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1. Die Gründung der Stadt Parchim 386 ).

Die Stadt Parchim an der Elde wurde in den Jahren 1225 - 1226 von Heinrich Borwin II. gegründet 387 ). Aus der


386) Vgl. F. Cleemann, Chronik und Urkunden der Mecklenburg-Schwerinschen Vorderstadt Parchim, Parchim 1825; W. G. Beyer, Betrachtungen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt Parchim, Parchim und Ludwigslust 1839; H. W. C. Hübbe, Zur topographischen Entwicklung der Stadt Parchim, Parchim 1899; C. Augustin, Geschichte der Stadt Parchim, Parchim 1926; Schlie a. a. O. IV, S. 420 ff.; Bachmann a. a. O. S. 427 ff. Vgl. den beigefügten Stadtplan von Parchim.
387) M.U.B. I, 319.
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nicht gerade sorgfältigen Schrift der Stiftungsurkunde und dem Fehlen der Zeugenreihe erkennt man, daß die Urkunde in aller Eile ausgestellt wurde. Wahrscheinlich hat Heinrich Borwin sie noch kurz vor seinem Tode am 4. oder 5. Juli 1226 abfassen lassen 388 ). Somit kann man das Gründungsdatum der Stadt mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Zeit kurz vor dem 4. oder 5. Juli 1226 ansetzen.

Obgleich vor der Stadtgründung der Name Parchim aus unserer schriftlichen Überlieferung nicht bekannt ist 389 ), haben wir doch wohl anzunehmen, daß schon vor der Einordnung Mecklenburgs in den deutschen Reichsverband Parchim ein Ort von einiger Bedeutung war, da ein wendischer Burgwall neben der Stadt erhalten ist, nach dem das umliegende Land benannt wurde. Diese Burg ist vielleicht vor der Stadtgründung nicht mehr mit Burgleuten besetzt gewesen; denn die Stiftungsurkunde der Stadt nennt das Land Parchim ein "verlassenes und unwegsames Land" 390 ). Schon damit scheint auch die Annahme hinfällig zu sein, daß neben der alten Wendenburg vor der Stadtgründung eine christliche Siedlung bestand. Trotzdem ist einiges dafür angeführt worden. Man begründet die Existenz dieser Siedlung mit der Vermutung, daß an der heutigen Parchimer Georgenkirche schon vor dem Jahre 1225 gebaut wurde, weil diese Kirche nach Reifferscheid "Reste eines alten Baues von basilikaler Anlage" in sich enthalte, deren Stilcharakter auf eine Anlage der Kirche vor der eigentlichen Kolonisationszeit hinweist 391 ). Ferner glaubt Schmaltz auch aus dem Umfange des Parchimer Georgenkirchspiels, das wahrscheinlich in der ersten Zeit seines Bestehens das ganze Land Parchim umfaßte und auch noch in nachfolgender Zeit "die späteren Kolonisationspfarren um mehr als das Doppelte übertraf", auf die Existenz einer christlichen Siedlung schon vor der Stadtgründung schließen zu dürfen 392 ). Die Richtigkeit


