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LVI, 3.

 

Quartalbericht

des

Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde.

Schwerin, April 1891.

I. Geschäftliche Mittheilungen.

Am 23. Februar fand eine außerordentliche Vorstandssitzung statt, in welcher beschlossen wurde:

1) Um die meklenburgischen Urkunden des Vatikanischen Archivs in Abschriften zu gewinnen, wird Herr Archivrath Dr. Grotefend beauftragt, nach Rom zu reisen. Demselben werden neben den nothwendigen Reisegeldern auf drei bis vier Monate Zehrungsgelder von 500 Mk. monatlich bewilligt.

2) Ein Schriftenaustausch wird künftig stattfinden mit
     dem Alterthumsverein zu Worms,
     dem Verein für die Geschichte der Neumark und
     dem nordischen Museum zu Stockholm.

3) Zu Mitgliedern der Commission für das Urkundenbuch werden gewählt die Herren:
     Staatsrath von Bülow, Excellenz,
     Geheimer Finanzrath Balck und
     Regierungsrath Dr. Schröder.

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Die ordentliche Quartalversammlung tagte am 20. April. Die Beschlüsse derselben sind:

1) der Verein tritt in Schriftenaustausch mit
     dem Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin und
     dem Düsseldorfer Geschichtsverein.

2) Auf die Mittheilungen von volksthümlichen Ueberlieferungen werden gedruckte Dankschreiben erfolgen.
Vorgelegt wurde die revidirte Rechnung über die Kasse des Urkundenbuches für das Rechnungsjahr 1. März 1890 bis dahin 1891, nach welcher ein Vermögen von 19845,43 Mk. vorhanden ist.

Nach dem Bericht über die Vereinsmatrikel sind

A. aus dem Verein geschieden:
1) Herr Geheimer Hofrath zur Nedden zu Schwerin, Mitglied seit 12 April 1835, Ehrenmitglied seit 24. April 1885, gestorben 17. Januar 1891.
2) Herr Staatsarchivar Dr Beneke zu Hamburg, correspondirendes Mitglied seit 4. Jan. 1864, gestorben im Februar.
3) Herr Dr. med. Götze zu Wismar, Mitglied seit 17. Dec. 1882, gestorben 10. Januar.
4) Herr Gutsbesitzer von Bülow auf Dessin, Mitglied seit 29. Januar 1883, ausgetreten 4. Februar.
5) Herr Kirchenrath Lierow zu Lohmen, Mitglied seit 8. November 1882, gestorben 22. Februar.
6) Herr Pastor Nerger zu Röckwitz, Mitglied seit 4. Febr. 1867, ausgetreten 1. März.
7) Herr Freiherr von Langermann=Erlenkamp auf Dambeck, Mitglied seit 7. Juli 1890, ausgetreten 3. März.
8) Herr Amtsrichter Martienßen zu Lübz, Mitglied seit 9. August 1875, ausgetreten 6. März.
9) Herr Pastor Willebrand zu Zapel, Mitglied seit 9. Juli 1840, gestorben 11. März.
10) Herr Senator Stolte zu Stargard, Mitglied seit 17. Marz 1887, ausgetreten 13. März.
11) Herr Drost a. D. Schröder zu Rostock, Mitglied seit 14. November 1882, gestorben 16. April.
B. in den Verein aufgenommen:
1) Herr Major von Daum zu Schwerin.
2) Herr Major Winter zu Schwerin.
3) Herr Oberpostdirector Hoffmann zu Schwerin.
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4) Herr Maurermeister Krack zu Schwerin.
5) Herr Referendar G. von Prollius zu Schwerin.
6) Herr Oekonom H. von Prollius zu Lehnenhof b. Dargun.
7) Herr Pastor Rußwurm zu Ziethen b. Ratzeburg.
8) Herr Freiherr von Meerheimb aus Gnemern b. Bernitt.
9) Herr Graf von Oeynhausen aus Brahlstorf.
10) Herr Amtmann Freiherr von Langermann=Erlenkamp zu Schwerin.
11) Herr Major a. D. Helm. von Weltzien zu Schwerin.
12) Herr Gymnasiallehrer Kraner zu Doberan.
13) Herr Schriftsteller Quade zu Schwerin.
14) Der Verein "Societät" zu Rostock.
15) Herr Ingenieur Schulz zu Lankow bei Schwerin.
16) Herr Hausgutspächter Schultz zu Herren=Steinfeld bei Schwerin.
17) Herr Gutsbesitzer Kayatz aus Hasenwinkel bei Warin.
18) Herr Gutspächter Gaettens zu Barner=Stück b. Schwerin.
19) Die Bibliothek der Stadtschule zu Sternberg.

