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Ueber das bronzene Tauffaß von 1290

in der Marien=Kirche zu Rostock,

von

G. C. F. Lisch.

Unter den alten Kunstwerken aus Metall in Meklenburg und vielleicht in Norddeutschland und weiterem Kreise nimmt ein bisher noch nicht besprochenes bronzenes Tauffaß in der Marienkirche zu Rostock durch sein hohes Alter, seine Größe und seine Schönheit unstreitig den ersten Rang ein; ja man könnte demselben wohl eine hervorragende Stelle unter allen Gußwerken des frühern Mittelalters 1 ) zuerkennen.

Das Ganze besteht aus einem runden Tauffaß, welches von vier Figuren getragen und von einem kegelförmigen Deckel zugedeckt wird, auf dessen Spitze ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln steht.

Das Ganze ist über 10 Fuß hamburger Maaß hoch. Das Tauffaß ist 2 1/2 Fuß, die 4 tragenden Figuren sind bis zur Höhe der tragenden Schultern über 1 1/2 Fuß, der Deckel bis zur Spitze des Adlers über 6 Fuß hoch. Das Werk macht also einen sehr großartigen Eindruck und ist in seiner Einrichtung ungewöhnlich, da alte Taufkessel mit Deckeln sehr selten sind. Der Deckel hat in alten Zeiten in Ketten über dem Tauffaß geschwebt, so daß er beim Gebrauche nur zur Seite geschoben zu werden brauchte; hiezu dienten 4 große Bronzeringe, welche von 4 Löwenköpfen am untersten, weitesten Rande des Deckels im Maule gehalten werden.

Das Ganze (Träger, Faß und Deckel) ist von Bronze im Jahre 1290 in Rostock gegossen. Dies sagt deutlich folgende Inschrift, welche in den untern Raud des Deckels eingegossen ist:


1) Ein ähnlicher großes Tauffaß, auch mit einem kegelförmigen Deckel, schöner, jedoch kleiner, vielleicht noch aus dem 12. Jahrh. stammend, findet sich im Dome zu Hildesheim (auch in einem schönen Gypsabgusse im Museum zu Berlin). Ganz alte große Tauffässer (Fünten) im schwierigen Metallguß sind sehr selten. Im 14. und 15. Jahrhundert werden sie, aus verschiedenen Metallen, häufiger. Der hildesheimer Taufkessel ist auch abgebildet im kölner Organ für christliche Kunst, 1862, Nr. 23, 1 Dec., vgl. S. 268, Note. Nach den Angaben bei dieser Abbildung hat der hildeshenner Kessel 6' Höhe und 10 1/3' Umfang.
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Inschrift

d. i. Anno domini M CC nonagesimo in festo Pasche praeparatum fuit baptismum in Roztok.
(Im Jahre des Herrn 1290 am Osterfeste ist fertig geworden die Taufe in Rostock).

Im Original steht wirklich durch Versehen novogesimo statt nonagesimo und pace statt pasce, d. i. paschae. Das Tauffaß ward also in Rostock am 2. April 1290 fertig. Zu dieser Zeit stimmt auch der ganze Styl und der Charakter der Buchstaben der Inschriften, so daß das Alter des Werkes keinem Zweifel unterworfen sein kann.

Das Metall des Ganzen ist eine helle Bronze. Leider sind in jüngern Zeiten die Flächen vergoldet und die Figuren weiß übermalt. Die Zeichnung ist tief gefühlt und für die Zeit correct, der Guß ist überall gelungen, wenn auch rauh und etwas roh. Eine klare Zeichnung würde jedoch sehr schöne Ansichten bieten.

Der größte Schmuck des Werkes besteht in den zahlreichen erhabenen figürlichen Darstellungen, mit denen das Ganze bedeckt ist. Das Tauffaß hat 2 Reihen figürlicher Darstellungen, welche von 3 Bändern mit vertieften Inschriften eingefaßt und getrennt werden. Der Deckel hat ebenfalls 3 Inschriftbänder, aber 3 Reihen figürlicher Darstellungen, indem über dem oberen Inschriftrande an der Spitze unter dem Adler noch eine Reihe von Figuren steht.

Alle Figuren sind im Charakter des 13. Jahrhunderts groß und schlank und kommen den Figuren in dem schönen Altare der Kirche zu Doberan am nächsten. Dieses Tauffaß gehört daher zu den wenigen kleinen alten Kunstwerken, welche noch in Norddeutschland erhalten sind.

Das Tauffaß stammt daher noch aus der alten Marienkirche, von welcher auch nicht die geringste Spur mehr übrig ist, indem die ganze Kirche im 14. und 15. Jahrhundert zu einem ganz gotischen Gebäude umgestaltet ist.