388) Vgl. die Anmerkung des Herausgebers zu M.U.B. I, 319.
389) Die Urkunde M.U.B. I, 91, in der die Burg Parchim erwähnt wird, ist gefälscht. Vgl. Salis, Die Schweriner Fälschungen, a. a. O.
390) Unbesiedelt wird das Land Parchim trotzdem nicht gewesen sein. Die Gründungsurkunde Parchims redet im § 10 von Gütern, die aus der Zeit des Heidentums stammen.
391) Augustin a. a. O. S. 5; Reifferscheid a. a. O. S. 86/87.
392) M.J.B. 72, S. 184/85.
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Plan der Stadt Parchim in geschichtlicher Entwicklung
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dieser Ansicht läßt sich urkundlich nicht nachweisen. 393 ). Doch ist es nach der Form und der Lage des "alten Marktes" in Parchim keineswegs unmöglich, daß neben der Burg Parchim vor der Stadtgründung ein Marktverkehr und hier vielleicht eine christliche Kaufmannssiedlung bestand. Betrachtet man den Plan der Altstadt Parchim, so fällt sofort auf, daß der Marktplatz sowohl nach seiner Form wie auch nach seiner Lage dem Gesamtplan der Stadt nicht entspricht. Der "alte Markt" liegt zusammen mit der Kirche am Rande der alten Stadt in nächster Nähe der Burg. Er ist lediglich eine Erweiterung der Hauptverkehrsstraße, die über Parchim von der Elbe nach der Ostsee (Wismar) führte. Man erkennt diese Form und Entstehung des alten Marktes noch deutlicher aus der Tatsache, daß er seine unmittelbare Fortsetzung im "Schuhmarkt" hat. So ergibt sich das Bild einer großen Marktstraße, die sich im Halbkreis um die Kirche herumzog. Die Richtung dieser Marktstraße ist bezeichnenderweise die der Elbe-Ostseestraße. Es ist nun nicht zu vermuten, daß man den Marktplatz in dieser Form am Rande der Stadt angelegt hätte, wenn er nicht schon in dieser Lage als Marktstraße vorhanden gewesen wäre, als die Stadt angelegt wurde. Danach bestand vielleicht schon vor der eigentlichen Stadtgründung bei der Burg Parchim eine Marktsiedlung, die auch - vorausgesetzt, daß die Argumente, die Reifferscheid dafür beibringt, richtig sind - eine eigene Kirche besaß.

Die Stiftungsurkunde gibt uns über den Vorgang der Stadtgründung mancherlei Auskunft. Sie läßt das Verdienst der Fürsten an der Gründung der Stadt und der Kolonisation des Landes klar hervortreten. Ausdrücklich sagt die Urkunde, daß die Ansiedler, die von nah und fern herbeikamen, von Heinrich Borwin zur Besitzergreifung des Landes eingeladen wurden 394 ). Es ist somit das Verdienst des Fürsten, die Kolo-


393) Die Urkunde, die wenigstens in einem Fall diese Tatsache zu erweisen scheint, ist nach Kunkel gefälscht (A. Kunkel, Archiv für Urkundenforschung III, S. 76 über M.U.B. I, 125). Überhaupt ist die Ansicht von Schmaltz, daß "die Christianisierung Mecklenburgs schon vor einer deutschen Kolonisation und ohne deren Rückhalt nicht unerhebliche Fortschritte machte", durch die Urkundenforschung von Salis und Kunkel, die die Urkunden, auf die Schmaltz sich mit seiner Ansicht zu stützen vermochte, als Fälschungen erkannten (M.U.B. I, 91, 125, 147, 152), unhaltbar geworden.
394) "Ipsos tam de longinquis, quam de uicinis partibus inuitantes".
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nisation des Landes Parchim eingeleitet zu haben, die allerdings, wie es bei den Wendenfürsten natürlich ist, nach unserer Urkunde nicht als eine Germanisation, sondern als eine Christianisierung und wirtschaftliche Neugestaltung des Landes erscheint 395 ).

Zur technischen Durchführung der Stadtgründung und der Kolonisation des Landes bediente sich der Fürst einiger Lokatoren. Um dies zu beweisen, sei zunächst festgestellt, was man bisher noch nicht erkannt hat, daß die Stiftungsurkunde, die auch die Verleihung eines Stadtrechtes an "den neuerbauten Ort Parchim" enthält, die Form eines Vertrages zwischen Heinrich Borwin und einigen Lokatoren aufweist, die die Empfänger der Urkunde sind und zum Bau der Stadt und zur Kolonisation des Landes verpflichtet werden. Die Urkunde hat folgenden Wortlaut 396 ): "Heinricus Burwinus, dei gracia dominus in Rozstoc, vniuersis hanc paginam tam legentibus, quam audientibus. Notum facimus, quod diuina fauente miseracione nostraque sedula promocione terram Parchem, terram inquam desertam et inuiam, terram cultui demonum dedicatam, colonis commisimus christianis, ipsos tam de longinquis, quam de uicinis partibus inuitantes. In ipsa quoque prouincia ciuitatem construximus, iura ei et iudicia prestantes, que congrua, commoda et utilia terre ac ciuitatis. eiusdem cultoribus 397 ) uidebantur.

