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VIII. Zur Rechtskunde.

Die Straßengerechtigkeit in Meklenburg.

Von

A. F. W. Glöckler.


1. Einleitung.

In Meklenburg sind manche heimische Rechts=Institute von den frühern Romanisten wenig nach Ursprung, Bedeutung und localem Herkommen erörtert worden. Hiedurch haben unter Anderm auch die bäuerlichen Rechtsverhältnisse gelitten[ 1 ), auf deren Entwickelung freilich auch durch manche politische Umstände wesentlich eingewirkt worden ist. Es fehlt in Meklenburg, wie in Norddeutschland überhaupt an Weisthümern und Bauersprachen, welche die altherkömmlichen Rechte des Landvolks nachweisen, fast gänzlich 2 ). Dies ist wesentlich wohl darin begründet, daß ein freier, mit vollem Eigenthum dotier Bauernstand ohne Herrendienst in unsern Gegenden geschichtlich so gut wie unbekannt ist. Diese Thatsache hat jedoch eine mannigfaltige, zum Theil sehr erfreuliche, mehr oder minder günstige Entwickelung der Colonats=Verhältnisse im Einzelnen während des Mittelalters nicht ausgeschlossen. Namentlich gilt dies von manchen geistlichen Besitzungen. Die neuere Wissenschaft des einheimischen Rechts hat fast ausschließlich für Lehn= und Lübisches Recht Quellen eröffnet oder Zerstreutes gesammelt und bearbeitet. Schon aus diesen Gründen wird eine Nachweisung über die Straßengerechtigkeit in Meklenburg, als bezeichnend für das Wesen früherer ländlicher Rechtsverhältnisse, hier Platz finden.


1) Vgl. Eichhorn, Deutsche Staats= und Rechtsgesch. § 545.
2) Vgl. Grimm's Deutsche Rechtsalterthümer, Bd. I, Einleitung; Weisthümer, Th. III, Vorwort und S. 218-321, wo unter den Weisthümern aus Niedersachsen nichts aus Meklenburg dargeboten wird. Doch kommen in unsern Archiven allerdings einige brauchbare Nachrichten über Vorgänge bei Schulzen=, Wroge= und Landgerichten im 16. und 17. Jahrhunderte vor. - Ueber den "rugianischen Landgebrauch" vgl. Fabricius in den Jahrbüchern für meklenburg. Geschichte, Jahrg. VI, S. 36, 37.
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Es kommt aber hinzu, daß überhaupt die Geschichte des meklenburgischen Landvolks, namentlich die Frage der Entstehung und Ausbildung der Leibeigenschaft, sehr im Dunkeln liegt, obgleich die Frage der Aufhebung der Leibeigenschaft bei uns eine Literatur hervorgerufen hat. , Leider haben auch v. Wersebe's treffliche Forschungen über die in Norddeutschland gestifteten niederländischen Colonien des 12. Jahrhunderts keine für uns fruchtbare Fortführung gefunden. Es ist bei uns hinsichtlich der Leibeigenschaft noch ein Grundirrthum: als habe das Mittelalter die harte Leibeigenschaft gehabt, fast allgemein vorherrschend. Für Meklenburg ergiebt sich mit Sicherheit so viel, daß der Zustand unsers Landvolkes im Mittelalter blühender gewesen ist, als in den beiden letzten Jahrhunderten. Ganz sicher hat bei uns die Leibeigenschaft in ihrer härteren Gestalt erst im 16. und 17. Jahrhunderte ihre Entwickelung gefunden. Es geschah dies wesentlich durch das Lehnwesen ohne Kriegsdienst, durch den Einfluß des römischen Rechts, durch die Säcularisationen der Klöster, durch die reversalmäßige Einengung der landesherrlichen Souverainetät nach innen, durch die öfteren zeitweisen Faustpfand=Veräußerungen oder Verpachtungen[ 1 ) ganzer umfänglicher Domanialämter an Privatpersonen, durch den starken Verlust des den alten einheimischen ritterlichen Geschlechtern zuständigen Grundbesitzes an Ausländer, besonders im Kriege Emporgekommene, endlich durch die mannigfachen Leiden des Krieges selbst und innerer Zwietracht. Durch diese Umstände haben die bäuerlichen Verhältnisse eine nachhaltige Zerrüttung erst im 17. und 18. Jahrhunderte erfahren.

Durch Monographien über einzelne ländliche Rechtsverhältnisse wird wohl die Aufmerksamkeit berufener Forscher auf die verschiedenen Seiten der staatswirthschaftlich so wichtigen Geschichte des Landvolkes und des großen Grundbesitzes mehr hingeleitet werden.

2. Begriff der Straßengerechtigkeit in Meklenburg.

Die Straßengerechtigkeit umfaßte nach den Acten zweierlei:

1) das Straßenrecht, d. h. die Befugniß des Grundherrn oder gewisser Colonisten, auf und am Rande der


1) Die Verpfändungen ganzer Domanialämter fanden besondere im Laufe des 16. Jahrhunderts, die Verpachtungen mehr im 17. Jahrhunderte statt. Unter andern sind in dieser Hinsicht die Familie von Barbi und der Amtmann Andreas Hundt beispielsweise zu nennen.
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Dorfstraßen Lein oder Getreide zu säen oder einen sonstigen wirthschaftlichen Betrieb daselbst zu treiben, jedoch ohne Nachtheil für das Gemeinwesen oder die Privatrechte einzelner Colonisten;

2) das Straßengericht, d. h. die Befugniß eines oder mehrerer Grundherren, Verbrechen, die auf und unmittelbar an der Dorfstraße, (oder auf Feld= und Kirchwegen,) begangen wurden, zu untersuchen, den Uebelthäter zu richten und die Strafgefälle (Brüche) zu erheben.

Besonders in Acten des 17. Jahrhunderts umfaßt der Ausdruck: Straßengerechtigkeit häufig diese beiden Begriffe und den Besitz beider Befugnisse. Später deutet er meistens nur noch auf die Gerichtsbarkeit, indem das Besäen der Dorfstraßen mehr und mehr aufhörte. Im Laufe der frühern Zeit ist aber der Ausdruck: Straßenrecht fast allein üblich, und zwar vorherrschend als auf den Anbau, auf die ökonomische Benutzung der Dorfstraßen gerichtet. Bisweilen jedoch, namentlich etwa von 1480 bis um 1560, deutet das Wort: Straßenrecht ebenmäßig auf Anbau und auf Gerichtbarkeit der Straßen, bezeichnet gleichsam den Inbegriff der Rechte und Befugnisse hinsichtlich der Dorfstraßen.

Da in vielen Prozeßacten des 16. Jahrhunderts die Bezeichnung Straßenrecht für das Besäen der Dorfstraßen typisch ist und der wirkliche Anbau der Straßen damals gewöhnlich den eigentlichen Gegenstand des Streites bildete, so wird der Ausdruck in diesem Sinne auch in der folgenden Erörterung durchweg gebraucht werden.

3. Quellen und Literatur.

Unsere heimische Gesetzgebung hat sich nirgends über die Straßengerechtigkeit ausgelassen, man müßte denn einige Stellen von Landtags=Resolutionen und landesherrlich mit der Stadt Rostock geschlossener Verträge, einzelne Streitpuncte über die Gerichtsbarkeit auf den Straßen betreffend, hierher rechnen 1 ). Die Gesetzgebung ging in Meklenburg selten über das dringendste Bedürfniß der Zeiten hinaus, ergriff gewöhnlich nur einzelne zur Zeit wichtige und unabweisliche Verhältnisse, ohne auch diese immer zu erschöpfen.


1) Siehe z. B. die Landtags=Verhandlungen vom J. 1572, in Spalding's mekl. öffentl. Landtags=Verh. Bd. I, S. 48, 65, 81, 93, 104. Vertrag mit der Stadt Rostock v. J. 1584, Art. 102, 103.
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Die allerdings hin und wieder vorkommenden Spuren von ländlichen Gewohnheits= und autonomischen Rechten sind fast gar nicht bekannt gemacht und jeden Falls nirgends gesammelt. Schon der alte, fleißige Mantzel fragte vor etwa 100 Jahren vergeblich von seiner Studierstube zu Rostock aus nach "Bauern=Gerichten und Dorfsgewohnheiten" 1 ).

Die Quellen der vorliegenden Untersuchung sind ausschließlich Archivacten, meistens Prozesse des 16. Jahrhunderts, welche theils bei den Acten der einzelnen Domanial=Aemter, theils der Lehn= und Allodialgüter niedergelegt sind.

In der verwandten juristischen Literatur ist die Straßengerechtigkeit nicht ganz unbekannt, ohne jedoch Erhebliches zu gewähren. Stryck 2 ) berührte sie in der Abhandlung über die pommerschen Lehne. Dies rief im J. 1702 eine Dissertation des J. W. Reichel 3 ) zu Greifswald hervor, welche nach römischen Grundsätzen geschrieben ist und auf die heimischen Quellen wenig eingeht. Westfalen 4 ) fand in einer Urkunde das "Stratenrecht". Es ist für Manches in der Literatur jener Zeit bezeichnend, daß der berühmte Herausgeber der "Monumenta inedita" in einer Note das Wort unbedenklich für das corrumpirte "Brakenrecht", Recht der Gerichtsgefälle oder Brüche erklärt!-Franck[ 5 ), der heimische Geschichtschreiber, giebt den Begriff der Straßengerechtigkeit bei Gelegenheit derselben Urkunde mit den Acten übereinstimmend an. Dagegen scheint Mantzel 6 ) die Sache nicht gekannt oder doch nirgends erörtert zu haben.

Da übrigens der Stoff der gegenwärtigen Abhandlung in vielen Acten zerstreuet ist und nicht vollständig für alle Beziehungen zu erlangen war, auch Vorarbeiten noch zu sehr fehlen, so hat auf das Streben nach gleichmäßiger Vollständigkeit und Klarheit zur Zeit verzichtet werden müssen.

