfinsassen an den Amtmann. Von einer Entschädigung für seine Mühe ist in den vorliegenden Akten nicht die Rede, er erfüllte seine Aufgaben wohl ehrenamtlich.

5. Einordnung Poels in die mecklenburgische Ämterverwaltung. (1803.)

Als Poel 1803 wieder in mecklenburgischen Besitz überging, hörte das Amt Poel auf, selbständig zu sein. Der schwedische Teil wurde zum Amt Wismar gelegt, der lübische aber zum Amt Redentin. Erst 1826 wurden die beiden Teile vereinigt und gehörten von da an gemeinsam zum Amt Wismar.

Das Amt des Oberschulzen wurde über die ganze Insel ausgedehnt und hat sich bis zur neuen Gemeindeverfassung 1921 erhalten.

II. Die bäuerlichen Abgaben.

Die Berechnungsgrundlage für alle Abgaben und Steuern war die bäuerliche Hufe. Nur wer Grund und Boden hatte, also nur der Hufner und Käter, wurde zur Steuerzahlung herangezogen 105 ).

Vier Instanzen forderten Abgaben von der Hufe: die Kirche, der Grundherr, der Gerichtsherr und der Landesherr.

Die kirchliche Abgabe bestand in dem Zehnten; der Grundherr forderte für die Nutzung des Bodens Zins (Pacht) und Schweinezins, der Gerichtsherr das Rauchhuhn; öffentlich-


104) Anlage zum Protokollbuch 1741-66. Ordnung der Abfuhr des Amts- und Brückenholzes. 1753.
105) Erst im 18. Jahrhundert wird auch den Einliegern und Büdnern die Zahlung eines "Schutzgeldes" abverlangt.
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rechtliche Abgaben endlich waren Beden und Reichssteuern, in schwedischer Zeit Kontribution, Konsistorial- und Tribunalsgeld; dazu wurde während der ganzen Zeit das Ablager gefordert.

1. Die kirchlichen Abgaben (Zehnt).

Vor der Kolonisationszeit erhob der Lübecker Bischof von den Wenden auf Poel den Slavenzehnt. Über dessen Höhe erfahren wir durch die Anordnung Heinrichs des Löwen für die Bistümer im Wendenland, daß die Wenden von jedem Haken 3 Maaß Roggen, 1 Schilling, 1 Topp Flachs und 1 Huhn geben mußten 106 ).

Nach der Ansiedlung deutscher Bauern forderte die Kirche dagegen von ihnen den deutschen Zehnten. Sie setzte die Zahlung aber erst durch, als sie im Zehntenvertrag von 1210 auf die Hälfte der Zehnten zugunsten des Fürsten verzichtet hatte 107 ).

Der deutsche Zehnt bestand in dem Kornzehnten (großer Zehnt) und dem Viehzehnten (kleiner Zehnt oder smalteghede). Der Kornzehnt wurde anfangs im Felde erhoben, d. h., der Bauer hatte jede zehnte Garbe seiner Ernte an die Kirche abzuliefern. Der Schmalzehnt wurde von allem Zuwachs an Lämmern, Hühnern, Flachs, Schweinen und Kälbern gezahlt. Der Zehnt war also eine Einkommensteuer, deren Höhe sich nach dem Ertrag des Bodens und der Viehwirtschaft richtete. Die Kirche erhob den Zehnt durch einen "Collector", der 6 M. von dem eingesammelten Zehnten als Entgelt für seine Mühe erhielt 108 ).

Schon früh wurde der Zehnt in eine feststehende Geld- und Kornabgabe umgewandelt und dann mit den andern Abgaben verschmolzen. Dabei trat anscheinend eine bedeutende Ermäßigung ein. Über die Höhe dieses fixierten Zehnten finden wir sehr verschiedene Angaben.

Es geben:

1 Hufe des Ritters Dotenberg 3 Drbt. oder 36 Sch. Gerste und Hafer 109 ),
12 Hufen in Westergollwitz je 15 Sch. Gerste u. Hafer 110 ),
2 1/2 Hufen in Westergollwitz je 18 Sch. Gerste u. Hafer 110 ).


106) Ihde, S. 59.
107) Vgl. Zehntenstreit S. 14.
108) M.U.B. 1703, 1283.
109) M.U.B. 1003, 1264.
110) M.U.B. 4919, 1328.
110) M.U.B. 4919, 1328.
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Meist werden Zehnte und Dienstgeld oder auch Pacht und Zehnt verschmolzen und zusammen aufgeführt:

2 Hufen in Fährdorf für Pacht und Zehnt 9 Pfund Gerste, 3 Pfund Roggen, 12 Pfund Hafer 111 ),
2 andere Hufen für Dienst und Zehnt 5 Drbt. Gerste, 7 Drbt. Hafer 111 ).

Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde der Naturalzehnt in einen Geldzehnt umgewandelt, und zwar erfolgte die Umrechnung für Pacht und Zehnt nach folgendem Schlüssel:

1 Scheffel Roggen oder Gerste 18 Pfg.,
1 Scheffel Hafer 9 Pfg. 112 ).

In Form einer Geldabgabe hat der Zehnt auch die Reformationszeit überdauert, und 1575 und 1579 wird er als regelmäßige Geldabgabe bei den meisten Bauern aufgeführt. Als Durchschnitt kann etwa 10 (ß) Zehnt für jede Hufe gerechnet werden, doch sind die Abgaben durchaus nicht gleichmäßig nach Hufengröße verteilt. Einige Bauern geben gar keinen Zehnt, andere zahlen nur Abgaben an die Poeler Kirche 113 ).

Im Vergleich von 1598 verkauft das Domkapitel die Zehnten mit den übrigen Einkünften an den Herzog, und im später schwedischen Teil der Insel scheint der Zehnt mit der Pacht verschmolzen zu sein.

Ein interessanter Sonderfall aber liegt in den "lübischen Dörfern" vor, der die Stetigkeit der dortigen bäuerlichen Verhältnisse kennzeichnet. Nach dem Verkauf von 1598 erwarb der Herzog die Zehnten der vier "lübischen Dörfer" vom Domkapitel Lübeck. Unter der Bezeichnung "Kapitelpacht" ging die Einnahme 1648 über an das schwedische Amt Poel und wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein zusammen mit der Bede unter dem Namen "Schutzgeld" von den Bauern entrichtet. Der Berechnungsschlüssel war aus ganz frühen Zeiten übernommen, so daß der Scheffel Korn mit nur 10 Pfg. berechnet war. Mit sinkendem Geldwert wurde daher aus der ursprünglich sehr beträchtlichen Abgabe ein Rekognitionszins, der leicht von den Bauern zu tragen war 114 ).


111) M.U.B. 1003, 1264.
111) M.U.B. 1003, 1264.
112) Auswärtiges Lübeck, Vol. II, Verzeichnis des Lübecker Bischofs 1475.
113) Auswärtiges Lübeck, Vol. II, Einnahmeregister von 1598.
114) Kuhberg II, S. 25 und Anlagen D, E, F.
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2. Die grundherrlichen Abgaben.

a) Pacht.

Die Bauern zahlten für die Nutzung des Bodens an ihren Grundherrn den "Census", d. i. die Pacht. Sie scheint unveränderlich gewesen zu sein, wenn der Bauer zu Erbpachtrecht angesetzt war 115 ), oder wie sich die Urkunden ausdrücken: die "hereditas" innehatte. Sie wurde in Korn entrichtet, und zwar zu Martini, wenn die Bauern nach der Ernte am zahlungsfähigsten waren. Aus dem Jahre 1320 sind die ersten genauen Pachtangaben erhalten 116 ).

In Timmendorf geben drei Hufen je

9 3/4 Sch. Roggen
7 Sch. Gerste
    > = etwa 30 Sch. Korn je Hufe.
13 Sch. Hafer
1/2 Sch. Erbsen

Zwei Hagenhufen sind dagegen geringer belastet und geben zusammen:

19 1/2 Sch. Roggen
2 Sch. Gerste   > = etwa 11-12 Sch. je Hufe.
2 Sch. Hafer

Der Pachtsatz ist nicht einheitlich; in Ostergollwitz 117 ), Westergollwitz 118 ), Malchow 119 ), Timmendorf 120 ) und Wangern 121 ) ist die Pacht wenigstens innerhalb des Dorfes gleich für jede Hufe. In Weitendorf und Niendorf dagegen schwanken die Pachtsätze auch innerhalb desselben Dorfes beträchtlich.

Z. B. Weitendorf 1323 122 ) 2 Hufen je 33,5 Sch. Korn,
4 Hufen je 44,5 Sch. Korn,
1 1/2 Hufen je 88,2 Sch. Korn,
2 Hufen je 80,5 Sch. Korn.

115) Vgl. unten S. 00.
116) M.U.B. 4178.
117) M.U.B. 4924.
118) M.U.B. 4919.
119) M.U.B. 5031 (1329), 7788 (1353).
120) M.U.B. 4178 (1320), 4927 (1328), 5404 (1333).
121) M.U.B. 7609, 1352.
122) M.U.B. 4433, 1323.
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Die Schulzenhufe war gewöhnlich frei. Während des 15. Jahrhunderts wurde die Naturalpacht in den Dörfern des Domkapitels durch eine Geldpacht ersetzt 123 ). In den Dörfern des HGH. dagegen wurde nur ein Teil der Kornpacht in Geld abgelöst, 16 Sch. Gerste und 16 Sch. Hafer je Hufe wurde weiterhin in Korn gezahlt. 1565 trat eine kleine Veränderung ein, da statt des Hafers nunmehr 8 Sch. Gerste, im ganzen also 24 Sch. Gerste je Hufe gezahlt wurden 124 ). In genau derselben Höhe blieb die Pacht in diesen Dörfern bis zum 19. Jahrhundert erhalten.

Im eigentlichen Amt Poel war die Stetigkeit der Pachthöhe nicht so groß. Der Grund dafür ist die verschiedene Belastung der Bauern durch die Hofdienste.

An einem Beispiel möchte ich die Entwicklung der Pacht erläutern.

Eine Drei-Hufenstelle in Malchow zahlt:

1475 140 Sch. Korn oder 13 M. 125 ),
1579 4 Gulden = 6 M. 126 ),
1694 3 Rtlr. = 15 M. 127 ),
1770 5 Rtlr. 47 = 17 M. 15 (ß) mit Heedespinner- und Hühnergeld 128 ).

Die Pacht zeigt den niedrigsten Stand im 16. Jahrhundert, als die Bauern am schärfsten zum Hofdienst herangezogen werden. Sie steigt etwas in der schwedischen Zeit, da die Hofdienste, ie Hufe nur einen Tag in der Woche, gesunken waren. Dann bleibt sie trotz des Absinkens des Geldwertes konstant bis 1790. In diesem Jahre werden auf Antrag der Bauern die Hofdienste aufgehoben und ebenso alle bisherigen grundherrlichen Abgaben. Dafür wird die Pacht wesentlich erhöht und beträgt nunmehr 12 (ß) für 1 Sch. Aussaat. Da die Poeler Hufe 96 Sch. Aussaat gerechnet wurde, berechnet sich die Pachtsumme der Drei-Hufenstelle auf 72 M. für das Jahr.


123) Das Einnahmeregister des Bischofs 1475 (Auswärtiges. Poel, Vol. II) verzeichnet bei den meisten Bauern noch die Naturalabgabe und daneben den Betrag in Geld.
124) Kuhberg II, S. 106 und 107.
125) Auswärtiges Lübeck, Vol. II.
126) Auswärtiges Lübeck, Beschreibung von 1579.
127) Inventarium Nr. 501.
128) Vol. II, Poel, Verpachtungssachen, Lustrationsanschlag. Heedespinner- und Hühnergeld: Ablösungsgeld für Spinndienste und Rauchhuhn.
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b) Schweinezins.

Neben der Kornpacht hatten die Poeler Bauern im 14. Jahrhundert eine Geldabgabe zu entrichten, die als "petitio porcorum", "swinebede" oder "census porcorum" bezeichnet wird. Sie kommt vereinzelt auch in anderen Gegenden Mecklenburgs vor 129 ) und wurde ihres Namens wegen von der älteren Forschung für eine landesherrliche Forderung, eine Art von Viehbede angesehen 130 ).

Die Urkunden führen diese Geldsummen (z. B. "21 solidi pro censu porcorum") unmittelbar nach der Kornpacht des Grundherrn auf. Schon dies legt den Gedanken nahe, es handele sich nicht um eine landesherrliche, sondern um eine grundherrliche Abgabe. Zudem ist der Ausdruck "petitio porcorum" und "swinebede" nur zu Anfang des 14. Jahrhunderts gebraucht, als "petitio" noch nicht zum terminus technicus für die Bede geworden war. Später wird er stets durch die Bezeichnung "Census porcorum", also etwa "Schweinepacht", ersetzt. Auch die sehr verschiedene Höhe der Abgabe 131 ) zeigt, daß eine allgemeine Steuer nicht vorliegen kann.

Der Census Porcorum war also wohl die Ablösungssumme für eine ursprünglich in natura gelieferte Schweineabgabe an den Grundherrn (im Domanium also an den Fürsten), die mit der Kornpacht zusammen erhoben wurde. Sie ist nicht identisch mit dem Schneidelschwein, das im Amt Schwerin im 16. Jahrhundert dem Landesherrn gegeben wurde 132 ), denn der Schweinezins wird auf Poel im 16. Jahrhundert nicht mehr gefordert, obwohl die Insel doch in den Besitz des Herzogs übergegangen war. Erhalten ist er dagegen in den Dörfern des HGH. Lübeck. Nach dem Kauf der Dörfer führte das HGH. sogar die Naturallieferung der Schweine wieder ein, da es große Mengen Schweinefleisch in seiner Wirtschaft gebrauchte und der Wassertransport die Lieferung er-


129) Techen, M.J.B. 67, S. 53.
130) Witte und Ihde sind schon im Zweifel, ob wirklich eine landesherrliche Abgabe vorliege.
131) M.U.B. 4433, 1323, haben in Weitendorf 4 Hufen 21 (ß) census porcorum, 2 Hufen 12 (ß) census porcorum, 1 1/2 Hufen 3 (ß) census porcorum, 2 Hufen 2 (ß) census porcorum, (in Wangern haben die 3 Hufen keinen census zu zahlen).
132) Ihde, S. 57.
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leichterte 133 ). 1741 wird dann in den Verzeichnissen zum ersten Male ein "Schweinegeld" aufgeführt, das von nun ab bis ins 19. Jahrhundert statt der Schweinelieferung an das HGH. gezahlt wurde. Aus alledem zeigt sich deutlich der Charakter dieser Abgabe als einer grundherrlichen.

Über den Rechtsgrund der Abgabe fehlt uns jede Nachricht. Ein Entgelt für die Nutzung der Mast kann sie auf Poel kaum gewesen sein, da Waldungen fehlen. Wir werden sie als eine Viehpacht ansehen müssen, die vielleicht für die Nutzung der Weiden und Wiesen erhoben wurde.

3. Die öffentlich-rechtlichen Abgaben.

a) Unter mecklenburgischer Herrschaft.
aa) Ordentliche Bede.

Die Bede ist eine Steuer, die dem Landesherrn auf Grund seiner Landeshoheit zustand 134 ). In die Kontroverse, wann die Landesherren in Mecklenburg die Bedezahlung durchgesetzt haben und wann diese verjährlicht worden ist, kann ich nicht eintreten, zumal die Poeler Urkunden zur Beantwortung dieser Fragen von Techen, Ihde und Steinmann besonders herangezogen sind. Auf Poel scheint die Bede von Anfang an in Geld erhoben zu sein. Von einer Kornbede ist in den Urkunden niemals die Rede. Die Höhe der ordentlichen Bede betrug im 14. Jahrhundert 2 M. pro Hufe 135 ), die meist in zwei Raten, zu Martini und am ersten Markttag nach Epiphanias (6. Jan.), gezahlt wurden 136 ). Sie wurde anfangs durch den Vogt des Herzogs und seine Unterbeamten eingenommen 137 ).


133) Kuhberg II, S. 109 und 110 teilt 2 Schreiben des Oberschulzen an den Vogt vom Oktober 1667 mit, in denen er über die Lieferung dieser Schweine mit dem Vogt verhandelt und die Ablösung der Abgabe in Geld vorschlägt.
134) Zur Frage der Bede in Mecklenburg vergleiche Ihde, S. 27, M.J.B. Bd. 77 Beiheft 1913, Brennecke, M.J.B. Bd. 65, Techen, M.J.B. Bd. 67 und Steinmann, M.J.B. Bd. 88. Für Bede allgemein.
135) Ihde, S. 32, nennt 4 Bedeeinheiten. 1. 2 M. pro Hufe, 2. 1 1/2 M. pro Hufe, 3. 1 M. pro Hufe, 4. 1 M. sund. pro Hufe. Die weitaus meisten Ortschaften im Amt Schwerin gehören der 1. Gruppe mit 2 M. pro Hufe an.
136) M.U.B. 7609, 1352.
137) M.U.B. 13 148, 1397. Albrecht verleiht Bede in Wester-Gollwitz an den Wismarschen Ratmann Dietrich Wilde. Die Vögte und Amtleute dürfen daher dort keine Bede erheben.
Ähnlich M.U.B. 8599, 1360 und 8890, 1361.
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Im 14. Jahrhundert verlor die Bede auf Poel völlig den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Abgabe. Bei dem Verkauf von 1318 ging die Bedegerechtigkeit auf die Ritter Preen, Plessen und Stralendorff über und wurde von diesen als nutzbares Recht weiter abgetreten und verkauft. Sie verschmolz dabei völlig mit der Pacht 138 ). Die Bede wurde nicht nur an Bürger und an geistliche Institute verkauft, sondern auch Bauern konnten sie erwerben, wie z. B. die Gebrüder Cros in Wangern 139 ). Behalten sich die Ritter die Bedezahlung beim Verkauf der Grundherrschaft vor, so verpflichten sie sich, von den Bauern des betreffenden Dorfes nicht mehr Bede zu verlangen, als im allgemeinen auf Poel gezahlt wird 140 ).

bb) Landbede.

Seit den "Bedeverträgen" (Bedereversalen) von 1276-85 bestand in Mecklenburg die Einrichtung der außerordentlichen Bede oder Landbede. Diese wurde vom Landesherrn bei besonderen Anlässen in seiner Familie erhoben, bei Heirat der Töchter, bei eigener Heirat, beim Ritterschlag der Söhne und bei eigener Gefangenschaft. Später traten noch andere Anlässe zur Erhebung der außerordentlichen Bede hinzu (Kriegsnöte, Verschuldung der Fürsten u.s.w..). Alle Landbeden unterlagen der Bewilligung durch die Stände 141 ). Wie die Fürsten in Mecklenburg, so erhoben die Ritter auf Poel solche außerordentliche Bede für die gleichen Anlässe in ihrer Familie 142 ).


138) M.U.B. 4178, 4180 (1320), 4927 (1328) usw. werden Dörfer befreit von der Bedepflicht verkauft. Die Bauern erklären sich bereit, für die Befreiung einen erhöhten Zins zu zahlen.
139) M.U.B. 7609, 1352 Vgl. unten S. 75.
140) M.U.B. 4525 (1324), 4695 (1326) u. öfter.
141) Steinmann, M.J.B. Bd. 88, S. 13 ff.
142) M.U.B. 4927, 1328. Die Ritter verkauften Timmendorf, befreit von allen Lasten: "servitiis precariis, exactionibus, prestationibus, ministrationibus et aliis gravaminibus sive sollemnitatibus nupciarun, puerperiorum vel miliciarum sive in necessitatibus gwerrarum oppressionum indigentiarum, egestatum seu causarum aliarum quibuscumque casibus emergencium faciendis."
Ebenso M.U.B. 5404. 1333.
Ein ähnliches Recht ist für 1573 für die Familie v. Maltzan bezeugt. Sie fordert von den Bauern zu Gielow die Zulage, wenn ein Maltzan eine Tochter ausgibt oder selbst Hochzeit hält. Lisch, Maltzansche Urkunden III, S. 147.
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Während des 15. Jahrhunderts setzten die Herzöge die Bedezahlung in dem geistlichen Besitz auf Poel wieder durch. Wir erfahren darüber aus Zeugenaussagen in dem Prozeß des Domkapitels gegen den Herzog im 16. Jahrhundert: "obwohl wahr, daß des Bischofs Vorfahren früher sich geweigert haben, Steuer von ihren Gütern zu zahlen, so haben sie dann doch in die Landsteuer freiwillig eingewilligt, um nicht turbiert oder molestiert zu werden". Es handelt sich dabei um drei verschiedene Abgaben: um die ordentliche Bede, seit dem 15. Jahrhundert "Königsbede" 143 ) oder auch "Verbiddelgeld" 144 ) genannt, um die außerordentliche oder Landbede und um die Stolbede.

Die Höhe der Königsbede ist gegenüber der "ordentlichen Bede" des 14. Jahrhunderts gesunken, und zwar von 2 M. pro Hufe auf 1 M. im 16. und 17. Jahrhundert. Berücksichtigt man das Absinken des Geldwertes im 16. Jahrhundert, so wird der Unterschied noch bedeutend größer. Die ersten Landbedeverzeichnisse sind uns aus den Jahren 1519 und 1544 erhalten. Man unterschied dabei die halbe, ganze und doppelte Landbede 145 ). Die halbe Landbede betrug 8 (ß) je Hufe, 2 (ß) für den Katen, 4 (ß) für die Leineweber. Die ganze und doppelte Landbede waren entsprechend höher, 16 (ß) = 1 M. bezw. 32 (ß) = 2 M. je Hufe 146 ). In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts scheinen regelmäßig 2 M. je Hufe gefordert zu sein 147 ).

cc) Stolbede.

Als dritte landesherrliche Steuer erscheint auf Poel, wie auch in einigen andern mecklenburgischen Ämtern, die Stolbede. Sie ist nur eine geringe Abgabe, 1 (ß) pro Hufe, und für Poel zuerst belegt in dem Verzeichnis des Lübecker Bischofs von 1579 148 ).


143) Nach Ihde führt die Königsbede ihren Namen nach Albrecht III., dem einzigen mecklenburgischen Herzog, der König war, und in seinen Urkunden stets den Königstitel führt. (1378 bis 1413.)
144) Verbiddelgeld: Auswärtiges Lübeck, Vol. II, Nr. 18.
145) Erhalten sind die Landbedeverzeichnisse von 1519, ganze Landbede, von 1544, halbe Landbede, von 1556, doppelte Landbede.
146) Auswärtiges Lübeck, Vol. II.
147) Auswärtiges Lübeck, Vol. II. Einnahmeverzeichnis von 1579.
148) Auswärtiges Lübeck, Vol. II.
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Da über Name und Herkunft dieser Steuer bisher noch nichts bekannt war, möchte ich auf sie etwas näher eingehen. Sie ist eine Abgabe für den Haushalt, den "Stuhl" des Fürsten, "erogatio pro sede principis ad instruendam mensam aulicam" 149 ). Über ihr Aufkommen erfahren wir: Elisabeth, die Gemahlin Ulrichs IV., habe die Häuser des Fürsten im Lande mit Betten und Hausgerät versorgt, damit nicht, wie bis dahin, die Untertanen an den Orten, wo Hoflager gehalten wurde, für die Bequemlichkeit des Fürsten zu sorgen hätten. Deshalb seien von den Untertanen Beiträge, "Stoel-Beede" genannt, erhoben worden 150 ).

Die Stolbede auf Poel bedeutet also einen Beitrag der Bauern zu dem Ausbau des Jagdhauses und später des Schlosses. Der Ursprung dieser Abgabe erklärt auch, weshalb sie nur in einigen Ämtern erhoben wurde und z. B. im Amt Schwerin nicht 151 ).

dd) Ablager 152 ).

Die Erwähnungen der Ablagerpflicht sind für Poel zwar sehr selten, doch muß sie seit dem 16. Jahrhundert bestanden haben. Im Anfang dieses Jahrhunderts, als Magnus Preen in Bukow Küchenmeister war, hat er einmal ein Ablager von den Poeler Bauern verlangt, doch urteilt der Pastor Laurentius Wüsthoff als Zeuge im Stralendorff-Prozeß, es sei ungewöhnlich und nur erzwungen gewesen 153 ). Dagegen heißt es in der Beschreibung von 1579 schon: "Ablasse, Ablager und Gericht


149) M. J. Beehr, Lib. IV, S. 653.
150) Beehr, Anm. 2, weist auf die Leichenpredigt der Elisabeth hin, die 1587 in Wittenberg gedruckt sei und gleichfalls dies Verdienst der Elisabeth rühme. Sie habe die Häuser der Fürsten mit Hausgerät und Bettgewand versorgt, "welches zuvor Ihro F. G. glückseeliger Ankunfft nicht allso gewesen. Denn wann man auf dieselbe Zeit mit dem Fürstl. Hof-Lager auf ein Schloß oder Haus verrucket, haben diejenigen Unterthanen an demselben Ort, ... nicht ohne große Beschwerung u. Schaden müssen Bette und andere Geraethe zu Hof verschaffen."
151) Ihde, S. 226, Anm. 52.
152) Vgl. Ihde, S. 46. Das Ablager ist eine gemein-germanische Erscheinung. Die Untertanen gewährten dem Fürsten, der von Gau zu Gau zog, Unterkunft und Verpflegung. Es tritt später vielfach in Verbindung mit der Jagdgerechtigkeit des Fürsten.
153) Amt Poel, Vol. I A-B.
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gehöre nach Buckow." Die Bauern haben Hühner und Eier zu liefern, so oft der Herzog nach Wismar oder Bukow kommt 154 ). Genauere Angaben über die Höhe dieser Abgaben fehlen ganz. In der schwedischen Zeit haben die Bauern je zwei Sch. Ablagergerste und 6-9 Sch. Ablagerhafer an den Amtspächter abzugeben 155 ). Diese Abgabe stammt gewiß schon aus der mecklenburgischen Zeit, wenn auch die Akten des 16. und 17. Jahrhunderts diese Abgabe nicht speziell aufführen und nur von Ablager im allgemeinen sprechen.

Ablagerhafer und -gerste werden auf Poel bis zum Jahre 1790 gegeben. In diesem Jahr werden sie mit den Diensten und allen einzelnen kleineren Abgaben durch eine einheitliche Pacht abgelöst 156 ).

ee) Das Rauchhuhn.

Wie in allen anderen Teilen Mecklenburgs wurde auch auf Poel von jedem selbständigen Betrieb ein Rauchhuhn 157 ) gegeben. Jeder Katen, jeder Bauernhof, ungeachtet seiner Größe, zahlte ein Huhn. Diese Abgabe ist für Poel zuerst im Jahre 1320 belegt 158 ).

Über die Bedeutung des Rauchhuhns erhalten wir ganz neue Aufschlüsse durch Zeugenaussagen im Prozeß zwischen den Rittern Stralendorff und dem Herzog.

Es heißt da (1585): "Item wahr, daß im ganzen Lande Mecklenburg gebräuchlich, das dem, welchem das Rauchhuhn zusteht, auch die Gerichte höchste und siedeste der Örter zustendig sein." Die Amtleute von Bukow beweisen ihr Recht auf die Gerichtsbarkeit auf Poel daraus, daß die Bauern das Rauchhuhn nach Bukow geben. Dieselbe Auffassung herrscht auch bei den bäuerlichen Zeugen. Einmal heißt es: bei Peter Evers maße sich der Rat der Stadt Wismar das Gericht an, da ihm das Rauchhuhn zustehe.

Nach Ansicht der Bauern im 16. Jahrhundert bedeutet also das Rauchhuhn die Anerkennungsgebühr für die Gerichtsbarkeit und wird an den Gerichtsherrn gezahlt 159 ).


154) Auswärtiges Lübeck, Vol. II.
155) 1694. Inventarium Nr. 501.
156) Vol. 11, Poel. Verpachtungssachen.
157) Rauchhuhn: von jedem Herd (Rauch).
158) M.U.B. 4178 in Timmendorf.
159) Auf zwei weitere Belege dieser Auffassung machten mich (  ...  )
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Das Rauchhuhn wird auf Poel vom Anfang der Kolonisationszeit an bis ins 18. Jahrhundert hinein von den Bauern gegeben 160 ). Um 1770 wurde es dann zusammen mit dem Heedespinnen und dem Ablagerkorn in Geld abgelöst und verschmolz mit dem Pachtgeld zu einer einheitlichen Abgabe 161 ).

b) Unter schwedischer Herrschaft.
aa) Konsistorial- und Tribunalsgelder.

Beim Übergang des Amtes Poel an Schweden 1648 wurden die mecklenburgischen Steuern aufgehoben. Zunächst wurde an ihrer Stelle nur eine einzige Abgabe eingeführt, die Konsistorial- und Tribunalsgelder. Sie dienten zur Erhaltung des obersten Gerichtshofes der schwedischen Provinzen, des Tribunals in Wismar 162 ), und der obersten geistlichen Behörde, des Konsistoriums 163 ). Sie waren nicht nach Hufen verteilt, sondern jeder Bauer zahlte 1 Rtlr., jeder Käter und Einlieger 12 (ß).

bb) Fuhrgelder.

Nach dem Nordischen Krieg forderte das Gouvernement von den Bauern von Poel und Neukloster eine Abgabe für den Wegfall der sogenannten "Fortificationsfuhren", der Holzfuhren nach der Festung Wismar, die bis zur Schleifung der Befestigungen 1717/18 eine große Last für Poel und Neukloster gewesen waren. Diese Fuhrgelder betrugen 4 Rtlr. für jede Hufe und wurden dann jährlich eingezogen 164 ).


(  ...  ) liebenswürdigerweise Herr Archivrat Dr. Steinmann und Herr Archivrat Dr. Tessin in Schwerin aufmerksam.
a) Amtsbuch Zarrentin, 1553, S. 17.
"Lüttow bei Zarrentin ist in den Diensten und etlicher Pächte zum Hause Zarrentin belegen und, wiewohl die Gerichte nach Ausweisung des Rauchhuhns auch dahin gehören, sind diese doch ... gegen Wittenburg gewandt".
b) Eccl. Belitz, Jurisdiction 1756 14. Dec. "da nun die Lieferung der Rauchhühner ein Zeichen der Jurisdiction ist ..."
160) Vol. 11, Poel, Amtsregister. Aufstellung der Lustrationskommission 1705.
161) Vol. 10, Poel, Amtsregister. Aufstellung der Lustrationsanschlag 1770.
162) Vgl. Techen, Geschichte der Seestadt Wismar, S. 206. Die Einführung des Tribunals geschah mit allem Gepränge am 17. Mai 1653.
163) Ebendort, S. 207. Die Kirchen- und Konsistorialordnung von 1665.
164) Inventarium 418.
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cc) Kontribution.

Im Jahre 1731 führte die schwedische Regierung eine allgemeine Hufensteuer ein, die als einzige Steuer an die königliche Kammer in Stockholm abgeführt wurde 165 ). Die Bauern zahlten für jede Hufe 2 Rtlr. und der Amtspächter trug die Abgabe für die Höfe. Er hatte die Kontribution einsammeln zu lassen und sorgte für deren Weiterleitung.

dd) Reichssteuern.

Daneben mußten die deutschen Provinzen Schwedens auch zu den Reichssteuern beitragen, da Schweden 1648 Bremen und Verden, Vorpommern und die Herrschaft Wismar mit Poel und Neukloster als Lehen vom römischen Kaiser erhalten hatte. So hatte Wismar 1/18, die Ämter Poel und Neukloster 1/120 der mecklenburg-schwerinschen Türkenhilfe aufzubringen. Wieviel diese Abgabe im einzelnen betrug und wie oft sie tatsächlich auf Poel erhoben wurde, ist nicht mehr festzustellen 166 ).

ee) Vergleich mit dem übrigen Mecklenburg.

Jacobs macht eine interessante Zusammenstellung der mecklenburgischen und neuklosterschen Steuern und Abgaben, die ebenso auch für Poel gilt 167 ):

Eine Vollhufe 168 ) zahlte um 1770:

in Neukloster und Poel: in Mecklenburg:
an Kontribution 2 Rtlr., an Kontribution 10 Rtlr. 24 (ß),
an Fuhrgeldern 4 Rtlr., an Kopfgeld 10 Rtlr. 32 (ß),
an Konsistorial- und Tribunalsgeld 1 Rtlr., -----------------
--------------- zusammen 21 Rtlr. 8 (ß).
zusammen 7 Rtlr.

Ein Einlieger zahlte:

in Neukloster und Poel: in Mecklenburg:
Konsistorial- und Tribunalsgeld 12 (ß),    Kopf- und Kammersteuer 2 Rtlr.
Schutzgeld 1 Rtlr.,
---------------
zusammen 1 1/4 Rtlr.

165) Inventarium Nr. 424.
Auch Jacobs, Amt Neukloster, S. 36.
166) Inventarium Nr. 328. Dekret des königlichen Tribunals vom 11. Juli 1689. Auch Jacobs, Amt Neukloster, S. 37.
167) Jacobs, Amt Neukloster, S. 37.
168) Während Fuhrgelder und Kontribution von der (  ...  )
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Knechte und Mägde waren in Neukloster und Poel steuerfrei, in Mecklenburg hatten sie von 1/2 (ß) bis 1 Rtlr. Kopfsteuer zu zahlen. Es ist nicht zu verkennen, daß die Stellung der schwedischen Amtseinwohner ungleich besser war als die der mecklenburgischen.

4. Die Gesamtbelastung der Hufe in den verschiedenen Jahrhunderten.

Nachdem nun die einzelnen Abgaben des Bauern ihrem Rechtsgrunde und ihrer Entwicklung nach behandelt sind, wollen wir nunmehr die Höhe der Belastung der einzelnen Hufe in den verschiedenen Jahrhunderten untersuchen.

Die gesamte Belastung der Hufe im 14. Jahrhundert erfahren wir nur für das Dorf Westergollwitz 169 ).

Jede Hufe zahlte:

30 1/4 Sch. Korn Pacht |
4 1/2 (ß) Schweinezins   > Grundherr
1       Rauchhuhn |
15       oder 18 Sch. Korn an Zehnt
und den kleinen Zehnt oder Viehzehnt
Kirche
2       M. an Bede Landesherr.

Um die Abgaben vergleichen zu können, rechnen wir die Geldsummen in Korn um 170 ) und erhalten dann

als grundherrliche Abgaben etwa 33 1/4 Sch. Korn und ein Huhn,
als kirchliche Abgaben etwa 15 oder 18 Sch. Korn und den Viehzehnt,
als landesherrliche Abgaben etwa 21 1/3 Sch. Hartkorn.

Die Gesamtabgabe der Bauern betrug also etwa 72 7/12 Sch. Korn außer den Viehabgaben. Der Anteil von Grundherr, Kirche und Landesherr verhielt sich wie 11 : 6 : 7.

Als Beispiel für das 16. Jahrhundert sei die durchschnittliche Hufenbelastung in den 15 Hufen in Malchow im Jahre 1579 genannt. Jede Hufe zahlt:


(  ...  ) Hufe erhoben wurden, lagen die Konsistorial- und Tribunalsgelder auf der Hofstelle, ungeachtet der Anzahl der Hufen. Auf Poel waren die Bauernhöfe gewöhnlich 2-3 Hufen groß, so daß die Belastung etwas zu hoch angesetzt ist.
169) M.U.B. 4919, 1328.
170) Nach dem Berechnungsschlüssel, der für die Ablösung der Zehnten in Geld vom Lübecker Bischof angewendet wurde, und bei dem für 1 Sch. Hartkorn 18 Pfg., 1 Sch. Hafer 9 Pfg. gerechnet wird. Auswärtiges Lübeck, Vol. II.
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Pacht: 35 (ß) und ein Rauchhuhn,
Zehnt: 9-10 (ß),
Bede: 17 (ß) Königs- und Stolbede,
32 (ß) Landbede.

Rechnet man wiederum die Geldabgaben nach den damaligen Roggenpreisen um 171 ), so ist der Wert der Jahrespacht einer Hufe von 96 Sch. Aussaat auf 3 Sch. Roggen gesunken. Die Gesamtbelastung der Hufe war in den Jahren, in denen der Landesherr Landbede erhob, nur 94 (ß) oder noch nicht ganz 8 Sch. Roggen, der Bauer zahlte dann also nicht ganz 1/12 seiner Aussaat, während die Belastung im 14. Jahrhundert der Aussaat der Hufe nahe gekommen sein muß, sie wohl gelegentlich überschritt 172 ). Durch das rasche Steigen der Getreidepreise in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 173 ) sanken also die bäuerlichen Abgaben, die in Geld fixiert waren, zu einem Minimum herab.

Dennoch war nicht der Bauer der Gewinner bei dieser Preisrevolution, sondern der Grundherr, da dieser die günstige Konjunktur dadurch ausnutzte, daß er seinen Eigenbetrieb erhöhte und die Bauern, deren Abgaben für ihn nur von untergeordneter Bedeutung waren, zu Hofdiensten in immer steigendem Maße heranzog. So richtete der Herzog in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts den Kaltenhof ein und machte die Bauern zu seinen Arbeitskräften. Die Dienste wurden gesteigert, Pacht und Bede aber blieben konstant.

Nach dem Übergang des Amtes an Schweden sanken die Hofdienste der Bauern auf einen Tag in der Woche für jede Hufe. Die Pacht hingegen ist dafür etwas gesteigert, und es stellt sich jetzt die Belastung jeder Hufe in Malchow, die vom Hofdienst befreit ist, 1694 auf etwa:

85 (ß) Pacht und ein Rauchhuhn,
1/2-1 Sch. Ablagergerste,
2 Sch. Ablagerhafer,
24 Sch. Dienstgerste.

171) Nach den Zahlen, die Maybaum für die Ämter Grevesmühlen und Gadebusch, also für die unmittelbare Nachbarschaft mit Poel angibt: 1 Sch. Roggen = 12 (ß). Maybaum, S. 219, Anlage II.
172) Es kommen Pachtsätze von 1 Last Korn (96 Sch.) für eine Hufe vor.
173) S. Wiebe, Zur Geschichte der Preisrevolution des 16. und 17. Jahrhunderts, 1895, S. 111.
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Da nun der Durchschnittspreis der Gerste der Jahre 1690 bis 1699 174 ) etwa 25 (ß) für den "Berliner Scheffel" war, also 27 (ß) für den auf Poel geltenden "Kleinen Scheffel" 175 ), betrug die Pacht etwa 3,15 Sch. Gerste, die Gesamtbelastung also für eine dienstfreie Hufe 28,15 Sch. Gerste und 2 Sch. Hafer.

Zu diesen, bis 1790 in Geltung bleibenden Abgaben, zu denen nur noch eine Ablösungssumme für die Naturallast des Rauchhuhns und des Heedespinnens trat, kamen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch die schwedische Kontribution und andere Steuern. 1770 zahlt jede Hufe in Malchow:

88 (ß) Pacht, Hühner und Heedespinnergeld,
1/2 Sch. Ablagergerste,
24 Sch. Dienstgerste (nun Pachtgerste genannt),
2 Rtlr. Kontribution,
4 Rtlr. Fuhrgelder,
1 Rtlr. Konsistorial- und Tribunalsgelder.

Da 1775 der Gerstepreis auf Poel 25 (ß) je Scheffel betrug 176 ), kommt man zu einer Gesamtbelastung der Hufe von etwa 41 1/2 Sch. Gerste + 2 Sch. Hafer, davon etwa 4 Sch. Gerste und 2 Sch. Hafer für Pacht und Ablager, das übrige für Steuern und Dienste 177 ). Man kann also die Belastung der Hufe auf die Hälfte der Aussaat veranschlagen.

Bei der Ablösung der Hofdienste 1790 wurde die Pacht unter Fortfall aller andern grundherrlichen Lasten auf 12 (ß) je Scheffel Aussaat angesetzt, für eine Hufe von 96 Scheffeln Aussaat also auf 1152 (ß); und dazu traten noch die vorge-


174) Vgl. die ausführlichen Preistabellen in "Nützliche Beyträge zu den Neuen Strelitzschen Anzeigen" Neubrandenburg, 1768-71, Aufsatz: "Kornpreise seit hundert Jahren her und drüber", 2. Jahrgang, S. 370-384, und 3. Jahrgang, S. 75-78, der allerdings Preise der Neubrandenburger Gegend benutzt.
175) Nach den "Mecklenburgischen Gemeinnützigen Blättern", 3. Bd., 1. Heft. Parchim und Neustrelitz 1801, S. 54, verhielt sich der in Dömitz, Neubrandenburg, Grabow, Neustrelitz, Parchim, Fürstenberg, Demmin geltende "Berliner" oder "Große Scheffel" zu dem in Schwerin. Wismar, Güstrow, Rostock geltenden "kleinen Scheffel" wie 7:5 oder genauer wie 69 3/4:50.
176) Die Kornpreise waren 1775: 1 Sch. Roggen 26 (ß): 1 Sch. Weizen 1 Rtlr. 4 (ß); 1 Sch. Gerste 25 (ß); 1 Sch. Hafer 17 (ß), 1 Sch. Erbsen 26 (ß). Ratsarchiv Lübeck, Senatsakten, Ecclesiastica, Vol. F, Lübische Dörfer.
177) Die Konsistorial- und Tribunalsgelder sind leider nicht je Hufe, sondern je Hofstelle berechnet, und da die Poeler Höfe meist 2 = 3 Hufen hatten, ist die Belastung wiederum etwas zu hoch angesetzt.
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nannten Steuern in Höhe von 7 Rtlr. Rechnet man für die Jahre von 1790 bis 1800 mit einem Gerstepreis von etwa 36 (ß) 178 ), so war die Gesamtbelastung etwa 41,5 Scheffel Gerste, der vorigen im Wert entsprechend, sank aber immer weiter ab, je höher die Getreidepreise zu Anfang des 19. Jahrhunderts stiegen.

III. Die Dienste.

1. Die öffentlichen Dienste.

a) Die Burg- und Brückendienste im 14. Jahrhundert.

Will man die Herkunft und Entwicklung der Bauerndienste untersuchen, so muß man die öffentlichen Dienste der Bauern dem Landesherrn gegenüber von den grundherrlichen Hofdiensten unterscheiden. Diese Scheidung ist auf Poel auch während der späteren Jahrhunderte durchaus eingehalten.

Die öffentlichen Dienste, "servitia communi iure", wurden im 13. und 14. Jahrhundert meist Burg- und Brückenwerk genannt. Sie wurden vom Landesherrn zum Bau, zur Erhaltung und Reparatur von Burgen, Brücken und Befestigungen gefordert und waren grundsätzlich "ungemessen", d. h. sie wurden nach Bedürfnis gefordert. Ursprünglich waren alle Landesinsassen zu diesen öffentlichen Diensten verpflichtet; doch wurden die Geistlichen ihres Standes wegen persönlich dienstfrei, und die Ritter waren statt aller anderer Dienste zur Lehnsfolge verpflichtet. So blieben dienstpflichtig nur die Städte und die Hintersassen des Domaniums und der Grundherren 179 ).

Während der Kolonisationszeit waren die öffentlichen Dienste ziemlich drückend, da es galt, Burgen, Brücken, Be-


178) Diese Preisangabe habe ich erschlossen als mittleren Wert zwischen dem Gerstepreis von 1769 ("Nützliche Beyträge zu den Neuen Strelitzischen Anzeigen", 2. Jahrgang 1770, S. 382) und dem vom Oktober 1800 ("Mecklenburgische Gemeinnützige Blätter", 1. Bd., 1801, S. 56). Außerdem forderten die Aufständischen in der "Rostocker Butterrevolution", 1800, einen Roggenpreis von 36 (ß), offenbar, da in dieser Höhe die Preise vor der Kornteuerung 1800 gewesen waren. Eine genauere Angabe der Kornpreise von 1790 konnte trotz aller Bemühungen nicht gefunden werden.
179) Ihde, S. 68.
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festigungen und Wege erst neu anzulegen und außerdem gelegentlich dem Landesherrn auf "Expeditio" außer Landes zu folgen, Kriegsdienste zu tun und bei feindlichen Einfällen zur Landwehr herbeizueilen. Als erste Grundherrschaft auf Poel erreicht das Domkapitel die Befreiung seiner Bauern in Fährdorf von allen öffentlichen Diensten bis auf die Landwehr, die sich der Fürst vorbehielt 180 ). Für diese Befreiung zahlten die Bauern dem Domkapitel 1263 1 Drbt. Gerste je Hufe, also regelrechtes "Dienstkorn" 181 ). Ebenso wird in den meisten späteren Verkaufsurkunden die Klausel eingefügt, daß die Bauern der betreffenden Käufer von den Diensten "communi iure" befreit sein sollten; nur die Landwehr behielt sich der Landesherr vor 182 ). Daß die Bauern an ihren Grundherrn für diese Befreiung Dienstgeld oder Dienstkorn gegeben haben, geht nur noch aus einer Urkunde hervor: 1333 beim Verkauf von Timmendorf von dem Lübecker Bürger Klendenst an Johann Woltvogel heißt es: "die Bauern haben sich ,sponte et liberaliter' bereit erklärt, für die ihnen verschafften Freiheiten eine höhere Geldpacht zu zahlen" (statt 6 (ß) jetzt 34 1/2 (ß)) 183 ). Die 28 1/2 (ß) Mehrpacht werden also für diese Befreiung als Dienstgeld angesetzt sein.

b) Die Extradienste im 17. und 18. Jahrhundert.

Diese öffentlichen Dienste haben nun fortgelebt in den sogenannten Extradiensten, die auf Poel noch im 18. Jahrhundert gefordert wurden. Es handelt sich dabei um Hand- und Spanndienste für Brücken und Wege, für Kirchenreparaturen und Mühlenbau, und schließlich auch für Neubauten des Amtes. Sie unterschieden sich von den Hofdiensten dadurch, daß sie grundsätzlich "ungemessen" waren, und daß sie nicht nur von den Amtsbauern, sondern auch von den "lübischen Bauern", die unter der Grundherrschaft des HGH. standen, geleistet werden mußten. Je nach Erfordernis waren sie größer oder geringer und wurden von den Schulzen nach der Hufenzahl verteilt. Die "lübischen Dörfer" trugen regelmäßig 1/3 aller Kosten und Fuhren; für die 20 Hufen des Oertzenhofes mußte


180) M.U.B. 167, um 1200.
181) M.U.B. 980, 1263: "... item pro servitio XI trem. ordei" (für 11 Hufen).
182) M.U.B. 592, 795, 2297, 2757, 4433, 4525, 4887, 4919, 5031, 5404 u. öfter.
183) M.U.B. 5404, 1333.
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der Pächter die Extradienste leisten und durfte sie nicht den Bauern im Hofdienst auferlegen 184 ).

Bei Neubauten des Amtes erlangten die Extradienste oft sehr große Bedeutung und konnten zu einer außerordentlichen Belastung der Bauern führen. Die Fuhren und Schanzarbeiten beim Bau des Poeler Schlosses wurden z. B. in Extradienst getan, was daraus hervorgeht, daß auch die "lübischen Dörfer" dazu beitragen mußten. Die Arbeiten wurden also vom Herzog nicht als dem Grundherrn, sondern als dem Landesherrn gefordert.

Wenn nach Fertigstellung des Schlosses in den Ämtern Poel und Buckow eine "Bauernwacht" eingerichtet wurde und die Bauern zum Wachtdienst des Nachts und auch am Tage herangezogen wurden 185 ), so kann man diese Verpflichtung wohl als ein Überbleibsel der früheren Pflicht zur Landwehr ansehen 186 ).

2. Die Hofdienste unter mecklenburgischer Herrschaft.

a) Die gerichtsherrlichen Dienste.

Die eigentlichen Hofdienste haben mit den früheren Burg- und Brückendiensten nichts zu tun. Sie gehen, wie Maybaum eingehend dargelegt hat, rechtlich auf die Gerichtshoheit des Grundherrn zurück. Zwei Zitate aus Schriftstellern des 18. Jahrhunderts bestätigen diese Ansicht. So sagt Rudloff 187 ): "Bei neuen Verleihungen ward die höhere Gerichtsbarkeit nur selten mehr reservieret, und so gelangte nach und nach ein großer


184) 1782 beklagen sich die Bauern, daß Verwirrung zwischen den Hofdiensten und den Extradiensten eingetreten sei, da der Pächter, statt seinen Anteil an den Fuhren zum Neubau der Oertzenhöfer Scheune mit eigenen Gespannen zu verrichten, die Fuhren für die 20 Hufen von den Bauern im Hofdienst tun lasse. Vol. 16, Poel, Generalia.
185) Vgl. S. 23.
186) Ihde rechnet die Extradienste mit zu den grundherrlichen Diensten und sieht keinerlei Verbindung zwischen ihnen und den alten Burg- und Brückendiensten. (S. 82.) - Maybaum deutet einen Zusammenhang schon an, ohne die Bezeichnung Extradienste zu gebrauchen und zu definieren, wenn er sagt: "Doch läßt sich andererseits möglicherweise ein selbständiges Fortleben des alten Burg- und Brückendienstes darin erkennen, daß im 16. Jahrhundert die Bauern ihrem Gutsherrn zu gewissen Fuhrleistungen außerhalb des regelmäßigen Hofdienstes, also der eigentlichen landwirtschaftlichen Arbeiten, verpflichtet waren." (S. 103.)
187) Rudloff: Pragmatisches Handbuch der mecklenburgischen Geschichte, Teil II, S. 382.
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Theil der Unter-Obrigkeiten zum Besitz dieses Regals und der damit verknüpften Bauerndienste." Er bezieht sich dabei auf eine Urkunde von 1344, die Schröder in seinem Buch: "Mecklenburgische Kirchenhistorie des Papistischen Mecklenburg", Wismar 1741, S. 1263, wiedergibt und in der es heißt: "iuris-dictionem et iudicium supremum, manus scilicet et colli .. et servicium totale huic iurisdictioni et iudicio iure debitum et annexum" 188 ). Im 13. und 14. Jahrhundert werden dem Grundherrn auf Poel wie im übrigen Mecklenburg Dienste auf Grund der Gerichtsbarkeit zugestanden haben. Urkundliche Nachrichten darüber aber haben wir erst aus dem 16. Jahrhundert. Das Domkapitel und das HGH. hatten für die Leistung von Naturaldiensten keine Verwendung und forderten nur von ihren Bauern, daß sie ihr Pachtkorn selber verlüden 189 ).

Wichtiger wurden diese Dienste erst zu Beginn der Neuzeit. Als die Herzöge von Mecklenburg während des 15. Jahrhunderts ihre Forderung auf Bede, Jagdgerechtigkeit und Gerichtsbarkeit durchgesetzt hatten, forderten sie auf Grund dessen auch die Dienste der Bauern. 1579 sagen die Bauern aus 190 ): Bei ihren und ihrer Eltern Lebzeiten hätten nicht die Kapitelleute das Gericht gehabt, sondern die Amtleute in Bukow. Ehe der Bauhof zum Kaltenhof auf Poel gelegt und der Hof Farpen zum Amt Bukow gekommen sei, wären die Dienste geringe gewesen. So hätten sie dem Amt Bukow "in andere Wege Dienst getan, daß sie allewege dem Amt Bukow mit Diensten verwandt gewesen". Aber auch die Stralendorffs, die noch die Grundherrschaft und das Gericht in Kirchdorf besaßen, versuchten, die Kräfte der Bauern für sich in Anspruch zu nehmen. Aus den Zeugenaussagen im Stralendorff-Prozeß können wir ein Bild davon gewinnen, wie die Dienste gefordert wurden 191 ).

Als gerichtsherrlicher Dienst ist z. B. der Mahlzwang anzusehen, den die Stralendorffs von ihren Bauern in Kirchdorf


188) M.U.B. 6451, 1344.
189) Amt Poel, Nr. 9, Jurisdictio.
1634 berichtet der Küchenmeister dem Herzog über die Rechte und Pflichten der "lübischen Dörfer": Sie müssen ihr Pachtkorn nach Lübeck bringen, sind aber Sonst zu keinen Diensten verpflichtet. Für den Lübecker Vogt haben sie, so oft er kommt, Ablager zu geben.
190) Auswärtiges Lübeck, Vol. II. Prozeß zwischen Domkapitel und Herzog. 1579.
191) Zeugenaussage des Burmeisters Asmus Lemmeke 1582.
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forderten und zu dem auch der Pastor auf Grund des Patronatsrechts der Stralendorffs verpflichtet war 192 ). Es mußten die Kirchdorfer also ihr Brotkorn sämtlich nach Goldebee bringen und auf der grundherrlichen Mühle mahlen lassen.

Die Bauern der Stralendorffs in Kirchdorf hatten auch dem Grundherrn in Strömkendorf oder in Goldebee zu dienen. Daneben versuchten die Stralendorffs, die Kräfte der Bauern dadurch zu nutzen, daß sie wüst gewordene Äcker von ihnen pflügen ließen. Dies geschah zuerst "auf Bitt" und die Bauern erhielten für jeden Pflugdienst eine Kanne Bier oder "einen Sößling", doch ist die Unterscheidung von Diensten "auf Bitt" und Diensten "aus Pflicht" wohl bald vom Grundherrn aufgehoben worden. Diese Zeugenaussagen geben einen interessanten Einblick, wie die Dienste auf Grund von "Observanzen" gesteigert wurden.

b) Die Hofdienste für den Kaltenhof.

Eigentliche Hofdienste aber wurden den Poeler Bauern erst aufgelegt, als der Herzog durch den Amtmann Magnus Preen den Bauhof Kaltenhof einrichten ließ. Damit veränderte sich die Lage der Bauern plötzlich vollkommen. Preen scheint mit äußerster Härte vorgegangen zu sein; er zieht auch die Bauern der "lübischen Dörfer" und der Stralendorffs zu den Diensten heran, so daß die Stralendorffs in ihrer Klageschrift sagen: "Die Amtleute hätten die Stralendorffs-Bauern ungebührlich mit Diensten überladen, so daß man sage, wäre Preen noch länger im Amte geblieben, so wären der Stralendorffen Leute wenig übrig geblieben" 193 ).

Die Höhe des Dienstes ist nach der Amtsbeschreibung von 1598 schon außerordentlich groß. Ein Doppelhufner hatte jeden Tag mit zwei Pflügen zu dienen, ein Hufner jeden Tag mit


192) Aussage des Pastors Laurentius Wüsthoff 1582 im Stralendorffprozeß; Amt Poel, Vol. I A-B. Im 14. Jahrhundert gab es auf Poel mindestens. 2 Mühlen, denn 1317 verleiht Fürst Heinrich den Colonen auf der ganzen Terra Poel, daß sie überall mahlen lassen dürfen, wo sie wollen, auf Poel oder außerhalb, nur nicht in der Mühle des HGH. in Seedorf. M.U.B. 3934.
Im 16. Jahrhundert haben anscheinend keine Mühlen auf Poel gestanden; sie sind wohl beseitigt worden zugunsten der grundherrlichen Mühlen in Goldebee und Buckow. Im 17. und 18. Jahrhundert stand eine Amtsmühle in Fährdorf, später in Niendorf.
193) Amt Poel, Vol. I, A-B, Stralendorffprozeß 1607.
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einem Pflug oder jeden zweiten Tag mit zwei Pflügen. Die im Vergleich von 1615 von den Stralendorfs abgetretenen Bauern haben wöchentlich, so oft ihnen angesagt wird, zum mindesten aber vier Tage zu dienen und haben Werkzeuge, Pflug oder Wagen, selbst zu stellen. In der Ernte aber dienen sie täglich mit 6 Pferden und 6 Personen zu Hofe. Außerdem haben sie jährlich 6 Pfund Heede zu spinnen 194 ).

Während die Hufner die Wagen- und Pflugdienste leisten, haben die Käter die Handdienste, so oft ihnen angesagt wird, zu tun, oder sie bezahlen ein Dienstgeld von 1 M. 195 ). Auch sie haben wie die Hufner 6 Pfund Heede zu spinnen.

Der Strandreiter sagte die Dienste den Bauern an und der Amtsschreiber beaufsichtigte sie bei der Arbeit. Waren Hufen wüst geworden, so mußten die übrigen Bauern diese mit beackern 196 ).

1639 verfügte der Herzog Adolf Friedrich, gegen die ausdrücklichen Bitten der Bauern, daß die Bauerndienste auf Poel durch eine Zahlung von 2 Drbt. Gerste je Hufe abgelöst werden sollten 197 ). Er behielt sich nur von jedem Bauern jährlich zwei Fuhren und die Zahlung des Rauchhuhns vor. Daß diese Verfügung aus rein finanziellen Motiven, nämlich aus der Geldnot des Herzogs heraus, gegeben wurde, geht aus der rigorosen Eintreibung des Dienstkorns hervor, über die die Bauern ständig klagen 198 ).


194) Poeler Urkunden Fasc. 9.
195) Z. B. Poeler Urk. Fasc. 9. Ein "halber Käter" in Kirchdorf, Heinrich Weite, gibt 1 M. Dienstgeld und leistet keine Dienste. Wahrscheinlich konnten sich die Fischer, die auf Fischfang abwesend waren, durch die Zahlung des Dienstgeldes von den Naturaldiensten befreien.
196) Amt Poel , Vol. II B. Bittschrift der Bauern 1602, daß die wüste Stelle wieder besetzt werden möge.
197) Amt Poel, Vol. II, C-G.
Am 28. Juni 1639 machen die Poeler Bauern eine Eingabe, sie könnten bei den schlimmen Kriegszeiten, Kontributionen und Einquartierungen die neue Pensio von 2 Drbt. Dienstgerste nicht zahlen, und bitten, bei den alten Pachten und Diensten bleiben zu dürfen, bis sie dieses leidigen Kriegswesens entledigt wären ...
198) Auf eine Anfrage des Küchenmeisters, ob er den Bauern ihrer Armut wegen nicht das. Dienstkorn erlassen könne, antwortet Adolf Friedrich 1642 mit der Anordnung, den Säumigen die Ochsen zu pfänden, die sie noch hätten. Der Küchenmeister schreibt darauf: sie würden das gepfändete Vieh kaum wieder einlösen können, da sie z. T. nur 2 Ochsen hätten, die noch dazu den Wismarschen Bürgern gehörten. Wenn sie in diesem Frühling nicht mit ihnen arbeiten könnten, was "das für nutzen schaffen wirt, werden I. F. G. künftigen Herbst mit großen schaden inne werden".
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Die so sauer gewonnene Dienstfreiheit dauerte für die Bauern nicht lange. 1649 klagen sie: Der Küchenmeister verlange von ihnen, daß sie trotz der abgelösten Dienste den Kaltenhof wieder pflügen sollten. Sie bitten, man möge sie in anbetracht der vielen Fuhren von Holz und Soden auf das Schloß von weiteren Diensten verschonen. Die Antwort des Herzogs lautet: Sie sollten den Acker pflügen helfen und außerdem ungesäumt das Dienstkorn nach Schwerin einliefern 199 ). Diese Rechtlosigkeit und Belastung mit Diensten mußte die wirtschaftliche Lage der Poeler Bauern aufs äußerste verschlechtern; während des Krieges häufen sich die Bitt- und Klageschriften der Bauern in erschütterndem Maße 200 ).

3. Die Hofdienste unter schwedischer Herrschaft.

a) Verringerung der Dienste auf einen Tag je Hufe und die Möglichkeit der Ablösung durch Dienstkorn.

Aus den chaotischen Jahrzehnten zwischen der Abtretung der Insel nach dem Westfälischen Frieden und der Einziehung des verpfändeten Amtes Poel durch die schwedische Krone 1694 haben wir gar keine Nachrichten über die Dienste der Bauern. Wir erfahren nur als Ergebnis der Entwicklung, daß 1694 die Bauern nur einen Spanntag wöchentlich für jede Hufe (= 1 Last Aussaat) zu leisten haben, und daß auch diese Dienste fast zur Hälfte in Dienstkorn abgelöst sind. 1692/93 haben von 108 1/2 Hufen auf Poel 67 1/2 Hufen Hofdienst getan; für die übrigen 41 Hufen wird Dienstkorn gegeben, und zwar, wie bei der Ablösung der Dienste 1639, 2 Drbt. Gerste je Hufe.

Man sieht, die Bauern, die nach Beendigung des Krieges wieder regelmäßige Ernten haben und lieber Korn zahlen, als Dienste leisten, berufen sich jetzt auf die Ablösung der Dienste von 1639, die Adolf Friedrich nur aus seiner Geldnot heraus angeordnet hatte und keineswegs als endgültig anzusehen geneigt war. Während der dauernden Verpfändung des Amts von 1648 bis 1694 wurde der Amtshof völlig vernachlässigt und die Dienste wurden nicht benötigt. Wenn von 1685 bis


199) Amt Poel, Vol. II, C-G.
200) Schon 1602 klagen die Bauern, die Wismarschen Bürger hätten sich verabredet. sie wollten ihnen nichts mehr vorstrecken, sintemal sie doch schwerlich bezahlen würden.
Während des 30jährigen Krieges häufen sich die Klageschriften; von 1639, 40, 49 sind Bitten der Bauern um Erlaß von Pacht und Dienstkorn erhalten.
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1693 der Oberschulze den Kaltenhof von seinem Bauernhof aus mit verwaltete, so wird er die Kräfte seiner Dorfgenossen kaum sehr angestrengt haben. So konnte sich ein festes Gewohnheitsrecht herausbilden, das von dem schwedischen Gouvernement in Wismar geachtet und innegehalten wurde.

Die Stellung der Amtspächter zu der Frage der Bauerndienste war verschieden. Der erste Pächter, Landrentmeister Johann Steeb, sah die Ablösung durch Dienstgerste als durchaus vorteilhaft für den Amtshof an. Um seine Bareinnahmen zu erhöhen, forderte er so wenig Bauerndienste wie möglich und schaffte lieber für den Hof 2 Spann Pferde und 6 Paar Ochsen an, um die Ackerbestellung möglichst mit eigenen Kräften besorgen zu können. Er versuchte auch 1694, die Dienste gerecht zu verteilen, so daß die Großbauern mit vier Hufen zwei Diensttage in der Woche, die kleineren von zwei und drei Hufen einen Tag dienten und für die übrigen Hufen Dienstgerste gaben. Die Kleinbauern von einer bis 1 1/2 Hufen ließ er gewöhnlich dienstfrei 201 ). Da dieser Dienst in der Erntezeit nicht genügte, kam er mit den Bauern gütlich überein, daß "alsdann jeder so viel Tage dienen" solle, "als er Hufen habe, und einen Tag wöchentlich darüber" 202 ). Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sanken die Dienste noch mehr; 1745 heißt es: "Jtzo befinden sich bei dem Dienst wirklich nur 14 Bauern, davon jeder wöchentlich 1 Spanntag verrichtet" 203 ). Die andern Bauern bezahlten für alle Hufen Dienstgerste.

b) Die schärfere Anspannung der Dienste.

Um 1750 sah das Amt die Zahlung der Dienstgerste nicht mehr als genügende Gegenleistung für die Bauerndienste an. 1750-1752 wurde der Amtshof beträchlich vergrößert und ein neuer Meierhof, der Oertzenhof, eingerichtet. Die Bauerndienste wurden nun auf die beiden Höfe verteilt und schärfer angezogen. Das Amt benutzte sein Recht, die Dienste nach eigenem Ermessen zu verteilen, nun dazu, die Bauern zu einem Umtausch der Hufen 204 ) oder zur Regulierung einzelner Dorf-


201) Protokollbuch III, Anlage, Liste der Dienste, 1694.
202) Protokollbuch III, 1697. "welches die Bauleute nach reiflicher Erwägung samt und sonders angenommen."
203) Vol. 10, Poel, Amtsregister, 1745.
204) Prienshof wurde 1750 dadurch erworben, daß Hausmann Prien in den Umtausch seines Hofes gegen eine Stelle in Timmendorf einwilligte, wofür ihm in einem geheimen Artikel die Dienstfreiheit für alle Zeiten zugesagt wurde. Kuhberg I, S. 41.
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schaften 205 ) durch Versprechen der Dienstfreiheit, d. h. Ablösung gegen Dienstgerste, zu bringen. So mußten die andern Dorfschaften natürlich um so mehr belastet werden, und in den Protokollbüchern beginnen jetzt die Klagen der Bauern und die Streitigkeiten mit dem Pächter wegen der Hofdienste, die vorher völlig fehlen.

c) Die Dienstordnungen von 1754 und 1771.

Die Dienstordnung von 1754 sollte die Zahl der Dienste, Arbeitszeit, Beschaffenheit der Arbeit usw. genau regeln 206 ).

Da sich weitere Streitigkeiten zwischen den Bauern und den Amtleuten, besonders mit Amtmann Jörns, erhoben, wurde die Dienstordnung 1771 ergänzt und erläutert und vielfach nach Wunsch der Bauern abgeändert.

Abgesehen von der Zahl der Dienste, zeigen diese beiden Dienstordnungen manche Anklänge an die Hofordnungen von 1705, 1708 und 1753 in Mecklenburg. Es bleibt dabei, daß von jeder Hufe wöchentlich ein Spanndiensttag gefordert wird; das Amt aber, soweit wie möglich, die Bedürftigsten auf Dienstkorn setzen soll. Zu jedem Spanndienst sind vier Pferde und zwei Leute zu stellen; einer davon soll ein geschickter Knecht sein, der andere ein mittlerer Knecht oder eine Dirn. In der Ernte muß jeder Hausmann von jeder Hufe, mit der er in Dienstgeld steht, wöchentlich zwei Handdienste leisten, während für die Hufen, von denen er dient, der gewöhnliche Spanndienst weitergeht.

Die Arbeitszeit dauert von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends im Sommer 207 ), von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Winter; in der Erntezeit dauert sie, solange man in der Scheune sehen kann, und für die Binder bis zum Taufall 208 ). Die Freizeit beträgt in der Ernte für Mensch und


205) Bei der neuen Regulierung des Dorfes Timmendorf 1750 wurde dem ganzen Dorfe eine Dienstfreiheit von 10 Jahren zugestanden.
206) Vol. 16, Poel, Generalia. Sie wurde vom Präsidenten des Tribunals, Grafen Putbus, entworfen.
207) Ihde gibt die Arbeitszeit im Amt Schwerin nach der Hofordnung von 1705 an als von 6 Uhr bis 7 Uhr abends dauernd, also eine Stunde länger. S. 78.
208) Diesen Passus mißbraucht Amtmann Jörns so, daß 1780 bestimmt werden muß, es sei keineswegs damit gemeint gewesen, daß in taulosen Nächten das Binden die ganze Nacht durch dauern solle. Der Passus wird ersetzt durch die Bestimmung: das Binden solle, es möge Tau fallen oder nicht, spätestens um Mitternacht geendet werden. Amt Poel, Vol. II, C-G.
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Vieh eine Stunde zu Mittag 209 ) und je 1/2 Stunde am Vormittag (Kleinen Mittag) und Nachmittag. Die Einfahrer und Fachgänger aber haben Frühstück und Vesper nur bei Gelegenheit ohne sonderliche Unterbrechung der Arbeit zu genießen. In der übrigen Zeit des Jahres ist nur eine Mittagspause vorgesehen, die für die Pferdeknechte und die Pferde zwei Stunden dauert, für die Beiboten jedoch nur eine Stunde. In der Dienstordnung von 1771 wird auch festgelegt, wieviel die Bauern an einem Diensttag beim Pflügen und Hacken schaffen sollen 210 ), und welche Wagenlast bei den Fuhren vorgeschrieben ist 211 ). Der Amtmann muß immer wieder ermahnt werden, daß das "Aufschwellenlassen der Dienste" gänzlich unerlaubt sei, das heißt, daß er nicht die Dienste im Winter oder zu andern arbeitsarmen Zeiten absagen und sie dann in der "hillen Zeit" nachdienen lassen darf. Es soll ein richtiges Register bei Hof geführt werden. Auch soll der Amtmann bei den Fuhren auf Weg und Wetter sehen als ein guter Hauswirt, daß nicht die Hausleute bei gar zu üblen Wegen ihr Vieh und Gerät zu Schaden bringen müssen 212 ).

Reisen über 10 Meilen von Poel darf der Amtmann nur mit Zustimmung der Bauern fordern. Eine Reise von zwei Meilen wird als ein Diensttag gerechnet.

d) Die Dienste der Käter und Büdner.

Die Käter und Büdner hatten bis etwa 1700 alle nur einen Diensttag in der Woche zu leisten. Um diese Zeit vergrößerte das Amt die Käter alle auf 12 Scheffel Saatacker, legte ihnen aber dafür drei Handdienste in der Woche auf. 1713 dienen sie in der Ernte täglich 213 ). Die Büdner hatten nur einen Hand-


209) Im Amt Schwerin in der Ernte 2 Stunden und ie 1/2 Stunde Frühstück und Vesper. Sonst auch 2 Stunden Mittag und keine andere Freizeit. Ihde, S. 78.
210) Von Frühjahr bis Galli (16. Oktober) sind 200 Quadratruten, von Galli bis Frühjahr 150 Quadratruten beim Pflügen und Hacken vorgeschrieben.
211) Beim Brennholz sollen sie 1/3 Faden Holz laden. (1771.)
Bei Kornfuhren sind 2 Drbt. Korn nach altem Brauch vorgeschrieben. (1754.) Bei der Rückfahrt sollen die Wagen unbeladen sein, wenn nicht gerade etwas aus Wismar mitzubringen ist.
212) Dienstordnung von 1771, Vol. 16, Poel, Generalia.
213) Vol. 10, Poel, Amtsregister. Harm Lembke, Käter in Kirchdorf, hat 12 Sch. Käteracker und dient dafür 3 Handtage und in der Ernte alle Tage. Außerdem hat er noch 14 Sch. vom wüsten Acker und gibt dafür 14 M. Heuer.
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dienst zu leisten, aber es werden auch ihnen noch Erntedienste auferlegt, deren Anzahl jedoch nicht überliefert ist.

Sehr hart in ihrer Existenz betroffen wurden die Käter und Büdner in Kirchdorf 1753, als ihnen bei der Einrichtung des Oertzenhofes der Acker, den sie in Heuer hatten, abgenommen wurde, und das Amt die Handdienste, als auf der Kate liegend, weiter verlangte. Da sie nun keinen Acker und kein Vieh mehr hatten, weigerten sie sich, Hofdienst zu leisten, sie müßten durch Tagelohn ihr Brot verdienen. Das Amt legte ihnen 1760, um die Dienste zu erzwingen, Exekution in die Häuser, der sie täglich 1 Rtlr. 16 (ß) zahlen mußten. Hierdurch wurde ihr Widerstand zermürbt, und in einem Vergleich kamen sie mit dem Amtmann Hennings überein, jährlich 2 Rtlr. 16 (ß) Dienstgeld zu zahlen und vier Erntedienste zu leisten 214 ). Daß dieses Dienstgeld viel zu hoch angesetzt war, spricht der Tribunalspräsident Klinckowström selber aus, wenn er 1790 sagt: Die Dienste der Büdner seien nach dem vorigen Lustrationsanschlag so unbillig angesetzt, daß sie fast alle an den Bettelstab geraten wären. Viele Büdner brachen daher in Kirchdorf ihre Büdnerei ab und wurden freiwillig zu Einliegern 215 ).

Die Einlieger waren vor 1702 dienstfrei gewesen. Seit diesem Jahr forderte das Amt gegen den Protest aller Hausleute vier Erntedienste von ihnen 216 ). Frei waren nur die Altenteiler, die bei ihren Kindern wohnten.

e) Die Ablösung der Hofdienste 1790.

In den Jahren 1789 und 1790 benutzten die Bauern und Büdner den Ablauf der Pacht des Amtmanns Jörns zu dem Antrag, daß die Hofdienste nunmehr ganz abgelöst werden sollten. Das schwedische Gouvernement willigt ein und schließt mit den Bauern einen Zeitpachtkontrakt auf 30 Jahre 217 ).


214) Vol. 7, Poel, Lübsche Dörfer. Welche Erbitterung gegen das Vorgehen des Amtes herrschte, geht aus folgender Anweisung für die Exekutionstruppen (Unteroffizier und 3 Mann) hervor: "Nach dem bisherigen Betragen der Kirchdorfer ist's möglich, daß die Execut. Mannschaft ... die Kirchdorfer versammelt vorfindet. Die Soldaten sollen sich zusammenhalten, daß kein Unglück geschehe und insonderheit von der Militairmannschaft keine zu Schaden komme."
215) Lustrationsanschlag von 1771 führt 5 Büdnereien als neuerlich abgebrochen auf. Kuhberg I, S. 75.
216) Als Rechtsgrund wird das Schutzrecht angegeben, weil in der Welt kein Mensch lebe, der nicht für Schutz etwas zu zahlen habe. Protokollbuch 1702.
217) Vol. 11, Poel, Verpachtungssachen.
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Sie werden befreit von allen andern Abgaben für Pacht und Ablager und von allen Wochendiensten und Erntediensten, und sie zahlen dafür 12 (ß) Pachtgeld je Sch. Aussaat. Es bleiben jedoch die Extradienste, nämlich die Fuhr- und Handdienste zu Kirchen- und Pfarrbauten, für Brücke und Mühle, und werden wie bisher nach der Hufenzahl verteilt. Die Extrafuhren für den Amtmann bei Neubauten auf dem Amtshof dagegen werden den Bauern von nun an bezahlt, und zwar mit 16 (ß) für eine Fuhre Holz mit vier Pferden. Die Käter und Büdner sollen dem Amt für jeden Handdiensttag 5 (ß) zahlen. Sie sollen aber Extrahanddienste bei den Bauten des Pächters leisten und außerdem müssen sie sich verpflichten, in der Ernte- und Saatzeit zwei Tage gegen Bezahlung zu dienen. (16 bzw. 12 (ß) je Tag.) Das Dienstgeld der Einlieger beträgt 6 (ß) je Diensttag. Von Witwen soll kein Naturaldienst verlangt werden.

4. Vergleich der Hofdienste auf Poel und in Mecklenburg.

Fassen wir die Nachrichten über die Hofdienste der Poeler Bauern zusammen, so ergibt sich:

Unter der Herrschaft der mecklenburgischen Herzöge waren im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts die Bauerndienste keineswegs leichter, im Gegenteil sogar beträchtlich schwerer, als es damals in Mecklenburg üblich war. Ihde und Maybaum stellen übereinstimmend für die Ämter Schwerin, Gadebusch und Grevesmühlen fest, daß dort vor 1655 nur zwei bis drei Spann-tage von den Hufnern, drei Handtage höchstens von den Kätern verlangt wurden 218 ). Dagegen haben die Bauern auf Poel schon 1615 wöchentlich zu dienen, so oft ihnen angesagt wird, zum wenigsten aber vier Tage in der Woche. Während die Bauern auf dem Festland gewöhnlich nur einen Knecht schickten, nur in Ausnahmefällen zwei Personen für jeden Spanndienst 219 ), verlangte der Herzog von den Poeler Bauern in der Erntezeit, daß sie täglich mit sechs Pferden und sechs Personen zum Hofdienst kommen sollten. Die Extradienste für den Schloßbau und die Befestigungen bei der Brücke waren vollends "ungemessen". Nichts deutet auf eine Besserstellung der Poeler Bauern.

Diese ist erst eingetreten nach der Abtretung Poels an Schweden 1648, und zwar speziell in der Zeit der Verpfändung des


218) Ihde, S. 76 und Maybaum, S. 178.
219) Maybaum, S. 179.
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Amtes zwischen 1648 und 1694. Während dieser entscheidenden Zeit wurde der Amtshof völlig vernachlässigt und zeitweise gar nicht bewirtschaftet; die Bauern sahen daher keinen Herrn über sich. Jn Anknüpfung an die Ablösung der Hofdienste, die Adolf Friedrich aus Geldnot 1639 vorübergehend verfügt hatte, bildete sich auf Poel ein Gewohnheitsrecht über die Art der Dienste aus, das 1694 auch vom schwedischen Gouvernement anerkannt wurde. Während also in Mecklenburg die Bauerndienste immer schärfer angespannt wurden und vielfach auf sechs Tage in der Woche anwuchsen 220 ), dazu der Gesindezwangsdienst auch auf die jüngeren Kinder der Bauern ausgedehnt wurde 221 ), sanken die Hofdienste der Poeler Bauern auf einen Tag in der Woche für jede Hufe, und auch diese Dienste konnten mit Bewilligung des Amtspächters durch 2 Drbt. Dienstgerste ersetzt werden. Die Dienstpflicht kam also im wesentlichen darauf hinaus, daß die Bauern einen Teil des Gesindes und des Zugviehes für den Hof zu halten hatten. Sie dienten gewöhnlich nicht selber, sondern schickten einen Knecht und einen Jungen, oder auch wohl ein Mädchen (unter Umständen erwachsene Kinder) auf Hofdienst, während sie selber den eigenen Acker bebauten 222 ).

IV. Das Bauernrecht.

1. Stellung der Bauern im Mittelalter.

a) Erbpacht und Erbzeitpacht.

Rudolf Ihde sagt über das Bauernrecht (Amt Schwerin, S. 128): "Die Frage über die Beschaffenheit dieses Rechtes ist soweit geklärt, daß man im Mittelalter auch nicht die geringste Spur von Leibeigenschaft bei den mecklenburgischen ländlichen Hintersassen findet. Ebenfalls haben sie ihre Güter nicht in Zeitpacht gehabt. Ein volles, freies, unbedingtes und unbeschränktes Eigentum ist ebenfalls ausgeschlossen, da es keinen Bauern ohne Grundherrn gibt. So bleibt als Besitzform nur eine Art von Erbzinsverhältnis übrig."