1) Primo autem omnium ipsam ciuitatem liberam concessimus omnibus inhabitantibus eam cum omni iure.

2) Huius eciam ciuitatis cultoribus dedimus omnem prouentum, qui vulgo sonat inninge 398 ), et solidum vriedescillinc, et ad emendacionem et structuram ciuitatis.


395) "Terram Parchem, terram inquam desertam et inuiam, terram ,cultui demonum dedicatam, colonis commisimus christianis".
396) M.U.B. I, 319: "Heinrich Borwin, Fürst von Rostock, bewidmet den neu erbauten Ort Parchim mit dem Stadtrecht".
397) "cultoribus" ist nicht, wie bisher allgemein üblich, als "dativus commodi" aufzufassen und mit "für die Bebauer" zu übersetzen, sondern als "dativus des Objekts" zu betrachten und mit "den cultores" (Lokatoren) zu übersetzen. Das ergibt sich aus dem § 2. Vgl. die Ausführungen im Text.
398) Der Ausdruck "prouentum, qui vulgo sonat inninge" ist zu übersetzen mit "Einkunft aus der Innung". So nennt Herzog Otto von Braunschweig im Jahre 1240 (Rechtmeyers Braunschw. Chron. Append. p. 1830) das Verkaufsrecht einer Innung "gratiam vendendi, quae vulgariter dicitur inninge".
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3) Item tercia pars de uadiis magnarum causarum, sicuti de pugna infra ciuitatem supra IV solidos cedet in usus ciuitatis.

4) Item concedimus, quod ipsosciues nullam reisam uel expedicionem extra dominium nostrum oporteat equitare.

5) Item quod pro nulla causa ad alcius uadum, quam XII solidos debent conpelli, nisi pro homicidio uel aliquo uulnere, quod per aciem ferri fiat.

6) Item quicunque ciuis accommodaueritt bona sua qualiacumque alicui extra ciuitatem, et ille non soluerit, in ciuitate detineatur, donec soluat uel iusticiam exhibeat.

7) Item ciues de Parchem non dabunt forense telonium per omnes terminos terre nostre.

8) Item datum est omnibus in terra morantibus, quod nullum ad concilium, quod marcdinc uocatur, sunt conpellendi; similiter ad ius feodale, quod lenrecht uocatur, sunt minime conpellendi, sed tantum ad ius, quod mannerecht vulgo sonat.

9) Item equam partem habere debent filie cum filiis in omnibus bonis, tam feodis, quam aliis; et si non sint filii, prestari debent filiabus bona patris.

10) Item si contingat mori aliquem, cuius filii non receperunt bona sua uiuente patre, prestari debent bona, que patres eorum possederuntt a paganismo et cultu siluestri.

11) Item concedimus, ut ea, que herewede dicuntur, et muliebria, que wiberade uocantur, minime dentur, sed hereditas est per medium diuidenda.

12) Pascusa uero ciuitatis protendunt a ualle campi Boken usque ad tiliam et inde usque ad fontem et a fonte directe donec in Zlonenam fluvium.

13) Item piscacio peromnem prouinciam communis et libera est cum sportis et hamis et retibus, exceptis solis sagenis.

14) Item quicumque obtinet bona sua et optenta possidet diem et annum, nullus debet uel poterit infringere pretendens racionem prioris beneficii.

15) Super hec omnia unicuique ita concessa sunt bona sua primitus cum omni iure, ut a nemine hominum paciatur molestiam uel grauamen.