4. Ueber die Straßen im Allgemeinen.

Die Straßen wurden in Deutschland seit Alters in viae regiae und viaeprivatae unterschieden.


1) In den Selecta jurid. Rostoch. Fasc. I, spec. 4, qu. 4. pos. 1. spec. 47. pos. 5. Vgl. v. Kamptz Civilrecht der Herzogthümer Mekl. I, S. 321. Bollbrügge, Das Landvolk in Meklenburg=Schwerin, S. 130.
2) Stryckii disputatio de feudis Pomer. p. 129.
3) De jure in platea paganica. Gryphisw. 1702. 4.
4) De consuetudine ex sacco etc. ibq. Specimen documentorum, p. 35, 36.
5) Altes und neues Meklenburg, Bch. VIII, S. 285.
6) Siehe die Literatur seiner Schriften bei v. Kamptz, Civilrecht, Th. I, S. 360 flg.
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Die via regia oder "gemeine kaiserliche freie Straße", umfaßte alle öffentlichen Wege des Reichs, welche zum allgemeinen Verkehr dienten und Städte und Länder, wie Land und Meer verbanden. Später sind diese öffentlichen Wege, mehr von der Theorie, als der Gesetzgebung, in Heer=, Handels= und Poststraßen bisweilen unterschieden. Die Begründung und Unterhaltung, der Schutz und Ertrag derselben, nicht minder die Gerichts= und Polizeigewalt über sie, gehörten durchweg in Deutschland zur Reichs= und später zur Landeshoheit. Der Inbegriff dieser Befugnisse bildete das Straßen=Regal, jus viarum regale 1 ). Schon frühzeitig wurden einzelne Beziehungen dieses Regals durch Gesetze und Herkommen (z. B. Goldene Bulle, I, 17, Sachsenspiegel II, 27) genauer bestimmt.

Auf seinem Grundstücke konnte jeder Freie Wege nach Willkühr anlegen und über deren Bau, Benutzung und Erhaltung verfügen, so weit nicht die Rechte Dritter in Frage kamen. Zwischen diesen eigentlichen Privatwegen und den "gemeinen kaiserlichen Straßen" standen die Gemeindewege und Dorfstraßen, deren Begründung, Erhaltung und Nutzung den Grundherren und Gemeinden zukommt. Die Privat= und Gemeindewege waren in Deutschland seit Alters auch hinsichtlich der Gerichts= und Polizeigewalt ganz oder theilweise im Besitze der Grundherren. Ja bisweilen war deren Patrimonialgewalt sogar auf die öffentlichen, ihren Grundbesitz durchschneidenden Wege ausgedehnt. Es lag dies begründet in dem eigentlichen Rechtsbegriffe des deutschen Grundeigenthums, welcher, im Gegensatze des römischen, ursprünglich fast überall Besitz und Ausübung gewisser Hoheitsrechte, namentlich des Schirmrechts und der Gerichtsbarkeit über die Hintersassen, einschloß. Dies führte da, wo die Grundherren als Stand der Ritterschaft mächtig waren, zu manchen Beschränkungen auch des Straßenregals.

5. Das Straßenregal in Meklenburg.

In Meklenburg ist das Straßenregal, wie manche andere Regalien, durch altherkömmliche große Ausdehnung der Privatrechte an Grund und Boden, wesentlich durch eine mächtige Ritterschaft und die Seestädte vertreten, auffallend beschränkt.


1) Die Grundsätze der älteren Praxis siehe bei Regnerus Sixtinus Tractatus de regalibus, (1606. 8) p. 41 seq. Vgl. über die Literatur Ortloff, Grundzüge des teutschen Privatrechts, S. 300. Bekannt ist der Satz: "Kaiserliche Majestät bringt das Geleit mit sich".
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Es gab hier zwar seit Alters "kaiserliche freie Straßen", die frühzeitig in Urkunden vorkommen 1 ); auch mag das in der Landeshoheit begründete Straßenregal zu Zeiten umfänglich geübt, oder doch hinsichtlich des Rechts der landesherrlichen Oberaufsicht im ganzen Lande damals schon zuweilen nachdrücklich vertreten sein. Indessen ist nicht zu leugnen, daß bereits im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts in einzelnen Fällen eine ausdrückliche Verleihung der vollen Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt an größere Städte und Grundbesitzer, als auf die ihr Gebiet etwa berührenden Landstraßen 2 ) mit gerichtet, urkundlich dem Wortlaute oder Sinne nach zu entnehmen sein dürfte. Dies ist z. B. wohl unzweifelhaft hinsichtlich der Stadt Rostock der Fall, indem ihr im J. 1358 durch den Herzog Albrecht II. die volle, unbeschränkte Gerichtsbarkeit nicht bloß in den Stadtmauern, sondern auch innerhalb ihrer ganzen "Markscheide" und auf Wegen und Umwegen verliehen worden ist 3 ). Noch ausdrücklicher ist später, in dem Erbvertrage vom J. 1584, dem Rathe die Straßengerichtsbarkeit auf den Dorf=, Feld= und Landstraßen im Gebiete der Rostock zustehenden Hospital=Dörfer bestätiget 4 ).

Seit den Zeiten des ewigen Landfriedens (1495) wurden Gesetzgebung und Regierung in vielen deutschen Territorien durchgreifender von den Landesherren geübt. Manche Fürsten suchten ihre Landeshoheit über den factischen Zustand der bloßen Lehnsherrlichkeit hinauszuführen. Dieses zunächst gegen die Landstände und deren Privilegien oder doch gegen manche der großen Innehaber des mit einzelnen Hoheitsrechten ausgestatteten Privat=Grundbesitzes sich richtende Streben fand auch in Meklenburg einigermaßen statt. So trat Herzog Heinrich der Friedfertige


1) Z. B. "Via regia" 1216 im Gebiete des Klosters Dargun: siehe Lisch, meklenb. Urkunden, Bd. I, S. 14.
2) Bei Verleihungen und Verkäufen von Grund und Boden kommt nicht bloß die Form: "cum umni jure, cum viis et inviis", oder: "cum omni utilitate in viis et semitis" häufig vor (vgl. z. B. Jahrbücher des Vereins für meklenb. Gesch. Jahrg. III, S. 231; Lisch, Gesch. und Urkunden des Geschlechts Hahn, H. 80, 84, 104), sondern es heißt auch z. B. in zwei Urkunden des Klosters Doberan v. J. 1281 und 1283: "in viis et semitis communibus et privatis". Lisch), Geschichte und Urkunden des Geschlechts Hahn, S. 89, 93. - Freilich sind die viae communes wohl nicht als identisch mit den viae regiae zu betrachten; auch steht der Ausdruck nicht in nächster Verbindung mit dem folgenden: ,,cum omni jure et judicio"; jedoch dürften jedenfalls solche und ähnliche Formen des urkundlichen Wortlauts für die Bedeutung des Straßenregals und besonders für die Entwickelung des Straßenrechts in Meklenburg von wesentlichem Einflusse gewesen sein.
3) Die Urkunde ist öfter gedruckt, wie in: Histor. diplom. Abhandlung vom Ursprung der Stadt R. Gerechtsame, Beilagen, No. 43. Wahrer Abdruck der - Privilegien der Stadt Rostock, (1773. 4.) S. 38.
4) Erbvertrag mit der Stadt Rostock vom J. 1584, Art. 102, 103. Schröders Repertorium des Rostockschen Rechts führt S. 510, 511 bei den Stadtdörfern auch der Stadt Landstraßengericht auf.
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wiederholt mit Nachdruck gegen den Mißbrauch der ritterschaftlichen Patrimonial=Gewalt von Seiten einzelner Vasallen, wie z. B. des Heinrich Smeker zu Wüstenfelde, auf. Auch in Beziehung auf das Straßenregal suchte er die landesherrliche Hoheit in mehrfachen Streitigkeiten, z. B. mit Wismar, aufrecht zu erhalten. Dieser Stadt lag es herkömmlich ob, die von dort in das Land nach Proseken, Beidendorf u. s. w. führenden Landstraßen=Steindämme zu erhalten, wogegen sie die Ausübung der Jurisdiktion daselbst ansprach 1 ). Herzog Heinrich und später Herzog Ulrich wollten der Stadt eine solche Befugniß nicht zugestehen, sondern übten zeitweise Gerichtsbarkeit und Geleitsrecht auf jenen Dämmen aus, ließen auch wohl hierin nachlässige Diener ihres Amtes entsetzen. Vom Herzog Ulrich ward bei einer solchen Gelegenheit im J. 1575 ausdrücklich erklärt: "es sei löblich und wohl hergebracht, "daß der hohen Obrigkeit die gemeinen Landstraßen, und so weit man auf beiden Seiten mit einem langen Spieße reichen könne, mit den Obergerichten zuständen; auch die von Adel gestatteten den Landesherren ohne Widerrede die Gerichte und Brüche auf den Heerstraßen, wie noch bei Hans Preen's Zeit zu Modentin geschehen sei". Eben so hieß es in dem auf dem Sternberger Landtage des J. 1572 dem v. d. Lühe auf Panzow wegen einer Beschwerde über vermeintliche Eingriffe in dessen Straßengerichtsbarkeit ertheilten Bescheide: "der Fall betreffe einen auf der Landstraße erschlagenen Bauern; weil nun die Gerichte auf allen Landstraßen zu den fürstlichen Regalien gehörten und der hohen Obrigkeit durch das ganze Land zuständig wären, so sei von dem herzoglichen Amte nach Gebühr verfahren" etc. . 2 ).