220) Vitense, S. 79.
221) Maybaum, S. 192.
222) Auch von einem "Bauernlegen", d. h. Verjagen der Bauern von ihrer Hufe gegen ihren Willen, kann auf Poel nicht gesprochen werden, wenn man nicht das Einziehen des Kirchdorfer Feldes, das die Käter dort seit Jahrzehnten in Heuer hatten, dazu rechnen will. Doch war die Heuer eine Zeitpacht und als solche rechtmäßig kündbar.
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Im allgemeinen ist dies auch für Poel völlig zutreffend. Ebenso läßt sich Ihdes Unterscheidung zwischen den beiden Formen des Erbzinsverhältnisses, der reinen Erbpacht und der Erbzeitpacht, verschiedentlich aus Poeler Urkunden bestätigen. Das gewöhnliche Rechtsverhältnis des Poeler Bauern zu seiner Hufe scheint die Erbpacht gewesen zu sein. Eine Urkunde von 1266 zeigt uns einen solchen Erbpachtvertrag des Grundherrn mit seinen Bauern 223 ). Das Johanniskloster Lübeck urkundet, daß die Bauern Nanne Kros, Gösecke, Herder Witte und die Witwe Gertrud für 20 M. das Wendfeld (wohl das spätere Wangern) auf Poel für ihre Lebenszeit und nach Erbrecht für ihre Kinder gekauft haben. Sie haben von dieser "Hereditas" dem Kloster jährlich vier Last Getreide zu zahlen. Die 20 M. sind wohl als Kaufgeld für die Hofwehr und vielleicht die Gebäude anzusehen, wenn es sich nicht um eine Neusiedlung handelt. Allem Anschein nach gehörte also auf Poel die Hofwehr den Bauern, wenigstens wenn sie in Erbpacht saßen; sie konnten sie jedoch nur mit Bewilligung des Grundherrn verkaufen.

Z. B. verpflichten sich die Brüder Kros, die ihre grundherrlichen Rechte an ihren Hufen an das HGH. verkauft haben, ihrem Grundherrn gegenüber, daß sie ihre "agriculturam" nur mit Wissen und Willen des Hospitals verkaufen wollen 224 ).

Auch in einem Erbzeitpachtvertrag des Lübecker Bürgers Johann Keyser mit seinem Pächter Nicolaus von Schünen heißt es ausdrücklich: Es sei bemerkt, daß alle Gebäude auf der Curia dem Nicolaus und seinen Erben gehören, außer einem Speicher, der dem Grundherrn gehören soll. Der Pächter zahlt für diese Gebäude 110 M. slav. ratenweise in Korn ab 225 ).

Eine Bestätigung für das Eigentumsrecht der Bauern an der Hofwehr bieten die Rechtszustände in den "lübischen Dörfern", wo sich bis zum 19. Jahrhundert die Zustände des 14. Jahrhunderts erhalten haben; den Bauern wird immer ein Eigentumsrecht an Gebäuden und Hofwehr vom HGH. zugestanden 226 ). In einem Erbpachtverhältnis war der einmal festgesetzte Hufenzins unveränderlich; die Bauern waren also vor Erhöhung und Kündigung seitens des Grundherrn sicher. Daher mußte bei jeder Veränderung die Zustimmung der Bauern ein-


223) M.U.B. 1098, 1266.
224) M.U.B. 7609, 1352.
225) M.U.B. 3446, 1311. Wie schon Maybaum, S. 33, Anm. 118, bemerkt, hat Ihde, S. 284, Anm. 117, diese Urkunde mißverstanden.
226) Vol. 7, "Lübische Dörfer".
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geholt werden. Es heißt z. B. in der Verkaufsurkunde der Dörfer Seedorf, Brandenhusen, Weitendorf und Wangern 1344: Die Bauern haben mit gutem und freiem Willen beschlossen, daß sie an Stelle der Bede außer dem gewohnten schuldigen Zins von jeder Hufe 2 M. an das Hospital geben wollen 227 ).

Hatte nicht der Bauer, sondern der Grundherr die Hereditas inne, so lag ein Erbzeitpachtverhältnis vor, in welchem die Erblichkeit des bäuerlichen Besitzes durch ein Kündigungsrecht des Grundherrn beschränkt wurde. Die Kirche versuchte verschiedentlich, die Hereditas ihrer Bauern zu erwerben, offenbar, um sie im Hufenzins steigern zu können. So heißt es 1264, das Domkapitel habe in einigen Hufen in Fährdorf die Hereditas und "facultatem habent huiusmodi hereditatem locandi, cum placuerit, pro ampliori". Beim Erbgang solcher Hufen wird anscheinend ein "Auflassegeld", wie es im 16. Jahrhundert heißt, gezahlt; in dem erwähnten Fall in Fährdorf waren es 6 Drbt. Hafer und Gerste 228 ).

Ein Beispiel dafür, daß auf Grund der Hereditas der Grundherr wirklich die Bauern kündigte oder erhöhte, liegt in den Akten nicht vor. In den späteren Jahrhunderten verwischte

sich der Unterschied zwischen Erbpacht und Erbzeitpacht anscheinend, und im 16. Jahrhundert galt die Erblichkeit als hauptsächliches Kennzeichen des bäuerlichen Besitzrechtes 229 ). Dabei wurde die Erhebung eines "Auflassegeldes" beim Erbgang aus dem Erbzeitpachtrecht in das allgemeine Bauernrecht übernommen und von allen Bauern gefordert 230 ).

b) Das bäuerliche Patriziat.

Ihde meint, die mecklenburgischen Bauern seien im Mittelalter zwar hintersässig, aber doch persönlich frei und Rechts-


227) M.U.B. 6469, 1344.
228) M.U.B. 980, 1263. G. Loy, "Der kirchliche Zehnt im Bistum Lübeck", S. 15, nennt diese Abgabe beim Erbgang, Nic. Sachow folgend, peremptio oder vorhure, meint aber, daß sie beim Wechseln des Grundherrn gezahlt worden sei.
229) Maybaum, S. 30.
230) Ihde glaubt anscheinend, ein Auflassegeld sei auch im 13. und 14. Jahrhundert bei allen Bauern gefordert worden, bezieht sich dabei aber auf eine Urkunde aus dem 16. Jahrhundert (S. 288, Anm. 151 und Text S. 131). In M.U.B. 980 wird die Zahlung der Gebühr beim Erbgang der Hufe ausdrücklich als Kennzeichen des Erbzeitpachtrechtes angegeben, in dem der Grundherr die Hereditas erworben hatte.
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subjekte, wie die Angehörigen der andern Stände; nur ständen sie mit Ihrem Landbesitz in dinglicher Abhängigkeit 231 ).

Prüft man die Poeler Urkunden des 13. und 14. Jahrhunderts, so kann man den obigen Satz sogar noch dahin erweitern, daß in gewissen Fällen selbst diese dingliche Abhängigkeit fehlen konnte. Es begegnen uns nämlich verschiedene bäuerliche Familien, die grundherrliche Rechte in Händen haben, Siegel mit Wappenschilden führen und sogar in adlige Familien hineinheiraten konnten. Das deutet daraufhin, daß es auf Poel eine gehobene Schicht wohlhabender und einflußreicher Bauernfamilien gegeben haben muß, die man vielleicht mit dem Ausdruck "bäuerliches Patriziat" am besten kennzeichnet. Ihre Berührung mit Wismarer Bürgern und Ratsherren wird in vielen Urkunden bezeugt. Es ist oft schwer zu unterscheiden, ob die in den Urkunden genannten Käufer, Verkäufer oder Stifter Bauern, Bürger oder Ritter waren. Überhaupt scheint es, als ob auf Poel die Grenzen zwischen den drei Ständen, dem Bauern-, Bürger- und Ritterstand, noch lange fließend gewesen sind, so daß ein Übergang. von einem zum andern nicht unmöglich war.

Die bisherige Forschung hat eine ähnliche Erscheinung in Mecklenburg nicht nachweisen können. Es fehlt daher leider an Vergleichen, aus denen das aus den Poeler Urkunden gewonnene Bild ergänzt und abgerundet werden könnte. Denn die Nachrichten über das, was oben erstmalig "bäuerliches Patriziat" genannt wurde, sind unvollständig und teilweise widerspruchsvoll, so daß hier nur der Versuch gemacht werden kann, sie in einen festen Zusammenhang zu bringen.

Reichhaltigere Quellen haben wir über die Familien: Abbo non Poel, die Kros in Wangern und Heinrich Holtorp in Uppenfelde; dazu kommen noch Nachrichten über die Schulzenfamilien Elers und Buck sowie verschiedene andere gelegentliche Hinweise.

aa) Abbo von Poel.

Für das 13. Jahrhundert seien die Nachrichten zusammengestellt, die uns über Abbo von Poel überliefert sind. Er kommt in nicht weniger als 20 Urkunden vor, teils als Zeuge, teils als Vertragspartner. Sehr häufig handelt es sich dabei um die Beurkundung von Stiftungen, die Abbo für Kirchen und Klöster macht und die zeigen, daß er ein ungewöhnlich


231) Ihde, S. 130.
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wohlhabender Mann gewesen sein muß. Er stiftet 68 M. für den Bau der Marienkirche in Wismar 232 ), 1 1/2 Hufen in Dammhusen für eine Messe in der neuen Kirche 233 ) und 60 M. für das HGH. und St. Jakob in Wismar 234 ). Den Klöstern Doberan und Cismar scheint Abbo Kapital geliehen zu haben; sie haben ihm beide eine Leibrente auszuzahlen, die nach seinem Tode an die Klöster zurückfallen soll 235 ). 1279 vermacht er dem Kloster Doberan alles, was er dort besitzt, in Gegenwart der Fürstin Anastasia, ihrer Ritter und Wismarer Bürger. Endlich bestimmt er vor seinem Tode (1280) noch, daß bestimmte Teile seiner Hinterlassenschaft von Wallfahrern mit ins Heilige Land genommen werden sollen 236 ).

Alle diese Nachrichten legen den Gedanken nahe, Abbo sei ein reicher Bürger von Wismar gewesen; die Bemerkung Wismarer Ratsherren "Abbo dictus de Pule noster concivis" im Anhang der Urkunde 1542 scheint diese Meinung zu bestätigen. Aber gerade diese Urkunde in Verbindung mit einigen andern zeigt Abbo als einen Poeler Eingesessenen, der in einem engeren Verhältnis zum Lübecker Domkapitel steht 237 ). In dem Verzeichnis der Einkünfte der bischöflichen Tafel bezeichnet das Domkapitel den Abbo ausdrücklich als einen alten Poeler Bauern ("Vetus colonus ilijus terrae") und befragt ihn wegen


232) M.U.B. 891 (zwischen 1260 und 1272).
233) M.U.B. 1310, 1272.
234) M.U.B. 1484, 1279.
235) M.U.B. 1365 und 1397.
236) M.U.B. 2074, 1290 übergeben die Wismarer Ratsmänner zwei Priestern die Habe Abbos von Poel, damit diese sie auf den Wunsch des Abbo nach Jerusalem bringen sollen. Sie haben also anscheinend erst 10 Jahre nach Abbos Tod die Gelegenheit gefunden, den Auftrag auszuführen.
237) Er kauft die "Heriditas" von 4 Hufen in Fährdorf für das Kapitel (M.U.B. 980, 1263) und in dessen Auftrag (nomine Capituli) 1264 eine Kornhebung in demselben Dorf, die nach seinem Tode an das Domkapitel fallen soll. (M.U.B. 1004, 1264.) Um diese Hebung handelt es sich in der vorerwähnten Urkunde 1542, da ihretwegen ein Streit zwischen dem Fürsten und dem Domkapitel ausbrach, der erst 1290 geschlichtet wurde.
(M.U.B. 1542, 1280. Abbo hat die Hebung dem Herzog Johann von Gadebusch zuwenden wollen, bereut es aber vor seinem Tode und findet Johann mit 40 M. ab, wenn er dem Kapitel die Hebung bestätigen will. Nach M.U.B. 1703, 1283 erkennt Anastasia das Versprechen Johanns nicht an; "Anastasia rapuit", klagt die Kirche 1283. Erst durch Vermittlung von Bischof Hermann v. Schwerin und Fürst Wizlaw v. Rügen erreicht sie 1290 in einem Vergleich die Bestätigung gegen weitere 60 M. slav. M.U.B. 2082.)
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der Zehntverhältnisse auf Poel 238 ). Abbo scheint zeitweise der Zehnteinnehmer für das Domkapitel gewesen zu sein. In dieser Rolle treffen wir ihn 1255 239 ). Er ist wegen der Zehnteinsammlung in Streit mit dem Domkapitel geraten und muß vor dem Fürsten Johann und dem Lübecker Bischof feierlich erklären, er habe kein Recht mehr, den Zehnt einzusammeln. Im laufenden Jahr soll er es noch einmal tun, die Zehnten aber richtig abliefern und nur Stroh und Spreu als Entgelt für seine Mühe behalten.

Als Poeler Bauer wird er noch durch eine andere Urkunde bezeugt. Abbo und seine Frau Adelheid und mit ihm eine ganze Reihe Poeler Bauern machen Stiftungen für die Poeler Kirche. Abbo gibt 2 Last Korn jährlich aus einer Hufe Papenhagen und 12 (ß) aus einer Hufe in Seedorf, Schulte aus Gollwitz gibt 6 Sch. Gerste aus einer freien Hufe, Joseph von Malchow 15 Sch., Conrad von Dotenberg 2 Drbt. aus Seedorf, Poppo de Brandenhusen 1 Drbt. aus zwei zehntfreien Hufen, Radolf Kros und seine Frau Thibe 1 Drbt. Gerste 240 ). Von allen diesen ist nur Conrad von Dotenberg ein Ritter, alle andern sind Bauern und Schulzen auf Poel. Die Aufzählung seiner Stiftung mitten unter denen der Bauern weist wieder daraufhin, daß die Stände noch nicht scharf gegeneinander abgegrenzt waren. Aus alledem geht hervor, daß der Bauer Abbo von Poel aus Fährdorf in seinen späteren Jahren Bürger von Wismar wurde und ein sehr beträchtliches bewegliches Vermögen besaß, daß er aber bis zuletzt seine Zinshufen in Fährdorf behielt, so daß ihn noch kurz vor seinem Tode 1280 das Domkapitel als "vetus colonus" bezeichnen kann 241 ). Er


238) M.U.B. 1554, um 1280.
239) M.U.B. 760.
240) M.U.B. 3668. Die Schenkungen sind uns nur durch die Bestätigung des Bischofs, des Fürsten Heinrich II. und der Anastasia bekannt (1314), müssen aber schon viel früher geschehen sein, da Abbo schon um 1280 gestorben ist. Auch sind die betr. Hebungen schon 1311 als Rente in Seedorf genannt, wie denn auch die Familie Dotenberg schon 1311 Seedorf an das HGH. abgetreten hat. (M.U.B. 4372.)
241) Man könnte einwenden, daß es sich bei den Nachrichten um zwei verschiedene Personen handele, die beide Abbo von Poel hießen und von denen der eine Bauer in Fährdorf, der andere aber Bürger in Wismar gewesen sei. Aber die Zusammenstellung der Urkunden ergibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich die Herausgeber des Urkundenbuches hierin geirrt hätten. Die Nachrichten greifen vielfach ineinander über; um zwei nacheinander lebende Personen kann es sich auf keinen Fall handeln.
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nimmt also eine seltsame Mittelstellung zwischen dem Bürger- und Bauernstand ein. Seine Geschäfte mit dem Domkapitel, seine Tätigkeit als Zehnterheber, seine Geldgeschäfte mit den Klöstern Doberan und Cismar zeigen ihn mehr als Kaufmann denn als Bauer und legen den Gedanken nahe, daß wir in ihm einen jener Unternehmer zu sehen haben, die als Lokatoren die Kolonisation in die Wege leiteten. Die Erwerbung seines Reichtums wäre dann aus seiner Siedlungstätigkeit erwachsen.

bb) Die Familie Kros.

Über die Familie Kros gibt es gleichfalls eine ganze Reihe von Urkunden. Von ihr erfahren wir zuverlässig, daß sie eine Bauernfamilie war, da ihr Erbpachtvertrag aus dem Jahre 1266 erhalten ist. Damals siedelte nämlich das Johanniskloster in Lübeck, das seit 1257 die Grundherrschaft in Timmendorf hatte 242 ), auf dem "Wendfeld" (wohl dem späteren Wangern) vier Bauernfamilien an, Nanne Kros, Gösecke, Herder Witte und die Witwe Gertrud. Sie erhalten die Stellen in Erbpacht und haben neben der Kaufsumme von 20 M. jährlich einen Zins von 4 Last Getreide zu zahlen 243 ). Ein Altenteilsvertrag, den die Söhne des Heinrich Kros 1338 mit ihrer Mutter schließen, entspricht durchaus denen, die uns aus dem 17. und 18. Jahrhundert für die Poeler Bauern vorliegen 244 ).

Daß die Familie mit zu den angesehensten Poeler Bauern gehörte, geht aus zwei weiteren Urkunden hervor, in denen Glieder der Familie an der Spitze der bäuerlichen Zeugen einen Vertrag des Poeler Pfarrers mit den Eingesessenen der Gemeinde beurkunden 245 ) und Stiftungen für die Poeler Kirche machen 246 ).

Ein Henning Krous de Thimmendorp tritt als Zeuge auf, um einfache Bürgschaft für den Bauern Nicolaus Elers in


242) M.U.B. 795, 1257.
243) M.U.B. 1098, 1266.
244) M.U.B. 5874.
245) M.U.B. 3264. Die Zeugenreihe beginnt mit den Rittern Heino Stralendorff und Nicolaus de Chutow, den Priestern der Anastasia Conradus de Wamekow und Thidericus Wucte, dem Vogt Willekinus und dem Camerarius Hermannus, beide "famuli", und dann folgen 4 bäuerliche Zeugen, Tymo Kros, Johannes de Weitendorp (wohl Johannes Elers, Schulze in Weitendorf), Nicolaus de Horreo und Hinricus de Goluitze (Schulze zu Ostergollwitz?)
246) M.U.B. 3668, 1314. Radolphus Kros und seine Frau Thibe stiften 1 Dr. Gerste. Über die Datierung der Stiftung siehe S. 72.
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Weitendorf zu leisten 247 ). Diese Urkunde ist deshalb interessant, weil sie die hohe Rechtsstellung der Poeler Bauern zeigt, da alle bäuerlichen Zeugen Siegel führen, und zwar nicht nur mit Hauszeichen, sondern mit förmlichen Wappenschilden. Die Schulzenfamilie Elers in Weitendorf führt einen Schild mit heraldicher Lilie mit drei Kugeln, die Brüder Schulten einen Schild mit drei Kugeln und drei Herzen, Henning Krous aber ein "redendes Wappen", d. h. ein Wappenbild, das sich auf den Namen bezieht, nämlich einen Schild mit drei Krügen 248 ).

(Kros = Krug 249 ).)

Ganz ungewöhnlich sind zwei andere Nachrichten, nach denen die Familie Kros nicht nur die Grundherrschaft in ihren eigenen Hufen erworben hatte, sondern sie sogar über andere Bauern ausübte.

Die erste diesbezügliche Urkunde stammt aus dem Jahre 1328. Die Brüder Radolf, Johannes und Heinrich Kros verkaufen an den Wismarer Bürger Heinrich Körnecke eine Hebung von 40 Dr. Korn in vier Hufen in Niendorf, die von den Bauern Nicolaus und Johannes Rorehovet und Johannes Vynke bebaut werden. Die Kros überlassen sie dem Heinrich Körnecke "so, wie die Güter dem Fürsten von Mecklenburg und Ihnen selbst gehört haben", und sie verkaufen auch das niedere


247) M.U.B. 6912, 1349.
248) M.U.B. 6912. Nicolaus Elers verkauft eine Hufe in Weitendorf an das HGH. Die Zeugen sind: seine Söhne Nicolaus und Heinrich (Siegel: Schild mit heraldischer Lilie und drei Kugeln), sein Bruder Johannes Eleri (Siegel wie vorher). Alle drei nennen sich auf den Siegeln: Weytendorp. Dann folgen ein Wismarer Bürger Johannes de Poele mit seinem Hauszeichen: (HZ1), Petrus de Malchow und Hennikinus. Uolrici, villanus in Malchow, die beide das gleiche Hauszeichen führen: (HZ2), Henningus Crous de Thimmendorpe (Siegel 3 Krüge) und endlich Nicolaus et Bertoldus fratres dicti Schulten: Nicolaus (Siegel: Schild mit rechter Spitze, darunter 3 Herzen), Berthold (Hauszeichen (HZ3)).
Lisch berichtet über dieses Recht der Bauern, Siegel mit Wappenschilden zu führen, im M.J.B. XV, S. 76 und M.J.B. XX, S. 139 und sagt: "Dies Beispiel ist bis jetzt ohnegleichen. Wenn auch die Bauern auf Poel wohl immer freier standen als andere Bauern ..., so ist doch ein zweites Beispiel von Siegeln mit Wappenschilden im Besitz von Bauern nicht bekannt geworden."
249) Vgl. Schiller-Lübben, Mnd. Wb.
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und mittlere Gericht und 1/3 des Hochgerichts für 350 M., reservieren sich aber die Bede und 2/3 des Hochgerichts 250 ).

Damit hätten sie also die volle Grundherrschaft in vier Hufen besessen. Daß diese Brüder Kros mit zu der Bauernfamilie in Wangern gehören, geht daraus hervor, daß sie dasselbe Wappen führen, den Schild mit den drei Krügen.

Endlich zeigt uns noch Urkunde 7609, daß die Bauernfamilie Kros auch die Grundherrschaft über die eigenen Hufen erworben hatte. Die Brüder und Vettern Kros verkaufen nämlich 1352 ihre drei Höfe in Wangern mit allem Eigentum, allen "Exactionen" und Freiheiten und der Bede, wie sie diese bis dahin gemeinsam oder geteilt gehabt haben. Zu den drei Höfen gehören acht Hufen, von denen jeder Hof ein Drittel Anteil hat, und dazu noch vier Katen, die anscheinend von Kätern bewohnt sind. Diese Grundherrschaft haben die Bauern von den Rittern Preen, Plessen und Stralendorff rechtmäßig erworben ("adepta juste sumus" statt richtig: "juste adepti sumus") und treten sie nun für die erstaunlich hohe Summe von 968 M. an das HGH. ab. Sie wollen aber selber auf den Höfen wohnen bleiben und einen jährlichen Zins von 1 Last Korn für jede Hufe und 2 M. Bede an das Hospital zahlen, also wieder in das Erbzinsverhältnis zurücktreten, in dem sie anscheinend vor dem Kauf der Grundherrschaft gestanden haben. Leider ist diese Kaufurkunde nicht erhalten, so daß sich nicht genau entscheiden läßt, wie weit noch die Ritter an der Grund-


250) M.U.B. 4887, 1328.
"... Radolphus, Johannes et Hynricus fratres dicti Krose vendiderunt pro trecentis marcis et quinquaginta marcis denariorum monete Lubicensis ... redditus annuos quadraginta tremodiorum annone ... in quatuor mansis ad villam Nygendorp in terra Pole sitis, discretis viris Hynrico Korneken, civi Wysmariensi, et ... et eisdem resignaverunt pro se et suis heredibus, sicud ipsis pertinebant, et warendare promiserunt annum et diem secundum consuetudinem terre generalem. Et nos, eisdem Hynrico et Frederico ... dimittimus redditus et conferimus cum omni proprietate libertate, cum iudicio sexaginta solidorum et infra et cum tercia parte majorisiudicii, uidelicet manus et colli, ... prout ipsa bona domino nostro Magnopolensi et suis progenitoribus ac nobis pertinuerunt ... Sed solummodo in sepedictis mansis nobis et nostris heredibus ... reservabimus duas partes majoris iudicii et precariam, ..."
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herrschaft teilhatten 251 ). Sie bestätigen jedenfalls den Verkauf und verzichten zugunsten des HGH. auf alle Ansprüche, erhalten aber dafür keinen Entgelt, so daß der Verzicht wohl nur eine formelle Sicherstellung des Hospitals gegen Ansprüche der Ritter bedeutete. Auch der Herzog bestätigt seinerseits den Vertrag und nennt dabei die Kros seine Getreuen, "fideles nostros dilectos", gebraucht also hier für die Bauern einen Titel, der sonst nur Rittern zukam 252 ). Auch dieser Titel zeigt die gehobene Stellung der Familien dieses "bäuerlichen Patriziats".

Eine spätere Urkunde, die von Streitigkeiten um diesen Verkauf von Wangern berichtet, zeigt die Familie in näherer Beziehung zu Wismar: "Nos Johannes Crous senior, Bertoldus Crous et Cros eius frater, necnon Johannes Crous iunior, civis in Wismer, salutem in domino". Also ist ein Sohn der Familie Wismarer Bürger geworden, während die andern wohl noch als Poeler Bauern zu denken sind. Die Zeugenliste weist die Namen zweier Ritter und zweier Wismarer Ratsherren auf 253 ). 1360 verkauft endlich die Familie Crus aus Timmendorf das restliche Grundstück in Wangern, "aream nostram ... cum omni proprietate, libertate, iure et conditione, sicut eam possedimus ...". Diesmal sind alle Zeugen Bürger und Ratsherrn aus Wismar 254 ). Ob die Bauernfamilie Kros, deren


251) M.U.B. 7609, 1352. Johannes, Henneke usw. Cros bezeugen: "prout dictas curias, mansos et kothas a strennuis Vickone acilicet de Stralendorpe, ... adeptaiustesumus. Et sicut prenarrate tres curie ... iam dictis militibus et famulis pariter et nobis hactenus pertinuerunt, ita prefatas curias ... in dictam domum et personas Sancti Spiritus transferimus in hiis scriptis, ita quod ipsos liberrime et perpetue possidebunt, memoratis militibus et famulis ... nichil iuris vel proprietatis optinentibus in eisdem nec in aliis eorum bonis in terra Pole situatis, eciam nos et nostri heredes in prefatis octo mansis nil plus habere debeamus, nisi quod nos et nostri heredes ipsos colere possimus et deinde censum debitum et consuetum ... dicte domui et personis dare tunc debeamus annuatim, et si huiusmodi agriculturam ad prefatas tres curias ... vendere temptaremus aut vellimus, extunc nullis personis eandem vendere debeamus nisi pleno et libero consensu .. provisorum domus Sancti Spiritus prenarrate mediante et eandem firmiter approbante."
252) M.U.B. 7610, 1352. Eine Ritterfamilie Kros kommt im M.U.B. nicht vor; vgl. Personenregister.
253) M.U.B. 8211, 1356.
Zeugenliste: Reymarus de Plessen de Barnekow, Heyno Berse (famuli), Hermannus Walmerstorp (proconsules civitatis Wismariae), Johannes Darghetzow.
254) M.U.B. 8741, 1360. Zeugen: Hinricus Elmehorst, consul, Degenhard Hegel und Werner Liskow, cives in Wismer.
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Namen sich 1360 schon zu Crus gewandelt hatte, in direkter Beziehung steht mit den Bürgerfamilien Cruse in Wismar und vor allem in Rostock, ist nicht sicher zu erweisen, da eine weitere Verwendung des charakteristischen Siegels nicht mehr bekannt ist 255 ).

cc) Heinrich Holtorp.

Zeigen die Urkunden über die Kros eine Bauernfamilie, die Grundherrschaft in Händen hat und anscheinend in den Bürgerstand übergeht, so hören wir aus den Urkunden über Heinrich Holtorp von dem Übergang eines Ritters in den Bauernstand. Er stammt aus einer Ritterfamilie, deren Glieder im 13. Jahrhundert verschiedentlich als Begleiter der Fürsten in den Zeugenlisten genannt werden 256 ). Er erscheint auf Poel zuerst als Zeuge in dem Altenteilsvertrag der Brüder Kros mit ihrer Mutter 1338 257 ). 1344 kauft er dann den Hof Uppenfelde von dem lübischen Ratsherrn Tiedemann von Güstrow und dessen Stiefsohn Johann Pleskow für 200 M. Er erwirbt zwar das niedere Gericht bis 12 (ß), das höhere Gericht und eine Rente von jährlich 30 M. aber behalten sich die Verkäufer vor 258 ) und stiften sie dann für eine Vikarie. Heinrich Holtorp hat also nicht die Grundherrschaft erworben und wurde dadurch zum Bauern. Daher heißt es in der Stiftungsurkunde der Vikareien 1347 auch einfach: 6 Hufen, die jetzt "colit et possidet Hinricus Holtorpe", der jährlich 30 M. zahlt 259 ).

1351 aber, als die lübischen Bürger als Grundherren von Uppenfelde Hochgericht und alle Freiheit von den Stralendorffs, Plessens und Preens erwerben, wird Heinrich Holtorp gar nicht namentlich erwähnt, sondern es wird nur von den "cultores dicte curie" gesprochen, die von aller Bedepflicht usw. gegenüber den Rittern befreit werden.

Der Hof Uppenfelde ist im Laufe des 15. Jahrhunderts ver-


255) M.U.B. XX, Personenregister, "Cruse".
256) Heinrich Holtorp als Ritter z. B. M.U.B. 3466, 4676, 6287 u. öfter.
257) M.U.B. 5874. Die Zeugenreihe: Henneke und Nicolaus Kroos , Johannes Kroos (als patruus), Hermann Lyskow (Bürger in Wismar), Henningus Kroos, filius Radolfi, Eylard de Rambowe, Sybern Molenstrate, Hinricus Holtorp. Der Vertrag wird vor dem Firsten Albrecht geschlossen und Hinricus de Holtorpe und sein Bruder Gheredes siegeln mit schildförmigen Siegeln mit zwei aus einer Wurzel kommenden Zweigen.
258) M.U.B. 6460.
259) M.U.B. 6734.
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schwunden; er ist kein Ritterhof geworden, sondern als Bauernhof mit dem Dorf Kirchdorf verschmolzen.

Es ergibt sich also, daß der Ritter Heinrich Holtorp in der gehobenen Schicht der Poeler Bauern aufging und sich nicht mehr von ihnen unterschied.

dd) Die Schulzen.

Neben den bisher behandelten Poeler Großbauern sind die Schulzen als Hauptvertreter des ländlichen Patriziats zu bezeichnen. Ihre Sonderstellung ist auch im übrigen Mecklenburg vielfach bezeugt und hat sich an einigen Orten bis ins 20. Jahrhundert hinein erhalten 260 ).

Auf Poel sind Erbschulzen nur für das 13. und 14. Jahrhundert, und zwar in Uppenfelde, Ostergollwitz, Malchow und Weitendorf, sicher belegt 261 ). Durch die grundlegende Arbeit von P. R. Kötschke über das Unternehmertum in der ostdeutschen Kolonisation des Mittelalters ist der Ursprung des Schulzenamtes in der Lokation aufgezeigt.

Das wichtigste Vorrecht der Schulzen waren eine oder auch zwei von allen Abgaben befreite Hufen 262 ), die ihnen neben ihren Pachthufen verliehen wurden. Für diese Hufen leisteten

sie den Schulzendienst, "servitium unius equi", der dem Roßdienst der Ritter entsprach, aber mit einem Pferde von minderem Wert als dem der Ritter geleistet wurde 263 ).


260) W. Blanck, Die Freischulzen im Lande Stargard, Meckl.-Strel. Geschichtsblätter, 5. Jahrgang, 1929.
261) Für Uppenfelde bezeugt M.U.B. 3089 und 3446. Für Malchow bezeugt M.U.B. 5033, 5031, 5866 und 4257. Für Ostergollwitz bezeugt M.U.B. 3839, 4924, 5671. Für Weitendorf bezeugt M.U.B. 5869 und 6208. Im Jahre 1318, M.U.B. 4025, bei dem Verkauf der Insel wird angegeben, daß die Insel 3 1/2 Roßdienste (Ritterdienste), und 3 Pferdedienste zu leisten habe. Die drei Pferdedienste sind mit dem "servitium unius equi" der Schulzen identisch. 3 Schulzen haben also ihre Dienste noch zu leisten. Der Schulzendienst von Uppenfelde ist auch 1294 schon durch eine Hebung von 2 Drbt. Roggen abgelöst worden. M.U.B. 2297.
262) Der Schulze in Weitendorf hatte sogar 3 Hufen frei von Abgaben, davon waren 2 mit dem Schulzendienst belastet. M.U.B. 4433.
263) Ihde, S. 290. Irgendwelche Nachrichten über Kriegsdienste der Schulzen sind für Poel nicht überliefert. Der Schulzendienst wurde hier schon früh abgelöst, erst durch Naturalabgaben, dann durch eine Geldhebung. Die Ablösungssumme ist verschieden. Der Schulzendienst in Ostergollwitz ist 1328 (M.U.B. 4924) durch eine jährliche Hebung von 1 Drbt. Roggen ersetzt. In Weitendorf wird die Ablösungssumme 1323 in Geld gezahlt; 3 M. gibt Johannes Schultetus für die 2 Hufen zum "servitium unius equi". M.U.B. 5869, 1323.
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Die Schulzen erscheinen häufig als Zeugen in Urkunden, sie vor allem machen die Stiftungen. Die beiden Siegel mit Wappenschilden, die uns neben denen der Kros bekannt geworden sind, werden von Schulzen geführt 264 ). Als Vorsteher der Gemeinde und zugleich als Exekutivorgane des Amtes waren sie ohne weiteres eine Stufe höher gestellt als die Masse der Bauern. Für ihre Freihufen hatten sie ja selber die Grundherrschaft inne, anscheinend auch die Gerichtsbarkeit, denn 1329, beim Verkauf der hohen und mittleren Gerichtsbarkeit in Malchow, wurde eine Hufe des Bertoldus Schulteti ausgenommen, die zum Schulzenacker gehörte und deren " cultor" für Vergehen innerhalb der Hufe nicht zum Gericht des Domkapitels zu kommen brauchte 265 ). Ebenso hat der Schulze in Weitendorf das Gericht von 60 (ß), also das mittlere Gericht, inne 266 ). Über die andern Dorfinsassen wird den Schulzen vielfach auch das niederste Gericht zugestanden haben 267 ).

ee) Die Schulzenfamilie Elers.

Genauere Nachrichten haben wir über die Schulzenfamilie Elers in Weitendorf. Es ist interessant zu verfolgen, wie sie allmählich an Land und Einfluß gewinnt und schließlich in die Reihen des Adels tritt.

1323 sind die 12 1/2 Hufen in Weitendorf fast ausschließlich im Besitz der Familie. Johannes dictus schultetus hat davon fünf Hufen (zwei Zinshufen, eine Hufe frei vom Zins "vom Herrn Bischof" und zwei Hufen mit der Abgabe von 3 M. für das "servitium unius equi"). Nicolaus Eleri hat vier Hufen, Johannes Eleri hat zwei Hufen. Nur ein Hof von 1 1/2 Hufen gehört in dem Dorf noch einem andern Bauern 268 ).

In der nächsten Generation nennt sich der Schulze Johann von Weitendorf, und seine Gattin stammt aus der ritterlichen Familie des Boidewin von Kartlow 269 ). Sie verkauft 1342 nach seinem Tode die beiden freien Hufen und eine Zinshufe an das HGH. Lübeck mit allen Rechten, Einkünften und dem niederen und dem mittleren Gericht von 60 (ß) 269 ).


264) Vgl. S. 74. Die Hauszeichen und Wappenschilde der Urkunde 6912, 1349.
265) M.U.B. 5033. Das Recht der Schulzen auf Niedergerichtsbarkeit innerhalb der eigenen Hufen ist auch sonst für Mecklenburg belegt, wenn auch nur selten. Z. B. M.U.B. 6208, 1342, M.U.B. 11 193, 1379. Vgl. Maybaum, S. 51.
266) M.U.B. 5869, 1323.
267) Maybaum, S. 47.
268) M.U.B. 4433.
269) M.U.B. 6208, 1342.
269) M.U.B. 6208, 1342.
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Daß aber auch seine Brüder oder Vettern, die als Bauern in demselben Dorf saßen, mit zum bäuerlichen Patriziat gehörten, geht daraus hervor, daß auch sie förmliche Wappenschilde führten 270 ). Nicolaus Elers, der ausdrücklich "villanus", Bauer, genannt wird, hat ebenfalls die Grundherrschaft, wenigstens in einer Hufe, inne, die er 1349 an das HGH. "cum omni utilitate, commoditate ac singulis suis pertinenciis .. sicuti mihi hactenus pertinebat", verkauft und dafür den Preis von 107 M. erhält. Ob er als Zinsbauer auf der Stelle blieb, wie die Brüder Kros, wird nicht gesagt 271 ). Es bürgen für ihn neun "Freunde und Verwandte" 272 ), Schulzen und Bauern von Poel und ein Wismarer Bürger, und fast alle benutzen ihre eigenen Siegel mit Hauszeichen und Wappen.

ff) Die Schulzenfamilie Buck.

Noch ein zweites Mal hören wir, daß die vollen grundherrlichen Rechte an einem Schulzenhof dem Bebauer selbst verkauft werden. Im Jahre 1386 kaufen die Brüder Bertold und Kurd Buck für 400 M. einen Hof auf Poel, "den (de) schulte wandaghes beseten hadde, als de hoff und dat god belegen is in siner schede". Sie erwerben ihn mit allen Rechten, aller Pacht und Gerichtsbarkeit, frei von allen Diensten und mit freiem Veräußerungsrecht 273 ). Daß diese Brüder Buck nicht nur die Grundherrschaft erwarben, sondern daß sie den Hof auch selbst bebauten, geht aus einer Urkunde aus dem Jahre 1387 hervor. Sie nehmen hierin eine Rente von 10 M. auf ihren Hof auf, vielleicht, um die hohe Kaufsumme bezahlen zu können 274 ). Eine Rente auf den Hof aufnehmen konnte aber natürlich nur der Bauer selber, nicht der Grundherr, wenn nicht, wie in diesem Falle, beide identisch waren 275 ).

Die erworbenen Freiheiten des Hofes dauern bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges an. Ob jedoch dieser wirt-


270) M.U.B. 6912, 1349.
271) M.U.B. 6912, 1349.
272) Dies ist die Formel, die im 18. Jahrhundert für die Bürgen bei Erbschichtungsverträgen und dergleichen benutzt wird.
273) M.U.B. 11 767.
274) M.U.B. 11 860.
275) Die Aufnahme von Renten durch die Bauern kommt häufiger vor, z. B. M.U.B. 10 338. Ein Bauer Johann Yesoph aus Kirchdorf nimmt 1372 mit Zustimmung seines Grundherrn eine Hypothek auf seinen Hof auf, indem er dem Domkapitel 3 M. Rente für eine Memorie verkauft. Fast alle Vikarien und Memorien sind auf diese Weise unterhalten worden.
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schaftlichen und rechtlichen Vorrangstellung noch irgendwelche Amtsgeschäfte entsprachen, ist fraglich. Schon in dieser Verkaufsurkunde sind keinerlei besondere Schulzenpflichten erwähnt.

gg) Ergebnisse.

Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so können wir sagen, daß die Grenzen zwischen den Ständen auf Poel im 13. und 14. Jahrhundert nicht so starr und fest gewesen sind, wie man bisher für mecklenburgische Verhältnisse im allgemeinen annahm.

Neben den eigentlichen Schulzen, deren Mittelstellung zwischen ritterlichem Lehnsmann und Bauer schon Witte betont 276 ), scheinen auf Poel noch einige andere Bauernfamilien auf Grund ihrer Wohlhabenheit und ihres persönlichen Ansehens eine gehobene Stellung innegehabt zu haben. Sie erwerben und verkaufen grundherrliche Rechte an ihren Hufen und sogar an denen anderer Bauern. Sie machen ungewöhnlich umfangreiche Stiftungen und verleihen Kapitalien. Sie siegeln Verträge mit eigenen Hauszeichen und sogar mit förmlichen Wappen. Sie können Bede und Gerichtsbarkeit erwerben und haben in einem Falle sogar das Hochgericht in Händen.

Es fragt sich nun, ob Poel hierin eine Sonderstellung innerhalb Mecklenburgs einnimmt, oder ob sich auch für andere Teile des Landes ähnliche Verhältnisse nachweisen lassen. Für domaniales und ritterschaftliches Gebiet liegen ja in den Arbeiten von Ihde und Maybaum gründliche Forschungen vor, die jedoch eine so weitgehende Selbständigkeit der Bauern nirgends zeigen. Eine spezielle Arbeit über geistliche und städtische Grundherrschaften fehlt bis jetzt noch und mag in dieser Frage bessere Ergebnisse zeitigen können. Denn überall dort, wo Korporationen Grundherren waren und ein rein persönliches Interesse nicht über der strengen Innehaltung der


276) Witte, Meckl. Geschichte I, S. 131.
"Die Lokatoren waren, wenn sie nur in einem kleineren Orte die Freihufen in Händen behielten, dort die geborenen Schulzen. Gelang ihnen dies aber in einem größeren oder gar in mehreren Orten, so traten sie damit sogleich in den Kreis der Großgrundbesitzer. Ihr Übergang in den Adelsstand vollzog sich danach ganz von selber."
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Rechtsverhältnisse wachte, konnte sich ein freieres Leben entfalten und durch Gewohnheit altes Recht lockern und umgestalten.

Auf Poel hat sich niemals ein Ritterstand entwickelt. Die gesamtbelehnten Familien Plessen, Preen und Stralendorff wohnten nicht auf Poel und hatten nur ein finanzielles Interesse an der Poeler Grundherrschaft. Sie verkauften ihre Rechte daher, sobald sich eine günstige Gelegenheit bot, seien die Käufer nun Geistliche, Bürger oder auch Bauern. Auch die lübische Kirche übte stets eine milde Grundherrschaft aus und kümmerte sich wenig um ihre Besitzungen, solange die Geld- und Kornpacht regelmäßig einging. So waren die Bauern weitgehend sich selbst überlassen und gewannen Wohlstand und Selbstbewußtsein.

Inwieweit nun dies durch Gewohnheitsrecht entstandene "bäuerliche Patriziat" den Charakter eines wirklichen Standes annahm, ob es auf fester rechtlicher Grundlage stand, und welcher Art diese im einzelnen war, können wir aus den vorliegenden Quellen nicht entscheiden. Dazu müßten größere Gebiete erfaßt werden. Vorläufig scheint das "bäuerliche Patriziat" in einer Art von Übergangsstellung zwischen dem Bauern und dem Bürger oder zwischen dem Bauern und dem Ritter zu sein.

2. Stellung des Bauern in der Neuzeit.

a) Das Absinken des bäuerlichen Rechtes im 15. und 16. Jahrhundert.

Das rechtliche Absinken der mecklenburgischen Bauern von freien Erbzinsleuten zu Hörigen, die an ihre Scholle mit Gewalt gebunden waren, ist in der Hauptsache die Folge ihres wirtschaftlichen Niederganges im 15. Jahrhundert.

Die schlimmste Verheerung des Bauernstandes vor dem Dreißigjährigen Kriege fällt ins 15. Jahrhundert, so daß man mit Recht sagen kann, dies Jahrhundert sei ein Vorspiel des Dreißigjährigen Krieges 277 ). Es ist für Mecklenburg eine Zeit des furchtbarsten wirtschaftlichen Rückganges und das klassische Jahrhundert der Fehden und des Raubrittertums. Die schwerste Last der Plünderungen und Brandschatzungen hatte natürlich der Bauer zu tragen, der schutzlos der Willkür preisgegeben war.


277) Witte, Meckl. Geschichte I, S. 245.
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Die unmittelbare Folge davon war die wachsende Verschuldung der Bauern an die Kaufleute der Städte und auch an ihre Grundherren. Von der Verschuldung der Poeler Bauern gibt nachstehende Aufstellung ein anschauliches Bild.

Jaspar Lemmeke hat zwei Hufen in Fährdorf und gibt davon Ende des 15. Jahrhunderts 278 ):

  2 M. Bede,
13 M. Pacht an die Bassewitz,
  4 M. an einen Bürger zu Wismar,
  3 M. an Jochen Smede in Wismar,
  3 M. an Meister Johann Draken zu Wismar,
  3 M. an einen Bürger in Wismar zu geistlicher Pacht,
  1 M. an einen Bürger in Wismar zu geistlicher Pacht,
  -----
29 M. = 464 (ß) oder 116-154 Sch. Roggen 279 ).

Der Bauer hat also mehr an Zinsen jährlich zu zahlen, als die ganze Pacht für seine Hufen beträgt, da er Kapitalien von den Wismarschen Kaufleuten hat aufleihen müssen.

Je schlechter die wirtschaftliche Lage der Bauern sich gestaltete und je weniger Eigentum sie bei ihrem Hofe festhielt, desto häufiger wurden die Fälle, in denen die Bauern ihre Stelle im Stich ließen und "verliefen". Leider fehlt ein Verzeichnis der besetzten und wüsten Hufen auf Poel für das 15. Jahrhundert ganz, doch hören wir immer wieder, daß Höfe wüste geworden sind und ihr Acker von andern Bauern bearbeitet wird. Nach bäuerlichen Zeugenaussagen 1582 war es im 15. Jahrhundert üblich, daß wüste Hufen von den andern Bauern in Besitz genommen und beackert wurden. "Was jeder gepflügt hat, hat er als Eigen angesehen." Diesen wüsten Acker nahm aber dann der Herzog in Besitz und legte ihn zu einem Bauhof. Damit wuchsen die Dienste und verschlechterte sich wiederum die wirtschaftliche Lage der Bauern. Wollten sie aber jetzt verlaufen, so hielt sie der Grundherr als die unentbehrlichen Arbeitskräfte fest. Schon im 15. Jahrhundert werden die ersten Auslieferungsverträge zwischen Mecklenburg und Pommern geschlossen, und die Zeit der Erbuntertänigkeit der Bauern beginnt. Durch die noch höher angespannten Dienste während des Schloßbaus 1614-18 und die darauffolgenden Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges, die Poel als Festungsvorge-


278) Amt Poel, 10 Pächte.
279) Maybaum gibt den Preis von 1 Sch. Roggen um 1480 auf 3-4 (ß) an.
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lände hart mitnehmen, sinken die Bauern vollends in wirtschaftliche Not und rechtliche Abhängigkeit herab.

Diesen Rechtszerfall können wir in einem Falle genauer verfolgen. Der Schulzenhof, den die Brüder Buck 1386 mit allen Freiheiten gekauft hatten 280 ), bewahrte sein Vorrecht der Dienstfreiheit bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein. Als aber 1645 der Hof im Kriege zerstört wurde, benutzte der Herzog die Notlage der Witwe Margarete Schultze, um sie zur Übernahme der Dienste zu zwingen. Sie beruft sich vergebens auf die Verkaufsurkunde, in der ihre Befreiung festgelegt ist, und bezeugt, daß ihr Mann den Hof stets frei von allen Diensten bewohnt habe. Fast höhnisch klingt die abschlägige Antwort des Herzogs: Die Ratgeber der Witwe hätten ihr einen schlechten Dienst erwiesen, wenn sie "der armen blöden Frau . . . mit einem löchrichten, nichts mehr gültigen Briefe", der von den Herzögen "niemals confirmieret, sonderliche Freiheiten hätten imaginieren und einbilden" wollen. Er setzt ihr zwar persönlich noch eine kleine Rente aus, der Hof aber wird mit Diensten belegt 281 ).

Wäre Poel nach dem großen Kriege bei Mecklenburg geblieben und der Kaltenhof wie die übrigen Amtshöfe ausgebaut worden, so hätten die Poeler Bauern mit Sicherheit das Schicksal ihrer Standesgenossen in Mecklenburg geteilt und wären der Leibeigenschaft unterworfen worden. Bezeichnete sich doch der Hauswirt Runge in seiner Petition um die Rückgabe seiner Stelle am 23. Juni 1625 schon als "armer leibeigener Mann" 282 ).

Eine offizielle Festlegung der Leibeigenschaft erfolgte aber noch nicht, und die Gesindeordnungen von Jahre 1645 und 1654 283 ), die eine rechtliche Anerkennung des "Land- und Fürstentums-Gebrauchs der Knecht- und Leibeigenschaft" bringt, wirkten sich auf Poel nicht mehr aus, da es 1648 an Schweden abgetreten wurde.


280) M.U.B. 11 767, 1386, siehe S. 80.
281) Amt Poel, Katen- und Hofstellen, Archiv Schwerin. Leider ist nicht zu ersehen, um welchen Hof es sich dabei handelt. Am wahrscheinlichsten ist es mir, daß es der spätere Schwartzenhof war. Auf diesem Hof saß später der Oberschulze, der sein Amt bis 1703 ausübte und dafür dienstfrei war. Der Bescheid des Herzogs wäre dann durch den Übergang Poels an Schweden überholt worden.
282) Kuhberg, S. 45.
283) Maybaum, S. 191 und 192.
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b) Die Freiheit von der Leibeigenschaft unter schwedischer Herrschaft.

Auch die Annahme, daß die Poeler Bauern der Einsicht des Schwedischen Gouvernements ihre Freiheit von der Leibeigenschaft verdankten, ist irrig. Jacobs berichtet vom Amt Neukloster, daß dort die Leibeigenschaft genau wie im benachbarten Mecklenburg durchgeführt worden ist, und für die Verhältnisse in Schwedisch-Vorpommern haben wir die klassische Schilderung von Ernst Moritz Arndt.

Die Poeler Bauern verdanken ihre Freiheit vielmehr dem Umstande, daß sie während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in den entscheidenden Zeiten nach dem großen Kriege, gar keine Obrigkeit hatten 284 ). Durch die Verpfändung des Amtes an den Grafen Steinberg verlor das Gouvernement die Zugriffsmöglichkeit, und jener kümmerte sich kaum um Poel, so daß Verwalter nur selten auf dem Kaltenhof waren und auch dann die Dinge treiben ließen, wie sie wollten. Die erste Folge davon war, daß die Poeler Bauern und Käter beim Wiederaufbau ihrer Höfe keine Unterstützung durch das Amt erhielten, sondern aus eigenen Mitteln sich wieder einrichten mußten. Sie behielten also, im Gegensatz zu den meisten mecklenburgischen Bauern, ihre Hofwehr und die Gebäude als unbestrittenes Eigentum 285 ). Sie bauten und reparierten ihre Gebäude selber und hatten daher auch das Recht des freien Verkaufs.

Sodann wurden die wüstgelegten Hufen nicht vom Amt eingezogen und zur Vergrößerung des Hoflandes benutzt, sondern die Bauern, die noch einigermaßen mit Vieh und Arbeitskräften versehen waren, legten sich die herrenlosen Hufen zu und beackerten sie. Dadurch wurden die Bauernstellen, die schon vorher verhältnismäßig groß gewesen waren, noch weiter vergrößert, und die Reihe der Großbauern wuchs, die wirtschaftlich fähig waren, ihre Ansprüche durchzufechten.

Ausschlaggebend für die rechtliche Stellung der Bauern aber war wohl das Beispiel der vier lübischen Dörfer, die sich ihre freie Stellung vom 14. Jahrhundert her bewahrt hatten 286 ).


284) Vgl. S. 26.
285) So sagen die lübischen Bauern 1752: "alle Bewohner der Gehöfte auf der Insel Poel, schwedischen und lübischen Anteils, seien von unvordenklichen Jahren her freye Leute gewesen, denen die Gehöfte erb- und eigenthümlich zugehörten."
286) Auch in den späteren Jahrhunderten berufen sich bei Streitigkeiten immer die "schwedischen Bauern" auf die "lübischen", und umgekehrt.
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Jedenfalls erkennt 1694 das schwedische Gouvernement die Freiheit der Bauern an, und es heißt in dem Pachtvertrag des Landrentmeisters Steeb für den Kaltenhof 287 ): "weil die sämtlichen Bauern in den Pohlischen Amtsdörfern freye Leute und außer den Pachtgeldern, Dienst und Abläger Korn an das Ambt weiteres nicht abzutragen, viel weniger zu einigen Hofdiensten, außer waß sie etwa ein- oder andermahl frey und guhtwillig thun möchten, anzustrengen sindt, so hat er sich dabey zu halten und denselben ein mehreres, als bishero gewohnt, nicht aufzubürden."

In der Beschreibung des Amts Poel 1705 288 ) wird gesagt, daß Poel von freien Leuten bewohnt werde, die auf ihren Höfen das "Mayerrecht" hätten und dieses an ihre Erben weitergäben.

Noch näher wird das Recht der Hausleute an ihren Hufen in dem Pfandvertrag mit der Stadt Wismar 1712 289 ) definiert: "Wie aber bekandt, daß die in diesen Dörffern sich befindenden Einwohner freye Leuthe seyn, auch die Häuser, Vieh und Fahrniß denenselben eigenthumblich zustehen und also in so weit die Casus Fortuiti dieselben billig treffen, so versprechen doch Gläubigern, darauf acht zu geben, daß die Hausleuthe Ihre Häusser als gute Hauswirthe bewohnen."

Hofrat Bouchholz stellte in seinem Rechtsgutachten 1826 290 ) die Rechte und Pflichten, die mit den Poeler Hausmannsstellen verknüpft waren, wie folgt zusammen:

Die Bauern waren Eigentümer der Gebäude und Inventare und hatten ein dingliches Recht an dem Acker der Hufen. Geld- und Naturalabgaben waren ein fester Kanon und der Erhöhung nicht fähig. Die Hausleute konnten Hypotheken auf ihre Stellen aufnehmen, sie mit Einwilligung des Amtes verkaufen und im Konkurs veräußern. Die Stellen wurden nach dem Intestaterbrecht von den Hausleuten an ihre Kinder vererbt.

Die Rechte des Grundherrn aber bestanden darin, daß er die festgesetzten Hofdienste und die pünktliche Bezahlung von Pacht, Steuern und Abgaben und die Leistung der Gemeindelasten und Extradienste fordern durfte. Leisteten die Bauern ihre Abgaben


287) Inventarium Nr. 503.
288) Inventarium Nr. 465.
289) Inventarium Nr. 512.
290) Acta Generalia betr. der Regulierung der Feldmarken auf der Insel Poel, 1828, Vol. III.
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und Dienste nicht, so konnten sie abgemeiert werden 291 ). Der Grundherr hatte bei Verkäufen der Hufen das Vorkaufsrecht, und alle Verpachtungen, Verpfändungen, Verkäufe bedurften seiner Genehmigung.

Auch die Käter, Büdner und Einlieger sowie die Knechte und Mägde auf Poel waren persönlich frei 292 ). Bei einem Streit mit dem Amtmann Jörns wegen schlechter Behandlung der Hofgänger sagen die Bauern, die Leute wollten nicht zu Hofdienst gehen 293 ); sie hätten sie "als freye Leute, die keine Unterthanen von uns sind, wegen ungebührlicher und ausdrücklich verbotener strenger Bestrafung des Amtsschreibers auf keine Art (zur Arbeit) bringen können ..."

Die Käter hatten Eigentumsrecht an ihrem Katen und vererbten ihn und verkauften ihn, ebenso die Büdner 294 ). Diese führen auch wie die Hausleute Hausmarken, die durchaus denen aus dem 14. Jahrhundert entsprechen 295 ).

Wegen seiner Freiheit von der Leibeigenschaft war Poel natürlich ein beliebter Zufluchtsort für entflohene Leibeigene aus Mecklenburg und Holstein. "Nachdem die Insel Poel dafür berüchtigt ist, daß sich dahin oftmahlen Übelthäter, loses Gesindel und in sonderheit anderorts entlaufene Erbunterthanen retirieren, Aufenthalt und Verbergung finden und wohl weiter geholfen werden, solche Verheelung und Überhelfung aber nicht zu dulden stehet", wird 1753 allen Bauern, Kätern und Büdnern durch eine von der Kanzel verlesene Anordnung bei Strafe


291) Eine Abmeierung aus diesem Grunde ist meines Wissens nicht vorgekommen.
292) Vereinzelte Fälle kamen vor, in denen Formen der Leibeigenschaft auf Poeler Verhältnisse übertragen werden, z. B. wird 1684 der entwichene Büdner Eickelberg zwangsweise wieder auf seine Stelle zurückgeführt. Bei Auslieferung entflohener Leibeigener aus Mecklenburg unterschrieb der betreffende Gutsherr zuweilen den Revers, "daß, wenn ein Königlicher Unterthan sollte entlaufen und bei ihm sich einfinden, er solchen auf geschehene Requisition auch gratis wollte abfolgen lassen." Protokollbuch 1684 bzw. 1734. Solche Fälle sind aber vereinzelt und widersprechen durchaus der üblichen Auffassung.
293) Amt Poel, Vol. II, 1775.
294) Freier Verkauf einer Katenstelle in einem rechtsbeständigen Katen-Kauf-Kontrakt 1750 von Paul Säger und Hinrich Lütge. Der Käufer führt dabei ein eigenes Hauszeichen (HZ4). Anlagen des Protokollbuches 1750.
295) Über den Gebrauch der Hausmarken auf Poel vgl. den Aufsatz von Lisch im M.J.B. XX, S. 131.
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verboten, entlaufene Leibeigene in Dienst zu nehmen 296 ). Es bestanden Auslieferungsverträge zwischen dem König von Schweden und dem Herzog von Mecklenburg, wie einer in der Anlage zum Protokollbuch vom 22. Oktober 1759 vorliegt, und der Präsident des Tribunals in Wismar, Baron Höpken, sagt 1779: "Ich habe seit meinem Hiersein mehr als 100, theils Mecklenburgische, theils Hollsteinsche entwichene unterthänige Leute auf die bloße Anzeige abfolgen lassen. So ist allen, welche die Insel Poel und deren Einwohner kennen, schon bekandt, daß dergl. Expeditiones zu keiner andern (als zur Nachtzeit) geschehen können, indem, sobald sich nur die königl. Wache auf der Brücke bei Tage blicken läßt, . sich alle (Leibeigenen) theils auf der lnsel verstecken, theils auch sich in das erste beste Boot werfen, . um sich auf die See zu retten" 297 ).

c) Das Poeler Erbrecht im 17. und 18. Jahrhundert.
aa) Das Anerbenrecht.

Über das Poeler Erbrecht ist uns reiches Material durch die Protokollbücher und die in den Anlagen dazu enthaltenen Ehekontrakte, Interimskontakte und Gehöftsabtretungen überliefert. Im 19. Jahrhundert sind verschiedene Zusammenstellungen von Amts wegen erfolgt, die das Material weitgehend gesichtet haben 298 ).

Die Poeler Hausmannsstellen wurden vielfach durch Jahrhunderte in der Familie weitervererbt 299 ). Die Stellen waren unteilbar, und sie sollten eigentlich auch nicht zu größeren Komplexen zusammengekauft werden, wenn es auch in Kriegszeiten


296) Anlagen des Protokollbuches 1753.
297) Lübecker Senatsakten Ecclestiastica H. z. h. G., Vol. F, Fasc. I.
298) Am wichtigsten für das folgende Kapitel war die Zusammenstellung von Kuhberg, der 1859 ein ausführliches Gutachten: "Geschichte von Amt und Insel Poel" für das Amt verfertigte. (Jetzt auf dem Landratsamt in Wismar, handschriftlich.)
299) Die Familie Lembke in Fährdorf z. B. ist schon 1519 auf ihrer Stelle genannt, die sich immer von Vater auf Sohn fortgeerbt hat. Dasselbe ist bei sehr vielen andern Familien der Fall, nur ist der Nachweis schwierig, da die Namen Evers, Steinhagen, Lembke so außerordentlich häufig auf der Insel vorkommen, und die Verwandtschaft meist nur bis 1700 nachgewiesen werden kann, da die früheren Kirchenbücher verbrannt sind.
Vgl. Willgeroth, Beiträge zur Poeler Familiengeschichte.
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häufig genug vorkam, daß wüst gewordene Höfe nicht wieder zu besetzen waren und ihr Acker darum dem der Nachbarn zugelegt wurde.

Das schwedische Amtsgericht achtete schon im Interesse des Amtshofes darauf, daß die Bauernstellen nicht verändert wurden, da sonst Schwierigkeiten wegen der Hofdienste entstanden wären. So wachte es selber darüber, daß das Anerbengericht und die damit verbundenen Einrichtungen der Abfindung, Interimswirtschaft und des Altenteils erhalten blieben und nicht etwa ein Bauernhof testamentarisch den Kindern oder nächsten Verwandten entzogen wurde. Noch 1843 sind sich alle Poeler Zeugen darüber einig, daß "niemand in Poel seinen nächsten Blutsfreunden die Stelle durch letztwillige Verfügung nehmen könne" 300 ).

Bei Verkäufen der Stellen behielt das Gericht den Kindern meist das "jus reluendi" vor, d. h. der Käufer mußte unter Umständen, wenn die Kinder erwachsen waren und es forderten, den Hof gegen Erstattung seiner Unkosten und Anrechnung der Meliorationen wieder abtreten 301 ).

Im 17. und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wird in allen Ehekontrakten der Frau im Falle kinderloser Ehe die Stelle verschrieben, und es stand ihr das Anerbenrecht vor den Geschwistern des Mannes zu. Im Jahre 1734 aber verlangt das Gericht zu solchen Verschreibungen die Einwilligung der Verwandten 302 ).

1761 lehnt das Gericht eine solche Übertragung an die Frau sogar ab, da der Hausmann Steinhagen "nicht ermächtigt wäre . ., seiner Frau, wenn er Kinder hätte, die Stelle. . zu überlassen, daß sie den Kindern entzogen werde, oder auch, wenn er unbeerbt mit Tode abginge, dieselbe aus seiner Freundschaft in eine andere komme" 303 ).


300) Kuhberg, S. 129.
301) Protokollbuch 1695 p. 27: "jedoch bleibt den Kindern das Reluitionsrecht bevor gegen Erstattung der Meliorationen und dessen, was Steinhagen wirklich hierauf bezahlt." Kontrakt über Abtretung des Möllendorfschen Gehöfts in Timmendorf an Steinhagen 1695.
302) Protokollbuch 1731. Ehekontrakt des Hausmanns Sprenger, Gollwitz.
303) Protokollbuch 1761. Ehekontrakt des Peter Steinhagen zu Niendorf.
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Das Anerbenrecht stand in erster Linie den Söhnen des Gehöftsinhabers oder der Gehöftsinhaberin zu, und zwar war es durchgehends Brauch, daß der älteste Sohn den Hof erbte 304 ). Dabei wurde zwischen den Kindern mehrerer Ehen des Gehöftsinhabers kein Unterschied gemacht, und der Sohn zweiter Ehe ging der Tochter erster Ehe vor. Waren keine Söhne da, so folgten die Töchter in der Reihe der Erben. Bei der Nachfolge der Töchter scheint dem Vater ein freieres Verfügungsrecht zuestanden zu haben als bei den Söhnen. Meist erbte auch hier die älteste Tochter, sonst aber ging die auf dem Hof gebliebene Tochter ihrer verheirateten und abgefundenen Schwester vor 305 ).

War die Ehe kinderlos, so erbten die Geschwister des Gehöftsinhabers, und auch hier ging der männliche Verwandte der weiblichen vor. Fälle, in denen weitere Seitenverwandten die Erbschaft antreten mußten, sind nicht überliefert, und bei dem Kinderreichtum der Poeler Ehen auch wohl nicht vorgekommen.

Im allgemeinen erbte also der älteste Sohn des Bauern den Hof, und zwar trat er gewöhnlich die Stelle an, wenn er sich verheiratete. Ehevertrag und Gehöftsabtretung wurde regelmäßig zugleich abgeschlossen. Bei dem geltenden Majoratsrecht führte dies häufig zu Komplikationen, da entweder der Vater schon in bestem Mannesalter sich auf das Altenteil zurückziehen oder der Sohn für lange Zeit auf eine Heirat verzichten mußte. Das bei der Nachfolge der Töchter häufig angewandte Erbrecht der jüngsten, unabgefundenen Tochter scheint günstiger in wirtschaftlicher und auch menschlicher Hinsicht gewesen zu sein.

bb) Abfindung der Geschwister.

Alle Geschwister des Gehöftserben waren zu einer Abfindung berechtigt, nicht nur die Kinder des Gehöftsinhabers, sondern auch die Kinder des Interimswirtes mit der Witwe des Gehöftsinhabers. Sogar den Kindern zweiter Ehe des Interimswirtes wurde meist etwas ausgesetzt, "soviel die Stelle tragen kann". Es kam aber auch die Bestimmung vor, daß die


304) Bei körperlicher oder geistiger Unfähigkeit war er natürlich nicht erbberechtigt.
305) Anlagen zum Protokollbuch 26. Juni 1745: Bei der Ehestiftung des Fährmann zu Malchow heißt es: "Sollte der Sohn sterben und Töchter, so jetzt noch bei dem Gehöfte sein, nicht ausgesteuert sein, bekommt die jüngste alsdann das Gehöft."
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Kinder zweiter Ehe des Interimswirtes aus der Stelle nichts zu fordern hatten 306 ).

Die Höhe der Abfindung wurde abgestuft nach dem Grade der Verwandtschaft, aber vor allem nach dem Wert der Stelle nach Abzug aller Schulden und Lasten. Das Amtsgericht überwachte dabei die Höhe der Abfindung, "damit die Stelle nicht darunter leide und der hohen Krone Rechte dabei geschützt und gedeckt gehalten werden" 307 ).

Jeder Sohn erhielt gewöhnlich: eine "freie Hochzeit" oder eine "halbe freie Hochzeit", ein "Ehrenkleid", ein Pferd "negst das beste" mit Sattel und Zaum, eine eichene Lade, acht bis zwölf Hemden, sechs weiße Halstücher und eine Summe Geldes.

Die Tochter erhielt: eine "freie Hochzeit" oder eine "halbe freie Hochzeit", "Ehrenkleid", eine Kuh "negst die beste" oder zwei Kühe, Bett und "Kistenpfand" und dazu dieselbe Geldabfindung wie die Brüder.

Die größte Last für den Hof war die freie Hochzeit, da bei den Poeler Bauernhochzeiten ein großer Aufwand getrieben wurde. Bezeichnend dafür ist die Polizeiordnung vom Jahre 1726 308 ). Es heißt darin: "daß der Königlichem Kommission glaubwürdig angezeigt, daß bisher auf dem Amt Poel bey den daselbst vorgefallenen Hochzeiten und Kindtaufen nicht geringer Unrath durch übermäßige Gastierung eingeschlichen . . ." Es wurde verordnet, daß die Vollhufner bei Hochzeiten nicht mehr als 40 Gäste, bei Kindtaufen nicht mehr als 20 Gäste, die Käter und Büdner aber nicht mehr als 20 bzw. 10 Gäste laden dürften.

Es gehörten zu einer landesüblichen freien Hochzeit:

  1 feister Ochse,
  2 Schweine,
  2 Schafe,
14 Gänse,
  4 Sch. Weizen,
  4 Sch. Roggen,
  4 Tonnen Bier,
allerlei Gewürz, Branntwein, Pfeifen, Tabak 309 ).


306) Protokollbuch 1794, S. 26.
307) Protokollbuch 1683, S. 106.
308) Anlagen zum Protokollbuch 1725 vom 11. September.
309) Anlage zum Protokollbuch 6. Mai 1734 Steinhagen-Timmendorf zur Hochzeit seines Bruders.
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Es scheint also, daß die freie Hochzeit schon die ersten Vorräte für den neuen Hausstand enthielt.

Zum "Kistenpfand" gehörte eine Kiste oder Lade mit einer vollständigen Aussteuer, nämlich neben dem "aufgemachten Bett" Bettwäsche, Tischwäsche, Handtücher und Wäscheausstattung. Die Stückzahl richtet sich nach der Größe der Stelle, bei großen Bauernstellen betrug sie zwölf für jede Art.

Der Wert der andern Stücke der Abfindung wird im 18. Jahrhundert angesetzt:

Das Pferd mit Sattel und Zaum 10 bis 16 Rtlr., die Kühe 6 bis 8 Rtlr. Das Ehrenkleid etwa 10 bis 20 Rtlr.

Die Geldabfindung der Geschwister ist sehr verschieden, ihre Höhe richtet sich nach der Zahl der Geschwister und nach der Leistungsfähigkeit der Stelle und schwankt zwischen 30 Rtlr. und 200 Rtlr. Oft heißt es: "soviel baares Geld, als die Stelle nach gebührender Taxe austragen könnte" 310 ).

Die Höhe der Abfindung war somit sehr beträchtlich, und es zeigt sich, daß sie dem Wert des Erbteils des Anerben soweit nahe kommt, wie eben die Stelle es tragen konnte. Dies wird auch klar ausgesprochen in dem Prozeß des Jochim Lembke, Malchow 1768 311 ): "daß das Voraus des Anerben nur so viel betragen habe, daß er die Stelle habe halten können".

Das Privatvermögen der Eltern wird meist zu gleichen Teilen unter den Geschwistern geteilt.

cc) Interimswirtschaft.

Starb der Gehöftsbesitzer, bevor ein Sohn die Wirtschaft übernehmen konnte, so trat gewöhnlich ein Interimswirt an seine Stelle. Eine Verpachtung war schon wegen des geringen Wertes der Hausmannsstellen unmöglich, die ja sehr oft kaum einen Käufer fanden. Die Wirtschaft erforderte einen Mann, und so heiratete die Witwe gewöhnlich sehr rasch wieder. Ihr zweiter Mann trat dann als Jnterimswirt für eine vertraglich festgelegte Zeit die Stelle an, oft über das Alter der Mündigkeit des ältesten Sohnes hinaus 312 ). Der Anerbe hatte in


310) Protokollbuch 1707, S. 168.
311) Protokollbuch 1768. Acta Jochim Lemke aus Malchow wegen Confirmation seines produzierten Vergleiches.
312) Z. B. bei Holzmann-Niendorf bis zum 31. Jahr, Protokollbuch 1793 und bei Steinhagen-Gollwitz bis zum 32. Jahr, Protokollbuch 1792.
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solchen Fällen aber das Recht, mit dem 24. bis 26. Jahre zu heiraten und im Altenteilskaten die Einkünfte zu beziehen, die er später dem Interimswirt als Altenteil zu geben hatte 313 ).

dd) Altenteil.

Hatte der Gehöftsbesitzer die Stelle an seinen Sohn bei dessen Heirat abgetreten, so zog er mit seiner Frau in den Altenteilskaten, der regelmäßig bei allen Hausmannsstellen vorhanden war. Auch der Jnterimswirt erhielt nach der Abtretung der Hofstelle den Altenteil, ebenso seine zweite Frau, wenn der Interimswirt sie während der Mahljahre 314 ) heiratete.

Der Altenteil bestand in der Regel in freier Wohnung im Altenteilskaten, der einen eigenen Garten hatte. Dazu erhielt der Altenteiler eine Ackerfläche, meist ein Stück aus jedem Schlag, von zusammen 12 bis 26 Scheffel Aussaat. Er lieferte selber das Saatkorn, die Bestellung und Ernte aber hatte der Gehöftserbe zu beschaffen. An Vieh nahm sich der Altenteiler meist ein Pferd, zwei bis vier Kühe, drei bis sechs Schafe und zwei bis vier Schweine aus der Hofstelle mit, für diese hatte er freie Weide und etwas Heu zu verlangen. Außerdem lieferte der Gehöftsbesitzer zwei Fuder Brennholz, ein bis zwei Scheffel Salz, ein bis zwei Speckschweine, 1/2 Ochsen und einige Pfund Talg, je nach Vereinbarung 315 ). Auch Lieferung von Stockfisch, Erbsen, Honig wird zuweilen ausbedungen. Der erforderliche Fuhrwerk wurde vom Hof aus gestellt.

ee) Erbrecht der Käter.

Das Erbrecht der Käter weicht insofern von dem der Hausleute ab, als alle Kinder ein gleiches Recht am Katen haben und der älteste Sohn nur den Katen übernehmen kann, wenn er den Geschwistern ihr Erbteil auszahlt. Der dazu gehörige


313) Gegen diesen Brauch wurde 1802 durch ein Urteil des Amtsgerichts eingeschritten, da die Belastung nur zum Verschulden der Stelle führe. Der Interimswirt brauche sie nicht auf sich nehmen. Protokollbuch 1802.
314) Mahljahre = Jahre der Bewirtschaftung des Hofes.
315) Kuhberg hat in Anlage K seiner Geschichte von Amt und Insel Poel eine "Zusammenstellung der als Prästande aus den bei den Anlagen zu den Protokollbüchern vorhandenen 21 Altentheilscontracten" gemacht, auf die sich diese Angaben vor allem stützen.
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Acker wurde nicht mitvererbt, er galt, wegen der damit verbundenen Hofdienste, mehr als eine Last, die der Katen zu tragen hatte. Die Witwe erhielt entweder das Altenteil oder ein "Kindesteil", d. h. sie erbte zu gleichen Teilen mit den Kindern 316 ).

Der Altenteil der Witwe bestand meist in freier Wohnung auf Lebenszeit in einer Kammer oder Stube des Katens, mit Feuerung und Unterhalt.

V. Einiges zur Wirtschaftsgeschichte Poels.

1. Hufengröße.

Die älteren mecklenburgischen Schriftsteller kennen drei verschiedene Hufenbenennungen: die Hagenhufe, die Landhufe und die Hakenhufe, denen sie verschiedene Größe zuschreiben 317 ).

In den vorliegenden Akten kommen nur die gewöhnlichen Bauernhufen oder Landhufen und daneben vereinzelte Hagenhufen vor, wendische Hakenhufen dagegen gar nicht. Es fragt sich nun, ob die Hagenhufe wirklich, wie noch Ahlers meint 318 ), ein anderes Ackermaß war, oder worauf sonst ihre Sonderstellung beruhte.

Vier Hagenhufen (heynhove) werden unter 24 1/2 Hufen in Timmendorf genannt 319 ). Wären nun die Hagenhufen beträchtlich größer gewesen als die gewöhnlichen Bauernhufen, so müßte sich der Unterschied in der Hufenzahl des 14. Jahrhunderts und der des 16. Jahrhunderts, das nur noch eine einzige Hufenart kennt, ausprägen. Nun hat sich aber die Hufenzahl des Dorfes zwischen 1350 und 1550 nicht etwa vergrößert, sondern ist, wie die in den andern Dörfern, etwas zurückgegangen:


316) Protokollbuch 1778, S. 17 und 18.
317) In Pommern wurde nach Ahlers Mitteilungen (M.J.B. 51, S. 78) 1616 durch Gesetz bestimmt, für die Hakenhufe solle 15 Morgen, für die Landhufe 30 Morgen und für die Hägerhufe 60 Morgen gerechnet werden. Witte fand zwischen den Archivakten einen undatierten Zettel, wohl aus dem 18. Jahrhundert (dom. gener. mensurati), der die Hakenhufe auf 30, die Landhufe auf 60, die Hagenhufe auf 120 Morgen angibt.
318) Hagenhufe = 30 Morgen, Landhufe = 24 Morgen. Ahlers, M.J.B. 51, S. 62.
319) M.U.B. 1554 und 4927.
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14. Jahrhundert 24 1/2 Hufen, darunter 4 Hagenhufen 320 ),
1579 22 1/2 Hufen von gleicher Hufengröße,
1693 22 1/2 Hufen von gleicher Hufengröße.

Der Unterschied zwischen Hagen- und Landhufe kann also nicht in der Größe liegen 321 ), sondern nur in der geringeren Belastung, in der wirtschaftlichen Besserstellung der Hagenbauern. Hagenhufen wurden auf unkultiviertem Wald- oder Ödland angelegt. Da der Bauer sein Land erst urbar machen und roden mußte, konnte er nicht so schwer wie die andern mit Abgaben belastet werden.

In Timmendorf geben an Pacht:

die gewöhnlichen Bauernhufen: 9 3/4 Sch. Roggen 322 ),
7 Sch. Gerste,
13 Sch. Hafer,
1/2 Sch. Erbsen;
die Hagenhufen: 10 oder 9 1/2 Sch. Roggen,
1 Sch. Gerste,
1 Sch. Hafer.

Das Verhältnis ist 30 1/4 Scheffel zu 11 1/2 bis 12 Scheffel. Die Landhufe auf Poel war also etwa 2 1/2mal so stark belastet wie die Hagenhufe.

Über die Größe der Landhufe sind sehr widersprechende Nachrichten überliefert. Sie wird teils nach Morgenzahl angegeben, wobei strittig ist, ob der Morgen ein Flächenmaß bedeutet oder nach Scheffel Aussaat bestimmt wird; teils wird sie nur nach Scheffel Aussaat angegeben, so daß je nach Güte des Bodens die Hufe größer oder kleiner ist.

Hieraus geht schon hervor, daß die Größe der Hufe und die Größe des Morgens wie die übrigen Maße in den verschiedenen Landesteilen verschieden war.


320) .U.B. 4178, 1320  5 Hufen, darunter 2 Heynhufen,
M.U.B. 4180, 1320 11 Hufen,
M.U.B. 4927, 1328   7 Hufen, darunter 2 Heynhufen,
M.U.B. 3869, 1338   1 1/2 Hufen,
                     ---------------
                     zusammen 24 1/2 Hufen.
321) Auch Maybaum und Ihde kommen zu dem Ergebnis, daß die Quellen mit Sicherheit nur 2 verschiedene Hufen erkennen lassen, die wendische oder Hakenhufe, und die deutsche Hufe. Maybaum, S. 34 und Ihde, S. 115.
322) M.U.B. 4178, 1320.
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Ihde kommt bei seinen Berechnungen für das Amt Schwerin zu einer Morgenzahl von 32 je Hufe. Maybaum und Ahlers dagegen rechnen 24 Morgen auf eine Hufe nach Gadebuscher und Sternberger Akten. Welche Größe nun der Morgen hatte, geben sie nicht an. Sie setzen ihn anscheinend mit unserm heutigen Maß (120 □Ruten) gleich. Mielck spricht von Veränderungen der Hufengröße schon vor dem Dreißigjährigen Kriege und meint, in den ältesten Zeiten habe man die Hufe nur zu 48 Scheffel Aussaat, während des Dreißigjährigen Krieges zu 65 Scheffel Aussaat, Ende des 17. Jahrhunderts zu 96 Scheffel Aussaat gerechnet und durch fortwährendes Legen der Bauern sei die Hufe immer größer geworden 323 ). Von einer lokalen Verschiedenheit spricht er dagegen nicht.