Das Wort "cultores" kommt im Text der Urkunde nur an zwei Stellen vor. Zunächst finden wir es in der Narratio

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der Urkunde, wo die ausschlaggebende Stellung der "cultores" des Landes (!) und der Stadt bei der Auswahl der Rechte und Privilegien der Ansiedler betont wird, ein Umstand, der es auch wahrscheinlich macht, daß die cultores die Empfänger der Urkunde waren. Außerdem werden die cultores noch in § 2 erwähnt, in dem ihnen speziell städtische Einnahmen, die Einkünfte, die von den Innungen zu erheben waren, und der Friedensschilling überwiesen werden. Dabei wird hinzugefügt, daß sie diese Einnahmen zur Instandhaltung und Erbauung der Stadt benutzen sollten. Deutlich erscheint hier also die Aufgabe der cultores als die der Erbauung der Stadt. Die cultores werden in der Urkunde von den "cives" und "coloni" unterschieden. Denn das Recht, militärische Dienste nur in den Grenzen der Herrschaft Heinrich Borwins leisten zu brauchen, wird den Bürgern (cives) verliehen. Auch kommen die andern finanziellen Einnahmen, die im Privileg von Borwin erteilt werden, der Stadt als solcher zu (civitas). Außerdem kann das Wort "cultores" in dem Sinne von "Bebauer" (coloni) hier nicht gebraucht sein, da einer solchen Annahme der Inhalt des § 2, wo eigentümlich städtische Rechte den cultores verliehen werden, und die Tatsache, daß in der Urkunde an anderer Stelle für unser deutsches Wort "Bebauer" das Wort "colonus" gebraucht wird, widersprechen würden. Die cultores sind danach aus dem breiten Stand der "cives" und "coloni" herausgehoben, und nach dem Inhalt des § 2 ist es so gut wie sicher, daß wir in diesen cultores die eigentlichen Unternehmer der Stadtgründung zu suchen haben. Daneben erhielten sie nach unserer Urkunde auch den Auftrag zur Kolonisation des ganzen Landes Parchim.

Denn außer der Stelle in der Narratio, die davon redet, daß das Land Parchim christlichen Ansiedlern überlassen sei, und die cultores als solche der Stadt und des Landes bezeichnet, enthält auch der § 8 eine Bestimmung für alle Einwohner des Landes. Ferner scheinen auch die §§ 9 - 11, die Erbrechtsbestimmungen enthalten, für das ganze Land zu gelten, da diese Anordnungen auf keinen besonderen Stand beschränkt werden und diese Paragraphen außerdem hinter dem § 8 folgen, dessen Inhalt für alle Einwohner des Landes gelten soll. Ferner wird auch im § 13 das Fischereirecht im ganzen Land für gemein und frei erklärt. Man sieht also aus diesen Bestimmungen, daß der Landesherr nicht nur die Anlage der

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Stadt, sondern auch die Kolonisation des ganzen Landes ins Auge faßte und für beide Aufgaben die Lokatoren verpflichtete.

Es ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, daß Parchim im 14. Jahrhundert im Besitz fast der ganzen Vogtei Parchim ist und noch heute neben Rostock den größten Landbesitz unter den mecklenburgischen Städten hat 399 ). Daraus scheint hervorzugehen, daß die Stadt tatsächlich auf die Kolonisation des nach ihr benannten Landes maßgebenden Einfluß geübt hat.