Die Darstellungen auf der Oberfläche bestehen also aus Inschriftbändern und figürlichen Darstellungen. Es kommen zunächst die Inschriftbänder zur Untersuchung. Das Tauffaß hat 3 Inschriftbänder (an den Räudern und in der Mitte), der Deckel hat ebenfalls 3 Inschriftbänder. Die Inschriften, welche nicht ganz leicht zu entziffern 1 ) waren, sind vertieft


1) Im Etwas von gelehrten Rostockschen Sachen, Jahr. V, 1741, Woche 43, S. 685, sind einige Worte und lückenhafte Abschnitte (  ...  )
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in großen gothischen Majuskeln mit. dem Ganzen gegossen. Nach Vollendung der Entzifferung der einzelnen Buchstaben ergab es sich, daß die Inschriften 2 bekannte Gebete der katholischen Kirche: Ave Maria (den Engelsgruß) und Salve regina (Gegrüßt seist du Königin) enthalten. Die Inschriften auf dem Tauffaß gehen von oben nach unten, die Inschriften auf dem Deckel von unten nach oben. Auf dem Tauffaß steht am obern Rande das Gebet Ave Maria in einer Reihe. Mit der mittlern Reihe nach unten beginnt das Salve regina, welches sich nach unten auf den unteren Rand des Tauffasses fortsetzt und auf dem Deckel von unten nach oben in 3 Reihen ausläuft. Auf dem untern Rande des Deckels ist die Inschrift auf die Vollendung des Werkes zwischengeschoben.

Die Inschriften sind folgende, wörtlich nach dem Breviarium Romanum, wie sie noch heute im Gebrauche sind:

Inschriften.

Tauffaß.

Oberer Rand.

Inschrift

d. i. Ave. Maria, gracia plena, dominus tecum, benedicta tu m mulieribus et benedictus fructus ventris tui. Amen.

(Es steht im Originale wirklich t VJ (statt tu), e D (statt et), FR e S VS (statt fruges oder fructus).

Mittlerer Rand.

Inschrift

d. i. Salve, regina, [mater] misericordie; vita, dulcedo et spes nostra, salve. Ad te clamamus exules filii Eve; ad te


(  ...  ) dieser Inschrift mitgeteilt, aber regellos durch einander geworfen und an vielen Stellen ganz falsch wiedergegeben z. B. festo primo tum fuit, statt: In feste pace preparatum fuit u. s. w.
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(Es steht im Originale wirklich c L A M A VS (statt clamamus) und beide Male A D t e (statt ad te); das Wort [mater] fehlt im Originale).

Unterer Rand.

Inschrift

d. i. suspiramus gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Eya ergo, advocata nostra, illos tuos mis [ericordes].

(Es steht im Originale wirklich SVSPIRIMVS (statt suspiramus) und A t VO A t (statt advocata).

Deckel.

Unterer Rand.

Inschrift

d. i. oculos ad nos converte et Jhesum │ Anno domini M c c nonagesimo in feste Pa[ s ]ce preparatum fuit baptismum in Roztoc. │

(Es steht im Originale wirklich NOVO S e SIMO (statt nonagesimo) und P A c e (statt pasce, d. i. paschae).

Mittlerer Rand.

Inschrift

d. i. benedictum fructum ventris tui nobis post hoc ex[ ilium ].

Oberer Rand.

Inschrift

d. i. ostende. O clemens, [ o pia, o dulcis virgo Maria ].

(Es steht im Originale wirklich OS t e N e (statt ostende).

Dieses Antiphon Salve Regina soll schon im 6. Jahrhundert bekannt gewesen sein. Die Schlußworte: O Clemens, o pia, o dulcis virgo Maria soll der heilige Bernhard bei einer

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großen kirchlichen Feier im Dome zu Speier um die Mitte des 12. Jahrhunderts hinzugefügt haben.

Die bildlichen Darstellungen, welche sehr reich sind, stellen in der Hauptsache das Leben Jesu nach den biblischen Berichten dar. Sie beginnen unten am Tauffaß und schreiten nach oben fort, (während die Inschriften auf dem Tauffaß eine umgekehrte Richtung haben), und endigen auf dem Deckel mit kirchlichen Darstellungen.

Das Tauffaß hat zwei Reihen figürlicher Darstellungen, welche von drei Reihen Inschriftbänder begrenzt und getrennt werden. Jede dieser beiden Reihen ist in 16 Felder oder Nischen mit altgothischen Baldachinen getheilt, unter welchen die Figuren stehen. Die untere Reihe der Figuren auf dem Tauffaß beginnt unter den Worten Salve regina, die obere Reihe unter den Worten Ave Maria.

Bildliche Darstellungen.

Tauffaß.

Bildliche Darstellungen - Tauffaß
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Bildliche Darstellungen - Tauffaß
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Bildliche Darstellungen - Tauffaß - Deckel
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Bildliche Darstellungen - Deckel
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Die Träger, welche das Tauffaß tragen, statt Füße, sind 4 große, männliche, bärtige Figuren in langen Gewändern, wie Hemden, barfuß, auf einem Fuße knieend, welche eine umgekehrte große Flasche halten, an welcher etwas wie Wellen herausfließt, wie an dem großen Taufbecken im Dome zu Hildesheim. Diese Figuren stellen eigentlich die vier Ströme des Paradieses vor. Auf dem rostocker Tauffaß bedeuten sie aber die vier Elemente. Auf die 4 Flaschen, welche die 4 Figuren halten, sind die 4 Wörter wenig vertieft eingegossen:

Inschrift

(Das erste Wort ist im Originale wirklich I S NS gezeichnet, statt I S NIS). Möglich ist es, daß die 4 Elemente in höhern Sinne für Ströme des Paradieses oder der Weltschöpfung genommen sind.

Nach diesen Mittheilungen wird es nicht auffallend sein können, wenn wir diese Taufe an Kunst, Technik und Geist für ein sehr ausgezeichnetes Werk des frühern Mittelalters Norddeutschlands halten.