II. Wissenschaftliche Mitteilungen.

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1. Das Urnenfeld von Körchow.

Als Lisch im Jahre 1837 das Friderico=Francisceum schrieb, gab er einem Kapitel die Ueberschrift "der klassische Boden der heidnischen Vorzeit Meklenburgs" und bezeichnete als solchen "die Gegend in der Mitte des Landes um den mittleren Lauf der Warnow zwischen Bützow, Warin und Sternberg". Wenn wir heute auf einer Karte die bekannt gewordenen vorgeschichtlichen Funde eintragen, so ist das Bild ein etwas anderes geworden; die verschiedenen vorgeschichtlichen Perioden erscheinen nicht so gleichmäßig nebeneinander wie es früher schien, sondern es hat entschieden eine Verschiebung der Besiedelung des Landes in den einzelnen Perioden stattgefunden; so finden sich die zahlreichsten Steinzeitfunde in der Gegend von Wismar, und als klassischen Boden der Eisenzeit können wir heute das Gebiet zwischen Schilde und Sude, die Gegend um Wittenburg und Hagenow ansprechen. Ich glaube nicht, daß irgendwo in Deutschland auf einem so engen Gebiet die ganze Entwickelung der älteren Eisenzeit so deutlich zu

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verfolgen ist wie hier. Wie weit das tiefer in den damaligen Kulturverhältnissen begründete Ursachen hat oder wie weit es dem Umstande zuzuschreiben ist, daß gerade diese Gegend sich der Sorgfalt zweier besonders eifriger und erfolgreicher Alterthumsfreunde, früher des Pastors Ritter in Wittenburg und jetzt des Lehrers Wildhagen in Helm, zu erfreuen gehabt hat, lasse ich dahingestellt. Wir haben Urnenfelder aus der ältesten Eisenzeit (la Tène) z. B. bei den benachbarten Orten Perdöhl, Helm und Bobzin, ein hervorragendes der älteren römischen Provinzialindustrie, ("Darzauer" Typus,) bei Camin, eines der mittleren (leider noch immer das einzige im Lande) bei Pritzier und ein noch nicht ausgebeutetes der Völkerwanderungszeit bei Progreß. In der letzten Zeit ist nun hier ein Feld bekannt geworden, welches an Reichthum der Ausstattung und Eigenart der Funde vielleicht alle genannten übertrifft, bei Körchow nahe dem Wege nach Perdöhl. Am Sonnabend vor Ostern stießen Arbeiter auf mehrere bronzene Urnen und meldeten den Fund dem Lehrer Wildhagen, welcher dieselben barg und dem Unterzeichneten Mittheilung machte. Am Dienstag und Mittwoch habe ich dann die Fundstelle untersucht und folgendes gefunden:

Das Urnenfeld liegt auf einer flachen sandigen Kuppe, wie die Mehrzahl dieser Grabanlagen. Die Urnen fanden sich unmittelbar unter der Erdoberfläche, einige von flachen Steinen umsetzt, die meisten frei im Boden; eine Ordnung war nicht erkennbar; die Urnen standen dicht zusammen, oft nesterweise, zum Theil aufeinander, an einer Stelle z B. drei übereinander, wahrend zwei schräg sich daran lehnten. Alle waren mit Knochen gefüllt, die Mehrzahl hatte Beigaben. Es sind im Ganzen gegen 200 Urnen beobachtet, natürlich fast alle zerbrochen. Besonders zahlreich standen die Thon=Urnen um die bronzenen Urnen herum; auch fiel es auf, daß, während die bronzenen den reichsten Inhalt hatten, diese herumstehenden am ärmlichsten ausgestattet waren. Die Ausstattung bestand ganz überwiegend aus Waffen; nur wenige Urnen zeigten Schmucksachen, welche auf eine weibliche Bestattung hinweisen. Das Ganze machte — abgesehen von den ungewöhnlich schönen Urnen — den Eindruck einer etwas tumultuarischen Massenbestattung, und es liegt der Gedanke nahe, daß das Urnenfeld nach einem kriegerischen Ereignisse angelegt ist und die bronzenen Gefäße die Gebeine von Heerführern mit ihrem Waffenschmucke bargen, während die umstehenden Urnen die Gefolgsleute, die nach altgermanischer Sitte ihren Herren in den Tod gefolgt waren, aufnahmen.