Durch die Reversalen der J. 1572 und 1621 ward jedoch die nachdrückliche Vertretung mancher landesherrlichen Hoheitsrechte überaus erschwert. Die Bestimmung der Polizeiordnung vom J. 1572, Titel: "Von Besserung der Brücken, Wege und Stege" ist in ihrem Sinne auf eine entschiedene Regalität der Landstraßen wohl nicht auszudehnen. Die unheilvollen Zeiten des 17. Jahrhunderts führten, besonders seit dem J. 1648 3 ), zu offenem Kampfe zwischen der nach


1) Dies ist seitdem wiederholt Gegenstand von teilweise merkwürdigen Händeln zwischen der Stadt und den Landesherren geworden, namentlich im J. 1694. Vgl. dagegen den wohl allgemein gültigen Satz bei Regnerus Sixtinus, tract,. de regalibus, p. 42.
2) Vgl. Spalding, a. a. O. Bd. I, S. 81, 93, 94.
3) Instrumentum pacis Osnabrugensis, Art. V, §. 30, Art. VIII. §. 1, 2, sicherte den Reichsständen die hohe Landesobrigkeit, das Recht der Bündnisse u. s. w., anerkannte gleichsam den Grundsatz der territorialen Souverainetät, freilich nicht ohne Bestätigung der "jura et privilegia" der Stände, Wie ließ sich aber das in praxi reimen?-
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Souverainetät strebenden Landeshoheit und den bevorrechteten Landständen. In den Beschwerden vom J. 1701 suchen die Stände oder vielmehr die Ritterschaft nach: daß die Landesherrschaft sich "der auf denen Strömen und Bächen, welche durch adeliche Felder fliessen, wider das Herkommen angemasseten Jurisdiction und Fischerei gnädigst begeben möge" 1 ). Demgemäß ist auch durch den §. 419 des Erbvergleichs vom J. 1755 "denen von der Ritterschaft, den Landbegüterten und Städten die Gerichtsbarkeit über die durch ihre Güter gehende Landstraßen, Feld= und Holzwege, auch Bäche und Ströme, so weit sie selbige berühren, gelassen" worden 2 ). Dies hat jedoch eine zu Zeiten umfängliche und eingreifende Handhabung des, der Landesherrschaft auf allen "unstreitigen öffentlichen Landwegen und Heerstraßen" zustehenden, polizeilichen Oberaufsichtsrechts keineswegs ausgeschlossen 3 ).

6. Vorkommen des "Straßenrechts" in Meklenburg.

Seit dem 15. Jahrhundert läßt sich das Straßenrecht, dem mehrfachen oben bezeichneten Begriffe nach, in den meisten Gegenden des Landes als im Privatbesitze der großen Grundherren und Colonisten befindlich nachweisen. Auch hat dabei hinsichtlich des Besäens der Dorfstraßen der Umstand, daß eine Dorfstraße zugleich als Heerstraße diente, einen wesentlichen Unterschied, wenigstens in der älteren Zeit, wohl nicht begründet.

Im J. 1473 verkaufen Henning und Arnd von der Molen auf der Steinburg dem Bürger Simon Smede zu Parchim die halbe Feldmark Berkow mit dem halben Straßenrechte daselbst. Heinrich Riebe auf Galenbeck verlieh im J. 1500 der Pfarre zu Klockow 4 Hufen mit dem Straßenrechte 4 ). Im J. 1511 verkaufte, Hans Holstein auf Ankershagen unter Andern


1) "Resolutiones ad Gravamina, ibq. Additamenta, so bey der kayserl. Commission anno 1701 übergeben", Art. 19.
2) Hiernach wird auch z. B. von Hagemeister, Versuch einer Einleitung in das meklenb. Staatsrecht, S. 239-248, ein Straßen= und Stromregal in Meklenburg, ebenso wie das Forstregal,, abgeläugnet. - D. Mevius Entwurf eines meklenb. Landrechts, Buch II, Titel 13, nimmt die landesherrliche Jurisdiction auf allen öffentlichen Landstraßen als Regel an. Jargow, Einleitung zu der Lehre von den Regalien, S. 295, meint, der §. 419 des Erbvergleichs sei auf die Poststraßen nicht auszudehnen.
3) Vgl. Instruction für die Domanial=Beamte vom 13. März 1771 wegen der Wegebesserung. Verordnung vom 13. Sept. 1783 wegen zu raschen Fahrens auf den Landstraßen; Constitution wegen des Wagengeleises vom 1. Nov. 1794 u. a. m.
4) Westphalen sagt l. c. p. 35: "Stratenrecht; corrupta vox est, lege: brackenrecht, von brechen, verbrecken". Vgl. Franck, A. u. N. M., Buch VIII. S. 284.
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"dre Del am Stratenrechte tho Passentin" dem Kloster Broda. Gleichzeitig besaß der Bauer Drewes Krasemann zu Kl. Helle "dat Stratenrecht na Antall der Houen". Dem Herzog Heinrich zu Meklenburg stand 1520 das Straßenrecht in den Comthurei=Dörfern Kraak und Sülstorf zu 1 ). Um das J. 1540 beschwerte sich das Kloster Dargun unter Andern über Volrath Preen, der sich unterstehe, "im Dorpe Kusserowe vp der Strate Lin tho seyende, dar he die Buren tho dwang, datt sie idt em ploegen mußten; item tho Warsow vndersteit he sick, vp der Straten tho seyende". Seit dem J. 1550 werden in Verträgen über Lehn= und Allodialgüter als Pertinenzen derselben häufig "Lienbrincke, Strassenrecht, halbe Leinsaat auf der Strassen" aufgeführt. In selbstständigen Prozeßacten wird der Gegenstand z. B. bei den Gütern Chemnitz, Danneborth, Kieve, Kittendorf, dem Kloster Dobbertin, mehreren Aemtern, bei Warlin, Wessin, Woggersin, Zehna, hinsichtlich der Gerichtsbarkeit auch auf Landtagen, wie im J. 1572 2 ) verhandelt. Das Straßenrecht zu Proseken wird damals als der Kirche und später als der Pfarre daselbst zuständig bezeichnet. Georg Maltzahn auf Penzlin verpfändet 1609 an Bertram Smiterlow zu Greifswald seinen Antheil Mallin nebst dem "halben Flachsbau auf der Straßen". Gleichzeitig klagte Christoph Moltke zu Strietfeld über das Amt Dargun, welches die Straße zu Walkendorf mit Lein besäe. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird das Straßenrecht immer seltener genannt. Indessen ward z. B. im J. 1654 der Straßenplatz zu Stove auf Ansuchen der dortigen Bauern, gemäß einem Befehle des Herzogs Adolph Friedrich zu Meklenburg, vermessen und unter die einzelnen Colonisten ausgetheilt. Um das J. 1700 fanden Prozesse zwischen der Kirche zu Petschow und der Gutsherrschaft von Lüsewitz wegen Bebauung und oekonomischer Benutzung der Petschower Dorfstraße statt. Endlich beschwerte sich u. A. noch 1702 der Pächter zu Vorder=Bollhagen gegen die Bauern zu Röddelin wegen des daselbst von ihnen auf der Dorfstraße vorgenommenen Leinsäens, und einzelne ähnliche Vorträge gingen um diese Zeit noch von Pächtern der Aemter Meklenburg, Doberan und Ribnitz ein.

Sonach erhellt, daß das Straßenrecht, und zwar vorherrschend im Sinne der wirthschaftlichen Benutzung der Dorfstraßen, Jahrhunderte lang in Meklenburg üblich war. Es war auch nicht einzelnen, wie etwa den südöstlichen, Theilen des


1) Vgl. Jahrbücher des Vereins für meklenb. Gesch. Jahrg. I, S. 74.
2) Vgl. Spalding. a. a. O. Bd. I, S. 48, 65. Franck, a. a. O. Bd. X, S. 216. (Die Beschwerde des H. Schönberg wegen Grebbin gegen das Amt Crivitz betr.)
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Landes eigenthümlich, sondern kommt auch nicht selten in anderer Richtung, wie zu Grebbin, Kothendorf, Meklenburg, Proseken u. s. w. vor. Jedoch mußten Umfang und Bodenart der Feldmarken, wie besonders die Räumlichkeit der Dorfstraßen wesentlich dabei einwirken. So heißt es in dem Landtheilungs=Register vom J. 1610 beim Amte Neukloster: "bey diesem Amte wird kein Leinsame auff Brincke vnd Strassen, besondern in den sadigen (tragbaren) Acker geseet". - Auch in den Aemtern Rühn und Schwaan scheint etwas Aehnliches der Fall gewesen zu sein. In manchen Dörfern mag überhaupt niemals irgend eine wirtschaftliche Benutzung der Straßen stattgefunden haben. Mehrere Amtsbücher, wie das der Comthurei Nemerow aus den J. 1572 und 1641, sagen bei manchen Dörfern ausdrücklich: "haben keine Straßenbrinke, darauff man "Lein sehen kann" 1 ).

7. Die Dorffreiheiten.

Es gab seit Alters in den meklenburgischen Dörfern und auf deren Feldmarken besondere Gemeindeplätze und freie Aecker, an denen in der Regel die ganze Dorfschaft gemeinsame Nutzungsrechte hatte. Solche Plätze und Aecker werden in älteren Acten gewöhnlich als "Freiheiten, Trifften, Brinke, Gilde= vnd Lienlender" bezeichnet. Vieler Orten mögen sie altherkömmlich gewesen, und mehr willkührlich in Folge bloß localer Verhältnisse, als durch besondere Dotationen der Grundherren entstanden sein, obgleich auch das Letztere von einigen Dörfern, wie z. B. Neukirchen, Wessin u. A. einigermaßen nachzuweisen sein dürfte. Brincke kommen nicht selten, wie zuweilen noch jetzt, in der Mitte der Dörfer nahe an der Kirche vor. Sie scheinen vorzugsweise unter der Bezeichnung "Freiheit" verstanden zu werden. Mitunter lagen auch Brinke dicht vor den Dörfern, so daß sie die Straße nahe berührten. Auf solchen Brinken - und hier vielleicht ursprünglich - hat bisweilen eine Ausübung des Straßenrechts durch Besäung mit Lein stattgefunden; oder die Freiheit und die Straße wurden zugleich bebauet, wie noch um 1586 in Woggersin.