Für die Größe der Poeler Hufen haben wir genaue Angaben aus dem Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. 1698 wird die Poeler Hufe zu 24 Morgen gerechnet, auf jeden Morgen aber vier Scheffel Aussaat oder 300 Quadratruten. Das gibt also 96 Scheffel = eine Last Aussaat oder 7200 Quadratruten auf jede Hufe 324 ). Diese Hufengröße ist auf Poel bis zum 19. Jahrhundert unverändert beibehalten, während die mecklenburgische Hufe im 18. Jahrhundert infolge des Legens der Bauernhufen auf 600 bonitierte Scheffel Aussaat stieg 325 ).

Es stellt sich nun die Frage: Seit wann gilt diese Hufengröße auf Poel, wie weit können wir sie zurückverfolgen?

Einen Fingerzeig gibt uns die Bemerkung des Landrentmeisters Spihler 1731, die Poeler Hufe könne nicht als Berechnungsgrundlage für die Steuern genommen werden, da sie auf den altüberlieferten Hufenzahlen beruhten und nur 96 Scheffel


323) Mielck, S. 3.
324) Senatsakten Lübeck, Eccl., Hospital zum Helligen Geist, Vol. F.
Ihdes und Maybaums Angabe über die Hufengröße führen also zu einer falschen Vorstellung, wenn man nicht die damalige Morgengröße angibt (siehe oben). Der heutige mecklenburgische Morgen mit 120 □R. ist erheblich kleiner als der damalige, der 2 1/2 heutige Morgen umfaßt. Daher erklärt sich auch, wie ein 2 Hufen großer Hof 6 Pferde als Hofwehr halten kann und dazu als Privatbesitz des Bauern noch 27 weitere (Maybaum, S. 187). Die 27 sind wohl Weidepferde.
325) Mielck, S. 3.
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Aussaat gerechnet werde, kaum halb so groß sei wie die mecklenburgische 326 ).

Zur genauen Beantwortung der Frage aber müssen wir die Hufenzahlen Poels in den verschiedenen Jahrhunderten verfolgen.

1280 hatte Poel 185 oder 191 Hufen 327 ),
1575 hatte Poel 173 Hufen
(19 Hofhufen und 154 Bauernhufen) 328 ),
1731 hatte Poel 171 Hufen
(22 Hofhufen, 108 Hufen schwedischen Anteils und 41 Hufen lübischen Anteils).

Bedenkt man, daß die früheren Hufenzahlen nur Annäherungswerte sind, und daß die Insel jedes Jahr durch die See beträchtlich verkleinert wird 329 ), so wird deutlich, daß sich die Hufengröße seit der Kolonisationszeit nur ganz wenig verändert haben kann. Genau gleich geblieben muß sie seit dem 16. Jahrhundert sein, in dem anscheinend eine Hufennach-


326) Inventarium Nr. 424.
327) Verzeichnis der Einkünfte der bischöflichen Tafel, M.U.B. 1554, in der 2 verschiedene Zahlen, 191 Hufen nach Aussage des Abbo von Poel und 185 Hufen nach Meinung anderer genannt werden.
328) Amtsbeschreibung 1598.
 1575 Seedorf       21     Hufen,
 1579 Timmendorf  22 1/2 Hufen,
 1579 Wangern     10 1/2 Hufen,
 1579 Brandenhusen  6 1/2 Hufen,
 1579 Weitendorf  11 1/2 Hufen,
 1579 Kirchdorf      8 1/2 Hufen,
 1579 Niendorf    12    Hufen,
 1579 zu den Höfen 12 1/2 Hufen,
 1579 Negen Golwitz 
 1579 Ferne Golwitz11 3/4 Hufen,
 1579 Malchow     15    Hufen,
 1579 Fährdorf    10 1/2 Hufen,
 1579 Vorwerk     12    Hufen,
                     -------------------
             zusammen 154 1/4 Hufen.
329) In den Akten finden sich zu allen Zeiten die Klagen der Bauern, daß ihre Hufe verkleinert würde durch die jährlichen Abschwemmungen. 1731 rechnet Landrentmeister Spihler, daß allein im Jahre 1730, in dem anscheinend ein starkes Hochwasser herrschte, 1 1/2 Hufe Landes weggespült sei.
Inventarium Nr. 424.
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messung vorgenommen wurde. Einige Beispiel der Hufenzahlen der einzelnen Dörfer mögen das belegen:

Malchow: 1329 16 Hufen,  
1579 15 Hufen,  
1647 15 Hufen,  
1705 15 Hufen,  
1770 15 Hufen,  
1328
Gollwitz:   1328
bzw. 1336 13 1/2 Hufen, (Da Gollwitz der See
1579 11 1/4 Hufen, stärker ausgesetzt war
1693 11 3/4 Hufen, als Malchow, hat es auch
1770 11 3/4 Hufen. mehr Land verloren.)

Wir sehen also, daß die Hufengröße, die 1698 auf 24 Morgen oder 96 Scheffel Aussaat oder 7200 Quadratruten gerechnet wird, schon für das 16. Jahrhundert und früher gilt.

Mielcks Angaben über die langsame Vergrößerung der Hufen (s. o.) schon vor dem Dreißigjährigen Kriege (von 48 auf 65 auf 96 Scheffel) gelten also für Poel nicht. Vielmehr war die Hufengröße vom 13. bis zum 19. Jahrhundert konstant. Vielleicht beruhen die verschiedenen Angaben mehr auf lokalen als auf zeitlichen Unterschieden des Hufenmaßes.

2. Verteilung von Groß- und Kleinbesitz.

Wenn die Größe der Hufe auch ungefähr gleich geblieben ist, so hat sich doch das Verhältnis von Groß- und Kleinbauern sehr verschoben.

1. Gollwitz hatte

1328
bzw. 1336 13 1/2 Hufen mit 12 Bauern,
1579 11 3/4 Hufen mit 3 Bauern,
1693 11 3/4 Hufen mit 3 Bauern,
1770 11 3/4 Hufen mit 3 Bauern.

2. Malchow hatte

  1329 16 Hufen mit 9 Bauern,
1579 15 Hufen mit 5 Bauern,
1647 15 Hufen mit 5 Bauern und 3 Kätern, 2 davon wüst,
1705 15 Hufen mit 5 Bauern und 1 Käter,
1770 15 Hufen mit 5 Bauern, 1 Käter, 1 Büdner.
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Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß in der Kolonisationszeit der Kleinbesitz weitaus vorherrschte. Es kommen zwar auch Bauern vor, die 4 oder sogar 5 Hufen bebauen, die weitaus größte Anzahl aber hatte nur 1/2 bis 2 Hufen. Die Wirren und Kriege des 15. Jahrhunderts trafen die Kleinbauern am schwersten, und im 16. Jahrhundert finden sich auf Poel fast nur noch größere Bauern, die 3 bis 6 Hufen besitzen. Die Verluste des Dreißigjährigen Krieges führten dann weiter auf dem Wege der Vergrößerung der Bauornhöfe. In To'n Höven teilen sich 1598 noch 5 Bauern in 13 Hufen Land. 1647 sind davon 3 als wüst angegeben. 1693 sind die beiden übriggebliebenen Bauern auf 6 bzw. 4 Hufen vergrößert und der übrige Acker dem Kaltenhof zugelegt. Aus diesen beiden großen Bauernhöfen wurde dann der Oertzenhof 1750 zusammengelegt. Ähnlich ist es in Weitendorf.

Es hatte:

1323 12 1/2 Hufen 4 Bauern,
1579 11 1/2 Hufen 3 Bauern,
1796 ? Hufen 1 Bauer 330 ).

3. Wirtschaftsweise.

a) Viehzucht

Der Hauptunterschied in der Wirtschaftsweise des Amtshofes gegenüber der Bauernwirtschaft besteht in der verschiedenen Betonung von Ackerbau und Viehzucht.

Die bäuerliche Wirtschaft war ganz auf den Ackerbau eingestellt, und ihre Viehhaltung war nur sehr gering. Sie hatte allerdings einen verhältnismäßig großen Pferdebestand wegen der Hofdienste; Rindvieh aber wurde nur so viel gehalten, wie


330) Lübische Dörfer, Vol. 7. Darüber sagt der Hausmann Wegener, Weitendorf 1796 aus: Vor Zeiten seien in Weitendorf 3 Hausmannsstellen gewesen. "In nachmahligen Kriegszeiten wurde dies Dorf aber so schwer mitgenommen und insonderheit durch Feuer so schwer verheert, daß es gänzlich von Einwohnern entblößt, und nur die einzige Hofstelle, welche ich jetzt bewohne, stehen blieb. Die vorigen Anwohner waren so verarmt, daß sie nach dem Kriege die Stellen nicht wieder annehmen konnten, und es ward also beliebt, daß ... der Acker des einen Gehöftes zu Brandenhusen zu ziehen und dem der jetzigen Schulzenstelle daselbst beizulegen wäre, die andere wüste Stelle ... ward meinem Vorfahren, der in gutem Behalt geblieben war, vom derzeitigen Vogtey-Gericht übergeben und mit seiner schon vorher besessenen Hausmannsstelle combiniert."
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der Eigenbedarf an Milch und Butter erforderte. Eine 3 1/2 Hufenstelle in Malchow hat 1713:

12 Pferde,
4 Zugochsen,
1 Ochsenstier,
4 Kühe,
3 Starken,
24 Schafe und Lämmer,
24 Schweine.

Der Grund für die geringe Rindviehhaltung war die schlechte Beschaffenheit der Weidegelegenheit. Die Weide lag in Kommunion, das heißt, sie gehörte nicht den einzelnen, sondern der Gemeinde. Sie wurde sehr wenig gepflegt, war sumpfig und brachte keine Erträge. Immer wieder wird geklagt, daß die Wiesenverhältnisse so schlecht seien, was aber auch nicht wundernehmen kann, wenn man hört, daß neben dem Rindvieh auch Gänse und Schweine mit auf die Weide geschickt wurden und der Austrieb viel zu früh erfolgte. Durch die geringe Viehhaltung wurde aber auch der Ackerbau geschädigt, und die geringen Kornerträge sind weitgehend auf den Mangel an Düngung zurückzuführen. Alle Bauern hatten, je nach Höhe ihres Viehstapels, Weidegeld zu zahlen, von dem der Hirtenlohn bestritten wurde.

Der Amtshof dagegen trieb die Viehzucht in größerem Maßstab. 1572 betrug der Viehstapel auf dem Kaltenhof (19 Hufen) 331 ):

177 Haupt Rindvieh, darunter 63 Milchkühe,
138 Schweine,
150 Hühner.

Er wuchs noch weiter an und betrug 1591 332 ):

188 Haupt Rindvieh, darunter 78 Kühe,
113 Schweine,
53 Schafe,
117 Gänse,
162 Hühner.

Durch den Dreißigjährigen Krieg wurde der Viehbestand sehr verringert und nur die Schafzucht in größerem Maße betrieben.


331) Amt Poel, Generalia, 1572.
332) Amt Poel, Inventarium Nr. 8, 1591.
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Kaltenhof 1694:

1 Pferd für den Strandreiter,
keine Rinder,
87 Schweine,
60 Gänse,
600 Schafe,

davon gehören aber 500 dem Schäfer, der die Schäferei in Pacht hat 333 ).

Dieser Viehbestand blieb in der Folge das eiserne Inventar des Kaltenhofs, und die Amtspächter brachten im übrigen ihren eigenen Viehstapel mit. Genaue Zahlen sind daher für das 18. Jahrhundert nicht mehr vorhanden, da in den Inventarien stets nur das eiserne Inventar aufgeführt wird.

Die Milchwirtschaft und Federviehhaltung lag in den Händen einer Meierin oder "Baumuhme", von deren Tüchtigkeit das Gedeihen des Hofes weitgehend abhing 334 ). Erst im 18. Jahrhundert werden auf dem Kaltenhof "Holländer" genannt, welche die Rindviehhaltung gegen Pacht auf eigene Rechnung betrieben.

b) Ackerbau.

Für die Ackerwirtschaft im Mittelalter haben wir nur wenige Andeutungen, doch geht aus diesen hervor, daß sie auf Poel im wesentlichen dieselbe war wie im übrigen Mecklenburg 335 ). Es herrschte die Felderwirtschaft, d. h. eine Wirtschaft mit getrenntem Ackerland und Dauerweide 336 ). Ob 3- oder 4-Felderwirtschaft vorherrschte, wissen wir nicht.

Erst aus dem 17. Jahrhundert haben wir genaue Angaben. Bis 1694 liegt der Acker auf dem Kaltenhof in drei Schlägen 337 ):

  1. Wintersaat (Roggen und etwas Weizen),
  2. Sommersaat (Gerste, Hafer und Erbsen),
  3. Brache.

Dann geht der Amtmann Steeb über zur 4-Felderwirtschaft und baut nunmehr 1705 338 ):


333) Inventarium Nr. 501. Die Pacht des Schäfers beträgt 130 Rtlr.
334) Inventarium Nr. 501. Der Lohn der Meierin betrug 1694 6 Rtlr. bar, 9 1/2 Rtlr. Deputat, 13 Sch. Roggen, 8 Sch. Gerste.
335) Vgl. Dade, Die Entstehung der Meckl. Schlagwirtschaft.
336) Es gibt auf Poel noch heute fast nur Salzweiden, deren Umbruch und Nutzung als Ackerland sich schon wegen des Salzgehaltes und der Sumpfigkeit des Geländes verbot.
337) Inventarium Nr. 501.
338) Vol. 10, Poel, Amtsregister Lustrationsprotokoll 1705.
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  1. Wintersaat (Roggen und etwas Weizen),
  2. Sommersaat (Gerste),
  3. Sommersaat (Hafer),
  4. Brache mit Erbsen, Wicken und Lein.

Die Dorffeldmark Fährdorf aber liegt 1708 in 5 Schlägen, die in Timmendorf 1749 in 6 Schlägen 339 ), von denen 4 Schläge besät werden, der fünfte als Vorbrache 340 ), der sechste als Brache liegt.

Auf Anregung des lübischen Vogtes wird um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den lübischen Dörfern anscheinend eine Abart der holsteinischen Koppelwirtschaft eingeführt 341 ). Bei der Regulierung der Timmendorfer Feldmark 1749 schlägt der Vogt des HGH. den Bauern vor, statt der Vorbrache einen Schlag als Koppel einzufriedigen und mit Klee besät fünf Jahre ruhen lassen. Daß sein Vorschlag befolgt wurde, zeigt eine Nachricht aus Weitendorf 1777. Dort lag die Feldmark in 6 Schlägen, von denen aber nur 5 "wie gewöhnlich hauswirtlich" bestellt sind. Ein Teil des Ackers aber lag in Koppel, "liegt 3 Jahre in Weide und wird 3 Jahre besät" 341 ).

Die wichtigsten Ackerfrüchte waren bis ins 19. Jahrhundert hinein Roggen, Gerste, Hafer und Erbsen. Weizen wurde trotz des milden Bodens bis zum 16. Jahrhundert gar nicht gebaut. Nach dem Lustrationsprotokoll von 1705 342 ) säte man auf dem Kaltenhof in den Roggenschlag von 504 Scheffel Aussaat ein Stück von 84 Scheffel mit Weizen. Ebenso haben einige wenige unternehmende Bauern ein Stückchen von 2 bis 6 Scheffel mit Weizen bebaut. Doch scheint sich der Versuch nicht sehr bewährt zu haben, denn 1744 baut der Kaltenhof kaum die Hälfte des Quantums von 1705. Im größeren Maßstab scheint der Weizenanbau erst im 19. Jahrhundert aufgenommen zu sein.

Erbsen und Wicken werden vielfach auf dem Brachfeld gebaut 342 ) und als Spezialkultur 343 ) wurde ein ausgedehnter


339) Senatsakten Lübeck, Ecclesiasticum H. z. H. G., Vol. G, Privata.
340) Darunter wird man eine Nutzung des Ackers als Viehweide vor der eigentlichen Brachlegung verstehen müssen.
341) Senatsakten Lübeck, Ecclesiastica, Vol. G, Privata.
341) Senatsakten Lübeck, Ecclesiastica, Vol. G, Privata.
342) Vol. 10, Poel. Amtsregister. Lustrationsanschlag von 1705.
342) Vol. 10, Poel. Amtsregister. Lustrationsanschlag von 1705.
343) Amt Poel, 10 Pächte. 1640 wird gesagt, daß die Bauern im Jahre 1640 für etwa 100 M. weißen Kohl verkauft hätten. Bei der Belagerung von Wismar 1712 soll Poel allein 6000 Schock weißen Kohl geliefert haben. (Notiz von Archivrat Krause im Ratsarchiv Rostock.)
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Kohlbau getrieben, nicht nur in den Gärten oder "Kohlhöfen", sondern auch in feldmäßigem Anbau.

Der Bauernacker lag in den meisten Dörfern auf Poel bis Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts im Gemenge, nur die großen Bauernhöfe "To'n Höven" waren anscheinend schon im 17. Jahrhundert separiert 344 ). Für das Dorf Fährdorf haben wir genauere Nachrichten über diese Gemengelage und können uns an Hand deren 345 ) und der alten Karten ein ungefähres Bild von der Verteilung des Ackers machen. Die Dorfflur lag 1708 in 5 Schlägen, davon ist aber einer ohne Gewanneinteilung, also wohl ein Außenschlag, der entweder nie oder nur alle sechs bis neun Jahre bestellt wurde und gewöhnlich als Schafweide diente 346 ). Die andern 4 Schläge waren in einzelne Parzellen, "Kawweln", geteilt, von denen die Bauern je nach der Größe ihrer Höfe mehr oder weniger bebauten. Da das Wort "Kawweln" noch heute "losen" bedeutet 347 ), ist anzunehmen, daß anfangs die Teilstücke unter den Bauern verlost wurden. Später jedoch wechselten die Anteile nicht mehr, sondern blieben dem betreffenden Hof erhalten, so daß eine Verbesserung der Ackerkultur durchaus möglich war. Sie scheiterte aber meist an der "Weidecommunion", da die erste Vorbedingung besserer Erträge reichlichere Düngung war, alle Nachbarn aber gegen eine Vergrößerung des Viehstapels einzelner im Interesse der Gemeindewiese protestierten 348 ). Die Erträge waren daher bis ins 19. Jahrhundert hinein außerordentlich gering, man rechnete kaum "das dritte Korn", also die dreifache Menge der Aussaat als Ernteertrag. Die Landwirtschaft stand also, wie im übrigen Mecklenburg vor Einführung der Koppelwirtschaft, auf ziemlich niedriger Stufe 349 ). Erst im 19. Jahrhundert sind die Erträge erheblich gesteigert worden.

Vignette

344) An dieses Dorf mag Lisch gedacht haben, wenn er M.J.B. 20, S. 139 sagt, daß die Poeler Bauern ihre Hufen abgesondert besäßen, wie die westfälischen Bauern.
345) Protokollbuch 1708 und Karte aus dem Geh. und Hauptarchiv Schwerin von 1698.
346) Vgl. Dade, S. 60.
347) Schiller-Lübben.
348) Vol. 20, Poel, Aufhebung der Communionswirtschaft in Malchow 1815.
349) Vgl. Dade.
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Besitzstand 1318
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Besitzstand 1335
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II.
Die Bedeutung der Stadtsiedlung
für die Germanisierung
der ehemals slavischen Gebiete
des Deutschen Reiches

(mit besonderer Berücksichtigung Mecklenburgs)

von

H. Spangenberg.

 

Vignette
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D as bekannte, während der Kriegszeit im Jahre 1915 erschienene zweibändige Werk des Russen Jegorov (Die Kolonisation von Mecklenburg im 13. Jahrhundert) 1 ) sucht die bisher herrschende Ansicht zu widerlegen, daß in der Zeit vom 12. bis zum 14. Jahrhundert in Mecklenburg eine zahlreiche deutsche Einwanderung stattgefunden habe und dieser Kolonisation mit deutschen Ansiedlern hauptsächlich die Eindeutschung des mecklenburgischen Landes zu danken sei. Nach Ansicht Jegorovs ist die Kolonisation des 13. Jahrhunderts dem Wesen nach eine slavische Bewegung gewesen, eine "rein interne Bewegung innerhalb der Slavia selbst", d. h. innerhalb der ehemals slavischen Ostseeländer vom Sachsen-limes bis zur Oder. Die Bedeutung der Kirche für die Kolonisation sei nicht nur unerheblich, sondern überhaupt kaum wahrnehmbar, die Einwanderung deutscher Bauern dort, wo sie überhaupt geschehen sei, "nicht von Erfolg gekrönt worden"; die ländliche Besiedelung Mecklenburgs sei im wesentlichen ein Werk der ritterlichen Dorfherren gewesen. Jegorov bemüht sich nun, die slavische Nationalität der Ritterschaft nachzuweisen. Eine Wanderung von Ritterbürtigen nach Mecklenburg aus dem deutschen


1) D. N. Jegorov, Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrh. Bd. 1. Material und Methode, übers. v. H. Cosack. Bd. 2. Der Prozeß der Kolonisation, übers. v. G. Ostrogorfky. Breslau 1930, XV, 438 S., XXI, 485 S. Die bisher erschienenen Kritiken sind von Werner Strecker in d. mecklenb. Jahrbüchern, Jahrg. 96, 1932 S. 210 aufgezählt worden. Bemerkenswert und meist übersehen ist A. Brückners Abhandlung "Zur slavischen und slavodeutschen Namenforschung" in der Zeitschrift für Ortsnamenforschung, herausgeg. von Jos. Schnetz, 1926 Bd. II Heft 1 S. 67-71; Brückner bemerkt hier, daß Jegorov, dessen Etymologie "grundfalsch" sei, mit Unrecht "massenhafte kryptoslavische" Ortsnamen annehme; "die slavodeutschen Ortsnamen bedürfen einer neuen wissenschaftlichen Darstellung". Über P. Kühnels bekannte Arbeit (Die slavischen Ortsnamen in Mecklenburg. Meckl. Jahrbb. Bd 46, 1881 S. 1-168) urteilt Brückner, daß "ein Dritteil seiner Namen gar nicht slavisch sein dürfte".
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Mutterlande lasse sich nur in wenigen Einzelfällen nachweisen; von der "Germanisierung als einem Resultat der Kolonisation könne nicht mehr die Rede sein". Da er also eine Masseneinwanderung Deutscher ablehnt und in der wesentlich slavischen Ritterschaft den Hauptträger der Kolonisation erkennt, gelangt er zu dem absonderlichen Schluß, daß Mecklenburg bis zum 17. Jahrhundert ein wesentlich slavisches Land geblieben und erst seit der ungeheuren Verringerung der Bevölkerung im dreißigjährigen Kriege eine Kolonisation erfolgt sei, "die nun allerdings mit einer Germanisation gleichbedeutend wurde".

Die Bewunderung, welche man anfangs dem Jegorovschen Werke zollte, ist geschwunden, seit Hans Witte in einem vom Osteuropa-Institut herausgegebenen, als Band 3 des Jegorovschen Werkes bezeichneten "Kritischen Nachwort" (1932) 2 ) das Buch als eine Tendenzschrift entlarvte; und vielleicht hat Ploen nicht ganz unrecht, wenn er es geradezu als "eine staatlich bestellte politische Arbeit" bezeichnet, die den Zweck hatte, "dem Slaventum die Wege zur Ausdehnung nach dem Westen hin zu bahnen".

Das Jegorovsche Werk will nur die ländliche Kolonisation erforschen; es fällt auf, daß er von den Städten des Landes, in denen zweifellos von alters her zahlreiche deutsche Einwanderer lebten, nur nebensächlich auf wenigen Seiten spricht und ohne jedes ausführlichere Eingehen auf die Bedeutung der Stadtgründung die vom flachen Lande her gewonnenen Ergebnisse unbedenklich auf die gesamte Kolonisationsbewegung des 13. Jahrhunderts überträgt. Man erhält den Eindruck, als habe Jegorov die städtische Entwicklung, die seine tendenziöse Auffassung vielleicht am stärksten zu widerlegen geeignet ist, nicht unabsichtlich fast ganz beiseite gelassen. Von einem anderen Standpunkt aus müsse man, so schreibt er, an die Frage der Städteentstehung in den slavischen Territorien herantreten; auch die Städte seien nicht "made in Germany" (S. 433); die Verleihung des Stadtrechtes habe mit einer "Germanisierung" auch nicht das geringste zu tun (S. 434). Die kühne Behauptung wird von ihm im wesentlichen nur durch zwei Argumente gestützt: zum ersten behauptet Jegorov, daß die mit den städtischen Interessen eng verbundenen Ritter


2) Hans Witte, Jegorovs Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrh. Ein kritisches Nachwort. Breslau 1932.
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anhaltend einen starken Zug nach der Stadt verspürt hätten; er spricht "von ritterlichen hereditates innerhalb der Stadtgrenzen". Da Jegorov eine stärkere Einwanderung deutscher Bauern und Ritter leugnet, die slavische Nationalität der ältesten Ritterschaft - "dieses wichtigsten, ja fast einzigen Trägers des gesamten Kolonisationsprozesses" (S.462) 3 ) - ihm als erwiesen gilt, so glaubt er aus den "engen Beziehungen des städtischen Patriziats zur lokalen, alteingesessenen Ritterschaft" 4 ) slavische Herkunft für einen erheblichen Prozentsatz der oberen und mittleren Stadtschichten annehmen zu dürfen. Diese unbewiesene, auch mehr als Vermutung geäußerte Behauptung ist mit den überlieferten Tatsachen unvereinbar: Denn einmal wird die Niederlassung von Rittern in den Städten von Jegorov überschätzt; Ulrich Römer z. B. betont in seiner Dissertation über "Das Rostocker Patriziat bis 1400" übereinstimmend mit Lisch den überwiegend bürgerlichen Charakter des ältesten Rostocker Patriziats; "ausgesprochen gering ist die Zahl derjenigen Ritter und Knappen, die man mit Hilfe urkundlicher Belege als Rostocker Ratmannen nachweisen kann" 5 ). Ferner aber ist Jegorovs Behauptung, daß die kolonisierenden Ritter und Grundherren im 13. Jahrhundert slavischer Herkunft gewesen seien, unhaltbar. W. Biereye hat in mühsamer Kleinarbeit zunächst für das Land Parchim (vielleicht ebenfalls mit einiger Übertreibung) den Nachweis erbracht, "daß die Besiedlung dieses Landes eine Großtat allein (?) der deutschen Ritterschaft gewesen sei, an der der slavische ,Adel' nur in ganz geringem Maße beteiligt war" 6 ). Gleichartige Untersuchungen werden weitere Klärung bringen 7 ).


3) Jegorov a. a. O. Bd. II S. 462: "So verschiebt sich sehr stark die Vorstellung von der "germanisatorischen" Rolle der Stadt; jedenfalls ist jene primitive Deutung abzulehnen, laut welcher die Kolonisationsstadt selbst ebenso wie ihre ganze Organisation eine Schöpfung ausschließlich deutscher Einwanderer darstelle."
4) Jegorov a. a. O. Bd. 1 S. 461 spricht von dem städtischen Ritter, "der sich dem lokalen regierenden Patriziat anschließt, möglicherweise es sogar schafft".
5) Ulr. Römer, Das Rostocker Patriziat bis 1400. Mecklenb. Jahrbb., Jahrg. 96, 1932 S. 84; Lisch, Über das Rostocker Patriziat. Mecklenb. Jahrbb., Jahrg. 11 S. 170, 182 ff.
6) W. Biereye, Mecklenb. Jahrbb., Jahrg. 96, 1932 S. 188. Vgl. auch Friedr. Bertheau, Die Ansiedlung niedersächsischer Familien in den Städten Mecklenburgs und Vorpommerns im 13. Jahrh., Niedersachsen 1915, Jahrg. 20 Nr. 10 S. 151-153; Hans Witte a. a. O. S. 58 ff., 68 ff., 183 ff., 210 ff.
7) Vgl. Witte a. a. O. S. 227.
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Das zweite Argument, mit welchem Jegorov den germanisatorischen Einfluß der Stadt bestreitet, ist die ebenfalls unbewiesene Behauptung, daß die Stadt in den ehemals slavischen Gebieten "vorkolonisatorischen Ursprungs" sei (S. 439); er leugnet damit die Berechtigung der allgemein herrschenden Ansicht, daß die Slaven wohl Märkte, aber noch keine Städte gekannt haben, und führt auf diese Weise Schöpfungen der deutschen Kolonisation teilweise in die slavische Zeit zurück. Jegorov steht mit der Annahme einer präexistenten slavischen Stadt nicht ganz allein. Tymienieczki z. B. will in den slavischen Burgzentren ihren stadtähnlichen Charakter nachweisen; Karl Maleczyncki stellt für die Zeit vor der Kolonisation einige Elemente fest, die im Westen den Inhalt des Stadtrechts darstellen, wie z. B. die Tätigkeit eines Dorfrichters, den Ausdruck ius forense etc., nicht aber das Vorhandensein wirklicher Städte. Diese und ähnliche Hypothesen sind von H. Witte (S. 54), Richard Koebner u. a. 8 ) mit gewichtigen Gründen widerlegt worden. "Völlig selbständig", schreibt Ad. Zycha, "verlief in Böhmen einerseits die noch städtelose slavische Entwicklung, andererseits an der Wende des 13. Jahrhunderts rasch einsetzend die deutsche Städtebildung." In Polen 9 ), wie in Ungarn, in den ehemals slavischen Gebieten des deutschen Reiches gab es vor der deutschen Kolonisation keine Städte oder stadtartige Gebilde. Wohl bestanden slavische Marktplätze mit einer der slavischen Wirtschaft eigentümlichen Organisation, und diese slavischen Marktorte erhielten sich vereinzelt noch bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Dann aber werden sie in der Überlieferung kaum noch erwähnt. Eine Nachricht zum Jahre 1252 ist nach Hoffmann die letzte Spur slavischer Marktorganisationen gewesen; kein einziger von den slavischen Markt-


8) Karol Maleczynsky, Die ältesten Märkte in Polen und ihr Verhältnis zu den Städten vor der Kolonisation nach dem deutschen Recht. Breslau 1930 (Rez. von W. Maas in der Vierteljschr. f. Soz.- und Wirtschgesch., 1928 Bd. 21 S. 337-339 und von Weise in den altpreuß. Forsch. Bd. 8 S. 137-141). Vgl. vor allem Rich. Koebner, Deutsches Recht und deutsche Kolonisation in den Piastenländern, Vjschr. f. Soz.- u. Wirtschgesch.,1932 Bd. 25 S. 313-352, insbes. S. 345, 348: "Der Markt der alten Zeit war kein Siedlungsraum und eben darum auch keine "Stadt" gewesen; der Fürst hatte ihn lediglich seinen Monopoleinrichtungen vorbehalten." Vgl. auch Witte a. a. O. S. 54.
9) Vgl. Karl Heidrich, Die deutsche Kolonisation in Polen im Mittelalter. Maschinenschrift-Diss. Breslau 1926.
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plätzen bildete, soweit bekannt, den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer mecklenburgischen Stadt 10 ).

Die Entstehung des mecklenburgischen Städtewesens gehörte der Kolonisationszeit vom 12. bis 14. Jahrhundert an. Von den 42 Städten, die Mecklenburg-Schwerin heute besitzt, entstanden nicht weniger als 38 (einschl. Rostocks und Wismars) bis zum Ende des 14. Jahrhunderts. Die älteste, zugleich die einzige im 12. Jahrhundert (1160) gegründete Stadt Mecklenburgs war Schwerin. Dann ruhte die Städtegründung länger als 50 Jahre bis zur Gründung von Rostock (vor 1218). Zwischen 1218 und 1275, in dem Zeitalter der eigentlichen Städtegründung, entstanden 29, innerhalb des folgenden Jahrhunderts von 1275 bis 1370 nur noch 7 Städte; und zwar kann man drei verschiedene Stadttypen unterscheiden, die zeitlich, wie Hoffmann für Mecklenburg festgestellt hat 11 ), einander folgten: die ältesten Städte Mecklenburgs gingen hervor aus organisch entstandenen Kaufmannssiedlungen, welche Stadtrecht erhielten (Schwerin, Rostock, Wismar, Parchim, Plau, vielleicht auch Boizenburg und Güstrow); der zweiten Gruppe gehörten hauptsächlich die in der eigentlichen Gründungsperiode (bis 1275) entstandenen Städte an. Sie traten als Neugründungen aus frischer Wurzel ins Leben neben einer landesherrlichen Burg, neben slavischen oder auch deutschen Dörfern - es sind im ganzen etwa 16 Städte. Die Städte der dritten Gruppe erwuchsen aus Dörfern, durch Stadtrechtsverleihung an ein Bauerndorf - im ganzen 13, vielleicht sogar 16 Städte. Die eigentümliche, vermutlich für einen großen Teil des Kolonisationsgebietes typische Erscheinung, daß in der Zeit von 1275 bis 1370 im allgemeinen nur noch Dörfer zu Städten erhoben wurden, erklärt sich offenbar aus der Tatsache, daß im 14. Jahrhundert der Strom der Ansiedler aus dem Mutterlande allmählich versiegte. Das 13. Jahrhundert, "neben dem 19. Jahrhundert die wichtigste Epoche in der Geschichte des deutschen Städtewesens", war nicht bloß für Mecklenburg die "klassische Zeit" der Städtegründung. Damals entstanden die meisten Gründungsstädte des Reiches: Die Mark Brandenburg z. B. besaß bis zum Beginn des 13.


10) Karl Hoffmann, Die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis zum 14. Jahrh. (auf siedlungsgeschichtl. Grundlage). Rostocker Diss., Jahrbb. f. mecklenb. Gesch. Jahrg. 94, 1930 S. 176, 177.
11) K. Hoffmann a. a. O. S. 160 ff.
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Jahrhunderts etwa 12 Städte, in der Zeit von 1230 bis 1265 allein folgten 21 Neugründungen der beiden Markgrafen Johann I. und Otto III.; 18 neumärkische Städte entstanden zwischen 1250 und 1314. Die heute im Gebiete des Königreichs Sachsen vorhandenen 143 Städte bestanden etwa zur Hälfte schon 1300 als Siedlungen mit Marktverkehr oder mit vollem Stadtrecht. In Schlesien gab es im 13. Jahrhundert schon 63 Städte, in Hessen nach Schraders Berechnung 62, fast die Hälfte des heutigen Bestandes (137). Von den 88 Städten, "welche das heute zur Schweiz gehörige Gebiet im Mittelalter aufweist, entstanden 3/4, d. i. 64 Städte, im 13. Jahrhundert" 12 ); im 14. Jahrhundert kamen noch etwa 10 dazu.

Die Tatsache, daß die ganz überwiegende Mehrzahl der heute nachweisbaren Städte in den ehemals slavischen Gebieten des Reiches während der Kolonisationszeit des 12. bis 14. Jahrhunderts entstand, kann nicht bezweifelt werden. Dagegen bleibt die Frage offen, in welchem Verhältnis die Bevölkerung der ältesten Zeit, namentlich in den größeren Städten, sich aus slavischen Elementen und deutschen Ansiedlern zusammengesetzt hat, - denn Kolonisation und Germanisation brauchen nicht identisch zu sein; und da die germanisatorische Bedeutung der Kolonialstadt von slavischen, insbesondere polnischen Historikern neuerer Zeit bestritten, jedenfalls nicht voll anerkannt wird, ist es notwendig, eine positive Antwort auf die auch von der deutschen Forschung noch nicht eingehend behandelte Frage zu suchen, inwieweit die mit der Städtegründung einsetzende, das ganze innere Leben des Deutschen Reiches in revolutionärer Weise umgestaltende Bewegung die Eindeutschung der ehemals slavischen bzw. preußischen Gebiete befördert hat.

I.

Die Bedeutung des Städtewesens für die Germanisierung Mecklenburgs.

Die Einwanderungsbewegung in den Städten ist die Grundlage für die Germanisation gewesen. Die Stärke dieser Einwanderung können wir, da die literarischen und urkundlichen Quellen keine ausführliche Nachricht geben, hauptsächlich nur aus den Familiennamen der ältesten städtischen Einwohner und zwar aus den sogenannten "Herkunftsnamen" erschließen, welche den Taufnamen mit dem Herkunftsort verbinden. Die


12) Ulr. Stutz, Zeitschr. der Sav.-Stift. G. A. 1929 Bd. 49 S. 636.
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Zahl der germanistischen Untersuchungen für das Kolonisationsgebiet ist verhältnismäßig ansehnlich, beschränkt sich aber im wesentlichen auf größere Städte: Kiel (K. Weinhold, 1866), Anklam (P. Manke, 1887-1889), Bremen (Carstens, 1906), Breslau (H. Reichert, 1908), Hamburg (G. Mahnken, 1925), Liegnitz (H. Bahlow, 1926), Lübeck (Alm. Reimpell, 1929), Greifswald (H. Nüske, 1928), Barth (K. Müller), Stralsund (H. Bahlow) 13 ). Das mecklenburgische Gebiet ist bisher lediglich in einer sehr verdienstlichen Dissertation von Frl. Helene Brockmüller 14 ) berücksichtigt worden, welche für einen Zeitraum von rund 50 Jahren (1250-1304) einige tausend Namen der ältesten Rostocker Bürger untersucht, unter denen sich 2263 Träger von Herkunftsnamen befinden. Da die Gesamtzahl der von H. Brockmüller behandelten Rostocker Personennamen 4734 beträgt, überwiegt die Zahl der Herkunftsnamen (2263) im Vergleich


13) K. Weinhold, Die Personennamen des ältesten Kieler Stadtbuches 1264-1288. Jahrbb. f. Landeskunde der Herzogtümer Schleswig-Holstein Bd. 9, Kiel 1866; Paul Manke, Anklamer Personennamen. Schulprogr. Anklam 1887-1889; K. Carstens, Beiträge zur Geschichte der bremischen Familiennamen. Marburg 1906; H. Reichert, Die deutschen Familiennamen nach Breslauer Quellen des 13. und 14. Jahrh. Wort und Brauch, Heft 1, Breslau 1908; G. Mahnken, Die hamburgischen niederdeutschen Personennamen des 13. Jahrh. Dortmund 1925; Hans Bahlow, Studien zur ältesten Geschichte der Liegnitzer Familiennamen, Liegnitz 1926; Allm. Reimpell, Die Lübecker Personennamen bis zur Mitte des 14. Jahrh., Diss. Hamburg 1929 (Rez. von H. Bahlow im Theutonista 1930 S. 79, 80); Hugo Nüske, Die Greifswalder Familiennamen des 13. und 14. Jahrh. (1250-1400), Diss. Greifsw. 1929; Kurt Müller, Barther Personennamen im Spätmittelalter (1324-1505), Diss. Greifswald 1933; Hans Bahlow, Die Stralsunder Bürgernamen um 1300, Baltische Studien N. F. 36, 1934 S. 1-59. Die Literatur ist nur zum kleinen Teil verzeichnet bei Dahlmann-Waitz (Häring), 9. Aufl. 1931 S. 24 Nr. 450 ff. - Vgl. auch Ad. Bach, Deutsche Herkunftsnamen in sachlicher Auswertung. Rheinische Vierteljahrsbll. Jahrg. 1 (1931) S. 358-377 (für Frankfurt a. M., Friedberg und Wetzlar); Ernst Günther Krüger, Die Bevölkerungsverschiebung aus den altdeutschen Städten über Lübeck in die Städte des Ostseegebietes. Zeitschr. d. Ver. f. Lübeckische Gesch. Bd. 27 (1933) S. 101-158 und Bd. 28 (1934). Die Abhandlung von H. Strunk, Über den niederdeutschen Anteil an der Altdanziger Bevölkerung. Altpreuß. Forsch. Jahrg. 4 (1927) S. 41 ff. sucht nur die niederdeutsche Wanderung (aus dem niederfränkischen, niedersächsischen und friesischen Sprachgebiet) mit Verwertung des Bürgerbuches für die Jahre 1364 bis 1434 festzustellen.
14) Helene Brockmüller, Die Rostocker Personennamen bis 1304. Diss. Rostock 1933. Über die wendischen Bewohner Rostocks vgl. Lisch und Mann, Meckl. Jahrbb. (1856) Bd. 21 S. 27 ff., 42.
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zu den Berufs- und Übernamen verhältnismäßig sehr stark 15 ). "Die Zahl der mit Herkunftsnamen benannten Personen", schreibt Bahlow, "beträgt in Hamburg 842 oder rund 40 v. H., in Lübeck 3329 oder rund 53 v. H., in Rostock 2263 oder rund 48 v. H. (in Barth 305 oder rund 35 v. H.), in Stralsund 1158 oder rund 40 v. H., in Greifswald 521 oder rund 40 v. H. Also fast jeder zweite Beiname verrät die Herkunft des Trägers bzw. seiner Familie 16 ). Mit Hilfe der Orts- und Ländernamen Rostocker Bürger des 13. Jahrhunderts ermittelt H. Brockmüller diejenigen Gebiete Deutschlands, welche an der Besiedlung der Kolonialstadt Rostock beteiligt waren und veranschaulicht ihr Ergebnis auf S. 83 durch folgende Tabelle:

Tabelle der Herkunftsnamen Rostocker Bürger
(etwa 1250-1304).

Deutsche Länder.
Tabelle der Herkunftsnamen Rostocker Bürger (etwa 1250-1304) Deutsche Länder

16) Hans Bahlow, Der Zug nach dem Osten im Spiegel der niederdeutschen Namenforschung, insbesondere in Mecklenburg. Teutonista, Zeitschr. f. deutsche Dialektforschung und Sprachgeschichte IX 4 (1933) S. 224.
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Außerdeutsche Länder.
Tabelle der Herkunftsnamen Rostocker Bürger (etwa 1250-1304) Außerdeutsche Länder

Nach dieser Tabelle sind an der Besiedlung Rostocks überwiegend (mit 886 Namensträgern) mecklenburgische Dörfer und Städte beteiligt gewesen - wie überhaupt die Forschung des letzten Jahrzehnts ergeben hat, "daß der Zuzug nach den Städten zu 45 bis 50 v. H. aus der nächsten und näheren Umgebung derselben erfolgte" 17 ); nächst Mecklenburg folgen in großen Abständen die folgenden Gebiete: Westfalen (mit 207), Ostfalen (mit 98), Nordalbingien zwischen Weser und Elbe (mit 90), Holstein und Lübeck, Hamburg, Lauenburg (mit 87), Pommern (mit 87), Brandenburg mit Alt- und Ukermark (mit 59), Rheinland (mit 49), Westpreußen und Ostpreußen (mit 14), Ostfriesland und Oldenburg (mit 12 Namensträgern). Das Verhältnis der mecklenburgischen zu den nicht-mecklenburgischen (d. h. deutschen [740] und außerdeutschen [124] nach Herkunftsorten benannten) Namensträgern beträgt: 886: 864. Die Siedler aus dem Westen mögen hauptsächlich Kaufleute, die Einwanderer aus Mecklenburg vor allem Gewerbetreibende gewesen sein. Slaven glaubt Frl. H. Brockmüller mit Hilfe der von ihr benutzten Quellen nur etwa 25 feststellen zu können 18 ).

Die älteste Bevölkerung der wahrscheinlich im Jahre 1226 gegründeten Stadt Wismar scheint sich ganz ähnlich zusammen-


17) Vgl. Hans Bahlow a. a. O. S. 225.
18) Die Tatsache, daß die Wenden eigne Gerichtsbarkeit hatten, daß im Jahre 1267 ein Wendenvogt erwähnt wird und andere Erwägungen weisen auf eine erheblich größere Zahl slavischer Einwohner hin.
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gesetzt zu haben, wie diejenige Rostocks. Fr. Techen zählt im ältesten Wismarer Stadtbuch, das vom Jahre 1250 bis 1272 reicht, 203 verschiedene, von Ortsnamen gebildete Familiennamen und 417 Personen, die Herkunftsnamen tragen 19 ).

Hiervon gehören

nach Mecklenburg 205 Personen = 49,2 %,
nach Sachsen und Friesland 51 Personen = 12,2 %,
nach Westfalen 46 Personen = 11   %,
nach Holstein und Lauenburg 25 Personen =   6   %,
nach Niederrhein, Holland, Flandern 15 Personen =   3,6 %,
nach Altmark, Mittelmark, Priegnitz 13 Personen =   3,1 %,
nach Dänemark, Schleswig 14 Personen =   3,4 %.

In der um 1290 beginnenden und bis 1340 reichenden Bürgermatrikel zählt Techen 600 Herkunftsnamen und 1810 nach ihnen benannte Personen, von denen

nach Mecklenburg 1178 Personen = 65,1 %
nach Sachsen und Friesland 150 Personen =   8,3 %,
nach Westfalen 164 Personen =   9,1 %,
nach Holstein, Lauenburg 124 Personen =   6,9 %,
nach Niederrhein, Holland, Flandern 23 Personen =   1,3 %

gehören. Nach dieser Zusammenstellung hat die Zahl der aus Mecklenburg selbst gebürtigen Stadtbewohner Wismars seit 1290, wie es scheint, noch zugenommen.

Die Einwohnerschaft der mittleren und vollends der kleinen Städte Mecklenburgs, deren Familiennamen noch nicht genauer untersucht worden sind, wird im allgemeinen sehr viel stärker, als es bei den hansischen Seestädten der Fall ist, aus Mecklenburg selbst Zufluß erhalten haben 20 ). Natürlich ist es schwer, vielleicht unmöglich, zu entscheiden, ob die Einwanderer aus


19) Friedr. Techen, Die Gründung Wismars. Hansische Geschichtsbll. Jahrg. 1903 Bd. 11 (1904) S. 121-134: vgl. die Zuammenstellung auf S. 132 ff.; Ders., Geschichte der Stadt Wismar, Wismar 1929 S. 4 (hier nur kurze Zusammenfassung).
20) K. Bertheau, Die Ansiedlung niedersächsischer Familien in den Städten Mecklenburgs und Vorpommerns im 13. Jahrh. Niedersachsen 1915 Jahrg. 20 S. 152: "Meistens sind die Bewohner der kleineren Städte nach benachbarten Dörfern benannt, wie in Parchim von Dambeck, Brüsewitz und Brüsow." Kühl, Geschichte von Ribnitz S. 140 spricht von "vielen wendischen Familiennamen, die auf ein Abwandern von den benachbarten Dörfern in die Stadt deuten.
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mecklenburgischen Ortschaften slavischer oder deutscher Herkunft gewesen sind.

Die Zusammensetzung der ältesten Stadtbevölkerung aus deutschen und slavischen Elementen mag in großen, mittleren und kleinen Städten verschieden gewesen sein; doch wird der deutsche Teil der Bevölkerung als Inhaber der Bürgermeister- und Ratsherrnposten wie anderer höherer städtischen Ämter regelmäßig die herrschende Schicht gewesen sein. Man wird dies annehmen dürfen, wenn auch spezielle Untersuchungen über die Herkunft der Beamtenfamilien für Mecklenburg gar nicht, für andere Teile des Kolonisationsgebietes bisher nur ganz vereinzelt vorliegen 21 ) und die Entscheidung dadurch erschwert wird, daß im 13. Jahrhundert im allgemeinen die Familiennamen noch nicht festgeworden sind und häufig daher nur die Vor- oder Taufnamen der consules usw. in den Urkunden genannt werden. Der Reiz zur Ansiedlung Altdeutscher hat in den beiden Hansastädten Rostock und Wismar am stärksten gewirkt, aber auch in den Landstädten (Güstrow, Teterow, Waren, Parchim, Plau, Goldberg, Röbel, Penzlin usw.) 22 ) weisen die überlieferten Personennamen der consules usw. überwiegend oder teilweise auf deutsche Abstammung der städtischen Beamtenschaft hin. Vielleicht hat sich die Forderung deutscher Herkunft erst allmählich durchgesetzt. Es fällt wenigstens auf, daß die zunftmäßig organisierten gewerblichen Verbände, zu denen in ältester Zeit auch Slaven gehörten 23 ), erst


21) Nach Wilh. Polthier, Die Herkunft und Zusammensetzung der Greifswalder Ratsfamilien in geographischer und sozialer Hinsicht. Diss. Greifsw. 1923 waren die Ratsfamilien Greifswalds durchaus deutscher, insbesondere niedersächsischer und niederfränkischer Herkunft.
22) Vgl. K. Hoffmann a. a. O. S. 125 (Güstrow), S. 139 (Teterow), S. 146 (Waren), S. 98 (Parchim), S. 103, 104 (Plau), S. 107 (Goldberg), S. 136 (Röbel), S. 138 (Penzlin).
23) So werden z. B. die Speckschneider Rostocks auch "Slavi" genannt (M.U.B. Bd. 7 Nr. 4608); "im Jahr 1330 ward die Befugnis der Wenden (Slavi lardum vendentes), Speck zu verkaufen, den Knochenhauern gegenüber, vom Rathe geordnet" (Lisch, Jahrbb. Bd. 21 S. 29, S. 42). Die Küter d. i. Schlächter, die sich auf das Verarbeiten der Eingeweide beschränkten, waren ebenfalls Wenden, während zum vornehmeren Schlächtergewerbe, den Knochenhauern, nur Deutsche Zutritt hatten. Fr. Bertheau. Zeitschr. d. hist. Ver. f. Niedersachsen, Jahrg. 77, 1912 S. 153 vermutet hiernach, daß die Wenden nur die weniger angesehenen Gewerbe betrieben.
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in späterer Zeit, wie es scheint, und mit wachsendem Nachdruck die Forderung "echter und rechter Geburt von guden deutschen Leuten" erheben 24 ).

Die deutschstämmige Bevölkerung ist zum mindesten in den großen Städten Mecklenburgs, wie gewiß auch anderer Länder des Kolonisationsgebietes, das ausschlaggebende, herrschende Element gewesen. Man darf daher ohne weiteres annehmen, daß die von jenen Städten inkorporierten, in der Bannmeile gelegenen Dörfer 25 ), welche Bürgerrecht erhielten, schnell dem germanisierenden Einfluß der innerhalb der Stadtmauern angesessenen Bürgerschaft erlegen sind. Darüber hinaus aber haben größere Städte durch planmäßige Kolonisation außerhalb der städtischen Feldmark den deutschen Einfluß weit in das Land hineingetragen. Die eine Form dieser Kolonisation ist die namentlich in Schlesien und Großpolen weit verbreitete sog. "Stadt-Landsiedlung": Die Städte als solche hatten in Großpolen von Anfang an den Beruf, auch das Land zu besiedeln; in Schlesien erhielten die Stadtlokatoren oftmals schon im Gründungsprivileg den Auftrag, das Territorium mit Dörfern zu besetzen 26 ). Die Form dieser "Stadt-Landsiedlung"


24) Die Rostocker Zunftrollen fordern dort, wo sie von den Lehrlingen handeln, daß diese vor der Aufnahme angesichts der Zunftvorsteher Ihre echte und rechte Geburt "von guden dudeschen luden" bezeugten; vgl. z. B. die Rollen der Grapen- und Kannengießer (Rostocker Stadtarchiv, liber arbitriorum II fol. 26 b), der Goldschmiede (Art. 9), der Böttcher (Art. 10) und anderer Gewerbe. Der gleiche Brauch galt in der Mark Brandenburg z. B. bei den Schustern in Freienwalde 1414 (Riedel, Cod. dipl. brand. 1 XII 386, VII), bei den Pelzern in Neuruppin 1434 (Riedel 1 IV 324 ff. XLIV), und Webern in Neuruppin 1440 (a. a. O. 1 IV 331 ff. L). Die Pelzer und Weber forderten echt deutsche Geburt "durch eine Reihe von 4 Ahnen hindurch". Vgl. auch Bruno König, Die Handwerksprivilegien der Breslauer Bischöfe. Zeitschr. f. Gesch. und Kulturgesch. Österreichisch-Schlesiens, Jahrg. 3, 1907/8 S. 23; I. Höhler, Die Anfänge des Handwerks in Lübeck. Archiv f. Kulturgesch., 1903, Bd. 1 S. 163 ff. etc.
25) Die Stadtmark der Stadt Posen umfaßte innerhalb der Bannmeile nicht weniger als 17 Dörfer.
26) Vgl. Rich. Koebner, Deutsches Recht und deutsche Kolonisation in den Piastenländern. Vierteljahrschr. f. Soz.- und Wirtschgesch., 1932 Bd. 25 S. 313-352. Koebner führt hier auf S. 335 Beispiele aus Tzschoppe = Stenzel (Nr. 45, 51, 60) an. "Przemysl II. hat 1282 bei der Neugründung von Kalisch und 1290 im kleinpolnischen Miechow dem Stadtvogt zugleich die Lokation der Um- (  ...  )
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scheint sich nicht auf den Osten beschränkt zu haben, denn auch für Mecklenburg ist urkundlich überliefert, daß Fürst Heinrich Borwin II. 1226 die als "cultures" bezeichneten Unternehmer der Stadtgründungen von Parchim und Plau verpflichtete, die beiden Städte auszubauen und zugleich das Land (Parchim und Plau) zu kolonisieren 27 ); und, wie es scheint, beschränkte sich die kolonisierende Tätigkeit der Städte nicht auf Dorfgründungen. Es ist wahrscheinlich, daß Rostock z. B. an der Gründung der in der Herrschaft Rostock gelegenen Städte, die sämtlich an einem direkt nach ihrer Mutterstadt führenden Wege lagen, durch Initiative der Stadt und kapitalreicher, aus Ratsfamilien stammender Kaufleute beteiligt war. In den meisten Landesstädten dieser Herrschaft kamen Namen von Ratsmännern vor, die auch in Rostock von Ratsgeschlechtern geführt wurden. Der bekannte Rostocker Ratmann Arnold Kopmann oder ein Vorfahre desselben scheint Lokator der Stadtgemeinde Sülze gewesen zu sein 28 ).

Eine zweite, offenbar sehr verbreitete Form der bürgerlich-städtischen Kolonisation ist bisher wenig beachtet worden: Die Bürger der seit dem 12. Jahrhundert entstandenen, durch günstige Lage an der See oder an Handelsstraßen bevorzugten Gemeinden, die sich rasch mit Ansiedlern füllten und durch den Handel bereicherten, fanden auf dem Lande geeignete Anlage ihres durch Fernhandel und Kleinverkauf erworbenen Kapitals. Schon Caro 29 ) stellte fest, daß ländlicher Grundbesitz einen ansehnlichen Teil des Vermögens deutscher Stadteinwohner ausmachte. Julius Lippert 30 ) und besonders Ad.


(  ...  ) gebung übertragen" (S. 338). Koebner verweist auf S. 330 auch auf Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der "den Platz Jüterbogk als ein Ordnungszentrum vorgesehen, das der Kolonisation des Landes einen Rückhalt geben soll." Vgl. auch Heinr. Bechtel, Mittelalterliche Siedlung und Agrarverhältnisse im Posener Lande. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Gutsherrschaft. Schmollers Jahrb., 1925, Jahrg. 49 S. 115-145, insbes. S. 133/134.
27) Karl Hoffmann a. a. O. (Meckl. Jahrbb., 1930) S. 96, 102, 158.
28) K. Hoffmann a. a. O. S. 57 ff.
29) G. Caro, Ländlicher Grundbesitz von Stadtbürgern im Ma. Jahrbb. f. Nat. und Stat. Bd. 86 (III Folge Bd. 31) Jena 1906 S. 721-743: Ders., Neue Beiträge zur deutschen Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte, Leipzig 1911 S. 130 ff.
30) Jul. Lippert, Bürgerlicher Grundbesitz im 14. Jahrh. Mitt. d. Ver. f. Gesch. der Deutschen in Böhmen, Jahrg. 40, 1901 S. 1-50, 169-211, bes. S. 173, 191.
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Zycha 31 ) führten dann für Böhmen den Nachweis, daß zahlreiche Kaufleute Prags ganz überwiegend deutscher Herkunft während des 13. und 14. Jahrhunderts in einem Umkreise von 3 km. im Durchmesser um die Stadt herum geradezu "allen Landbesitz an sich brachten, der sich nicht im Besitz der toten Hand oder als Deputatland in den Händen der hohen Landesämter befand"; und Prag war nicht die einzige Stadt Böhmens, welche das flache Land in ihrem Umkreise in Besitz nahm. Gewiß bezweckte dieser bürgerliche "Agrarkapitalismus" zum großen Teil Anlage erworbenen Kapitals in Rentenform; doch hören wir auch von Landerwerbungen, die nach Art der Lokation erfolgten, indem unternehmende Bürger kaufweise Herrschafts-und Stiftsgrund zur Neubesiedlung übernahmen; sie erhielten dann bisweilen Freihufen und andere Vorrechte des Lokators; und häufig kam es gewiß schon damals vor, daß Kaufleute, deren Familien im Handel ihrer Vaterstadt reich geworden waren, aus Ehrgeiz oder anderen Gründen ein ritterliches Leben als fürstliche Lehnmannen vorzogen und mit der Standeserhöhung, welche die Ritterwürde verlieh, in die Schicht der landesherrlichen Ritterschaft emporstiegen 32 ). Eine mehr oder minder ausgedehnte kolonisatorische Tätigkeit ging also auch von Einzelbürgern der Städte aus. Der Völkerwanderung, welche zur Zeit der Entstehung des Städtewesens die Dörfer entleerte, folgte im 13. und 14. Jahrhundert eine Rückwanderung von den Städten aus auf das flache Land.


31) Ad. Zycha, Über den Ursprung der Städte in Böhmen. Mitt. d. Ver. f. Gesch. der Deutschen in Böhmen, 1914 Bd. 52 S. 2 ff., 263 ff., 559 ff., bes. S. 570 ff. und Bd. 53 (1915) S. 124-170. Vgl. auch Rich. Koebner, Vierteljahrschr. f. Soz.- und Wirtschgesch. 1932 Bd. 25 S. 313-352, bes. S. 333, 336: "Der bürgerliche Landerwerb jenseits der Grenzen (der Stadtmark) hat nicht immer, aber doch sehr häufig kolonisatorische Bedeutung", S. 338; G. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat im Mittelalter, Darstellungen und Quellen zur schles. Gesch. Bd. 30, 1929; Martin Hefenbrock, Lübecker Kapitalsanlagen in Mecklenburg bis 1400, Diss. Kiel 1929; Hagedorn, Verfassungsgeschichte der Stadt Magdeburg bis zum Ausgange des 13. Jahrh., Geschbl. f. Stadt und Land Magdeburg, 1882 Bd. 17 S. 311 ff.
32) Vgl. R. Koebner a. a. O. S. 329 Anm. 1; Jul. Lippert a. a O. S. 175, 191; Ulr. Römer a. a. O. S. 78 ff.; A. Hagedorn, Verfgesch. der Stadt Magdeburg. Geschbll. f. Stadt und Land Magdeburg, 1885 Bd. 20 S. 91, 92.
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Die Erforschung dieses wichtigen, keineswegs dem Kolonialgebiet eigentümlichen Vorganges hat sich bisher im wesentlichen auf böhmisches und polnisches Gebiet beschränkt, in der Landesgeschichte Mecklenburgs und anderer deutscher Kolonialländer dagegen noch keine Beachtung gefunden; doch kann es nicht zweifelhaft sein, daß Bürger Rostocks 33 ), Wismars und anderer mecklenburgischer Städte Renten, Liegenschaften, Landgüter usw. im Umkreis des gesamten mecklenburgischen Gebietes schon seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, mehr noch im 14. Jahrhundert erwarben und damit zugleich die Germanisation des flachen Landes gefördert haben.

Die Kolonialstadt auf ehemals slavischem Boden ist die Pflegestätte deutschen Lebens im weitesten Sinne gewesen. Diese Tatsache kommt vor allen Dingen in der Verleihung deutschen Stadtrechtes zum Ausdruck, "einem der bedeutendsten Prozesse der Kulturexpansion und -assimilation". Die Slaven haben vor der Kolonisationszeit ein eigenes Stadtrecht nicht entwickelt. Das den Stadtsiedlungen verliehene deutsche Recht aber, mochte es Lübecker oder Magdeburger, Freiburger oder Rostocker oder ein anderes Recht sein (Rostock war die Tochterstadt von Lübeck), verpflanzte nicht etwa bloß deutsche Rechtsinstitute auf slavischen Boden; ebenso wie das den neugegründeten Dörfern verliehene jus teutonicum (flamingicale oder franconicum) keine bloße Rechtsordnung enthielt, sondern im Gegensatz zum jus polonicum ganz einfach die Verhältnisse der Dörfer nach deutscher Art bezeichnete, so ging auch mit der Verleihung des Stadtrechtes die ganze Lebensform der freien deutschen Stadtgemeinden, die materielle und geistige Kultur, mit dem Recht und Schöffengericht auch das Prozeßverfahren, mit dem wirtschaftlichen und sozialen Leben das Schul- und Bildungswesen, das künstlerische und geistige Schaffen nach deutscher Art auf die neue bürgerliche Gemeinde über. Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung lassen sich nicht mehr erkennen. Aber das Ergebnis liegt klar zutage. Eine Vorstellung von der Bedeutung desselben wird sich gewinnen lassen, wenn wir versuchen, wenigstens die hauptsächlichsten Auswirkungen jener revolutionären Umgestaltung hervorzuheben, die sich im deutschen Mutterland wie auf kolonialem


33) Vgl. P. Meyer, Die Rostocker Stadtverfassung. Mecklenb. Jahrbb. (1929) Bd. 93 S. 47 ff.
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Boden des Nordens und Ostens vollzog, als sich das Reich seit dem 11. Jahrhundert vom Westen und Süden bis zur Nord- und Ostgrenze mit deutschen Städten bedeckte.

II.

Allgemeine Bedeutung des deutschen Städtewesens.

Die deutsche Kolonisation der ehemals slavischen bzw. preußischen Gebiete des Ostens und Nordens, "die größte und folgenreichste Wandlung, die das deutsche Reich während des ganzen Mittelalters in seiner inneren Gestaltung erfahren sollte", hat in den zeitgenössischen Quellen nur einen ganz dürftigen Niederschlag hinterlassen. Da die literarische Überlieferung fast ganz versagt, erhalten wir Kunde über die Stadtgründungen und -erhebungen im wesentlichen nur aus den urkundlichen Quellen, namentlich den Lokationsverträgen, welche das rechtliche Verhältnis zwischen Grundherrn und Lokator regeln, aber über die Vorgeschichte der einzelnen Gründungen, die inneren Triebkräfte der Bewegung, die Motive und Ziele der Gründer nur ganz selten knappe Auskunft geben.

Die Zeit der Städtegründungen verändert schon äußerlich den Boden des Reiches. Nicht nur entstanden innerhalb einer fast rein agrarischen Bevölkerung hunderte von größeren und kleineren Städten mit Festungsanlagen zum Schutz der Bürger, mit dichtgedrängter Bevölkerung, Gewerbe und Handel; auch das flache Land wurde von der Bewegung aufs stärkste erfaßt. Die bäuerliche Bevölkerung geriet in Bewegung. Wie in unserer Zeit die Anziehungskraft der Großstadt wirkt, so drängten im 12./13. Jahrhundert die Bewohner des Landes, auch zahlreiche Hörige und Unfreie, in die Städte, wo sie neben äußerem Schutz Freiheit der Person und des Eigentums, bessere Erwerbs- und Bildungsmöglichkeiten, Freuden der Geselligkeit und erhöhten Genuß des Daseins fanden. Die Worte Schmollers sind kaum übertrieben: "Es war wie eine Vö1kerwanderung vom platten Lande nach den Städten" 34 ). Auch


34) G. Schmoller, Straßburgs Blüte und die volkswirtschaftliche Revolution im 13. Jahrh., in: "Deutsches Städtewesen in älterer Zeit". Bonner staatswirtschaftliche Untersuchungen, Heft 5, Bonn 1922 S. 167.
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hiervon schweigt die literarische Überlieferung. Nur ein sprechendes Zeugnis der Bevölkerungsverschiebung ist noch heute erhalten: die große Masse der im Umkreis der Städte und in den Stadtfeldmarken selbst gelegenen Wüstungen. Die Zahl derselben ist auffallend groß; nach den Ausführungen Jos. Lappes, der die Wüstungen der Provinz Westfalen in einem verdienstlichen Buche behandelt, sind z. B. im Territorium der früheren Reichsstadt Mühlhausen i. Th. mehr als zwei Drittel der Ortschaften verschwunden; "in Nordthüringen machen die 500 Wüstungen mehr als das Doppelte der bestehenden Ortschaften aus". In der Altmark ist nur noch der dritte Teil der vorhandenen Siedlungen erhalten 35 ). Diese merkwürdigen Tatsachen sind nicht bloß zu erklären aus Verwüstungen der Kriege, etwa des dreißigjährigen Krieges; "denn einerseits bestehen fast alle Orte, die vor dem dreißigjährigen Kriege genannt werden, auch heute noch, andererseits lagen die Siedlungen, die heute verödet sind, schon vorher wüst; und wenn Dörfer zerstört wurden, sind sie in der Regel wieder aufgebaut worden 36 ). Auch Feuersbrünste, elementare Ereignisse, wie Sturmfluten u. dgl., das Auskaufen der Bauernstellen (Bauernlegen) wirkten nicht entscheidend ein. Die weitaus größte Zahl der Wüstungen ist, wie es scheint, in der Zeit der Stadtgründungen dadurch entstanden, daß einzelne Dörfer durch Vereinigung zu größeren Gemeinden zusammengelegt und viele Städte durch Aufnahme einzelner Bauern und Angliede-


35) Jos. Lappe, Die Wüstungen der Provinz Westfalen. Veröffentlichungen der histor. Kommission für die Prov. Westfalen, Münster i. W. 1916 S. 1, 2; vgl. bes. S. 70-85 (Die Wüstungen in der Umgebung der Städte), S. 86-121 (Die Sondergemeinden in den Städten); vgl. auch F. Curschmann, Die Aufgaben der histor. Kommission bei der Erforschung der mittelalterl. Kolonisation Deutschlands, Altpreuß. Forschungen Jahrg. 4, 1927 S. 15 ff., S. 27 ff. (Wüstungsverzeichnisse und Flurnamensammlungen; bes. für die Prov. Sachsen); er zählt S. 28 ff. die bis dahin erschienenen Wüstungsverzeichnisse auf, soweit sie das Kolonisationsgebiet betreffen; Festschrift für Rud. Kötzschke zum 60. Geburtstag "Deutsche Siedlungsforschungen", Leipz. 1927 S. 17 ff. (S. 141-160: Das Wüstungsproblem); Alex. Coulin, Die Wüstung, Zeitschr. f. vergleichende Rechtswiss., Stuttg. 1915. Bd. 32 S. 326 ff.; Werner Spieß, Die Entstehung der deutschen Städte mit bes. Berücksichtigung der Stadt Frankenberg in Hessen. Deutsche Geschbll. Bd. 20, 1923 Heft 7/12 S. 97-110, insbes. S. 103 ff. Vgl. Dahlmann-Waitz, Quellenkunde z. dtschen Gesch. 9. Aufl. 1931 Nr. 181, 188, 191, 195.
36) Jos. Lappe a. a. O. S. 8, 9.
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rung ganzer Ortschaften vergrößert worden sind. Die meisten Wüstungen Westfalens, sagt Lappe, "sind in der Umgebung der Städte festgestellt"; es liegt auf der Hand, "daß die Häufung der Wüstungen an diesen Punkten durch die Stadt selbst verursacht sein muß". So erwähnt z. B. Werner Spieß, daß sich in der nächsten Nähe des hessischen Städtchens Frankenberg mehr als ein halbes Dutzend Wüstungen befindet 37 ). Die "Fluren der beiden Städtchen Barby und Kalbe (Nordthüringen) umschließen nicht weniger als je 17 Wüstungen". "Man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß in den meisten Landstrichen die Zahl der wüsten Orte die der heute vorhandenen erreicht oder übertrifft" 38 ). Auch in Mecklenburg, dem noch ein Verzeichnis seiner Wüstungen fehlt, sind zahlreiche Wüstungen außerhalb der Stadtgebiete und innerhalb der Stadtfeldmarken vorhanden: in Rostock 5, in Wismar 4, in Plau 6, in Schwerin 3, in Grabow 3, in Güstrow, Teterow, Grevesmühlen, Bützow je 1 usw. 39 ). Das ungewöhnlich große Ausmaß der Landflucht wird auch durch die bisher vorliegenden Untersuchungen über die ältesten bürgerlichen Familiennamen bestätigt, nach denen Mecklenburg selbst an der Besiedlung Rostocks den verhältnismäßig größten Anteil gehabt hat. In den mittleren und kleinen Städten wird der Prozentsatz noch erheblich höher gewesen sein.

Die Landflucht hat schwere Schäden hervorgerufen; aber andererseits ist durch Aufnahme der teilweise slavischen Bevölkerung in den Städten die Germanisierung wesentlich gefördert worden.

Das Deutsche Reich verliert seit der Entstehung der Städte seinen mehr oder weniger ausschließlich agrarischen Charakter. "Aus einem Bauernvolk", schreibt Schmoller, "wird ein Volk mit Städten, Großhandel, Gewerbe und Kolonien; aus der Naturalwirtschaft wächst die Geld- und Kreditwirtschaft heraus. Es ist eine wirtschaftliche Revolution,. die ich fast für größer halten möchte als jede spätere, die das deutsche Volk seither erlebt hat. Die beiden großen Zeiten wirtschaftlichen und tech-


37) Werner Spieß, Verfassungsgesch. der Stadt Frankenberg im Ma., Marb. Diss. 1922 (handschriftlich) S. 10.
38) F. Curschmann a. a. O. S. 29.
39) Jahrbb. XII 1847 S. 181; Mecklenb. Urk.-Buch IV Index "Kämmereigüter" S. 436 ff.; Lappe a. a. O. S. 71 Anm. 4.
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nischen Fortschritts seither, die Renaissance mit Pulver, Kompaß und Buchdruckerei und das 19. Jahrhundert mit Dampfmaschinen und Eisenbahnen haben auch wunderbar tief gegriffen." ... "Aber doch könnte man versucht sein zu behaupten, diese beiden wirtschaftlichen Fortschrittsepochen seien mehr nur sekundäre Fortsetzungen des 13. Jahrhunderts" 40 ). Mit Recht spricht Schmoller von einer wirtschaftlichen "Revolution" jener Zeit. Die Städte werden die stärkste Wirtschaftsmacht. Die Entwicklung des Geld- und Kreditwesens in den Städten bringt auch die Landesherren in Abhängigkeit von den neuen Geldmächten, den "Mittelpunkten des Mobiliarkredits". Das Gewerbewesen, die eigentlichste Schöpfung der städtischen Wirtschaft, entwickelte sich in vielseitigster Gliederung. Das Handwerk erhob sich zu Leistungen höchsten künstlerischen Wertes, die noch heute das Stadtbild bestimmen. Neben dem Handwerk gedieh der Handel. Die Großkaufleute Rostocks, Wismars, Lübecks und anderer durch Verkehrslage begünstigten Städte trieben Fernhandel und häuften Reichtümer an.

Die Bedeutung der wirtschaftlichen "Revolution", von der Schmoller spricht, kann nicht leicht übertrieben werden. Aber die Umwälzung beschränkt sich nicht auf die Wirtschaft. Man kann mit gleichem Recht auch von einer sozialen Revolution jener Zeit sprechen, in der neben den bis dahin politisch maßgebenden Ständen, dem höheren Klerus und dem Adel bzw. der Ritterschaft, der dritte Stand, das Bürgertum, sich für Jahrhunderte zum maßgebenden Faktor und Kulturträger im deutschen Volk erhebt. Will man die wichtigste soziale Leistung der Kolonisationszeit mit kurzen Worten beschreiben, so wird man sagen dürfen: sie bestand in der Schöpfung eines freien Bauern- und Bürgerstandes in den kolonisierten Gebieten. Die slavische Zeit kannte weder Städte im deutschen Rechtssinne noch einen freien Bürger-, Handwerker- und Kaufmannsstand; auch der Begriff der Gemeinde war ihr fremd. Vor der deut-


40) G. Schmoller, Straßburgs Blüte und die volkswirtschaftliche Revolution im 13. Jahrh. Deutsches Städtewesen in älterer Zeit (Bonner staatswissenschl. Untersuchungen Heft 5, 1922) S. 163; Ders., Die Straßburger Tucher- und Weberzunft, Straßb. 1879 S. 407: "Die volkswirtschaftliche Veränderung überhaupt, die das deutsche Volk im 13-14. Jahrh. erlebte, ist wohl, abgesehen von der Gegenwart, die größte historisch nachweisbare. Erst im 13. Jahrh. gewann das städtische Leben einen beherrschenden Einfluß auf die ganze Volkswirtschaft."
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schen Kolonisation gab es in den ehemals slavischen Gebieten des Reiches nur Märkte, in denen die landesherrlichen Monopole "das Eigentum an allen Einrichtungen, die zur regelmäßigen Ausstattung des Marktes gehörten" 41 ), an Brot-, Fleisch- und Schuhbänken, Schenken, an der Fischerei usw. umfaßten. Das deutsche Stadtrecht, mit dem zugleich das slavische Marktrecht verschwand, ließ "die gewerbliche Nutzung der Monopole auf die Bürger übergehen"; sie brachte die Rechte und Pflichten der bürgerlichen Siedler in ein heilsames Gleichgewicht und schuf durch diese und andere Maßnahmen das Fundament zur Entstehung der deutschen Stadt, als eines eigenen Friedens- und Rechtskreises, "eines in sich rechtlich geschlossenen, in seinen inneren Angelegenheiten selbständigen genossenschaftlichen Gemeinwesens". Die Stadt in diesem Sinne war, wie auch das Rittertum, eine den Slaven unbekannte, der germanisch-romanischen Völkerwelt des Abendlandes eigentümliche Erscheinung. Die "deutschen Ritter", sagt Ranke, "standen gegen Letten und Slaven in einem steten Gegensatz"; niemals hat sich das Rittertum "über andere Nationen erstreckt. Weder an dem Rittertum noch an der Entwicklung der Städte haben andere Nationen jemals teilgenommen. Noch im Jahre 1501 baten die Russen zu Moskau, ihnen einen Ritter, einen eisernen Mann, wie sie sagten, zu senden, und staunten ihn als ein Wunder an" 42 ).

Die Epoche der Städtegründung vollendete den gesellschaftlichen Aufbau des deutschen Volkes, wie er sich von der Höhe des Mittelalters bis ins 19. Jahrhundert wenig verändert erhalten hat 43 ). Seitdem gliederte sich das Volk in ständische Gruppen: in eine ziemlich gleichartige Schicht ritterlich lebender Grundherren, in einen nach seiner wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung im wesentlichen einheitlichen Bauernstand und ein freies, auch rechtlich vom Lande geschiedenes Bürgertum. Es war die soziale Grundlage für die Entstehung einer landständischen Verfassung.


41) R. Koebner a. a. O. S. 347.
42) L. v. Ranke, Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494-1535, Leipzig-Berlin, 1824 S. XXIX, XXXI.
43) Vgl. Otto Brunner, Bürgertum und Städtewesen im deutschen Mittelalter. In: Das Mittelalter in Einzeldarstellungen, Wien 1930 S. 157.
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Die Erhebung des Bürgertums in den aufblühenden Städten lenkte mit der sozialen und wirtschaftlichen Revolution auch das staatliche Leben in neue Bahnen; sie erschütterte den Lehnstaat in seinem Bestand und bereitete den Boden für eine neue Staatsform, die Entstehung der ständischen Verfassung. Zwei Gewalten vornehmlich durchbrachen das Gefüge des zur Zeit überwiegender Naturalwirtschaft entstandenen Lehnstaates: die Verselbständigung des Fürstentums (die Entstehung der Landesherrlichkeit in den deutschen Fürstentümern) und die mächtige Entfaltung des Städtewesens mit seiner Geldwirtschaft und neuen Kultur. Das Bürgertum, der dritte Stand, der in der Lehnsordnung keinen Platz mehr fand, erwies sich seit dem 12./13. Jahrhundert in ähnlicher Weise als revolutionäres Element, wie der mit der Großindustrie entstandene vierte Stand, die Arbeiterschaft, im 19. Jahrhundert; es sprengte allmählich die mit den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr übereinstimmende, daher unwahr gewordene und überlebte Form des Lehnstaates. Dadurch erlitten Reich und Länder eine vollständige Änderung ihrer staatsrechtlichen Grundlagen. Die größeren, durch politische Selbständigkeit und Reichtum ausgezeichneten Stadtgemeinden erhoben sich neben den beiden älteren politisch einflußreichen Ständen, dem Klerus und Adel bzw. der Ritterschaft, als selbständige Glieder des staatlichen Organismus, sie übernahmen mit der Erwerbung der wesentlichen Hoheitsrechte staatliche Funktionen und bildeten innerhalb ihrer Mauern zugleich eine Verwaltung aus, wie sie das deutsche Reich bis dahin nicht gekannt hatte. Die Selbstverwaltung war "das eigentümlichste Gebiet der städtischen Autonomie". Die Städte bauten den Bereich der inneren Verwaltung, den man damals als "Polizei" zu bezeichnen pflegte, die Lebensmittel-, Teuerungs-, Bau-, Straßen- und Verkehrs-, Feuer-, Luxus- und Sicherheitspolizei in eigenartiger Weise aus; die kommunale Verwaltung umfaßte auch das Unterrichtswesen, Kranken- und Armenpflege, Gebiete, welche bis dahin ganz oder teilweise die Geistlichkeit sich vorbehalten hatte.

