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I.

Ein Zeichen der Reformation vor Luther
in Meklenburg,

von

G. C. F. Lisch.

D as Bedürfniß der Kirchen=Reformation war schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. weit verbreitet und tief gewurzelt und war hervorgerufen und genährt durch den tiefen Verfall der Geistlichkeit, der endlich vor dem Lichte der lutherischen Reformation in das allergrellste Licht trat.

Die Anstalten, welche in Meklenburg die lutherische Reformation vorbereiteten, waren drei Klöster: ein Karthäuser=Kloster Marienehe (lex Mariae) 1 ) bei Rostock voll frommen Sinnes und ein Augustiner=Eremiten=Kloster zu Sternberg 2 ) mit freierer Geistesthätigkeit, vorzüglich aber ein Fraterhaus der Brüder vom gemeinsamen Leben 3 ) zu Rostock.

Ein helles Licht auf den Geist und die Richtung dieser Stiftungen giebt der unten mitgetheilte Brief des Karthäusers Vicke Dessin an den Herzog Magnus von Meklenburg vom J. 1477. Vicke Dessin war wahrscheinlich ein Glied der meklenburgischen adeligen Familie dieses Namens; er sagt selbst in dem Briefe, er sei der Herzoge eigen Mann geboren und von denselben von seinen jungen Jahren an in ihrem Lande erzogen (gevödet = ernährt) und in ihrem Dienste gewesen.

Er lebte damals in der Karthause zu Arensbök bei Lübek. Der Herzog hatte zum Andenken seines Vaters und seiner verstorbenen Brüder der Klosterkirche zu Arensbök gemalte Fenster


1) Vgl. Schröter Beiträge zur meklenb. Geschichtskunde I, S. IX.
2) Lisch in Jahrb. XII, S. 226 flgd.
3) Lisch in Jahrb. IV, S. 1 flgd.
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mit ihren Wappen und Gewölbe (mit geschnitzten und gemalten Gewölbeschilden) gelobt, so wie sie der König und die Königin (von Dänemark) dem Kloster geschenkt hatten. Er erinnert den Herzog an dieses Versprechen mit dem Wunsche, daß es noch vor dem Winter erfüllt werden möge. Zugleich sendet er dem Herzoge und seiner Mutter und seinen Brüdern einen Fraternitäts=Brief 1 ) des Klosters, durch welchen denselben die Theilhaftigkeit an allen guten Werken des Klosters versichert ward. Der Herzog Magnus scheint überhaupt den Karthäuser=Orden sehr geliebt und begünstigt zu haben, da ihm und seinem Bruder Balthasar im J. 1493 sogar das General=Capitel des Ordens in der Karthause einen solchen Brief gab.

Sodann berichtet Vicke Dessin dem Herzoge über die Trauung ("vertruwinghe"). Hierunter kann nur die Vermählung des Herzogs mit der pommerschen Prinzessin Sophie verstanden werden. Diese war vorher mit seinem Bruder Johann verlobt gewesen, welcher jedoch auf einer mit seinem Bruder Magnus unternommenen Reise nach Rom und Jerusalem unterweges starb; sie that hierauf im Schmerze das voreilige Gelübde einer immerwährenden Jungfrauschaft 2 ). Der Herzog Magnus wünschte sie nun zur Gemahlin zu haben, fand aber ein Hinderniß in diesem Gelübde. Der Herzog fragte viele Gelehrte um Rath wegen Aufhebung des Gelübdes und hatte auch den Vicke Dessin beauftragt, mit den Prälaten in Lübek darüber zu reden. Das hatte Vicke Dessin denn auch gethan, gab ihm aber offen und ehrlich die Antwort, daß die von ihm befragten großen und weisen Geistlichen gegen die Vermählung seien, weil die Gerechtigkeit der öffentlichen Ehrbarkeit dagegen sei.

Der Herzog vermählte sich aber doch nach manchen Hindernissen mit der Prinzessin, welche am 3. April 1486 von ihrem Gelübde ("de servanda continentia") Dispensation erhielt.