Der Parchimer Lokationsvertrag enthält auffallenderweise keine Bestimmung über die Einsetzung bzw. die Existenz eines Rates. Die Erklärung hierfür ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß die Ratsverfassung nicht sogleich in Parchim bei der Anlage der Stadt eingeführt wurde, sondern sich erst aus den besonderen Vorrechten entwickelte, die den cultores wegen ihrer führenden Stellung bei der Gründung der Stadt vom Landesherrn verliehen waren. Diese Annahme scheint durch die Tatsache bestätigt zu werden, daß in einer Urkunde von 1229 die "ganze Stadt" (tota civitas) ohne Hervorhebung der Ratmänner als Zeuge genannt ist 400 ), und erst im Jahre 1240 uns "die Ratmänner und die gesamte Stadt " bezeugt werden (consules et civitas universa) 401 ). Anscheinend hat danach in der ersten Zeit nach der Gründung in Parchim eine Behörde mit der Bezeichnung "Rat" tatsächlich nicht bestanden. Daraus würde sich auch erklären, daß die Innungen ihre Abgaben, die in dem Lokationsvertrag den cultores zugesprochen werden, später an den Parchimer Rat entrichten, wie es aus dem ältesten Einnahmeregister der Stadt Parchim ersichtlich ist, dessen Niederschrift von den Herausgebern des Mecklenburgischen Urkundenbuches in die Zeit "nach dem Jahre 1370" gesetzt wird 402 ). Der Parchimer Rat ist also offenbar zum Rechtsnachfolger der cultores geworden, welche die Stadt gebaut haben; und es wird damit zugleich wahrscheinlich, daß dem Parchimer Rat auch die cultores angehörten 403 ).


399) Beyer a. a. O. S. 2.
400) M.U.B I, 370.
401) M.U.B I, 508.
402) M.U.B. XVI, 10129: "Preterea officia, que innynge dicuntur, videlicet pistorum, sutorum, fabrorum et carnificum et lanificum, quodlibet istorum officiorum dabit XII solidos, videlicet consulibus VIII et magistris quatuor solidos".
403) Vgl. die Gründung der Stadt Güstrow, wo auch die Lokatoren zum Rat gehörten. Vgl. S. 116 ff.
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Der Parchimer Rat bestand zum größten Teil aus Mitgliedern deutscher Herkunft. Untersucht man die Namen der Ratmänner, die uns im Jahre 1240 zuerst genannt werden, so ergibt sich dabei ein Überwiegen der deutschen Nationalität 404 ). Ein ausgesprochen slawischer Name erscheint überhaupt nicht unter den Namen der ersten Ratmänner. Von den 12 Ratsherren sind fünf nur nach ihrem Vornamen genannt 405 ) und daher in ihrer Nationalität nicht festzustellen; von den übrigen sieben dagegen werden sechs nach ihrer Herkunft und nur einer nach seinem Familiennamen bezeichnet. Dieser Familienname, der in seiner lateinischen Form "Albus" angeführt wird und dem deutschen Namen Witte entspricht, ist ein deutsches Wort; er wurde auch von Ratsfamilien in Lübeck und Rostock geführt. Von den Ratsherren, die nach ihrem Herkunftsort in der Urkunde näher bestimmt werden, stammen zwei aus dem deutschen Mutterland 406 ), nämlich aus Hamm und Bevenhausen. Für weitere zwei 407 ), die aus Gadebusch und Mölln herkommen, ist ihre deutsche Abkunft wahrscheinlich, da diese beiden Städte in der Grafschaft Ratzeburg lagen 408 ), die bereits seit 1142 der deutschen Kolonisation offenstand. Auch für die übrigen beiden Ratmänner 409 ), die allerdings nach Dörfern bei Parchim genannt werden, ist ihre slawische Abstammung damit noch nicht erwiesen, weil es sehr wohl möglich ist, daß sie als Deutsche, bevor sie nach Parchim zogen, in diesen Dörfern gewohnt bzw. daß sie selbst diese Dörfer nach deutscher Weise kolonisiert haben. Hinzu kommt, daß die Vornamen sämtlich der deutschen bzw. biblischen Sprache angehören. Danach sind also die Parchimer Ratmänner, die uns im Jahre 1240 zuerst begegnen, überwiegend deutscher Abstammung gewesen. Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, daß der Parchimer Rat vermutlich aus den Unternehmern der Stadtgründung sich gebildet hat, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Gründung von Parchim, die unter der Leitung


404) M.U.B. I, 508.
405) Ludolfus et Ludolfus fratres, Wichmannus, Nicolaus, Jacobus.
406) Johannes de Beuenhusen, ... Hamme.
407) Segebodo de Godebuz, Godofridus de Molne.
408) Die Grafschaft Ratzeburg wurde im Jahre 1201 von den Dänen an die Nachbarn aufgeteilt. Vgl. S.23.
409) Lutbertus de Bruzowe, Wilhelmus de Damme.
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des wendischen Fürsten vor sich ging, doch ein Werk deutscher Volkskraft gewesen ist.