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Die gefundenen Gegenstände selbst sind folgende * ):

1. ThönerneUrnen, durchgängig von der vorzüglichsten Art; meist ausgebaucht, schalenförmig, von einer schon häufig beobachteten Form, oft auch mit hohem Fuß (Vgl. Undset, das

Urne

erste Auftreten des Eisens in Nord=Europa, XXII, 16 bis 18), die Farbe glänzend schwarz oder hellbraun; die Ornamente bestanden aus kleinen nebeneinander gereihten quadratischen Eindrücken in der Form des Mäander oder eines netzartigen Gewebes, einmal sonderbarer Weise auch der Wellenlinie; daneben fanden sich auch Systeme von leichten schrägen Parallelstrichen Die Mäanderurnen sind ein Charakteristikum für die ältere römische Kaiserzeit, die mit schrägen Parallelstrichen scheinen der la Tène-Periode eigenthümlich zu sein, wenigstens habe ich vor zwei Jahren auf einem la Tène-Felde ausgesprochensten Charakters, dem von Krebsförden, eine große Anzahl von Urnen gefunden, welche mit den betreffenden Körchower fast identisch waren. Wir werden im Weiteren sehen. wie auch andere Fundstücke unser Urnenfeld als eine Mischung von la Tène und frührömischen Elementen erscheinen lassen.

2. Zehn bronzene Gefaße; ein kostbarer Fund, weil überhaupt selten und für Meklenburg durchaus neu; und zwar: drei kesselartige Schalen aus dünnstem Bronzeblech mit starkem eisernen Rande und zwei eisernen, runden, beweglichen Henkeln (= Undset, Fig. 130); drei flache Schalen mit steil aufsteigenden Seiten und etwas gebogenem Rande (ähnlich Undset 27, 5, aber ohne die Zierrathen); ein hohes Gefäß mit gleichmäßig gerundeten Seiten, ein desgleichen mit glatten Seiten und schönem Griff (Vgl. Undset Fig. 39 und 129, Tafel 24, 1); eine breite bauchige Vase. Aus den Ausführungen bei Undset geht hervor, daß diese bronzenen Gefäße mit großer Wahrscheinlichkeit der la Tène-Periode zuzuschreiben sind.


*) Ueber die Vertheilung der Fundstücke auf die einzelnen Urnen und alles Specielle wird eine spätere Publication handeln.
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3. Schwerter; alle zusammengebogen, aber die Form erkennbar, sie sind lang, mehrere nur einschneidig (= Undset 15, 3), mehrere mit gebogenen oder geraden Grifffesseln, wie sie für die mitttere und jüngere la Tène-Zeit charakteristisch sind (s. die beiden Formen Undset, Fig. 123 und 131); Die ersten la Tèneschwerter in Meklenburg.

4. Lanzenspitzen mit Schafttülle und durchgehendem Stidt theils kleinere mit scharfem hohem Grat, theils größere mit flacher Klinge; sehr zahlreich.

5. Schilde; die Schildbuckel sind theils konisch (= Undset 13, 9), theils gewölbt mit einer Spitze (= Undset 15, 9); sie sind befestigt mit flachen eisernen oder rundlichen bronzenen Nietköpfen; der Schildrand ist in einem Falle von Bronzeblech; die Schildsessel zum Theil mit Bronzeköpfen verziert; 12 Exemplare gefunden.