Die mehr oder minder große politische Selbständigkeit, das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht ermöglichten es den Stadtgemeinden, wenigstens den mächtigeren und reichsten, nicht bloß Wirtschaft und Recht, Gewerbe- und Zunftwesen, sondern auch Bildung und Schulwesen, die lebenswichtigen Gebiete des staatlichen Lebens, nach eigenem Interesse zu

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gestalten. Bürgerliche Schulen entstanden neben den geistlichen. Das gewerbliche Bürgertum pflegte zugleich die Kunst in technischen Leistungen von hohem Wert, hochragenden Domen und Münstern, die mit Stadtmauern und Markt, Rathaus und Bürgerhäusern das neue eigenartige Bild einer deutschen Stadt bestimmen. Die Sorge für Bildungswesen und Kunst, im früheren Mittelalter ein Vorrecht des Klerus, seit der Kreuzzugszeit zugleich der ritterlichen Laien, fiel nunmehr auch dem Bürgertum zu; dadurch verstärkte sich das Laienelement, das am Kulturleben teilnahm. Das bürgerliche Dasein hat damals auch auf dem Kolonialboden im Norden und Osten des Reiches deutsche Prägung erhalten; und wie es scheint, hat die Reformationszeit den germanisatorischen Prozeß zu einem gewissen Abschluß geführt. Die religiösen Gedanken entwickelten damals eine solche Kraft, daß die nationalen Gegensätze dagegen zurücktraten. Die "gemeinschaftsbildende Kraft des Protestantismus" ließ die Verschiedenheit der Herkunft verschwinden. "Die in Preußen - und im heutigen Memelgebiet - angesiedelten Litauer sind nicht zum wenigsten durch die protestantische Glaubensgemeinschaft hindurch zu Preußen geworden - von ihren katholischen Volksgenossen im alten polnischen bzw. russischen Staatsgebiet durch eine tiefe kulturelle Kluft getrennt" 44 ). Auch diese folgereiche, noch wenig beachtete Bewegung hat von den Städten, "den stehenden Heereslagern der Kultur" (wie Herder sie nennt), ihren Ausgang genommen.

Das Städtewesen auf kolonialem Boden ist in dem eben angedeuteten umfassenden Sinne deutsches Einfuhrgut gewesen.

Dieser allgemeine tiefgreifende Wandel, den die städtische Kultur verursachte, vollzog sich ganz wesentlich während der Kolonisationszeit des 12. und 14. Jahrhunderts. Es ist sehr merkwürdig, daß sogar in der äußeren Ausdehnung der Stadtgemeinden seit dem 14. Jahrhundert ein langdauernder Stillstand eintrat. Die Städte haben seit der zweiten Hälfte des


44) H. Rothfels, Das Problem des Nationalismus im Osten (in: Deutschland und Polen, herausgeg. von A. Brackmann, 1933) S. 261 und Max Hein ebendas. S. 129. Vgl. auch Bauer, Die Glaubensspaltung in Ost- und Westpreußen und ihre nationalpolitischen Auswirkungen. Korrespondenzbl. des Gesver., Jahrg. 77, 1929, Sp. 17-33. Ob und wie weit die protestantische Glaubensgemeinschaft auch in Mecklenburg ausgleichend gewirkt hat, bedarf noch der Untersuchung.
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14. Jahrhunderts, wie Püschel an 15 Beispielen, Lübeck, Rostock, Wismar, Stralsund, Magdeburg usw., nachgewiesen hat 45 ), ihren räumlichen Umfang im wesentlichen bis zur Zeit der großstädtischen Entwicklung und Industriealisierung des 19. Jahrhunderts beibehalten. Diejenigen Städte, die sich in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert erweiterten, haben sich, wie z. B. Hamburg und Bremen, insbesondere die modernen Residenzstädte Berlin, Königsberg, Dresden, Neustrelitz 46 ) u. a., meist unter Ausnahmebedingungen entwickelt.

Die völkische Grundlage der Germanisotion ist in den großen, mittleren und kleinen Städten zweifellos sehr verschieden gewesen. Man kann sie mit Hilfe der Namenforschung (der Herkunftsnamen, die nur einen Teil der Namen aller feststellbaren Bürger ausmachen) vielleicht annähernd feststellen für einige größere Städte, für Rostock, Wismar, Stralsund, Lübeck u. a., wo ausnahmsweise die Stadtbuchführung mit ihren Eintragungen bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht 47 ), und dadurch wenigstens eine ungefähre Vorstellung von der Zusammensetzung der Bevölkerung gewinnen. Noch weniger aber als die ethnische Grundlage ist der Prozeß der Eindeutschung selbst, der sachlich und zeitlich nicht minder ungleich verlaufen sein wird, nach seiner Entwicklung und seinen äußeren Erscheinungsformen genauer festzustellen. Es bleibt daher nur übrig, aus dem augenfälligen Gegensatz slavischer und deutscher Zeit, aus der Summe all jener Produktionen, welche die deutsche Kultur mit dem Stadtrecht hervorbrachte,


45) Alfr. Püschel, Das Anwachsen der deutschen Städte in der Zeit mittelalterlicher Kolonialbewegung (Abhandl. z. Verkehrs- und Seegeschichte, herausgeg. von Dietr. Schäfer Bd. 4), Berlin 1910; Fritz Curschmann, Jahrbb. f. Natök. und Stat. 3. Folge, Bd. 44, 1912 S. 110; G. Schmoller, Deutsches Städtewesen S. 168; Hampe, Der Zug nach dem Osten, Heidelberg 1920 S. 44.
46) Endler, Geschichte der Landeshauptstadt Neustrelitz 1733 bis 1933, 1933.
47) Die Rostocker Stadtbücher sind vom Jahre 1257/8 an fast lückenlos erhalten; das älteste Wismarer Stadtbuch reicht von 1250-1272; das älteste Stralsunder Stadtbuch beginnt mit dem Jahre 1270, vgl. F. Fabricius, Das älteste Stralsunder Stadtbuch (1270-1310) Berlin 1872. Das älteste Oberstadtbuch von Lübeck (Grundbuch) beginnt nach Auskunft des Lübecker Staatsarchivs "1284 oder eigentlich schon Ende 1283. Das älteste Niederstadtbuch (öffentliche Buchung privater Rechtsgeschäfte) beginnt 1311" usw.
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sich wenigstens - wie es in diesen Aüsführungen versucht worden ist - eine annähernd richtige allgemeine Vorstellung von dem Umfang und den tiefgreifenden Wirkungen des mit der Germanisation beginnenden Kulturwandels zu bilden. Die Städte sind die eigentlichen Träger dieser Bewegung, das Rückgrat der Germanisation in den ehemals slavischen bzw. preußischen Gebieten des Reiches gewesen.

 

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III.

Das Zunftwesen
der Seestadt Wismar
bis zum Beginn
des 17. Jahrhunderts.

Ein Beitrag zur deutschen Zunftgeschichte

von

Joachim Brügmann.

 

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Inhaltsverzeichnis.

Seite
Kapitel I: Historischer Überblick 137
Erstes Vorkommen des Handwerks.
Erste Vereinigungen.
Unzweifelhafter Nachweis von Ämtern.
Die verschiedenen Ämter.
Die Straßennamen Wismars und ihre Beziehung auf das Handwerk.
Das Handwerk seiner Stellung zur Verwaltung der Stadt.
Versuche eines Zusammenschlusses gegen den Rat; erste Anzeichen von Unruhen 1345/53/72.
Die Unruhen von 1409/16 und 1427.
Streitigkeiten 1520/37.
Die Bürgerverträge 1583-1600.
Kapitel II: Verfassung und Verwaltung 150
Der Einfluß des Rates.
Die Zunftstatuten als Quellen für obrigkeitlichen Einfluß.
Amtswillküren. Zunftrollen. Ratswillküren.
Strafmaßbestimmungen zugunsten des Rates.
Amtsmorgensprachen und die Anwesenhiet von Ratsabgesandten auf denselben.
Lehrlingswesen
  Die Lehrlingsannahme vor den Werkmeistern und dem ganzen Amte.
  Vorbedingung ehelicher und freier Geburt.
  Lehrjahre mit Probezeit zu Beginn derselben.
  Lehrgeld, Abgaben an das Amt bei Antritt der Lehrzeit.
  Ermahnungen für die Lehrzeit.
  Lossprechung vor dem Amte.
Gesellenwesen
  Das Wandern der Gesellen als Brauch und Pflicht.
  Dauer des Dienstverhältnisses.
  Entlaufene Knechte.
  Arbeitssuche wandernder Gesellen.
  Das "Schenken" der Ortsansässigen.
  Abgaben an das Amt.
  Guter Ruf als Bedingung bei der Aufnahme.
  Wahrung der Gesellenehre.
  Bruderschaft und Gesellenschaft.
  Vorsteher.
  Ziele der Vereinigungen.
  Gesellenstreik und Gesellenverbündnis.
Die Meister
  Dienstjahre in der Stadt.
  Besitz und Dienstbriefe.
  Die Eschung.
  Erwerbung der Bürgerschaft.
  Meisterstücke.
  Besondere Abgaben und Meisterköste.
  Meisterwitwen im Amte.
  Vorteile bei Amtsheirat und für Meistersöhne.
  Fremde Meister.
  Älterleute und andere Ämter.
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Seite
Kapitel III: Zunftgerichtsbarkeit 175
Die Stadtgerichtsbarkeit, teilweise Abtretung an Ämter.
Die Älterleute als Rechtspersonen.
Umfang der Urteilsgewalt.
Berufungsmöglichkeit.
Gerichtsgefälle an Älterleute und Amt.
Schlichtung von Gesellenstreitigkeiten.
Meisterstrafrecht.
Freiheitsstrafen.
Gewerbeaufsichtspflicht der Älterleute.
Strafen für fehlerhafte Arbeit.
Kapitel IV: Das Zunftwesen und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt 181
Stadtwirtschaft und Marktgesetze.
Der Amtscharakter der Zünfte und ihre Pflichten gegenüber der Stadt.
1. Sorge für die Verbraucher seitens der Stadtobrigkeit.
  a) Forderung ausreichender Waren.
  Vorschriften über Anfertigungszeit.
  Begünstigung neuer Gewerbe.
  Zulassung stadtfremder Meister.
  Beeinflussung von Ein-und Ausfuhr.
  b) Vorschriften über die Qualität der Erzeugnisse.
  Bestimmung der Herstellungsart.
  Das Anbringen von Kennmarken auf den Waren.
  Kontrolle durch die Älterleute.
  c) Preisregelung.
2. Vorschriften für Produzenten.
  a) Der Umfang der Produktion wird geregelt.
  Bestimmung der Zahl der Arbeitskräfte, Arbeitszeit.
  b) Produktionskostenregelung.
  Gemeinsamer Kauf von Rohmaterialien.
  Festsetzung von Löhnen und Preisen.
  c) Qualitätsregelung.
  d) Regelung der Absatzfrage.
  Scharfe Trennung der Arbeitsgebiete und der Handelsart.
  Ort des Verkaufs.
  Verbot von Hausierhandel.
  Verhütung unlauteren Wettbewerbs.
  Bestimmung der Verkaufszeit.
  Verkauf durch "Nichtzünftige".
Kapitel V: Religiöses, geselliges u. militär. Leben i. d. Zünften 203
Abgaben für Lichte, Bahrtuch und Messen.
Der soziale Gedanke bei den Ämtern.
Kornaufkauf für Notzeiten.
Unterstützungskassen bei den Gesellen.
Amtsfestlichkeiten.
Die Wachtpflicht der Bürger und Ämter.
Art der Einberufung.
Zahlen der zu stellenden Gewaffneten.
Befreiung von Wachtpflicht.
Wehrabgaben.
Amtsharnisch.
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Kapitel I:

Historischer Überblick.

Die Stadt Wismar wurde 1226 neben einer bestehenden dörflichen Siedlung gegründet 1 ). Die Seelage war der Entwicklung der Stadt förderlich. Nach längerem Zwist mit den Landesherren gewann sie größere Selbständigkeit; durch den Erwerb der Vogtei 1373 2 ) und die Niederlegung des herzoglichen Turmes wurde Wismar von direkter Bevormundung frei. Sein engeres Bündnis mit den wendischen Städten seit 1283 und damit seine Teilnahme an der deutschen Hanse haben wesentlich zur günstigen Entwicklung des städtischen Lebens beigetragen 3 ).

Neben der günstigen Verkehrslage verdankt Wismar seinen Aufstieg vor allem der Tatkraft seiner Bürger, dem wagenden Unternehmungsgeist des Kaufmanns und dem nimmermüden Fleiß der in den Zünften organisierten Handwerker. Die folgende Darstellung des monographisch bisher noch nicht behandelten Zunftwesens der Stadt soll einen Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Wismars geben.

Das Handwerk der Stadt Wismar ist schon frühzeitig reich gegliedert gewesen. Im ältesten Stadtbuch 4 ), das die Zeit von etwa 1250 bis 1272 umfaßt, werden genannt: Bäcker, Schlachter, Fischer, Schuhmacher, Gerber, Schneider, Pelzer, Böttcher, Schmiede, Zimmerleute, Maurer, Krämer, Haken, ferner Brauer, Krüger, Garbräter, Heringswäscher, Grützmacher,


1) Friedrich Techen, Geschichte der Seestadt Wismar, Wismar 1929, S. 1.
2) Techen, a. a. O., S. 28.
3) Techen, a. a. O., S. 14.
4) Das älteste Wismarsche Stadtbuch von etwa 1250 bis 1272, herausgegeben von F. Techen (Festschrift zur Pfingsttagung des hansischen Geschichtsvereins), Wismar 1912.
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Wollenweber, Leinweber, Wandschneider, Hutfilter, Weißgerber, Beutler, Gürtler, Riemenschneider, Altschuster, Waffenschmiede, Schwertfeger, Goldschmiede, Grapengießer, Kannengießer, Kupferschläger, Kesselflicker und Töpfer. Vor 1290 begegnen noch: Reifer, Maler, Drechsler, Barbiere, 1292 bis 1294 Riemenschläger, Messerschmiede, Kerzenzieher, Bechermacher, Haardeckenmacher, 1296 Glaser; im Jahre 1472 wird ein Bernsteinpaternostermacher genannt 5 ). Man kann annehmen, daß die in den ältesten Ouellen noch fehlenden Gewerbe, wie Schlosser, Tischler, Sattler und andere Teilberufe, schon im 13. Jahrhundert vorhanden gewesen sind.

Die Gründe, die zur Entstehung von Ämtern geführt haben, sowie die Art der Entstehung selbst sollen hier nicht näher erörtert werden, da diese Probleme sich nur an dem Beispiel der altdeutschen Städte erörtern lassen und die hier entstandenen Zünfte im Kolonisationsgebiet des deutschen Nordens und Ostens als feste Institution übernommen worden sind. Das erste Vorkommen der Wismarer Zünfte können wir vor allem aus den Kämmereiaufzeichnungen von 1272 bis 1300 6 ) erschließen. Man kann aus ihnen einen Schluß ziehen auf engere Vereinigungen von Knochenhauern, Bäckern, Schustern, Krämern, Gerbern, Kupferschmieden und Bechermachern. Es heißt dort, daß die taberne carnificum solvunt 32 marcas, während die Abgabe für die domus pistorum 20 Mark beträgt. Das Gewerbe der Schuhmacher wird geschieden in solche, "qui operantur opus hyrcinum" - sie sollen für ihre "taberna" jeder 20 solidos geben, bis sie besser in Stand gesetzt sei - und solche, "qui operantur opus bovinum", deren Abgabe bedeutend geringer ist. Für die "taberna" der Krämer soll jeder 4 solidos jährlich geben. Die Küter zahlten jährlich nur 6 M. Es werden weiterhin Angaben gemacht über die Preise der Scharren auf dem Markte und ebenso über die Plätze, die von Handwerkern inne gehabt werden. Die Aufzeichnungen von 1290/91 7 ) lassen den Schluß zu, daß die Krämer, Bäcker, Grützmacher, Haken, Hutmacher, Knochenhauer, Gerber und Schuhmacher bereits am Ende des 13. Jahrhunderts korporativ organisiert waren. Dagegen läßt sich über die Stärke dieser Vereinigungen nichts


5) Wismarsches Ratsarchiv (später abgekürzt (R.A.) Tit. IX, Bernsteinpaternostermacher 1, 2.
6) Mecklenburgisches Urkundenbuch (später abgekürzt M.U.B.) Bd. 2, Nr. 1264.
7) M.U.B. 3, 2090.
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Sicheres ermitteln, da die Höhe der Abgaben anscheinend nicht gleich war, auch wohl nach der Größe des benutzten Hauses oder der Scharrenplätze sich unterschied.

Erst mit dem Anfang des 14. Jahrhunderts wird eine genaue Datierung bestimmter Organisationen möglich. In einer Gesellenordnung von 1321, März 26 8 ), treten uns die Böttcher als Gesamtheit entgegen; bald nach 1321 begegnen die Schmiede 9 ) als geschlossene Körperschaft. Böttcher und Schmiede aus den wendischen Städten schlossen damals Vereinbarungen untereinander ab. Bemerkenswert ist, daß die sonst übliche Versicherung des Einverständnisses der Ratmannen mit dem Vertrage in dem Schriftstück der Schmiede sich nicht findet. In derselben Urkunde wird die in einer Tonne Bier bestehende Strafe (Art. 1, 2) den gesamten Schmieden (omnibus fabris) zugesprochen. In späterer Zeit tritt an die Stelle der Gesamtheit der Schmiede als Empfänger von Strafgefällen das ganze Amt (officium). Auf Grund der erwähnten Städtevereinbarung ist 1356 ein Lehrvertrag 10 ) abgeschlossen worden; direkt genannt wird ein "officium" fabrorum in einem Dienstbriefe nach Lübeck im Jahre 1368, Oktober 4 11 ).

Die Gesamtheit der Wollenweber schließt 1329 einen Vertrag mit dem Rat wegen der Walkmühle ab 12 ); 1362, Januar 30, wird in einer anderen Abmachung auch zur Walkmühle 13 ) ein "officium lanificum" erwähnt.

Im Jahre 1336, März 3 14 ), schließt ein Ratmann mit zwei Schuhmachermeistern (magistris sutorum) einen Vertrag zwecks Lieferung von Schuhen an die Armen. Man geht wohl nicht fehl, in diesen beiden Meistern die Älterleute des Schusteramtes zu sehen, die für das Amt den Vertrag abschlossen.

Ein Amt der Knochenhauer darf man bereits 1342, August 28, annehmen, da zu diesem Zeitpunkt der Rat eine Willkür für die Knochenhauer 15 ) veröffentlicht. Die Festsetzungen von Kauf und Verkauf sowie von Höchstpreisen werden dem Amte


8) M.U.B. 6, 4265.
9) Hansische Geschichtsblätter (später abgekürzt HGbl.), Jahrgang 1899, S. 191/92.
10) M.U.B. 14, 8223.
11) M.U.B. 16, 9828.
12) M.U.B. 8, 5101.
13) M.U.B. 15, 8992.
14) M.U.B. 8, 5647; Werkmeister "des Amtes" = "magistri officii sutorum" werden 1355, Jan. 27, erwähnt: M.U.B. 13, 8034.
15) M.U.B. 9, 6230.
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mitgeteilt sein. Werkmeister und damit ein Amt werden 1353 allerdings zuerst genannt 16 ).

Das erste unzweideutige Zeugnis einer Organisation, der Bäcker 17 ), nimmt Techen erst 1345 an; es muß jedoch schon eher Ämter gegeben haben, da 1345, wohl aus Anlaß des aufgedeckten Verbündnisses bei den Bäckern, eine Ratsverordnung über die Morgensprachen der Ämter veröffentlicht wird 18 ). Es heißt dort: nullum "officiorum"; das Wort "officiorum" deutet auf den Bestand von mehreren Ämtern hin. Diese Ratswillkür ist das erste erhaltene offizielle Schriftstück, das den Ausdruck "officium" für eine Zunft anwendet. Die Zunft selbst ist aufzufassen "als der unter Sanktion der städtischen Obrigkeit errichtete Zwangsverband, dessen Mitgliedschaft die Voraussetzung für die Ausübung eines bestimmten Gewerbes innerhalb der Gemeinde ist" 19 ). Wird die Zunft nun als officium bezeichnet, so entspricht das der allgemein geltenden mittelalterlichen Auffassung, daß die Handwerker ihr Handwerk im allgemeinen Interesse auszuüben haben und nicht einem privaten Herrn oder eigenem Nutzen dienen 20 ).

Ein Amt der Schneider 21 ) wird in den Ratsstatuten von 1346, der Böttcher im selben Jahr 22 ), ein Amt der Leinweber 1350 23 ) genannt. Weitere Zeugnisse, die mit Sicherheit eine bestehende Organisation angeben, liegen vor: 1354 für die Kannen- und Grapengießer 24 ), 1355 für die Goldschmiede 25 ), 1367 für die Riemenschneider 26 ), Pelzer 1383 27 ), für die Reifer von 1387 28 ), die Krämer von 1397 29 ), die Gärtner von 1390 30 ), die Segelmacher um 1400 31 ).


16) M.U.B. 13, 7806.
17) M.U.B. 9, 6532.
18) M.U.B. 9, 6531.
19) Wörterbuch für Volkswirtschaft, 2. Aufl., Bd. 2, S. 1425.
20) Wb. f. Volkswirtsch., 2, S. 1425.
21) M.U.B. 10, 6665.
22) M.U.B. 10, 6684.
23) M.U.B. 10, 7133. Techen führt ein unzweideutiges Zeugnis für ein Leinweberamt erst 1394 an, wo in einer Verfestungsnotiz "wercmester van den lynnenweveren" genannt werden: M.U.B. 22, 12716.
24) M.U.B. 13, 7904.
25) M.U.B. 13, 8165.
26) M.U.B. 16, 9688.
27) M.U.B. 20, 11 501.
28) M.U.B. 21, 11 870.
29) M.U.B. 23, 13 090.
30) M.U.B. 21, 12 184.
31) M.U.B. 24, 13 729.
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Die Verhältnisse des 15. Jahrhunderts und der späteren Zeit lassen sich mit größerer Sicherheit auch aus den Zunftrollen erschließen. Man versteht unter den "Rollen" vom Rat erteilte Amtsstatuten, die auf Pergament, in späterer Zeit auch auf Papier aufgezeichnet, zusammengerollt in der Amtslade aufbewahrt wurden. Die ältesten erhaltenen Rollen 32 ) sind die Rolle der Goldschmiede (1380) a ), Wollenweber (1387) b ), Reifer (1387) c ), Kannengießer (1387) d ), Krämer (1397) e ), Bäcker f ) und Schneider g ) (1398), der Wandscherer (vor 1400), Schiffszimmerleute (1415), Wandschneider (um 1420), Schwertfeger (um 1450), Toffelmacher (um 1480), Hutmacher (1484), Malergesellen (1490), Glasergesellen (1497), Tischler (1500), Altflicker (um 1550), Maurer (1568), Nadler (1588), Stellmacher (1637). Der Text anderer Rollen - das Original ist meist verloren gegangen - ist abschriftlich verzeichnet im Ratswillekürbuch 33 ) und in der Rollensammlung des Gewetts 34 ), einer Anzahl von Bänden aus späterer Zeit, deren Abschriften, soweit ein Vergleich mit dem Original möglich war, geringfügige Schreibunterschiede aufweisen. Es sind die Rollen der Haken (1407) 35 ), Garbräter (1435) 36 ), Bechermacher (1489) 37 ), Gläser (um 1490) 38 ), Buntmacher (Buntfutterer) (von 1497) 39 ), Kleinwandmacher (1560) 40 ). Einzelne Rollen, die dem Verfasser jedoch nicht zugängig waren, führt Techen noch an 41 ): der Zimmerleute (1421), Barbiere, Grützmacher, Tubbenmacher (etwa 1530), Altschneider (1588), Bremelsmacher (1589), Drechs-


32) a) M.U.B. 19, 11 293.
b) M.U.B. 21, 11 869.
c) M.U.B. 21, 11 870.
d) M.U.B. 21, 11 889.
e) M.U.B. 23, 13 090.
f) M.U.B. 23, 13 376.
g) M.U.B. 23, 13 354.
a) a) M.U.B. 19, 11 293.
b) b) M.U.B. 21, 11 869.
c) c) M.U.B. 21, 11 870.
d) d) M.U.B. 21, 11 889.
e) e) M.U.B. 23, 13 090.
f) f) M.U.B. 23, 13 376.
g) g) M.U.B. 23, 13 354.
33) Das Ratswillekürbuch (später abgekürzt Rwb.) lag vor im Original und in Abschrift von Dr. Crull.
34) Später abgekürzt: Rs. - Die ältesten Zunftrollen sind auch gedruckt bei: C. C. H. Burmeister, Altertümer des Wismarschen Stadtrechts, Hamburg 1838, S. 45 ff.
35) R.A. Rwb. fol. 18.
36) R.A. Rwb. fol. 59/60.
37) R.A. Rs. vol. 1, S. 78 ff.
38) R.A. Rs. vol. 1, S. 212 ff.
39) R.A. Rs. vol. 1, S. 112.
40) R.A. Rwb. fol. 60-63.
41) Techen, Geschichte Wismars, S. 41 Anm. 10.
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ler (1591), außerdem eine Anzahl von Rollen des späteren 17. und 18. Jahrhunderts.

Der enge Zusammenschluß der das gleiche Gewerbe treibenden Handwerker tritt uns nicht nur in der zunftmäßigen Organisation, sondern auch in der Tatsache entgegen, daß die Handwerker gleicher Art straßenweise zusammenwohnten. Die Straßen des Mittelalters hatten ihren Namen in erster Linie dem Volksmund und dann wohl erst obrigkeitlicher Bestimmung zu verdanken. Begegnet uns im heutigen Straßenbild also ein Handwerksname, der nachweislich aus älterer Stadtzeit stammt, so können wir annehmen, daß zu irgendwelcher Zeit dort Handwerker ihren Wohnsitz hatten. In Wismar treffen wir eine größere Zahl solcher Straßennamen 42 ), wenn auch nicht in dem Ausmaße wie in Rostock. Die Böttcherstraße begegnet bald nach 1260 als platea dolificum, ungefähr 1265 als platea bodekariorum, 1475 boddekerstrate genannt, die Fischerstraße 1428 als platea piscatorum (1475 im Wachtregister fischerstrate genannt). Die Gerberstraße ist bald nach 1260 als strata cerdorum (1475 als gherverstrate), die Grützmacherstraße seit 1408 (platea pultificum, 1475 ghruttemakerstrate), die Kleinschmiedestraße 1440 als platea cleensmede (um 1475 in einzelnen Wachtregistern: mestmakerstrate, mesmakerstrate, meskenstrate, klensmedestrate) nachzuweisen. Die Krämerstraße findet sich bereits bald nach 1260, kremerstrate und kramerstrate heißt sie 1467 und etwa 1540. Eine heute nicht mehr vorhandene Küterstraße wird 1277 als antiqua platea kuterum genannt. Die Sargmacherstraße begegnet 1367 und 1371 als platea sarckmaker bzw. zarckmakerstrate. Die heutige "Groß"schmiedestraße wird ihren Namen dem Gegensatz zur Kleinschmiedestraße verdanken. Bald nach 1270 wird sie als platea fabrorum angeführt, um 1375 heißt sie Smedestraße. Die jetzige Schüttingstraße (dieser Name rührt von dem dort ehemals belegenen Krämerversammlungshause her) hat manchen Namenswechsel erlebt; 1452 43 ) wird sie als remensniderstrate genannt. Die Weberstraße erscheint 1273 als platea textorum (1400 als weverstrate). Die Altböterstraße, 1342 platea judeorum, wird 1475 ebenfalls im Wachtregister als oltboterstrate genannt. Ein Altböter ist ein Altschuster, heute wohl Flickschuster genannt.


42) Vgl. Techen, Die Straßennamen Wismars, M.J.B., Bd. 66, 1901, S.65 ff.
43) R.A. Tit. IX. Rotes Buch der Krämer, S. 24.
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Die zunehmende Bedeutung und das wachsende Ansehen der zunftmäßig organisierten Gewerbe nährten den Wunsch der Handwerksämter, ein Mitbestimmungsrecht am Regiment der Stadt zu erhalten. Das führte in Wismar, wie in vielen anderen Städten Deutschlands. zu inneren Kämpfen zwischen dem demokratischen Element der Zünfte und dem städtischen Rat, der sich in Wismar zum größten Teil aus Kaufleuten, anfangs vielleicht aus den Gründern der Stadt und ihren Nachkommen zusammensetzte. Der Rat scheint in der älteren Zeit nicht ausschließlich aus den reicheren Kaufleuten bestanden, sondern auch vereinzelte Handwerker in sich aufgenommen zu haben. Wenigstens wird uns um 1250 der Schmied Marquart als Ratsmitglied erwähnt 44 ); zwischen 1250 und 1258 hatte derselbe eine Bürgermeisterstelle inne 45 ). Unter den Vorstehern des Hospitals zum Heiligen Geiste wird nach 1283 neben den Bürgermeistern ein Handwerker genannt: Jordanus pellifex 46 ). Die Aufsicht über das Hospital stand nach Mitteilungen aus späterer Zeit aber dem Rate zu 47 ). Im Jahre 1332 gehörte zu den Provisoren noch ein Bäcker. Als letzter Handwerker im Rat ist der Gerber Hinrik bi der Muren erweisbar, der bis 1322/23 den Bürgermeisterposten inne hatte 48 ).

Mehr und mehr jedoch verengerte sich der Kreis des Rates und setzte sich immer ausschließlicher aus Brauern und Kaufleuten zusammen - die Gewandschneider, und seit 1661 wurden auch die Krämer ihnen zugezählt 49 ) -, die Ihren Verwandten die Ratsposten vorzubehalten versuchten.

Die Handwerker fühlten sich benachteiligt, und die Unzufriedenheit wuchs, je mehr das entstehende städtische Patriziat die Alleinherrschaft beanspruchte. Der Rat versuchte, offenem Aufruhr vorzubeugen, und bereits gegen Ende des 13. Jahr-


44) M.U.B. 1, 649: . . . quando dominus Marquardus faber et Heinricus de Bukowe "loquebantur verbum civitatis" . . .
45) M.U.B. 1, 648. Bi der tit, dat her Thitmar van Bucowe unde her Radolf de Vrese spreken der stades wort to der Wissemare unde her Marquart "de smith" . . . des rades plagen . . . Es handelt sich hier wahrscheinlich um eine Handwerksbezeichnung, da die Familiennamen - als solcher wäre smith später anzusehen - erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts anfangen, fest zu werden.
46) M.U.B. 3, 1531, 1657.
47) Techen, Geschichte Wismars, S. 51, und Techen, M.J.B. 55, S. 17, 18.
48) Techen, Geschichte Wismars, S. 43.
49) Techen, a. a. O., S. 43 Anm. 25.
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hunderts wurde eine Verordnung veröffentlicht, nach der es ohne Ratswissen nicht gestattet sein sollte, mehr als 10 Personen im Hause zu versammeln 50 ). Im Jahre 1345 griff der Rat entscheidend ein 51 ). Man hatte von der Ableistung eines geheimen Schwurs bei Eintritt in das Bäckeramt erfahren; danach sollten die Amtsmitglieder vor dem Rate nie etwas gegen das Amt unternehmen dürfen. Daraufhin wurden die Werkmeister ihres Amtes entsetzt. Eine Neuwahl von Älterleuten sollte fortan nur vor den Bürgermeistern und mit deren Rat und Willen stattfinden. Zusammenkünfte sollten ebenfalls nur in Gegenwart von zwei Bürgermeistern erlaubt sein. Im selben Jahr wird wohl nach dem erwähnten Anlaß bei den Bäckern die Anwesenheit von Ratsabgesandten bei den Ämtermorgensprachen zur Pflicht gemacht 52 ). Bei Ungehorsam werden für beide Male hohe Strafen angesetzt. Im Jahre 1373 um Juni 24 stellte der Rat ein bereits seit mehr als 30 Jahren bestehendes Verbündnis bei den Knochenhauern fest 53 ). Sie hatten nicht nur den Schwur zugunsten des Amtsbesten in der geheimen Amtsabmachung festgelegt, sondern sogar die Zahl des Schlachtviehes vom Amtsermessen abhängig gemacht. Den Werkmeistern wurde die Handwerkslizenz für dauernd entzogen, neue Meister wurden vom Rate erwählt. Mit dem Vorgehen gegen die Ämter hing auch wohl die Ratswillkür von 1379, Januar 6, zusammen, die den Ämtern nur die Zugehörigkeit zu einer Gilde gestattete und das Ausscheiden der Ämtergenossen aus der Papagoiengesellschaft anordnete: "da mosten de bedderven lüde de schütten de ammethe von sick sünderghen" 54 ). In der Bürgersprache von 1381, Mai 23, wurde nochmals öffentlich auf das Gebot, nur einer Gilde anzugehören, hingewiesen 55 ).

In den nächsten Jahrzehnten ist von Unstimmigkeiten nichts bekannt; beseitigt ist aber die Ursache der Unzufriedenheit mit dem Vorgehen gegen die Ämter nicht. Das 14. Jahrhundert hatte den wendischen Städten eine Steigerung ihrer politischen Macht und wirtschaftlichen Bedeutung gebracht. Das Bewußtsein davon hatte sich auch den Handwerkern mitgeteilt, die das Fehlen des Mitbestimmungsrechtes in Stadtangelegenheiten um


50) M.U.B. 4, 2647.
51) M.U.B. 9, 6532.
52) M.U.B. 9, 6531.
53) M.U.B. 18, 10 337.
54) M.U.B. 19, 11 162.
55) M.U.B. 20, 11 341, Art. 1.
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so mehr empfanden. Als sich nun der Anlaß zu wirksamem Vorgehen gegen die Vormachtstellung des Rates bot, ließ man die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen 56 ).

In Lübeck war der Bürgerschaft 1408 eine Anteilnahme am Stadtregiment zugestanden. Die Ämter hatten in einem, neben dem neugewählten Rat bestehenden Ausschuß von 60 Mitgliedern einen bedeutenden Teil der Sitze erhalten. Das Patriziat war nicht mehr allein ausschlaggebender Faktor in der Stadtverwaltung.

Lübische Propagandisten zogen nach Wismar, um auch dort eine Umwälzung vorzubereiten und im Falle der Reaktion in der Stadt einen Verbündeten zu haben. Hier fanden die Aufwiegler ein günstiges Feld für ihre Pläne. Durch die Kriege gegen Dänemark im Interesse Albrechts von Schweden, des mecklenburgischen Herzogsohnes, waren die städtischen Ausgaben gewaltig gestiegen. Die Bürgerschaft spürte dies an steigenden Steuern und verlangte, wie es scheint, Aufschluß über das Ausmaß der Geldausgaben. Ein Kontrollausschuß von 100 Leuten 57 ), der teils aus Ämtervertretern, teils aus Bürgern 58 ) bestand, verstand es, mehr und mehr Einfluß in Gesetzgebung und Verwaltung zu gewinnen, so daß der alte Rat 1411 abdankte. Von 1409 bis 1411 findet man in den Verwaltungsstellen neben den Mitgliedern des alten Rates solche des neuen Regiments, nach März 1411 nur noch neue Machthaber. Diese eigenartige Lage wird bei der Erteilung der Bäckerolle 1410, November 14 59 ), zum Ausdruck gebracht. Im neuen Rate waren vertreten die Amtsmeister der Wollenweber Klaus Jesup, der noch 1427 besonders hervortrat, ein Schmied, ein Knochenhauer, ein Werkmeister der Böttcher und einer der Krämer 60 ). Die Ratsämter wurden stärker besetzt.


56) Zu dem folgenden vgl. Techen, Die Wismarschen Unruhen im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, M.J.B. 55, S. 1 ff., und Techen, Geschichte Wismars, S. 50 ff.
57) Techen, M.J.B. 55, S. 17, Anm. 3.
58) Vertreter der Ämter und Bürger sind nicht gleichzusetzen, da man die gesamte Stadtbevölkerung schied in erb- und später eingesessene Bürger, Ämter und Gemeinheit. Nur wer ein volles Haus in Besitz hatte, war Bürger im eigentlichen Sinne des Wortes; er hatte sich auch einen ganzen Harnisch zu halten. Vgl. Techen, Gesch. Wismars, S. 40.
59) Burmeister, a. a. O., S. 59, Nr. 10.
60) Ob auch die ersten Werkmeisterstellen inne hatten, ist nicht bestimmt. Bei Jesup kann man es annehmen, da sein Auftreten die Bedeutung eines gewöhnlichen Amtsmeisters übersteigt.
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Von 24 Ratsmitgliedern werden 8 Vertreter der Ämter gewesen sein.

Der enge Zusammenhalt mit Lübeck bestand bis 1416. Als man aber an der Trave die alten Zustände wiederherstellte, ließ sich auch eine Restauration in Wismar nicht aushalten. Nach einer Sühnezahlung an die Herzöge nahmen diese die Wiedereinsetzung der alten Ratsmitglieder vor. Von den Ämtern wurde niemand in den Rat genommen, und auch der Kontrollausschuß der Hunderter wurde beseitigt. Am 30. Juni 1416 war somit der Einfluß der Handwerker auf das Stadtregiment wieder aufgehoben, der erste Versuch, die wirtschaftlich bedeutende Stellung auch politisch auszunutzen, war gescheitert.

Die Folge war eine Zahl von Verordnungen gegen Ruhestörer, besonders in den Ämtern. Es sollten bei der Ausnahme ins Amt den Älterleuten keine Eide geschworen werden, die Dienstbriefe waren von Rat zu Rat zu bringen. Der erste Artikel der Knochenhauerrolle von 1417, März 18, enthält besonders betont das Verbot einer Verbindung gegen den Rat und die Warnung für die Älterleute, keine besonderen Eide im Amt aufrecht zu erhalten 61 ). Der Hansetag von 1418 plante die Todesstrafe für öffentliche Ratsgegner und deren Begünstiger sowie die Acht für Städte, die solche Aufrührer schützten.

Den Anlaß zu weiteren Unruhen bildeten kriegerische Verwicklungen mit Dänemark. Die Kriegshandlungen verliefen ungünstig und endeten zur See mit dem Verlust von zwei Handelsflotten. Dies war das Signal für die unzufriedenen Bürger Wismars, gegen den Rat vorzugehen. Der Anführer der Ämter war Klaus Jesup, der von 1411 bekannte Wollenweber; ihm zur Seite standen ein Bäcker Hamborch, ein Schuhmacher Bantekow sowie ein Krüger. Als Hauptmitwirkende werden in der zeitgenössischen Chronik des Johann Werkmann 62 ) neben den Amtleuten solche Bürger angeführt, "die vor 11 Jahren im Regimente waren". Man sprach von der Gefahr eines Überfalles auf die Stadt und warf dem Rat mangelnde Fürsorge vor. Einzelne Ratmänner wurden sogar des Einverständnisses mit dem Dänenkönig verdächtigt. Der


61) In der gleichzeitigen Rolle der Bäcker und Wollenweber findet sich diese Bemerkung nicht. Man dachte bei den Fleischern wohl an die Vorgänge von 1372, oder sollte man eine besondere Beteiligung bei den letzten Unruhen folgern können?
62) M.J.B. 55, S. 96 ff.
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Rat überließ den durch Jesup vertretenen Ämtern die Bewachung der Stadt, die nun, da sie die Macht in Händen hatten, nicht mit weiterem Vorgehen zögerten. Es kam zur Einsetzung eines Ausschusses, der Rechenschaft wegen der Versäumnis im dänischen Kriege fordern sollte. An die Stelle des ursprünglichen Ausschusses von 36 Mitgliedern (24 Bürgern und 12 Amtleuten) trat ein Sechziger-Ausschuß, der unter Führung von Handwerkern stand und zu entschiedenem Vorgehen gegen den Rat entschlossen war. Die Bürgerschaft wurde völlig eingeschüchtert; Jesup sorgte durch versteckte Drohungen und häufige Demonstrationen militärischer Art dafür, daß sich ein Widerstand gegen seine Unternehmungen nicht hervorwagte.

Man wollte wegen der Niederlage im Kriege vor den Bürgern Rechenschaft fordern und bei dieser Gelegenheit den entscheidenden Schlag führen. Durch bewaffnete Handwerker wurden die Bürger in Schach gehalten; es gelang den Anhängern Jesups, den Anführer der Wismarschen zur See, den Ratmann Hinrik van Haren, gefangen zu setzen. Am nächsten Tage wurde auch der erste Bürgermeister, Johann Bantzekow, als er anscheinend fliehen wollte, zur Sicherheit in den Turm gesetzt, "um ihn vor der Volksmenge zu schützen". Damit waren die Häupter der Gegengruppe unschädlich gemacht und der Weg für die Aufständischen frei.

Beide Ratsherren wurden nach kurzem Gerichtsverfahren auf offenem Markte hingerichtet, obwohl Ihnen in der gerichtlichen Verhandlung keine eigentliche Schuld nachgewiesen werden konnte.

Der Rat war seiner Führer beraubt, selbst aber noch nicht ausgeschaltet, da er noch nicht als Verräter überführt war. Um dies zu erreichen, verwies man auf das vom Rate mit Dänemark abgeschlossene Bündnis im Jahre 1423, von dem die Bürgerschaft bei der Ausfertigung wohl keine Kenntnis erlangt hatte. Mit Hilfe der Landesherrschaft erreichte man die Absetzung des alten Rates.

Der neue Rat wurde nach Huldigung der Herzogin Katharina von Mecklenburg von ihr eingesetzt und in den alten Privilegien bestätigt. Eine Ergänzung aus Bürgerschaft und Ämtern sollte ihm gestattet sein. Der Sechziger-Ausschuß blieb bestehen. Eine Änderung in der äußeren Politik trat nicht ein; im Innern hatten die Ämter namentlich auch im Ausschuß der Sechzig das Übergewicht. Die Unzufriedenheit der Bürger

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war dennoch nicht beseitigt, Neid und Mißgunst trieben weiter ihr heimliches Spiel.

Ein Umschwung im Innern wurde durch die Söhne des hingerichteten Bürgermeisters herbeigeführt. Durch die königliche Acht und mit Hilfe der Feme wurde die Stadt unter Androhung schwerster Strafen zum Nachgeben gezwungen. Zur Sühne der Hinrichtung der Ratsherren mußte eine Kapelle errichtet werden, die Bantzekowsche Sühnkapelle, die bis 1850 bestanden hat. Aber neben diesem Eingeständnis des begangenen Unrechts war die Beseitigung der neuen Einrichtungen ein weit schwererer Schlag für die neuen Machthaber. Der neue Rat mußte abdanken, Abbitte leisten und für alle Zeiten eine gehorsame Haltung gegenüber Rat und Stadt angeloben. Der Sechziger-Ausschuß sollte für immer beseitigt werden. Wichtig ist, daß alle Amtshandlungen, sofern sie nicht gegen Landesherrschaft oder Angehörige des alten Rates gerichtet waren, ihre Gültigkeit behalten sollten. Die große Linie der städtischen Politik blieb gewahrt. Die Selbständigkeit der Ämter wurde eingeschränkt, da sie fortan ihre Vorsteher auf ihre Bitte vom Rate empfangen sollten 63 ). Jeder Bürger sollte bei seiner Aufnahme in den Stadtverband Gehorsam gegen den Rat geloben und eidlich versprechen, nichts gegen ihn zu unternehmen.

Durch diese Vorgänge war jedoch auch bei den Regierenden die Einsicht durchgedrungen, daß auch "Außenstehende" am Rate beteiligt werden müßten. Als wenige Wochen nach der Restauration des alten Rates eine Ergänzung stattfand, waren unter den Neuhinzukommenden vier ehemalige Mitglieder des revolutionären Rates 64 ). Die Bürgermeisterposten hatte man aber schon vorher besetzt, um etwaigen Ansprüchen zuvor zu kommen.

Zu neuen Unruhen 65 ) kam es 1520 und 1522. Einige Ratmänner hatten für fremde Rechnung Korn ausgeführt und dadurch eine erhebliche Preissteigerung verursacht. Nach längerem Zwist mußten die Kornkäufer "der Meinheit Abtrag tun". Nun, da der Streit wieder angefacht war, suchte man weitere Beschwerdepunkte. Die Bürger begehrten Rechenschaft von etlichen Jahren, um zu erfahren, "ofte men der guden stadt konde helpen edder nicht". Der Rat bewilligte dies, und zur Prüfung wurde ein Ausschuß von 20 Bürgern und 20 Amt-


63) M.J.B. 55, S. 82 (Art. 16 der herzoglichen Sühnurkunde).
64) Techen, Geschichte Wismars, S. 56.
65) Techen, a. a. O., S. 109-111. R.A. Crull, Collectanea II, 1.
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leuten von der Gemeinheit gewählt. Die Rechenschaftsablage wurde jedoch nicht klar befunden. Der Ausschuß stellte seine Arbeit also ein, wurde für die fleißige Arbeit bedankt und von den Eiden befreit. 1524 bereits wurden allen Stadtämtern und den Gotteshäusern, "buten und binnen belegen", je ein Bürger und ein Amtmann zugeordnet; später jedem Gotteshausvorstand vier Personen, drei Bürger und ein Amtmann, die zu dem Ausschuß in der Anzahl von 20 gehören sollten und vom Rate mit dem Vierziger-Ausschuß zusammen gewählt wurden. Nach zwei Jahren sollte stets mit dem Austritt von zwei Mitgliedern und dem Eintritt von zwei neuen eine Rechenschaftsablage stattfinden. Den Vorstehern stand die Benennung ihrer Nachfolger zu, ebenso wurde dem Vierziger-Ausschuß das Recht der Selbstergänzung erteilt. Im Jahre 1537, Februar 16, wurde dem Rate das Regiment der Stadt wieder aufgetragen und ihm allein überlassen 66 ).

Während des ganzen 16. Jahrhunderts hatten die Reibereien zwischen Stadtführung und Bürgern nicht aufgehört. Steuerliche Belastung und vermeintliche Ratsvorrechte waren steter Grund zur Unzufriedenheit. Im ersten Bürgervertrag von 1583 67 ) wurde dann eine Regelung der Beziehungen zwischen Rat und Bürgerschaft getroffen. Ein ständiger Ausschuß aus 20 Bürgern und 20 Handwerkern sollte dem Rate zur Seite stehen; die Mitgliedschaft war lebenslänglich; bei einer notwendig werdenden Ergänzung sollte der Rat aus drei vom Ausschuß gemachten Vorschlägen einen Mann auswählen. Die Mehrzahl der Vertreter der Ämter wurde aus den vier großen Gewerken, den Wollenwebern, Schuhmachern, Schmieden und Bäckern genommen. Der Ausschuß wurde an der Akziseverwaltung beteiligt und die Ausgaben von ihm überwacht, bei Rechnungsaufnahmen für Kämmerei, Akzise, Wasserleitung, Gerichtsgefälle und Gewett sollte der Rat fortan der Mitbestimmung der Ausschußvertreter unterworfen sein. Änderungen der Bürgersprache und der Erlaß neuer Statuten sollten nur mit Einwilligung des Ausschusses vorgenommen werden.

Als die Zwistigkeiten andauerten, fand 1598 auf herzogliche Anordnung eine Neuwahl des Ausschusses und der Worthalter statt, die Rechte des Rates wurden weiter eingeschränkt.


66) R.A. Protocolli inter senatum et cives I, 4, 2 p. 10 von 1580, April 26. Mitteilung über Unruhen 1523 ff.
67) Zum folgenden vgl. Techen, Geschichte Wismars, S. 176 ff.
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In die Verwaltung des städtischen Vermögens wurde der Ausschuß eingeschaltet, da die Festsetzung von Zusatzsteuern von seiner Einwilligung abhängig gemacht wurde.

Der Streit um kleinliche Rechte zuungunsten des gemeinen Besten ging weiter, und erst im Jahre 1600 kam es im dritten Bürgervertrage zu einer endgültigen Regelung. Stets war die Kämmerei einer der Hauptangriffspunkte gewesen. Nun wurde bestimmt, daß neben den beiden Kämmereiherren von 12 Ausschußmitgliedern je zwei - von Bürgern und Ämtern abwechselnd - bei der Geldeinnahme Beistand leisten sollten bis zur Begleichung der Stadtschulden durch die Akzise. Die übrigen Rechte blieben bestehen. Der Vorschlag der Ergänzungsmitglieder für den Ausschuß fiel diesem selbst, nicht wie 1598 der Gemeinde, zu. Den Ämtern wurde ein zweiter Worthalter zugestanden, so daß sie nun den Bürgern gleichgestellt waren.

Mit der Gewährung dieses zweiten Worthalters für die Ämter und mit ihrer Beteiligung am Ausschuß wurde entsprechend der tatsächlichen Bedeutung nun auch die politische Gleichberechtigung in der Stadt bekundet. Hatte das Jahr 1427 den Höhepunkt sinnfälliger Macht bedeutet, so war mit dem Jahre 1600 erst dieser Macht gesetzlicher Ausdruck verliehen worden. Die Ämter waren in das Stadtwesen eingegliedert, das Streben nach Mitverantwortung und Beteiligung am Regiment hatte sein Ziel erreicht.


Kapitel II:

Verfassung und Verwaltung.

Die zunehmende Bedeutung des Handwerks in der Stadt erklärt es, daß die Handwerker allmählich sich bemühten, Anteilnahme am Stadtregiment zu erlangen. In dem Maße aber, wie die Zünfte nach außen hin von direkter Bevormundung des Rates frei wurden, steigerte sich der Einfluß der Obrigkeit auf ihre Entschlüsse im Innern. Es brach sich die Auffassung Bahn, daß das Handwerk ein Amt sei, das zum Wohl der gesamten Stadt von einzelnen dazu Befähigten ausgeübt werde. Damit wurde aus dem ursprünglich privatrecht-

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lichen Verband der Gewerbetreibenden eine öffentlich-rechtliche Organisation, die dem Aufsichtsrecht der Stadtobrigkeit unterlag. In welchem Grade sich der Einfluß des Rates auf die Gestaltung der Zunft ausgewirkt hat, ist für uns heute fast nur aus den Statuten derselben ersichtlich. Die Bedeutung der Amtsordnungen als Quellen der Entwicklung ist neuerdings besonders von Dieling 68 ) betont worden.

Da im deutschen Kolonisationsgebiet des Nordens und Ostens wohl sehr früh die Auffassung vom Handwerk als übertragenem Amt - wie der Ausdruck "officium" es besagt - herrschend war, so finden wir die "reine Willkür" 69 ) nur selten, selbst in der ersten Zeit der Zunftbildung. Sie war entstanden allein durch den Willen der Genossenschaftsmitglieder, ohne Bestätigung der Obrigkeit. Als Beispiel mag genannt werden die Vereinbarung der Schmiede von Lübeck, Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald, Hamburg und Stade, die dem Anfang des 14. Jahrhunderts angehört 70 ). Die Urkunde zeigt keine Spur obrigkeitlicher Mitwirkung bei ihrem Zustandekommen, ferner erscheinen die Handwerker in der ersten Person pluralis; beides sind nach Dieling 71 ) Zeichen der reinen Willkür.

Die überwiegende Zahl wismarscher Zunfturkunden gehört zu den "obrigkeitlichen Ordnungen" 72 ). Das betreffende Handwerk, dem die Rolle erteilt wurde, war für das Stadtwesen so wichtig geworden, daß die Behörde sich ein Aufsichtsrecht über die Vorgänge und Maßnahmen in der Zunft sichern wollte. So wurde die Rolle erteilt, jedoch mit der Einschränkung, sie jederzeit ändern oder gar widerrufen zu können 73 ). Wenn auch der Rat diese Amtsordnungen von sich aus erließ, so wird die Anregung dazu doch meistens von den Gewerbetreibenden ausgegangen sein, die auch bei der Rollenabfassung "von Rats wegen" nicht ungefragt ihre Rolle erhielten. Eine solche ist


68) Vgl. Friedrich Dieling, Zunftrecht, eine Rechtsquellenstudie mit besonderer Berücksichtigung des Schneiderhandwerks (Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 15), Heidelberg 1932. Seine Formulierungen sollen hier beibehalten werden.
69) Dieling, a. a. O., S. 11.
70) HGbl. 1899, S. 191/92.
71) Dieling, a. a. O., S. 12.
72) Dieling, a. a. O., S. 23 ff.
73) M.U.B. 10, 6665. Schneider-R. von 1346, um Juni 29: ". . . quamdiu dominis meis placuerit et donec infringere duxerint vel inmutare seu omnino revocare."
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erbeten worden 1411, Februar 2, von der Bruderschaft der Schiffszimmerleute 74 ), von den Schwertfegern um die Mitte des 15. Jahrhunderts 75 ) und von den Nadlern im Jahre 1588 76 ). Die Rolle der Schiffszimmerleute ist vom Rate nicht offiziell anerkannt, aber auch wohl nicht zurückgewiesen worden; 1415 haben die Schiffszimmerleute in einem Hause der Grützmacherstraße 100 M. zum Lesen ihrer Messe und ihres Gottesdienstes eintragen lassen. Die Rolle von 1674, März 31, greift auf Artikel derselben von 1411 zurück. Die Schwertfegerrolle wird bestätigt sein, da eine aus dem Jahre 1570 ungefähr vorliegende Abschrift kaum nach dem unbestätigten Original angefertigt worden wäre. Die Nadler, die manches Spottwort erdulden mußten in anderen Städten, weil sie "keine Gerechtigkeit haben", erhielten ihre Rolle im Jahre 1588, August 25 77 ), in den wesentlichen Punkten unverändert nach dem eingereichten Konzept.

Aufzeichnungen in den Amtsbüchern der einzelnen Zünfte kann man wohl in die Reihe der sog. "bestätigten Willküren" 78 ) zählen, auch wenn eine besondere Bemerkung hierüber fehlt. Da in späterer Zeit, im 16. Jahrhundert, die Rollen vom Rat erteilt wurden, so werden auch solche Zusatzartikel, Aufzeichnungen bestehenden Gewohnheitsrechtes, den regierenden Herren zur Kenntnisnahme vorgelegt worden sein. Zu erwähnen sind hier Aufzeichnungen über Gewohnheiten bei den Goldschmieden 79 ), Kistenmachern 80 ), Zinngießern 81 ), Riemern und Beutlern 82 ).

Nicht allein an der Erfüllung der Rollenvorschriften hatte der Rat ein Interesse, sondern er war auch bestrebt, seine Einkünfte zu vermehren. Man findet darum als Zeichen der Ausstellung einer Rolle durch die Obrigkeit meistens die Bestimmung, daß ein gewisser Teil der Strafgefälle dem Rate


74) R.A. Tit. IX, Schiffszimmerleute.
75) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1.
76) R.A. Tit. IX, Nadler, 2.
77) R.A. Tit. IX, Nadler, 3.
78) Dieling, a. a. O., S. 15f.
79) Friedrich Crull, Das Amt der Goldschmiede zu Wismar, Wismar 1887, S. IV ff., Anl. III.
80) R.A. Crull, Collectanea (später abgekürzt: Crull, Coll.) II, 20.
81) R.A. Crull, Coll. II, 20, Ämter, Zinngießer-Amtsbuch.
82) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsbuch der Riemer und Beutler.
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zufällt 83 ). Einen Teil erhielten die Werkmeister, das Amt wurde durch Bier entschädigt. Die an den Rat zu zahlende Strafe wurde innerhalb einer Frist von vier Wochen durch die Wetteherren eingezogen 84 ).

Die Bestimmung, daß auf größeren Amtsversammlungen, den Morgensprachen, Ratsabgesandte anwesend sein mußten, wurde bereits erwähnt 85 ). Auch in dieser Anordnung liegt ein nicht zu unterschätzendes Mittel des Rates, seinen Einfluß stets geltend zu machen und unliebsame Maßnahmen durch sein Einspruchsrecht zu verhindern.

Besondere Sorge mußte dem Handwerksnachwuchs von seiten der Zunft gewidmet werden, um die Leistungen auf der Höhe zu halten und den untadeligen Ruf des Handwerks zu wahren. Darum ist die Bestimmung der Zünfte erklärlich, daß die Lehrlingsannahme nicht durch den Meister allein erfolgen sollte. In der Rolle der Hutfilter von 1484, Juli 16 86 ), begegnet die Anordnung, daß die Lehrlingszusetzung vor den Werkmeistern geschehen sollte als der obersten Instanz in der Zunft; ähnlich heißt es in der Rolle der Gläser von ungefähr 1490 87 ), der Tischler von 1500, Febr. 4 88 ), der Stellmacher von 1637, Juni 29 89 ). Im Amtsbuche der Riemer und Beutler lautet die Bestimmung von 1572 90 ), daß der Meister die Zusetzung des Lehrlings den Älterleuten anzeigen soll. In manchen Ämtern wieder war es Sitte, daß das ganze Amt der Lehrlingsannahme beiwohnte; so bei den Buntmachern 91 ), den Krämern 92 ) und bei den Kannen- und Grapengießern 93 ).


83) Die Höhe der Abgabe ist nach den einzelnen Rollen nicht gleich. In den ersten erhaltenen Rollen (vgl. Anm. 32 Kap. I) heißt es stets: "bi broke dem rade en half punt unde den werkmesteren sos penninghe". - In der Rolle der sniddeker, kunthor- und kistenmacher von 1500, Febr. 4 (R.A. Tit. IX, Tischler, 1), lautet die Formel: ". . . soll wedden dem rade drei marck sielberß und dem ampte eine tunne bierß".
84) M.U.B. 9, 5775.
85) Vgl. Kap. I, Anm. 52.
86) R.A. Tit. IX, Hutfilter, 1, Art. 7.
87) R.A. Rs. vol. 1, S. 212, Art. 16.
88) R.A. Tit. IX, Tischler, 1, Art. 8.
89) R.A. Tit. IX, Stellmacher, 3, Art. 5.
90) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsbuch, Art. 11.
91) R.A. Rs. vol, 1, S. 112, Art. 5.
92) R.A. Tit. IX, Krämer, R. von 1587, Febr. 22, Art. 8. R.A. Tit. IX, Krämer, Buch von 1604, V.
93) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsbuch, S. 164.
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Der Nachweis der ehelichen Geburt war für den einzelnen und auch für die Zunft von Bedeutung. In den meisten Ämtern, bei denen die Lehrlingsfrage besonders behandelt ist, ist es deshalb als ein Erfordernis anerkannt, "daß der Junge echt und recht geboren sei". Die Bestimmung findet sich bei den Schwertfegern 94 ), Hutfiltern 95 ), Gläsern 96 ), Buntmachern 97 ), Pantoffelmachern 98 ), Klotzenmachern 99 ); die Versicherung ehrlicher Geburt von seiten des Vaters und der Mutter - beide besonders betont - wird verlangt bei den Nadlern 100 ), Gerbern und Rußfärbern 101 ) und den Krämern 102 ). Bei den letzten ist die Bedingung besonders ausführlich angegeben. Es heißt dort, daß der Junge "von ehrlichen Eltern, aus einem rechten, wahren Ehebette, freier Geburt, echt und recht geboren" sein sollte. Die Bedingung der freien Geburt ist sonst nicht wieder betont. Man darf annehmen, daß der Gegensatz "frei - unfrei" keine größere praktische Bedeutung gehabt hat, so daß eine besondere Erwähnung sich meist erübrigte. Ähnlich verhielt es sich, wie es scheint, mit der Forderung deutscher Geburt. Nach Techens Untersuchung ist das wendische Element in Wismar äußerst gering gewesen 103 ); nur in der ersten Zeit nach der Gründung (bis 1296) begegnen drei Wenden als Handwerker. In allen Fällen, wo der Grundsatz ehelicher Geburt nicht besonders betont worden ist, darf man eine Regelung annehmen, die sich an die in den anderen Ämtern herrschenden Gesetze anlehnte.

Für die gründliche Erlernung eines Handwerks war eine längere Lehrzeit nötig, die je nach den zu erlernenden Fähigkeiten sich in der Dauer unterschied. In den Böttcher-Statuten von 1346, Oktober 18 104 ), ist die Lehrzeit allgemein ange-


94) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1 (etwa 1450), Art. 6.
95) R.A. Tit. IX, Hutfilter, 1, Art. 7.
96) R.A. Rs. vol. 1, S. 212, Art. 16.
97) R.A. Rs. vol. 1, S. 112, Art. 5.
98) R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 5, R. von 1592, Sept. 28, Art. 2.
99) R.A. Rwb. fol. 104/105, R. der Klotzenmacher von 1509, Sept. 1, Art. 12, und Burmeister, a. a. O., S. 75.
100) R.A. Tit. IX, Nadler, 1, Übereinkunft der Meister des Nadlerwerkes von 1569, Nov. 30.
101) R.A. Crull, Coll. II, 20, Rollenabschrift von 1587, Pfingsten, Art. 1.
102) R.A. Tit. IX, Krämer, Buch von 1604, V.
103) Techen, Geschichte Wismars, S. 4, Anm. 12.
104) M.U.B. 10, 6684, Art. 5.
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geben; es heißt, daß man einen "lereknecht" halten dürfe: "et illum tenebit, donec sciat officium suum". Für einen Schmiedelehrling wurde 1356, Mai 20, eine Lehrzeit von vier Jahren festgesetzt 105 ), und diese Zahl begegnet 1574, August 23 ungefähr, auch in der Hutmacher-Städteordnung 106 ). Die übliche Zahl der Lehrjahre wird drei gewesen sein; in den mehrfach angeführten Rollen der Wollenweber, Hutfilter, Bechermacher, Buntmacher, Kleinwandmacher, Leinweber, Maurer sind drei Lehrjahre vorgeschrieben. In der Krämerrolle sind je nach dem Alter des Lehrjungen 5 bis 6 Lehrjahre vorgesehen, zu denen noch zwei Jahre kommen, in denen der Junge um "mäßigen Lohn" dienen soll. Die Gerber und Rußfärber verlangen ein Lehr- und ein Lohnjahr; die Rade- und Stellmacher-Rolle sieht ein Lehrjahr für Rademachen und eins für den Stellmacherberuf vor, denen aber noch drei Arbeitsjahre in der Stadt folgen müssen vor dem Meisterwerden.

Die Lehre begann mit einer bestimmten Probezeit; es waren meist 14 Tage, auch vier Wochen, während deren sich der Lehrmeister unterrichten konnte, ob der Junge wohl für das Handwerk geeignet sei. So heißt es in der Hutfilterrolle von 1484: "den (Jungen) mach he (der Meister) besoken 14 daghe", und in der Gläserrolle von etwa 1490: ". . . unde he mach enen versöken veer Weken . . .". Dieser Brauch der Probezeit wird wahrscheinlich bei allen Ämtern bestanden haben; besonders erwähnt wird er noch bei den Buntmachern, den Nadlern und Krämern, die wohl entsprechend der längeren Lehrzeit eine Versuchszeit von einem halben Jahr festsetzten. Nach Ablauf der Probezeit tritt erst der "Junge" in das feste Lehrverhältnis ein und wird vor den Älterleuten "eingeschrieben", d. h. sein Name wird im Amtsbuche vermerkt.

Wurde ein Lehrling angenommen, so mußte entweder er selbst oder der Lehrmeister eine Abgabe an das Amt entrichten: eine bestimmte Menge Wachs zu den Amtslichten in der Kirche und ferner eine halbe oder auch ganze Tonne Bier für das Amt. Lehrgeld in heutigem Sinne, das dem Meister zufällt, wird erwähnt bei den Maurern 107 ) und den Leinwebern 108 ),


105) M.U.B. 14, 8223.
106) R.A. Tit. IX, Hutmacher, Art. 22.
107) R.A. Tit. IX, Maurer, 1, R. von 1568, März 13, Art. 6.
108) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsbeschluß von 1570: es soll kein "Lehrbade" angenommen werden, wenn er nicht 4 M. lüb. gegeben hat, 2 M. dem Lehrmeister und 2 M. dem Amt. Dazu noch 6 (ß) zu den Lichten.
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bei den Krämern ist ein Teil der Abgaben den Armen bestimmt. Auch bei den Wollenwebern ist neben einer Abgabe in Bier an das Amt dem Lehrmeister eine Geldsumme vorbehalten 109 ).

Es mag üblich gewesen sein, daß der Lehrling während seiner Lehrzeit im Hause des Meisters auch von diesem gekleidet wurde. In einer Ordnung der See- und Landstädte von 1571, November 12, wird für die Wollenweber bestimmt, daß die Lehrlinge keinerlei Gewand oder Kleider von ihren Meistern erhalten sollen 110 ). Dagegen soll der Hutmacherlehrling "ein hardewickelt kleidt" erhalten 111 ).

Die Bestimmungen, die ein untadeliges Benehmen der Lehrlinge fordern, finden sich mehrfach. So wird z. B. bei den Krämern der Lehrling ermahnt, seine Lehrzeit als "ehrlicher, redlicher, treuer, gehorsamer und unverdrossener Junge" hinzubringen, sich vor Ausschweifungen zu hüten und nicht mit leichtfertigen Personen Umgang zu pflegen. Nach einer Jungen-Rolle der Reifer aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts soll der Junge ohne Erlaubnis seines Meisters weder alltags noch sonntags ausgehen dürfen, nicht mit Würfeln oder Karten um Geld spielen, nachts im Hause schlafen und niemals scharfe Wehr bei sich tragen. Diebstahl wird ihn für immer des Handwerks unwürdig machen. Wenn der Lehrling während seiner Lehrzeit seinem Lehrherrn davonlaufen sollte, so soll er bei einem anderen Meister zur Lehre nicht wieder angenommen werden.

Hatte ein Lehrling seine Lehrzeit beendet, so wurde er "losgesprochen", meist wohl von seinem Lehrherrn. Nur im Todesfalle des Meisters, wenn die Witwe das Amt weiter ausübte, sollte der Lehrling vier Wochen vor Beendigung der Lehrzeit zu den Ältesten des Amtes kommen, um dann von ihnen losgesprochen zu werden 112 ). Ein Meistersohn konnte bleiben und von anderen losgesprochen werden. Bei den Hutmachern sollte die Losgabe vor den Älterleuten und "Ambtsveerern" 113 ) geschehen.


109) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 3, Amtsbeschluß des 16. Jahrhunderts (undatiert).
110) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 6.
111) R.A. Tit. IX, Hutmacher, Ordnung von 1574, Aug. 23, Art. 22.
112) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtswillkür der Kistenmacher von 1571, Dez. 13.
113) Bei Willgeroth, Bilder aus Wismars Vergangenheit, Wismar 1903, S. 299, werden diese als vier Vorsteher der Gesellschaft angegeben.
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Über Abgaben des Lehrlings an das Amt ist wenig bekannt; sie entsprechen wohl der späteren Ausschreibegebühr. Willgeroth berichtet 114 ), daß bei den Rotgießern und den Riemern und Zaumschlägern der Lehrling bis 1555 einen Braten für Meister und Gesellen bei seinem Lehraustritt geben mußte. Später, als nach 1555 der Braten abgeschafft wurde, trat an seine Stelle die Abgabe von 1 (ß) an die Gesellen.

Nach Beendigung seiner Lehrzeit trat der "Junge" in die Reihen der Gesellen. Es war nun gut, wenn er nicht nur in der Stadt, wo er seine Lehrzeit verbracht hatte, eine neue Stelle annahm, sondern sich die Arbeitsmethoden fremder Gegenden zu eigen machte. Eine solche "Wanderzeit" ist in den Quellen teilweise direkt vorgeschrieben. Für die Grapengießergesellen wird 1354, März 2 115 ), vom Rate der Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Stettin gewillkürt, daß die Gesellen vor ihrem Fortgang aus der Stadt, um anderswo zu dienen, den "stadbref" werben sollen, daß sie sich gut "ghehandeld" hätten. Andernfalls soll keine Aufnahme in den Städten erfolgen. Den Wollenwebern wurde in der Rolle von 1417, vor Pfingsten, vorgeschrieben, daß von den drei Lehrjahren eins "buthen" abgedient sein mußte. Die Klippenmacher belegten in dem Amtsrezeß von 1486, Pfingsten, das Wandern nach "unwanliken steden" mit einer Buße, wenn der Geselle nach der Stadt wieder zurückkehren wollte, aus der er gewandert war. Für die Wollenweber wird ein Wanderzwang bestanden haben, da nach der Rolle von 1492 116 ) Meistersöhne vom Wandern befreit wurden, "wen dar nothszake by ys". In der Rolle der Kleinwandmacher von 1560, November 4, wurde dem Lehrling vorgeschrieben, nach Beendigung seiner Lehrzeit "drei Jahre auf das Handwerk zu wandern". In der Hutmacherrolle von 1574 wird demjenigen, der sich in den wendischen Städten " niederzusetzen" gedenkt, eine zweijährige Wanderschaft zur Pflicht gemacht.

Das Wanderziel war bisweilen fest bestimmt. In einem Schreiben zwischen Wismar und Burg (Fehmarn) 117 ), das die Gesellenansetzung bei den Pantoffelmachern in Fehmarn be-


114) Willgeroth, a. a. O., S. 299.
115) M.U.B. 13, 7904.
116) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 3, Art. 9.
117) R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 2, a, b, Schreiben von 1594, Mai 22.
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trifft, wird vom wismarschen Amte die neuerliche Gesellenhaltung abgelehnt, da die Gesellen "nach den Städten wanderten, wo die Beliebung gelte". Die Gesellen hätten ein Schenkhandwerk, und zu dem könne man die Fehmarner nicht zulassen, da sie nie darin gewesen seien. Als erlaubte Städte sind vor allem wohl die sog. wendischen Städte anzusehen, mit denen alle wismarschen Ämter nähere Beziehungen angeknüpft hatten.

Wandertermine, zu denen die Gesellen das Arbeitsverhältnis aufgeben konnten, um auf Wanderschaft zu gehen, waren Ostern und Michaelis, da während dieser Zeitpunkte ein Mieten von Knechten möglich war. So ist es bezeugt für die Schmiede 1575 118 ), die Schwertfeger etwa 1450 119 ) und die Gläser etwa 1490 120 ). Wollte ein Geselle weiter wandern oder ein Meister seinem Gesellen "upgeven", so sollte der eine es dem anderen 14 Tage vorher anzeigen.

Die Dauer des Dienstverhältnisses 121 ) der Gesellen bei einem Meister hat sich mindestens auf ein halbes Jahr erstreckt, bei den Rotgießern nach Willgeroths Angaben auf ein Vierteljahr. Die Innehaltung der Termine wurde streng beachtet, und bereits in den ältesten Quellen werden scharfe Maßnahmen gegen entlaufene Knechte angedroht. In der bereits mehrfach erwähnten Schmiedevereinbarung aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts wird bestimmt, daß der entlaufene Knecht in den sieben Städten, die die Vereinbarung schließen, nicht in Dienst und Arbeit genommen werden darf. In der Böttchergesellenordnung von 1321, März 3 122 ), findet sich die Bestimmung, daß niemand außer der Zeit einen "bisteren" Knecht annehmen sollte. Entläuft ein Knecht gar zweimal seinem Herrn "ane sinen dank", der soll in den sechs wendischen Städten von niemand mehr zur Arbeit angenommen werden. Ähnlich lauten die entsprechenden Artikel in den Rollen der Kürschner von 1383, der Reifer und der Kannengießer von 1387. Eine Ausnahme von dem Verbot


118) R.A. Tit. IX, Schmiede, Ethe Boeck des Amtes von 1575, p. 2.
119) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1, R. von etwa 1450, Art. 9.
120) R.A. Rs. vol. 1, S. 212 ff., Art. 11. - Willgeroth, a. a. O., S. 301, führt außerdem noch an Böttcher, Buntmacher und Kürschner. Man darf annehmen, daß der Zeitpunkt allen Ämtern gemeinsam war.
121) In der Kürschner-R. von 1383, März 3 (M.U.B, 20, 11 501) ist die Dauer dadurch eingeschränkt, daß kein Knecht "under enes mannes brode to euer tiid" mehr verfertigen soll als zwei Frauen-und zwei Kinderpelze.
122) M.U.B. 6, 4265, Art. 3.
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der Annahme ist nur dann gestattet, wenn die Aufgabe des Dienstes mit Willen des betreffenden Meisters geschehen ist.

Wenn ein Geselle bei einem Amte zuwanderte, so waren Begrüßung, Anmeldung und die Art, wie er sich um Arbeit bemühte, in bestimmter Weise geregelt. Diese Gebräuche sind im allgemeinen dem ganzen deutschen Zunftwesen gemeinsam und brauchen hier nur kurz skizziert zu werden. Der örtliche Schwerpunkt der Gesellenschaft - über diese wird noch zu handeln sein - lag in der Herberge 123 ), dem "kroge", wie es in unseren Quellen heißt. Im Kruge des Amts meldete sich der fremde Geselle. Nach der Hutmacher-Städteordnung sollte er so lange sich dort aufhalten, bis er angenommen war 124 ). Gewöhnlich ging der Altgeselle um, dem neuen Bruder Arbeit zu suchen. War aber kein Geselle da, so sollte der jüngste Meister die Nachfrage tun, vom ältesten Meister bis hin zum jüngsten 125 ). Nach der Nadler-Rolle von 1588, August 25 126 ), sollte der zugewanderte Geselle dem Meister zugebracht werden, der am längsten ohne Gesellen gewesen war. Für die Hutmacher wird durch die erwähnte Ordnung, Art. 13, bestimmt, daß die Nachfrage bei dem Meister nicht ohne der Älterleute Willen geschehen solle; sie gaben dem Nachfragenden also erst den Namen des Meisters an, zu dem der Geselle kommen sollte. Fand er nun dort keine Arbeit, so sollte er entweder den Älterleuten selbst oder dem Meister angeboten werden, dessen Werkstatt am längsten vakant gewesen war.

Die Zugewanderten waren nicht frei von Abgaben. In einem Zusatz von 1573, Februar 7, zur Maurerrolle von 1568 wurde bestimmt, daß die ersten 14 Tage zwar abgabenfrei sein sollten, daß aber bei längerer Arbeitszeit in der Stadt alle acht Tage 2 (ß) in des Amtes Lade zu geben waren, nicht zum "Vertrinken", sondern zu des Amtes Vorrat. Die Hutmacher setzen für zugewanderte Gesellen, die nicht in der Stadt gearbeitet hätten, eine Abgabe von 18 Pf. fest. Der Lohn betrug für jeden Arbeitstag 1 (ß). Erste Vorbedingung einer Dienstleistung in der Stadt war ein guter Leumund. Bereits in der Kürschner-Rolle von 1383 wurde bestimmt, daß der Knecht nicht


123) Georg Schanz, Zur Geschichte der deutschen Gesellenverbände, Leipzig 1877, S. 103.
124) R.A. Tit. IX, Hutmacherordnung von 1574, Aug. 23, Art. 13.
125) R.A. Tit. IX, Nadler, 2, Rollen-Supplikation von 1588, Art. 5.
126) R.A. Tit. IX, Nadler, 3, Art. 8 a.
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zu Dienst angenommen werden sollte, dem Briefe nachgeschrieben würden, "de em an sine ere unde ruchte ghinghen" 127 ). Nach der Tischer-Rolle von 1500 sollten sich die Knechte vor Arbeitsantritt erst von der in den Briefen erhobenen Anschuldigung frei machen 128 ). Dieselbe Forderung wurde in der Gläser-Rolle von etwa 1490 erhoben 129 ). Die Malergesellen-Rolle von 1490, Oktober 22 130 ), gibt den Schaffern der Gesellen mit Zustimmung der Älterleute die Handhabe, dem Angeschuldigten bis zur Erledigung der Angelegenheit die Arbeit zu verbieten. Die Arbeltskollegen aber, die mit einem solchen zusammen arbeiten und von der Beschuldigung unterrichtet sind, sollen gleich dem Beschuldigten für "unwerdig" gehalten werden. Man sprach ihnen die Handwerksehre ab und nahm ihnen damit die Möglichkeit, bei einem zünftigen Meister arbeiten zu können.

Wie man bei fremden Gesellen auf den guten Ruf derselben großen Wert legte, so sah man auch darauf, daß die Gesellen im Amte demselben durch ihr Verhalten keine Unehre machten. Um Unsitten im Trinken vorzubeugen, wurde in der Malergesellen-Rolle von 1490, Oktober 22, Art. 5, verboten, einen Zwang zum Biertrinken im Kruge auszuüben; die Hutmacher setzten in der Städteordnung von 1574, August 23, Art. 16, das Höchstmaß des Biers, das vertrunken werden konnte, auf 3 (ß) fest. Und wer bei ihnen Trinkgefäße "stope", in den Krug warf, sollte dies nach altem Brauche bezahlen. Ein jeder Malergeselle sollte zu rechter Zeit in seines Meisters Haus sein und danach nicht wieder ausgehen, vor der Tür zu toben und zu heulen (Art. 15 der erwähnten Rolle). Die Hutmachergesellen sollten vor 10 Uhr aus dem Kruge gehen; wenn sie später nach Hause kamen und dann durch Klopfen Einlaß begehrten, so sollten sie 6 (ß)! an die Meister zu zahlen schuldig sein. - Die Gesellen durften nachts nicht außerhalb des Meisters Haus schlafen. Bereits in der Knochenhauer-Rolle von 1410 (Freitag nach Allerheiligen) 131 ) wird dies mit einer Abgabe von 1 (ß) an den Meister und von 6 Pf. an die Werkmeister bestraft. Nach der Schwertfeger-Rolle von etwa 1450, Art. 12, beträgt die Strafe 6 Pf., und es wird der Zusatz


127) M.U.B. 20, 11 501, Art. 14.
128) R.A. Tit. IX, Tischler, 1. Rolle von 1500, Febr. 4, Art. 7.
129) R.A. Rs. vol. 1, S.212 ff., Art. 15.
130) R.A. Tit. IX, Glaser, Art. 6.
131) R.A. Rwb. fol. 19, Art. 12. - Nov. 7.
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gemacht, daß der Geselle seines Meisters Werk ohne dessen Erlaubnis nicht versäumen dürfte bei derselben Strafe. Es kam also wohl vor, daß der Geselle nicht nur die Nacht auswärts verbrachte, sondern auch am Morgen nicht zur rechten Zeit zur Arbeit kam. Sittliche Vergehen wurden wohl in allen Fällen vom Amte hart bestraft und hatten meist zur Folge, daß dem Betreffenden die Handwerksausübung in den sechs wendischen Städten untersagt wurde 132 ).