Bei größeren, wohlhabenden Dorfschaften werden, namentlich im 16. Jahrhundert, ,,Gilde= vnd Lienlender" häufig erwähnt. Sie wurden von allen oder vielmehr von einer größern Zahl zu dem Zweck verbundener Colonisten gemeinsam angebaut. Den Ertrag der Saat, die zuweilen auf Stoff zur Bier=


1) Vgl. Jahrbücher für meklenb. Gesch. Jahrg. IX, S. 94.
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brauerei berechnet war, pflegten die Gildegenossen zur Zeit der Erndten und großer Festtage, besonders des Pfingstfestes, in fröhlichen Gelagen zu verthun. Solche "Gildenbiere" dauerten oft 3 bis 4 Tage lang und führten zu allerlei Ueppigkeit und Unordnung. Bezeichnend ist für das alte Verhältniß zwischen Grundherren und Colonisten, daß noch um d. J. 1560, anscheinend nicht ganz selten, manche Vasallen mit Familie und Gesinde, auch einigen Nachbarn, die "Gildenbiere" der Hintersassen persönlich besuchten, oder wenn sie behindert waren, einen guten Antheil Festbiers sich auf den Hof bringen ließen, wie dies z. B. die Restorf auf Wessin und Radepohl im J. 1560 selbst bezeugen. Um diese Zeit ergingen öfter Beschwerden über manche Ausschweifungen des ländlichen Gildewesens. Hier und da, so wird behauptet, seien die Bauern mit den gewöhnlichen Gildeländern nicht zufrieden, machten allerlei Weideplätze und Aecker zu Gildeländern und trieben Todtschlag und Unzucht bei den Festen. Bei einzelnen Dörfern wird von 5, ja von 7 Gildeländern, unter denen bisweilen auch Wiesen vorkommen, geredet. Die Polizeiordnung von 1572, Titel: "Von den Gilden und Abenddäntzen auff den Dörffern" verbietet deshalb alle "gemeine Gilden" und gestattet nur die Pfingstgilden in den Dörfern, "da sie vor Alters vnd bis anhero eine Gewohnheit gewesen." Jedoch soll das Gildenbier nicht, wie bisher gewöhnlich, aus dem Ertrage der freien gemeinen Aecker und Gründe genommen, sondern um baares Geld aus den Städten geholt werden; die Zechen sollen nicht länger als 2 Tage dauern. - Solche Verbote und Beschränkungen haben sich vielfach in späteren Kammer= und Amtsordnungen wiederholt. Das ländliche Gildenwesen scheint aber nicht so sehr durch polizeiliche Verbote, als vielmehr durch das starke Sinken des Landvolks überhaupt im Laufe des 17. und besonders im 18. Jahrhundert fast gänzlich verschwunden zu sein. Ohne Zweifel stand es, als von der Nutzung gewisser gemeinsamer Räumlichkeiten ausgehend, in einiger Verbindung mit dem Besäen der Dorfstraßen, oder fiel gar mit diesem zusammen, indem die in der Mitte der Dörfer gelegenen Brinke zeitweise wohl ziemlich willkührlich von den Colonisten genutzt wurden. Später ist das letztere hier und da auch von den Grundherren geschehen, indem sie auf der "Freiheit" Gebäude errichteten, wodurch zuweilen die Brinke ganz eingingen. Uebrigens sind solche Brinke noch jetzt in manchen meklenburgischen Dörfern, besonders auf früheren geistlichen oder städtischen Besitzungen anzutreffen und werden als Trocknenplatz, Gänseweide oder ähnlich benutzt.

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8. Der Ursprung des Leinsaens auf den Dorfstraßen.

Sehr viele Nachrichten setzen die Sitte des Leinsäens auf den eigentlichen Dorfstraßen als im 16. Jahrh. bereits weit verbreitet außer Zweifel. Der Ursprung dieser Sitte dürfte sich wesentlich auf die räumliche Anlage der Dörfer und das Wesen des älteren ländlichen Wirthschaftsbetriebs, auf das Eigenthümliche des Flachsbaues und dessen frühere, größere Verbreitung, endlich auf die Umfänglichkeit der Flachsabgabe der Colonisten in älterer Zeit zurückführen lassen.

In der Anlage mancher Dörfer ward ursprünglich weder strenge Regelmäßigkeit noch sorgliche Raumbenutzung erstrebt. Ein großer Theil derselben hat sich allmälig und weniger planmäßig, als vielmehr nach den zeitweisen Umständen gestaltet, wie diese durch die wachsende Zahl der Colonisten, allerlei Unfälle, das Interesse der Grundherren, das Verhältniß zwischen diesen und den Hintersassen, die Bodenbeschaffenheit, und durch andere Thatsachen sich bildeten. Noch nach 1290 treten die Dörfchen ("villulae") öfter urkundlich auf. Wie sehr Brand= und Kriegsunglück, Naturereignisse, innere Zwiste u. s. w. selbst auf die ungleich fester und planmäßiger begründeten Städte hier und da wirkten, ist bekannt und nicht weniger Orten nachzuweisen. So sind denn in vielen Dörfern mehr oder minder unregelmäßige und ausgedehnte Straßen und Plätze entstanden.

Zu einer wirthschaftlichen Benutzung derselben wurden einzelne Colonisten wohl schon frühzeitig um so mehr veranlaßt, als manche Dörfer durch den Landstraßenverkehr gar nicht berührt und die localen Zwecke der breiten Dorfstraße durch theilweisen Anbau nicht beeinträchtigt wurden. Zudem war überhaupt in allem bäuerlichen Betriebe des frühern Mittelalters wie an gemeinschaftlicher Benutzung einiger Theile der Feldmark, so besonders daran gelegen, das zu bebauen, was den Hof des einzelnen Colonisten zunächst umgab, was der Pflegende vor Augen hatte, leicht überwachen konnte 1 ). Die ursprüngliche Beschränkung oder zeitweise durch Fehden, Räubereien und Patrimonialdruck herbeigeführte Unsicherheit des ländlichen Betriebes und die mancherlei Dienstverhältnisse der erwachsenen männlichen Colonisten mußten nothwendig hierauf hinleiten.

Uebrigens ist jedoch mit mehrfachem Grunde anzunehmen, daß das Besäen der Dorfstraßen erst im 15. und 16. Jahrh. sich verallgemeinerte, ein Umstand, der neben manchen


1) Vergl. Grimm's Rechtsalterthümer, Bd. II, S. 495.
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andern Thatsachen auf eine reichere und betriebsamere Bevölkerung dieser Zeiten, besonders im Vergleiche zu der des 18. Jahrh. unverkennbar hindeutet.

Zum Anbau der Dorfstraßen ward vorzugsweise die Leinpflanze verwandt. Die Straßen erschienen zum Besäen mit Getreide wohl schon deshalb weniger geeignet, weil es den bebauten Plätzen in den meisten Fällen an genügendem Schutze gegen die Einwirkung mancherlei localen Verkehrs und des umlaufenden Vieles fehlte, indem ein Umzäunen der Saatplätze in der Regel nicht statthaft war, während die starke, zähe Leinpflanze sich für eine weniger gesicherte Lage mehr schickte. Hiezu kam, daß der Flachsbau früher ein wichtiger Betriebszweig und sehr verbreitet im Lande war. Fast aller Bedarf an Leinewand, selbst für die Hofhaltungen, ward aus dem heimischen Naturerzeugnisse und durch inländische Verarbeitung gewonnen. Während schon englische und niederländische Wollengewebe (im 15. und 16. Jahrh.) den Bedarf der Wohlhabenderen und besonders der Reichen befriedigten, ward die Leinewand noch vorherrschend im Lande selbst erzeugt. Die Zahl der Leinenweber war im 16. Jahrh. in einzelnen Städten und Aemtern ungleich bedeutender, als jetzt. Noch im 17. Jahrh. kommen "Flachs= und Leingewands=Register" bei den fürstlichen Hofhaltungen vor. Die herzoglichen Aemter, die damals öfter über Mangel an Leinsaamen oder mißrathene Erndten klagten, mußten alljährlich oder zeitweise "zu Hofe" ansehnliche Massen Flachs liefern. Hier ward der Flachs nach der Güte gesondert und zur bestimmten Bearbeitung meistens wieder an die Amtshäuser verteilt.

Insbesondere mußte aber der Bauer nicht bloß das eigene Bedürfniß befriedigen, sondern durchweg auch eine Abgabe in Flachs an die Grundherren entrichten. Für die meisten Gegenden Meklenburgs läßt sich seit dem Beginne der urkundlichen Zeit hinsichtlich der Lasten der Colonisten unter den Fruchtzehnten an Lämmern, Hühnern u. s. w. die Flachsabgabe nachweisen. In der Regel ward von jeder Hufe Landes ein Topp Flachs (toppus lini, ligatura lini), bisweilen mehr, je nach dem Hufenmaaße 1 ) oder nach Uebereinkunft


1) In Pommern und Meklenburg tritt frühzeitig urkundlich ein dreifaches Landmaaß hervor: 1) Landhufe, mansus teutonicus, aratrum, = 30 Morgen cultivirten Landes; 2) Hägerhufe, mansus indaginarius seu Westphalicus, = 60 Morgen; 3) Hakenhufe, uncus, mansus slavicus, = 15 Morgen. Hiernach wurden gewöhnlich Voll=, Doppel = und Halbhüfner unterschieden. Die Landhufe bildete die Regel für die Größe der Bauerhöfe. - Jeder Morgen ward zu 300 Quadratruthen und die Ruthe zu 8 Ellen berechnet. Anscheinend galten diese Normen in Meklenburg noch während des 17. (  ...  )
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entrichtet. Diese Abgabe 1 ) hat sich, wie die des Rauchhuhns, welches dem Gutsherrn für jede Feuerstelle (domus, area) in Anerkennung des Obereigenthums zukam, bis in die neueren Zeiten erhalten, ja im 16. Jahrh. scheint der Betrag derselben bisweilen willkürlich gesteigert zu sein.