6. Sporen; die sog. "Stuhlsporen" aus Bronze mit eisernem Stachel (vgl. über diese eigenthümliche Form Lisch in den Jahrbüchern 6 B, S. 145.)

7. Messer; einige wenige mit gebogener Klinge (etwa = Undset 22, 13). Diese Messer waren, wie die Ausgrabung von Jamel ergab, meist den Frauengräbern beigelegt.

8. Fibeln; nicht viele, aber elegante feine Formen, theils die in den frührömischen Gräbern typische Form der früher sog.

Fibel

"Wendenfibel" (s. Holzschnitt, doch sind alle gefundenen Exemplare weit zierlicher), theils eine Verwandte ohne Sehnenhaken, wahrscheinlich eine ältere Entwickelung darstellend.

9. Einiges bronzenes Kleingeräth, Riemenzungen, kleine Beschläge u. drgl., aber nicht viel. Völlig fehlen Ringe, Perlen und Nadeln; von Edelmetall keine Spur.

Vergleichen wir den Körchower Fund mit anderen meklenburgischen, so haben wir bisher nur einen, welcher ihm inhaltlich und zeitlich gleichsteht, aber nicht annähernd so reich ist; das ist der von Kl.=Plasten, hier fanden sich dieselben Fibeln und dieselbe Mischung von la Tène- und frührömischen Typen. Viel Aehnlichkeit haben auch die Funde von Camin und Kothendorf, bisher unsere einzigen mit Waffenausrüstung, doch tritt in diesen beiden

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das Kleingeräth schon mehr hervor. Besonders interessant ist ein Vergleich mit dem reichen Urnenfelde von Jamel, welches der Schreiber dieser Zeilen im vorigen Jahre ausgegraben hat und dem verwandten von Wotenitz. Urnenform und Fibel weisen in dieselbe Zeit, dabei fand sich aber in den beiden genannten keine einzige Waffe, dagegen eine Unsumme der zierlichsten Toilettensachen. Ob es Zufall ist daß die ungefähr gleichzeitigen Urnenfelder der Wittenburger Gegend Freude an einer kriegerischen Ausrüstung verrathen, die der Grevesmühlener Luft am Putz oder ob wirklich ein anderer kriegerischerer Stamm die eine und ein üppigerer die andere Gegend bewohnte, wer mag das schon jetzt entscheiden wollen, wo erst eine verschwindend kleine Anzahl der Urnenfelder, die unser Land durchziehen, ausreichend untersucht sind und die große Masse des archäologischen Materials noch im Boden steckt? Aber aufwerfen läßt sich die Frage, ob wir nicht mit Hülfe der Urnenfelder auch zu einer ethnischen Scheidung schon während der altgermanischen Zeit kommen können, sehr wohl; es kann z. B. doch nicht gut Zufall sein, daß Urnenfelder von der Art der besprochenen östlich der Warnow fast ganz verschwinden * )

Was nun die zeitliche Stellung des Körchower Fundes anlangt, so gehört er offenbar in die Zeit, wo der Einfluß der in den Grenzlanden des römischen Reiches entstehenden Provinzialkultur sich auch im Norden geltend machte; wir haben gesehen, daß der Fund noch zahlreiche und bedeutende vorrömische Elemente enthielt und können mit Deutlichkeit wahrnehmen, besonders an den Urnen und Fibeln, wie die neue provinzialrömische Kultur sich in die ältere gallische, deren Wege nach Norden sie natürlich folgt, eindrängt. Es wird ungefähr die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung sein, in welchem wir nach allgemeineren historischen und specielleren archäologischen Gründen dieses Verhältniß voraussetzen dürfen.

Schwerin, d. 8. April 1891.

Dr. R. Beltz.


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2. Die Wendengräber von Zehlendorf.

In dem Quartalbericht vom October 1890 ist kurz ein wendisches Skelettgräberfeld bei Zehlendorf besprochen und auf die Bedeutung desselben für unsere heimische Vorgeschichte hingewiesen.