Diese Gelegenheit nimmt Vicke Dessin denn nun wahr, dem Herzoge über einen rechten, christlichen Lebenswandel ins Gewissen zu reden. Er schärft dem Herzoge dringend ein, daß nur der Gott wohlgefällig sei, der seine Gebote halte. Aber es gebe wenige, die sie kennen und halten. Es helfe nichts, in Jerusalem und Rom gewesen zu sein 3 ) und Gelübde gethan zu haben, wenn man sich nicht bessere und wahrhaft gute Werke thue. Von der heiligen Schrift und der Wahrheit, die Gott selber ist, darf sich Niemand wenden, der


1) Im J. 1463 schlossen die Karthäuser=Klöster Arensbök und Marienehe Fraternität. Vgl. Schröder P. M. II, S. 2152.
2) Vgl. Rudloff Mekl. Gesch. II, S. 811 u. 819.
3) Dies ist offenbar eine Anspielung auf die Wallfahrten des Herzogs.
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selig werden will; ohne Arbeit, Rechtschaffenheit, Demuth und die Gebote Gottes kann Niemand selig werden. Wer hier das Kreuz mit guten Werken nicht trägt, dem wird es nach diesem Leben all zu schwer. So redet er, und ferner: Er sei ein Herr mit Leuten, um große Rechenschaft davon zu geben; die Wahrheit wolle gesagt sein. Außer allen guten Werken (nach kirchlichem Sinne) könne er viel Fruchtbares schaffen und Viele selig machen, vorzüglich wenn er die geistige ("geistlike") Freiheit beschirmen und die Klöster in seinem Lande zurechtsetzen und refomiren helfen werde; denn diese ließen sich dünken, sie lebten in der Wahrheit und seien doch in großer Fährlichkeit. Hiedurch könne er mehr verdienen, als durch die (kirchlichen) guten Werke, beten, fasten und Opfer.

Zwar ist die dringende Empfehlung eines gottseligen Lebens, das sich in guten Werken bethätigen soll, zu allen Zeiten ein Schatz des Christenthums gewesen, und insoferne hat die Anrede Dessins nichts Ungewöhnliches. Aber die Verachtung der papistischen Geistlichkeit und das Drängen nach der Reformation derselben ist das Eigenthümliche der lutherischen Reformation, als einer historischen Erscheinung, die sich schon in Vicke Dessin offenbart.

Vor allen Dingen bittet er den Herzog um Gottes Willen, den armen Brüdern zu Rostock 1 ) zu helfen; diese, sagt er, führen ein gutes und seliges Leben nach der Apostel Leben; sie heißen die gemeinen Brüder (Brüder vom gemeinsamen Leben), aber die schlechten ("quaden") Geistlichen haben ihnen den Spottnamen "Lollbrüder" 2 ) gegeben. Er sende diese in ihrer Noth zu dem Herzoge, denn viele böse Geistliche seien ihnen nicht gut; er möge sie in ihrem Vorhaben, worüber sie berichten würden, unterstützen, wie es der Herzog Albrecht gethan habe.

Der Brief enthält manche interessante historische Nachricht, ist aber sehr geeignet, einen klaren Blick in das geistige und geistliche Leben jener Zeit zu gönnen und in den trefflichen Charakter des Herzogs Magnus, der ein offenes Ohr für so redlich gemeinte Wahrheit hatte.



1) Vgl. Jahrb. IV, S. 7, 13 flgd.
2) Das. S. 23.
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Schreiben des Karthäusers (?) Vicke Dessin an den
Herzog Magnus von Meklenburg.

D.d. Arensbök 1477.

Hochgebarne furste, gnehige here. Mith willichen densten vnde innighen beden bidde ick juwen gnahen denstliken weten, So alz juwe gnade gebeden heft den vader van der cartus mit juwen gnaden frouwmoder vmme gades willen der guden werken, des zende ick juwen gnaden der veder breff vppe dudesk; juwe gnade mit juwen frouwmoder vnde broderen dorff dar nicht vor geuen, men wat juwe gnade vnde ze dhon willen mit guden willen.

Ok, gnedige leue here, vmme de vinstere vnde welffte in de ewige dechtnisse juwes zeligen herevaders vnde juwer broder, alle jewelk zin wapent, alz de koningk gegeuen heft vnde de koninginne, alz juwe gnade zuluen geseen vnde gelauet heft dem vadere, dar mach juwe gnade to denken, dar weren wol borgere van Lubeke, de id gerne deden, wennere wy en des an synnen weren, de deme gadeshuß vele allemissen geuen alledaghe.

Ik reyse juwe gnade noch mer ist myn dar to, wente my des nicht tokumpt, men de warheit is id io, de gadesdenst is hir grot, vnde seghe gerne juwer gnaden zelicheit, juwes hereuaders zelich vnde juwer gnaden broder alle, des ik plichtich bin, wente gii alle van minen jungen iaren in juwen gnaden lande vodet vnde to denste hat hebben vnde juwe eghen man geboren byn.