9. Erwerbung des Straßenrechts Besitztitel der Colonisten.

In frühester Zeit ward das Straßenrecht - die Besäung der Dorfstraßen - wohl nur von einzelnen Colonisten ausgeübt, denen die Benutzung der nahen Straße besonders gelegen schien. Von einem Rechte mag dabei selten die Rede gewesen sein, indem der mit dem Blute oder mit Rath dienende Lehnmann, das ferne und zuweilen noch wenig organisirte, fast immer milde verwaltete Kloster und die wenigen herzoglichen Vögte das Treiben der Colonisten im Einzelnen zu überwachen wenig befähigt und wohl selten geneigt waren, so lange jene ihre Verpflichtungen erfüllten.

Nach Zeugenaussagen in Prozeßverhandlungen des 16. Jahrh. hatten viele ritterschaftliche Colonisten das Straßenrecht im Laufe der Zeit nicht so sehr vertrags= und spruchmäßig, als durch Verjährung erworben, indem es heißt: sie hätten herkömmlich, und ungestört seit Alters die Straße besäet. Actenmäßig ist es, daß noch während des 16. und 17. Jahrh. sich ritterschaftliche Colonisten und Domanialbauern hie und da in einem solchen herkömmlichen Besitze des Straßenrechts erhalten haben. Im Allgemeinen scheint aber besonders seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. und noch entschiedener in der folgenden Zeit eine besondere, ausdrückliche Verstattung der Grundherren der herrschende Rechtstitel für die Ausübung des Straßenrechts der Colonisten geworden zu sein 2 ).


(  ...  ) Jahrh. durchweg. Das Verhältniß der verschiedenen Hufenmaaße zu der Flachsabgabe läßt sich als gleichmäßig bestimmt wohl nicht nachweisen.-Durch den Erbvergleich vom J. 1755, Art. I, §. 8 und die Directorial=Vermessung ward der Begriff der ritterschaftlichen Hufe genau bestimmt; der einer Bauerhufe ist wohl noch jetzt schwankend. Vergl. Fabricius in den Jahrbüchern des Vereins für mekl. Gesch., Jahrg. VI, S. 17 flgd; Hane in der neuen Monatsschrift, Jahrg. III, S. 169. flgd.
1) Aeltere Beispiele vgl. z. B. in Westphalen, monum. ined. Tom. II, p. 2046, 2058; Thiele's Güstrower Domkirche, S. 10; Ratzeburger Zehnten=Register (ed. Arndt), S. 25; Lisch, meklenb. Urkunden, Bd. II, S. 236, 269 flgd.
2) Dem entsprechend wiederholt Reichel, 1. c., §. 6, 8, die schon in Husans Tractatus de hominibus propriis und von Andern gegen Ende des 16. Jahrhundert gelehrte romanistische Grundansicht: "Jus hoc in platea paganica non potest competere rusticis ipsius pagi, quia hi ipsi sunt pars fundi."
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Dies mußte auch wohl der Fall sein, als mit der härteren Gestaltung der Leibeigenschaft und mit dem steigenden Einflusse des römischen Rechtes alle Verhältnisse sich änderten. Seitdem der Vasall nicht wesentlich mehr mit dem Blute diente, sein Rathsdienst durch Gelehrte verdrängt und sein Leben meistens auf dem ländlichen Rittersitze in oft allzu großer Muße verbracht ward, mußte er um so mehr zur eigenen oekonomischen Ausbeutung des Grundbesitzes und zu größerer Strenge gegen die Colonisten geneigt werden, als seine Bedürfnisse durch den Einfluß fremder und höfischer Sitten und das Streben, das Ritterliche in glänzenden äußeren Formen zu erhalten, sich steigerten, während die Mittel zu deren Befriedigung durch fortgehende Theilungen des Grundbesitzes, ja durch ererbte Schulden geringer wurden. Dem entspricht es, wenn schon um die Mitte des 16. Jahrh. einzelne große Grundherren unter andern auch die Ausübung des Straßenrechts für sich in Anspruch nehmen. Hierauf gerichtet erscheinen z. B. die oben (unter 6) erwähnten Beschwerden des Klosters Dargun über Volrath Preen um d. J. 1540; die Restorf auf Wessin und Radepohl standen um 1570 mit ihren Vettern auf Bolz und Kritzow darüber in Prozeß, daß sie die gemeinsamen Lein= und Gildeländer der Unterthanen zu Wessin angeblich für sich selbst willkührlich nutzten. - Ein solches Streben der Grundherren veranlaßte, bei den vielfachen planlosen Theilungen des Grundbesitzes, manche derartige Streitigkeiten, in denen die Vasallen gewöhnlich mit Eifer oder gar Erbitterung gegen einander auftreten, obgleich die Sache selbst zuweilen noch wesentlich im Interesse der Hintersassen geführt werden mochte. Denn durchweg betreffen die Prozesse solche Dorfschaften, deren Insassen nach verschiedenen Rittersitzen oder Aemtern pflichtig waren.

In den geistlichen und Domanialbesitzungen ward das Besäen der Dorfstraßen in den früherrn Zeiten ebenfalls mehr blos herkömmlich, als mittelst eines besondern ursprünglichen Rechtstitels ausgeübt. Als aber im Gefolge der Kirchenverbesserung die großen Feldklöster aufgehoben, und die Landesherren, den namentlich im Puncte der Steuern altherkömmlich und auch ausdrücklich privilegirten Ständen gegenüber, wesentlich auf die neu entstandenen oder bedeutend vergrößerten Domanialämter zur Bestreitung fast des ganzen rasch steigenden Aufwandes für den Hof= und Staatshaushalt angewiesen wurden, mußten auch hier die Colonats=Verhältnisse tief ergriffen werden. Auf die Dauer konnten sich die meisten Colonisten mit ihren alten, großen, meistens erbzinslichen Hufen=

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dotationen, den milder festgestellten Diensten und Pächten und manchen herkömmlichen Befugnissen an Holzhieb, Torfstich, Fischerei und Rohrwerbung, Straßenrecht u. s. w. gegen den Drang mächtiger, neuer Zeitbedürfnisse und neuer Rechtslehren nicht in alter Weise erhalten. Nachhaltig wirkte hier auch der Umstand, daß in Folge landesherrlichen dringenden Bedürfnisses zeitweise ganze große Domanialämter als Faustpfand oder pachtweise in die Hände von Privatpersonen, selbst von Ausländern, gelangten, gewöhnlich mitsammt der vollen Patrimonialgewalt. Unmöglich konnte dies der Stellung der Colonisten förderlich sein. So wurde denn im Domanial=Gebiete unter den herkömmlichen Befugnissen derselben auch das Besäen der Dorfstraßen allmälig aufgehoben oder nur besonders und ausnahmsweise grundherrlich gestattet. Mitunter ward es, schon vor 1600, ausdrücklich für eine Amtssache erklärt. In der folgenden Zeit ließen die Amtleute zuweilen die Straße für Amtsrechnung nutzen, wie z. B. zu Meklenburg; mitunter die Saat der Bauern, als ungehörig auf der Straße, zerstören. Unter den Herzogen Christian I, Louis und Friedrich Wilhelm erklärte die Kammer mehrmals, z. B. im J. 1685 wegen Klockenhagen, im Amte Ribnitz, das Besäen der Dorfstraßen und die Nutzung der Brinke und Trifften für ein "Reservat der Aemter." Anderer Seits wurden bisweilen die Colonisten in dem herkömmlichen Besitze des Straßenrechts von der Kammer gegen die Pächter der Kammerhöfe geschützt, wie noch im J. 1702 die Bauern zu Röddelin.

10. Ausübung des Straßenrechts; Beschränkungen.

Seit Alters durfte bei Ausübung des Straßenrechts weder der gemeine Fahrweg gesperrt, noch die Auf= und Abfahrt für die Höfe der einzelnen Colonisten gehindert werden. Demgemäß ward das Einzäunen der bebauten Stellen in der Regel nicht gestattet oder doch strenge überwacht, indem es allzu leicht mißbraucht ward und öfter zu Gewalttätigkeiten führte.

Im J. 1565 war Streit zwischen den nach verschiedenen Landestheilen gehörenden Aemtern Wredenhagen und Mirow wegen des Leinsäens in dem getheilten Dorfe Kieve. Die Amt=Wredenhagenschen Unterthanen hatten ihre Leinsaat auf der gemeinen Freiheit daselbst so eingezäunt, daß mehreren Amt=Mirowschen Einwohnern der nöthige Wirthschaftsraum beengt ward "und sie kaum eine Gans oder ein Huhn bei

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ihren Höfen mehr halten konnten." Auf Befehl des Herzogs Ulrich ward der Zaun umgehauen und das Säen auf der Straßenbreite eingeschränkt. - Um d. J. 1573 hatten die Passow zu Zehna die ökonomische Nutzung der Dorfstraße so ungebührlich ausgedehnt, daß die Amt=Güstrowschen Unterthanen daselbst nicht mehr frei zu ihren Höfen ein= und ausfahren konnten; ein Theil der Straße war eingezäunt, ein anderer zur Wiese gemacht worden. Nach geschehener Untersuchung ward zwar den Passow, weil sie seit Alters das Straßenrecht zu Zehna geübt hatten, das Leinsäen auch ferner gestattet, jedoch mit der Beschränkung, die Straße zum gemeinen Gebrauche frei zu lassen und die Wiese ganz einzuziehen. - In einem Prozesse der Holstein mit den Linstow wegen des Dorfes Woggersin werden Jene im J. 1586 unter anderm beschuldigt: sie hätten daselbst einen neuen Graben "angerichtet und die alte Straße eingezogen." Nach späteren Acten eines Streites zwischen den Peccatel und den Maltzan wegen Blumenholz hatten die Hintersassen jener den maltzanschen Unterthanen daselbst "durch Beseyung der Straßen die gehorliche Fahrwege, Vff= vnd Abgenge vff ihre Hoffe nicht benommen vnd gehemmt." Die Dorfschaft Meklenburg verklagte noch im J. 1685 bei der Kammer das dortige Amt, welches die Dorfstraße, angeblich zur Erhaltung der Straßengerechtigkeit, mit Lein besäen lasse und die Unterthanen dadurch an der Auf= und Abfahrt behindere.