Die Gesellen besaßen eine eigene Vertretung in Gesellenorganisationen, den Gesellenbruderschaften. Es soll hier die Frage nicht erörtert werden, wie weit die "Gesellenschaft" von der früheren "Bruderschaft" beeinflußt worden ist, ob religiöse Interessen oder wirtschaftliche Motive zum Zusammenschluß geführt haben. Man darf aber wohl mit Schanz 133 ) annehmen, daß bei der Mehrzahl der Fälle die ersten Anfänge auf religiösem Gebiet liegen und später der Aufgabenkreis der Genossenschaft sich erweiterte. In Wismar sind beide Aufgabenkreise bereits zusammengeschmolzen. Über das Bestehen und die Organisation solcher Gesellenschaften liegen nähere Zeugnisse vor bei den Wollenwebern 134 ), den Malern 135 ) und den Schmieden 136 ); bei den Hutmachern findet man einige Angaben über eine solche Vereinigung 137 ). Die älteste erhaltene Gesellenrolle ist die der Kürschner von 1480 138 ). An der Spitze dieser Gesellengenossenschaft standen die Schaffer, so genannt bei den Schmieden; bei den Wollenwebern hießen die Vorsteher Meisterknappen, bei den Hutmachern die "Vierer". Über die Zahl der Vorsteher erhalten wir durch die Hutmacherordnung Aufschluß; sie wird auch bei den übrigen Gesellenschaften vier betragen haben. Ihre Aufgabe war es, die Ordnung in der Gesellenschaft aufrecht zu erhalten, die Versammlungen mit


132) R.A. Tit. IX, Gauordnung der Schmiede von 1587, Pfingsten, Art. 7.
133) Schanz, a. a. O., S. 93 ff., S. 101 ff.
134) Techen, Aus dem Amtszeugebuche der Wismarschen Wollenweber, M.J.B. 58, S. 37 ff.
135) R.A. Tit. IX, Glaser, 1, Malergesellen-R. von 1490, Okt. 22.
136) R.A. Tit. IX, Schmiede, 1, Mitteilung über eine Unterstützungskasse für Gesellen von 1528, Aug. 9.
137) R.A. Tit. IX, Hutmacher, Städteordnung von 1574, Aug. 23 ungefähr.
138) R.A. Tit. IX, Kürschner; Techen, Geschichte Wismars, S. 88. Allgemeine Angaben für Tischler, Schwertfeger, Böttcher und Riemer und Zaumschläger macht Willgeroth, a. a. O., S. 306 ff.
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Wissen der Älterleute 139 ) einzuberufen, die Gesellenschaft vor dem Amte zu vertreten. Bei den Hutmachern geschah die Losgabe des Lehrlings vor den Älterleuten und den "Vierern" des Amtes. Ein beschränktes Strafrecht stand ihnen zu, jedoch durften sie bei den Wollenwebern keine höhere Strafe als 1 (ß) verhängen; nach Willgeroth 140 ) waren es bei den Böttchern und Hutmachern 2 (ß). Die Amtszeit der Vorsteher betrug nach Angaben bei den Malergesellen und den Schmieden ein Jahr; innerhalb der Zeit sollte der Schaffer von seinem Meister nicht wandern. Eine besondere Aufgabe erwuchs den Schaffern aus der Verwaltung der Gesellenbüchse, die das alle Vierteljahr einzuzahlende "Zeitgeld" enthielt. Bei den Malergesellen betrug dasselbe vierteljährlich 4 Pf. lübisch; jeder "Sulvesther" sollte 6 Pf. gleicherweise geben. Von diesem Geld sollten bei den Malergesellen jährlich zwei Begängnisse und die Lichte auf dem Gesellenaltar zur Ehre Gottes und St. Lukas gehalten werden. Die Gesellenbüchse sollten drei Schaffer verwalten, zwei Gesellen und ein Meister; sie befand sich im Hause eines Ältermannes, und es mußte jedes Jahr Rechenschaft von der Verwendung des Geldes abgelegt werden. Der älteste Schaffer wurde sodann durch einen neuen ersetzt und ihm die Schlüssel übergeben.

Die Gesellen konnten durch die Geschlossenheit ihres Auftretens einen Druck auf den Willen der Meister ausüben und sie evtl. zum Nachgeben zwingen. Im Jahre 1489 war aus geringfügiger Ursache unter den Gesellen des Wollenweberamtes ein Streit ausgebrochen. Bei der Bestrafung der Schuldigen hatten sich die "Meisterknappen" einen Übergriff zuschulden kommen lassen. Darauf wurde von dem Amte beschlossen, ihnen, die einen Schlichtungsversuch der Meister zurückwiesen, so lange die Arbeit zu verbieten, bis sie sich zum Nachgeben entschlossen hätten. Diese waren aber nicht gewillt, ihre Sache so leicht aufzugeben. Sie riefen die Gesellen zusammen, und alle beschlossen, nicht für das Amt zu arbeiten, sondern mit den Meisterknappen zu Bier zu gehen. Es handelte sich also um einen regelrechten "Streik". Allerdings dauerte der Ausstand nur einen Tag, "da hatte der Haufe kein Geld mehr", und verständlicherweise wollten die Meister den


139) R.A. Tit. IX, Hutmacher, Ordnung von 1574, Art. 19. R.A. Tit. IX, Glaser, Malergesellenrolle von 1490, Okt. 22, Art. 4.
140) Willgeroth, a. a. O., S. 307.
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Gesellen kein Geld leihen. Die Arbeit wurde also wieder aufgenommen, und nur die Meisterknappen blieben ihrer Arbeitsstätte fern. In dem Berichte heißt es dann aber: "so sunnen (begehrten) se gnade" 141 ).

Die Gesellen der Kleinlakenmacher in den Lübeck "umliegenden" Städten - gemeint sind sicher die wendischen Städte - schlossen 1576 ein Verbündnis untereinander ab 142 ), "ohne vorvorchten und volbort", ihrer Meister, die lübischen Gesellen bei sich nicht zuzulassen, es wäre denn, daß sie sich mit einer Summe mit ihnen ausgesöhnt hätten. Da die Meister dem Willen der Gesellen gegenüber machtlos waren, so wurde der Rat gebeten, gegen die Gesellen einzuschreiten und sie zu zwingen, etwaige Streitsachen vor der Obrigkeit zur Erledigung zu bringen. In diesem Fall war der Einfluß der Meister völlig ausgeschaltet worden, die Gesellen hatten selbständig gehandelt.

Die Lehrzeit und die Gesellenzeit dienen nur der Vorbereitung auf den künftigen Beruf, den der Handwerker als Meister in untadliger Weise ausüben soll. Es ist darum verständlich, daß man sich im Amt über Person und Fähigkeiten des Bewerbers vor seinem Eintritt zu unterrichten bestrebt war. So findet man fast in allen Ämtern die Bestimmung, daß vor Amtseintritt eine Dienstzeit in der Stadt bei einem fähigen Meister abzuleisten sei. Sie erstreckte sich in der Regel auf ein Jahr, konnte aber auch länger ausgedehnt werden. Am niedrigsten war diese Zeit bei den Garbrätern 143 ) bemessen; man gab sich mit einem halben Jahr Dienst im Amte zufrieden. Ein Jahr, meistens "Jahr und Tag", wurde verlangt bei den Goldschmieden 144 ), Schneidern, Schwertfegern, Gläsern, Tischlern, Klotzenmachern; für die Wandschneider 145 ) wurde die Bedingung gestellt, daß der Geselle vor der Zulassung Jahr und Tag in der Stadt Bürger gewesen sein mußte. Einzig die Maurer 146 ) verzichteten auf die Dienstzeit, wenn der Knecht


141) Techen, Aus dem Amtszeugebuch, M.J.B. 58, S. 37 ff.
142) R.A. Tit. IX, Kleinlakenmacher, 1, 2, Schreiben des Lübecker Rates an Wismar von 1576, Aug. 31, und 1576, Sept. 10.
143) R.A. Tit. IX, Garbräter, 4, R. von 1502, Juli 5, Art. 9.
144) M.U.B. 19, 11 293, Art. 4. Im Amtsbuche (R.A. Tit. IX), S. 24, wird 1509 festgesetzt, daß der Geselle, der seiner selbst werden will in der Stadt, hier von einem Osterfest bis zum nächsten dienen soll.
145) R.A. Tit. IX, Wandschneider, 1, R. von etwa 1420, Art. 4.
146) R.A. Tit. IX, Maurer, 1, R. von 1568, März 13, Art. 7.
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drei Lehrjahre bei einem Meister gewesen und danach "düchtig" war "mit der kellen tho arbeiden". Eine zweijährige Dienstzeit wurde verlangt bei den Hutmachern, Buntmachern, Kleinwandmachern, Riemern und Beutlern und den Nadlern. Wollte der Geselle außer Amts heiraten, so mußte er bei den Bechermachern 147 ) sogar drei Jahre bei einem Meister dienen. Heiratete er jedoch eine Meistertochter oder eine Meisterwitwe, so sollte er von diesem Dienst befreit sein.

Der angehende Meister mußte bei seiner Bewerbung im Besitz eines bestimmten Kapitals sein. Er hatte für die geforderte Summe Bürgen zu setzen und selbst mit einem Eide vor Rat und Älterleuten seine Angaben zu bekräftigen. Das verlangte Vermögen war nicht gleich bei allen Ämtern, es wechselte an Höhe je nach dem Amtsbereich und der Art des verarbeiteten Materials. Dieser Nachweis wurde offenbar deswegen gefordert, damit der Meister imstande war, einen Kunden mit einem Vermögensteil entschädigen zu können, wenn die in Auftrag gegebene Arbeit verdorben wurde oder nicht zur Zufriedenheit des Auftraggebers ausfiel. Dieser Gedanke wird in der Goldschmiederolle von 1380, Nov. 28, Art. 3, klar ausgedrückt 148 ). In den ersten Jahrzehnten wismarschen Zunftwesens findet sich die Bestimmung über den Vermögensnachweis für jedes Amt, in späteren Rollen ist sie in Fortfall gekommen. Man kann aber annehmen, daß die Anordnung gewohnheitsrechtlich weiter üblich war, deshalb in späteren Dokumenten keine Aufnahme mehr zu finden brauchte. Die Forderung des Vermögensnachweises wurde zum ersten Male, soweit bekannt, in der Schneiderrolle von 1346, um Juni 29 149 ), ausgesprochen. Es wurde von dem Bewerber um das Amt der Besitznachweis von 5 M. lüb. verlangt. Für die Böttcher wurden 1348, Juni 25, 10 M. lüb., für die Leinweber 1350, Nov. 30, 4 M., für die Knochenhauer 1361, Nov. 12, 20 M. gefordert. In der bereits erwähnten Goldschmiederolle wurden 6 M. Kapital für nötig erachtet, die Kürschnerrolle von 1383, März 3, schrieb 5 M. vor, ebenso die Reiferrolle von 1387, April 26, und die Wandschererrolle, die vor 1400 erteilt sein muß, aber undatiert ist. Die Rolle der


147) R.A. Rs. vol. 1, S. 78, R. von 1489, Jan. 22, Art. 1, 2.
148) M.U.B. 19, 11 293. - Vgl. Techen, Die Böttcher in den wendischen Städten, besonders in Wismar. HGbl. 1925, S. 90/91.
149) M.U.B. 10, 6665, Art. 3. - Aber M.U.B. 23, 13 354: R. von 1398, Nov. 6, Art. 3, werden 10 M. gefordert.
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Wollenweber von 1387, April 26, und die der Kannengießer aus demselben Jahre enthalten die Bestimmung über 8 M. Besitz. Weitere Forderungen sind bezeugt für die Haken von 1407, Mai 4 (16 M.), die Krämer von 1421, Dez. 5 (20 M.), die Schwertfeger von etwa 1450 (5 M.), die Hutmacher von 1484, Juli 16 (10 M.), die Gläser von etwa 1490 (10 M.), Buntmacher von 1497, August 18 (20 M.), und die Tischler von 1500, Februar 4 (12 M.). In der nach Techen um 1420 erteilten Rolle der Wandschneider wird von den Bürgern die eidliche Versicherung verlangt, daß der Bewerber "also gued alse twe hundert marck hebbe" 150 ). Diese, im Vergleich zu den oben erwähnten, ungeheure Summe läßt darauf schließen, daß man bestrebt war, den Kreis der Wandschneider sehr eng zu ziehen. Diesem Amte konnten jeweils nur die reichsten Bürger beitreten. Allerdings handelte es sich bei der genannten Summe wohl um den Gesamtbesitz der Betreffenden, während bei den anderen Ämtern z. B. "vif mark Lübescher penninghe" in reiner Münze gefordert wurden.

Wer sich um die Meisterwürde bewarb, mußte sich im Besitz von sog. "Zeugebriefen" befinden. Es waren dies Briefe, vom Rat der Stadt besiegelt, in der der Geselle zuletzt gedient hatte, in denen seine gute Führung beglaubigt und zum Ausdruck gebracht wurde, daß man den Überbringer des Schriftstückes gerne im Amte behalten und als Bürger aufgenommen hätte. Solche Führungszeugnisse sind im Wortlaut nachgewiesen für die Goldschmiede von 1355, Dezember 31, und 1501, August 3 151 ), die Schuhmacher von 1355, Januar 27, die Schneider von 1366, September 26, die Riemenschneider von 1367, Oktober 14, die Schmiede von 1368, Oktober 4, und 1378, Dezember 29, die Wollenweber von 1379, Januar 28, 1387, März 7, und 1393, Februar 22. Diese "Zeugebriefe" (litterae testimoniales), die zuerst, soweit bekannt, in der Schneiderrolle von 1346, um Juni 29, gefordert werden, wurden teilweise insofern verändert, als die Bestätigung der ehelichen Geburt von Vater und Mutter in erster Linie erwähnt und dann erst die gute Führung des Betreffenden beglaubigt wurde. Die Zeugnisse für Wollenwebergesellen von 1387 und 1393 heißen daher mit Recht "Bortbref", Geburtsurkunde. Die Forderung des Nachweises


150) R.A. Tit. IX, Wandschneider, 1, Art. 3.
151) M.U.B. 13, 8165; Sammlung des Germanischen Museums Nürnberg, Sign. Nr. 3300.
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der ehelichen Geburt wurde zuerst, soweit ersichtlich, ausgesprochen in der Rolle der Krämer von 1397, März 28, für die Bewerber um das Amt, denen "en quadt ruchte naqueme", allgemein wird sie betont in der Hakenrolle von 1407, Mai 4. War der Amtsbewerber in der Stadt geboren, so genügte das Zeugnis von glaubwürdigen Leuten. Ebenso sollte diese Art des Nachweises ausreichen für diejenigen, die aus Orten kämen, wo man keine "Ingesegele", also Stadtsiegel, hätte 152 ). In der Kannengießer-Rolle von 1387, Juni 13, wurde bestimmt, das Zeugnis glaubwürdiger Leute gelten zu lassen, wenn "dar neen stad were, dar he lest gedenet hadde". Eine Norm für die Art des Geburtsnachweises lag nicht vor. - Ebenso waren die Vorschriften über das Einholen der Zeuge- und Geburtsbriefe sehr verschieden. Wenn ein genauer Zeitpunkt festgesetzt war, so lag dieser entweder vor der "Eschung", dem Tage, wo der Geselle sich beim Amte um den Eintritt in dasselbe bewerben wollte - er erschien schon mit dem benötigten Dokumente vor den Meistern - oder aber nach der ersten oder zweiten Eschung. In diesem Fall wurde der Bewerber vom Amte fortgeschickt, um die Schriftstücke zu holen. Das Amt hielt also mehrere Zusammenkünfte ab, um in der Angelegenheit des künftigen Amtsbruders sein Urteil zu fällen. In dem "Ethe-Boeck" der Schmiede von 1575 ist der Vorgang der Amtseschung genau festgelegt 153 ). Nach der zweiten Eschung mußte der Geselle seine Geburtsbriefe holen, sie bei der Rückkehr dem ältesten Ältermann in dessen Haus übergeben 154 ), und dann erst konnte die dritte Eschung auf einer neu einberufenen Versammlung erfolgen. Die Verpflichtung, Dienstbriefe beim Meisterwerden beizubringen, bestand in allen wendischen Städten. Das wismarsche Bäckeramt hatte sich über diese Gewohnheit hinweggesetzt, es wurde aber auf eine Klage der wendischen Städte hin vom Rate gezwungen, die Forderung der Dienstbriefe beizubehalten 155 ). Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam die Sitte auf, diese Dienstbriefe mit Geld abzulösen. Die hierfür erforderliche Summe wurde vom Amte festgesetzt; sie betrug bei den Goldschmieden für Meistersöhne


152) R.A. Rwb. fol. 21, Leinweberrolle von 1415, April 26, Art. 1.
153) R.A. Tit. IX, Schmiede.
154) Auch R.A. Tit. IX, Rotes Buch der Reifer, Amtswillkür von 1465.
155) R.A. Crull, Coll. II, 20: Auszug aus dem Zeugebuch der Stadt Wismar, p. 205.
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3 rhein. fl. 156 ), im Schmiedeamt 2 Gold-fl. 157 ) und bei den Leinewebern 4 lüb. M. 158 ).

Das Eschen des Amtes erfolgte auf den Morgensprachen, die ursprünglich auch morgens 159 ) abgehalten wurden, seit 1345 in Gegenwart von zwei Ratsherren. Urlaub von diesen Zusammenkünften gab es nicht, ein Fernbleiben wurde bei den Riemern und Beutlern 160 ) mit 6 Pf., bei den Schneidern mit 4 (ß) bestraft 161 ). Bei den Krämern wurde in der Rolle von 1397, März 28, Art. 15, als Strafe für Fernbleiben ein halbes Pfund an den Rat und 6 Pf. an die Werkmeister gesetzt 162 ). In der Rolle der Wollenweber von 1387, April 26, wurde gar eine Kleidervorschrift für die Morgensprachen aufgezeichnet. Es sollte jeder "Sulves-Here synen besten hoiiken (Mantel)" umnehmen, wenn er zur Amtsversammlung erschien. Im Nichtbefolgungsfalle mußte er die übliche Buße von einem halben Pfund und 6 Pf. erlegen. Als Ort der Zusammenkünfte wird für die Böttcher die Heiligen-Geistkirsche 163 ), für die Wollenweber und Leinweber die Georgenkirche genannt 164 ). Die Bäcker und Schuhmacher hielten die Morgensprachen in der "großen Audienz auf dem Rathause" vor den Kämmereiherren ab 165 ). Über die Zahl der Morgensprachen, die vor der Aufnahme des Bewerbers abgehalten werden mußten, liegen nähere Mitteilungen vor. Im Amt der Goldschmiede 166 ), Haken 167 ), Schwertfeger 168 ), Rußfärber 169 ) genügte eine ein-


156) Crull, a. a. O., Anl. 3, Amtswillkür von 1519.
157) R.A. Tit. IX, Schmiede, Ethe Boeck des Amtes, S. 12: 1574, Nov. 1.
158) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtswillkür von 1575, April 28.
159) Schiller-Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bremen 1877 Bd. 3, S. 119, Art. Morgensprake.
160) Crull, Coll. II, 20, Amtsbuch der Riemer und Beutler, Bestimmung von 1572, Art. 7.
161) R.A. Tit. IX, Schneider. Verpflichtungsaufrechnung von 1573, betr. Amtswerbung. - Es sollte jeder kommen, "sofern he gahn kann".
162) M.U.B. 23, 13 090.
163) Techen, HGbl. 1925, S. 125/26.
164) Willgeroth, a. a. O., S. 213.
165) Techen, Die Morgensprache der Wismarschen Bäcker, Hgbl. 1909, S. 509 ff.
166) M.U.B. 19, 11 293, Art. 17 a der R. von 1380, Nov. 28. Die Morgensprache wurde gehalten am Sonntag vor Himmelfahrt.
167) R.A. Tit. IX, Haken, 1, R. von 1529, Aug. 5, Art. 2.
168) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1, R. von etwa 1450, Art. 1.
169) R.A. Crull, Coll. II, 20, R. von 1587, Pfingsten, Art. 2.
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malige Eschung, bei den Krämern 170 ), Gläsern 171 ) und Tischlern 172 ) mußte das Amt auf zwei Morgensprachen "geescht" werden. Wer bei den Reifern, Wollenwebern, Kannengießern, Schneidern, Hutmachern, Bechermachern, Buntmachern nnd Schmieden das Amt gewinnen wollte, sollte sein Amt eschen "to dren tiden, alze to dren verdendel iares tovoren", wie die übereinstimmende Formulierung lautet. Die Morgensprache fand also jeweils nach einem weiteren Vierteljahr statt. Bei den Klotzenmachern 173 ) und den Pantoffelmachern 174 ) sollte diese dreimalige Eschung an einem Tage stattfinden. Der Bewerber sollte um die Aufnahme bitten "in der morghensprake dre Reyse up eynen dach". Im "Roten Buch" der Reifer, das 1668 begonnen wurde und Abschriften von Amtsbewilligungen aus dem Jahre 1465 enthält, wird gar von einer vierfachen Amtseschung gesprochen 175 ). Es ist allerdings anzunehmen, daß in den Aufzeichnungen Gebräuche des Jahres 1668, einer Zeit, wo der Verfall des deutschen Zunftwesens schon einsetzte, für das Jahr 1465 bereits angeführt sind. Denn auch der von dem jungen Meister geforderte ungewöhnlich hohe Aufwand bei den verschiedenen Mahlzeiten paßt kaum in das angegebene Jahr.

Der junge Meister konnte das Gewerbe nicht ausüben, wenn er nicht Bürger der Stadt war. Die Bedingung, die Bürgerschaft zu erwerben, galt sicher für alle Ämter. Zuerst erwähnt wurde sie in einem Statut des Rates für die Leinweber von 1350, Nov. 30 176 ), ferner in Rollen der Hutmacher 177 ) und der Gläser 178 ).

Vor der endgültigen Verleihung der Meisterwürde mußte der junge Meister durch die Anfertigung von mehreren Arbeitsstücken beweisen, daß er imstande war, sein Handwerk in untadeliger Weise auszuüben. Diese "Meisterstücke" wurden in der Regel in der Werkstatt eines Ältermannes gearbeitet und darauf dem Amte vorgelegt. Die Forderung eines solchen Be-


170) R.A. Rwb. fol. 101, Zusatzartikel 1 zur R. von 1397 aus dem Jahre 1421, Dez. 5.
171) R.A. Rs. vol. 1, S. 212, R. von etwa 1490, Art. 1.
172) R.A. Tit. IX, Tischler, 1, R. von 1500, Febr. 4, Art. 2.
173) R.A. Rwb. fol. 104/5, R. von 1509, Sept. 1, Art. 2.
174) R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 5, R. von 1592, Sept. 28, Art. 3.
175) R.A. Tit. IX, Reifer.
176) M.U.B. 10, 7133, Art. 1.
177) R.A. Tit. IX, Hutmacher, 1, R. von 1484, Juli 16, Art. 1.
178) R.A. Rs. vol. 1, S. 212. R. von etwa 1490, Art. 1.
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fähigungsnachweises wurde in Wismar zuerst in der Schneiderrolle von 1346 erwähnt. Die Schneider sollten je nach dem erwählten Berufszweige ein Paar Frauenkleider zuschneiden oder ein Paar flämischer Kleider "vel aliorum virorum, de quibus se intromittere voluerint". Bei den Goldschmieden wurde die Anfertigung eines goldenen Ringes, zweier Broschen und eines zum Zusammenfassen des Messergriffes geeigneten Ringes als Meisterstück gewertet. Über die nähere Ausführung berichtet uns Dr. Crull in seiner angeführten Abhandlung 179 ). Für die Reifer wurden in der Rolle von 1387 180 ) drei Meisterstücke vorgeschrieben. Nach den Aufzeichnungen von 1465 im Roten Buch des Amtes waren dies ein Ankertau von fünf Daumen Dicke und 40 Faden Länge, eine weitere selbst gestellte Aufgabe und ein bastener Reif, einen Faden und einen Fuß lang, mit einer ein Span langen Öse, dreifach gedreht, der Reif selbst vierfach, "mit einem Schwalecken sterth". Die Kannengießer verlangten drei nicht näher bezeichnete Meisterstücke 181 ). Die Wandscherer sollten so viel "wandes" scheren, wie zu einem Paar Kleider benötigt würde 182 ). Für die Leinweber waren als Meisterstücke vorgeschrieben die Anfertigung von sechs Ellen Tafellaken und sechs Ellen schlichter Leinwand 183 ), die Schwertfeger forderten zwei ausreichende Stücke Werkes 184 ). Bei den Hutmachern bestanden die Meisterstücke aus einem "krusen hoeth", einem "wanderhoeth", einem "underslichten hoeth" und einem "bossenvylt", wohl einem gröberen Filzhut 185 ). Die Bechermacher, über deren Arbeitsart Techen Näheres anführt 186 ), verlangten die Herstellung eines Meisterbechers 187 ), und bei den Buntmachern, die sich im Gegensatz zu dem Pelzemachen der Pelzer nur mit dem Füttern von Sachen befaßten, sollte der Bewerber einen "growen" Mantel und einen "buken" Mantel anfertigen 188 ). Die Meisterstücke der Klotzenmacher waren ein Paar "Klippen myt holen ledderen roet", ein Paar zu machen mit acht Riemen, sowie ein Paar Klotzen und ein


179) Crull, a. a. O., S. 5 ff.
180) M.U.B. 21, 11 870, Art. 10.
181) R.A. Tit. IX, Kannengießer, 1, R. von 1387, Juni 13, Art. 6.
182) R.A. Tit. IX, Wandscherer, 1, undatierte R., wohl um 1387.
183) R.A. Rwb. fol. 21, R. von 1415, April 26, Art. 6.
184) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1 , R. von etwa 1450, Art. 4.
185) R.A. Tit. IX, Hutmacher, 1, R. von 1484, Juli 16, Art. 1.
186) Techen, HGbl. 1925, S. 67-127.
187) R.A. Rs. vol. 1, S. 78, R. von 1489, Jan. 22, Art. 4.
188) R.A. Rs. vol. 1, S. 112, R. von 1497, Aug. 18, Art. 1.
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Paar Sohlen. Klippen waren eine Art Überschuhe aus Korkholz und Leder, in gröberer Herstellung Klotzen genannt, die mit Riemen am Fuß festgehalten wurden 189 ). Für die Riemer und Beutler wurden 1669 als Meisterstücke angegeben ein Pferdezeug, ein Paar Halfter, ein Kreuzgürtel und ein Paar Steigleder 190 ). Die Schmiede verlangten ebenfalls mehrere Meisterstücke. Ein Grob- oder Hufschmied sollte zwei Hufeisen und eine "meßforcke" schmieden, dazu eine Anzahl Nägel, ebenso der Ankerschmied, der neben Nägeln einen Bootshaken und eine "roder-smide" verfertigen sollte. Für den Kleinschmied wurden u. a. zwei Bügel, ein vierkantenes Schloßblatt und ein Schlüssel gefordert, dem Messerschmied die Herstellung verschiedener Messer auferlegt 191 ).

An besonderen Abgaben wurden dem jungen Meister bei der Amtswerbung auferlegt eine Tonne Bier für das ganze Amt, ferner kleinere Summen zur Erhaltung des Amtsharnisches, des Amtsbahrtuches und der Lichte vor den Altären der Ämterkapellen 192 ). In der Bürgersprache von 1398 193 ) wurde bestimmt, daß neben den "antiquas iusticias ad armer et ad lumina" eine Tonne guten Bieres an das Amt gegeben werden, sonst aber dem jungen Amtsbruder keinerlei Ausgabe entstehen sollte. Im Laufe der Zeit wurden solche einschränkenden Bestimmungen dann nicht mehr beachtet, die Forderungen von seiten des Amtes wurden gesteigert. In der Hutmacher-Rolle von 1484, Art. 3, wurde zuerst eine "Köste" verlangt, bestehend aus einer Tonne Bier, zwei Schinken mit anderem Fleische, einem "gron rychte" (Gericht von frischem Fleisch), dazu Käse und Butter. Hinzu kamen dann noch die Abgaben für Harnisch und Lichte. Die Bechermacher forderten in der Rolle von 1489, Art. 3 und 5, bei der ersten Eschung eine kleinere Köste, bei den weiteren beiden bestimmte Summen zu Bier und endlich eine "Meisterköste" mit drei Gerichten, Butter und Käse und einer Tonne Bier. Bei den Buntmachern


189) Vgl. Amtsrezeß der Klippenmacher von Lübeck, Rostock, Wismar, HGbl. 1900, S. 153/55.
190) R.A. Crull, Coll. II, 20.
191) R.A. Tit. IX, Schmiede, Ethe Boeck von 1575, S. 1.
192) In der Wollenweber-Rolle von 1387, April 26 (M.U.B. 21, 11 869), Art. 11, heißt es allgemein: "Welk man in dat ampt kumpt unde synes sulves werd, de schal gheven deme ampte ene tunne beres, twe punt wasses to den lichten unde twelf schillinghe to dem boldeke unde to deme harnsche . . ."
193) M.U.B. 23, 13 301, Art. 3 h.
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findet sich dieselbe Art der Köste wie bei den Hutmachern. Erwähnt seien endlich noch die Forderungen der Reifer von 1465. An Gesamtausgaben fielen dem jungen Meister außer der Köste 46 M. 6 (ß) zu. Für den Schmaus mußten besorgt werden 90 Pfund Grapenbraden (mit Essig und Zwiebel gekochtes Rindfleisch, wozu Backpflaumen gegessen wurden), an Gebratenem ein halber Hammel und zwei Lämmer, 32 Pfund Schweinefleisch und ein Kälberbraten, ein gutes Gericht Fisch (meist wurde Hecht verlangt wie bei den Schmieden), endlich Butter und Käse. Dazu wurde eine Tonne Bier getrunken und zu allem Weißbrot gegessen. Selbst wenn man bedenkt, daß das ganze Amt mit Frauen und auch Kindern teilweise beim Schmaus versammelt war, bleibt die Menge der verlangten Dinge beachtlich! Wenn auch Bestrebungen wach wurden, die übermäßigen Gelage einzuschränken, so kam es höchstens zu einer Ablösung der Kösten, die Ausgaben blieben ziemlich dieselben 194 ).

Meisterwitwen durften das Amt ihres verstorbenen Mannes bei den Wandscherern 195 ) und Knochenhauern 196 ) noch Jahr und Tag weiter ausüben. Heiratete eine Knochenhauerwitwe einen anderen Amtsbruder mit Willen der Werkmeister und des Amtes, so konnte sie das "Amt" behalten. Geschah es jedoch nicht, so konnten die Kinder, Sohn oder Tochter, das Handwerk weiter innehaben. Auf Vorschlag der Werkmeister sollten sie vom Rate mit dem Amt belehnt werden. Beiden Schneidern 197 ) sollte einer Meistertochter oder Witwe nicht verboten werden, mit Ratserlaubnis "neues Werk" an Kragen oder Flickwerk zu nähen, und bei den Gerbern und Rußfärbern durfte eine Witwe das Amt weiterführen, solange sie Amtsrecht tun wollte 198 ). Dasselbe wurde in der Rollensupplikation der Nadler angegeben 199 ). Heiratete eine Schneiderwitwe außer Amts, so sollte sie keine Arbeitserlaubnis mehr haben.

Wer eine Meistertochter oder Witwe zur Ehe nahm, genoß ähnliche Vorzüge wie ein Meistersohn. So brauchte ein solcher


194) Vgl. R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsabmachung der Bäcker von 1581, März 17.
195) R.A. Tit. IX, Wandscherer, R. vor 1400?, Art. 6.
196) R.A. Rwb. fo1. 19, R. von 1410, Freitag nach Allerheiligen, Art. 11.
197) R.A. Tit. IX, Schneider, R. von 1568, Nov. 26, Art. 9.
198) R.A. Crull, Coll, II, 20, R. von 1587, Pfingsten, Art, 8.
199) R.A. Tit. IX, Nadler, 2, R.-Supplikation von 1588, Art. 1.
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Bäckergeselle kein Harnischgeld mehr zu entrichten, da sein "vorvare", der verstorbene Ehemann der Witwe, den Betrag schon entrichtet hatte 200 ). Ein Wollenweber, der innerhalb des Amtes sich verheiratete, brauchte sein Amt nur auf einer Morgensprache zu "eschen" 201 ), und ein Goldschmiedsgeselle, der sein Jahr nicht in der Stadt gedient hatte, aber eine Witwe heiraten wollte, sollte dem Amte für das Dienstjahr 4 fl. geben dürfen 202 ). Für einen Schmiedegesellen betrugen die Amtsabgaben bei Amtsheirat im Jahre 1574 nur 45 anstatt 57 M. 203 ). Wenn ein Bechermacher im Amte heiratete, so waren ihm die geforderten drei Dienstjahre erlassen 204 ). In der Leinweber-Rolle von etwa 1580 wurde bestimmt, daß jeder, der Meister werden wollte, eine Meisterwitwe oder -tochter heiraten sollte, und nur Meister oder Meistersöhne durften eine Ehe außer Amtes eingehen 205 ).

Meisterkinder sollten bei den Bäckern 206 ) und den Klotzenmachern 207 ) vor Fremden den Vorzug bei der Amtsgewinnung haben, und bei den Zinngießern wurden sie ohne Dienst zum Amte zugelassen 208 ). Im Amte der Kleinwandmacher 209 ) sollte ein Meistersohn nach Begleichung von 5 M. auf der Kämmerei sein Amt frei haben; wer kein Meistersohn war, aber im Amt heiraten wollte, sollte zwar auch nach Abgabe derselben Summe das Handwerk gebrauchen dürfen, mußte jedoch zwei Jahre gedient haben. Ein Zwang war die Heirat im Amte bis 1600 anscheinend nur bei den Leinwebern, in den übrigen Ämtern war den Bewerbern bei Abgabenerhöhung eine gewisse Freiheit ihrer Wahl gelassen.

Fremde Meister, die in anderen Städten "eigen Vuer und Rock" gehabt hatten, zuzulassen, stand nach den Rollen der


200) M.U.B. 23, 13 376, R. von 1398, Dez. 15, Art. 3.
201) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 3, Übereinkunft des Amtes mit dem Rate von 1492.
202) Crull, a. a. O., Anl. III.
203) R.A. Tit. IX, Schmiede, Ethe Boeck, S. 12-13.
204) R.A. Rs. vol. 1, S. 78, R. von 1489, Jan. 22, Art. 2.
205) R.A. Tit. IX, Leinweber, 3, Art. 8. Vgl. hierzu Techen, HGbl. 1925, S. 86 ff.; Crull, a. a. O., S. 10 ff.
206) R.A. Rwb. fol. 17, R. von 1410, Nov. 14, Art. 6.
207) R.A. Rwb. fol. 104/5, R. von 1509, Sept. 1, Art. 3.
208) R.A. Tit. IX, Zinngießer, Aufzeichnung im Amtsbuch, S. 51-56, aus dem Jahre 1550.
209) R.A. Rwb. fol. 60/61, R. von 1560, Nov. 4, Art. 5, 6.
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Schneider (1398, 1568), Klotzenmacher (1509) und Kleinwandmacher (1560) im Ermessen des Rates. Nach der Rolle der Maurer von 1568 sollte einem Fremden, wenn er Bürger werden, aber der Bruderschaft nicht beitreten wollte, die Arbeit nach Abgabe von einer Tonne Bier und zwei Markpfund Wachs an das Amt freistehen. Die Wandscherer verlangten nach der vor 1400 anzusetzenden Rolle die Beibringung von Zeugebriefen. Nach den Rollen der Bechermacher (1489) und der Buntmacher (1497) jedoch sollten auswärtige Meister im Amte keine Aufnahme finden.

Ebenso sollten im Wollenweber-Amte und bei den Schwertfegern nach den Rollen von 1387 und etwa 1450 die Amtsbrüder vom Handwerk ausgeschlossen bleiben, die eine Frau mit üblem Leumund zur Ehe nahmen.

An der Spitze der Ämter standen die vom Amte gewählten, seit 1430 210 ) vom Rate berufenen Vorsteher, bezeichnet als "oldermanni, olderlüde" und "werkmestere". Der Ausdruck "werkmestere", dem das Wort "magistri" in den lateinisch abgefaßten Quellen entspricht, herrscht jedoch bei weitem vor; in 33 vorliegenden Amtsdokumenten wurde nur elfmal diese Bezeichnung nicht angewandt. Die Worte bedeuten in der ersten Zeit des Vorkommens jedoch nicht dasselbe, da "werkmestere" und "olderlüde" nebeneinander gebraucht werden 211 ). Eine nähere Bestimmung ihrer Aufgaben kann man für das Amt der Wollenweber geben. Ihm standen zwei Werkmeister vor, die vom Rate auf Lebenszeit berufen wurden. Sie hatten die Güte der Erzeugnisse nachzuprüfen und führten ebenfalls die Aufsicht über die Walkmühle. Walker und Fuhrleute wurden von ihnen angenommen, und für notwendige Reparaturen hatten sie Sorge zu tragen. Eine Abrechnung fand alle Vierteljahr statt. Die Leitung der Amtszusammenkünfte lag ebenfalls ihnen ob. Das Amt beriet über ihre Vorschläge gesondert und ließ seine Meinung durch den Amtsworthalter kundtun. Neben den Werkmeistern standen vier Meister, die Ältesten, die wohl auf Zeit gewählt wurden und nach Techens Ansicht die eigentlichen Vorsteher der Wollenweberbruderschaft waren. In Gesellensachen waren sie mit den Werkmeistern zusammen zuständig, ob sie bei der Annahme von Lehrlingen


210) Art. 16 der herzoglichen Urkunde über Sühnvorschriften nach den Unruhen von 1427 vom 21. März 1430. M.J.B. 55, S. 82.
211) Vgl. M.J.B. 55, S. 55, Anm. 1.
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und der Zulassung von neuen Meistern entscheidenden Einfluß ausübten, ist nicht bestimmt 212 ).

Die Älterleute hatten allgemein in den Ämtern für Ruhe und Ordnung zu sorgen, sie beriefen die Morgensprachen ein und übten die dem Amte zustehende Gerichtsbarkeit aus. Eine Kontrolle im Amte über die Herstellung der Erzeugnisse wurde auch von ihnen durchgeführt, und sie waren wohl dem Rate in jeder Hinsicht für das Amt verantwortlich. Ein Älterleute-Eid 213 ), der dem Rate abgelegt wurde, ist vor 1583 bekannt. Wer Werkmeister wurde, sollte nach der Rolle der Hauszimmerleute von 1537, Juni 18 214 ), den "brodern" einen Schinken und eine halbe Tonne Bier geben. Nach der Rolle der Stellmacher von 1637, Juni 29, sollte sein Amtskollege einen halben Reichstaler und das Amt 4 fl. erhalten 215 ).

Der Rat setzte 1345 und 1372 die Älterleute der Bäcker und Knochenhauer ab und ordnete bei den Bäckern eine Neuwahl vor dem Rate an, im Knochenhaueramt berief er selbst neue Meister. Aber auch das Amt selbst war bisweilen unzufrieden mit seinen Vorstehern. So beklagten sich etwa 1530 die Pantoffelmacher beim Rate, daß ihr Ältermann, Hans Nagel, seinen Pflichten nicht nachgekommen sei. Außerdem habe er der Amtsbüchse 60 M. entnommen, das Amtsgeschirr versetzt und die Amtsehre gänzlich mißachtet. Man bat den Rat um eiliges Vorgehen in diesem Fall 216 ).

An weiteren Ämtern der Meister wurden 1540, September 23, bei den Leinwebern 217 ) noch erwähnt des Amtes "wordtholder", der "oldeste rekensmann" und der "rekensmann". Der "wordtholder" ist der Meister, der bei Amtsberatungen die Meinung und den Entschluß des Amtes den anwesenden Ratsherren kundtat, die beiden anderen Genannten waren sicher mit der Verwaltung der Amtsbüchse beauftragt. Über weitere Befugnisse der erwähnten Meister ist nichts bekannt.


212) Vgl. Techen, M.J.B. 58, S. 31 ff.
213) R.A. Rwb. fol. 81.
214) R.A. Rwb. fol. 107.
215) R.A. Tit. IX, Stellmacher, 3, Art. 6.
216) R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 7.
217) R.A. Tit. IX, Leinweber, 2.
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Kapitel III:

Zunftgerichtsbarkeit.

Es ist die Pflicht des Staates wie jeder Gemeinschaft, seine Glieder vor schädlichen Elementen zu schützen. Durch die Gerichtshoheit ist ihm die Möglichkeit gegeben, Übertretungen der durch die Gesetze aufgestellten Norm zu ahnden und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Die mittelalterliche Stadt als in sich geschlossener Wirtschaftsverband mit eigener Verwaltung bildete - so könnte man es bezeichnen - einen "Staat" im größeren Territorium. Sie war bestrebt, sich von der Bevormundung des Landesfürsten frei zu machen und in eigenen Angelegenheiten selbständige Entscheidungen zu treffen. Im Jahre 1266 wurde der Stadt Wismar der Gebrauch des lübischen Rechtes in jeglicher Art Gericht bestätigt. Allerdings fiel dem Herzog ein Teil der Gefälle aus Sachen, die Hals und Hand betrafen, zu. Wismar erhielt das Willkürrecht und durfte selbst die Höhe der Bußen festsetzen 218 ). Im Jahre 1373 wurden Vogtei und Gericht an die Stadt verpfändet, die bis 1879 in deren Besitz geblieben ist 219 ). Bis zum Jahre 1813 war auch der Stadt die Ausübung der Blutgerichtsbarkeit zugestanden, und der Rat hatte dies Recht nur bei dem Aufstand des Klaus Jesup sich aus der Hand nehmen lassen müssen. Blieb die Entscheidung in Sachen, die "blod unde blaw" betrafen, dem Rate vorbehalten, so wurde in Zivilstreitsachen der Ämtergenossen den Zünften eine genau bestimmte Urteilsgewalt überlassen. Es erklärt sich dies aus der besonderen Stellung des Handwerks im Leben der mittelalterlichen Stadt, aus dem Amtscharakter.

Die Erteilung einer Amtsrolle an eine Handwerkerorganisation war die Verleihung eines Privilegs; den Handwerkern wurde innerhalb ihres Arbeitsgebietes Schutz gegen jede Konkurrenz außerhalb des Amtes zugesichert. Ihnen erwuchs daraus aber auch die Verpflichtung, das Handwerk zum Besten der Stadt und ihrer Bürger auszuüben. Dafür wurde der


218) Techen, Geschichte Wismars, S. 13.
219) Techen, a. a. O., S. 28.
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einzelnen Zunft das Recht eingeräumt, in bestimmten Rechtsfällen ihrer Mitglieder, die nicht den eigentlichen Gewerbebetrieb betrafen, Entscheidungen zu fällen, was sonst dem Rate oder seinen Beauftragten obgelegen hätte. Die Gewährung der beschränkten Gerichtsbarkeit wurde seitens der Zünfte um so mehr begrüßt, als so nicht jede Angelegenheit sofort vor das Forum des Rates gebracht wurde und auch die Selbständigkeit der Handwerker eine Vermehrung erfuhr. - Die Ausübung der Gerichtsbarkeit war den Älterleuten übertragen, die als Vorsteher des Amtes dem Rate für die untadlige Führung des Amtes verantwortlich und ihm gegenüber eidlich gebunden waren, nichts gegen ihn und die Stadt zu unternehmen. In ihrer Eigenschaft als Rechtsvertreter wohl genossen sie auch persönlichen Schutz; 1394 wurde ein Bürger wegen Beleidigung der Werkmeister der Leinweber verfestet 220 ). Die den Älterleuten als Amtsvorstehern gegenüber bestehende Gehorsamspflicht wurde durch ihre Eigenschaft als "Rechtsperson" noch verstärkt. In den Rollen der Kürschner von 1383 221 ), der Reifer 222 ) und Kannengießer non 1387 223 ) wird besonders hervorgehoben, daß jedermann im Amte den Werkmeistern "underdanech unde horzam" sein sollte bei Strafe von einem halben Pfund an den Rat und 6 Pf. an die Werkmeister. Diese Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit den übrigen Artikeln über die Rechtsverhältnisse der Zunft.

Die Urteilsgewalt der Älterleute erstreckte sich auf leichtere Streitsachen und Beleidigungsklagen. In der Goldschmiederolle von 1380, November 28, Art. 18, findet sich die Bestimmung, daß kein Goldschmied "twystynghe edder twedracht" den Gerichtsvögten mitteilen sollte, wenn er nicht zuvor die Streitsache den Werkmeistern unterbreitet hatte. Diese sollten die "twydracht wol turugghe legghen unde vlygen sunder claghe". Sie hatten also nach Möglichkeit die uneinigen Amtsbrüder miteinander auszusöhnen. Ähnlich heißt es übereinstimmend in den Rollen der Kürschner von 1383, der Wollenweber und Reifer von 1387, daß sich die Amtsbrüder um "schelinghe" (Uneinigkeit) willen nicht "bevronen", nach der Krämerrolle von 1397 "umme schelinghe edder umme scult willen" nicht "dat richte senden" sollten, bevor die Werkmeister über die


220) M.U.B. 22, 12 716.
221) M.U.B. 20, 11 501. R. von März 3, Art. 6.
222) M.U.B. 21, 11 870. R. von April 26, Art. 12.
223) R.A. Tit. IX, Kannengießer, ohne Datum, Art. 13.
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Ursache der Zwietracht unterrichtet waren. In der Bäckerrolle von 1410, November 14, findet sich die Vorschrift, daß die Werkmeister die Streitsache 14 Tage lang "uplecgen" sollten außer Blutsachen, die dem Rate sofort zu melden waren. Die Älterleute hatten erst einen Schlichtungsversuch vorzunehmen, und erst wenn dieser vergeblich war, konnten die Streitenden vor dem Stadtgericht ihr Recht suchen. Das hing nach der Krämerrolle aber auch von der Zustimmung der Amtsvorsteher ab 224 ). Welche Rechtsfälle von den Ämtern allein erledigt werden konnten, wird ersichtlich aus der Rolle der Kannengießer von 1387 und denen der Knochenhauer und Bäcker von 1410. Der Rat erteilte danach den Ämtern das Privileg, alle "schelmere" und "schelinghe" unter sich zu schlichten "sunder blud (blot) unde blaw und stekene wunden". Jede Streitsache, die der Blutgerichtsbarkeit unterstand, mußte also vor dem Rate ihre Sühne finden. In der Rolle der Hauszimmerleute von 1537, Art. 4, heißt es: "ofte wol deme Ampte brockastich worde, dat schal dat Ampt richten. Sunderlinges wenner die ehne den andern mit worden vorlettet, Also dat die Ersame Radt in andern sachen dat Richte beholden". Dennoch wurden die Bestimmungen nicht immer beachtet. So klagten die Älterleute der Wollenweber im Jahre 1570 225 ), daß sich die Sitte herausgebildet hätte, sich wegen Scheltworten und ehrenrührigen Worten an den Rat statt an die Älterleute zu wenden, "welches nicht alleine den olderlüden tho vorkleinung, sondern dem ganzen Ampte tho vorswekinge und abbruch erer hebbenden olden wolhergebrachten Privileig und gerechtigkeit gerecket". Die berechtigte Entrüstung der Vorsteher wurde anerkannt und die bestehende Vorschrift neu vom Amte bestätigt. Eine Übertretung sollte u. U. Amtsverlust nach sich ziehen.

Wurde der Streitfall zweier Amtsbrüder nicht vor den Älterleuten erledigt, so fand eine weitere Verhandlung in der Morgensprache in Anwesenheit der vom Rate abgeordneten Morgensprachsherren statt. Die Entscheidung wurde dann wohl in Übereinstimmung mit den Ratsmitgliedern gefällt; die Morgensprache scheint also die nächst höhere Instanz zu sein.

In der Rolle der Bechermacher 226 ) von 1489, Januar 22, heißt


224) M.U.B. 23, 13 090, R. von 1397, März 28, Art. 13.
225) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Aufzeichnung im Protokollbuch des Amtes, p. 53, aus dem Jahre 1570, Juli 3.
226) R.A. Rs. vol. 1, S. 79/80.
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es: "Können se (die Älterleute) idt denne nicht sliten, so sta idt beth in de morghensprake". Bei den Klotzenmachern wurde in der Rolle von 1509, September 1, Art. 19, in ernsteren Streitigkeiten zwischen einem Amtsbruder und dem Amte die Notwendigkeit einer Morgensprache in Erwägung gezogen. Der schuldige Meister sollte dann die Morgensprache "uthreden" und dem Rate sowie den Amtsbrüdern geben, was ihm gebührenderweise auferlegt wurde 227 ). Für die übrigen Ämter ist über diesen Brauch nichts erwähnt, doch werden für sie ähnliche Bedingungen gegolten haben. Bei den Wollenwebern bestand die Sitte, daß das Amt gegen Ostern zusammenkam, um festzustellen, ob jemand im Amte wäre, "de hat hadde myt dem andren" 228 ). Auf dieser außergewöhnlichen Amtsversammlung, deren Zustandekommen vor Ostern wohl durch religiöse Erwägungen mitbestimmt war, ist anscheinend dann für eine Beilegung der Streitfälle Sorge getragen.

Wurde von den Amtsbrüdern gegen die Artikel der Rollen verstoßen, mißachteten sie die Bestimmungen über die Gehorsamspflicht den Älterleuten gegenüber und verletzten sie die Vorschriften über die Amtsgerichtsbarkeit, so hatten sie neben der Strafe an den Rat auch eine Abgabe an die Älterleute zu entrichten. Die Höhe der Strafe an die Amtsvorsteher war jedoch nicht beliebig, sondern vom Rate in der Rolle festgelegt. So lautet die Bestimmung in der vor 1400 erteilten Rolle der Wandscherer, daß die Älterleute "moghen beden uppe søs penninghe in dinghen, de moghelik sint", und daß sie den Betrag von denen, die ihnen ungehorsam waren, selbst auspfänden dürften 229 ).

Nicht immer aber konnten die Älterleute die Strafgelder für sich beanspruchen. Wenn ein Amt sich aus besonders feierlichem Anlaß versammelte und durch die Schuld eines Amtsbruders Streit und Uneinigkeit hervorgerufen wurde, so mußte bei den Kürschnern, Reifern und Krämern der Unruhestifter dem Amte zur Strafe eine Tonne Bier geben, und wer bei den Kistenmachern den anderen vor dem Amte oder in der Kirche einen Lügner schalt, mußte 2 (ß) an das Amt entrichten. Bei den Reifern wurden 1465 die Ausdrücke "Lügner" und "böser Mann" ebenfalls mit Amtsstrafe von 2 und 4 (ß) belegt und


227) R.A. Rwb. fol. 104/5.
228) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Prot.-Buch, p. 20.
229) R.A. Tit. IX, Wandscherer, R. vor 1400?, Art. 7.
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bei den Wollenwebern wurden Schmähworte, wie "Lügner" und "Hundesfoth", gar mit 6 (ß) bestraft. Das Entscheidende für das Verhängen dieser Amtsstrafen wird wohl der Bruch des Amtsfriedens gewesen sein; den Krämern war es nach der Rolle von 1397 verboten, mit "stekemesten", langen, dolchartigen Messern, auf Amtszusammenkünften zu erscheinen. Die Frage, ob die Älterleute oder das Amt im Einzelfall die Strafgefälle erhalten sollten, ist sehr verschieden geregelt, und eine feste Norm läßt sich für die Ämter hier kaum aufstellen. Es scheinen aber der Bruch des Amtsfriedens und die Verletzung der Amtsehre das Entscheidende gewesen zu sein, um eine Strafe durch das ganze Amt und eine Abgabe an alle Amtsbrüder auszulösen.

Streitigkeiten der Gesellen untereinander wurden vor dem ganzen Amte verhandelt 230 ). Dem einzelnen Meister wurde über seine Gesellen nur in einem Falle ein Geldstrafrecht eingeräumt, wenn nämlich der Geselle die Nacht nicht im Meisterhause geschlafen hatte. Nach der Knochenhauerrolle von 1410, Nov. 7, Art. 12, hatte der Schuldige seinem Meister 1 (ß) lüb. und den Werkmeistern 6 Pf. zu zahlen 231 ). Das Vergehen unterlag der Anzeigepflicht, der Meister war also gewissermaßen ausführendes Organ der Gerichtsbarkeit und wurde daher entschädigt.

Freiheitsstrafen sind in der deutschen Zunftgeschichte selten 232 ); um so bemerkenswerter ist daher eine Erwähnung derselben bei den Krämern. In der Rolle von 1587, Februar 22, Art. 9, wird bestimmt, daß ein "Junge oder Knecht, der seines Herrn Brot schänden oder seines Herrn Güter durch Vollsaufen und Unrecht verschwenden würde, den Gerichtsvögten (unsern Gerichts-Voigten!) angemeldet und mit Wasser und Brot im Gefängnis nach Gelegenheit der Wirkung, wie Recht gestraft werden sollte". Während für die Abfassung der Strafbestimmung der Hamburger Böttcher (s. Anm. 232) die Schädigung des Meisters ausschlaggebend war, wird bei den wismarschen Krämern ohne Zweifel die Rücksicht auf das An-


230) R.A. Tit. IX, Hutmacher, Städteordnung von 1574, Aug. 23, Art. 17.
231) R.A. Rwb. fol. 19.
232) Vgl. Otto Rüdiger, Die ältesten hamburgischen Zunftrollen und Brüderschaftsstatuten, Hamburg 1874, S. 31, Nr. 7, Art. 9. - C. Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung in der Zeit vom 13. bis 16. Jahrhundert, Jena 1880, S. 248.
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sehen des Amtes die Höhe der Strafe für das erwähnte Vergehen mitbeeinflußt haben.

Die Gerichtsbarkeit der Zunft erschöpfte sich jedoch nicht im Schlichten leichterer Streitfälle und in der Wahrung einer zunftgerechten Haltung der Amtsgenossen. Die Älterleute hatten auch die Aufsicht über den Gewerbebetrieb inne und übten die Gewerbepolizei innerhalb der Ämter aus. Um zu verhüten, daß durch die Lieferung minderwertiger Produkte den Konsumenten Schaden zugefügt und das Ansehen des Amtes geschädigt wurde, waren die Älterleute verpflichtet, auf Geheiß des Rates in bestimmten Zeitabständen die Arbeit der Zunftgenossen zu kontrollieren; sie hatten die Werkstätten zu besuchen, um die Bestätigung für vollwertige Arbeit erteilen zu können. Eine andere Aufsicht über die Zunftmeister gab es nicht. Da die Älterleute die Verantwortung für die untadlige Arbeitsausführung der Zünfte trugen, sie die Pflicht hatten, den Gewerbebetrieb zu beaufsichtigen, so stand ihnen als Recht die Einnahme eines Teils der vom Rate verhängten Strafgelder für Übertretungen der Arbeitsvorschriften zu; die üblichen 6 Pf. Strafgeld für die Werkmeister flossen in ihre eigene Kasse.

Auf die Angaben der Älterleute hin wurden die bisweilen recht hohen Strafen für unzureichende Arbeit wirksam. Fanden sie bei solchen Kontrollbesuchen, dem "Umgang", "wandelbare" (fehlerhafte) Arbeitsstücke, so mußten solche bei den Goldschmieden zerschlagen werden, außerdem hatte der schuldige Meister eine Strafe an Amt und Gewett zu zahlen 233 ); bei den Kürschnern betrug diese an den Rat ein halbes Pfund, die Werkmeister erhielten 6 Pf. 234 ). Das war auch bei anderen Ämtern die gebräuchliche Buße, so bei den Wollenwebern 235 ), den Buntmachern 236 ) und den Böttchern 237 ). Bei den letzten wurden zu kleine Tonnen vom "Wraker" zerschlagen und verbrannt 238 ). In der Rolle der Hutfilter von 1484, Juli 16, Art. 9 239 ), wurde die Strafe für fehlerhafte Arbeit auf 10 (ß) an den Rat und eine halbe Tonne Bier an das Amt festgesetzt.


233) M.U.B. 19, 11 293. R. von 1380, Nov. 28, Art. 1.
234) M.U.B. 20, 11 501. R. von 1383, März 3, Art. 3.
235) M.U.B. 21, 11 869. R. von 1387, April 26, Art. 8.
236) R.A. Rs. vol. 1, S. 112, R. von 1497, Aug. 18, Art. 6.
237) R.A. Rwb. fol. 20, Böttcher-Verordnung von 1411, Dez. 5.
238) R.A. Rwb. fol. 51, Wrakereid, 1571.
239) R.A. Tit. IX, Hutfilter, 1.
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Wer bei den Kleinwandmachern einen halben Gang "zu Ringe" geschoren hatte, sollte dem Amte zahlen, bei einem ganzen Gange aber in Ratsstrafe stehen 240 ). Warenfälschung wurde mit den höchsten Strafen belegt, bei den Goldschmieden nach der Rolle von 1380 mit Ausschluß aus dem Amte auf ewige Zeiten.

Kapitel IV:

Das Zunftwesen und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt.

Die mittelalterliche Stadt bildet in der Regel mit dem ihr zunächst liegenden, sie umgebenden Gebiet einen abgeschlossenen, einheitlichen Wirtschaftskörper, der nicht nur seine wirtschaftlichen Angelegenheiten selbst regelt, sondern auch bestrebt ist, seine Wirtschaftsinteressen nach außen hin nötigenfalls mit den Waffen zu verteidigen und sein Einflußgebiet zu vergrößern 241 ). Die Stadtwirtschaft beruhte auf der Auffassung, daß die städtische Obrigkeit verpflichtet sei, das Leben in der Stadt und auf dem Markte in christlichem Sinne zu regulieren und zu überwachen. Das konnte aber nur möglich sein, wenn Kauf und Verkauf auf dem städtischen Markte unter strengster Aufsicht der Obrigkeit erfolgten, und so bilden die Wochenmarktgesetze den Kern der sog. "Stadtwirtschaft" und den Ausgangspunkt für weitere gesetzgeberische Maßnahmen wirtschaftlicher und sozialpolitischer Art. Für die Organisation des Wochenmarktes ist charakteristisch, daß einmal jeglicher Verkehr öffentlich war, um die gute Kontrolle seitens der Obrigkeit zu ermöglichen, und daß zum anderen der Käufer nur vom Produzenten direkt die Ware erwerben konnte, da nur durch Ausschaltung des Zwischenhandels eine Verteuerung der Produkte zu verhindern war.


240) R.A. Rwb. fol. 62, R. von 1560, Nov. 4, Art. 23.
241) Zum folgenden vgl. G. von Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum, Bielefeld und Leipzig, 1925, S. 108 ff., in Monographien zur Weltgeschichte, Bd. 6. - G. Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunftwesens in Hildebrands Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 9, 1867.
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Die Ziele der Stadtwirtschaft gelangten zur Verwirklichung auf den Gebieten des Handels und des Gewerbewesens, die beide von den "Bürgern" als ihr ausschließliches Vorrecht angesehen wurden. Der Handel wurde als öffentliche Angelegenheit aufgefaßt, und dieselbe Anschauung erstreckte sich auf die handwerkliche Tätigkeit. Das Wohl der ganzen Gemeinde als der Gemeinschaft aller Erzeuger und Verbraucher sollte durch die Organisation der Zünfte gefördert werden. Im Innern der Zunft sollte den Meistern und Zunftgenossen ein standesgemäßer Unterhalt gesichert werden, ein christlich-ethischer Geist sollte ihr Handeln bestimmen und an die Stelle des freien Wettbewerbs der Grundsatz der Gleichheit und Brüderlichkeit treten. War den Zünften das Recht auf Arbeit eingeräumt, so übernahmen sie andererseits die Pflicht, ihre Arbeit zum Wohle der Gesamtheit auszuführen und dem Publikum, den Konsumenten, durch ihre Erwerbstätigkeit keinen Schaden zuzufügen, sondern stets gute und preiswerte Arbeit zu liefern. Aus dieser Auffassung entstand die Bezeichnung der Zünfte als "Ämter (officia)".

Die Verhältnisse der gewerblichen Produzenten und der Konsumenten des Publikums waren in den mittelalterlichen Städten gesetzlich geregelt. Maßgebend war dabei allein das Wohl des Ganzen, das Interesse der Erzeuger und Verbraucher wurde in gleichem Maße berücksichtigt.

1. Das Interesse der Verbraucher (Konsumenten), des Publikums, wurde gewahrt durch die Forderung guter, billiger und ausreichender Erzeugnisse.

a) Die städtische Obrigkeit sorgt dafür, daß die Quantität der Waren den Anforderungen des städtischen Verbraucherkreises genügt. Deshalb wird vielfach den Meistern zur Vorschrift gemacht, in Auftrag erhaltene Arbeitsstücke innerhalb einer bestimmten Frist fertigzustellen. Nach der Schneiderrolle von 1568, Nov. 28, Art. 10, sollten von einem Meister nicht mehr Kleider zur Arbeit angenommen werden, als er in 14 Tagen fertigstellen konnte. War es dem Meister nicht möglich, das Kleid innerhalb der bestimmten Frist zu liefern, so stand dem Kunden das Recht zu, das Zeug wegzuholen und es einem andern Meister zur Bearbeitung zu überlassen 242 ). Wurde ein Goldschmied vor den Werkmeistern um Gold oder Silber verklagt, das man ihm zur Bearbeitung in seiner "Wohnung"


242) R.A. Tit. IX, Schneider, 2.
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überlassen hatte, so wurde ihm eine Frist von 14 Tagen oder länger, je nach der zur Anfertigung des Auftrags benötigten Zeit, gesetzt. Wurde der Kunde aber nicht durch die aufgegebene Arbeit befriedigt oder ihm in barem Geld oder mit einem Pfand eine Entschädigung zuteil, so sollte der Goldschmied ein halbes Jahr vom Amte ausgeschlossen bleiben 243 ). Im Jahre 1566, Juni 26, klagte Gert von der Lühe auf Steinhagen beim Rat über einen Wagenmacher, "das kleyne Mennichen, so in der Dankwartstraße whonet", der innerhalb der abgemachten Frist (14 Tage) die aufgegebene Reparatur nicht ausgeführt und ihm dadurch Schaden und Schimpf zugefügt habe 244 ).Nach der Rolle der Hauszimmerleute von 1537, Juni 18, Art. 8, durfte die Arbeit von dem Zimmermann vor endgültiger Fertigstellung nur mit Willen des Auftraggebers im Stich gelassen werden, wenn der Handwerker bei einem anderen vorher arbeiten wollte 245 ). Wenn ein Maurer über eine versprochene Zeit hinaus der bereits begonnenen Arbeit fern blieb, so durfte ein anderer Meister die Arbeit fortsetzen, ohne straffällig zu werden 246 ). Und nach der Tischlerrolle von 1500, Februar 4, Art. 12, konnte ebenfalls ein Amtsbruder straflos eine begonnene Arbeit fortführen, wenn derjenige, der den Auftrag angenommen und sich zur Arbeit verdingt hatte, ihn nicht in der versprochenen Zeit erledigen konnte. Inwieweit eine Bezahlung an den ersten Handwerker erfolgte, ist in keinem Fall näher angegeben.

Die Begünstigung neuer Gewerbe seitens des Rates war weiter geeignet, die Bürger der Sorge um ausreichende Produktion zu entheben. Wenn die mittelalterliche Gewerbeteilung auch vorwiegend bestimmt war, den einzelnen Gewerbetreibenden einen ausreichenden Lebensunterhalt zu gewährleisten, so war doch gerade durch die Vielheit der handwerklichen Erwerbszweige auch erst die Möglichkeit gegeben, daß die Handwerker den Anforderungen seitens des Publikums gerecht wurden. Betrachtet man nur die besonders reiche Gliederung des Schmiedehandwerks, so wird einem klar, daß durch die Trennung in Einzelgewerbe eine bessere Herstellung, eine Steigerung der Produktion gegeben war; ein Meister, der alle Erzeugnisse der Schmiedekunst herstellte, würde die Forderungen


243) M.U.B. 19, 11 293. R. von 1380, Nov. 28, Art. 9.
244) R.A. Tit. IX, Stellmacher, 1.
245) R.A. Rwb. fol. 108.
246) R.A. Tit. IX, Maurer, 1, R. von 1568, März 13, Art. 11.
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der Konsumenten kaum in dem gewünschten Maße haben befriedigen können.

Bisweilen wurde durch Freistellung der Gesellenzahl für genügende Produktion gesorgt. Bei dem 1560 errichteten Amte der Kleinwandmacher wurde den acht zugelassenen Meistern gestattet, so viel Gesellen zu halten, wie für sie nach ihrem Ermessen nötig waren 247 ). Dies Privileg ist wahrscheinlich mit Rücksicht auf eine ausreichende Versorgung der Bürger erteilt worden.

Gelegentlich wurden auch wohl auswärtige Handwerksmeister, dem Zunftrecht zuwider, in der Stadt zur Arbeit zugelassen, wenn den Bürgern durch deren Arbeitsmethode, die in der Stadt selbst nicht üblich war, ein Nutzen erwuchs. So stand es nach der erwähnten Rolle der Kleinwandmacher, Art. 36, im Ermessen des Rates, fremde Lakenmacher, die eine bessere Lakenart herstellen könnten, zuzulassen. Wenn ein Bürger eine "ansehnliche, künstliche nye arbeit in gevelen (Giebeln) edder anderm Muerwergke" machen lassen wollte, die er den ortsansässigen Maurern nicht zutraute, so sollte es ihm frei stehen, fremde Maurer nach seinem Belieben anzunehmen 248 ).

Eine weitere Möglichkeit, sich gegen Warenmangel zu schützen, lag in der Beeinflussung der Ausfuhr. In der Reiferrolle von 1387, April 26, Art. 7 249 ), wird den Reifern verboten, "ienegherleye tøuwe" aus der Stadt auf Jahrmärkte oder auf das Land zu bringen bei Strafe von einem halben Pfund an den Rat und 6 Pf. an die Werkmeister. Den wismarschen Böttchern war offenbar mit Rücksicht auf die einheimischen Brauer verboten, Biertonnen auszuführen 250 ).

Im Nahrungsmittelgewerbe war die Stadt auf Einfuhr angewiesen. In der Bürgersprache von 1351, September 25, Art. 13, wird allgemein bestimmt, daß Brauer und Bäcker "secundum exigenciam temporis" brauen und backen sollten 251 ). Und in der Bäckerrolle von 1417, September 22, Art. 5, ist als Mindestmaß ein zweimaliges Backen in der Woche vorgeschrieben 252 ). Die "iura pistorum" in Lübeck von


247) R.A. Rwb. fol. 61, R. von 1560, Nov. 4, Art. 11.
248) R.A. Tit. IX, Maurer. R. von 1568, März 13, Art. 4.
249) M.U.B. 21, 11 870.
250) Techen, HGbl. 1925, S. 102.
251) M.U.B. 13, 7516.
252) R.A. Rwb. fol. 58/59.
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1295 werden in "beschränktem" Maße auch in Wismar gegolten haben 253 ). Danach war die Einfuhr von Brot, das einen Denar kostete, oder von zwei Broten zu einem Denar "jederzeit" erlaubt; eine Einschränkung muß jedoch bestanden haben, denn im Gegensatz hierzu steht der Art. 9 der Bäckerrolle von 1410, Nov. 14, nach dem es altem Rechte gemäß jedermann freistehen sollte, die "leste weken vor paschen" Brot in die Stadt zu bringen 254 ). Wurde Vieh von der See her in die Stadt gebracht, so durften die Knochenhauer es erst kaufen, wenn es Tag und Nacht in dem Stall eines Bürgers gestanden hatte. Der Zweck dieser Vorschrift war, auch anderen Bürgern den Kauf für eigene Bedürfnisse zu ermöglichen. Wollte ein Bürger einen oder mehrere Ochsen, ein Schwein oder Schaf erwerben, jedoch alles für eigenen Gebrauch, so sollte er dem Knochenhauer für einen Ochsen 1 (ß) und für ein Schaf 6 lüb. Denare geben 255 ). Nach der Knochenhauer-Rolle von 1410, Nov. 7, Art. 3 256 ), sollte den Bürgern vor den Knochenhauern das Kaufrecht auf Rindvieh zustehen, wenn dasselbe "dach unde nacht in den stalle edder in der herberge unser borgere" gewesen war. - Die Bedeutung einer ausreichenden Ernährung der Bürger liegt klar vor Augen, und die Sorge der Obrigkeit, die Publikation verschärfter Vorschriften, sind verständlich; im Jahre 1372, um Juni 24, wurde in Erfahrung gebracht, daß die Werkmeister und Ältesten des Knochenhaueramts heimlich versucht hatten, die täglich zu schlachtende Viehmenge von ihrem Ermessen abhängig zu machen 257 )!

Nicht allein mußten die Anforderungen der Konsumenten, des Publikums, befriedigt werden durch die Menge handwerklicher Erzeugnisse, sondern die Ausführung der Arbeit selbst mußte zur Zufriedenheit der Kunden erfolgen. Die städtische Obrigkeit übernahm darum:

b) die Sorge für die Güte oder Qualität der Arbeitsprodukte. Dies geschah durch die Forderung einer zunftmäßigen Ausbildung der Handwerker. Während seiner Lehrzeit sollte sich der "Junge" die nötigen handwerksmäßigen Kenntnisse


253) Das Original befindet sich im R.A. Wismar; eine direkte wismarsche Verordnung ist nicht erhalten.
254) R.A. Rwb. fol. 17.
255) M.U.B. 9, 6230. Ratswillekür für Knochenhauer von 1342, Aug. 28.
256) R.A. Rwb. fol. 19.
257) M.U.B. 18, 10 337.
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aneignen, die Wanderzeit als Geselle sollte ihn mit den verschiedenartigen Arbeitsmethoden fremder Gegenden bekannt machen; in der Meisterprüfung endlich mußte er dann diese erworbenen Fertigkeiten beweisen und durch das Meisterstück nachweisen, daß er würdig war, das zünftige Handwerk selbständig auszuüben.

Die Vorschriften, eine gleichbleibende Güte der Erzeugnisse zu erzielen, sind sehr verschieden. Vielfach wurden Bestimmungen erlassen, die die Herstellungsart selbst regelten. In einer Vereinbarung der Stadtobrigkeiten von Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald und Stettin aus den Jahren 1354, März 2 258 ), und 1361, Juni 24 259 ), über die Grapen- und Kannengießer wurde bestimmt, daß die Grapen (gegossene Gefäße mit drei Beinen) 260 ) aus weichem Kupfer gegossen sein sollten, nach rechtem Maße gemengt, nämlich zu dem "schippunde" weichen Kupfers die Hälfte "gropenspise" oder vier livländische Pfund Zinn ohne Blei. Nach der neuen Verordnung von 1361 sollten Kannengießer, die späteren Zinngießer, zu dem Schiffspfund Zinn fünf livländische Pfund Blei nehmen und Schüsseln, Flaschen, "ampullen" (große Kannen, beim Gottesdienst gebraucht) 261 ) aus reinem Zinn gießen. In einer weiteren Verordnung für Grapengießer derselben Städte von 1368 262 ) wird die früher nicht gestattete Zusetzung von Blei erlaubt: "Dar mut men to don bly also vele, also darto behof is." In der Rolle der Kannen- und Grapengießer von 1387, Juni 13, wurde den Kannengießern vorgeschrieben, Flaschen, "vate" (Gefäße), "salsere" (Salznäpfe), Schüsseln und Appollen aus "clar fyn tin" ohne jede Beimischung zu gießen 263 ). Die Kannen sollten ohne die Handgriffe gegossen werden "uppe dat veerde punt" (Art. 2). Die Grapengießer der Stadt sollten gießen "twe punt hardes coppers, dat drudde week" (Art. 4). - Nach der Rolle von 1380, Nov. 28, Art. 1, sollte kein Goldschmied Glas oder einen Stein, "de mit valscher kunst is gemaket", in Gold setzen, noch durfte er Gold mit Silber mischen, ebenso wenig wie mit Zinn; das Löten mit diesen Metallen war gleicherweise verboten 264 ). Ferner sollte keiner eine Gold-


258) M.U.B. 13, 7904.
259) M.U.B. 15, 8916.
260) Otto Rüdiger, a. a. O., Glossar, S. 322.
261) Rüdiger, a. a. O., Glossar, S. 316.
262) M.U.B. 16, 9724.
263) R.A. Tit. IX, Kannengießer, Art. 1.
264) M.U.B. 19, 11 293.
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oder Silberarbeit herstellen, die er "invlotet mit slaghelode" (Art. 17). Es wird sich hier um das Verbot handeln, "hohle oder schwächere Gegenstände durch Eingießen oder durch Verstärkung mit Schlaglot, Messing mit größerem Zinngehalt, widerstandsfähiger oder gar schwerer zu machen" 265 ). Um Betrügereien keinen Vorschub zu leisten, durfte das Siegel einer würdigen, vornehmen Persönlichkeit nur unter der Versicherung des Auftraggebers ausgeführt werden, daß die Arbeit für den Träger des Wappens selbst sei (Art. 16). - Den Reifern wurde die Garnart bestimmt. Jeder Reifer sollte bei sich schlagen und verarbeiten Hamburger Garn und "Ryghes" Garn, beides unvermischt. Die Taue sollten so lang hergestellt werden, daß sie einem jeden Kunden genügen möchten 266 ). - In der Böttcherverordnung von 1411, Dezember 5, wurde der Tonneninhalt der wismarschen Tonnen auf 32 Stübchen festgesetzt, ein halbes Stübchen mehr oder weniger war straffrei. Das Ausmessen war durch obrigkeitliches Richtmaß möglich. - Nach der Gläserrolle von etwa 1490, Art. 3, sollten die Gläser nur aus Seide oder neuer Leinwand Fahnen herstellen, und wenn versprochen war, für die Ausführung einer Arbeit (wohl zur Stickerei) Gold zu nehmen, so sollte es nicht mit Zinn verfälscht sein. - Besonders genaue Vorschriften galten für die Wollenweber 267 ) und die Kleinwandmacher, da ein Schaden an ihren Erzeugnissen für die Bürger besonders spürbar war. Die Laken der Wollenweber wurden in dreifacher Qualität hergestellt. Die besten Laken, "alze de breden", waren weiß oder grau und wurden aus guter Scherwolle verfertigt. Die zweite Sorte waren die "ruggheden" Laken, die sich sowohl an Breite als auch an Güte von den eben erwähnten unterschieden. Sie waren aus guter Scherwolle, jedoch konnte das dritte Haar Raufwolle 268 ) dazu genommen werden. Unter diese Kategorie fielen auch alle diejenigen breiten Laken, die den Anforderungen nicht völlig genügten. Als letzte Sorte wurden die "streckeden" Laken zum Verkauf ausgeboten. Es wird sich um eine ganz schmale Ausführung gehandelt haben, die aber wohl


265) Crull, a. a. O., S. 19.
266) M.U.B. 21, 11 870, Reifer-R. von 1387, April 26, Art. 4, 5.
267) M.U.B. 21, 11 869, R. von 1387, April 26, Art. 5, 6.
268) "Die Felle wurden zusammengerollt und aufeinander geschichtet. Durch die sich entwickelnde Wärme löste sich die Wolle und konnte gerupft und geschabt werden." (C. Wehrmann, Die älteren lübeckischen Zunftrollen, Lübeck 1872, S. 516.)
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ähnlich gearbeitet war wie die der Laken zweiter Qualität, denn die zu schmalen "ruggheden" Laken mußten als "streckede" weggegeben werden. - Die Kleinwandmacher sollten drei Arten von Laken anfertigen, nämlich Pnick-, Middel- und Segellaken 269 ). Die Hälfte der hergestellten Laken überhaupt erhielt ein besonderes Maß: Pnicke und Mittellaken waren 18 Ellen lang und 11 Quarter breit, die Segellaken hatten dieselbe Länge, waren aber nur 10 Quarter breit (Art. 19). Die andere Hälfte der Laken waren heile, die Pnicke und Mittellaken maßen 36 Ellen an Länge und 11 Ellen an Breite, die Segellaken nur 10 Ellen (Art. 20). Die Laken sollten auf dem Webstuhl 50 Ellen lang und 4 Ellen 1 Quarter breit geschoren sein (Art. 21). Pnicke und Mittellaken waren zu 54 Gängen zu scheren bestimmt, jeder Gang mit 50 Faden. Die Vorschrift für Segellaken lautete auf 50 Gänge mit 26 Faden (Art. 22).