*) Wir haben jetzt 24 Urnenfelder vom "Darzauer" Typus; davon 19 im westlichen Meklenburg.
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Im Auftrage der Großherzoglichen Commission zur Erhaltung ber Landesdenkmäler hat der Unterzeichnete an der Stelle am 2. und 3. April d. J. unter thätiger Beihülfe und mit dankenswerthester Unterstützung des Pächters von Zehlendorf, Herrn Burmeister, eine Untersuchung vorgenommen, welche folgenbes ergab.

Die Grabstätte liegt auf der flachen Kuppe eines sandigen Ackers, dessen Höhe seit einigen Jahren als Sandgrube benutzt wird. Beim Sandfahren sind die früheren a. a. O. erwähnten Funde gemacht. Die Ausgrabung begann an dem jetzigen Rande der Grube unb legte zwölf Grabstätten frei. Die Beerdigung war recht verschieden. Die Tiefe der Leichen wechselte zwischen 20 Centimeter und 1 Meter unter der jetzigen Oberfläche, und zwar erklärt sich die Verschiedenheit nicht allein aus der Niveauveränderung des Bodens, der früher gum Theil aus bloßem Flugsand bestanden haben muß, sondern es zeigten neben einander liegende Leichen Tiefendifferenzen bis zu 35 Centimetern. Auch eine durchgehende Orientirung war nicht erkennbar. Auf der einen Seite des Ausgrabungsfeldes lagen fünf Leichen nordsüdlich in derselben Richtung oder parallel neben einander; auf der anderen unmittelbar daranstoßenden sechs in nordwestnord=südostsüdlicher Richtung, eine lag nordost=südwestlich. Auch die Köpfe lagen nicht gleichmäßig; z. B. waren mehrere Leichen nach Norden und mehrere nach Süden blickend nebeneinander bestattet. Der Erhaltungszustand der Gebeine war nach der Bodenbeschaffenheit verschieden; während zwei Skelette vollständig geborgen werden konnten, waren einige so mürbe, daß nur geringe Reste zu retten waren. Die Körper lagen meist gerade ausgestreckt einige mit übereinander gelegten Beinen, die Arme meist zur Seite, aber auch im Schoße oder über der Brust gekreuzt. Einige hatten ein Pflaster von kleinen Steinen unter sich, einige waren auch mit wenigen größeren Steinen bedeckt, über andere war ein Brett gelegt, von dem Reste erkennbar waren. Spuren von Särgen, worauf früher gefundene Nägel schließen ließen, fanden sich nirgends. Dagegen stand in einer Steinsetzung nicht weit vom Kopfe des einzigen südwestlich schauenden Leichnams eine ganz roh gearbeitete große Urne mit verbrannten Gebeinen. Wir haben also hier in handgreiflichster Weise Beerdigung und Leichenbrand neben einander, und damit ist die Ueberlieferung der ältesten Berichterstatter unserer Landesgeschichte, daß die Wenden ihre Todten verbrannt haben, eine Nachricht, an der man Angesichts der sich mehrenden Funde wendischer Skelettgräber irre zu werden anfing, gerettet.

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Unsere Zehlendorfer Wenden auf ihre somatischen Merkmale hin zu classificiren, muß einer berufeneren Hand vorbehalten bleiben. So weit ich sehen kann, ist die Mehrzahl der Schädel brachycephal, das Gesicht lang und schmal (leptoprosop) und entschieden prognath, die Jochbeine sind stark entwickelt und vorstehend, alle Zähne vortrefflich erhalten.

Beigaben hatten sieben der zwölf Leichen; und zwar waren dieses: 1) vier eiserne Messer, an denen die Holzgriffe noch erkennbar sind, zwei hatten lederne Scheiden mit einem Bronzestück als Abschluß, 2) ein kleines Bronzestück aus zwei Parallelen mit Stiften verbundenen Platten, dazwischen Lederreste, wahrscheinlich eine Gürtelschnalle, 3) ein kleiner Schläfenring aus starkem Bronzedrahte, 4) zwei Urnen, auf der Drehscheibe gearbeitet mit schöner rothbrauner Oberfläche, verziert mit Horizontalriefeln.