Ebenso war es gegen das Straßenrecht, Gebäude, besonders zu dauernden Zwecken, auf der Straße und gemeinen Freiheit zu errichten. Selbst den einzelnen, auf derselben Feldmark berechtigten Grundherren ward dies früher in der Regel nicht gestattet. Um das J. 1552 hatte ein Bauer zu Woosten, Joachim Krell, auf der Straße daselbst "eigens Freuels" eine Scheure erbauet. Er mußte sie alsbald abbrechen und auf seinen Hof setzen. Joachim Krause, der Antheil an Varchentin besaß, ward auf Antrag des Amts Stavenhagen im J. 1570 gezwungen, ein auf der Straße daselbst erbautes Haus niederzureißen. Als Joachim Kleinow 1630 auf der Straße zu Karstorf ein "Pforthaus" gebauet hatte, erwirkte das Amt Stavenhagen in Kurzem dessen Abbruch. Etwas Aehnliches war zu Krümmel vorgekommen. Zu Petschow hatte der Gutsbesitzer von Lüsewitz um d. J. 1680 die "gemeine Straßenbreite" durch mehrere Bauten eingeengt, ein Umstand, der zu einem langwierigen Prozesse zwischen der Kirche zu Petschow und der Gutsherrschaft von Lüsewitz die Hauptveranlassung gab. - So ward die Errichtung von Gebäuden auf den Straßen und Freiheiten der Dörfer fast durchweg für un=

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zulässig erklärt und zuweilen noch besonders bestraft. Es konnte dies jedoch füglich nur da vorkommen, wo der Grundbesitz getheilt war. Die Rechtsbegründung des Verfahrens gegen solche Bauten ward übrigens nicht so sehr in dem Wesen öffentlicher Straßen, als in der Befugniß der Colonisten zum Leinsäen oder im Besitze der Gerichtsbarkeit über die Dorfstraße von Seiten eines der berechtigten Grundherren gefunden.

Zuweilen kommt ferner die Baumpflanzung auf Dorfstraßen in Verbindung mit dem Leinsäen vor. Die zur Ausübung des Straßenrechts befugten Colonisten pflegten hier und da Weiden vor ihren Höfen auf der Dorfstraße anzupflanzen. Früher geschah dies mancher Orten nach alter Gewohnheit, herkömmlich und willkürlich von einzelnen Bauern; im Laufe des 16. Jahrh. wird aber auch hier häufiger eine besondere grundherrliche Verstattung für nothwendig erachtet. In den getheilten Dörfern führte dies bisweilen zu Händeln und Prozessen, indem der im Besitze der Straßengerichtsbarkeit sich befindende Grundherr die Weidenpflanzungen der eigenen oder fremden Colonisten nicht gestatten wollte. Diese Verhältnisse werden z. B. in Prozessen der Restorf unter sich wegen des Straßenrechts und der Gildeländer zu Wessin um 1570, des Klosters Dobbertin mit den Restorf auf Bolz wegen der Gerichtsbarkeit im Dorfe Lenzen um 1590, so wie der Gutsherrschaft von Lüsewitz mit der Kirche zu Petschow um 1700, besonders in den Zeugenverhören berührt. Mehrfache Angaben deuten darauf hin, daß in älterer Zeit allerdings manche Colonisten herkömmlich mit dem Leinsäen zugleich die Baumpflanzung, namentlich von Weiden, die sie ausschließlich nutzten, auf der Dorfstraße geübt hatten. Es bezogen sich z. B. in Schwetzin die Colonisten bei einem Streite über das Straßenrecht auf die vor den Höfen von ihnen gehegten Weiden hinsichtlich der Theilung und Begrenzung beim Leinsäen. - Später ward auch dieses Herkommen der Colonisten von den Grundherren allgemeiner beschränkt oder aufgehoben, indem man es als einen Eingriff in die Gerichts= und Polizeigewalt über die Dorfstraße ansah. Die Domanial=Aemter erklärten zuweilen das Weidenpflanzen für eine Amtssache. So sagte z. B. das Amt Boizenburg 1738 in einem Prozesse mit dem Gutsherrn von Tüschow, der Antheil an Granzin besaß, wegen abgehauener Weiden und eines niedergerissenen Zauns zu Granzin: "das Amt habe nach Angabe des Amtsbuchs die Straßengerechtigkeit zu Granzin; der von den Unterthanen des Beklagten gemachte Zaun sei wider das Straßenrecht zu weit auf die Straße gerückt, wogegen es zur Befugniß des Amtes gehöre, die Straße

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mit Bäumen zu beflanzen, jedoch absque praejudicio viae et actus."

Uebrigens fand das Leinsäen auf den Dorfstraßen weder ganz gleichmäßig in derselben Straßengegend statt, noch ward es überhaupt in derselben bestimmten Weise geübt, indem hierauf manche locale, wie räumliche Erweiterung oder Beschränkung der Dörfer und die zeitweisen Verhältnisse zwischen den Grundherren und den Colonisten wesentlich einwirkten. Oft scheint das Leinsäen ausschließlich auf einem, in der Mitte de s Dorfes, belegenen freien Platze geübt zu sein, wie dies auch, als in Pommern vorherrschend, bezeugt wird 1 ). Die öfter vorkommenden Bezeichnungen: Straßenplätze, Straßenbrinke, Freiheit, wie bei Petschow, Poserin, Stove, Wessin und Woggersin, dürften in der Regel auf eine solche Lage hindeuten. Hier und da lief anscheinend der herkömmliche Fahrweg, wie z. B. in Kotendorf um 1598, zu beiden Seiten längs der Straßenbreite hin, so daß auf deren Mitte gesäet ward. Andrer Orten scheint sich der Anbau auf die Ufer der Dorfstraße beschränkt zu haben, wie etwa in Prosecken und Schwetzin, so daß die Colonisten den ihre Höfe begrenzenden Theil der Straße theilweise benutzten. Mitunter ward jedoch, wie z. B. in Miekow um 1586, einzelnen Bauern freigestellt, vor ihren Höfen oder sonst auf der Straße nach einem gewissen Verhältnisse Lein zu säen. - Ebenso ward auch schon im Laufe des 16. Jahrh. in manchen Dörfern, wo das Straßenrecht üblich war, nicht gerade alljährlich die Straße bebaut, sondern mehr nach den zeitweisen Umständen, "nach Gelegenheit der Jahre", wie dies von Kotendorf, Lenzen, Petschow, Wessin und andern Orten angedeutet wird.

11. Einfluß der Hufenzahl bei getheiltem Grundbesitze.

Sehr wichtig für die grundherrlichen, wie für die Colonats=Verhältnisse sind die vielfachen Theilungen des Grundbesitzes. Sie sind uralt und in zahlreichen Urkunden schon des 13. und 14. Jahrh. nachzuweisen. Als nahe liegend und unvermeidlich erscheinen sie für die Zeiten der Germanisirung des Landes, wo beim Mangel einer regelmäßigen Verwaltung und durchgreifenden Gesetzgebung schon die großen Dotationen, z. B. mancher Klöster, Zusammenhang und Einheit nicht immer verfolgten, wo die Erweiterung der geringen Volksmenge durch fremde Kolonisten, bei der Einwirkung viel=


1) Reichel, 1. c. §. 3, sagt: in Pommern pflege das Leinsäen zu geschehen, "in medio plerumque pagi opatio longiori et latior."
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facher, oft abweichender grundherrlicher Interessen, nicht selten willkührlich und planlos geschehen mußte und wo kleinere zeitweise Veräußerungen des Grundbesitzes durch Privatpersonen nach Neigung oder Bedürfniß, z. B. als Geschenk an Klöster oder durch Verkauf bei Geldnot ungehindert stattfanden. Die schon frühzeitig ausgebildete Eigenthümlichkeit des meklenburgischen Lehnrechts, namentlich die fast unbeschränkte Veräußerlichkeit und Verschuldbarkeit der Lehen 1 ), mußte die Theilungen des Grundbesitzes befördern. Nicht minder mußte dies durch die spätere Ausbreitung der ritterlichen Geschlechter geschehen, indem die nachgebornen Söhne von der Erbfolge nicht ausgeschlossen wurden, so daß zur Befriedigung der Nachgebornen im Laufe des 15. und 16. Jahrb. ungemein viele Teilungen des Grundbesitzes und Errichtungen neuer Rittersitze geschehen mußten. Ueberdieß ward die Sitte der antichretischen Verpfändung ganzer Güter oder ansehnlicher Theile ebenso frühzeitig und umfänglich in Meklenburg geübt, als die der Gewährung von Special=Hypotheken an Grund und Boden, welche gewöhnlich auf einzelne Gehöfte, Dienste und Pächte der Colonisten oder auf einen bestimmt bezeichneten Theil des Hauptgutes gerichtet wurden, was in den traurigen Zeiten des 17. Jahrh. mittelst des Systems der "adjudicatio in solutum" zu einer unglaublichen zeitweisen Entwerthung und zu mancher Zerstückelung des großen Grundbesitzes geführt hat. Daß die zum Gewährenlassen führende Beschränkung der landesherrlichen Hoheitsrechte auch hier eingewirkt hat, ist wohl nicht zu bezweifeln.

Die durch solche Teilungen herbeigeführte Zerrissenheit des Grundbesitzes war die Hauptquelle vieler Händel, obgleich vielleicht den Colonats=Verhältnissen nicht gerade überall und zu allen Zeiten nachtheilig. Die Teilungen ergriffen nicht bloß den Grund und Boden selbst, sondern auch die ihm anklebenden Rechte, wie das Kirchenpatronat, die Jurisdiction u. s. w. Das Theilungswesen ging so weit, daß die Colonisten einzelner Dörfer 3, auch wohl 4 verschiedenen Grundherren zustanden, daß Landesherren, Lehnleute und milde Stiftungen Antheile an einer und derselben Feldmark besaßen, ja, daß sogar einzelne Dörfer verschiedenen Landesherren zugehörten.