Um den Bürgern das Erkennen der ordnungsmäßigen Herstellung zu erleichtern, wurden die Laken mit einem bleiernen Stempel versehen und je nach der Güte war die Zahl der Stempel verschieden. Die ordentlichen Pnicklaken erhielten zwei Stempel und ein großes lateinisches P auf den "Rahmen", die nicht vollwertigen erhielten nur einen Stempel. Die Mittellaken wurden mit einem M und einem großen und kleinen Stempel, bei Nichtvollwertigkeit nur mit einem kleinen Stempel, die Segellaken mit einem S und einem kleinen Bleistempel versehen (Art. 31-33). - Die Kennzeichnung der Arbeit mit einem Zeichen oder dem des Meisters war auch bei anderen Ämtern üblich. Seit 1347 mußten die Böttcher ihre Tonnen mit ihrem Setznagel zeichnen 270 ), den Grapengießern wurde 1354, März 2, vorgeschrieben, ihre Arbeit mit dem Stadtsiegel und ihrem eigenen zu versehen 271 ), und für die Kannengießer galt die Bestimmung, ihr Zeichen auf den Handgriffen der Zinnwaren anzubringen 272 ). Die Schwertfeger waren ebenfalls verpflichtet, ihre Arbeit zu "merken" 273 ), und für die Goldschmiede galt dasselbe, nur daß sie wieder eigenes Siegel und Ratssiegel auf ihre Arbeit gemeinsam schlagen


269) R.A. Rwb. fol. 62, R. von 1560, Nov. 4, Art. 18.
270) Techen, HGbl. 1925, S. 108.
271) M.U.B. 13, 7904.
272) R.A. Tit. IX, Kannengießer, Zusatz von 1441 auf der Rolle von 1387.
273) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, R. von ungefähr 1450, Art. 10.
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mußten, "dat make werk sy grodt edder klein" 274 ). Der Zweck all dieser Maßnahmen war, bei möglichen Reklamationen den Produzenten erkennen zu können und ihn zur Ersetzung des Schadens an den betreffenden Kunden veranlassen zu können. Für die Güte des Arbeitsstückes war der verfertigende Meister verantwortlich und im Falle der Beanstandung zu vollwertigem Ersatz verpflichtet. Zwischen 1325 und 1350 wurde diese Bestimmung für die Zimmerleute, Maurer und Decker erlassen 275 ) und kehrt in späterer Zeit in allen Amtsrollen und Ordnungen wieder. Im Jahre 1345 und 1349 bürgte Meister Nikolaus der Maurer für die Güte eines von ihm ausgeführten Giebels und einer Mauer und erklärte sich zu etwaiger kostenloser Wiederherstellung in späteren Jahren bereit, falls der Schaden durch seine Nachlässigkeit entstanden sein sollte 276 ). Im Jahre 1347 leisteten zwei Steinsetzer Gewähr für ihre Arbeit auf die Dauer von sechs bis sieben Jahren.

Um die Notwendigkeit einer späteren Beanstandung auszuschalten und den Konsumenten beim Kauf der handwerklichen Erzeugnisse die Garantie für die Güte derselben geben zu können, war, wie bereits erwähnt wurde, von der Zunft auf Anregung des Rates eine Kontrolle durch die Älterleute eingeführt, der "Umgang". Zeit und Zahl der Umgänge standen vielfach im Ermessen der Älterleute, nach der Rolle der Kleinwandmacher von 1560, Nov. 4, Art. 25 bzw. 38, mußten die "towe" zweimal wöchentlich besichtigt, nach derjenigen der Leinweber von etwa 1580, Art. 11, das Werk dreimal im Jahr geprüft werden. Der Umgang der Älterleute der Riemer und Beutler erfolgte, wenn sie Morgensprachen ansagten 277 ). - Die Prüfung erstreckte sich oft auf fertige Waren, bei den Grapengießern wurde sie vorgenommen durch einen vereidigten Meister und einen Vertreter der Kaufleute, "de de gropen plegen to vorkøpende" 278 ). Nach der Rolle der Bechermacher von 1489, Januar 22, sollte niemand Becher zu Markte bringen, wenn sie nicht erst den Werkmeistern gezeigt worden waren 279 ), und bei


274) Crull, a. a. O., Anl. II, S. III, R. von (1403, Aug. 28), 1543, März 29, Art. 2.
275) M.U.B. 7, 4683.
276) M.U.B. 9, 6576; 10, 6985.
277) Crull, Coll. II, 20. Aufzeichnung von 1572 im Amtsbuch, Art. 8.
278) M.U.B. 13, 7904. Ratsordnung von 1354, März 2.
279) R.A. Rs. vol. 1, S. 78.
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den Klotzenmachern unterlag der Verkauf von "dossynwerk" derselben Vorschrift 280 ). Eine Nachprüfung der Gesellenarbeit beim Umgang war nach der Hutmacher-Städteordnung von 1574 um August 23, Art. 23, vorgesehen 281 ). - Im Baugewerbe konnte eine Prüfung der Arbeit erst nach der Fertigstellung erfolgen. Wenn ein Meister der Hauszimmerleute eine Arbeit ausgeführt hatte, die nicht zur Zufriedenheit seines Auftraggebers ausgefallen war, so war nach der Rolle von 1537, Juni 18, Art. 7, eine Besichtigung durch die Werkmeister des Amtes, die Maurer und Ratskämmerer vorgesehen. Erwies sich die Beanstandung als zutreffend, so mußte der schuldige Meister den Schaden ausbessern und hatte außerdem an das Amt eine Buße zu zahlen 282 ). Auch die Maurerarbeit wurde nachgeprüft, und zwar von vier Meistern, die vom Rate dazu gesandt wurden (Sachverständige). War ein "steinen glindt", eine Brandmauer, ein Giebel oder Pfeiler gemauert, die nach dem Urteil der vier verordneten Meister nicht lotrecht waren, "vor Loth und Recht", so verfiel der Meister, der die Arbeit ausgeführt hatte, der Strafe des Rates und des Amtes und hatte den Schaden am Werk richtig zu stellen 283 ). - Arbeitsstücke von Gästen sollten nach der Kürschner-Rolle von 1387, März 3, Art. 13, von keinem Amtsbruder zum Zweck des Verkaufs erworben werden, wenn nicht die Werkmeister zuvor die Vollwertigkeit des Erzeugnisses bestätigt hatten 284 ).

Der Verkauf von Erzeugnissen des Nahrungsmittelgewerbes, besonders der Knochenhauer, mußte vor allem eingehend geregelt werden. Die Güte der Ware hing hier mit der Frist zusammen, die zwischen Schlachtung und Verkauf, bzw. dem Verbrauch, lag. Deshalb ist die Verkaufsfrist genau bestimmt. Bereits 1323 wurde durch eine Ratswillkür festgelegt, daß im Sommer das Fleisch nur 24 Stunden, im Winter aber 48 Stunden frisch verkauft werden dürfte. Was an Fleisch unverkauft blieb, konnte eingesalzen und auf den Scharren verkauft werden 285 ). Dieselben Bestimmungen wurden 1372, um Juni 24 286 ), und in der Rolle von 1410, Nov. 7, Art. 1, 2,


280) R.A. Rwb. fol. 104/5. R. von 1509, Sept. 1, Art. 11.
281) R.A. Tit. IX, Hutmacher.
282) R.A. Rwb. fol. 107/8.
283) R.A. Tit. IX, Maurer. R. von 1568, März 13, Art. 10.
284) M.U.B. 20, 11 501.
285) R.A. Rwb. fol. 8.
286) M.U.B. 18, 10 337.
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wiederholt 287 ). Stand bei einem Knochenhauer finniges Fleisch zum Verkauf aus, so mußte es auf einem Laken liegen, um so von anderem vollwertigem unterschieden zu sein 288 ).

Der Erwerb von ausreichend vorhandenen guten Waren wurde für den gemeinen Bürger dennoch unmöglich, wenn die Preise zu hoch gesetzt waren. In der heutigen Zeit reguliert sich der Preis eines Produktes durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und durch die freie Konkurrenz der Produzenten. Im Mittelalter aber war diese ausgeschaltet; es konnte leicht zu einer Preissteigerung kommen, zumal die Forderung eines auskömmlichen Preises und eines standesgemäßen Gewinns am Einzelstück seitens der Produzenten erhoben wurde. Man mußte also zu einer direkten Festsetzung des Preises der Arbeit und der Gewerbeprodukte schreiten. Die städtische Obrigkeit übernahm

c) die Sorge für die Billigkeit der Erzeugnisse, wobei den Bedürfnissen der Konsumenten sowohl als den Forderungen der Produzenten Rechnung getragen wurde.

Die ersten Preisfestsetzungen wurden für die Bäcker und Knochenhauer getroffen. Nach dem lübischen Bäckerstatut von 1295, das wohl auch in Wismar galt, mußte fremdes Brot von auswärts für einen Den. oder einen halben Den. ausgeboten werden 289 ). Im Jahr 1342, Aug. 28, wurde für die Knochenhauer die Bestimmung erlassen, daß man "quodlibet quartale sive quartam partem de ove" nicht teurer verkaufen sollte als für 14 lüb. Den., und der Preis für ein "par pedum porcinorum" sollte 2 lüb. Den. nicht übersteigen 290 ).

Zwischen 1325 und 1350 erließ der Rat eine Schneidertaxe 291 ). Jeder Schneider sollte für eine "simplex tunica" (Pelerine?) 8 Den., für eine "duplex togha" (Kittel) 10 Den. erhalten. Eine Garnitur Frauenkleider, bestehend aus "mantellum" (Mantel), "sorcutium" (Oberrock), "togha" und "tunica", war stückweise mit 8 Den. zu bezahlen. Wer mehr forderte, hatte 10 (ß) Strafe zu zahlen. - Im Jahre 1351, Juli 8, wurde für die Böttcher bestimmt, daß der Tonnenpreis zwischen 1 (ß) und 18 Den. schwanken dürfte 292 ).


287) R.A. Rwb. fol. 19.
288) R. von 1410, Art. 8.
289) M.U.B. 3, 2316.
290) M.U.B. 9, 6230.
291) M.U.B. 7, 4684.
292) M.U.B. 13, 7492: "Inter solidum et inter decem et octo denarios potest fieri asensus et descensus".
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2. Gesetzliche Vorschriften für die Produzenten.

Herrschend war hierbei die Anschauung, daß die gewerbliche Arbeit dazu dienen müsse, den zunftmäßig organisierten Handwerkern, die für das Wohl der Gesamtheit arbeiteten, auch den Nutzen ihrer Arbeit gleichmäßig zuteil werden zu lassen; jedem einzelnen sollte ein standesgemäßes Einkommen, eine behagliche Existenz gewährleistet werden. Der Gewinn sollte den Zunftgenossen möglichst gleichmäßig zufallen, die freie Konkurrenz ausgeschaltet bleiben und das Prinzip der Gleichheit und Brüderlichkeit zur Durchführung kommen. Um dies zu ermöglichen, wurde eine Reihe von Bestimmungen erlassen, die in Produktion und Verkauf "das freie Spiel wirtschaftlicher Kräfte" ausschalteten. So wurde

a) der Umfang der Produktion geregelt. Um das gleiche Maß derselben bei den einzelnen Meistern zu erreichen, wurde die Zahl der Arbeitskräfte, der Gesellen und Lehrlinge, eingeschränkt.

Im allgemeinen waren zwei Gesellen zu halten gestattet, doch war außerdem bei der Bestimmung der Zahl auch wohl die Größe und Bedeutung des Handwerks maßgebend. Nach der Hutmacher-Rolle von 1484, Juli 16, Art. 6, konnte ein Meister zwei Gesellen und einen Lehrling oder zwei Lehrlinge und einen Gesellen halten 293 ), und in der Städteordnung von 1574 desselben Amts waren zwei Gesellen und ein dritter 14 Tage lang vorgesehen 294 ). Bechermacher erlaubten die Zusetzung von zwei Gesellen und einem Lehrling 295 ), die Klotzen- und Pantoffelmacher nach den Rollen von 1509 und 1592 296 ) nur die von einem Gesellen und einem Lehrjungen. Ein Nadlermeister durfte nicht zwei Gesellen oder Lehrjungen zugleich in Arbeit halten, wenn im Amte eine Werkstatt ohne Gesellen war. Wohl die höchste Zahl von Arbeitskräften war bei den Reifern 297 ) gestattet: drei Gesellen und ein Tagelöhner. Waren zwei Jungen in der Lehre, so durfte dennoch ein dritter angenommen werden, wenn der eine bald ausgeschrieben wurde. Bei den Schneidern war nach einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1578 derjenige Meister mit einer Strafe von vier


293) R.A. Tit. IX, Hutmacher, 1.
294) R.A. Tit. IX, Hutmacher.
295) R.A. Rs. vol. 1, S. 80. R. von 1489, Jan. 22.
296) R.A. Rwb. fol. 104/5; R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 5.
297) R.A. Tit. IX, Reifer, Rotes Buch, begonnen 1649, Abschrift einer Beliebung von 1492.
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Reichstalern an die Morgensprachsherren und zwei Tonnen Bier an das Amt zu bestrafen, der ohne Erlaubnis der Älterleute zwei und drei Werkstätten hielt, die allgemein übliche Zahl von Arbeitskräften also weit überschritt. Wenn ein Wollenweber Wolle zum Spinnen austragen ließ, so sollte er bei bewiesenem Vergehen 8 (ß) Strafe zahlen 298 ). Er hatte mehr Arbeitskräfte in Arbeit gehalten, als erlaubt war, und versucht, einen unrechtmäßigen Vorteil vor seinen Amtsbrüdern zu erlangen.

Weiter wurde die Arbeitszeit festgesetzt, damit nicht der eine Meister vor dem anderen durch Mehrbeschäftigung seiner Hilfskräfte eine Produktionssteigerung erzielen konnte. Die Hauszimmerleute sollten morgens um 3 Uhr auf die Arbeit gehen 299 ), die Arbeitszeit der Maurer war im Sommer von morgens 4 Uhr bis abends 1/2 7 Uhr 300 ). Die Hutmacher begannen ihren Arbeitstag um 5 Uhr in der Frühe 301 ). Eine Grenze für die Arbeitszeit am Abend ist außer für die Maurer nur für die Bechermacher, auch da mit Einschränkung, gegeben. Ein Amtsbruder sollte "des werkeldages na neghen nich kloppen" 302 ). Ob ihm "hemelick werk", andere Arbeit, die sich ohne lautes Arbeitsgeräusch erledigen ließ, erlaubt war, ist nicht angegeben. Die Vorschriften über Arbeitsruhe am Heiligen Abend werden im wesentlichen durch religiöse Rücksichten bestimmt sein. Den Bechermachern war es nach der erwähnten Rolle verboten, an diesem Tage bei Licht laut zu arbeiten, "to kloppen", und nur "hemelick werk" durfte er bis 6 Uhr abends anfertigen. Die Klotzenmacher sollten am Heiligabend nach 7 Uhr bei Licht nicht mehr arbeiten 303 ). Dieselbe Bestimmung wurde 1592 in der Rolle der Pantoffelmacher wiederholt 304 ). Bei den Wollenwebern hatte derjenige Meister 12 (ß) Strafe zu zahlen, der auf "halven hyllygen dach, dat eyn appostel dach ys", am Vormittag arbeiten ließ, "er to IX de sarmon uth ys" 305 ). Die Goldschmiede durften nach der Rolle von 1380, Nov. 28, Art. 11, an Heiligentagen, am Sonnabend


298) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Amtsstatuten von 1584, April 30.
299) R.A. Rwb. fol. 108, R. von 1537, Juni 18, Art. 12.
300) R.A. Tit. IX, Maurer, 1, R. von 1568, März 13, Art. 16.
301) R.A. Tit. IX, Hutmacher. Städteordnung von 1574, um August 23, Art. 26.
302) R.A. Rs. vol. 1, S. 79/80. R. von 1489, Jan. 22.
303) R.A. Rwb. fol, 104/5, R. von 1509, Sept. 1, Art. 13.
304) R.A. Tit. IX, Pantoffelmacher, 5.
305) R.A. Tit. IX, Wollenweber. Amtsstatuten von 1584 April 30.
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oder am Heiligabend bei Licht nicht mehr arbeiten; eine Ausnahme war nur gestattet, wenn die Werkmeister ihre Erlaubnis erteilt hatten und die Nachbarn über die Dringlichkeit des Auftrags unterrichtet waren. Mitbestimmend war für die Vorschrift also auch wohl die Rücksicht auf die Nachtruhe der Umwohner. - Das "Entmieten" von Knechten war strengstens verboten, und wenn ein Meister durch ein derartig unsoziales Verhalten den Umfang seiner Produktion zu steigern versuchte, wurde er mit hohen Strafen belegt. Ebenso wurde das übermäßige "Montagmachen" der Gesellen untersagt 306 ), weil dadurch nicht nur der Meister geschädigt wurde, sondern auch Gefahr bestand, daß nicht genügend Arbeitsprodukte hergestellt wurden und so auch den Konsumenten ein Schaden erwachsen konnte.

b) Die Produktionskosten wurden geregelt. So wurde bisweilen von seiten der Zunft für die Beschaffung des Rohmaterials Sorge getragen und darauf geachtet, daß niemand übervorteilt wurde. Die undatierte Schwertfeger-Rolle von etwa 1450 enthält in Art. 7 die Vorschrift, daß in die Stadt eingeführtes Material vom Amte zusammen gebraucht werden möge 307 ). Im Reiferamte sollte "bast edder draet" von den Werkmeistern "deme gantzen ampte to gude" gekauft werden; der Kauf sollte dem Amte angezeigt werden, um den einzelnen Meistern Gelegenheit zu geben, ihren Bedarf an Material zu decken 308 ). Die Bechermacher kauften das Becherholz nur in Anwesenheit der Werkmeister ein, die beim Kauf wohl das Interesse des ganzen Amtes wahrten. Erst wenn mit dem Kaufmann keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, durfte jeder, der Holz brauchte, es erwerben 309 ). Der Farbkauf der Gerber und Rußfärber sollte nicht seitens des einzelnen gemacht werden, sondern was an Farbe von den Amtsbrüdern eingekauft wurde, sollte zu gleichen Teilen unter alle verteilt werden 310 ). Um den Wollkauf zu gleichen Bedingungen für alle Meister zu ermöglichen, bestand für die Wollen-


306) R.A. Tit. IX, Schmiede, 2. Zunftordnung der sechs wendischen Städte von 1563, Pfingsten, Art. 5. - R.A. Tit. IX, Hutmacher, Städteordnung von 1574, Art. 10.
307) R.A. Tit. IX, Schwertfeger, 1.
308) R.A. Rwb. fol. 14, Zusatzartikel von 1487, Okt. 31, zur Reifer-R. von 1387.
309) R.A. Rs. vol. 1, S. 79/80. R. von 1489, Jan. 22.
310) R.A. Crull, Coll. II, 20. R. Art. von 1587, Pfingsten.
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weber die Bestimmung, daß die Wolle nur "ausgeworfen", zum Kauf dargeboten, werden durfte, wenn der Kauf im Amtskruge "apenbar maket is". Eine Befreiung von diesem Zwang war nur dann möglich, wenn die Wolle naß geworden war und zu verderben drohte. In diesem Falle hatten aber die Werkmeister ihre Zustimmung zu erteilen 311 ). Vor Michaelis (29. Sept.) pflegte das Amt im Kruge zusammen zu kommen, um die Wolle von den Landleuten zu erwerben, wobei aber streng darauf geachtet wurde, daß keiner dem anderen seine Kaufleute abspenstig machte oder die von ihm in Aussicht genommene Ware wegkaufte. In der Kreuzwoche versammelte sich das Amt ebenfalls des Wollkaufs wegen (Prot.-Buch S. 20). Im Jahre 1545 (Aug. 11) wurden auf herzoglichen Befehl die in- und ausländischen Vorkäufer von den Kanzeln der Städte und Dörfer öffentlich ermahnt, die aufgekaufte Wolle nicht aus dem Lande auszuführen, sondern sie in den mecklenburgischen Städten zum Verkauf auszubieten. Die Verordnung war notwendig geworden, weil die wismarschen Wollenweber durch die Wollausfuhr merklichen Schaden erlitten und dem Herzog angaben, ihren Bedarf an Rohmaterial nicht in ausreichendem Maße decken zu können 312 ).

Bisweilen wurde das Handwerkszeug, dessen Beschaffung für den einzelnen zu teuer war, von dem ganzen Amte gemeinsam gehalten. In der Bruderschaft der Schiffszimmerleute befanden sich die Rollen und Winden im Gemeinbesitz; es durfte niemand für sich allein solche halten. Der Verdienst mit diesen Hilfswerkzeugen wurde zu religiösen Zwecken der Bruderschaft verwandt 313 ). Das Amt der Wollenweber hatte die Walkmühle vor dem Mecklenburger Tor, die jetzige Papiermühle, vom Rate auf Zeit gepachtet; der Nutzen, der dem Amte aus dem Vertrage erwuchs, kam natürlich allen Amtsbrüdern gemeinsam zugute 314 ).

Der Regelung der Produktionskosten diente die Festsetzung der Löhne und Preise. Die erste Verordnung dieser Art sind die Böttcher-Statuten von 1346, Oktober 18. Der Gesellenlohn für die Anfertigung einer Tonne betrug danach 2 1/2 lüb.


311) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Prot.-Buch p. 14, Aufzeichnung von 1492.
312) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 10.
313) R.A. Tit. IX, Schiffszimmerleute, erbetene R. von 1411, Februar 2, Art. 6.
314) M.U.B. 15, 8992. Vertrag von 1362, Januar 30.
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Den. 315 ), und zu dieser Bedingung schloß 1356, Jan. 1-19, der Meister Johann Pommerenke einen Arbeitsvertrag mit seinem Gesellen ab 316 ). Den Reifern wurde in der Rolle von 1387, April 26, Art. 14, vorgeschrieben, den Bürgern nicht im Übermaß den Lohn zu berechnen, wenn diese ihnen eigenes Garn oder "eghen drad" zur Verarbeitung brächten 317 ). Nach der Hutfilter-Rolle von 1484, Juli 16, Art. 8, sollten die Gesellen für den lammwollenen Hut "tho punden swaer" 5 Pf., für den "hervest wullen hoeth" 4 Pf. und für den "punth hoeth" 3 Pf. zu Lohn erhalten. Genauere Bestimmungen wurden in der Städteordnung desselben Amtes von 1574 gegeben. Zugleich wurde die Mindestleistung am Tage fixiert. Es sollte ein Geselle von der besten Wolle drei "wichte" zum Tagewerk schlagen und der Zahl entsprechend eine Summe von Sechslingen erhalten (Art. 2). Die Arbeitsleistung an Lamm- und Filzwolle betrug vier "wichte", die Entschädigung für jedes "wicht" Filz 4 Pf. (Art. 3). Es wurden weiter als Tagesarbeit verlangt zehn Filze, klein oder groß oder zwei englische oder sechs lammwollene Filze. Die Entschädigung betrug entsprechend 2 Pf., 1 (ß), 3 Pf., jeweils für ein einzelnes Arbeitsstück. Weitere Forderungen waren 1 1/2 flämische, 6 große lammwollene Hüte, 8 lammwollene, 4 rauhe gestickte Kinderhüte, 4 Mittelhüte, 2 gewöhnliche kurz gestickte Bauern -, 3 rauhe, gestickte, 4 Bootsmannshüte (Art. 6-9). Die Lohnhöhe war je nach der geforderten Arbeitsleistung verschieden, sie bewegte sich bei den in den letzten Artikeln erwähnten Erzeugnissen zwischen 2 und 6 Pf. für das Einzelstück. Bei den flämischen, den rauhen gestickten und den Bootsmannshüten betrug der Lohn für das Sticken 1 (ß), 4 und 3 Pf. Bei den anderen Hüten wurde die Anfertigung bezahlt. - Es würde zu weit führen, die vielfältigen Lohnangaben für die dem Nichtfachmann nur schwer verständlichen besonderen Arbeiten der Wollenweber hier wiederzugeben; es mag erwähnt werden, daß der Höchstlohn für das Weben eines kleinen Lakens 2 (ß), der eines groben Lakens 1 (ß) betrug. Weitere Einzelarbeiten wurden bis zu 6 Pf. bezahlt 318 ). - Ein Nadlergeselle erhielt an Lohn für 1000 Nadeln 3 (ß), für 100 Segelnadeln 8, 1000 Angelspitzen 6, 100 Läppennadeln 2, 1000 Haken 8 und für


315) M.U.B. 10, 6684.
316) M.U.B. 14, 8177.
317) M.U.B. 21, 11 870.
318) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Amtsstatuten von 1584, April 30.
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1000 Öhre 4 Pf. 319 ). Vergegenwärtigt man sich die Schwierigkeit der Herstellung, so versteht man, daß der Geselle schon ein sehr geschickter Arbeiter sein mußte, wenn er bei der Lohnhöhe sich das für die Amtswerbung nötige Kapital erwerben wollte! Die Gesellen der Kleinwandmacher sollten gleichen Lohn erhalten "van kemmen, kratzen und wevende". Für ein heiles Laken zu weben erhielten sie 9 (ß), die beste Wolle "aver tho kratzen und van den kemmen" 9, von der zweiten Sorte 6 und von der geringsten Wolle 3 Pf. 320 ). - Der Tagelohn eines Knechtes bei den Büchsenmachern betrug 1 (ß) 321 ). - Im Baugewerbe wird die Zusammenarbeit der Meister und Gesellen offenkundiger als in den anderen Handwerken. Wurde bei den Ämtern, die Werkstücke anfertigten, der Lohn an die Gesellen auch meistens für das verfertigte Arbeitsstück bezahlt, war er also Stücklohn, so wurde im Bauhandwerk Stundenlohn bezahlt. Der Meister wurde entsprechend seiner qualifizierteren Ausbildung und seinen Kenntnissen höher bezahlt, die endgültigen Kosten einer in Auftrag gegebenen Arbeit bemaßen sich jedoch, abgesehen von Materialkosten, im wesentlichen nach dem Arbeitslohn; ein Unternehmertum der Neuzeit gab es im Mittelalter nicht, Unternehmergewinn fiel also fort. Für die Hauszimmerleute betrug der geforderte Arbeitslohn von denen, die keine Kost gaben, in der Zeit von Lichtmeß bis Allerheiligen 3 (ß), dazu 3 Kannen Bier, von Allerheiligen bis Lichtmeß 7 Witten und 2 Kannen Bier. Wurde Früh- und Vesperkost gereicht, so waren in dem ersten Zeitraum 2 (ß) und 3 Kannen Bier, im zweiten 5 Witten und 2 Kannen Bier zu geben 322 ). Die Maurermeister erhielten an Tagelohn 3 (ß), die "plegeslüde", wohl Handlanger, nur 2 (ß). Dazu sollten Meistern und Knechten 6 Pf. zur Frühkost, "so jemands desülve tho geven sich beschweren wurde", und 3 Kannen Bier gegeben werden 323 ). Durch Ratswillkür wurde im Jahr 1570, Okt. 9, bestimmt, daß fernerhin keine Kost und Bier mehr gegeben werden sollten, sondern allein Geld, und zwar sollte ein Meister 5, die Arbeitsleute aber 4 (ß) erhalten 324 ). Akkordarbeit war


319) R.A. Tit. IX, Nadler, 3, R. von 1588, Aug. 25, Art. 11.
320) R.A. Rwb. fol. 61, R. von 1560, Nov. 4, Art. 12.
321) R.A. Tit. IX, Schmiede, Zunftordnung der sechs wendischen Städte von 1563, Pfingsten, Art. 12.
322) R.A. Rwb. fol. 108, R. von 1537, Juni 18, Art. 12.
323) R.A. Tit. IX, Maurer, 1, R. von 1568, März 13, Art. 17.
324) R.A. Rwb. fol. 68.
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den Schiffszimmerleuten nach der Rolle von 1621, Art. 4, bei 20 Taler Strafe verboten.

Es wurde bereits erwähnt, daß die Preisfestsetzung seitens der Obrigkeit dem Interesse der Konsumenten diente, da eine übermäßige Verteuerung der Produkte hierdurch verhindert wurde. Der Nutzen der Maßnahme kam aber auch dem Produzenten zugute, da durch die Bestimmung der Löhne und Preise der Gewinn am Einzelstück für alle Zunftgenossen der gleiche war. Der Meister, der mehr Kapital zur Verfügung hatte als der ärmere Amtsbruder, konnte die Preise also nicht unterbieten, wenn er auch dabei trotzdem noch auf seine Kosten gekommen wäre und vielleicht auf diese Art seinen Umsatz hätte steigern können. Der "standesgemäße" Gewinn am Einzelstück wurde seitens der Obrigkeit gesichert; die einzige Möglichkeit einer Gewinnvermehrung und Vermögensverbesserung lag in der angewandten Arbeitskraft des Meisters und seiner Hilfskräfte. Wohl konnten Arbeitszeit, die Zahl der Arbeitskräfte, Löhne und Preise festgesetzt werden, die Arbeitskraft des einzelnen ließ sich nicht gut normieren.

c) Es wurde weiter die Qualität der Erzeugnisse bestimmt, und auch diese Maßnahme diente dem Besten der Konsumenten sowohl als auch dem der Produzenten. Durch den "Umgang" der Werkmeister wurden schlechte Waren festgestellt und aus dem Handel gezogen; der Ruf der Zunft konnte durch Pfuscher innerhalb des Amtes nicht gefährdet werden. Schlechte Arbeit mußte dem Ruf des ganzen Amtes schaden und konnte leicht die Umsatzmöglichkeit verschlechtern. Deshalb war hier ebenfalls der oberste Grundsatz der, die Waren so anzufertigen und zu liefern, daß damit der Stadt und der Zunft Genüge getan werden konnte. Über die näheren Bestimmungen der Qualitätsfestsetzung wurde bereits bei Erwähnung der Maßnahmen für die Konsumenten Näheres ausgeführt.

d) Endlich wurde die Absatzfrage einer obrigkeitlichen Regelung unterzogen. Um zu verhüten, daß ein Amt die Interessen eines anderen verletzte, waren Arbeits- und Handelsgebiete der einzelnen Zünfte genau begrenzt. Es sollte kein Krämer, Schneider oder Tuchscherer mit den Wandschneidern "societatem habere" und kein Krämer sollte andere Tuche ausschneiden als die von alters her üblichen Arten, nämlich "Yrener swesterdok" (beliebtes irländisches Tuch), "berwer" (Barchent), "sagen" (dünnes buntes Tuch), "tyrletey" (aus Wolle und Leinwand zusammengesetztes Tuch, das für Frauenunterkleider gebraucht

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wurde), "spiresch" (speyerisches Tuch) und "fardokos" (ein dünnes Zeug aus Wolle und Leinen, das am Oberrhein hergestellt und ebenfalls zu Frauenunterkleidern verwandt wurde) 325 ). Das Amt der Sniddeker, Kunthor- und Kistenmacher - der Tischler - hatte nach der Rolle von 1500, Februar 4, Art. 6, das alleinige Recht, geleimtes Werk, Altartafeln und "hangende kronen stoele" herzustellen. Weiter gehörte zu seinem Arbeitsbereich die Verfertigung von Pancel, "masselrin" (Schnitzwerk geometrischer Art), Kisten, Schränken, Laden, "Kunthoren" (Zähl- und Schreibtischen), leichten Fenstern, geleimten oder ungeleimten Pfosten, "zu sundergen von wagenschate und ecken holtze" (astfreiem, zersägtem Eichenholz, das in zwei Fuß langen Brettern zu feineren Arbeiten und Vertäfelungen gebraucht wurde) 326 ). Die Hauszimmerleute hatten die Berechtigung, Schränke, Kisten und Sänften herzustellen, doch durfte die Arbeit kein Leimwerk enthalten 327 ). Die Schneider sollten zum Schaden der Krämer ihren "Schneidergästen" keinerlei Kramware als "Sardock, Seter, Krägeler, Seiden-Bändelein" in Ellen verkaufen 328 ). Kein Schuhmacher oder Klippenmacher durfte "rothlasch, ruchfelle, rot oder schwarz" gerben oder färben, noch verarbeiten. Nur Amtsbrüder der Gerber und Rußfärber durften weiße Felle gerben und verkaufen; Riemer und Pelzer konnten die Sachen verarbeiten und für den Eigengebrauch eine Gärung vornehmen 329 ). - Die Haken handelten mit Heringen, Hühnern, Käse, Salz und anderen ähnlichen Waren 330 ), sie hielten aber nur "penninge ware" feil 331 ). - Die Garbräter konnten zu "twen kumpanen" feilbieten: zwei Lämmer, ein Schwein zum Preise von 1 M. lüb., davon aber nur Kopf, Rücken, Kehlbraten (ein Bratstück von der Kehle), die Pfoten und ein Bauchstück. Der Verkauf war gestattet, wenn auf den Scharren solch Fleisch nicht zu erhalten war. Das übrige Fleisch sollte gekocht, jedoch nicht länger als drei Mahlzeiten ausgelegt werden. Weiter durften von den Amtsbrüdern feilgeboten


325) M.U.B. 9, 6569, Bürgersprache von 1345, Sept.11, Art. 6, 7. Zu den Erklärungen vgl. Willgeroth, a. a. O., S. 257.
326) R.A. Tit. IX, Tischler, 1.
327) R.A. Rwb. fol. 108, R. von 1537, Juni 18, Art. 17.
328) R.A. Tit. IX, Krämer, R. von 1587, Februar 22, Art. 7.
329) R. A. Crull, Coll. II, 20, R. der Gerber und Rußfärber von 1587, Pfingsten, Art. 6.
330) Techen, Geschichte Wismars, S. 436, Anm. 11.
331) R.A. Tit. IX, Haken, 1, R. von 1529, Aug. 5. Art. 8.
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werden rohe und gebratene Gänse, Meerschwein frisch und gesalzen, Stör, Lachs, "raff", gesalzener Aal, Seehundsspeck, Walspeck frisch und gesalzen. Saugferkel und einen Eber durften sie ebenfalls verkaufen, jedoch sollte der Preis 6 lüb. (ß) nicht übersteigen 332 ). Den Garbrätern zum Schaden sollte kein Knochenhauer von Pfingsten bis St. Bartholomäus Schweinefleisch verkaufen, ebenso war es den Kütern untersagt, vor Bartholomäus Würste feilzuhalten. Beides war ein Recht der Garbräter 333 ). - Nach der Rolle der Wandschneider von etwa 1420, Art. 13, 14, durfte kein Schneider oder Wandscherer heile Laken für sich kaufen und sie zum Verkauf zerschneiden, und ebenso war es den Schneidern verboten, Laken zu kaufen oder für sich kaufen zu lassen, um daraus Kleider zuzuschneiden, die sie dann als alte in den Handel bringen könnten. Den Kleinwandmachern war es gleichfalls nicht gestattet, Tuch in Ellen auszuschneiden und zum Verkauf auszubieten. Unter sich im Amte angefertigtes Tuch konnte von ihnen untereinander verkauft werden 334 ).

Der Ort des Verkaufs war genau bestimmt. Die Knochenhauer, Garbräter, Schuhmacher, Bechermacher, Riemer und Beutler verkauften ihre Erzeugnisse auf den Scharren am Markte, die Krämer und Hutfilter sollten ihre Waren vor der Tür ausbieten, und auch die Haken hielten die Waren in ihrem Hause feil. Bedingung in allen Ämtern war, daß der Produzent selbst die Produkte zum Kauf ausbot und nicht durch seine Frau oder Gesellen vertreten und unterstützt wurde. Nur im Notfalle konnte die Frau die Ware verkaufen, wie dies in der Garbräter-Rolle von 1435, Art. 2, erwähnt wird 335 ). Für Amtsbrüder und Einheimische war das Hausieren mit ihren Erzeugnissen verboten, und nur die Garbräter durften die zur Fastenzeit gebackenen "Kropele" (Krapfen) nach alter Gewohnheit durch ihre Knechte in der Stadt umtragen und verkaufen lassen 336 ). Auswärtigen Händlern, Gästen, war das Hausieren mit Kramware auch während der Zeit des Jahrmarktes, an dem sie ausstanden, verboten; bei den Hutfiltern galt die Bestimmung, daß kein "lantverynk", landfahrender


332) R.A. Rwb. fol. 60, R. von 1435, Dez. 14, Art. 5-7.
333) R.A. Tit. IX, Garbräter, 4, R. von 1502, Juli 5, Art. 14.
334) R.A. Rwb. fol. 62, R. von 1560, Nov. 4, Art. 14.
335) R.A. Rwb. fol. 59.
336) R. von 1435, Art. 3.
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Krämer, Filzhüte in der Stadt verkaufen sollte außer ganzen oder halben Dutzend. Von einem Markt ist bei dieser Vorschrift nicht die Rede, es wird also der Hausierverkauf gemeint sein 337 ).

Den Hutmachern war das Beziehen des Marktes nur zur Zeit der "kerkmessen" gestattet. Man wollte zweifellos verhüten, daß einzelne Meister vor anderen einen Vorteil errängen durch Besuch mehrerer Märkte 338 ). Zu demselben Zweck wurde 1571, November 12, von den Wollenwebern die Amtsvereinbarung getroffen, keine ungewöhnlichen Markttage auf den Dörfern oder in Städten aufzurichten, also nach Belieben zu verkaufen, sondern nur die von dem Landesfürsten eingerichteten Jahrmärkte sollten besucht werden dürfen 339 ).

Zur Abwendung "unlauteren Wettbewerbs" gab es genaue Vorschriften über die Art, die Waren auszulegen. Im Krämeramte sollten die Amtsbrüder "des hilghen daghes" nicht mehr als dreierlei Gut auf das Fenster setzen 340 ), und die Riemer sollten einander dadurch nicht schädigen, daß ein Amtsbruder seine Erzeugnisse auf die "armeholter" hängte 341 ). Weiter durfte der Marktverkauf in den "lathen steden", den Scharren, nicht eher beginnen, als bis alle Amtsbrüder anwesend waren und ihre Waren feilbieten konnten (Art. 12). Dieselbe Bestimmung galt auch im Amte der Bechermacher 342 ). Das Aufkaufen von Amtserzeugnissen zum Zweck des Weiterverkaufs war in allen Ämtern streng verboten.

Um eine Absatzregelung durchführen zu können, mußte auch die Verkaufszeit bestimmt werden. Die Angaben hierüber sind nur sehr spärlich. Die Knochenhauer sollten an drei Tagen in der Woche ihr selbst geschlachtetes Fleisch feilhalten; in der Krämer-Rolle von 1397 wurde besonders betont, daß an den Heiligen-Tagen jeder Krämer feiern sollte, also auch nicht verkaufen durfte (Art. 9). Den Riemern war es untersagt, am Sonntag ihre Ware auszulegen (Amtsbuch 1572, Art. 9).

Genaue Vorschriften bestanden für alle, die außerhalb der Ämter, ohne Amtsgerechtigkeit zu besitzen, Produkte der Zünfte


337) R.A. Tit. IX, Hutmacher, 1, R. von 1484, Juli 16, Art. 12.
338) Ebenda, Art. 14.
339) R.A. Tit. IX, Wollenweber, 6.
340) M.U.B. 23, 13 090, R. von 1397, März 28, Art. 10.
341) R.A. Crull, Coll. II, 20, Amtsbuch der Riemer und Beutler, R. von 1572, Art. 13.
342) R.A. Rs. vol. 1, S. 78, R. von 1489, Januar 22.
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oder Waren der Krämer und Haken verkaufen wollten. Die "klederzellerschen", Trödlerinnen, sollten keine neue Goldschmiedearbeit feilhalten oder verkaufen 343 ); ebenso war es den "ketelbotern", Kesselflickern, verboten, neues Werk der Kannengießer in der Stadt zu veräußern; man sollte, um das zu verhindern, den Kesselflickern nicht mehr verkaufen, als sie für ihren Bedarf nötig hatten 344 ). - Im Jahre 1402, Pfingsten, wurde vom Rate verordnet, daß Bürger oder Gäste keine Kramkeller gegen das Amt halten sollten 345 ). Wer aber so einen Keller innehaben wollte, durfte nur große Mengen Kramware auswiegen, z. B. 100 Pfund Reis, 25 Pfund Pfeffer und Mandeln. Der Verkauf von Hosen und Mützen durfte nur zu Dutzenden geschehen, und Tuch konnte nur in ganzen Stücken, nicht aber ellenweise, ausgeboten werden. - Pfennigware auf dem Markte oder an anderen Stellen der Stadt feilzuhalten, war alleiniges Recht der Haken, wie bereits erwähnt wurde, doch durften auf der Wage-Brücke bis zum Hopfenmarkt am Mittwoch, Freitag und Sonnabend während der Zeit außerhalb der Fasten und des Advents Hakenwaren bis 10 Uhr vormittags verkauft werden; in der Fasten- und Adventszeit durfte der Verkauf bis 11 Uhr ausgedehnt werden. Nach diesem Zeitpunkt waren die Handelsartikel fortzunehmen, und die Verkäufer hatten auch nicht das Recht, von ihrem Hause aus den Verkauf fortzusetzen 346 ).

Eine Fülle von Einzelvorschriften bestimmte das wirtschaftliche Leben des Mittelalters, hielt die private Initiative des einzelnen in Schranken. Dennoch mag rückschauend gesagt werden, daß der unserer modernen Zeit in vielem unerträglich erscheinende Zwang der Verwirklichung eines großen Gedankens diente: Erzeuger und Verbraucher unter gleichem Recht zu einen, jedem eine ausreichende Existenz zu gewährleisten und im Innern der Handwerkerverbände einen praktischen Sozialismus zur Tat werden zu lassen.


343) M.U.B. 19, 11 293, R. der Goldschmiede von 1380, Nov. 28, Art. 14.
344) R.A. Tit. IX, Kannengießer, 1, R. von 1387, Art. 8.
345) R.A. Tit. IX, Krämer, Rotes Buch des Amtes.
346) R.A. Tit. IX, Haken, 1, R. von 1529, Aug. 5, Art. 8.
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Kapitel V:

Religiöses, geselliges und militärisches Leben in den Zünften.

Das religiöse Leben wismarscher Ämter vollzog sich in den selben Formen, die dem ganzen deutschen Zunftwesen gemeinsam sind. Eine nähere Ausführung erübrigt sich deshalb. Es mag nur erwähnt werden, daß der junge Amtsmeister vor seiner endgültigen Aufnahme in die Zunft für die Erhaltung der Lichte auf dem Altar des Amtes sowie für die Instandhaltung des Amtsbahrtuches eine Abgabe zu leisten hatte. Die Ämter trugen ihre Toten selbst zu Grabe, der Sarg wurde mit dem meist seidenen Bahrtuche, das Amtseigentum war, bedeckt. In den Rollen der Krämer 347 ) von 1397, der Schneider 348 ) und Bäcker 349 ) von 1398 und der Knochenhauer 350 ) von 1410 findet sich die Bestimmung, daß zu den "Messen" eine Summe zu zahlen sei. Es handelte sich dabei um Seelenmessen, die zu gewissen Zeitpunkten für verstorbene Mitglieder der Ämter gelesen wurden.

Religiöse Erwägungen werden auch mitbestimmend gewesen sein, das soziale Element im Leben der Zunft zu stärken. Besonders in Notzeiten galt es, das Gebot der Brüderlichkeit zu verwirklichen, jeden bedürftigen Amtsbruder zu unterstützen. Um dies zu ermöglichen, trachtete man danach, einen Vermögensgrundstock aufzubauen. Nach der Rolle der Kleinwandmacher von 1560, Nov. 4, Art. 8 351 ), sollte jeder angehende Meister außer den üblichen Abgaben zu Licht und Harnisch noch 5 M. in die Amtsbüchse zahlen. Von diesem Geld sollte "van Jaren tho Jaren" ein Kornvorrat angeschafft werden, damit in den Zeiten der Not und Teuerung die Amtsbrüder keinen Mangel zu leiden brauchten. Im Schneideramte wurden 1568 die Amtskösten aufgehoben, weil dem Amte aus ihnen besondere Unkosten entstanden waren. Es sollte aber dafür jeder zugelassene Meister 15 M. in die von Älterleuten und


347) M.U.B. 23, 13 090, R. von 1397, März 28, Art. 1.
348) M.U.B. 23, 13 354, R. von 1398, Nov. 6, Art. 2.
349) M.U.B. 23, 13 376, R. von 1398, Dez. 15, Art. 4.
350) R.A. Rwb. fol. 19, R. von 1410, Nov. 7, Art. 10.
351) R.A. Rwb. fol. 61.
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Beisitzern verwaltete Lade geben. Von dem Gelde sollte zum Besten des Amtes Getreide gekauft werden, das in Notzeiten gegen bare Bezahlung an die Zunftgenossen abgegeben wurde. Es sollten jährlich 4 Last Korn auf Vorrat gehalten werden 352 ).

War in der großen Zunftorganisation die Sorge für das Gemeinwohl einer der Hauptpunkte, so wurde bei den gegen Ende des 15. Jahrhunderts sich bildenden Gesellenschaften dies ebenfalls betont. Religiöse Gründe hatten wohl anfangs zur Errichtung einer Gesellenbüchse geführt, doch traten diese bald zurück gegenüber dem Gedanken der Mitgliederunterstützung. Wenn ein Geselle des Maleramtes "gekrenket worde vormiddelst gottlicher krankheit alß, dat he de krankheit nicht von schlachtinghe edder von eghener boßheit wegen gekregen hadde", so sollte er nach Rate der Älterleute und der Schaffer aus der Gesellenkasse unterstützt werden. So lautete die Bestimmung in der Malergesellenrolle von 1490, Oktober 22, Art. 2 353 ). Wenn der Geselle starb, sollte man das ausgelegte Geld "wedder soken ahn dem sinen oft an sinen fründen", wurde er aber wieder gesund, so mußte er den geliehenen Betrag selbst mit seinem zuerst verdienten Gelde wieder zurückzahlen. - Im Schmiedeamte bestanden 1528, August 9 354 ), zwei Kassen; die der Älterleute enthielt 20 M., die der Schaffer und Gesellen 29 M. Das beim Tode eines Gesellen geopferte Geld sollte unter Aufsicht der Schaffer in diese Büchse getan werden zur Unterstützung für Arme und Verarmte. Bei der Krankheit eines Gesellen - ob verschuldet oder unverschuldet, ist hier nicht besonders betont - sollte man ihm 4 (ß) zur Notdurft geben 355 ). Man stellte ihm, wenn es nötig war, eine Krankenwärterin und entschädigte sich im Falle seines Todes durch den Erlös aus seinen Kleidern und sonstigem Besitz. Das nach der Gesundung zuerst verdiente Geld war zur Rückzahlung der geliehenen Summe zu verwenden. Ein Vergehen gegen diese Bestimmung wurde mit Ächtung bestraft, ebenso ein Entweichen aus der Stadt vor Begleichung der Schuld. Zur Aufrechterhaltung der Bruderschaft sollten nach l4tägiger Arbeit 6 lüb. Pf., alle Halbjahr 2 lüb. Pf., bei den Kürschnern alle


352) R.A. Tit. IX, Schneider, 2, R. von 1568, Nov. 26, Art. 5.
353) R.A. Tit. IX, Glaser, 1.
354) R.A. Tit. IX, Schmiede, 1.
355) Die Kürschnergesellen erhielten nach der Gesellenrolle von 1480 (R.A. Tit. IX, Kürschner, Abschrift von 1618, Johannes) 4 (ß), doch konnte ihnen bis zu 1 M. zugelegt werden.
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Vierteljahr 2 Pf. abgeliefert werden. Eine Übertretung der Anordnung zog eine Ermahnung, danach steigende Strafe durch Schaffer, Büchsenmeister und das ganze Amt nach Amtsrecht nach sich.

Neben der Arbeit kam auch die Geselligkeit nicht zu kurz. Auf den Meisterkösten, die der junge Meister dem ganzen Amte zu geben hatte, waren die Amtsbrüder wohl mit Frauen und Kindern versammelt, dem Essen und Trinken wurde gut zugesprochen. Näheres über die Reichhaltigkeit der aufgetragenen Speisen wurde bereits ausgeführt. Auch zu Pfingsten und Fastnacht fanden Amtszusammenkünfte statt, die geselliger Art waren. Erwähnt ist dies von den Wollenwebern 356 ) und Schiffszimmerleuten 357 ); ob bei diesen Festen nur ein Trinkgelage, wie man aus der Rolle der Schiffszimmerleute entnehmen kann, oder auch eine Schmauserei veranstaltet wurde, ist nicht bestimmt. Die Wollenweber begingen besonders festlich noch den Tag ihres Amtspatrons, des heiligen Sever. Der Schwerpunkt des Festes lag in der kirchlichen Feier, doch fand an demselben Tage auch ein Gelage statt. Für alle Amtsfeierlichkeiten waren genaue Regeln über das gute Benehmen der Amtsbrüder aufgestellt und den Schaffern die Gewalt erteilt, Verstöße sofort zu ahnden. Auch im Krämeramte wurde das Pfingst- und Weihnachtsfest durch einen Zusammentrunk begangen; im Gefolge der Feierlichkeiten wurde eine religiöse Zeremonie zum Gedenken der verstorbenen Amtsmitglieder veranstaltet. Aus einer Aufzeichnung in der Krämerrolle von 1604 geht hervor, daß bei den Amtsfeiern auch der Tanz zu seinem Rechte kam 358 ).

Die Zusammenkünfte fanden, wenn der Platz es erlaubte, im Hause eines Ältermanns statt; im 16. Jahrhundert erwarben einzelne Ämter dann Krughäuser, in denen sie nunmehr ihre Veranstaltungen abhielten. So sind solche Häuser bezeugt für die Bäcker, Böttcher, Hauszimmerleute, Krämer, Schneider und Wollenweber.

Das militärische Leben der mittelalterlichen Stadt war beherrscht von dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht; die Wehrkraft der Stadt beruhte auf der Wehrfähigkeit ihrer Bürger, da ihr, wie dem modernen Staat im allgemeinen,


356) Vgl. Techen, M.J.B. 58, S. 35.
357) R.A. Tit. IX, Schiffszimmerleute, erb. R. von 1411, Februar 2, Art. 2.
358) Techen, Geschichte Wismars, S. 87.
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keine größeren Söldnermassen zur Verfügung standen, ihre berechtigten Interessen zu wahren. Die Bürger mußten also selbst ihre Stadt verteidigen und nötigenfalls zum Angriff gegen äußere Feinde schreiten.

Einen wichtigen Teil der Wehrpflicht machte die Verpflichtung der Bürger zur Wache aus. Sie ist bereits in der Bürgersprache von 1345 festgelegt 359 ) und wird in den Jahren 1349, 1351, 1371-73 und 1430 wieder erwähnt. Danach sollte jeder Bürger zu Fuß oder zu Pferde wachen an dem Platz, wohin er gestellt wurde, oder aber einen Vertreter namhaft machen, für den er persönlich verantwortlich war. Ferner sollte jeder stets seine Waffen bereithalten und beim Alarmruf an seinen ihm bestimmten Platz eilen: "ad valvam sibi deputatam". Nach den Ausführungen von Techen 360 ) lag die Wachtpflicht auf dem Hause eines Bürgers; der Ausdruck "personaliter vigilet" in der erwähnten Bürgersprache wird sich demnach wohl auf erbgesessene Bürger bezogen haben.

Ferner waren aber die Ämter zur Wache verpflichtet. In einem Entwurf zu einer Wachtliste aus dem Jahre 1483, Juli 21, wurde von den einzelnen Zünften die Stellung einer bestimmten Zahl Bewaffneter zur Besetzung der Landwehren, Mauern und Tore verlangt. So hatten die größeren Ämter der Pelzer, Bäcker und Schmiede je 10 Mann zu stellen, die kleineren entsprechend weniger; Zahlenangaben fehlen hier jedoch. Eine weitere Ordnung von 1489, August 19, die allerdings nur für kurze Zeit gelten sollte, gibt näheren Aufschluß über die Art der Aufstellung. Danach sollten jeweils unter der Führung von Ratsmitgliedern die Böttcher, Riemer und Träger mit 22 Bürgern vor dem Rathause Wache halten, in den Kirchspielen von St. Marien und St. Georgen waren die Wollenweber, Krämer, Schuhmacher, Haken, Schmiede und Leinweber mit je 14, in dem von St. Nikolai mit 16 Bürgern zusammengezogen. Die Tore wurden von den Ämtern der Klotzenmacher, Glaser, Grapen- und Kannengießer, Hutfilter und Pantinenmacher besetzt gehalten, unterstützt durch einige Bürger. Die reitende Wacht sollte von dem halben Amt der Knochenhauer und Bürgern mit einem Ratsherrn sowie den Ratsdienern versehen werden. Den angeführten Ämtern gegenüber standen die


359) M.U.B. 9, 6474.
360) Techen, Die Bevölkerung Wismars im Mittelalter und die Wachtpflicht der Bürger, HGbl. 1890, S. 83.
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andere Hälfte der Knochenhauer, die Bäcker, Badstüber, Barbiere, Buntmacher, Gerber, Goldschmiede, Hutfilter, Kistenmacher, Maurer, Pelzer, Reifer, Schneider, Schiffszimmerleute und Töpfer, um die bedeutenderen zu nennen.

In Friedenszeiten wurde wohl niemals die ganze wehrfähige Bevölkerung zur Wachtleistung in Anspruch genommen; aus einem Wachtregister von 1455 361 ) ist zu ersehen, daß die Heranziehung zum Wachtdienst in bestimmten Zeiträumen wochweise erfolgte und die Ablösung der Nachtwachen um Mitternacht stattfand. In seiner "Geschichte der Seestadt Wismar" 362 ) wird von Techen angeführt, daß "die Ämter wol sämtlich eine gewisse Anzahl Harnische und jedes Amt seine bestimmte Zahl Gewaffneter zu stellen hatten". Die letzte Vorschrift geht bereits aus der Wachtliste von 1483 hervor, genauere Zahlen des gewöhnlichen Aufgebots sind leider nicht angegeben. Nur in der Rolle der Leinweber von 1415, April 26, Art. 5, wurde bestimmt, daß sie "tho den allerminsten scholen holden tho der Stadt behof twe ferdige schutten" und daß bei höherer Anforderung seitens der Stadt sie nach ihrer Macht tun sollten. In einem Zusatz zur Ratswillkür für Knochenhauer von 1361, November 12 363 ), wurde jedem Knochenhauer die Haltung eines Pferdes im Werte von 12 M. lüb. zur Pflicht gemacht. In den Rollen von 1410, November 7, Art. 13 364 ), und der Ergänzung von 1417, März 11 365 ), wurde die Bestimmung wiederholt und hinzugefügt, daß jeder Amtsmeister für den Rat und die Stadt reiten sollte, so oft es nötig wäre, "alse van oldinghes geweset hefft". Die Ämter der Träger und Hauszimmerleute waren vom Wachtdienst befreit 366 ). In der Rolle der letzten von 1537, Juni 18, wurde in einem Nachsatz Art. 18 festgelegt, daß das Amt befreit sein sollte, "in die graven tho gande, vor den doren to sittende, darup to wakende edder sunst die Wacht tho gande". Dagegen sollten einige Amtsbrüder bei auswärtigen Kriegsunternehmungen mit ausziehen, um die "Bussen" im Notfall auszubessern. Bei Feuersnot hatten die Amtsbrüder bis zuletzt mit ihren Äxten und Leitern Beistand zu leisten. (Art. 10 und 11 der Rolle von 1537.)


361) Techen, HGbl. 1890, S. 81.
362) Techen, Geschichte Wismars, S. 41.
363) M.U.B. 15, 8960.
364) R.A. Rwb. fol. 19.
365) R.A. Rwb. fol. 58.
366) Techen, HGbl. 1890, S. 78.
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Zur Instandhaltung des Amtsharnisches wurde bei Amtseintritt von den jungen Meistern eine Abgabe erhoben, z. T. mit dem Geld für Lichte und Bahrtuch zusammen. Diese war nach der Stärke des Amtes und des Amtsharnisches verschieden hoch. Sie betrug im Jahre 1410 bei den Knochenhauern 2 M. 4 (ß); sie zahlten damit bei weitem am meisten, werden also auch wohl die größte Zahl von Rüstungsstücken besessen haben. Bei den Schneidern wurden 1398 19 (ß), bei den Krämern 1397 1 M. lüb. gefordert; die Bäcker hatten 1398 10 (ß) zu erlegen. Die Summe von 2 M. wurde erhoben bei den Hutmachern (1484), Buntmachern (1497), den Klotzenmachern (1509), doch ist bei diesen letztgenannten Ämtern ein Schluß auf die Stärke des Harnisches und die Zahl der Gewaffneten schwerlich zu ziehen, da die steigende Geldentwertung berücksichtigt werden muß. Mit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts wurden dann auch die Wehrabgaben der Ämter erhöht; so hatten im Jahre 1587 die Krämer 5 M. zu zahlen gegenüber 1 M. im Jahre 1397. Die Nadler gaben 1588 1 fl. als Harnischgeld an das Amt.

Die Ämter hatten die Pflicht, die Rüstung gebrauchsfertig zu halten und sie bei Bedarf zu ergänzen. So wurden im Leinweberamt im Jahre 1565 drei neue Harnische angeschafft. Die Angaben über die Zahl der Waffen und Rüstungen sind gering. Im Jahre 1491 wurde bei den Wollenwebern eine Aufstellung der vorhandenen Rüstungsgegenstände angefertigt 367 ). Danach besaß das Amt 2 Harnischtonnen mit 7 Panzern, 5 Kragen, 8 kleine Stücke, 2 Bartkragen, 1 Schott und einen eisernen Hut. Die Krämerrüstung bestand im Jahre 1587 aus gutem Harnisch für 5 Mann, 5 guten fertigen Röhren und einem halben Dutzend guter Spieße 368 ). Endlich sei noch die Böttcherrüstung aus dem Jahre 1611 angeführt. Das Amt besaß 2 gute und 6 gemeine Harnische mit Armschienen, 4 runde Hüte, 3 vollkommene Panzer, 9 lange Röhren, einen halben Harken, 2 Hellebarden, 3 Federspieße und einen langen Spieß, dazu 16 Feuereimer 369 ).

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367) R.A. Tit. IX, Wollenweber, Prot.-Buch, p. 9.
368) R.A. Tit. IX, Krämer, R. von 1587, Febr. 22, Art. 4.
369) Techen, HGbl. 1925, S. 123.
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IV.

Joachim Nikolaus von Dessin

von

Eduard Moritz.

 

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V on den Deutschen, die im Dienst der Niederländisch-Ostindischen Gesellschaft nach dem Kap auswanderten, ist keiner so bekannt geworden, als der Rostocker Joachim Nikolaus von Dessin, dessen Name mit der Gründung der ersten Bibliothek in Südafrika eng verknüpft ist.

Er war der Sproß des alten Geschlechts von Tessin, dessen spätere Mitglieder sich auch von Dessin nannten. Sein Großvater Joachim von Tessin, Herzoglich Holsteinischer Oberjägermeister und Amtmann zu Ahrensbök, stammte im fünften Glied von Klaus von Tessin (um 1500) ab und hatte zwei Söhne, Christian Adolf, geboren 1679, und Joachim Christian, 1704 in Ungarn in einem Duell gefallen. Christian Adolf stand als Kapitän in schwedischen Diensten und war seit 1702 mit Margaretha Elisabeth von Hünemörder verheiratet. Der Ehe entstammten zwei Söhne, Joachim Nikolaus, geboren 1704 in Rostock, und August Christian, getauft 15. Januar 1706 daselbst. Nach dem Tode Margaretha Elisabeths (1716) heiratete Christian Adolf 1718 in zweiter Ehe Catharina Juliana von Klinkowström (gest. 1739). Joachim Nikolaus kam frühzeitig aus dem elterlichen Hause. Als 13jähriger war er Page bei dem Markgrafen Albrecht Friedrich, einem Vetter König Friedrichs I. von Preußen, und erhielt seine Schulbildung auf dem Königl. Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin. Sein Vater, der 1718 als "gefangener Offizier" in Rostock wohnte, erwähnt in einer Eingabe an Herzog Leopold von Mecklenburg (1718, August 12), in der er seine bedrängte Lage schildert, daß sein ältester Junge "zwar als Page am Königl. Preußischen Hof engagiert sei, aber doch zu seinem Unterhalt noch eins und des andern bedürftig sei", den andern aber habe er in Mecklenburg bei einem Prediger auf dem Lande in Kost getan. Der jüngere Sohn geriet bald auf Abwege und bereitete seinem

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Vater schweren Kummer, der dafür einen Trost an dem Wohlverhalten und den Fortschritten des älteren fand. So schrieb er (1721, April 12) seinem Schwager, Joachim Otto von Hünemörder: "Mein ältester Sohn führt sich Gott sei Dank recht wohl auf, von dem Ehre, Freude und Trost habe. Er ist bei seiner Gnädigen Herrschaft in großen Gnaden und bei allen beliebet, studiret fleißig, daß Er auch in sein Lateinschen und Frantzösch fertig ist, Er hat mich neulich ein Lateinsch Oration, so er über die Historie gehalten, wie auch einen Neujahrswunsch zugesandt, so von hiesigen Herrn Vice Präsident Tessien und andere admiriret worden; Gott regiere ihn ferner mit s. heil. Geist."

Bald darauf ist der Schreiber dieses Briefes gestorben. Joachim Nikolaus wurde 1723 Kammerjunker beim Markgrafen, bei dem er bis 1725 blieb. Dann kam er nach dem Tode seines Vaters nach Mecklenburg zurück und lebte von dem spärlichen Erbe seiner Mutter, worauf er die Heimat verließ und sich nach Holland wandte, um nach Batavia zu gehen. Daß er zu diesem Schritt durch ein Duell, bei welchem er seinen Gegner getötet habe, bestimmt worden ist, läßt sich nicht nachweisen und ist eine haltlose Behauptung der von Pentzschen Genealogie. Denn in dem Prozeß, welchen 10 Jahre später die Ketelhodts gegen die Dessins wegen des Hünemörderschen Erbes führten und in welchem sie ihren Gegnern alles Schlechte nachsagten, hätten sie das Duell gewiß nicht verschwiegen. Sie wissen von Joachim Nikolaus nur, daß er nach dem Versiegen seiner Subsistenzmittel sein Fortkommen in Holland suchte. Wie so viele seiner verarmten Standesgenossen trat er in den Dienst der Niederländisch-Ostindischen Gesellschaft und kam als Soldat, d. h. als Angehöriger der untersten Stufe der Angestellten, 1727 mit dem Schiff Ketel nach dem Kap, wo er blieb und 1729 als Kanzlist bei der Justizkammer mit dem Rang als Assistent und 20 Gulden Monatsgehalt angestellt wurde. Nebenher setzte er seine gelehrten Studien fort und praktizierte als Anwalt. Seine Heirat mit der Deutschstämmigen Christina Ehlers (1730, Dezember 10), einer nahen Verwandten des wohlhabenden und einflußreichen Kapstädters Elias Kina, verschaffte ihm Eingang in die besseren Kreise und ebnete ihm den Weg zum Aufstieg. 1737 wurde er Sekretär der Waisenkammer und Nachlaßbehörde, zunächst mit dem Rang als Buchhalter und 30 Gulden monatlichem Gehalt. Vor Übernahme seines Amtes ersuchte er seine Vorgesetzten um Prüfung

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der von seinem verstorbenen Vorgänger verwalteten Kasse, wobei sich dessen Verfehlungen herausstellten. Als der Generalgouverneur von Indien, der deutsche Baron von Imhof, als Generalbevollmächtigter im Februar 1743 am Kap weilte, bat von Dessin um Beförderung zum Unterkaufmann und erhielt diesen Rang mit dem Gehalt von 40 fl. 1744. Im Oktober 1747 erhielt er den Besuch seines jüngeren Bruders August Christian, der ihm über den Verlauf des seit 1737 schwebenden Prozesses mit den Ketelhodts berichtete und bis April 1748 bei ihm blieb. Schon 1745 hatte er gehört, daß sein Onkel, der Leutnant a. D. Joachim Otto von Hünemörder, Besitzer der drei Güter Fiensdorf, Alversdorf und Harmsdorf, gestorben war, und hatte durch den Rechtsanwalt seines Bruders, den Dr. jur. Andreas Vogel zu Rostock, als seinen Bevollmächtigten am 26. Mai 1745 ebenfalls Anspruch auf die Erbschaft erhoben, wie dieser, als Schwestersohn des Verstorbenen. Das von seinem Mandatar gesandte Antwortschreiben (1746, Juni 12) traf Ende des Jahres am Kap ein, zu einer Zeit, wo von Dessin als Kommissar auf einer langen Reise binnenlands begriffen war, von der er erst Ende April 1747 zurückkehrte. Der Streit über die Hünemördersche und damit verbundene Schacksche Hinterlassenschaft zog sich bis 1754 hin und wurde dann durch Vergleich mit den Geschwistern Ketelhodt beendigt. Joachim Nikolaus von Dessin erhielt die Summe von 3000 Reichstalern, von denen er 1000 seiner Schwägerin, der Witwe des 1753 verstorbenen Bruders August Christian, 1758 überließ. Der Rest der Erbschaft ist nicht in seine Hände gelangt, sondern unter nichtigen Vorwänden von seinem Sachwalter, dem Nachfolger des inzwischen verstorbenen Dr. A. Vogel, dem Dr. jur. und Bürgermeister von Rostock Johan Georg Burgmann, einbehalten worden. Dieser Sachverhalt blieb dem Kapstädter unbekannt, und so erklärt sich sein Irrtum, daß er den ehemaligen Prozeßgegner, den Herrn von Ketelhodt, seinen Vetter, nicht Neffen, wie er in seinem Testament sagt, verdächtigte, ihm die Erbschaft "unter frivolen Ausflüchten" vorenthalten zu haben. Andernfalls hätte er dem Dr. Burgmann auf dessen Meldung von dem Abschluß des Prozesses schwerlich seine Befriedigung in so überschwänglicher Weise zum Ausdruck gebracht, wie dies in einem Briefe vom 27. April 1758 geschah: "Ew. HochEdel-gebohr. werden mich hierdurch Zeitlebens zum höchsten verpflichten, und mir endlich erlauben, daß nebst schuldigster Empfehlung mit Offerte meiner Person mich nenne, HochEdel-

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gebohrner, Hochgeehrtester Herr Doktor Ew. HochEdelgebohrn. verschuldigster Diener J. N. von Dessin."

In den Akten des Güstrowschen Hofgerichts, vor dem sich der Prozeß abspielte, sind drei eigenhändige und mit dem Siegel Dessins versehene Schreiben enthalten. Sie zeigen eine klare, schöne Handschrift und einen Stil, dessen Deutsch mit juristischen, lateinischen Fachausdrücken gespickt und schon leicht holländisch gefärbt ist.

Im Jahre 1731 hatte er auch seine Großmutter väterlicherseits, die verwitwete Hofmeisterin von Worgewitz in Plön, beerbt. Seit längerer Zeit erfreute er sich keiner guten Gesundheit. Wegen fortgesetzter Kränklichkeit kam er 1757 um seinen Abschied ein mit der Bitte um Belassung seines Ranges als Unterkaufmann und seiner Bezüge. Seine Frau und sein einziges Kind, eine Tochter, gingen ihm im Tode voran. Für diese und sich selbst hatte er schon 1752 in der Kirche eine Grabstätte für den üblichen Preis von 162 "Carolusgulden" (67 Reichstlr. holl.) erworben. Als er den Verfall seiner Kräfte immer deutlicher spürte, machte er am 2. Juli 1761 sein Testament, "kränklich von Körper, aber bei vollem Verstand und Gebrauch seiner Sinne", wie es in dem vom Politiesekretär Johann Blankenberg aufgenommenen Protokoll lautet. In Wirklichkeit war er nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, denn er setzte seinen Bruder August Christian, der schon 1753 gestorben war und dessen Tod er wenigstens 1758 kannte, noch zu seinem Erben ein und nennt dessen Sohn, der ihn im Falle des Todes des Vaters beerben sollte, mit falschem Namen. Am 18. September ist von Dessin gestorben. Unter den Deutschen am Kap ist er, obwohl er in der Öffentlichkeit nicht hervortrat, die bedeutendste Erscheinung, denn er hat das Verdienst, die erste Bibliothek am Kap, die die Grundlage der jetzigen Südafrikanischen Bibliothek bildet, geschaffen zu haben. Eine echte Gelehrtennatur, wie aus seinem Wesen und seinen Briefen hervorgeht, war er auch Liebhaber von Büchern, Bildern, Münzen und Raritäten. Der französische Astronom Abt Lacaille, der ihn 1751 besuchte, erzählt, daß von Dessin ihm allerhand naturgeschichtliche Kuriositäten zeigte und sich über das Standardwerk von Südafrika, das berühmte Buch des Deutschen Peter Kolb, absprechend äußerte.

Sein umfangreiches Testament wurde am 5. Oktober 1761 im Kirchenrat zur Verlesung gebracht. Er vermachte darin der Kirche am Kap seine Bibliothek nebst Manuskripten, die dazu

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gehörigen Bücherschränke und Pulte, Buchpressen, sowie mathematische und "astrologische" Instrumente und Bilder unter der Bedingung, daß seine Hinterlassenschaft nicht verkauft oder zerstreut werden dürfe, da sie als Grundstock einer öffentlichen Bibliothek dienen solle, die jährlich durch neue Erscheinungen über alle Gebiete des Wissens vermehrt werden solle, wozu er dem Kirchenrat auch noch eine Summe von 1000 Reichstalern vermachte; ferner hinterließ er der Kirche die Bücher, welche sein Freund, der Konrektor der Lateinschule zu Amsterdam, Daniel Pelz, oder andere Bekannte für seine Rechnung nachträglich einschicken würden, wobei er bemerkte: "Ich glaube damit noch nach meinem Tode dem allgemeinen Besten zu dienen, wozu ich alle Zeit, soviel an mir lag, habe beitragen wollen." Für den Fall, daß der Kirchenrat wider Erwarten die Bibliothek und die damit verbundenen Sammlungen nicht annehmen wollte, sollte die ganze Hinterlassenschaft der Waisenkammer, der er über 20 Jahre lang gedient hatte, anheim fallen, auch das der Kirche vermachte Legat sollte zurückgezogen werden.

Seinen Verwandten in Mecklenburg, d. h. seiner Schwägerin Luise Sophia von Kalkreuther und deren Kindern, vermachte er in bar die Summe von 2000 Reichstalern sowie seinen Anteil an der erwähnten Hünemörderschen und der damit verbundenen Schackschen Erbschaft, der aber, wie erwähnt, von dem Mann, dem er sein unbedingtes Vertrauen geschenkt hatte, Dr. Burgmann, den Erben jahrelang unter nichtigen Vorwänden vorenthalten und erst auf dem Prozeßwege, stark gemindert, ausgezahlt wurde. Reiche Geldspenden fielen an seine Bekannten. Dem Sekretär der Waisenkammer Johannes Henricus Blankenberg vermachte er 1000 Reichstaler sowie seinen schönen und mit Silber beschlagenen Schreibtisch, nebst Kleidern, Leinenzeug und Leibwäsche, dem Bürger Jan de Waal sen. und seiner Frau 1000 Reichstaler, dem Buchhalter Jan Adolf Kühl aus Lübeck für dessen Bemühungen 1000 Kapsche Gulden, dem Sergeant Benjamin Nöthling im Schloß, der ihn mit seiner Frau in seiner schweren Krankheit treu und unverdrossen pflegte, 2000 Gulden indischer Währung, dem Bürger Burghard Riegner, der ihn ebenfalls in seiner Leidenszeit betreute, 1000 Gulden der gleichen Währung, seinem Patenkinde, dem Söhnchen des ehemaligen Fähnrichs vom Kap Joachim Frederici zu Nordhorn, eines Mecklenburgers, die Summe von 1000 Gulden holländisch. Endlich schenkte er seinen drei Sklaven die Frei-

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heit und hinterließ für jeden 100 Taler sowie Wäsche und Kleidung und bestimmte einige Freunde zu Bürgen für deren Versorgung. Den Rest seines Bargeldes vermachte er dem Rektor Pelz zu freiem Eigentum. Die Waisenkammer erklärte er zur Testamentsvollstreckerin und hinterließ ihr seinen Besitz an Aktien, Krediten, Schuldforderungen, Erbschaften und Vermächtnissen zur Bestreitung der Kosten ihrer Geschäftsführung.

Die Waisenmeister schickten am 26. Februar 1762 Abschrift des Testaments und Anweisung zur Abhebung der Erbschaft (4800 Carolusgulden) bei der Waisenkammer in Amsterdam durch Vermittlung eines Freundes des Verstorbenen, des Senators Peter Heinrich Tesdorf in Lübeck, an das Herzogl. Land- und Hofgericht in Güstrow, welches die Erben zum Empfang des Geldes aufforderte. Es hob das Geld in Amsterdam ab und zahlte es den Erben, d. h. der Witwe August Christians und ihren beiden Töchtern - der Sohn war als Fähnrich eines Preußischen Dragonerregiments im Siebenjährigen Kriege gefallen - aus. Dagegen gelangten sie in den Besitz des Hünemörderschen und Schackschen Vermächtnisses, von dem, wie erwähnt, die Witwe bereits 1758 1000 Reichstaler erhalten hatte, erst nach einem mehrjährigen Prozeß, den die Witwe und der Vormund ihrer Kinder Henning Otto von Below auf Deven 1763 gegen den ungetreuen Verwalter angestrengt hatten. Die restlichen 2000 Reichstaler waren in den Händen des Rechtsanwalts auf 648 Taler 27 Schilling zusammengeschmolzen, welche die beiden Mädchen Cornelia Elisabeth und Elisabeth Friederike von Dessin 1766 erhielten, denn ihre Mutter war inzwischen verstorben, wie von Below sich in einer Klageschrift ausdrückte, "von Burgmann zu Tode prozessiert". Und dies magere Ergebnis war auch nur durch einen Vergleich zwischen den Parteien erreicht worden. Die beiden Mädchen waren die letzten Sprossen der Familie von Dessin.

Der Kirchenrat der Reformierten Kirche nahm das Vermächtnis Dessins an. Am 2. November 1761 wurden in dieser Körperschaft Einzelheiten über die Hinterlassenschaft mitgeteilt. Die Bibliothek bestand aus 2597 Werken in 3856 Bänden und Handschriften, gebunden und ungebunden, in Folio, 4 0, 8 0, 12 0, aus 32 Bildern und einer Sammlung von 17 silbernen Medaillen, 123 großen Silbermünzen, 103 do. mittelgroßen, 118 kleinen und einigen Kupfermünzen. Außerdem schenkte die Waisenkammer dem Kirchenrat 1000 Reichstaler

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als Beihilfe zur Errichtung der neuen Bibliothek. Auf Anordnung der Regierung wurde hierfür 1763 auf dem Grundstück der Küsterei ein Bau errichtet, in dessen Oberstock die Bücherei und die dazu gehörige Sammlung von Raritäten Aufnahme fanden. In einer Sitzung des Kirchenrats vom 6. August 1764 wurde der Prediger Johannes Friedrich Bode als Bibliothekar eingesetzt und am 1. Oktober eine Bibliotheksordnung aufgestellt. Der Bibliotheksfonds erhöhte sich durch Zinsen bis Ende der holländischen Herrschaft auf 1056 Reichstaler. Anfangs sollte die Bibliothek einmal in der Woche zu bestimmten Stunden geöffnet sein, als aber die erste Neugier befriedigt war, kam niemand mehr, doch wurde dem Küster, der unten im Hause wohnte, gestattet, jedem ordentlichen Menschen den Zutritt zu erlauben, auch durfte der Besucher mit Zustimmung des Ersten Geistlichen Bücher entleihen. Die Bibliothek erhielt ein Geschenk von Südseegegenständen, die Kapitän Cook bei einem Besuche 1772 stiftete. Die Büchersammlung bildet jetzt eine eigne Abteilung (Dessinian Collection) der Südafrikanischen Bibliothek. Ihr Katalog umfaßt 4491 Bände über Theologie, Medizin, Jurisprudenz, Mathematik, Philosophie, Geschichte, Naturgeschichte, Erdkunde, Philologie, Enzyklopädie und Miscellanea. Merkwürdigerweise sind Reisewerke und Kapliteratur nicht vertreten, obwohl der Besitzer der Bücher des Interesses für die Geschichte seiner Adoptivheimat nicht ermangelte.

 

Hierzu eine Stammtafel.
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Stamtafel der Geschlechter von Dessin und von Hünemörder
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V.

Siedlungsgeographische und
wirtschaftsgeschichtliche Probleme

in der Kieler Dissertation von
Franz Engel (Schwerin) über
deutsche und slawische Einflüsse in
der Dobbertiner Kulturlandschaft

von

Paul Steinmann.

 

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D er Druck dieser umfangreichen, mit zahlreichen Flurkarten, Dorfplänen, Skizzen und Bildern ausgestatteten Arbeit * ) wurde durch die großzügige Unterstützung des Herrn Reichsstatthalters für Mecklenburg-Lübeck, durch die Beihilfe der philosophischen Fakultät der Universität Kiel und des preußischen Kultusministeriums ermöglicht.

Engel behandelt "Siedlungsgeographie und wirtschafts-geschichtliche Entwicklung eines mecklenburgischen Sandgebietes". Die gestellte Aufgabe bestand darin, die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur darzustellen, sie nach ihrer inneren Abhängigkeit und Gesetzmäßigkeit zu untersuchen und die Wandlung von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft darzulegen.

Die Arbeit ist die erste ihrer Art in Mecklenburg. Darüber hinausgehend können ihre Ergebnisse aber "in vieler Hinsicht als typisch für die Entwicklung einer ostelbischen Sandlandschaft auf Kolonialboden angesehen werden". In derartigen Gebieten "spielt die Frage nach Ausdehnung und Verbleib der slawischen Bevölkerung und die Dauer ihres Einflusses auf Landschaft und Siedlung eine hervorragende Rolle". (S. 4.) "Die Überwindung slawischen Wesens durch deutsche Kultur und die Entwicklung der ländlichen Siedlungen bedürfen gerade heute der wissenschaftlichen Erforschung, um zum Verständnis ostelbischen Bauerntums und seiner Verknüpfung mit Grund und Boden zu gelangen", schreibt Dr. Engel in seinem Vorwort.