Trotzdem soll die Existenz slawischer Bevölkerungselemente, besonders in den niederen Schichten und im Lande Parchim nicht geleugnet werden. Slawische Namen in Urkunden der späteren Zeit auch unter den Ratmännern von Parchim beweisen das Fortleben des Wendentums zur Genüge 410 ). Auch redet der Lokationsvertrag von Parchim im § 10 deutlich von den Gütern, die aus der Zeit des Heidentums und des Götzendienstes herrühren 411 ) und deshalb nur Slawen gehört haben können. Ferner werden im § 8 die Bestimmungen über das Gericht in gleicher Weise für alle Landesbewohner (omnibus in terra morantibus) verbindlich gemacht. Darunter werden nicht nur Deutsche, deren Einwanderung zum größten Teil erst durch den Vertrag in die Wege geleitet werden sollte, sondern vor allem auch Slawen verstanden sein.

Wie schon hervorgehoben, ist es wahrscheinlich, daß der "alte Markt" mit der Kirche bereits bei der Anlage der Stadt als ein gegebenes Planelement vorhanden war, auf das bei der Grundrißbildung der neuen Stadt Rücksicht zu nehmen war. Man erkennt, daß parallel der Linienführung der Marktstraße (alter Markt) weitere Straßen in gleichmäßigen Abständen voneinander angelegt wurden 412 ), die durch die Mittelstraße in zwei gleiche Teile getrennt und durch die Linden- bzw. Blutstraße begrenzt werden. Danach ist der alte Markt mit seiner Umgebung die eigentliche Keimzelle der Parchimer Altstadt gewesen, an die dann im Jahre 1225/26 die übrigen Straßen von den Parchimer Lokatoren nach vorbedachtem Plan angegliedert wurden.

Neben der Altstadt Parchim, die in der angegebenen Weise gegründet wurde, entstand später eine andere selbständige Stadt, die den Namen " Neustadt Parchim" erhielt und im Jahre 1249 zuerst genannt wird 413 ). Ob auch die Neustadt von Lokatoren angelegt wurde, ist uns nicht bekannt. Es ist allerdings nicht


410) Vgl. M.U.B. III, 1968, 2203, 2301; V, 2812, 3524; X, 6964.
411) M.U.B. I, 319: "Que Patres eorum possederunt a paganismo et cultu siluestri".
412) Nach dem heutigen Plan der Parchimer Altstadt handelt es sich dabei um drei Straßen. Vielleicht war die Zahl bei der Gründung geringer.
413) M.U.B. I, 633.
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unwahrscheinlich, da nach dem Plan der Stadt 414 ) diese eine Gründung aus frischer Wurzel zu sein scheint. Markt und Kirche liegen auf einem großen quadratischen Platz, der von zwei zueinander parallelen Längsstraßen begrenzt wird, von denen wieder rechtwinklig die Querstraßen abgehen. Sicherlich spricht aber die Tatsache der Gründung der Neustadt für das schnelle Anwachsen der Bevölkerung Parchims in der Zeit der Kolonisationsbewegung. Im Jahre 1282 wurden die Alt- und Neustadt Parchim scheinbar auf Wunsch der Bürgerschaft zu einem Gemeinwesen vereinigt. Die Urkunde über diesen Vorgang, die die rechtliche Auseinandersetzung zwischen der Bürgerschaft der Alt- und Neustadt Parchim enthält, ist uns erhalten geblieben 415 ).


414) Schlie a. a. O. IV, S. 420/21.
415) M.U.B. III, 1598.