Das Zehlendorfer Grabfeld ergänzt in höchst erfreulicher Weise das Bild des bekannten von Bartelsdorf. Beide gehören demselben wendischen Stamme, dem der Kessiner an und werden auch derselben Zeit, etwa dem elften Jahrhundert zuzuschreiben sein. Doch ist das Bild des Zehlendorfer ein ungetrübtes, während das des Bartelsdorfer durch den unglücklichen Zufall gelitten hat, daß sich in seiner unmittelbaren Nähe ein Urnenfeld der la Tène-Zeit, aus einer Periode, die reichlich durch ein Jahrtausend von den Skelettgräbern getrennt ist, befand. Die Objecte dieses Urnenfeldes sind, wie es bei dem damaligen (1862) Stande der vorgeschichtlichen Forschung begreiflich ist, mit denen des Gräberfeldes vermischt, was ein heilloses Durcheinander herbeigeführt hat. So ist unser Zehlendorfer Feld das erste exakt erforschte wendische Grabfeld in Meklenburg, welches uns Kunde gegeben hat von der physischen Beschaffenheit, den Geräthen und Bestattungsgebräuchen (Beerdigung neben Leichenbrand) der alten wendischen Bevölkerung. Was für Waffen die Wenden eigentlich gehabt haben, lehrt allerdings unser Feld so wenig wie sonst eines im übrigen Deutschland. Ueberall, und wir haben ganz analoge Grabanlagen bis Oberfranken und Mähren, erscheint derselbe friedliche Charakter. Ein slawisches Schwert ist meines Wissens überhaupt noch nicht gefunden.

In dem Octoberbericht war auch die Vermuthung über einen wendischen Burgwall bei Zehlendorf ausgesprochen. Eine Besichtigung des Ortes, der sog. "Dorf=Stelle", hat wenigstens die Existenz einer wendischen Ansiedelung sichergestellt. Es ist eine flache Erhebung von etwa 50 Ruthen, innerhalb sumpfiger Wiesen;

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unter einer etwa 25 Centimeter starken Humusschicht steht Sand an; die Humusschicht ist ganz durchsetzt mit wendischen "BurgwallsScherben" der bekannten Art, auch ein Spinnwirkel wurde gefunden; dagegen fehlt eine jede Spur von erhöhten Wällen oder Resten einer späteren Besiedelung (Mauersteine u. s. w.). An eine künstliche Aufschichtung der Fläche ist nicht zu denken; die wendische Bevölkerung hat hier eine Stelle, welche ihren Ansprüchen an Vertheidigungs= oder Wohnungszwecke entsprach und die sie sich in den Burgwällen sonst künstlich schuf, benutzt, wie die Natur sie ihnen bot.

Es sei gestattet, in diesem Zusammenhange eine Beobachtung aus dem alten Circipanerlande mitzutheilen, welche auf die für unsere Vorgeschichte so wichtige Frage, ob und wie die Wenden ihre Todten verbrannt und dann bestattet haben, ein Licht zu werfen im Stande ist. Ich verdanke dieselbe der Freundlichkeit des Herrn Gymnasiallehrers Dr. Raase in Rostock. Bei dem Bauerngehöft Rosenthal bei Serrahn (zu Koppelow gehörig) fand sich am Abhange eines Hügels eine Brandschicht von etwa 3 1/2 Meter Durchmesser, in deren Mitte viele schwarzgebrannte Steine, gebrannte Menschenknochen und die charakteristischen wendischen Scherben. Welchem Zwecke die Stelle gedient hat, ist nicht ganz klar, doch ist es wahrscheinlich, daß die Brandschicht die Reste des Scheiterhaufens enthält. Haben die Wenden sich begnügt, in der formlosen Weise, wie wir es hier bei Zehlendorf und Rosenthal sehen, die Reste ihrer verbrannten Angehörigen beizusetzen, so ist es nicht zu verwundern, wenn wendische Brandgräber bisher so gut wie unbekannt geblieben sind, und wir können bei der steigenden Aufmerksamkeit, die sich erfreulicher Weise auch in unserem Lande wieder den Alterthümern zuwendet, auf weitere Belehrung in dieser Richtung hoffen.

Schwerin, d. 8. April 1891.

Dr. R. Beltz.

Vignette

Im Auftrage des Vereinsvorstandes aushülflich besorgt von
     Fr. Schildt.