Die Probleme der bäuerlichen Siedlung und Wirtschaft eines bestimmten Gebiets Mecklenburgs von der Urzeit an bis zur Gegenwart werden von Engel unter Heranziehung des Quellen-


*) Schriften des Geographischen Instituts der Universität Kiel, herausgegeben von Prof. Dr. O. Schmieder und Dr. H. Wenzel, Band II, Heft 3, Kiel 1934.
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materials in seiner Totalität behandelt. Das ist ein großer Vorzug gegenüber manchen andern Arbeiten. Neben den Urkunden und Akten des Klosters Dobbertin, den Lehnakten, Kirchenvisitationsprotokollen und Kirchenbüchern benutzte er die Schloß- und Kaiserbederegister des 15., die Landbederegister des 16. und die Kontributionsregister des 17. Jahrhunderts. Vor allem aber zog er die Flurkarten und zu ihrer Ergänzung die Vermessungsregister des 18. Jahrhunderts heran, verwertete zielbewußt die Forschungen der Geologen, Prähistorischer und Flurnamenforscher und vertiefte sie durch eingehende Geländebegehung sowie durch Erkundigung bei den betreffenden Fachleuten, bei Pastoren, Lehrern, Forstbeamten und Bauern des Untersuchungsgebietes.

Grundsätzlich können derartige umfassende Arbeiten nur für verhältnismäßig kleine Gebiete durchgeführt werden. Ferner können in ihnen, ihrer ganzen Natur nach, die hinter den Dingen wirkenden geistesgeschichtlichen Kräfte und Ideen nicht untersucht werden. Innerhalb dieser selbst gesetzten Grenzen stellt Engels Arbeit eine hervorragende Leistung dar. - Sehr zu begrüßen wäre es, wenn noch weitere Untersuchungen dieser Art vorgenommen würden.

Wie z. Zt. die Arbeit von Ihde über das Amt Schwerin, bewegt sich Engels Dissertation in neuen Bahnen und löst mancherlei bislang umstrittene Probleme. Es ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, an dieser Stelle eingehender über Methode und Ergebnisse der Arbeit zu berichten.


Das Krakow-Dobbertiner Gebiet ist eine typische Sandlandschaft auf ostelbischem Kolonialboden. Seine Gestaltung verdankt es der Eiszeit. Wenn auch die Landschaft in der Hauptsache durch die Ausschüttungen des Schmelzwassers eines im Norden des Gebiets liegenden Eisrandes aufgebaut wurde, so kann sie doch nicht als reine Sander-Landschaft angesprochen werden. Dazu ist das Gebiet zu hügelig und zu oft von tiefen Seen, Rinnen, Senken und Wannen erfüllt, auch wechselt gelegentlich der Sand sehr stark mit leichtem Geschiebelehm und Mergel. Daher hat "wahrscheinlich bei der diluvialen Entstehung . . . der Faktor Toteis eine erhebliche Rolle gespielt". (S. 9.)

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Besiedelt ist die Gegend bereits seit der mittleren Steinzeit, wie die bekannten Knochenharpunen von Dobbin zeigen. Hünengräber (Steinkisten) aus der jüngeren Steinzeit und Kegelgräber aus der Bronzezeit, sowie eisenzeitliche Urnenfelder begegnen mehr oder minder zahlreich. Es ist nun die Frage, ob von der Germanenzeit her bis in die Wendenzeit hinein eine gewisse Siedlungskonstanz bestand. Folkers 1 ) hat sie aus siedlungsgeographischen Gründen bejaht. Hingegen hat Beltz in Wort und Schrift immer wieder betont 2 ), daß hier hinsichtlich der prähistorischen Funde und ihrer Qualität ein großer Hiatus (Einschnitt, klaffende Lücke) festzustellen ist. Engel schließt sich der Ansicht Beltzs an. Durch die Völkerwanderung sei in der Entwicklung der Siedlung und des Landschaftsbildes ein großer Schnitt erfolgt, insofern, als durch sie allmählich das Land fast menschenleer oder sogar völlig verlassen wurde. "Das schon durch die Kultur beeinflußte Land ist also auf weite Strecken verwildert und in den Naturzustand zurückverfallen." S. 21, 23.) "Bei der Annahme einer Besetzung verlassener germanischer Dorfstellen durch die Slawen wäre vorauszusetzen, daß diese Plätze noch irgendwie kenntlich waren. Dafür fehlt jedoch jeder Grund. Ein Zeitraum von 50 Jahren hätte genügt, die Felder und Dorfstellen völlig mit Kiefern, Buschholz und Dornengestrüpp überwuchern zu lassen und sie undurchdringlicher als andere Plätze zu machen", bemerkt Engel (S. 22) treffend auf Grund genauesten Studiums des Wesens jener Landschaft. "Es erscheint möglich, ist allerdings nirgends direkt nachzuweisen, daß zurückgebliebene germanische Reste ganz vereinzelt zu einer Konstanz der Siedlungsplätze und gewisser Dorfformen beitrugen. Im allgemeinen dürften die einwandernden Slawen in der Wahl des Platzes wie der Form ihrer Dörfer völlig unbeeinflußt gewesen sein." (S. 23.)

Die zahlreichen wendischen Familien-, Orts- und Flurnamen, die alten Kossätendörfer Und die Bodenfunde zeigen, daß die Wenden überall in dem behandelten Gebiet gesiedelt haben, auch auf den eingeschalteten Moränenflächen, die allerdings verhältnismäßig leichten Lehmboden aufweisen. (S. 31.)


1) Johann Ulrich Folkers, in Endler und Folkers, Das mecklenburgische Bauerndorf, Hinstorff, Rostock (1930), S. 7, S. 27/28.
2) So in: Germanen und Slawen in Mecklenburg (in W. Volz, Der ostdeutsche Volksboden, 2. Aufl., 1926), S. 183.
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Nicht weniger als 32 bis 35 wendische Orte vermochte Engel festzustellen! Wenn auch die einzelnen Orte nur recht klein waren, so ist doch das Land verhältnismäßig dicht besiedelt gewesen. Im Durchschnitt muß alle 1 bis 2 km eine Siedlung gelegen haben. - Wie übrigens heutzutage für das hannoversche Wendland ein dichtes Netz von Siedlungen charakteristisch ist! - Wittes 3 ) und Reches 4 ) Berechnungen von drei wendischen Einwohnern auf den Quadratkilometer erscheinen für die Krakow-Dobbertiner Landschaft zu gering, Engel berechnet die Bevölkerungsdichte auf fast sieben Personen für einen Quadratkilometer, indem er jedes Dorf mit nur acht Familien und jede Familie zu fünf Köpfen ansetzt. (S. 35-36.)

Die wendischen Dörfer lagen in diesem Gebiet stets an einem Gewässer, und zwar in der Regel auf "spornartigen Hügelvorsprüngen" und "flach in die Niederung ausstreichenden Abhängen größerer Landrücken". Kein Dorf liegt auf einer Insel, einige wenige auf Halbinseln. - Hingegen sind die Burgwälle in "ausgesprochener Schutzlage aufgeschüttet". (S. 31/32.)

Engel untersucht anläßlich einer Tiefpflügung eingehend auch die alte slawische, etwa 21 Hütten umfassende Dorfstätte von "Devstorf" am Dobbertiner See. Es ist das der erste slawische Ort in Mecklenburg, dessen Grundriß rekonstruiert werden konnte. Es ergab sich mit aller Deutlichkeit die Form des echten Rundlings! (S. 33/34.)

Ganz allgemein ist zu sagen, daß bei der geschilderten Lage der Dorfstellen "sich die Hütten zwangsläufig um die flache, längliche Hügelkuppe gruppiert haben müssen, außerdem ist nur an einer Stelle ein Zugang möglich gewesen. Da es völlig abwegig wäre, alle diese Orte auf urgermanische Gründung zurückzuführen, ist also damit zu rechnen, daß die Slawen schon wegen der orographischen Lage von sich aus zur Bildung von Rundlingen geschritten sind. Es ist ferner anzunehmen,


3) Hans Witte, Wendische Bevölkerungsreste in Mecklenburg, Stuttgart 1905, S. 114/115.
4) Otto Reche, Die Wiedereindeutschung Mecklenburgs unter bevölkerungsstatistischem Gesichtspunkt, Volk und Rasse, 1929, Heft I, S. 14.
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daß diese Form auch auf andere Orte, deren Gestaltung nicht derartig zwangsläufig bestimmt war, übertragen wurde". (S. 34/35.) Das alles läßt auch Folkers Annahme 5 ), daß das breite Straßendorf in Mecklenburg die typisch wendische Form ist, "bedenklich erscheinen". (S. 32/33.)

So bedeutungslos, wie vielfach angenommen wird, kann der wendische Ackerbau nicht gewesen sein, sonst könnte nicht der Haken die Steuergrundlage abgegeben haben! Allerdings war der Ackerbau stark extensiv, eine primitive Feldgraswirtschaft ohne Düngung, die die Wenden nötigte, häufig die erschöpften Felder aufzugeben, sie lange liegen zu lassen und ev. neue zu roden.

Engel macht den interessanten Versuch, die Landschaft vor dem Anfang der großen Rodungen des Mittelalters, also das Aussehen zur wendischen Zeit, zu rekonstruieren. Die Angaben der Urkunden und Akten, sowie die Orts- und Flurnamen lassen erkennen, daß einige größere Laubwaldungen bestanden und daß daneben "in fast allen Teilen . . . Laubwald in ausgedehnten, aber nicht unbedingt siedlungsfeindlichen Wäldern vorhanden war". (S.14.) Die ausgedehnten trockenen Sandflächen werden Kiefernwald, wahrscheinlich mit einer geringen Beimischung von Eiche, getragen haben. Folkers Annahme 6 ), daß die deutschen Kolonisten "noch im wesentlichen die ungebrochene Naturlandschaft vorfanden", trifft für ein Gebiet nach Art der Krakow-Dobbertiner Sandlandschaft nicht zu. Sie gilt in der Hauptsache nur für die mit Urwald bestandenen schweren Böden des Nordens von Mecklenburg. "Vielmehr ist bereits mit einer erheblichen Beeinflussung des Landschaftsbildes durch die Slawen zu rechnen" (S. 18), durch beträchtliches Roden, durch Abbrennen, durch Anlage von Feldern und durch Viehtrieb (vgl. auch S. 36/38).

Auf dem wendischen Burgwall von Dobbertin stiftete "um 1225" Fürst Heinrich Burwy ein Mönchskloster, das "zwischen 1231 und 1237" in ein Nonnenkloster umgewandelt wurde 7 ).


5) Folkers in Endler und Folkers, Das mecklenburgische Bauerndorf, S. 45.
6) Desgl. S. 8.
7) Engel S. 38, 40. Schlie, Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Bd. IV, S. 349/50, und nach ihm Reifferscheid, Der Kirchenbau in Mecklenburg und Neuvorpommern zur Zeit der deutschen Kolonisation, Pommersche Jahrbücher, Ergänzungsband 2, 1910, S.33, geben die Jahre "zwischen 1219 und 1225" sowie "zwischen 1230 und 1234" an.
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1227 erfolgte eine erneute Dotation mit verschiedenen Ortschaften und 120 Hufen, die 1237 noch erweitert wurde. In der Folgezeit vergrößerte das Kloster seinen Besitz nicht unbeträchtlich durch Dotation und Rentenkauf. Neben Dobbertin dürfte Lohmen, als Mittelpunkt des fruchtbaren Gebietes im Norden, die älteste deutsche Siedlung gewesen sein.

"Die wendische Bevölkerung bleibt im wesentlichen erhalten und wird nur langsam vom deutschen Element durchdrungen." Wenn im 14. und 15. Jahrhundert eine Reihe von wendischen Orten verödete, so lag das nur daran, weil sie mit ihrem dürftigen Sandboden "gegen die wirtschaftlich stärkeren deutsch-rechtlich organisierten Dörfer im Rückstand geraten waren". (S. 44.)

Die deutschen Kolonisten rodeten allmählich die Laubwälder und erschlossen damit den fruchtbaren Moränenboden der Kultur. Das Angerdorf war die Dorfform der deutschen Siedler des Gebietes. Auch wenn es einen slawischen Namen trägt, so entstand es doch nicht, wie Folkers vermutet 8 ), "großenteils" durch "deutsche Verlängerungen slawischer Kerne", sondern nach Ausweis der Scherbenfunde in einiger Entfernung von den slawischen Ortschaften. - Zu demselben Ergebnis kam ich übrigens vor etwa zehn Jahren bei der Erforschung der Geschichte meiner Heimatstadt Burg Stargard. In etwa 500 m Entfernung von dem alten slawischen Dorf (villa) Stargard wurde das deutsche Angerdorf Stargard gegründet, das sich zu einem Marktflecken (oppidum) entwickelte und 1259 Stadtrecht erhielt 9 ). -

Nicht die ganze Dorffeldmark wurde gerodet und unter Kultur genommen, sondern nur 1/3. Auf Grund von sehr interessanten kartographischen Rekonstruktionen der ältesten Ackerfluren von Lohmen, Oldenstorf und Gr. Breesen, an Hand der alten Karten und Vermessungsregister, konnte Engel feststellen, daß die Bewohner der deutschen Angerdörfer den eigentlichen Acker in einem Großgewann mit lang durchlaufenden


8) A. o. O. S. 31, 33.
9) Vgl. in meiner Aufsatzreihe: Quellen und Studien zur Geschichte des mecklenburgischen Bauerntums, Nr. 240 des "Niederdeutschen Beobachters" (11. Jahrgang, 15. Okt. 1935), noch über die Dörfer Leppin, Peetsch, Starsow, Vipperow, Granzin, Qualzow, Gr. Nemerow (Kl. Nemerow), Cölpin, Salow, Gantzkow.
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Ackerstreifen aufteilten. Engel bezeichnet es als "das alte Hufschlagland" mit einer großen Zahl von sehr langen "Hufackerstreifen". Bei dem bei Rostock liegenden Angerdorf Dierkow konnte Engel durch die Angaben einer Urkunde von 1398, die bestätigt wurden durch eine Flurkarte von 1768, dieselben Hufackerstreifen nachweisen. (S. 47ff.) - So konnte ich auch s. Zt. bei der Erforschung der Entwicklung der Feldmark von Burg Stargard an Hand der Stadterhebungsurkunde von 1259 und der alten Flurkarten feststellen, daß der älteste Teil des eigentlichen Ackers aus dem sog. "Hufenfeld" besteht. Es setzt sich zusammen aus den langen, schmalen, durch die ganze Ausdehnung des Hufenfeldes gehenden "Hauptstücken" und den viel kürzeren rechtwinklig dazu verlaufenden "Querkaveln". Diese Querkaveln sind, was Stargard anbetrifft, nicht als "Nebenland" (Überland) bzw. spätere Zurodung anzusehen (Engel S. 82/85), sondern gehören von Anfang an zum Hufenland. Jede alte Stargarder Hufe, deren Größe 8-9 ha betrug, setzte sich zusammen aus einer bestimmten Anzahl von Hauptstücken und Querkaveln. Die Anlage der Querkaveln war durch die Geländeverhältnisse bedingt. -

Die koloniale Flurform (der Hufackerstreifen bzw. Streifenfluren) war nach Ausweis der Flurkarten in Mecklenburg-Strelitz weit verbreitet. (Engel S. 51.) "Die Untersuchung der verschiedenen Streifenfluren ergibt mit Sicherheit, daß sie als ein Produkt der Kolonialzeit aus dem planmäßig, rationalen Geist jener Epoche geboren sind. Ferner ist festzustellen, daß die Streifen ebenso wie die Gewanne Westdeutschlands nur das Ackerland aufteilten, im Gegensatz zu den Hagenhufen, die geradlinig Acker und Weide durchschnitten. Der Acker wurde überall im Flurzwang der Drei- oder Vierfelderwirtschaft bestellt" (S. 52). Engel bezeichnet derartige, in den slawisch besiedelten Gegenden des Landes gelegenen deutsche Streifenfluren als "umgesetzte Slawenorte". Er will damit sagen, daß diese Ackerfluren "im allgemeinen nicht auf Neurodung zurückzuführen sind". Vielmehr "teilte man das vorhandene oder vielleicht mit Gestrüpp bewachsene Ackerland (der Wendendörfer) in lange, schmale Streifen. Da mit einer feststehenden Hufengröße zu rechnen ist, ergab sich aus der Größe der aufgeteilten Ackerfläche zwangsläufig die ungefähre Hufenzahl des neuen deutschen Dorfes." (S. 54.) - Zutreffender wäre übrigens wohl die Bezeichnung: umgesetzte slawische Feld-

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marken. - Bei diesen Feldmarken war ursprünglich nur das Hufenland unter die Bauern als Ackerland verteilt. Die übrige Flur (Weide, Wald) war im Allgemeinbesitz des Dorfes, war Almende. In späteren Zeiten wurden "bei gelegentlichem Bedarf einzelne Kämpe oder Horste gerodet und urbar gemacht und kabelweise an die berechtigten Hüfner vergeben; im Laufe der Zeit wurde auf diese Weise das "Weideland" immer mehr verringert". (S. 82/83.) Diese später kultivierten Kämpe werden vielfach in den Urkunden als "overland" (Überland) bezeichnet, weil es außerhalb des eigentlichen alten Hufenlandes lag.

In den eigentlichen Rodungsdörfern des Urwaldgebietes des nördlichen Mecklenburgs wurde ganz allgemein die Hagenhufeneinteilung angewandt. "Die Hagenhufe verkörperte den Gedanken der langsam beharrlichen Rodungstätigkeit des auf sich selbst gestellten Bauern, während die Streifenflur die optimale Form der genossenschaftlichen Aufteilung einer vorhandenen Ackerfläche darstellte." (S. 55.)

"Die Hagenhufe (Hägerhufe) ist ihrem Wesen nach im allgemeinen an langgestreckte, wenigstens annähernd gradlinige Reihendörfer gebunden. Im Dobbertiner Gebiet findet sich diese Regel in Alt- und Nienhagen und Gerdshagen bestätigt." (S. 56.) - Wenn heutzutage vielfach die Hagenhufenstreifen die Dorfstraße überqueren und sich somit vorwärts und auch rückwärts der Gehöfte erstrecken, so konnte Engel bei Gerdshagen nachweisen, "daß diese doppelseitige Erstreckung der Hufen auf jüngere Flurerweiterungen zurückzuführen ist und die alten Hufen nur an einer Seite der Straße gelegen hatten". (S. 58.) An Hand alter Flurkarten, Vermessungsregister, durch Nachmessungen und Berechnung der mecklenburgischen Hufengröße kam Engel zu dem Ergebnis, daß wohl alle Hagenorte in der Kolonisationszeit nach dem einseitigen Schema angelegt seien, daß also "die Hufe vom Gehöft aus sich nur in einer Richtung erstreckte, während der zweite Flurabschnitt als später gerodetes Ödland anzusehen ist". (S. 58.)

In den wendisch gebliebenen Siedlungen, es sind das die reinen Kossätendörfer, erstarrte "die alte Feldgraswirtschaft zu einer Form, die als regellose Gewannflur zu bezeichnen ist". (S. 55.) Eine Trennung von Acker und ewiger Weide scheint nicht bestanden zu haben. "Je nach Bedarf

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wurden Flächen des weiten Ödlandes umgebrochen, und diese in separierten Kabeln oder in gewannähnlichen Blöcken in Gebrauch genommen." (S. 88/89.)

Neben dem Kloster Dobbertin waren in dem Krakow-Dobbertiner Gebiet als Kolonisatoren auch Ritter (die Dessins, Linstows, Weltziens usw.) aufgetreten. Aber ihr Besitz war in der Regel im Mittelalter noch Streubesitz. Erst im 16. Jahrhundert begegnen die ersten Ansätze, den Besitz abzurunden, z. T. durch Legen von Bauern. So enthält das Landbederegister von 1554 bei Kl. Tessin die Bemerkung: Christoffer Dessin hat den buren ludt der alten Register 4 huwen abgenommen undt zu seinem Buwhaven geleget." "In Samnit sind 1441 19 Hufen und 4 Katen, 1540 10 Hufen und 13 Katen vorhanden, so daß 9 Hufner von dem Geschlecht der Weltzien zu Kossäten herabgedrückt zu sein scheinen." (S. 59/60)

Hingegen verpachtete das Kloster Dobbertin noch 1561 eine wüste Feldmark und Hofacker an Bauern, ja man bemühte sich, die Bauern mit allen Mitteln auf ihren Stellen zu halten, lieferte ihnen die Hofwehr und suchte sogar die Zahl der Bauern Zu vergrößern, um höhere Pachteinnahmen zu erzielen. Bis zum 17. Jahrhundert hat das Kloster "nirgends den Versuch gemacht, Gutsbetriebe an die Stelle von Bauerndörfern zu setzen". (S. 60.) Und doch hatte Sich, wohl seit dem 15. Jahrhundert, auch die soziale und rechtliche Lage der Dobbertiner Klosterbauern verschlechtert. Sie wurden als "Untertanen" und schon 1556 als "Pflugdienste" bezeichnet". (S. 65.) Die seit dem 16. Jahrhundert gesteigerten Hofdienste hatten eine Steigerung des Zugviehbestandes und eine Vermehrung des Gesindes als Folge. - Um 1698 mußten die Bauern in der Regel vier Tage mit Gespann und einen mit der Hand dienen. - "Die einzelnen Bauernstellen wurden also seit dem Dreißigjährigen Kriege mit einer stets wachsenden Menge toten Kapitals belastet." (S. 109.) Eine Abgabenfreiheit für die Schulzenhufe oder irgendwelche sonstigen Privilegien scheinen die Freischulzen des Untersuchungsgebietes schon im 16. Jahrhundert nicht mehr besessen zu habend (S. 65.) Ihre Freiheit von den Pflugdiensten wurde nach dem Dreißigjährigen Kriege aufgehoben.

Über die Seßhaftigkeit der Bauern stellt auch Engel eingehende Untersuchungen an, die sich besonders auf

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das Dorf Lohmen erstrecken. Dort bleiben von 1540 bis 1630 nur drei Höfe von 16 in Hand derselben Familie. "Beim Tode oder bei Absetzung eines Hüfners wird in der Mehrzahl der Fälle (56,5 %) die Bauernstelle nicht an dessen Sohn vererbt, sondern einem fremden Hauswirt zur Bewirtschaftung überlassen" . . . "Von einer wirklichen Seßhaftigkeit der einzelnen Familien auf angestammten Hufen kann . . . nur noch in sehr wenigen Ausnahmefällen die Rede sein." Einen eigentlichen triftigen Grund für diese außerordentlich geringe Seßhaftigkeit vermag Engel nicht anzugeben. selbst wenn in manchen Fällen der Wechsel durch "Einheirat" eines fremden Bauern gemildert wäre, so bliebe doch zu fragen, weshalb die zunächst erbberechtigten Söhne den Hof nicht übernehmen. "Vielleicht haben grundherrliche Eingriffe mit Schuld an den labilen Besitzverhältnissen." (S. 67.) Auch die übrigen Dörfer des Gebietes werden untersucht. Engel kommt zu folgendem Ergebnis: Die geringste Seßhaftigkeit weist anscheinend das 15. Jahrhundert auf, auch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der Wechsel noch außerordentlich stark, in der zweiten Hälfte scheint sich die Seßhaftigkeit zu steigern. Dieses und die Vergrößerung der Gesindezahl sprechen für den wachsenden Wohlstand der ländlichen Bevölkerung im Laufe des 16. Jahrhunderts. (S.72.)

Auch für die bäuerlichen Verhältnisse des Krakow-Dobbertiner Gebietes bedeutete das Jahr 1637 in jeder Beziehung die Katastrophe. "In diesem Jahre wurden alle Orte ausgeplündert und verwüstet, die meisten Bauernstellen wurden von ihren Wirten verlassen." (S. 97.) Gewiß die Verschlechterung der Verhältnisse war im Keim schon vor dem Dreißigjährigen Kriege angebahnt. Aber, "wenn die vor dem Kriege noch überall vorhandene gesunde Kraft des Bauerntums nicht so plötzlich zerschlagen worden wäre, hätte eine folgerichtige Entwicklung durchaus zu einer gesunden Synthese zwischen dem bäuerlichen Beharrungsvermögen und den gutsherrlichen Bestrebungen der Ritter und Klosterherrschaft führen können", bemerkt Engel (S. 98). 143 besetzte Bauern- und Kossätenstellen waren vor dem großen Kriege in 13 Dörfern vorhanden. 1649 lebten dort insgesamt nur 35 "Bauleute". "Bis 1720 war deren Zahl erst wieder auf 44 gestiegen, um sich später kaum noch zu vermehren." (S. 99.) Auch hier war es zum weitaus überwiegenden Teil die alteingesessene Bevölkerung, die die Wieder-

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aufbauarbeit leistete! - Das Kloster Dobbertin besaß ursprünglich nur einen Bauhof, den zu Dobbertin. Zwischen 1441 und 1540 kam Hof Kogel hinzu. Der dritte Hof, Neuhof, der 1540 bestand, ist höchstwahrscheinlich durch Waldrodung entstanden. (S. 60.) Bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg fing die Klosterverwaltung an, einzelne Höfe zu verpachten. - Im Anfang des 18. Jahrhunderts legte das Kloster drei weitere Höfe noch in wüsten Ortschaften (Jellen und Kleesten) oder im Waldgebiet (Spendin) an. "Seit der Mitte des Jahrhunderts ging man jedoch dazu über, auch Bauerndörfer in Höfe umzuwandeln und griff nun ebenfalls zu dem System des Bauernlegens, wie es die ritterschaftlichen Grundherrn schon um 1600 angewendet hatten. Aber doch ist ein großer Unterschied festzustellen, "die Bauern wurden nicht, wie es in der Ritterschaft üblich war, zu besitzlosen Katenleuten degradiert, sondern sie blieben Hofbesitzer und wurden nur in ein anderes Dorf versetzt. (S. 103.) "Wenn - - noch bis heute eine Anzahl reiner Bauerndörfer im Untersuchungsgebiet vorhanden sind, so ist dieses auf konservierenden Einfluß der Klosterherrschaft zurückzuführen, während der Adel seine Besitzungen längst in Gutsherrschaften umgewandelt hatte." (S. 42.)

Über Zeitpunkt und Umstände, unter denen die ritterschaftlichen Bauernhufen zum Hofland geschlagen wurden, versagen die Quellen meist völlig. "Schließlich hatten die wenigen noch vorhandenen Bauern nur noch die kümmerlichsten oder doch ganz geringe Teile der Feldmark im Besitz, die zum Teil nicht größer waren als die Kossäten-Äcker in Bauerndörfern. Trotz aller Drangsalierung konnten sich in manchen Orten (Woserin und Schlowe) noch bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts Reste des selbständigen Bauernstandes erhalten. Bis 1800 jedoch waren auch diese wenigen Bauernstellen rücksichtslos von den ritterschaftlichen Grundherrn gelegt worden, die Besitzer enteignet und zu Tagelöhnern gemacht 10 ): In Woserin waren 1776 noch vier Vollbauern vorhanden. In diesem Jahre wurde der erste Bauer gelegt und zum Schweinehirten gemacht: 1778


10) Diese Darstellung bezieht sich nur auf Woserin und Schlowe. Über die Schicksale der ritterschaftlichen Bauern in Kirch-Kogel und Reimershagen vgl. S. 126.
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wurden zwei weitere gelegt, der eine starb und seine Frau "nährt sich kümmerlich", der andere wurde "Tobacks Planteur". Der letzte Bauer wurde 1784 gelegt - - -. Auf diese Weise wurden binnen kurzem die letzten Reste des selbständigen Bauernstandes (in Woserin) durch die Ritter vernichtet. - - -Das Dorf Schlowe, das im 18. Jahrhundert eine Pertinenz von Woserin war, verlor durch Bauernlegen allmählich eine Hufe nach der andern - - -. Als 1801 Woserin und Schlowe für das Domanium angekauft wurden, war durch Bauernlegen das ganze Dorf bis auf ein altes Bauernhaus und einen Katen verschwunden. Heute dehnen sich an Stelle des ehemaligen Dorfes weite Kiefernforsten aus." (S. 105/106.)

Die Vermessung des Dobbertiner Klostergebietes erfolgte 1728, 1832/33 die Separation und 1836-40 die Vererbpachtung in den Klosterdörfern. "Auf den ritterschaftlichen Besitzungen suchte man möglichst eine Vererbpachtung zu vermeiden, so daß 1890 im ganzen Untersuchungsgebiet erst ein ritterschaftlicher Erbpächter gegenüber vier Zeitpächtern vorhanden war. Auch die Hauswirtsstellen in Kirch-Kogel wurden erst nach dem 1878 erfolgten Ankauf des Gutes durch das Kloster in Erbpacht gegeben. Wenn auch das Legen der Bauern um die Mitte des (19.) Jahrhunderts nicht mehr möglich war, so pflegten doch die Grundherrschaften nach Belieben mit dem Bauernacker zu verfahren." (S. 126.) Er wurde einfach auf den schlechteren Ackerboden der Gutsfeldmark verlegt, das war um 1850 in Kirch-Kogel und 1862 in Reimershagen der Fall!!

Bei der Regulierung und Vererbpachtung in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde durch die Dobbertiner Klosterverwaltung den sechs Hauswirten in Gr. Breesen ihr Acker genommen und zum Gutsbezirk gemacht. Ein Hauswirt erhielt eine Stelle in Altenhagen, vier bekamen Höfe in Mestlin, der Schulze ging aufs Altenteil. "Freiwillig werden die Bauern diesen Maßnahmen wohl kaum zugestimmt haben, offiziell aber gaben sie zu allem ihre Unterschrift her. Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß das Kloster trotz Bauernbefreiung und neuzeitlicher Gesetzgebung noch im 19. Jahrhundert nach Belieben mit seinen Untertanen verfahren und aus Bauerndörfern Gutsbetriebe machen konnte." (S. 126.)

"Als besondere und für Sandgebiete charakteristische Form der Gutswirtschaft entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert

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die Pflege der Kiefernforsten. - - - Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Verödung der Dörfer des Heidegebietes, die schon mit dem Wüstwerden von Schwinz, Langkavel und Werle begonnen hatte und durch den Dreißigjährigen Krieg und seine Nachwirkungen zum Abschluß gebracht wurde." (S. 106.) Teile der Feldmark von Kleesten und die von Kläden wurden im 18. Jahrhundert Forstgebiet. "Hier (in Kläden) begegnen wir zum ersten Male den "Forsthof" als Wirtschafts-Verwaltungszentrum eines größeren Areals Wald und Ödland; eine Einrichtung, die später für das ganze Krakow-Dobbertiner Gebiet von hervorragender Bedeutung werden sollte." (S. 107.) In dem Maße, wie der Wert des Kiefernholzes stieg, ging man noch im 18. Jahrhundert von "regellosem Plänterbetrieb zur geordneten Schlagwirtschaft über". (S. 107.) In den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde der Forsthof Schwinz angelegt, 1801 der Forsthof Schlowe. (S. 107, 121.)

So entstand "neben den Gutshöfen eine zweite Gruppe von Großbetrieben." (S. 108.) Und damit entwickelte sich allmählich der Beruf des gelernten Forstarbeiters. "Der Wendenzeit entsprach die Beackerung des Sandgebietes im Kleinbetrieb, der Neuzeit die großzügig forstwirtschaftliche Nutzung." (S. 109.) Wobei zu bedenken ist, daß "manche Flächen, die ehemals wegen einer dünnen, den Sand überlagernden Lehmdecke als fruchtbar galten, heute infolge dauernder Bewirtschaftung ohne genügende Regeneration des Bodens als reine Sandgebiete anzusehen sind". (S. 9.)

Bei dem "Gutshof" Neu Samnit z. B. überwiegt heute bei weitem die forstwirtschaftliche Nutzung. Im ganzen Krakow-Dobbertiner Gebiet gibt es heutzutage "keine einzige Feldmark mehr, die nicht ein mehr oder minder großes Areal Kiefernwald umschließt". (S. 121.)

Seit dem 18. Jahrhundert wurde der von Natur aus vorhandene Mischwald beseitigt. Das hat leider die große Eintönigkeit, die dem Wanderer überall, insbesondere aber in der Schwinzer Heide, begegnet und die großen Forstschäden durch den Kiefernspanner als Folge gehabt.

Auf Seite 118/119 bringt Engel sehr interessante Zusammenstellungen über die Bevölkerungsverhältnisse von je drei Bauerndörfern und Gütern an Hand der Kaiserbede von 1496, der

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Untertanenliste von 1800 und der Volkszählunglisten von 1819, 1875, 1910 und 1925. In den Bauerndörfern hat sich seit 1496 die Einwohnerzahl im Jahre 1925 verdoppelt, sie hat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr starke Zunahme erfahren, ist aber schon von 1875 an im Rückgang begriffen. Die Nachkriegszeit brachte allmählich eine Erhöhung der Einwohnerzahl, ohne bis 1925 den Stand von 1819 zu erreichen. Die allgemeine Volksdichte jenes ländlichen Gebiets mit 13,7 Personen auf dem Quadratkilometer ist eine äußerst geringe. (Reichsdurchschnitt 120!) - "Während sich die Hufenzahl seit 1496 beträchtlich verringert hatte, war die Gesamteinwohnerzahl der einzelnen Dörfer seit dem Dreißigjährigen Kriege in starkem Ansteigen begriffen." (S. 109.) "Noch bis 1700 waren im Wesentlichen nur die alten amtssässigen Familien festzustellen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts taucht mit dem Überhandnehmen der Einlieger, Handwerker usw. eine ganze Anzahl neuer Familiennamen in den Registern auf." (S. 109/110.) Eine soziale Umschichtung hatte stattgefunden. Die Hufner traten an Zahl stark zurück, die Hauptmasse der Bewohner bestand nun aus Einliegern, Katenleuten und Gesinde. Und dadurch, daß die meisten Erbpächter, also der wohlhabende Teil der Bevölkerung, ausgebaut wurden, trat auch etwa seit 1850 eine starke Veränderung des Dorfbildes ein. Es nahm "einen immer ärmlicheren Charakter an". "Welch ein Unterschied zwischen Dobbin, wo die kümmerliche Katen der Einlieger eng an die Straße drängen, und Oldenstorf, das mit seinen 5 großräumigen Bauernhöfen mit strohgedeckten Häusern und Scheunen noch einen Eindruck altmecklenburgischer Bauernkultur zugeben vermag!"

"Seit 1929 findet sich auch im Untersuchungsgebiet ein Beispiel der rückläufigen Bestrebung, den Großgrundbesitz wie er in Bauernland umzuwandeln. Das Gut Suckwitz wurde bis auf einen kleinen Rest aufgeteilt , und auf den Einzelparzellen von etwa 15 ha siedelte man 25 Familien Wolgadeutsche an, die noch heute neben russisch ein unverfälschtes Schwäbisch sprechen." (S. 128.)

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In einem besonderen Anhang untersucht Engel den für Aufbau und Einteilung der bäuerlichen Siedlungen grundlegenden Begriff der Hufe , einschließlich ihrer Arten und Größenverhältnisse. Es war hierüber bislang in der Forschung keine Klarheit erzielt worden. Drei verschiedene Auffassungen begegnen über die Hufe:

  1. bloße Steuerrechnungseinheit,
  2. Bonitierungsbegriff,
  3. festes Flächenmaß.

Die Hufe zerfällt in Morgen. Zunächst stellt Engel in Anlehnung an Ihde (Amt Schwerin) und auf Grund weiterer Quellenstellen (Dörfer des Amtes Doberan und des Klosters Ribnitz) fest, daß der Morgen ein reines Flächenmaß, kein Bonitierungsbegriff ist. Er wird auch bei der Flächenangabe von Wald und Wasser angewandt. Das Verhältnis zwischen Morgen und Hufe ist nach Ausweis der Quellen im Norden ein anderes als in der Mitte und im Süden von Mecklenburg. Im Norden galt der Rostocker Morgen zu 240 Quadratruten, es umfaßte hier die Hufe 40 Morgen, in den andern Gegenden zählte der Morgen 300 Quadratruten, hier enthielt die Hufe 32 Morgen.

Auch die Hufe ist ein festes Ackermaß. "Es ergibt sich also die Wahrscheinlichkeit, daß in ganz Mecklenburg im 16. Jahrhundert nach einer einheitlichen Landhufengröße von 9600 Quadratruten = 20,8 ha gerechnet wurde." (S.141, vgl. S.73.)

Diese mehr theoretisch festgestellte Wahrscheinlichkeit erhob Engel zur Sicherheit durch den Gang in die Praxis, in dem er umfangreiche Flächenberechnungen bzw. Nachmessungen vornahm. Ausgangspunkt waren die Feldmarken der umgesetzten wendischen Dörfer mit ihren Streifenfluren. Er erkannte, daß hier die mittelalterlichen Hufenangaben sich nicht um die Gesamtfeldmark, sondern nur auf das permanente Ackerland, und zwar auf den ältesten Teil, auf das Hufenschlagland mit seinen langen schmalen Streifen, beziehen konnten. Es ergab sich, daß die Größe der gewöhnlichen mecklenburgischen Landhufe, die 1 Mark zur einfachen Land-

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bede zahlte, in 5 Orten seines Untersuchungsgebietes 20,5 bis 21,2 ha, die gewollte Norm also gleichfalls rund 20,8 ha, betrug.

Im 15. Jahrhundert begegnet aber eine kleine Hufe zu 4800 Quadratruten = 10,4 ha, von denen später verschiedentlich zwei zu einer gewöhnlichen Landhufe zusammengefaßt wurden. Diese Kleinhufe begegnet in Ortschaften, die, hinsichtlich ihrer Bevölkerung, ihren slawischen Charakter beibehielten, aber eine deutsche Hufenverfassung erhielten. "Dieselbe Kleinhufe konnte Ahlers (Das bäuerliche Hufenwesen in Mecklenburg zur Zeit des Mittelalters, Jahrb. d. Vereins für meckl. Geschichte 51 (1886) S. 9l/92) auf mehreren Stadtfeldmarken feststellen. Sie entsprach offenbar der slawischen Hakenhufe, die in Pommern 9,8 ha enthält." (S. 153.) - In Burg Stargard betrug die Größe der alten (Klein-) Hufe, wie schon erwähnt, 8 bis 9 ha in jüngerer Zeit (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) wurden vier alte Hufen zu einer Hufe zusammengefaßt und als solche bezeichnet.

Während in den bisher behandelten Fällen die Hufe nur Ackerland umfaßte, schließt die Hagenhufe sämtliches Land des Hufners, Acker und Weide, ein". (S. 148.) Hier wurde, "der Methode der Kolonisten folgend, - - die Hufengröße durch Nachmessung der Länge und Breite ermittelt". (S. 148.) Es stellte sich heraus, daß die Hufengröße zwischen 20,8 und 22,98 ha schwankte. Als beabsichtigte Norm nimmt Engel die Größe der Hagenhufe mit 20,8 ha an. - Engel kommt zu folgendem zusammenfassenden Ergebnis hinsichtlich der Entwicklung des Hufenwesens. "In der Kolonisationszeit gab es nur zwei Hufenarten, die wendische und die deutsche. Die wendische Hufe von 10,4 ha, auch Hakenhufe genannt, kam in slawischen Orten zur Anwendung, deren Fluraufteilung ohne Neuorganisation durch Kolonisten zur unregelmäßigen Gewannflur erstarrte. Wohl aus wirtschaftlichen Gründen (Sandboden, slawische Wirtschaftsformen, S. 155) zahlte sie meist geringe Bede. Andererseits wurde diese Hufe auch in Kolonistendörfern mit Hufenacker und in Städten vermessen, zahlte hier aber die volle Bede von 1 Mark. Die deutsche Hufe, auch als Hagen- oder Landhufe bezeichnet, von 20,8 ha war in allen Hagenorten mit Rodungsfluren in Gebrauch. Möglicherweise ist sie auch in

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manchen umgesetzten Slawenorten (z. B. Oldenstorf und Ruest) zur Anwendung gelangt, dürfte aber in der älteren Zeit auf Rodungsfluren beschränkt gewesen sein." (S. 154.) "Die slawische und die deutsche Hufe in Mecklenburg sind nur scheinbar, nicht in der Wirtschaftsgröße, verschieden. Beide Hufenarten haben, wie sich aus der wirtschaftlichen Stellung des Hufenackers ergibt, im Prinzip ungefähr gleich große Ackerflächen." (S. 155.) - Die Weideflächen lagen bei der Hagenhufe bei der Hufe, waren in diese mit einbegriffen, bei der gewöhnlichen Hufe gehörten sie mit zur Almende der Dorfschaft. - Bei verschiedenen Ortschaften ist im Laufe der Zeit eine Herabminderung der Gesamthufenzahl auf die Hälfte eingetreten. "Angleichung der wendischen an die deutsche Hufengröße wie in Lohmen; andererseits wird eine Heraufsetzung der Hagenhufengröße auf 41,6 ha wie in Altenhagen und Mönchhagen bewirkt. In dem letzteren Fall dürfte diese Veränderung dadurch notwendig geworden sein, daß wohl in den meisten Hagendörfern durch Urbarmachung von Overland die Hufe illegal auf diesen hohen Betrag angewachsen waren." (S. 155.)

Demnach sind seit dem 15. Jahrhundert drei Hufenarten zu unterscheiden:

  1. die alte Hakenhufe zu 10,4 ha,
  2. die Landhufe (die frühere Hagenhufe) zu 20,8 ha,
  3. die Hagen-Großhufe zu 41,6 ha.

"Durch die fortgesetzten Zurodungen von Ackerland mußte die alte Hufenberechnung immer mehr gegenstandslos werden. - - - Die Angabe der Hufenzahl und Hufengröße gibt also keineswegs die Möglichkeit, den wirklichen Ackerbesitz eines Bauern zu errechnen. - - Die Hufenrechnung verlor infolge des Dreißigjährigen Krieges jegliche praktische Bedeutung. Man legte nun nicht mehr bestimmte Abschnitte der Flur, sondern die Gesamtfeldmark, der Nachmessung zu Grunde und kam infolgedessen zu der Annahme, die alten mecklenburgischen Hufen seien 19,5, 39 und 78 ha groß gewesen." (S. 155.) Eine gründliche Reform des Hufenwesens wurde immer mehr zur Notwendigkeit. Diese kam durch die Neuvermessung des Domaniums 1701 ff., des Dobbertiner Klostergebietes von 1728 und des Gebietes der Ritterschaft um 1755 ff. Die Hufe war nun nicht mehr ein Flächenmaß, "sondern ihre Größe wurde

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durch die Menge der fiktiven Aussaat bestimmt. Auf eine Hufe entfiel also überall die gleiche fiktive Aussaatmenge, ihre Fläche war jedoch stets verschieden" - - Ein Vergleich der Hufen des Mittelalters mit den bonitierten Hufen des 18. Jahrhunderts zeigt die Widersinnigkeit der Annahme, daß auch im Mittelalter die Bonität für die Hufengröße ausschlaggebend war." (S. 156.)

 

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VI.

Hundert Jahre
des Mecklenburgischen
Geschichts- und Altertumsvereins.

Ein Rückblick
auf der Festsitzung am 22. Juni 1935

von

Friedrich Stuhr.

 

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Hochansehnliche Festversammlung!

Die heutige Feier ist ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte unseres Vereins. Hundert Jahre sind vor kurzem verstrichen, seit ein Mann von hohen Fähigkeiten den Verein ins Leben gerufen hat. Nicht immer ist der Weg des Vereins eben und bequem gewesen. Auf lange Zeiten erfolgreicher Tätigkeit sind solche gefolgt, in denen das Interesse für die Vereinsarbeiten unter äußeren Einflüssen geringer wurde. Aber immer haben sich wieder Männer gefunden, die dem Verein neue Lebenskraft und neuen Antrieb gegeben haben. So können wir frohen Herzens diesen Gedenktag begehen. Wir wollen uns in dankbarer Anerkennung der Leistungen vergangener Generationen das Werden, Wachsen und Wirken des Vereins ins Gedächtnis zurückrufen und dann mit frischem Mut an die neuen Aufgaben des zweiten Jahrhunderts herangehen.

Die Beschäftigung mit mecklenburgischer Geschichte ist sehr alt. Jahrhundertelang waren es Einzelforscher, die sich mit ihr befaßten. Schon 1378 begann Ernst von Kirchberg seine berühmte Reimchronik zu schreiben. Im Anfange des 16. Jahrhunderts verfaßte Albert Krantz seine "Vandalia". Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erschien Westphalens Quellensammlung der "Monumenta inedita", die viel Mecklenburgisches enthalten, erschienen Klüvers Beschreibung des Herzogtums Mecklenburg, Dietrich Schröders Papistisches und Francks Altes und Neues Mecklenburg. Von 1780 ab arbeitete Rudloff an seinem epochemachenden pragmatischen Handbuch der mecklenburgischen Geschichte. Alle diese Werke haben ihrer

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Zeit völlig genügt und manche von ihnen darüber hinaus bis auf die Gegenwart einen nicht unbeträchtlichen Wert behalten.

Viel später begannen die Versuche, sich in Vereinen zusammenzuschließen und gemeinsam an die Erforschung der Heimatgeschichte heranzugehen. In Mecklenburg ist ein solcher Versuch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unternommen. Der Hofrat Bouchholtz gründete 1777 mit 14 anderen eine "Gesellschaft der für das Vaterland Beflissenen", wie man sie in der damaligen Ausdrucksweise benannte. Man wollte ein "Diplomatarium Meclenburgicum" herausgeben, also ein Urkundenbuch, und darin das in den verschiedenen Druckwerken zerstreute und in den Schränken der Städte und Privatpersonen verborgene Material sammeln und veröffentlichen. Vom Herzog wünschte man einen Vorschuß zur Beschaffung einer Handbücherei. Die um ihren Rat befragte Regierung hatte kein rechtes Vertrauen zu dem Unternehmen. Sie erkannte zwar die gute Absicht bei Bouchholtz an, meinte jedoch, daß einem Teile der Mitglieder neben ihrem Beruf die nötige Zeit und einem andern die volle Fähigkeit zur Durchführung des Planes fehle. So wurde es nichts mit dem Vorschuß, und damit fiel der schöne Plan ins Wasser.

Das ausgehende 18. Jahrhundert und die beiden ersten Jahrzehnte des 19. kennzeichnen sich durch Müdigkeit und Interesselosigkeit auf dem Gebiete der Geschichtsforschung. Es kam die französische Revolution mit ihren auf den Umsturz des Bestehenden gerichteten Zielen, es kamen die Jahre der Fremdherrschaft und der tiefen Erniedrigung für Deutschland. "Wer hatte da Lust", so urteilt ein neuerer Schriftsteller, "dem Werden der Nationen nachzugehen, solange sie mit Vernichtung bedroht waren? Wer konnte hoffen, geschichtliche Wahrheit zu ergründen, solange der geschworene Feind der Wahrheit das Szepter führte?" Erst als der Befreiungskrieg dem Volke neue Hoffnung eingeflößt und der Wiener Kongreß die staatliche Ordnung einigermaßen wiederhergestellt hatte, war der Boden für historische Studien bereitet. Und demselben Manne, der sich um Preußen und Deutschland unsterbliche Verdienste erworben hat, dem Freiherrn vom Stein, verdankt auch die deutsche Geschichtswissenschaft neuen Ansporn und neue Richtlinien. Er schrieb 1818 an den Fürstbischof von Hildesheim: "Seit meinem Zurücktreten aus den öffentlichen Verhältnissen" - das war seit Ende Mai 1815 - "beschäftigte mich der

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Wunsch, den Geschmack an deutscher Geschichte zu beleben und hiedurch die Liebe zum gemeinsamen Vaterland und das Gedächtnis unserer großen Vorfahren zu erhalten. Meine Absicht war auch, dahin zu wirken, daß die zerstreuten vielen Urkundenschätze sorgfältig gesammelt und gegen den Untergang bewahrt würden". So gründete er 1819 in Frankfurt a. M. die "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde". Sie hat in den "Monumenta Germaniae historica" das quellenmäßige Rüstzeug für die Erforschung des deutschen Mittelalters geliefert und liefert es in immer neuen Veröffentlichungen noch jetzt.

Nach dem Muster dieser Gesellschaft und mit dem Zweck, ihre Arbeiten vorzubereiten und zu ergänzen, entstanden nun seit 1820 in den deutschen Gauen Geschichtsvereine, zuerst in Süd-, dann weiter fortschreitend auch in Mittel- und Norddeutschland. Der deutsche Historiker hatte es als seine hauptsächliche Aufgabe erkannt, die Vergangenheit des eigenen Volkes zu ergründen und die Großtaten der Vorfahren den nachfolgenden Geschlechtern vorzuführen.

In unserer Nachbarschaft wurden 1824 die Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde und 1833 die für Schleswig-Holsteinische Geschichte gegründet. Unser Mecklenburgischer Verein ist nur wenig jünger. Sein Gründer ist unser Altmeister Friedrich Lisch, ein Mann von genialer Begabung, ungewöhnlicher Tatkraft und großem Scharfblick. Er ist 1801 in Alt Strelitz geboren und hat in Rostock und Berlin Theologie und Geschichte studiert. 1827 kam er als Kandidat der Theologie an das Schweriner Gymnasium. Aber bald nahmen ihn historische Studien ganz gefangen, und deren Ergebnisse hatten zur Folge, daß Großherzog Friedrich Franz I. ihn 1834 an das Geheime und Haupt-Archiv berief. Das Archiv war von seinen Vorgängern, Evers Vater und Sohn, neu geordnet. Zu einer wissenschaftlichen Erschließung des ihnen anvertrauten Materials waren aber beide - wenn man von der trefflichen "Münzverfassung" des älteren Evers absieht - wenig gekommen. Lisch erkannte sofort, daß hier seine Lebensaufgabe lag, und mit seiner ganzen Kraft und Begeisterung machte er sich an die Arbeit. Schon am 18. Oktober 1834 erließen er und sein treuer Gefolgsmann Pastor Bartsch zu Sachsenberg, der spätere Schweriner Domprediger, Einladungen zur Gründung eines Geschichtsvereins. Sie hatten den erfreulichen Erfolg, daß sich 46 Personen als

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Helfer und Mitglieder anschlossen. Lisch und Bartsch arbeiteten dann eine Satzung aus, die sich durch knappe Fassung und Klarheit auszeichnete. Am 22. April 1835 fand die erste Generalversammlung und damit die feierliche Eröffnung des Vereins im Kirchnerschen Gasthof zu Schwerin statt. Manche von Ihnen werden nicht erinnern, wo er lag. Er befand sich in dem zurückgebauten Hause schräge gegenüber dem Neustädter Palais.

Zuvor hatte Bartsch im "Freimüthigen Abendblatt" auf die Versammlung hingewiesen und erklärt: "Der Verein gründet sich auf eine weit verbreitete Teilnahme im Vaterlande; je allgemeiner diese ist, desto tiefer schlägt er seine Wurzeln, desto kräftiger wird sein Wachstum, desto reicher seine Fruchternte sein." Es sind das treffliche Worte - auch jetzt noch beachtenswert. Wer sein altes gutes Land Mecklenburg liebt und sich darin wohl fühlt, der sollte die Mitgliedschaft erwerben. Er hat dann das stolze Bewußtsein, an seinem Teil mitzuarbeiten an den patriotischen Aufgaben, die sich der Verein gestellt hat. Und worin bestanden diese nach der alten Satzung?

Freunde und Beförderer der Vaterlandskunde wollten sich gegenseitig bei ihren Forschungen unterstützen und den Sinn für Vaterlandskunde in das Volk hineintragen. Der besondere Zweck des Vereins war, durch Sammlung der historischen Denkmale Mecklenburgs seine Geschichte nach allen Seiten zu erforschen und in Einzelschriften und Übersichten darzustellen. Geschichte, Recht, Sprache, Altertümer und manches andere sollten bearbeitet werden.

Der 22. April 1835 ist der eigentliche Geburtstag des Vereins. Später galt als Gründungstag der 24. April 1835, an dem Großherzog Friedrich Franz I. auf eine 50jährige Regierung zurückblicken konnte. Wir wollten in diesem Jahr auch im April feiern, haben aber leider noch kurz vorher die Feier um zwei Monate verschieben müssen.

Im Sommer 1835 siedelte das Archiv aus dem Schloß in das neue Kollegiengebäude über. Dadurch wurde im Schloß die sogenannte Hofdornitz, der alte Festsaal der Burg mit dem wundervollen Renaissancegewölbe, zu anderer Verwendung frei. Das Wort Dornitz ist, um das hier zu erwähnen, wahrscheinlich slavischen Ursprungs. Man bezeichnete damit in alter Zeit heizbare Prunkräume in Burgen und Rathäusern. Das Wort lebt noch jetzt in der Bezeichnung "Dönsk" für den geheizten

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Raum in Bauernhäusern im Gegensatz zu den ungeheizten Gemächern fort.

Die Hofdornitz bestand ursprünglich aus einem großen Saal, von dem später nach der Kirche zu zwei kleine Zimmer für den Archivar und die Urkunden abgetrennt waren, Der Großherzog überwies sie nun dem Verein, der damit eine ideale Unterkunft für seine Sammlungen und Zusammenkünfte erhielt.

Aber auch sonst erfuhr der junge Verein mannigfache Förderung. Er durfte das Archiv benutzen, ohne zuvor in jedem einzelnen Fall die übliche Genehmigung eingeholt zu haben; er durfte auch seine Arbeiten ohne zuvorige Zensur drucken lassen. Das waren damals ungewöhnliche Zugeständnisse.

1836 erschien das erste Jahrbuch, das wir ausgelegt haben. In berechtigtem Stolz schrieb Lisch dazu: "Was hier geboten wird, ist nicht allein neu dargestellt, sondern ist, mit sehr geringen Ausnahmen, ganz neu an Material, zum großen Teil völlig unbekannt und unmittelbar aus den reichen Quellen unserer Archive geschöpft." Und als eine wertvolle Gabe wurde das Buch auch gewürdigt. Bereits 295 ordentliche Mitglieder aus beiden Mecklenburg waren vorhanden, darunter nicht wenige aus dem Strelitzer Lande.

In der Folgezeit entwickelte sich nun der Geschichtsverein immer mehr. Die Seele des Ganzen war und blieb bis in sein hohes Alter Lisch. Von ihm stammen außerordentlich viele wertvolle Aufsätze in den Jahrbüchern und die ersten wissenschaftlich brauchbaren Urkundensammlungen mit Urkunden der Klöster Dargun und Neukloster und des Bistums Schwerin. Stattlich war die Zahl der Mitarbeiter, die größere Aufsätze beisteuerten, und noch zahlreicher waren die Helfer, die Angaben über vorgeschichtliche Funde, historisch denkwürdige Bauten und ortsgeschichtlich wichtige Ereignisse einsandten. Wenn vorgeschichtliche Funde, Münzen oder andere ähnliche Dinge in die Hände von Privatpersonen gelangten, so war es eine löbliche Gewohnheit, sie dem Geschichtsverein zu überweisen, um einem Verlust derselben vorzubeugen. Durch solche Schenkungen sind viele wertvollen Stücke in unsere vorgeschichtliche Sammlung gekommen, die dadurch ein hohes Ansehen in Deutschland erlangte. Auch einer immer weiteren Ausdehnung seines Tauschverkehrs mit anderen Vereinen wandte der Geschichtsverein seine Aufmerksamkeit zu. Die jüngste Vereinssammlung ist

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die der Bilder. Sie wurde 1844 mit Porträts angesehener Mecklenburger begonnen, aber alsbald zu einer umfassenden Bildersammlung erweitert.

1860 waren nicht weniger als 4000 vorgeschichtliche Stücke, mehr als 6300 Münzen, 3350 Bücher und Zeitschriften und 820 Bilder vorhanden. Gewiß ein Beweis für rege Sammeltätigkeit.

Leider mußte der Verein 1843 sein schönes Lokal im Schloß wegen der bevorstehenden Um- und Neubauten räumen; nur acht Jahre hat er es gehabt. Die Sammlungen kamen nun in ein Haus der Amtstraße, die ehemalige Veterinärschule. Das Haus ist als Großherzogliches Antiquarium bekannt geworden. Die neuen Unterkunftsräume wurden später noch um die Hintergebäude vergrößert, blieben aber stets nur ein Notbehelf.

Es kam das Jahr 1848. Wie ein Gewittersturm ging die Revolution von dem europäischen Unruheherd Frankreich über die deutschen Staaten hinweg, erschütterte die alten Regierungen und brachte die Oppositionsparteien in die Höhe. Neue politische Gedanken beschäftigten die Menschen und lenkten von der Beschäftigung mit der Vergangenheit ab. Damals und fortwirkend in den Jahren 1849-51 haben die deutschen Geschichtsvereine sehr gelitten. Es wird 1849 im Jahrbuch berichtet, daß sich der altmärkische und brandenburgische Verein aufgelöst, von allen preußischen Vereinen nur drei ihre Drucksachen gesandt und alle übrigen, darunter auch der pommersche, ihre Tätigkeit vorübergehend eingestellt hatten. Unser Verein hat die unruhige Zeit besser überstanden. Das regelmäßige Erscheinen der Jahrbücher ist nicht unterbrochen. Nur der Mitgliederstand ist damals stark zurückgegangen. Nachdem die Zahl der ordentlichen Mitglieder von 296 im Jahre 1836 auf 402 im Jahre 1846 gestiegen war, ist sie bis 1854 auf 277 zusammengeschrumpft. In dieser Höhe ist die Mitgliederzahl bis 1879 ziemlich unverändert geblieben.

Eine wichtige Angelegenheit für die deutschen Geschichtsvereine war ihr Zusammenschluß zu gemeinsamer Arbeit. Seit 1842 hatte man sich vergeblich um eine Einigung bemüht. Man hatte sich über die Sonderaufgaben des geplanten Zentralvereins und der Landesvereine nicht einigen können. Da war es wieder Lisch, der eingriff. Auf seine und des Baurats v. Quast Anregung fand im August 1852 in Dresden eine Ver-

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sammlung von Vereinsvertretern unter dem Vorsitz des Prinzen Johann von Sachsen statt. Die Versammlung erkannte die Notwendigkeit der Spezialforschung und die volle Selbständigkeit der Landesvereine an und beschloß dann, alle historischen Vereine Deutschlands zu einem Gesamtverein zusammenzuschließen und ein Korrespondenzblatt als gemeinschaftliches Organ zu gründen. Das wurde ausgeführt. Noch heute besteht der Gesamtverein der deutschen Geschichtsvereine, seit seiner vorletzten Tagung in Königsberg unter der nationalsozialistischen Leitung des Universitätsprofessors Dr. Hoppe in Berlin. Wir gehören dem Gesamtverein seit seiner Gründung an.

Am 24. April 1860 feierte der Verein sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Die Festsitzung fand im großen Saal des Antiquariums bei so starker Beteiligung statt, daß man auch die Nebengemächer hinzuziehen mußte. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Ministerpräsidenten v. Oertzen gab Dr. Beyer einen Überblick über die bisherige Wirksamkeit des Vereins und schilderte dann Lisch die Verdienste des Großherzogs Friedrich Franz I. um die vaterländische Geschichte und Altertumskunde.

Im Anschluß daran beschäftigte man sich mit der Zukunft. Man beriet über den von einer vorbereitenden Kommitte ausgearbeiteten Plan, ein allgemeines Mecklenburgisches Urkundenbuch herauszugeben. Ein solches Werk hielt die Kommitte für dringend nötig. Sie wies auf den reichen Schatz von Urkunden in Mecklenburg hin und auf die vielen mecklenburgischen Stücke, die von den Nachbarländern veröffentlicht seien. So sei an einen Erfolg des Unternehmens nicht zu zweifeln. Der Plan fand den allgemeinen und unbedingten Beifall der Versammlung.

Durch diesen Beschluß ermutigt, wandte sich nun der Verein an die Regierungen zu Schwerin und Neustrelitz und an die Stände mit der Bitte, die nötigen Mittel für das gemeinnützige Werk herzugeben. Der Erfolg war über Erwarten günstig. Schwerin bewilligte jährlich 700 Tlr. für die Redaktion und die Honorare der Mitarbeiter, der Landtag den gleichen Betrag für die Druckkosten, Strelitz allgemein die Kosten für die Bearbeitung des dortigen Materials. Nun konnte man an die Arbeit gehen.

Der Verein bestellte eine wissenschaftliche Kommission, der Lisch als Dirigent, der Oberlehrer, spätere Archivrat Wigger

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als Redakteur für das ganze Werk und Pastor Masch-Demern als Redakteur für Mecklenburg-Strelitz angehörten. Nach dem Arbeitsplan sollte das Urkundenbuch die Zeit bis 1500 umfassen. Da Lisch mit allen möglichen Aufgaben beschäftigt war, so fiel nicht nur die eigentliche Redaktionstätigkeit, sondern alsbald auch die Leitung Friedrich Wigger zu. Es seien daher auch über seinen Entwicklungsgang einige Angaben gemacht. Geboren in Dassow, studierte er Philologie und Geschichte in Göttingen und Berlin und trat nach einigen Jahren der Lehrtätigkeit 1861 in den Archivdienst ein. Er hatte nicht die geniale Veranlagung von Lisch, nicht dessen vortreibende Kraft. Was Wigger auszeichnete, waren die große Sorgsamkeit und der kritische Scharfblick, die bei allen seinen Arbeiten hervortraten. Diese Eigenschaften sind auch besonders dem Urkundenbuch, seinem eigentlichen Lebenswerk, zugute gekommen.

Nach zweijähriger vorbereitender Arbeit erschienen die ersten drei Bände der ersten Abteilung in schneller Folge. Eben war der dritte Band ausgegeben, da geriet am 1. Dezember 1865 das Kollegiengebäude in Brand, wodurch auch das im Archiv aufbewahrte Manuskript zum Urkundenbuch in große Gefahr kam. Es gelang aber, mit den Archivakten auch das Manuskript zu retten, so daß tatsächlich nur ein Aufschub im Erscheinen des vierten Bandes eintrat.

Inzwischen hatte man auch die zweite Abteilung des Urkundenbuchs für die Jahre 1301-1350 vorbereitet und dafür in Mecklenburg und Kopenhagen erfolgreich gearbeitet. Fehlgeschlagen war jedoch ein Versuch, durch Vermittlung des preußischen Legationsrats v. Schlözer aus dem päpstlichen Archive zu Rom neues Material zur Gründungsgeschichte der geistlichen Stiftungen in Mecklenburg zu erlangen.

Die wissenschaftliche Kritik war dem Urkundenbuch durchaus günstig. Auch die Landesuniversität hat es von Anfang an geschätzt. Als 1865 ein historisches Seminar an der Universität gegründet wurde, hat es mehrere Exemplare für die Studien der Studenten erhalten. Auch bei Preisausgaben wies man die Studenten auf die in den Urkundenbüchern geöffneten Quellen hin.

Leider war der Preis, so niedrig er auch gehalten war, doch nicht dazu angetan, zur Verbreitung des Werkes beizutragen. Privatpersonen, besonders in unserm mit Glücks-

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gütern nicht gesegneten Mecklenburg, konnten den Betrag von 5 Tlr. für den Band nur schwer aufbringen. Da beschloß der Verein 1873, annähernd 200 Exemplare von jedem Band aus den Reserven an geistliche und weltliche Behörden unentgeltlich abzugeben. Eine sehr nützliche Maßnahme. Von da ab gab es viele Stellen im Lande, wo die Forscher die Urkunden benutzen konnten: die Ämter, Gerichte, Magistrate, Präposituren u. a. m.

Im Januar 1867 leitete unser Verein noch ein drittes vaterländisches Unternehmen in die Wege. Professor Bartsch in Rostock war auf den Gedanken gekommen, Sagen, Märchen und Gebräuche der Heimat zu sammeln. Er setzte sich mit Lisch in Verbindung und dieser stimmte begeistert zu. Ein, auch im Jahrbuch abgedruckter Aufruf wurde verbreitet. Die Sammlung nahm einen guten Fortgang, wurde aber 1871 durch Bartschs Versetzung nach Heidelberg unterbrochen. Bartsch schrieb an Lisch, daß er die handschriftliche Sammlung als ein "heiliges Vermächtnis aus Mecklenburg" mitnehme und veröffentlichen werde, sobald es ihm die neuen Verhältnisse gestatteten. Er hat Wort gehalten. 1878 und 1880 sind zwei Bände Sagen erschienen.

Von einschneidender Bedeutung für den Verein wurde die zu Ende der 70er Jahre beginnende Abgabe seiner Sammlungen an Großherzogliche Institute. In einem Kabinettsschreiben vom 12. Oktober 1878 teilte Großherzog Friedrich Franz II. dem Verein seinen Wunsch mit, die Vereinsaltertümer mit den eigenen in das neu zu erbauende Museum zu übernehmen und beide nach bestimmten systematischen Regeln zu vereinigen; dem Verein solle jedoch das Eigentum an seinen Sammlungen ungeschmälert verbleiben.

Der Verein stand damit vor einer wichtigen Entscheidung. Er war sich klar darüber, daß die Verwaltung seiner gewaltig angewachsenen Bestände durch seine Mitglieder auf die Dauer nicht durchzuführen war, und daß durch die Abgabe der Sammlungen manche Kräfte für andere Aufgaben frei wurden. So stimmte er nicht allein dem Vorschlag zu, sondern wünschte noch darüber hinaus, daß auch seine übrigen Sammlungen ins Museum kämen. Das wurde grundsätzlich zugestanden, aber ein weiterer Wunsch des Vereins, ihm einen dauernden Einfluß auf die Ordnung der Altertümer und Münzen zuzugestehen, mit Recht abgelehnt. Die Ordnung müsse, so antwortete man

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ihm, lediglich vom Vorstand nach dem jeweiligen Stande der Wissenschaft vorgenommen werden. Aber eins gestand der Großherzog von sich aus zu. Der Verein dürfe wegen seiner Verdienste um die Sammlungen den ersten Vorstand der neuen prähistorischen Abteilung wählen. Die Wahl ist bekanntlich auf Herrn Dr. Beltz, unser jetziges Ehren- und ältestes Vereinsmitglied, gefallen, der damit seine langjährige Arbeit im Museum antrat und der uns manchen Abend durch seine Vorträge verschönert hat.

Am 3. April 1882 fand zum letzten Male eine Versammlung im Vereinslokale der Amtstraße statt. Dann erfolgte der Umzug der Sammlungen. Es kamen die Altertümer und Münzen in das neue Museum, die Bibliothek in ein Haus der Schloßstraße neben der Regierung, die Urkunden und Bilder ins Archiv. Die Generalversammlungen sollten künftig in einem hiesigen Hotel abgehalten werden.

Im folgenden Jahr ging der Schöpfer des Geschichtsvereins zu seinen Vätern heim. Am 22. September 1883 verschied Lisch an Altersschwäche nach 45jähriger Wirksamkeit als Erster Vereinssekretär.

Und dann ging allmählich wieder ein Vierteljahrhundert, das zweite im Vereinsleben, zur Neige. Der Verein feierte am 24. April 1885 sein 50jähriges Bestehen in Gegenwart des Herzogs Johann Albrecht in der Aula des Gymnasiums. Wigger gedachte des verstorbenen Großherzogs Friedrich Franz II., Archivar Dr. Schildt gab den Geschäftsbericht. Der Mitgliederstand hatte sich auf 521 ordentliche Mitglieder gehoben. Außer 50 Jahrbüchern mit ihrer Fülle von Arbeiten aus den verschiedensten Wissensgebieten lagen 13 Urkundenbücher, die bis 1355 reichen, vor. Die Bestände des Antiquariums hatten sich weiter vermehrt. Die Zahl der Münzen veranschlagte man auf fast 10 000. Die Bibliothek, die zunächst noch von einem Archivbeamten verwaltet wurde, bestand aus 9- bis 10 000 Bänden. An Bildern waren etwa 1300 vorhanden.

Mit einem Festmahl in Sterns Hotel, dem jetzigen Hause der Girozentrale, schloß die sehr gelungene Feier ab, an der sich nach der Anwesenheitsliste 103 Personen beteiligten. Die Wiggerschen Stammtafeln des Großherzoglichen Hauses im 50. Jahrbuch halten die Erinnerung an das Fest wach.

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Das neue Vierteljahrhundert brachte 1886 den Übergang der Vereinsbücherei in die Verwaltung der Regierungsbibliothek, die in dem von Daniel erbauten Obergeschoß des Kreuzgangs am Dom geeignete Räume für neue Bestände erhalten hatte. Damit war die unglückliche Vereinigung mit dem Archiv endlich gelöst.

Einen herben Verlust erlitt der Verein durch den Tod Wiggers am 24. September 1886. Viel zu früh ist er aus unermüdlichem Schaffen für den Verein geschieden. Vielleicht hat er zu rastlos gearbeitet. Seine Kräfte waren dem wohl nicht gewachsen.

An seine Stelle trat zunächst vertretungsweise Archivrat Schildt, bis Hermann Grotefend am 1. Oktober 1887 mit dem Archiv auch die Leitung des Geschichtsvereins übernahm. Grotefends markante Persönlichkeit wird vielen noch in guter Erinnerung sein. Er war ein Mann, der so recht ins Leben paßte. In dritter Generation aus einer Gelehrtenfamilie stammend, von seinem Vater früh in archivalische Forschungen eingeführt, studierte er in Göttingen und Berlin und war dann in Breslau, Aurich und Frankfurt an Archiven und für Geschichtsvereine tätig. So kam er, wissenschaftlich und praktisch gut vorgebildet, nach Schwerin. Alle seine neuen Aufgaben faßte er mit fortreißender Frische an.

Im Winter 1890/91 richtete er in Schwerin Vortragsabende ein, die sich bald großer Beliebtheit erfreuten und stark besucht wurden. Sie fanden zunächst im Hotel Louisenhof, seit 1911 im Archivsaal statt.

Leider läßt sich die Vortragstätigkeit wegen der Kosten nicht allgemein auf die mecklenburgischen Städte, wo Mitglieder wohnen, ausdehnen. Wir haben mehrfach Versuche in dieser Richtung unternommen, ohne daß eine ausreichende Beteiligung zustande kam. Vielleicht könnte man künftig nochmals einen Versuch dort machen, wo sich wenigstens 30 Mitglieder zusammenfinden.

Auf der Generalversammlung in Wismar von 1890 regte Pastor Krüger-Kalkhorst an, die volkskundliche Arbeit des Professors Bartsch wieder aufzunehmen. Es sollten vor allem Volkslieder, Rätsel, Reime und Legenden gesammelt werden. Ein Aufruf wandte sich an die Pastoren, Lehrer und Gendarmen und hatte besonders bei den Lehrern Erfolg. Aber das Unternehmen machte doch erst rechte Fort-

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schritte, als unser Ehrenmitglied Professor Wossidlo sich dafür einsetzte und das platte Land hin und her durchstreifte und auch bei Bauern, Tagelöhnern und Knechten anklopfte. Es kam ihm dabei eine glückliche Begabung zu Hilfe, mit unserer Landbevölkerung zu verhandeln und selbst aus zurückhaltenden Menschen durch geschickte Fragen herauszuholen, was für die Forschung von Wert war. So erschienen von ihm im Auftrage unsers Vereins 1897 ein Band mit Rätseln und 1899 eine Schilderung der Tiere im Munde des Volkes. Dann trat eine Stockung ein. Wossidlo war eine Zeitlang ganz mit der Einübung und Leitung des "mecklenburgischen Winterabends" beschäftigt. Erst als diese Vorstellungen ihren Zweck erfüllt hatten, wandte er sich wieder den Volksüberlieferungen zu. 1906 hat er in Verbindung mit dem Verein noch einen Band über Kinderwartung und Kinderzucht herausgebracht.

Es sollten mit den vorhandenen Landesmitteln noch ein vierter und fünfter Band mit Volksreimen gedruckt werden. Aber die Durcharbeitung des Materials bis zur Druckreife verzögerte sich, weil nun die Sagenforschung den Herausgeber ganz gefangen nahm. Er ist dabei in den nächsten Jahren sehr erfolgreich tätig gewesen und hatte schon 1911 über 10000 mecklenburgische Sagen zusammengetragen. Die Überlieferungen des Volkes vor dem drohenden Untergange zu bewahren und sie kommenden Geschlechtern zu überliefern, mußte die vornehmste Sorge des Vereins sein. So haben wir uns gern mit der Verzögerung bei der Drucklegung der beiden ausstehenden Bände zufrieden gegeben. Leider sind die Mittel dann schließlich durch Inflation verzehrt. Damit ist der Geschichtsverein aus der Arbeit ausgeschieden. Sie ist neuerdings in Verbindung mit der Universität und der Wossidlo-Stiftung wieder aufgenommen.

Ich kehre zu Grotefend zurück. Er hatte ursprünglich die Absicht, sich ganz den Regesten des 15. Jahrhunderts zu widmen, mußte aber, da 1891 kein geeigneter Bearbeiter für das 14. Jahrhundert vorhanden war, zunächst an diese Arbeit gehen. Im Frühjahr 1891 reiste er im Auftrage des Vereins nach Rom und forschte dort fast vier Monate in den Vatikanischen Archiven nach mecklenburgischen Urkunden. Mit einer reichen Ausbeute, besonders für die Angelegenheiten der katholischen Kirche hier zu Lande, kehrte er heim. Soweit das Urkundenwerk noch nicht gedruckt war, konnten die römischen Regesten noch eingeordnet werden. Ein erheblicher Rest mußte für

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den Nachtragsband zurückbleiben. Grotefend hat die sechs Urkundenbücher 15, 16 und 18 bis 21 herausgegeben, die die Jahre 1360-1390 umfassen. Band 17 enthält hervorragend brauchbare Register, bearbeitet von Archivrat Techen in Wismar.

Daneben ist die Arbeit an den Regesten des 15. Jahrhunderts eifrig gefördert worden. Für die auswärtigen Archive, die man zuerst vornahm, hat man bereitwillige Hilfe bei den dortigen Archivbeamten gefunden. In Mecklenburg haben Schildt und besonders verdienstvoll Witte in Schwerin, haben Techen in Wismar, Koppmann, Hofmeister und Dragendorff in Rostock gearbeitet. Das meiste ist jetzt wohl schon geschafft, aber immerhin wird noch manches zu tun sein. Im hiesigen Archiv befinden sich 31 Kästen mit vielen tausend Auszügen, in drei Reihen zeitlich geordnet. Die älteren Auszüge sind meist nach Drucken, alle neueren nach den Originalen oder nach den diese ersetzenden Abschriften angefertigt.

Am 10. September 1905 ist Freiherr Thomson v. Biel auf Kalkhorst gestorben. Er hat dem Verein 5000 Mk. vermacht, die nach Abzug der Erbschaftssteuer mit 4600 Mk. an uns ausgekehrt sind. Das ist das erste Mal, daß dem Verein testamentarisch größere Geldmittel zugewandt wurden. Ein neuer Antrieb war damit unsern Arbeiten gegeben. Es wurde beschlossen, für dies Geld mehrere Bände Chroniken herauszugeben und sie unter dem Titel "Mecklenburgische Geschichtsquellen" zusammenzufassen. Der erste Band, der 1909 erschienen ist, enthält die Chronik des Klarissenklosters Ribnitz, verfaßt in den Jahren 1523-33 von Lambert Slaggert, dem Beichtvater der Nonnen, und bearbeitet von Dr. Techen. Sie enthält Mitteilungen über die Zeit von 1206 bis 1533 und schildert die Klostergründung, das Leben und Treiben im Kloster und die Einführung der Reformation.

Für weitere Bände dieser Geschichtsquellen sind bereits bearbeitet: die Kirchbergsche Reimchronik von 1378, nach dem Original im hiesigen Archiv zum ersten Male zuverlässig abgeschrieben von Dr. Grotefend, dem Sohn unsers Geheimrats. Dann die ältesten Kirchenvisitationen von 1534, 1535 und 1541, bearbeitet von Pastor D. Schmaltz. Sie sind kulturgeschichtlich von großem Wert, zeigen den Besitzstand der katholischen Kirche zur Zeit ihrer Verdrängung und die Eindrücke der Visitatoren in den reformierten Gemeinden.

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Aber damit waren die Ziele und Bestrebungen des Vereins bei weitem noch nicht erschöpft. Ich möchte hier nur noch auf drei Anregungen hinweisen, die von dem Gesamtverein der deutschen Geschichtsvereine ausgingen.

1904 hat sich unser Verein mit der Frage beschäftigt, ob und wie die Flurnamen zu sammeln seien. Man erkannte die Notwendigkeit, sie der Vergessenheit und dem Untergang zu entreißen, durchaus an, konnte sich aber über die Wege, die zum Ziele führen, noch nicht einigen. Man beschloß, zunächst die Forschung außerhalb Mecklenburgs im Auge zu behalten. Später hat der Heimatbund die Anregung wieder aufgegriffen.

Dann die Ausarbeitung von sogenannten Grundkarten. Es sind Karten im Maßstabe von 1:100 000, welche die Flüsse, Gewässer und Ansiedelungen nach ihrer Lage und ihrem Namen enthalten und die Gemarkungsgrenzen in punktierten Linien angeben. Sie sollten die Grundlage für topographische Darstellungen von historischen und statistischen Forschungen bilden. So war an historische Karten für 1525, 1654 und 1789 für ganz Deutschland gedacht. Für Mecklenburg hat sich Grotefend dieser Aufgabe unterzogen. Fünf Karten sind gedruckt, eine ist in der Korrektur stecken geblieben, alle übrigen sind handschriftlich fertig, aber noch nicht nachgeprüft. Die mecklenburgischen Grundkarten hat für Einzelausführungen General von Woyna benutzt, als er seine wertvollen historischen Karten für die Epochen der mecklenburgischen Geschichte ausarbeitete. Diese historischen Karten werden im hiesigen Archiv aufbewahrt.

Schließlich die systematische Sammlung von Nachrichten über Element-Ereignisse, wie Überschwemmungen, strenge Winter, Erdbeben, Stürme, die bei der Abhängigkeit des Menschen von der Natur für die Beurteilung historischer Ereignisse wesentliche Dienste leisten können. Nach weiterer Vorbereitung im Gesamtverein sollen die territorialen und lokalen Geschichtsquellen durchforscht werden. Daran wollen auch wir uns beteiligen.