Demgemäß war auch das Straßenrecht häufig getheilt, wie schon oben u. a. die Veräußerung des halben Straßenrechts zu Berkow im J. 1473 angeführt ist. Bei solchen Teilungen normirte hinsichtlich des Leinsäens


1) Vergl. Jahrbücher für meklenb. Geschichte, Jahrg. III, S.164, 231 flgd.
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auf den Dorfstraßen die Hufenzahl. Es war überhaupt Rechtens, wie noch ein herzogliches Erkenntniß vom 24. Jan. 1581 (bei Woggersin) besagt, "die Theilung der Guter, so von Geschlechtern pro indiuiso in diesen Landen gebraucht, nach Hufenzall zu machen." Diese war herkömmlich oder gesetzmäßig für manche ländliche Verhältnisse, wie die Schäferei und Jagdberechtigung, entscheidend. Nach der Polizeiordnung vom J. 1572, Titel: "Von Jagen", soll derjenige Jagd= und Schäfereirecht ansprechen dürfen, der 4 Hufen oder darüber auf einer Feldmark besitzt 1 ). Bei gemeinsamen Holzungen wurden die Mastgelder nach Hufenzahl getheilt 2 ). Dasselbe galt von Gerichtsgefällen, wo die Jurisdiction mehreren Grundherren zustand. - Im J. 1586 ward ein Streit zwischen Zabel Stal auf Pohnstorf und dem Amte Güstrow wegen 4 Bauhöfe zu Miekow und deren Antheil am Straßenrechte dahin verglichen, daß die Colonisten der 4 Höfe die Straße nach Anzahl der Hufen sollten besäen dürfen. - In einem Prozesse zwischen den Holstein und Linstow wegen des Straßenrechts zu Woggersin sagen 1586 mehrere Zeugen gleichmäßig aus: Die Parteien hätten früher bisweilen zu gleichen Teilen die Freiheit besäet; aber die Holstein besäßen mehr Hufen auf der Feldmark, als die Linstow, und nach altem Landgebrauch werde das Straßenrecht nach Anzahl der Hufen ausgetheilt. - Bei ungefähr gleicher Hufenzahl verglich man sich bisweilen über Theilung durch das Loos. So hatten sich früher einmal die genannten Holstein und Linstow wegen Woggersin dahin vertragen: daß keiner ohne des andern Vorwissen die Straße und Freiheit besäen solle, sondern man gemeinschaftlich zwei gleiche Stücke abmessen und durch das Loos vertheilen, nach der Erndte aber den Platz in Freiheit liegen lassen wolle.

12. Das Straßenrecht hört auf.

In der zweiten Hälfte des 17. und im Laufe des 18. Jahrh. ist die Gewohnheit, auf der Dorfstraße Lein zu säen, in Meklenburg nach und nach verschwunden. Zunächst mag dies allerdings in der durch Krieg und Pest, Leibeigenschaft und innern Unfrieden herbei geführten, lange fortgehenden Entvölkerung 3 ) (im J. 1750 war die Bevölkerung von


1) Vergl. v. Kamptz, Civilrecht, Bd. I. S. 358, 364, 399.
2) Vergl. z. B. Spalding, a. a. O. Bd. I. S. 48, 63 - 65.
3) Vergl. Jahrbücher des Vereins für meklenb. Geschichte, Jhg. VI, S. 34 flgd. (Groth, Uebersicht der Bevölkerung u. s. w.); Schlözers Staatsanzeigen, Bd. IV, S. 200-215: " Oligarchische Verwüstung von Meklenburg." -Scharf bezeichnet der Geheime Rath P. Schmidt in der "Engern Abbildung" den Zustand des Landes um das J. 1747 als eine Zeit, "da das Interesse der Ritterschaft allein die Verfassung des Landes ausmachte!"
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Meklenburg=Schwerin auf 150,000 Einwohner gesunken !) begründet sein. Auch mögen die vielen Truppen=Durchzüge dazu mitgewirkt haben. Der wesentlichste Grund dürfte aber, besonders für den ritterschaftlichen Grundbesitz, darin zu suchen sein, daß der Bauernstand überhaupt in Verfall gerieth, seitdem die Gutshörigkeit der Hintersassen vieler Orten in Knechtschaft und Besitzlosigkeit ausartete, so daß das Entlaufen der Leibeigenen immer häufiger ward. Patrimonialrechtlicher Druck und "Bauernlegen", durch die Reversalen vom J. 162l, Art. 16, wohl zu sehr erleichtert, fanden zwar hauptsächlich auf dem ritterschaftlichen Grundbesitze im 17. und 18. Jahrh. statt, doch wurden auch in den Domainen die Colonats=Verhältnisse durch die Gestaltung der Leibeigenschaft und manche Mißgriffe der Verwaltung wesentlich erschüttert. Es ist auffallend, aber unzweifelhaft, daß in Meklenburg, wo "altes Herkommen" eine so verbreitete, vielfach angesprochene und oftmals, namentlich in der Gesetzgebung und in den Landtags=Verhandlungen des 16. Jahrh., ausdrücklich anerkannte Rechtsquelle bildet, dieses alte Herkommen besonders in den Colonats=Verhältnissen im Laufe des 17. und 18. Jahrh. von Seiten der großen, freilich auch bedrängten Grundbesitzer ziemlich willkührlich gehandhabt worden ist. Daß eine schonungslose Ausdehnung der grundherrlichen Rechte fast alle herkömmlichen Befugnisse der Colonisten berühren mußte, liegt sehr nahe und ist bereits in Einzelnheiten angedeutet worden. - Uebrigens ist nicht zu verkennen, daß mancher Orten die sich ausbildende Straßenpolizei mit gutem Grunde den Anbau der Dorfstraßen beschränkte oder aufhob, wozu schon die Erweiterung der Posteinrichtungen in der Zeit von 1680 - 1750 bisweilen dringend auffordern mußte.

Daß der sonst grundgelehrte, aber auch oft unzuverlässige Westfalen 1 ) die Bedeutung des Straßenrechts nicht kannte, fällt um so mehr auf, als es zu seiner Zeit doch noch hier und da in Meklenburg und Pommern 2 ) geltend war. So beschwert sich, wie oben erwähnt, noch im J. 1702 der Pächter zu Vorder=Bollhagen über das Leinsäen der Colonisten


1) Wie es mit der Correctheit mancher Abdrücke in den "Monumenta inedita" beschaffen sei, bezeugt noch jüngst Michaelsen, Sammlung altdithmarscher Rechtsquellen. Vorrede, S. XVIII, wo es von dem Abdruck des Büsumer Codex in Monum. inedita, III, p. 1731 seq: heißt: "er ist in dem Grade nachlässig und fehlerhaft, daß man ihn großen Theils gar nicht gebrauchen kann."
2) Vergl. Reichel, 1. c. §. 2: "sumimus pro spatio - cui saepius lini semen inserunt "; §. 8: "saepius enim audimus, rusticos dicere solere: es wäre so die alte Gewohnheit, daß sie vor ihre Höfe wol köndten auf den Strassen Lein säen."
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in Röddelin. In demselben Jahre beklagte sich der Pächter zu Hoppenrade bei herzoglicher Kammer, daß die Bauern zu Viecheln die Dorfstraße eigenmächtig bezäunt und mit Kohl bepflanzt hätten, so daß er nun daselbst kein Lein säen könne, wie sonst, üblich sei. Dagegen war freilich mancher Orten, z. B. nach den angeführten Prozeßacten über die Straße zu Petschow um 1705 das Säen auf den Dorfstraßen schon wesentlich außer Gebrauch. Die Acten wegen Granzin besagen 1738: das Amt Boizenburg habe seit Alters das Straßengericht zu Granzin und es sei deshalb die Straße "vormahlen verschiedentlich mit Leinsamen besäet gewesen." Später wurden bei der Directorial=Vermessung (1756 flgd.) hin und wieder, namentlich in den Aemtern Stavenhagen und Lübz, Dorfstraßen mit "nutzbaren Brinken" nach Abrechnung der Wege bonitirt. So lag damals in Poserin "der nutzbar geschätzte Acker auf der Straße an zweyn Flecken und das Uebrige war stark mit Weiden besetzet und dadurch getheilet." Allein ein alterthümliches, mehr oder minder abgabenfreies Nutzungsrecht der Colonisten fand hierbei wohl ohne Zweifel nicht mehr statt. Schon das Bonitiren der nutzbaren Brinke 1 ) deutet auf das Gegentheil; auch wird in einem Streite zwischen den Beamten der Vermessungs=Commission wegen Schätzung der Straße zu Poserin das Straßenrecht gar nicht angeführt. Endlich wird auch in gleichzeitigen Schriften über landwirtschaftliche Gegenstände, z. B. in den 1769 erschienenen: "Gedanken von Verbesserung des Flachsbaues, vornämlich im Meklenburgischen" 2 ) des Leinsäens auf den Dorfstraßen nicht mehr gedacht.