Ok, gnedige leue Here, to uorhorende, ifte zulke vortruwinghe wol bestan mach nach der schrift vnde der hilligen kerken, ik dor juwe gnade hir nicht vp schriuen, wente juwe gnade so vele hochgelerden prelaten, doctores hebben in juwen landen vnde vele juwes rades, de juwen gnaden dar wol an raden vnde seggen, men iodoch zo juwe gnade mi heft gebeden, so hebbe ik mit groten, wisen gestliken mannen gespraken to Lubeke vnde menen, dat id nicht wesen mach vnde dar hindert ane dat genomet wert nach deme latine Justicia publice honestatis; wennere dat desset de vortruwinge vnde dat hillige echte behindert, in wo velen graden vnde wore dat aff zick zaket vnde wo dat dat hillige echte vploset, zo dat id nicht vullenkamen bestan mach vnde de vortruwinge nyne macht heft, dat weten ze wol vnde my behoret nicht, vppe zodane to sprekende ifte to schriuende, men alz wy suluen juwe gnade ge=

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secht heft; de mi hir van zeden, sint mit den berdesten vnde grotesten vnde wisesten to Lubeke.

Ok, gnedige leue here, juwe gnade ze an de kortheit, varlicheit vnde bedrechlicheit desser werld. Got is nyn annamer ifte vornemer de eynen vor den anderen der personen, men allenen dede gut don vnde sine bade holden. Hirumme behoret zick juwen gnaden to holdende de bade gades vnde rechtuerdicheit in allem richte to hebbende, zunder leue, fruntschop, ghaue vnde zunder fruchten. Hirumme zint gi eyn here mit landen vnde luden van geschapen, dar horet juw grot antwart vor to geuende. Wat helpet korte vrolicheit, groth gut, zunt liff vnde schonheit, mit groter herschop, zunder ewige frolicheit, zuntheit vnde zunder dat ewich is? Got is nyn got, ifte nicht waraftich, isset dat zine bade nicht warafftich zint, zunder de kann numment zalich werden. Ok wo weynich weten de vnde weynich holden de? Wat helpet to Rome geweset, to Jherusalem vnde gelofft gedahn vnde dar bi nicht gebetert vnde vullenbracht mit den werken? Wenere de ware lere vnde ewige versprekelke zoticheit rechte in dat herte tret, so merket de mynschen de varlicheit vnde duster kortheit desser erdesken dink, vnde so is eme bitter alle frolike titliche Schonheit. Vther schrift vnde warheit, de god zuluen is, moed zick numment geuen, we zalich werden wil; zunder arbeyt, rechtuerdicheit, odmodicheit vnde de bade mach numment zalich werden vnde kan numment daghet vorweruen sunder arbeyt. Hirumme behoret zick, in so korter tit klokliken vortoseende. We hir dat cruce mit guden werken nicht endrecht vnde dat nicht leff heft, deme wert id na desseme leuende altoswar. Juwe gnade my dat nicht to arge stellen, de warheit wil gesecht wesen.

Ok, gnedige leue Here, bauen alle veler guder werke mogen gi vele fruchtsamheit don vnde vele zalich maken, isset dat juwe gnade mit alleme flite, liue vnde gude de gestliken frigheit boschermen vnde de klostere in juwen landen to rechte setten vnde helpen reformeren; wente de zik dunken laten, dat se leuen in der warheit, vnde zint in groter varlicheit. Hir mede, bauen alle gude werke, bedent, vastent, offer, kone gi mer vordenen vnde de rede, de regulen rechte holden, dar gi de bi macht beholden vnde en bi stän.

Juwe gnade helpe vmme gades willen ok den armen broderen to Rostke, de eyn gud, zelich leuent hebben vnde heten de gemeynen brodere vnde leuen na der apostele leuende, den hebben hirumme gegeuen de quaden gestliken eynen spottliken namen vnde heten ze de lollebroder: den sende ik vmme gades willen to juwen gnaden in eren noden, wente vele

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bose gestlike zint en nicht gut, vnde juwe gnade en vmme gades willen willen vullebort geuen, zo ze juwen gnaden wol berichten, alz myn gnedige here Hertog albrecht gedan heft.

Ok gnedige here, scholden de vinster vnde dat murwerk rede werden, de wyle dat me kan muren vor deme winter, dat mach juwe gnade bi desseme brodere vorschriuen.

De zulue juwe gnade got friste zunt zelich to langen tiden wolmogende. Screuen mit der hast LXX septimo.

Der zuluen juwer gnade arme willigen denst

Vicko Dessin            
nu in der kartuß tor arnsboke.

Dem irluchtigenn Hochgebornnenn Furstenn Hernn Magnuße Hertogenn to meklemborgh etc. . Synem gnedigen lieuen Hernn denstlicken.

(L. S.)                           

Nach dem Originale im großherzogl. meklenburg. Geh. u. H. Archive zu Schwerin. Das Siegel ist abgefallen.

 

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