Im April 1910 ist das dritte Vierteljahrhundert unserer Vereinstätigkeit zu Ende gegangen. Von einer besonderen Feier des Gedenktages wurde abgesehen, weil im folgenden Jahr die Einweihung des neuen Archivgebäudes mit mancherlei Festlichkeiten in Aussicht stand, woran sich auch der Verein

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beteiligen wollte. Zu der eigentlichen Eröffnungsfeier am 23. Oktober 1911 konnten dann aber leider die Vereinsmitglieder außer dem Vorstand wegen Platzmangels keine Einladungen erhalten. Für sie wurde am 12. November eine besondere Feier veranstaltet. Ein Vortrag über die Entwicklung des Archivs und eine Führung durch den Verwaltungs- und Magazinbau machten sie mit den neuen trefflichen Einrichtungen bekannt. Eine stärkere Benutzung des Archivs zu wissenschaftlichen und Familien-Forschungen war die Folge.

Da der Verein durch die Hergabe seiner Sammlungen an Museum, Regierungsbibliothek und Archiv dem Gemeinwohl gedient hatte, so erhielt er das Recht unentgeltlicher Benutzung des Archivsaals für seine Generalversammlungen und Vortragsabende, die von da ab im Archiv stattfanden. Für Lichtbildvorführungen erwarb der Geschichtsverein einen eigenen Apparat, den er dann auch Behörden bei Benutzung des Saales gern zur Verfügung gestellt hat.

Ein neues Unternehmen des Geschichtsvereins trat 1913 ins Leben. Es war die Verzeichnung der kleineren Archive in Mecklenburg. Schon lange hatte man erkannt, daß mit einer Durchforschung der wichtigeren Staats-, Stadt-, Kirchen- und Klosterarchive für die heimische Geschichtsforschung nicht alles getan war. Viel brauchbares Material ruhte noch unbenutzt auf den Pfarren, Gütern und Ämtern und in den Registraturen der kleineren Städte, zum Teil in seinem Werte erkannt und gepflegt, zum Teil aber auch arg vernachlässigt, in staubigen Winkeln und auf undichten Dachböden gelagert und der Gefahr des Verlustes ständig ausgesetzt. Hier konnte nur fachmännische Anleitung und Verzeichnung helfen. Der Geschichtsverein hat daher durch seine Urkundenbuchskommission Dr. Jesse hin ausgesandt, um in Stadt und Land eine Nachlese zum Urkundenbuch für das 13. bis 15. Jahrhundert zu halten und gleichzeitig die wichtigeren Urkunden und Akten der späteren Zeit zu verzeichnen.

Die Reisen begannen am 15. Mai und erstreckten sich zunächst auf den Westen des Landes und die Umgebung von Schwerin. Das Jahrbuch 78 für 1913 brachte einen ersten Reisebericht und einige Proben von Inventaren, wie überhaupt die Jahrbücher die Stelle sein sollten, wo man weiter berichten wollte. Die Inventare selbst sollten nach Abschluß

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des Unternehmens veröffentlicht werden. Jesse hat bereits tüchtige Arbeit geleistet, ist dann aber noch vor dem Kriege einem Rufe nach Hamburg gefolgt. Wenn nun nach dem Kriege diese nur in Verbindung mit der Urkundenbuchskommission und dem Staatsarchiv zu leistende Arbeit nicht wieder aufgenommen ist, so nicht deshalb, weil es an Unternehmungsgeist oder an einem geeigneten Hilfsarbeiter fehlte, sondern weil die nötigen Gelder für die Reisen nicht verfügbar waren. Das war ja bedauerlichst öfter der Grund, weshalb in unserm Heimatlande gemeinnützige wissenschaftliche Unternehmungen unterblieben oder nach frischem Anfang wieder ins Stocken gerieten, während sie z. B. in Preußen ungehindert durchgeführt werden konnten.

In den Kriegsjahren 1914-18 hat Geheimrat Grotefend den Geschichtsverein fast allein betreut. Er hat dafür gesorgt, daß trotz allen Schwierigkeiten die Jahrbücher erschienen, und daß der Verkehr mit den daheim gebliebenen Mitgliedern durch gelegentliche Vorträge aufrecht erhalten wurde. Den 25 Mitgliedern, die für das Vaterland gefallen sind, hat er in Bild und Schrift ehrende Denkmäler in unseren Vereinsschriften gesetzt. Die Vereinsarbeiten ruhten fast ganz. Eine Zeitlang hat Grotefend sich noch dem Urkundenbuch gewidmet und für die Regesten des 15. Jahrhunderts in den Archiven zu Berlin und Hannover gearbeitet. Dann nahmen ihn die Dienstgeschäfte, die fast allein auf ihm ruhten, ganz in Anspruch.

Nach 51jähriger Dienstzeit ist Grotefend, 76 Jahre alt, am 1. Juli 1921 in den Ruhestand getreten und hat gleichzeitig das Amt des Ersten Sekretärs niedergelegt, das er 34 Jahre verwaltet hat. Am 29. Mai 1931 ist er uns durch den Tod genommen. Er gehört mit Lisch und Wigger zu den drei Großen unsers Geschichtsvereins. Wir haben zu der heutigen Hundertjahrfeier an den Gräbern dieser drei verdienstvollen Männer in dankbarer Erinnerung Kränze niedergelegt.

Unserm Tauschverkehr mit historischen Vereinen und Instituten haben wir um Weihnacht 1902 einen kräftigen Antrieb gegeben. An 70 Vereine und Gesellschaften des deutschen Sprachgebiets haben wir damals Aufforderungen zum Austausch ergehen lassen. 47 Vereine aus dem Deutschen Reich, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden haben zugestimmt. Damit erhöhte sich die Zahl der Tauschvereine auf 259. Heute stehen wir mit 278 in Verbindung. Die wertvollen Erwerbun-

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gen überweist der Verein regelmäßig an die Landesbibliothek, wo sie zunächst im Benutzersaal ausliegen und dann von jedermann entliehen werden können.

Und nun lassen Sie mich noch kurz darlegen, welches die Hauptaufgaben unsers Geschichts- und Altertumsvereins für die Zukunft sind und welche Ziele er erreichen will. Ich gehe dabei von folgendem aus:

Als unser Verein 1835 für beide Mecklenburg gegründet wurde, da stand er für das Gebiet, dem seine Arbeiten zugute kommen sollten, allein auf weiter Flur. Das ist inzwischen anders geworden. Es haben sich manche anderen historischen und volkskundlichen Vereine regionaler und lokaler Art aufgetan, die für einzelne Teile und Städte unsers Arbeitsgebiets ähnliche Aufgaben, wie die unsrigen, verfolgen. Ich erinnere an den 1871 gegründeten Hansischen Geschichtsverein, der die Geschichte des alten Hansabundes und der ihm angeschlossenen Städte, darunter auch Wismars und Rostocks, erforscht. Das genügte aber der aufstrebenden Stadt Rostock mit ihren lebhaften geistigen Interessen, die in der Universität ihren Mittelpunkt und im Ratsarchiv ihre Stütze fanden, noch nicht. Es entstand dort 1883 der Verein für Rostocks Altertümer. Dann folgten 1906 der Heimatbund Mecklenburg, 1919 der Heimatbund für das Fürstentum Ratzeburg und 1925 der Mecklb.-Strelitzer Verein für Geschichte und Landeskunde. Alle geben eigene Zeitschriften heraus. Schließlich ist 1928 eine Historische Kommission für beide Mecklenburg mit dem Sitz in Rostock gegründet, welche die Herausgabe von Quellenschriften und wissenschaftlichen Hilfsmitteln fördern will, ohne jedoch in die Arbeiten der bestehenden Vereine einzugreifen. Als erste Aufgabe hat sie eine groß angelegte Bibliographie Mecklenburgs unternommen, die Dr. Heeß bearbeitet. Die neue Kommission ist als eine Schwestergründung neben der bei unserm Landesverein seit 1860 bestehenden Urkundenbuchskommission, ebenfalls für beide Mecklenburg, anzusehen.

Alle diese Vereine und Institute sind in ihren Entschlüssen und Arbeiten völlig selbständig. Sie haben manche Arbeiten aufgenommen, an die unser Landesverein gar nicht denken, manche auch, die er aus zwingenden Gründen nicht weiter verfolgen konnte. Und das ist gut so. Denn das Gebiet der Geschichte ist, selbst für ein Land wie Mecklenburg, viel zu weit, als daß ein Verein es genügend bestellen könnte. Wir

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begrüßen daher die Wirksamkeit dieser Vereine, die ebenso wie die unsrige von der Hingabe an das gemeinsame deutsche Vaterland getragen ist. Unsere Aufgaben und Ziele sind für die nächste Zukunft folgende:

Das Mecklenburgische Jahrbuch. Es kennt, wie es schon sein Titel sagt, für seine Arbeiten innerhalb des jetzt geeinten Mecklenburgs keine territorialen oder lokalen Grenzen. Es ist von Anfang an für das ganze Gebiet zuständig. Während die ersten Jahrgänge das von allen Seiten heranströmende Material sammelten und in kürzeren Aufsätzen darboten, hat man später immer mehr zusammenfassende Darstellungen auf streng wissenschaftlicher Grundlage gebracht. Und so soll es auch künftig bleiben. Wir wollen uns aber bei der Auswahl des Stoffes davon leiten lassen, wie wir die Bestrebungen unsers Führers auch zu unserm Teil fördern können. Wie wir uns das denken, das möge der soeben erschienene 98. Jahrgang der Jahrbücher, der hier ausgelegt ist, verdeutlichen. Er enthält u. a. eine zeitgemäße Arbeit von Dr. Murjahn über die bäuerlichen Verhältnisse des 17. Jahrhunderts im Lande Stargard. Die Arbeit gibt erwünschten Aufschluß über die Herkunft der dortigen Siedler, die Besetzung der Hufen, Leibeigenschaft, Hof- und Extradienste u. a. m.

Ganz anders war die Lage der Bauern auf der Insel Poel, die uns Dr. Lembke für die Zeit vom 12. Jahrhundert bis 1803 im kommenden 99. Jahrbuch 1 ) schildern wird. Auf Poel hat es z. B. eine Leibeigenschaft nie gegeben. Im 14. und 15. Jahrhundert war die Lübecker Kirche dort fast alleinige Grundherrin, und von 1648 bis 1803 war die Insel bekanntlich schwedisch. Das hat vor allem ihre Sonderstellung hervorgerufen. Auch diese Arbeit ist bereits gedruckt.

Vom Mecklenburgischen Urkundenbuch, dem zweiten großen Unternehmen des Geschichtsvereins, liegen jetzt 25 starke Quartbände mit den Urkunden der Jahre 786-1400 gedruckt vor. Der letzte 25. Band mit einer Fülle von Nachträgen konnte im Text gerade noch zur Hundertjahrfeier fertiggestellt werden. Das erste Exemplar haben wir zur Ansicht ausgelegt. Der 25. Band berücksichtigt auch die rund 2000 Bürgertestamente im Lübecker Staatsarchiv, die für die Zeit bis 1400 eine


1) S. das vorliegende Jahrbuch S. 1 ff.
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wahre Fundgrube für die Mecklenburg-Lübecker Beziehungen bilden. Wir sind erst Ende vorigen Jahres, aber gerade noch rechtzeitig auf sie aufmerksam geworden.

Die weitere Aufgabe unserer Urkundenbuchskommission und ihrer Mitarbeiter wird es nun sein, das gewaltige, seit Gründung unsers Vereins gesammelte Material an Regesten, d. h. an fachlich erschöpfenden Auszügen aus Urkunden, für die Zeit von 1401 bis 1500 zu ordnen, zusammenzuarbeiten und dann zum Druck zu geben. Das 15. Jahrhundert kennt noch keine zusammenhängenden Akten. Die einzelnen Urkunden liegen zumeist zerstreut bei jüngeren Akten und mußten mühsam zusammengesucht werden. Trotzdem kann die Sammlung im allgemeinen als abgeschlossen gelten. Das Material umfaßt jetzt etwa 18 000 bis 20 000 Karteikarten und ruht wohlverwahrt im Archiv. Der Verein gibt sich der Hoffnung hin, daß das Staatsministerium ihm auch für die Fortsetzung der Arbeit den bisherigen Jahreszuschuß bewilligen wird.

Neuerdings hat sich dann der Geschichtsverein im Einvernehmen mit dem Archiv noch das Ziel gesteckt, die grundlegenden Quellen für die Bauernforschung herauszugeben. Es handelt sich dabei zunächst um die sogenannten Schloß- oder Bederegister des 15. Jahrhunderts. Wir bezeichnen damit die Hebungsverzeichnisse der alten mecklenburgischen Vogteien, die ausführliche Namensregister der ländlichen Bevölkerung enthalten. Ihre Durcharbeitung ist recht mühsam, weil sie nur flüchtig und mit starken Abkürzungen niedergeschrieben sind. Sie sind aber für die Stammesforschung von größter Wichtigkeit. Wir haben für die Arbeit die Staatsarchivräte Dr. Steinmann und Dr. Tessin gewonnen, bei denen die Arbeit gut aufgehoben ist. Wegen ihrer vordringenden Wichtigkeit für den neuen Staat wollen wir die Bederegister im zweiten Bande der Mecklenburgischen Geschichtsquellen bringen, von denen ich vorhin gesprochen habe, und die Kirchbergsche Chronik und die ältesten Kirchenvisitationen dann im dritten und vierten Bande folgen lassen. Alles wird aber davon abhängen, ob uns die nötigen Mittel bewilligt werden können.

Unsere Drucksachen hat von Anfang an der bewährte Verlag der Bärensprungschen Hofbuchdruckerei ausgeführt. Ihm sei für seine treue Mitarbeit an dieser Stelle herzlich gedankt.

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Damit bin ich am Schluß meiner Ausführungen. Der Geschichtsverein wird seine Arbeit im zweiten Jahrhundert seines Bestehens im Dienste und zum Wohle der Volksgemeinschaft aufnehmen. Möge ihm damit ein Erfolg beschieden sein!

 

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VII.

Friedrich Lisch,
Mecklenburgs Bahnbrecher
deutscher Altertumskunde

von

Heinrich Reifferscheid.

 

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Christian Genschow: G. C. F. Lisch 1855
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Hochansehnliche Versammlung!

Das Jahr 1835. Dem Boden großdeutscher Kleinstaaterei entsproß ein Pflänzlein, bescheiden und unscheinbar, dennoch von der Vorsehung ausersehen, allem, was in Mecklenburg Geschichte heißt, fester Hort und sicherer Halt zu werden.

Das Bäumlein wuchs, bald sich emporreckend zur Sonne großen Geschehens, bald wieder sturmgepeitscht sich duckend vor dem Brausen des Schicksals, niemals geknickt an Lebenswillen, Lebensfreude, Lebenskraft.

Ein starker Baum mit weithin ausladenden Ästen, sah er das zweite Reich, das Kaiserreich, werden, und er sah es wieder in Trümmer zerschellen. Und dann kam das dritte Reich, und wem das große germanische Geschehen unserer Vorzeit am Herzen lag, wallfahrtet gen Halle, der neuen Führung Wollen zu vernehmen und ihrer Weisungen gewärtig zu sein.

Und dort, auf der 1. Tagung des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte, wurde auch dem Lande Mecklenburg seine Ehrung: berufener Mund nannte dankbar auch aus Mecklenburgs Vergangenheit den Namen eines wirklich Großen.

So huldigte das neue Deutschland den Manen eines Friedrich Lisch!


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M an hat sich daran gewöhnt, in George Christian Friedrich Lisch den großen Wegbereiter mecklenburgischer Geschichte und Altertumskunde zu sehen dank seiner grundlegenden emsigen Forschertätigkeit während eines reichgesegneten langen Lebens und dank ihres fruchtbaren Niederschlages, der vielen Hunderte größerer und kleinerer Aufsätze und Untersuchungen, durch die die "Mecklenburger Jahrbücher" zu einem Quellenwerk wurden. Gewiß ist diese Würdigung richtig, aber sie trifft noch nicht den Kern der künstlerisch-intuitiven, seiner Zeit weit vorauseilenden und darum tragischen Persönlichkeit Friedrich Lischs (s. Abbildung).

Schon sein vorgeschichtliches Erstlingswerk, der erläuternde Text zu dem von Hans Rudolph Schröter, dem Rostocker Professor, begonnenen, von Lisch aber fortgeführten und vollendeten "Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust" läßt an dem weitgesteckten Ziel keinen Zweifel. Sagt doch der damals Sechsunddreißigjährige in dem Januar 1837 niedergeschriebenen Vorwort, daß das Friderico-Francisceum "nur als ein Grundstein zum Bau einer deutschen Altertumskunde angesehen sein will" 1 ).

So früh wie in Deutschland nirgends, schon um das Jahr 1520, hat der mecklenburgische Herzog Heinrich V., der Friedfertige, Grabhügel der Vorzeit öffnen lassen, und man brachte ihm Urnen, "daß er erst möge schauen seiner Vorfahren Altheit mit seinen Augen", wie der Reimchronist Nicolaus Marschalk Thurius mit beredten Worten zur Verherrlichung des Fürstenhauses berichtet 2 ).

Als eigentlicher Begründer der Herzoglichen Sammlung von Bodenfunden ist aber erst Herzog Christian II. Ludwig (1747 bis 1756) anzusehen, denn es enthielt das von ihm auf der


1) G. C. F. Lisch, Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust, Leipzig 1837, S. VII f.
2) Vgl. Nicolai Mareschalci, Chronicon der Mecklenburgischen Regenten, Buch I, Cap. XII, bei Ernestus Joachimus de Westphalen, Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbricarum et Megapolensium, Tomus I, Lipsiae 1739, Sp. 572.
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Schweriner Schloßinsel errichtete Gebäude der Herzoglichen Gemäldegalerie auch "eine Kammer, wo die Urnen stehen" 3 ). Und unter Herzog Friedrich (1756 - 1785), dem Mehrer der Sammlung, ist von der "Schönheit Ew. Herzogl. Durchl. Urnen-Cabinets" und von "einer vortrefflichen Sammlung" die Rede 4 ), bis dann unter dem Herzog und späteren Großherzog Friedrich Franz 1. 1804 die Schweriner Bestände nach Ludwigslust übernommen, mit den dortigen vereinigt und nun durch planmäßige Grabungen wie Fundablieferungen erweitert wurden.

Nicht nur, daß im Jahre 1804, geradezu einem Markstein beispielgebender Denkmalpflege, an alle Beamte der Befehl ergeht, alle Pächter und Dorfschaften anzuweisen, "daß sie keine anscheinend heidnische Gräber berühren, uni Steine auszugraben", und die Beamten selbst gehalten sind, dem Herzog unmittelbar "ein Verzeichnis einzuschicken, wieviele heidnische Gräber im Amte befindlich sind, und auf welchen Feldmarken selbige sich befinden", erläßt der Herzog auch an die Ritterschaft die Verordnung 5 ):

"Da Wir die Absicht haben, Unser Antiken-Cabinet zu erweitern, so würden Wir es mit gnädigstem Dank erkennen, wenn jeder Gutsbesitzer in Unsern Landen Uns höchstunmittelbar aus Gefälligkeit anzeigen wollte, wie viele heidnische Gräber, die unbegraben sind, er auf seinem Gute oder seinen Gütern habe, damit Wir auf Unsere Kosten und unter Aufsicht des von Uns zu diesem Geschäfte bestimmten Hauptmanns Zinck an den anzuzeigenden Orten graben lassen können. . ."

Leider nur zu schnell haben diese unter persönlicher Anteilnahme des Herzogs vorgenommenen planmäßigen Grabungen eine Unterbrechung erfahren, als in den folgenden Jahren bereits Mecklenburg mehr und mehr zum Durchmarschgebiet fremder Truppenkontingente wird: zuerst sind es russische, preußische und schwedische Truppen, dann nach dem unglücklichen Tage von Jena und Auerstädt 1806 Preußen und Sachsen-Weimarsche Husaren, ihnen auf den Fersen die Franzosen.


3) Vgl. die Risse von der Herzoglichen Bilder-Galerie zu Schwerin. Genau nach dem verjüngten Maßstabe gezeichnet von Johann Gottfried Groth. Schwerin, im Februar 1798.
4) Schreiben von Carl Friedrich Evers, Schwerin, 15. April 1782, an den Herzog Friedrich.
5) Abgedruckt bei Johann Georg Friedrich Schröder, Neueste Gesetz-Sammlung für die Herzoglich-Mecklenburg-Schwerin- und Güstrowschen Lande, Teil II, Lieferung 2, Schwerin 1804, S. 336.
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Mecklenburgs Franzosenzeit beginnt, immer neue französische Korps und Divisionen rücken ein - es kommt sogar zu Gefechten auf mecklenburgischem Boden - oder rücken wieder ab, und zu ihnen gesellen sich italienische, holländische, bayerische, spanische und belgische Formationen 6 ). Der regierende Herzog und die Herzogin gehen sogar eine Zeitlang außer Landes.

Von neuen erfolgreichen Grabungen des Herzogs wird 1810 berichtet; die Zeit der deutschen Erhebung - Herzog Friedrich Franz sagt sich als erster vom Rheinbunde los - und des deutschen Befreiungskampfes hemmt natürlich zunächst die den Altertümern der Heimat gewidmeten Bestrebungen, um ihnen dann einen um so größeren Auftrieb zu geben. So ist die aus dem Antiken-Cabinet hervorgegangene Ludwigsluster Altertumssammlung im früheren Billardzimmer des Schlosses zu einer Sammlung vaterländischer Altertümer geworden, als 1822 der Rostocker Professor Dr. Schröter ihre Aufsicht übernimmt. Denn: was Herzog Christian II. Ludwig am mecklenburgischen Hofe für die internationale hohe Kunst und das Kunstgewerbe gewesen war, das ist der Herzog und spätere Großherzog Friedrich Franz I. für die Bergung und die Sammlung heimischen Kulturgutes geworden als erstes gekröntes Haupt der Zeit.

"Es ist eine Zeit in Deutschland erschienen" - so heißt es gleich im 1. Heft des 1821 von Kruse herausgegebenen "Archiv für alte Geographie, Geschichte und Altertümer, insonderheit der Germanischen Völkerstämme" - "in welcher, wie durch einen Zauberschlag, rings um uns her Fürsten und Untertanen, Hohe und Niedre, Gelehrte und Ungelehrte, Einzelne und ganze Gesellschaften in Bewegung gesetzt sind, den Spuren unserer Vorfahren nachzuforschen, und dasjenige von den Werken derselben zu retten, was von den Ruinen dieser verschütteten Welt noch zu erhalten ist. Die glückliche Wiedergeburt Deutschlands, durch die früheren Bedrängnisse von außen her langsam herbeigeführt, durch die Freiheitskriege 1813-15 beschleunigt, hat den Deutschen wieder zu sich selbst zurückgeführt, und ihm das Andenken an seine Väter wieder teuer gemacht" 7 ).


6) Vgl. Mecklenburg-Schwerinsche Annalen 1805 1807 im Herzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Staats-Kalender 1806-1808.
7) Archiv für alte Geographie, Geschichte und Altertümer, insonderheit der Germanischen Völkerstämme, Heft I. Blicke auf die östlichen Völker Germaniens von der Donau bis zur Ostsee, hrsg. von Fr. C. H. Kruse, Breslau 1821, S. V f.
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So übernahm denn damals die Geschichtswissenschaft unter den Wissenschaften die Führung, und es waren den großen deutschen Geschichtsschreibern die Wege geebnet, nicht zuletzt durch das unermüdliche, von selbstlosester Vaterlandsliebe durchglühte Wirken des Freiherrn vom Stein, dem das Vaterland ohnehin zu einem guten Teil seine Wiedergeburt verdankte. War es doch gerade dieser Mann, der wie alle Vaterlandsfreunde durch die Wiener Kongreßakte bitter enttäuscht, sich ins Privatleben zurückgezogen hatte, auch dann noch bestrebt, "den Geschmack an Deutscher Geschichte zu beleben, ihr gründliches Studium zu erleichtern und hierdurch zur Erhaltung der Liebe zum gemeinsamen Vaterland und dem Gedächtnis unserer großen Vorfahren beizutragen" 8 ).

Ganz besonders schwierig lagen die Verhältnisse für die deutsche Altertumskunde, dem Kinde der deutschen Romantik, als der jüngsten Wissenschaft. Hier nun setzt Friedrich Lisch den Hebel seiner Lebensarbeit an.

"Ungeachtet aller Bemühungen um die deutsche Altertumskunde" - so schreibt Lisch 1837 im Friderico-Francisceum - "welche zu keiner Zeit so reiche Ergebnisse zu Tage gefördert hat, als in den letzten Jahrzehnten, ist diese Wissenschaft dennoch bisher zu keiner Vollendung, Sicherheit und allgemeinen Anerkennung gediehen, teils weil man, nach dem Muster der Antiken-Cabinette, gewöhnlich nur einzelne Stücke sammelte, classifizierte und beschrieb, teils weil man zu oft von vorgefaßten Meinungen ausging und mit einzeln gefundenen Altertümern irgend einen historischen Satz beweisen wollte, endlich weil man mehr beschrieb, als Abbildungen mitteilte, und selbst die Beschreibungen durch vorgefaßte Ansichten verdunkelte. Soll für die deutsche Altertumskunde aus den Altertümern ein wahrer Gewinn erwachsen, so hilft es nicht, die gefundenen einzelnen Stücke abgerissen und ohne Verbindung zu beschreiben, - hilft es nicht, einzelne Altertümer bloß als vorhanden der Welt vor Augen zu stellen, sondern es muß eine Gräberkunde gegeben werden. Erst wenn dem Forscher sowohl die Gestalt und der Bau eines bestimmten und aktenkundig nachweislichen Grabes nach seinem Äußern und Innern, als auch eine möglichst genaue Darstellung der Lage


8) Schreiben des Freiherrn vom Stein an den Bischof von Hildesheim. Vgl. G. H. Pertz, Aus Steins Leben, Zweite Hälfte 1814 bis 1831, Berlin 1836, S.313.
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und eine vollständige Ansicht des gesamten, wenn auch vergangenen und zertrümmerten Inhalts eines Grabes vor Augen liegt, - und ihm dann wo möglich ganze Reihen von Gräbern verschiedener Art mit ihrem gesamten Innern zur Vergleichung zu Gebote stehen: erst dann kann er es sich erlauben, die Altertümer zur Altertumskunde zu benutzen; ein noch so seltenes Stück, ohne Angabe des Fundorts und der Fundart, hat für die deutsche Altertumskunde gar keinen historischen Wert, da es ebenso gut dem Neuseeländer des achtzehnten Jahrhunderts oder einem alten Römer, als einem Bewohner Deutschlands angehört haben kann. Und wirklich finden sich wohl in vielen Sammlungen deutscher Grabaltertümer Gegenstände, welche offenbar nicht dahin gehören und dennoch von diesem und jenem als germanische Altertümer gebraucht werden." Lisch fährt dann fort und umreißt damit die Ludwigsluster Altertümersammlung in ihrer ganzen Bedeutung:

"Die Ludwigsluster Sammlung mecklenburgischer Grabaltertümer ist eine der wichtigsten, welche vorhanden sind, und sicher die wichtigste in Norddeutschland: nicht als ob sie seltene und ausfallende oder gar zweifelhafte Stücke besäße, welche den Scharfsinn sämtlicher Altertumsforscher oft vergebens in Anspruch nehmen, sondern weil sie sich durch eine verhältnismäßige und gleichmäßige Vollständigkeit der verschiedenen Classen von Altertümern auszeichnet und weil sie über die meisten Gegenstände sichere Ausgrabungsberichte beibringen kann" 9 ).

Zwar war Lisch damals eine klare Scheidung der germanischen und der slavischen Grabaltertümer, wie er glaubte 10 ), noch nicht gelungen, wohl aber hat er schon 1837 richtig erkannt, daß die bronzezeitlichen Hügelgräber Germanengräber sind, denen einerseits die Megalith- oder Riesensteingräber eines von ihm als altgermanisch oder vorgermanisch bezeichneten Völkergeschlechts zeitlich vorausgehen, anderseits die von ihm nach dem Volksmunde seltsamerweise als "Wendenkirchhöfe" bezeichneten "Slaven-


9) G. C. F. Lisch, Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust, Leipzig 1837, S. III f.
10) G. C. F. Lisch, Andeutungen über die altgermanischen und slavischen Grabaltertümer Mecklenburgs und die norddeutschen Grabaltertümer aus der vorchristlichen Zeit überhaupt, Schwerin 1837, S. 12.
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gräber" zeitlich folgen 11 ). Daß diese angeblichen Slavengräber in Wirklichkeit Germanengräber der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sind - mit einer Keramik übrigens, die an Schönheit der Form und des Dekors nur noch von der Frühkeramik der Megalithgräber übertroffen wird - und daß die Wendenzeit eine weitere, jüngere Stufe darstellt, ist Lisch erst später zum Bewußtsein gekommen 12 ).

Durch die Erkenntnis dieser zeitlichen Aufeinanderfolge "der

  1. vorgermanischen (Hünen-) Gräber oder Betten, mit aufgeschütteten langen Hügeln und großen Steinbauten, mit Werkzeugen und Schmuck aus Stein und Bernstein;
  2. germanischen Kegelhügel, mit aufgeschütteten runden Hügeln ohne Steinbauten, mit Werkzeugen und Schmuck aus Bronze und Gold;
  3. slavischen Begräbnisplätze, mit Eingrabung der Urnen in den natürlichen Erdboden, mit Werkzeugen und Schmuck aus Eisen und Silber (auch Glas)" 13 ),

mithin einer Dreiperiodisierung, ist nun aber Friedrich Lisch zu einem der großen Entdecker des Dreiperiodensystems: der Stein-, Bronze- und Eisenzeit geworden.

Es erübrigt sich, die Prioritätsfrage der Entdeckung des Dreiperiodensystems hier von neuem aufzurollen, nachdem bereits vor einigen Jahren der schlüssige Nachweis erbracht wor-


11) G. C. F. Lisch, Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust, Leipzig 1837, S. 74; G. C. F. Lisch, Andeutungen über die altgermanischen und slavischen Grabaltertümer Mecklenburgs und die norddeutschen Grabaltertümer aus der vorchristlichen Zeit überhaupt, Schwerin 1837, S. 26 und vorhergehende..
12) G. C. F. Lisch, Über das Alter der Eisenperiode und das Grab von Wotenitz in Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Jahrgang XXVI, Schwerin 1861, S. 161ff. - G. C. F. Lisch, Wendenkirchhöfe und der Begräbnisplatz aus der Eisenzeit von Camin, ebendort, Jahrgang XXX, Schwerin 1865, S. 153ff. G. C. F. Lisch, Begräbnisplatz (Wendenkirchhof) im Sachsenwalde, ebendort, Jahrgang XXX, Schwerin 1865, S. 155f..
13) So gibt G. C. F. Lisch in Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, hrsg. von der Societät für wissenschaftliche Kritik zu Berlin, Jahrgang 1838, Band II, Berlin 1838, Sp. 27, die Perioden der norddeutschen Vorzeit als bereits von ihm geschieden an in seiner Besprechung des "Leitfaden zur nordischen Altertumskunde", hrsg. von der königlichen Gesellschaft für nordische Altertumskunde, Kopenhagen 1837.
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den ist, daß Thomsen in Kopenhagen es 1824 spätestens gekannt haben muß 14 ). Die Ruhmespalme der absoluten Priorität gebührt demnach der skandinavisch-nordischen Forschung, jedoch handelt es sich bei Friedrich Lisch, wie bei dem dritten Entdecker des Dreiperiodensystems, dem Salzwedeler Rektor Johann Friedrich Danneil, um selbständige, voneinander unabhängige und wenigstens annähernd gleichzeitige Entdeckungen.

Indes können freilich Thomsens Arbeiten in Mecklenburg nicht ganz unbekannt geblieben sein, denn es reifte Professor Schröter ja gerade 1824 nach Kopenhagen, um dort Studien für den Fortgang des in Heften erscheinenden Friderico-Francisceum zu machen.

Als aber Lisch nach einem kurzen Zwischenspiel des aus Lübeck berufenen Professors Grautoff 1836 die Leitung der Großherzoglichen Altertumssammlung und damit zugleich die Fortführung und Vollendung des Friderico-Francisceum übernahm, fuhr er zur weiteren Ausarbeitung des Werkes nun nicht in den reingermanischen skandinavischen Norden, er fuhr 15 ) - offenbar willens, sich seine Selbständigkeit zu wahren - nach Berlin, Neustrelitz, Friedland (Sammlung des Pastors Rudolphi) 16 ) und Rostock (Universitätssammlung) 17 ) zum Studium von Sammlungen germanisch-slavischen Inhalts, um dann nach seiner Rückkehr dem Großherzog zu berichten, daß er "weder zu Berlin, noch sonst irgend eine Sammlung von germanisch-slavischen Altertümern gefunden, welche an Vollständigkeit und wissenschaftlicher Bedeutsamkeit der Sammlung Ew. Königlichen Hoheit gleich käme" 18 ).

Denn: Lisch ist es im Lande Mecklenburg mit einer germanischen und slavischen Bevölkerung um eine klare Scheidung dessen, was germanischen und was slavischen Ursprungs ist, zu tun. Das 1836 erschienene "Handbuch der germanischen Altertumskunde" von Gustav Klemm vernachlässige eine Scheidung der in Deutschland gefundenen heimischen Alter-


14) Vgl. Hans Seger, Die Anfänge des Dreiperioden-Systems, in Schumacher-Festschrift, hrsg. von der Direktion des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, Mainz 1930, S. 3..
15) Allerhöchste Bewilligung einer Reise des Archivars Lisch nach Berlin, Strelitz, Friedland und Rostock zwecks der Ausarbeitung des Friderico-Franciscei, gegeben Ludwigslust, den 28. Juli 1836..
16) Seit 1842 in der Großherzoglichen Altertümersammlung zu Neustrelitz..
17) Seit 10. Oktober 1839 in der Großherzoglichen Altertümersammlung zu Schwerin..
18) Bericht des Archivars Lisch an den Großherzog vom 24. August 1836..
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tümer wie der verschiedenen Perioden der deutschen Vorzeit gänzlich, es sei aber diese Scheidung, wie er sie selbst in den "Erläuterungen" zum Fiderico-Francisceum und seinen gleichfalls 1837 erschienenen "Andeutungen über die altgermanischen und slavischen Grabaltertümer Mecklenburgs und die norddeutschen Grabaltertümer aus der vorchristlichen Zeit überhaupt" für die Altertümer mecklenburgischer Vorzeit zu begründen gesucht, die einzige, unerläßliche Bedingung für die Begründung einer deutschen Altertumswissenschaft 19 ).

"Die letzte und einzige Hoffnung, Licht in die Dunkelheit zu bringen" - so sagt Lisch an anderer Stelle - "ruhet in den Gräbern, welche bekanntlich aus der Vorzeit als dauernde, Ehrfurcht gebietende Denkmäler noch herüberragen und in ihrem Schoße das bergen, was wir suchen: Erkenntnis des Seins und des Lebens der Vorfahren. Nur wenn eine Erkenntnis der Grabaltertümer der mitteleuropäischen Tiefländer von Nordfrankreich bis in die Ebenen Polens vor uns liegt und eine Vergleichung von der einen Seite mit dem skandinavischen und britannischen Norden und mit Rom, von der andern Seite mit den Ergebnissen aus den noch slavischen Ländern möglich macht, erst dann können wir ungetrübte Blicke in die Vorzeit tun. Und gelingt es uns, zum Ziele zu gelangen, so können wir darauf rechnen, daß aus der Vergleichung der gewonnenen Resultate mit den noch aus dem europäischen und asiatischen Rußlande und aus Mittelasien zu gewinnen den Aufklärungen hervorgehen, welche zu den wichtigsten der Altertumskunde gehören" 20 ).

So bewundernswert weit das mit genialem Blick erkannte Ziel, ebenso bewundernswert klar war der Sinn Friedrich Lischs für die nächstliegende Aufgabe: vor allen Dingen tue es not, daß erst die Altertümer der verschiedenen Länder und Gaue dargestellt und möglichst besonnen geschildert werden, damit das Völkergewirre durch eine tumultuarische Auferstehung nicht noch mehr verwirrt werde 21 ).


19) G. C. F. Lisch, in Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, hrsg. von der Societät für wissenschaftliche Kritik zu Berlin, Jahrgang 1838, Band II, Berlin 1838, Sp. 25..
20) G. C. F. Lisch, Andeutungen über die altgermanischen und slavischen Grabaltertümer Mecklenburgs und die norddeutschen Grabaltertümer aus der vorchristlichen Zeit überhaupt, Schwerin 1837, S. 5f..
21) G. C. F. Lisch, Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust, Leipzig 1837, S. V.
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Für Mecklenburg widmet sich Friedrich Lisch in unermüdlichem, jahrzehntelangem Schaffen dieser Aufgabe, begünstigt von glücklichen Verhältnissen, die ein Arbeiten auf breiter Basis ermöglichten.

So werden 1836 auf seinen Antrag die Verbote von 1804 wegen Aufgrabens heidnischer Gräber erweitert und es wird einerseits allen Beamten die Einforderung aller früher oder künftig zufällig gefundenen, in Privatbesitz befindlichen Altertümer und ihre Einsendung mit einem möglichst genauen Bericht über Fundort und Fundart an die Großherzogliche Altertümersammlung zur Pflicht gemacht,

anderseits versichert Großherzog Friedrich Franz Ritter- und Landschaft gnädigsten Dankes, "wenn auch die auf den ritterschaftlichen und städtischen Grundstücken befindlichen alten Grabstätten nicht anders als etwa zu wissenschaftlichen Zwecken geöffnet würden, auch dafür Sorge getragen werden wollte, daß alle auf diesen Besitzungen zufällig gefundenen oder sonst im Besitze von Privaten befindlichen Altertümer an eine der öffentlichen Altertumssammlungen des Landes abgegeben werden, da alle Erfahrungen den endlichen Untergang von Gegenständen des Altertums im Privatbesitze gelehrt haben" 22 ).

So ward ferner die Großherzogliche Altertümersammlung 1837 wieder ins Schweriner Schloß verlegt 23 ). Aber sofort wurden Stimmen laut, die sich gegen die Verlegung wandten:

"Für die Versetzung unserer Sammlung nach Schwerin" - so schreibt Ober-Medizinalrat Dr. Brückner in Ludwigslust an den Archivar Lisch in Schwerin - "läßt sich vieles sagen. Dagegen aber auch z. B., daß eine solche Sammlung, die nicht nur für Mecklenburg, sondern für Deutschland von solcher Wichtigkeit ist, besser an einer der deutschen Haupt Reise Straßen placirt ist, wo so mancher durchreisende Gelehrte sie - wie bisher - auch ferner gerne besuchen würde" 24 ).

So bedeutungsvoll die Verlegung der Sammlung vaterländischer Altertümer von Ludwigslust nach Schwerin für Friedrich Lischs weiter bahnbrechende Forschungen auch gewesen


22) Abgedruckt in Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinsches officielles Wochenblatt vom 14. Januar 1837..
23) Vgl. Heinrich Reifferscheid, Wie die Schweriner Museen wurden, in Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Jahrgang LXXXXVII, Schwerin 1933, S. 146f..
24) Schreiben des Ober-Medizinalrats Dr. G. Brückner in Ludwigslust an den Archivar Lisch in Schwerin vom 19. August 1837.
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Leopold Zielcke: Die Amtstraße zu Schwerin 1839
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sein muß, so war sie doch nur eine Auswirkung der inzwischen erfolgten Gründung des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, dem es heute vergönnt ist, voll berechtigten Stolzes und hoch in Ehren die Hundertjahrfeier seines Bestehens festlich zu begehen.

Nicht nur, daß die Ludwigsluster Großherzogliche Sammlung den seit 1835 im Entstehen begriffenen Sammlungen des Vereins in der Großen Hofdornitz des Schweriner Schlosses zugesellt wurde, wurde sie als nunmehrige Sammlung Mecklenburgischer Altertümer auch nach Art der Vereinssammlung auf die geschichtliche Zeit weitergeführt. Infolge des Schloßneubaues mußten beide Sammlungen 1844 das Schloß verlassen und wurden in ein eigenes Gebäude, das der früheren Tierarzneischule in der Amtstraße (Nr. 7), überführt, das in Leopold Zielckes reizvollem Bilde von 1839 in der Schweriner Gemäldegalerie der Nachwelt überliefert ist (s. Abbildung).

Hier in der Amtstraße, wo die Sammlungen bis zur Einrichtung des Großherzoglichen Museums am Alten Garten verblieben, erreicht nun die Wirksamkeit Friedrich Lischs ihren Höhepunkt in der Erprobung und der weiteren Ausgestaltung des Dreiperiodensystems an Hand der erfreulich rasch anwachsenden Geschichtsvereinssammlung.

Mit welch glücklichem Erfolge dies geschah, ergibt sich aus der Resonanz seines Wirkens. So sagt der junge dänische Altertumsforscher Jens Jakob Asmussen Worsaae in seiner 1846 in Kopenhagen erschienenen, "Die nationale Altertumskunde in Deutschland" betitelten Schrift nach einem Hinweis darauf, daß sich im Verlauf von kaum dreißig Jahren in Deutschland gegen achtzig deutsche Altertumskunde und geschichtliche Forschungen pflegende Gesellschaften gebildet hätten, fast alle mit zum Teil bedeutenden Sammlungen von vaterländischen Altertümern, Jahresberichten und Jahrbüchern 25 ).

". . . Rechnet man hiezu, daß die Regierungen an verschiedenen Orten, z. B. in Schwerin, Sammlungen von Altertümern eingerichtet haben und dem Studium derselben kräftige Unterstützung angedeihen lassen, dürfte man wahrlich sehr berechtigt sein, zu glauben, daß die vaterländische Altertumskunde in Deutschland gegenwärtig auf einer hohen Stufe stehen müsse und daß demnach umfassende Resultate bereits gewonnen


25) J. J. A. Worsaae, Die nationale Altertumskunde in Deutschland, Kopenhagen 1846, S. 11 ff..
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seien; aber dies ist bei weitem nicht der Fall, sondern man kann vielmehr sagen, daß sie sich noch in ihrer ersten Kindheit befindet . . .".

Sein nicht sehr schmeichelhaftes, wenn auch offenbar allzu berechtigtes Urteil begründet Worsaae dann so:

"Auf einer antiquarischen Reise, die ich im Jahre 1845 durch Deutschland unternahm, hatte ich Gelegenheit, die wichtigsten Sammlungen in Mecklenburg, Preußen, Sachsen, Österreich, Bayern, Baden, dem Elsaß, in Hessen und Hannover zu sehen; aber ich muß gestehen, daß mit Ausnahme der unter der Aussicht des Herrn Lisch stehenden vortrefflichen Sammlungen in Schwerin, die gewiß für die besten in Deutschland anzusehen sind, sowie der Sammlungen in Kiel, Strelitz und an etwa noch einigen andern Orten, alle übrigen ohne Ordnung und wissenschaftliche Konsequenz aufgestellt waren. . . Entweder hatte man offenbar gar kein System befolgt, oder auch war die in Dänemark zuerst von Thomsen gemachte und durch Lischs gleichzeitige Untersuchungen in Deutschland bekräftigte Einteilung der Denkmäler des Altertums in drei Alter mißverstanden. . ."

Daß es Lisch nicht an Gegnern fehlte und er sich nur langsam durchzusetzen vermochte, auch dafür finden sich Andeutungen bei Worsaae:

"In Mecklenburg hat der sehr verdienstvolle Lisch . . ., sich den nordischen Forschern angeschlossen und die Einteilung in das Steinalter, das Bronzealter und das Eisenalter angenommen; er hat zugleich darzutun gesucht, daß die Denkmäler des Steinalters vielleicht von einem vorhistorischen Volke herrühren, die des Bronzealters von den germanischen Stämmen, und die des Eisenalters von den Wenden oder Slaven. Aber schon in Pommern hat Giesebrecht, freilich nicht mit besonderem Glücke, diesen Ansichten entgegenzutreten gesucht. . . Man ist also kaum soweit gekommen, daß man einigermaßen mit Sicherheit die Zeitfolge der Denkmäler des Altertums in den einzelnen Ländern, Mecklenburg jedoch ausgenommen, bestimmen kann . . . Zwar haben manche Altertumsforscher, unter ihnen besonders Lisch . . . wichtige Beiträge zu einer genaueren Kenntnis der Gräber geliefert; aber ihre Bestrebungen haben erst in spätester Zeit angefangen, eine allgemeinere Nachahmung zu finden."

Hatte Lisch schon 1838, seiner Zeit weit voraus, geglaubt, es werde dahin kommen, daß die deutsche Altertumswissenschaft

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die klassische Altertumskunde binnen kurzem überflügele 26 ), so mußte es sich 1846 die Altertumswissenschaft in Deutschland von dem Ausländer sagen lassen, die römischen und griechischen Archäologen sollten sich nicht länger von den deutschen absondern oder wohl gar höhnisch auf sie herabblicken, sondern sollten brüderlich und unverdrossen mit ihnen zusammen arbeiten 27 ).

Um es nun zusammenzufassen: Friedrich Lisch hat nicht nur als einer der Entdecker des Dreiperiodensystems und als einer der Begründer einer wissenschaftlichen Fundhebung die Sammlung Mecklenburgischer Altertümer in Schwerin zu der damals in Deutschland führenden Forschungsstätte deutscher Altertumskunde gemacht, er war es auch, der in der klaren Erkenntnis, "daß in der vorchristlichen Zeit in den deutschen Ostseeprovinzen bis in das siebente Jahrhundert germanische und von da an bis in das zwölfte Jahrhundert und noch später hinab slavische Völkerschaften wohnten" 28 ), zu dem heute nach hundert Jahren wieder so brennenden Problem der Germanenforschung die Grundlagen schuf.

Auch das mecklenburgische Volk hat gefühlsmäßig die Bedeutung des Mannes herausgefunden, dem es, obwohl er "nur ein Strelitzer" war, Liebe und Achtung entgegenbrachte. So darf denn Archivrat Lisch, der im ganzen Lande als "Knakenpurrer Lisch" 29 ) bekannt und beliebt war, in Fritz Reuters "Urgeschicht von Meekelnborg" nicht fehlen. Zwei Landarbeiter sind auf ein Felssteingewölbe gestoßen. "Hurrah! Hir is't!" - " "Teigen Daler" " , segg ick, " "wull ick gewen, wenn nu de Herr Archivrath Lisch ut Swerin hir wir." " - "Worüm dat?" fröggt hei. - " "Wil de't versteiht" ", segg ick " "de knackt Sei so'n oll Gewölw up, as 'ne Hasselnvet. Un wat dat Slimmst is: wenn wi wat finnen, denn glöwt hei uns dat nich tau, denn hei glöwt blot an dat, wat hei sülben funnen hett" " 30 ).


26) G. C. F. Lisch, in Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, hrsg. von der Societät für wissenschaftliche Kritik zu Berlin, Jahrgang 1838, Band II, Berlin 1838, Sp. 24..
27) J. J. A. Worsaae, Die nationale Altertumskunde in Deutschland, Kopenhagen 1846, S. 22..
28) G. C. F. Lisch, Friderico-Francisceum oder Großherzogliche Altertümersammlung aus der altgermanischen und slavischen Zeit Mecklenburgs zu Ludwigslust, Leipzig 1837, S. 22..
29) Vgl. Heinrich Seidel, Die Augen der Erinnerung und anderes, in Gesammelte Schriften, Band XIV, Leipzig 1897, S. 136..
30) Fritz Reuter, Urgeschicht von Meckelnborg, in Sämtliche Werke, Volksausgabe, Band II, Wismar, Rostock und Ludwigslust 1877, S. 364..
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Und nun die Tragik dieses großen Forschers!

Lisch war seit der Begründung des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, dem all sein Sinnen und Trachten, dem seine beste Kraft durch lange Jahrzehnte gegolten hat, auch die treibende Kraft einer auf das Mittelalter und die neuere Zeit fortgeführten heimischen Altertumskunde geworden.

Er erntete reichste Forschungs- und Sammlungsergebnisse bleibenden Wertes für Mecklenburgs Kultur- und Kunstgeschichte, aber es war ihm doch die wissenschaftliche Zusammenfassung seiner weit über die blau-gelb-roten Grenzpfähle hinaus gerichteten Lebensarbeit nicht beschieden. Wahrlich nicht durch eigene Schuld! Seiner Zeit und seiner Umwelt weit voraus, wurde es um ihn, je älter er wurde, desto einsamer. Er selbst fühlte sich nicht mehr schaffensfroh, zurückgesetzt, minder geachtet.

Das Werk, wie Lisch es vorgeschwebt, eine Altertumskunde Mecklenburgs im mitteleuropäischen Rahmen, blieb ungeschrieben. Zwar hat ein Schweizer Gelehrter, Professor A. Morlot, das Thema aufgegriffen: "Die Altertumskunde Mecklenburgs nach den Arbeiten des Dr. Lisch, verglichen mit der Mitteleuropas", von A. Morlot. Aber es ist nur ein schmales Heft von 41 Seiten, mit seinem ersten, der Steinzeit gewidmeten Teil 1868 in französischer Sprache erschienen 31 ). Lisch selbst blieb verstummt.

Ein großes Forscherleben ist vor Ihnen vorübergezogen, ein Leben voll Schaffensdrang und Schaffensfreude. Ein Leben, durchpulst von heißer Liebe zu Land und Volk. Und war ihm selbst der letzte Erfolg auch versagt, so war sein Leben doch wert, gelebt zu sein: denn "wer den Besten seiner Zeit genug getan, der hat gelebt für alle Zeiten!"

Als endlich 1912 das große Werk Gustaf Kossinnas, "Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft", erschien, da lebte unter weit glücklicheren Verhältnissen wieder auf, was schon drei Generationen zuvor im Geiste geschaut hatte: Friedrich Lisch, Mecklenburgs Bahnbrecher deutscher Altertumskunde.

Vignette

31) A. Morlot, L'Archéologie du Mecklenbourg. D'après les travaux du Dr. Lisch comparée à celle de l'Europe centrale. Première partie. Age de la Pierre, Zurich 1868.
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Dr. H. Krause
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IC.                                    Schwerin, 1. Juli 1935.

Jahresbericht

über das Vereinsjahr

vom 1. Juli 1934 bis 30. Juni 1935.

Im Februar 1935 ist unser Vereinsleiter, Staatsminister i R. D Dr. Langfeld, Exz., aus Rücksicht auf sein hohes Alter von seinem Amte zurückgetreten. Unserer Bitte, von diesem Entschluß abzustehen, glaubte er nicht willfahren zu sollen. Exz. Langfeld hat den Verein, dem er 1882 als junger Assessor beigetreten war, seit dem 1. Juli 1 914 geleitet und kaum je auf den Ausschußsitzungen und Versammlungen gefehlt. Gerne erfüllen wir die Pflicht, ihm auch an dieser Stelle für seine mehr als zwanzigjährige Wirksamkeit den herzlichen Dank des Vereins auszusprechen, dem die Hauptversammlung von 1935 noch besonderen Ausdruck gab.

Gleichfalls wegen hohen Alters hat auch unser Rechnungsführer, Rechnungsrat Sommer, zum 1. Juli 1935 sein Amt niedergelegt. Als er es 1923 übernahm, war er bereits ins achte Jahrzehnt seines Lebens eingetreten und hat dann in frischer Rüstigkeit noch zwölf Jahre für den Verein gewirkt. Dafür, daß er uns einen Teil der Ruhe und Muße seines Alters opferte, gebührt ihm unser aufrichtiger Dank.

Durch den Tod verloren wir unseren stellvertretenden Leiter, den Ministerialdirektor i. R. Dr. Hermann Krause, dessen Bildnis diesem Jahrbuch beigegeben ist. Schon im Elternhause historischen Interessen gewonnen, gehörte er dem Verein seit 1895 an, war Repräsentant seit 1909 und Vizepräsident seit

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1931. Auch war er Mitglied der Urkundenbuchskommission, deren Vorsitz er in den letzten Jahren führte. Wir gedenken seiner mit Trauer, und mit gleicher Trauer erinnern wir uns eines weiteren Mitarbeiters, den uns der Tod genommen hat, des Archivinspektors Paul Carow, der während der siebzehn Jahre seiner Vereinsmitgliedschaft bei aller ihm obliegenden dienstlichen und ehrenamtlichen Arbeitslast doch Zeit fand, sich den Geschäften des Vereins und der Expedition unserer Jahrbücher mit unermüdlicher Bereitwilligkeit zu widmen.

Von den übrigen sieben Toten dieses Vereinsjahres hatten zwei, der Landrentmeister i.R. Leuthold v. Oertzen auf Kotelow (Mitglied seit 1881) und der Ministerialdirektor i. R. Dr. iur. Max Baller (Mitglied seit 1880), dem Verein über ein halbes Jahrhundert die Treue gehalten, über drei Jahrzehnte der Major d. L. a. D. Friedrich Cordes (Mitglied seit 1898).

Eingetreten sind 21 Mitglieder, ausgetreten 27. Der Verein zählte am Schlusse des Geschäftsjahres 10 Ehrenmitglieder, 9 korrespondierende Mitglieder, 7 Beförderer und 425 ordentliche Mitglieder. (Vgl. Anlage A.)

Der Nachtragsband (Band 25) des Mecklenburgischen Urkundenbuches liegt, 800 Seiten stark, bis auf die Register gedruckt vor. Der Inhalt des Bandes, der die Nachträge von 1166 bis 1400 enthält, kommt zum großen Teile der mecklenburgischen Kirchengeschichte und Ortsgeschichte zugute. Seinen Schluß bilden Auszüge aus einer großen Menge von Testamenten aus dem Lübecker Archiv, die für die Familiengeschichte des älteren Mecklenburg wertvolle Aufschlüsse geben.

Zu den Austauschvereinen sind hinzugekommen die Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle, die uns die Jahresschriften für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder liefert, und die Publikationsstelle beim Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, von der wir die Deutschen Monatshefte in Polen erhalten.

An dem historischen Ausfluge nach Lübow, Neuburg und Alt-Gaarz, den die Hauptversammlung von 1934 beschlossen hatte und der am 5. Juli 1934 vor sich ging, nahmen 35 Mitglieder und Gäste teil. Der Ausflug galt vor allem den schönen alten Basiliken-Kirchen von Lübow und Neuburg und der gleichfalls aus der Übergangszeit vom romanischen zum gotischen Stile stammenden Alt-Gaarzer Kirche.

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Auf den vier in Schwerin veranstalteten Vortragsabenden des Geschäftsjahres sprachen: am 15. Nov. 1934 Studienrat Dr. Meyer aus Neustrelitz über die deutsche Not am Rhein zur Franzosen- und Separatisten-Zeit; am 16. Dez. Generalleutnant v. Cochenhausen aus Berlin über Gneisenaus Persönlichkeit in ihrer Bedeutung für die Gegenwart; am 7. März 1935 Pastor D Dr. Schmaltz aus Schwerin über die mecklenburgische Pfarrkirche des 13. Jahrhunderts im Rahmen der deutschen Pfarrkirche dieser Zeit; am 28. März Prof. Dr. Schüßler (jetzt zu Würzburg) über das Thema: Adolf Lüderitz, ein deutscher Kampf um Südafrika.


In das Berichtsjahr fiel das hundertjährige Jubiläum unseres Geschichtsvereins. Es würdig zu begehen, waren wir den Verdiensten, die der Verein sich um die heimische Geschichtsforschung erworben hat, und seinem Ansehen schuldig. Zum Tage der Feier wurde der 22. Juni 1935 bestimmt und beschlossen, sie mit der Hauptversammlung zu verbinden, aber deren geschäftlichen Teil auf den Abend des 21. Juni zu verlegen, um die festliche Sitzung des nächsten Tages davon freizuhalten.

Auf der kurzen geschäftlichen Sitzung am 21. Juni legte Dr. Stuhr als stellvertretender Vereinsleiter die gemäß den Erfordernissen der Zeit umgestaltete und vom Staatsministerium am 6. Juni genehmigte Satzung vor. Die Versammlung erklärte sich mit der neuen Fassung und den neuen Bestimmungen der Satzung (s. den Abdruck am Schluß dieses Jahrbuches) einverstanden. An Stelle des zurückgetretenen bisherigen Vereinsleiters Exz. Langfeld wurde gemäß § 5 der Satzung Staatsarchivdirektor i. R. Dr. Stuhr zum Vereinsleiter gewählt. Er erklärte zu seinem Stellvertreter den Unterzeichneten und berief in den Beirat die bisherigen Ausschußmitglieder und den Staatsarchivrat Dr. Steinmann sowie den Rechtsanwalt Dr. jur. Franz Haacke, der sich bereit fand, das Amt des Schatzmeisters an Stelle unseres verdienten bisherigen Rechnungsführers L. Sommer, der jedoch Mitglied des Beirates bleibt, zu übernehmen. Den Geschäftsbericht über das Vereinsjahr 1934/35 erstattete der Unterzeichnete, den Kassenbericht für 1933/34 (Anlage B) Rechnungsrat Sommer, dem Entlastung erteilt wurde. Von einem histo-

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rischen Ausflug beschloß man im Jahr 1935 abzusehen, da er der Jubiläumsfeier zu bald hätte folgen müssen.

Am 22. Juni waren am Schweriner Archivgebäude, in dem die Festsitzung stattfand, zu Ehren des mit dem Archiv von jeher eng verbundenen Vereins die Flaggen aufgezogen. Lorbeerbäume und Blattpflanzen schmückten die Eingangshalle, und im Vortragssaale war die Büste unseres Gründers Friedrich Lisch, umgeben von Lorbeer und Blumen, aufgestellt. Hinter dem Tische der Vereinsleitung legten die aufgereihten Vereinsschriften Zeugnis ab von der wissenschaftlichen Vereinstätigkeit eines Jahrhunderts.

Um 10 Uhr morgens eröffnete der Vereinsleiter Dr. Stuhr die Versammlung. Er teilte mit, daß leider der Herr Reichsstatthalter am Erscheinen verhindert sei, begrüßte den Herrn Vertreter des Staatsministeriums, Ministerialrat Dr. Lobedanz, sowie die beiden an der Feier teilnehmenden fürstlichen Damen, die Frau Großherzogin von Oldenburg und die Frau Herzogin Adolf Friedrich, und entbot zugleich allen den Saal bis auf den letzten Platz füllenden Ehrengästen und Mitgliedern den Gruß des Vereins. Von S. K. H. dem Großherzog, der zu unserem Bedauern nicht persönlich hatte erscheinen können, war das folgende Telegramm eingegangen:

Dem Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde sende ich zu seinem hundertjährigen Bestehen meine wärmsten Glückwünsche. Möchte es dem Verein vergönnt sein, seine der geschichtlichen Erforschung unserer geliebten mecklenburgischen Heimat gewidmete Aufgabe auch weiterhin erfolgreich zu betreiben.

Friedrich Franz.

Alsbald nach der Eröffnungsansprache ward den Vertretern auswärtiger Geschichtsvereine, die uns durch persönliche Darbringung ihrer Glückwünsche ehrten, das Wort gegeben. Für den Verein für Schleswig-Holsteinische Geschichte, mit dem wir seit fast einem Jahrhundert wissenschaftlichen Verkehr pflegen, sprach Landesbibliothekar Dr. Pauls aus Kiel und überreichte als Festgabe die bisher erschienenen vortrefflichen Lieferungen der von ihm und O. Scheel herausgegebenen groß angelegten Geschichte Schleswig-Holsteins, die Zusendung der späteren Hefte in Aussicht stellend. Unser Dank für dieses wertvolle Geschenk sei auch an dieser Stelle bekundet. - Die Grüße des benachbarten Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (Tauschverein seit 1845) überbrachte Staatsarchivar

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Dr. Fink, der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Lübeck und Mecklenburg in Vergangenheit und Gegenwart gedenkend, aus denen die geschichtswissenschaftlichen sich als natürliche Folge ergeben haben. - Als Vertreter des Vereins für Hamburgische Geschichte (Tauschverein seit 1841) und des Hansischen Geschichtsvereins war Staatsarchivdirektor i. R. Prof. Dr. Nirrnheim aus Hamburg erschienen. Er wies in seiner Ansprache auf die Freundschaft hin, die einst Friedrich Lisch mit dem ersten Leiter des Hamburger Vereins, Johann Martin Lappenberg, und dessen Nachfolger Otto Beneke verband und rühmte die Förderung, die hansische und mecklenburgische Geschichtsforschung sich gegenseitig durch große Urkundenwerke hätten angedeihen lassen. Auch solle nicht vergessen werden, wie stark die Bevölkerung der Elbestadt vom Mittelalter her bis in unsere Tage durch den Zustrom aus Mecklenburg immer wieder lebendige Erneuerung und Verschmelzung mit frischen Kräften erfahren habe. - Den Wünschen des Vereins für Rostocks Altertümer gab Studienrat Dr. Becker herzlichen Ausdruck und betonte die diesen Verein mit uns verbindende Aufgabe, der heimatlichen historischen Forschung zu dienen. Mit schuldigem Dank sei hervorgehoben, daß er als Ehrengabe des Rostocker Vereins eine Arbeit von Fr. Bachmann, "Flaggen und Farben der Seestadt Rostock und des Landes Mecklenburg", überreichte, von der jedem Teilnehmer an der Sitzung ein Abdruck ausgehändigt werden konnte. Die Glückwünsche des Heimatbundes Mecklenburg endlich brachte dessen Leiter, Amtsgerichtsrat Schlüter, dar, zugleich hinweisend auf die von Volkskunde und Geschichtswissenschaft zu erstrebenden Ziele.

Telegraphisch oder brieflich hatten Glückwünsche übersandt unser früherer Vereinsleiter Exz. Langfeld, der Herr Landesbischof, S. Magnifizenz der Rektor der Landesuniversität, die Städte Rostock und Wismar, das Preußische Staatsarchiv in Stettin, der Gesamtverein der deutschen Geschichtsvereine, der Mecklenburg-Strelitzer Verein für Geschichte und Heimatkunde, der Heimatbund für das Fürstentum Ratzeburg, der Historische Verein für Niedersachsen, der Deutsche Roland und viele Freunde unseres Vereins.

Von selbst verstand es sich, daß auf der Versammlung ein Überblick über die hundertjährige Geschichte unseres Vereins in einem Vortrage gegeben wurde. Dieser Aufgabe unterzog sich

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unser Vereinsleiter Dr. Stuhr, dessen Ausführungen an anderer Stelle des vorliegenden Jahrbuches wiedergegeben sind. Nachdem dann während einer Pause ein einfaches Frühstück im Benutzersaale des Archivs dargeboten war, ergriff Museumsrat Dr. Reifferscheid aus Neustrelitz das Wort zu dem zweiten Vortrage der Tagung: Friedrich Lisch, Mecklenburgs Bahnbrecher deutscher Altertumskunde * ). Es war Ehrenpflicht, dieses großen und verdienten Gelehrten auf der Hundertjahrfeier des von ihm gegründeten Vereins zu gedenken, sind zwar besonders des Prähistorikers Lisch, der die Schweriner vorgeschichtliche Sammlung, die ja noch heute zum großen Teile im Eigentume des Geschichtsvereins steht, zu einer der bedeutendsten Deutschlands erhoben hatte. Zugleich war es uns eine besondere Freude, zu diesem Vortrage Dr. Reifferscheid aufzufordern, der während mehrerer Jahre und bis vor kurzem die prähistorische Sammlung und die einschlägige Denkmalspflege betreut hatte, sich, obwohl Kunsthistoriker von Fach, schnell in den neuen Wirkungskreis hineinfand und, indem er eine moderne Konservierungswerkstatt für die vorgeschichtlichen Altertümer schuf und die Neuaufstellung der Sammlung im Schweriner Schlosse vorbereitete, den Boden für weitere Tätigkeit eines von ihm selbst gefordeten Fachmannes ebnete.

Zum Schlusse der Feier gab der Vereinsleiter die schon am Abend vorher auf der geschäftlichen Sitzung beschlossenen Ehrungen bekannt. Er ernannte zu Ehrenmitgliedern des Vereins:

den Staatsminister i. R. D Dr. Langfeld, Exz., in dankbarer Anerkennung, seiner mehr als zwanzigjährigen Vereinsleitung,

den Universitätsprofessor Dr. Spangenberg, zu Rostock in Würdigung seiner Verdienste um die mittelalterliche Geschichte Mecklenburgs;

ferner, in Anerkennung einer mehr als fünfjährigen getreuen Mitgliedschaft,

den Wirkl. Geh. Rat v. Blücher, Exz., in Bad Doberan,
den Drosten v. Abercron in Ehlerstorf,
den Geh. Studienrat Prof. Ringeling in Schönberg,


*) Siehe den Abdruck des Vortrages in diesem Jahrbuche.
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den Propst emer. Reuter in Bad Doberan,
den Pastor emer. Bachmann in Schwerin.

Zu korrespondierenden Mitgliedern wurden ernannt:

Universitätsprofessor Dr. Schüßler in Würzburg und Museumsdirektor Prof. Dr. Lauffer in Hamburg, beide in Anerkennung ihrer zahlreichen im Verein gehaltenen Vorträge; ferner Staatsarchivar Dr. Fink in Lübeck zum Dank für die Förderung, die unsere Urkundenforschung durch ihn im Lübecker Archiv gefunden hat.

Mit einem dreifachen Sieg-Heil auf den Führer und Reichskanzler schloß der Vereinsleiter die Sitzung. -

Ein gemeinsames Mittagessen fand im Niederländischen Hofe statt. Für den Nachmittag war ursprünglich die Besichtigung einer vorgeschichtlichen Ausstellung im neuen Saale des Schlosses geplant, die aber leider nicht rechtzeitig vollendet werden konnte. Dankenswerterweise zog uns die Museumsverwaltung aus der Verlegenheit, indem sie eine Führung durch das Schloßmuseum anbot. Wegen der großen Zahl der Besucher mußte in zwei Abteilungen geführt werden. Museumsdirektor Prof. Dr. Josephi und Museumsrat Dr. Reifferscheid, die beide in gemeinsamer Arbeit und mit großer Liebe diese Perle eines Schloßmuseums geschaffen haben, geleiteten uns durch die prächtigen Räume und wußten mit berebten Worten die Geschichte des Schlosses sowie Herkunft, historische Bedeutung und Schönheit der Sammlungen zu schildern. Mit besonderem Danke sei hervorgehoben, daß das Staatsministerium jedem Teilnehmer ein Exemplar des von Professor Josephi verfaßten wissenschaftlichen Führers durch das Schweriner Landesmuseum (die Sammlungen und die Prunkräume des Schloßmuseums) überreichen ließ.

Für den Abend hatte der Verein zu einer Dampferfahrt nach Zippendorf eingeladen, wo im Strandhotel das Abendessen eingenommen wurde. Auf der Rückfahrt erfreute man sich an der wohlgelungenen Schlußbeleuchtung, für deren Darbietung wir dem Rate der Landeshauptstadt Schwerin zu Dank verbunden sind.

Es schließe dieser Bericht mit dem Gelöbnis, daß unser hundertjähriger Verein auch in Zukunft seine vaterländischen und wissenschaftlichen Pflichten erfüllen wird, im Sinne des Wirkens der drei Männer, die während mehr denn acht Jahr-

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zehnten das erste Sekretariat des Vereins und damit seine wissenschaftliche Führung innehatten und deren Gräber auf dem Schweriner Friedhofe wir am 20. Juni mit Kränzen geschmückt haben, im Sinne von Friedrich Lisch, Friedrich Wigger und Hermann Grotefend.

W. Strecker.      


 

Vereinsleitung und Beirat für 1935/36.

Vereinsleiter: Staatsarchivdirektor i. R. Dr. Stuhr,

Beirat: Staatsarchivdirektor Dr. Strecker (stellv. Leiter und Schriftführer),
            Generalleutnant a. D. v. Woyna, Exz.,
            Rechnungsrat Sommer
            Landesbibliotheksdirektor Dr. Crain (Bücherwart),
            Pastor emer. Bachmann (Bilderwart),
            Ministerialdirektor Schwaar,
            Rechtsanwalt Dr. Haacke (Schatzmeister),
            Staatsarchivrat Dr. Steinmann.


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Anlage A.

Veränderungen des Mitgliederstandes

im Vereinsjahr 1933/34.

Ehrenmitglieder.

Ernannt am 21. Juni 1935: 1. Staatsminister i. R. D Dr. Adolf Langfeld, Schwerin. Mitglied seit 22. Juli 1882. Vereinspräsident vom 1. Juli 1914 bis 25. Febr. 1935. 2. Drost i. R. Karl v. Abercron, Ehlerstorf. Mitglied seit 14. Okt. 1881. 3. Pastor emer., Friedrich Bachmann, Schwerin. Mitglied seit 5. Sept. 1883. Bilderwart seit 1. Juli 1931. 4. Wirkl. Geh. Rat Ulrich v. Blücher, Exz., Bad Doberan. Mitglied seit 2. April 1881. Vereinsvizepräsident vom 1. Juli 1917 bis 30. Juni 1920. 5. Propst emer. Ludwig Reuter, Bad Doberan. Mitglied seit 24. Aug. 1883. 6. Geh. Studienrat Prof. Wilhelm Ringeling, Schönberg. Mitglied seit 12. Jan. 1883. 7. Univ.-Prof. i. R. Dr. Hans Spangenberg, Rostock. Mitglied seit 19. Okt. 1921.

Korrespondierende Mitglieder.

Ernannt am 21. Juni 1935: 1. Univ.-Prof. Dr.Wilhelm Schüßler, Würzburg. Mitglied seit 8. Mai 1922. 2. Museumsdirektor Univ.-Prof. Dr. Otto Lauffer, Hamburg. 3. Staatsarchivar Dr. Georg Fink, Lübeck.

Ordentliche Mitglieder.

Eingetreten sind: 1. Fräulein Hetta v. Schmidt, Schwerin. 2. Archivinspektor Paul Kuhlmann, Schwerin. 3. Oberkirchenrat Dr. Joh. Heepe, Schwerin. 4. Kaufmann Albert Rathsack, Wernigerode. 5. Hof-Ofenfabrikant Otto Brockmann, Schwerin. 6. Studienrat Dr. Robert Ahrens, Malchin. 7. Justizoberinspektor Friedrich Hückstädt, Wismar. 8. Fräulein Marie Weber, Malerin, Schwerin. 9. Fräulein Helene Stier, Mittelschullehrerin, Schwerin. 10. Frl. Dr. phil.

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Gertrud Lembke, Rostock. 11. Lehrerbücherei des Reformrealgymnasiums Waren. 12. Pastor emer. Karl Bardey, Schwerin. 13. Rektor Wilhelm Seemann, Schwerin. 14. Dr. med. Adolf Kahl, Schwerin. 15. Ministerialrat Dr. Hans Barfurth, Schwerin. 16. Dr. Wilfrid Kuhn, Briggow b. Kleeth. 17. Fabrikbesitzer Carl Aug. Lau, Woldegk. 18. Schiffsmakler Heinz Bernhard Rehberg, Stralsund. 19. Bürgermeister i. R. Dr. iur. Hermann Lisch, Rostock. 20. Gerichtsassessor Graf Werner v. Bernstorff, Rehna. 21. Archivinspektor Johannes Kock, Schwerin.

Gestorben sind: 1. Landrentmeister i. R. Leuthold v. Oertzen, Kotelow, am 16. Juli 1934. 2. Ministerialdirektor i. R. Dr. iur. Max Baller, Schwerin, am 20. August 1934. 3. Generaldirektor Carl Gütschow, Schwerin, am 10. Nov. 1934. 4. Oberpostrat a. D. Karl Voß, Wustrow, im November 1934. 5. Büroinspektor Theodor Müller, Schwerin, im Dezember 1934. 6. Major d. L. a. D. Friedrich Cordes, Schwerin, am 22. März 1935. 7. Archivinspektor Paul Carow, Schwerin, am 9. April 1935. 8. Ministerialdirektor i. R. Dr. Hermann Krause, am 24. April 1935. 9. Frau Marie Luise v. Gundlach, geb. v. Bülow, Schwerin.


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Anlage B.

Auszug aus der Vereinsrechnung

für den Jahrgang 1. Juli 1933/34.

Auszug aus der Vereinsrechnung für den Jahrgang 1. Juli 1933/34.
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Auszug aus der Vereinsrechnung für den Jahrgang 1. Juli 1933/34.

Der Rechnungsführer.
Sommer.      

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Satzung

des Vereins für Mecklenburgische
Geschichte und Altertumskunde

(gegründet 22. April 1835)

 

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I. Name, Sitz und Zweck.

§ 1.

Der Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde hat seinen Sitz in Schwerin, Beaugencystr. 2, und hat die Rechte einer juristischen Person. Er verfolgt den Zweck, die mecklenburgische Geschichte nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu erforschen und zugleich das Verständnis für die Vergangenheit und Gegenwart unseres deutschen Vaterlandes zu vertiefen.

§ 2.

In Erfüllung dieses Zweckes veröffentlicht der Verein

  1. die "Mecklenburgischen Jahrbücher",
  2. das "Mecklenburgische Urkundenbuch" und als Fortsetzung die "Regesten des 15. Jahrhunderts", deren Herausgabe einer besonderen Kommission des Vereins obliegt,
  3. die "Mecklenburgischen Geschichtsquellen".
§ 3.

Der Verein besitzt wertvolle Sammlungen, die mit den gleichartigen Sammlungen des Landes vereinigt sind und mit ihnen zusammen verwaltet werden. Es befinden sich die Altertümer des Vereins im Landesmuseum, seine Bücher und Zeitschriften in der Landesbibliothek und seine Urkunden und Bilder im Geheimen und Haupt-Archive zu Schwerin.

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II. Verfassung und Verwaltung.

§ 4.

Organe des Vereins sind

  1. der Vereinsleiter; er ist der Vorstand des Vereins im Sinne des § 26 BGB.;
  2. der Beirat, bestehend aus acht Mitgliedern einschließlich der Beamten;
  3. die Hauptversammlung.
§ 5.

Der Vereinsleiter wird von der Hauptversammlung gewählt. Er leitet den ganzen Geschäftsbetrieb und ist für ihn verantwortlich. Er vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters.

§ 6.

Der Vereinsleiter beruft die acht Mitglieder des Beirats, die ihn bei den Vereinsarbeiten zu beraten und zu unterstützen haben. Er bestimmt seinen Stellvertreter, einen oder zwei Schriftführer und einen Schatzmeister. Zusammenlegung von Ämtern ist zulässig. Die Beamten tragen gegenüber dem Vereinsleiter die Verantwortung für die von ihnen verwalteten Ämter. Der Beirat hat die Jahresrechnung nach erfolgter rechnerischer Überprüfung in sachlicher Hinsicht zu prüfen und ihre Richtigkeit zu bestätigen.

§ 7.

Die Hauptversammlung findet jährlich möglichst im April in Schwerin statt. Alle Mitglieder erhalten dazu spätestens eine Woche vorher gedruckte Einladungskarten mit Angabe der Tagesordnung. Die Hauptversammlung faßt ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder. Sie nimmt den Geschäftsbericht und den Kassenbericht entgegen, entlastet den Vereinsleiter und beschließt über Satzungsänderung und Auflösung des Vereins.

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§ 8.

Jährlich am 11. Juli oder an einem naheliegenden Tage findet ein gemeinsamer Ausflug nach geschichtlich bemerkenswerten Ortschaften Mecklenburgs oder seiner Nachbarschaft statt, um durch Besichtigungen und Vorträge das Interesse für die Vereinsaufgaben zu heben.

§ 9.

Im Winter werden nach Gelegenheit Vorträge gehalten.

III. Mitgliedschaft.

§ 10.

Zum Verein gehören ordentliche, korrespondierende und Ehrenmitglieder.

§ 11.

Ordentliches Mitglied kann jede unbescholtene, volljährige Person arischer Abkunft nach schriftlicher oder mündlicher Anmeldung werden. Über die Aufnahme entscheidet der Vereinsleiter. Die ordentlichen Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag von 6 RM. Der Austritt ist nur zum Schluß eines Geschäftsjahrs zulässig.

Das Geschäftsjahr reicht vom 1. Juli bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres. Die Beiträge der Schweriner Mitglieder werden im dritten Vierteljahre (Januar bis März) von einem Boten eingesammelt. Die auswärtigen Mitglieder überweisen ihre Beiträge in demselben Vierteljahre portofrei an den Verein (Vereinskonto bei der Depositen- und Wechselbank zu Schwerin oder Postscheckkonto Nr. 26798 Hamburg).

Die Mitglieder erhalten die laufenden Jahrbücher unentgeltlich und auf Wunsch die übrigen Vereinsschriften zu ermäßigten Preisen.

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§ 12.

Der Vereinsleiter ernennt nach Anhören des Beirats Gelehrte, die außerhalb Mecklenburgs wohnen und sich um den Verein Verdienste erworben haben, zu korrespondierenden Mitgliedern und mit Zustimmung der Hauptversammlung verdiente Mitglieder zu Ehrenmitgliedern.

§ 13.

Den Tauschverkehr mit anderen Vereinen und Instituten beschließt der Vereinsleiter nach Anhören des Beirats.

IV. Satzungsänderung und Auflösung des Vereins.

§ 14.

Eine Satzungsänderung und die Auflösung des Vereins müssen mit 3/4 Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder in einer Hauptversammlung beschlossen werden und bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Kommt es zur Auflösung, so gehen die Vereinssammlungen mit Zubehör in das Eigentum des Landes Mecklenburg über. Dagegen verfügt die Hauptversammlung frei über das Vereinsvermögen und die vorrätigen Druckschriften.

V. Schlußbestimmung.

§ 15.

Diese Satzung tritt nach Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde mit dem 1. Juli 1935 in Kraft.

 

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