1) Nach der Instruction für die Landmesser vom 30. Octob. 1751, §. 10, kommt u. A. in das erste caput "auch alles, was sonst als Acker beständig oder zuweilen gebraucht wird"; in das vierte caput, u. A. "Brinke und Alles, was zur Weide allein oder zugleich mit dazu gebraucht wird." Die Instruction für die Taxatoren, von demselben Datum, bestimmt. in §. 13: es sollen jedoch "die Post=, Heer= und übrige, beständige, nie zum Aufbrechen und zur Kultur und Weide kommende Wege" den Besitzern nicht mit angerechnet werden.
2) Der geschwätzige Verf. (ein Landpfarrer?) hat sein Buch dem Geh. Rath Grafen von Bassewitz=Prebberede gewidmet, der - nach der Vorrede - zu ihm geäußert hatte, "daß in dem verachteten Flachsstengel die herrlichsten Subsidien für das Vaterland verborgen lägen." S. 35 schätzt er den ganzen Jahresertrag des damaligen Flachsbaues in Meklenburg, nach Abrechnung des Bedarfs der ländlichen Haushaltungen, nur 8000 Rthlr. werth! - Die noch jetzt interessante "Oeconom. und statist. Reise durch Meklenburg, Pommern" u. s. w. (von Fr. v. Buchwald auf Gudumlund), Kopenhagen. 1786. 8. nennt das Straßenrecht nicht und stellt u. A. eine Vergleichung zwischen den dänischen und meklenburgischen Bauern zum Vorteile der letzteren an.
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13. Das Straßengericht.

Bei den vielen Theilungen des Grundbesitzes und dem öfteren Verluste der betreffenden Urkunden und dem Mangel einer Codisication der ländlichen Rechtsgewohnheiten ward auch das Straßengericht die Quelle mancher Händel zwischen den Grundherren. Eine nahe Veranlassung des Streites lag zuweilen in der Theilung der Gerichtsgefälle, der Bruchgelder. Gewöhnlich wird aber diese Gerichtsbarkeit in den Acten mit dem Leinsäen auf den Dorfstraßen zugleich verhandelt, so daß im Gefolge von Streitigkeiten über das Straßenrecht die Frage der Gerichtsbarkeit öfter als das entscheidende Moment erörtert wird. Doch kommt der Gegenstand auch in selbständiger und in nicht processualischer Verhandlung vor, indem zu Zeiten des 16. und 17. Jahrh. auf den Besitz von Gerechtsamen, die zwar in der That von keinem großen Belange waren, aber doch dem Besitzer eine gewisse Würde gaben und zeitweise nutzbarer werden konnten, mehr Werth gelegt ward, als heutiges Tages. Außerdem hat, bei beschränkterer Einsicht in öffentliche Verhältnisse und leichterer Verfolgung des eigenen persönlichen Vortheils, die zu jener Zeit größere Liebe für das Local=Herkömmliche hier mitgewirkt.

Der oben bestimmte Begriff des Straßengerichts tritt öfter actenmäßig hervor, wie in dem angeführten Prozesse der Holstein gegen die Linstow wegen Woggersin um 1586, wo es heißt: - keineswegs hätten die Linstow das Straßengericht zu Woggersin allein besessen, "vnd wenn sich Felle vnd Bruche vff der Strassen zugetragen, allein das Gerichte geheget vnd die geburende Bruche daruon genommen."

Das Verhältniß zwischen der Gerichtsbarkeit und dem Leinsäen auf den Dorfstraßen wird, besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh., von streitenden Parteien zuweilen in ganz entgegengesetzter Weise bezeichnet. Gewöhnlich wird zwar behauptet, das Leinsäen sei Ausfluß der Gerichtsbarkeit, und noch später: es finde nur mitunter zur Bezeichnung und Wahrung der Gerichtsbarkeit von Seiten der ritterschaftlichen Grundherren und der Domanial=Aemter statt. dagegen wird aber auch zu beweisen gesucht, daß das Leinsäen selbstständig geschehen könne, daß das Straßenrecht etwas Unabhängiges und Hauptsächliches sei. - Als im J. 1573 das Amt Güstrow den Passow die Nutzung der Straße zu Zehna nicht weiter gestatten wollte, bezog es sich theils auf vorgekommene Mißbräuche, theils aber auch auf das dem Landesherrn zuständige Straßengericht zu Zehna. Indessen war nach dem

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Rathe der herzoglichen Commissarien den Passow das Leinsäen, als altherkömmlich, unter üblicher Beschränkung, auch ferner zu gestatten. Bald darauf ließ das Amt Bukow, im Besitze der hohen Gerichtsbarkeit zu Danneborth, das von den Bibow auf der Straße daselbst gesäete Lein "des angemasseten hohen Gerichts halber" ausreißen, wogegen die Bibow den hiervon unabhängigen, vieljährigen Besitz des Straßenrechts zu Danneborth darzuthun suchten Als im J. 1584 Joachim Krammon, dessen Frau, geb. Hobe, als Erbjungfer Antheil an Kl. Lüsewitz und Tulendorf befaß, "die freye Straße zu Tulendorf, so zum höchsten Gerichte gehörig vnd dazu beschirmet wird, mit Leyn zu beseyen sich unterstanden" hatte, ließ Dietrich Bevernest, der das höchste Gericht daselbst besaß, angeblich, um sich in dessen Besitze zu erhalten, den Flachs auf der Straße zerstören. Es behaupteten ferner 1586 die Linstow gegen die Holstein wegen Woggersin: es sei Landgebrauch: "wer die Strasse vnd Freiheit mit Leien zu beseen befugt, das dem auch das Strassengerichte zugehore." In einem Streite zwischen dem Kloster Dobbertin und den Restorf auf Bolz wegen der Gerichtsbarkeit und des Leinsäens zu Lenzen erklärten sich die Parteien darüber einverstanden, daß "die Straßen=Freiheit mit zum hochsten Gerichte gehore". Das Amt Walsmühlen bezog sich 1598 wegen des angeblich ihm zuständigen Straßengerichts zu Kotendorf besonders darauf, daß es die Straße daselbst seit langer Zeit zur Erhaltung der landesherrlichen Gerichtsbarkeit zeitweise mit Lein besäet habe. Uebrigens gab es zu, daß den Pentz und den Lützow 10 Hufen zu Kotendorf gehörten. Im J. 1612 ward das Amt Boizenburg landesherrlich angewiesen, den vom dermaligen Inhaber von Zahrensdorf, Johann Meves, auf der Dorfstraße gesäeten Flachs zu zerstören, weil man dessen Vorgängern "das Geringste bis hieher am Straßengericht nicht gestendig gewesen." Im J. 1615 verkaufte Herzog Johann Albrecht II. an Joachim Oswald Wangelin das Straßengericht zu A. Schwerin "vnd also auch die Beseiung derselbigen." Endlich heißt es noch 1622 in dem Prozesse der Peccatel gegen die Maltzan wegen Blumenholz: es sei landgebräuchlich, "welchem das Strassengericht zukehme, der auch die Strassen wo vnd wie offte eß ihme gefellig, zu beseyen Macht habe."

Nach der vorherrschenden und damals allerdings naheliegenden Ansicht ward demnach das Leinsäen auf den Dorfstraßen als Zubehör oder Ausfluß der Gerichtsbarkeit betrachtet. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß auch die entgegenstehende

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Ansicht, nach welcher das Straßenrecht als eine selbstständige, von der Gerichtsbarkeit unabhängige Befugniß erscheint, unter Umständen in der früheren Zeit Begründung und wirkliche Geltung gewinnen konnte, wie dies bereits oben unter 6, 9 und 10 durch Nachweisung von Thatsachen angedeutet ist. Es geschah dies hauptsächlich durch den Einfluß der Theilungen des Grundbesitzes und die Bedeutung des localen Herkommens. Ursprünglich benutzten einzelne Colonisten hier und da die Dorfstraßen mehr oder minder willkürlich nach localen und persönlichen Einflüssen in gutem Glauben. Hieraus entstand ein Herkommen, welches sich nach und nach verbreitete und eine gewisse Gültigkeit gewann. Wo der Grundbesitz getheilt war, ward die Straße mancher Orten und zuweilen lange Zeit hindurch von den Colonisten der verschiedenen Grundherren in gutem Glauben, ohne Widerspruch von Seiten des Gerichtsherrn, nach Anzahl der Hufen genutzt. Wohl nur aus diesen Gründen gestanden z. B. die im unzweifelhaften Besitze der Gerichtsbarkeit sich befindenden Aemter, wie das Amt Güstrow dieselbe zu Miekow und zu Zehna besaß, den andern auf derselben Feldmark berechtigten Grundherren, auch nachdem die Befugniß streitig geworden war, Antheil am Straßenrechte nach Hufenzahl oder wie sonst herkömmlich war, zu. Wie das locale Herkommen, wenn es unzweifelhaft erschien und gehörig dargestellt ward, noch in später Zeit zuweilen Anerkennung fand, ist ebenfalls bemerkt, wie z. B. hinsichtlich der Bauerschaft zu Röddelin noch im J. 1702. Einzelne Colonisten oder einzelne unter verschiedenen auf derselben Feldmark angesessenen Grundherren mögen auch frühzeitig durch einen besonderen Rechtstitel, wie Kauf, Verpfändung, Dienstvertrag u. s. w. bestimmten Antheil am Straßenrechte erworben haben. Wenn die zuerst bezeichnete Ansicht, dem eindringenden, allgemeinen Verfalle der Colonats=Verhältnisse entsprechend, seit dem Beginne des 17. Jahrh. entschiedener vorherrschend ward, so ist auch wohl hierin ein auf die bäuerlichen Interessen ungünstig mitwirkender Einfluß des römischen Rechtes nicht zu verkennen. In zweifelhaften Fällen hätte man zunächst auf locales Herkommen, auf die Theilungen des Bodens und auf die Entwickelung der Verhältnisse zwischen Grundherrn und Colonisten zurückgehen müssen. Dies geschah von Anwälden und Richtern seltener und jedenfalls ungründlicher, seitdem die eigenthümliche Bedeutung des deutschen Grundeigenthums oft mißverstanden, die Gutshörigkeit aber mehr und mehr nach römischen Mancipiats=Ansichten beurtheilt ward, und ein entsprechender Einfluß in der einheimischen Gesetzgebung der Reversalen vom J. 1621

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bereits hervorgetreten war, da doch einer Seits das römische Recht weder ein Privat=Eigenchum mit Hoheitsrechten, noch ein deutsches Colonatswesen, noch endlich die umfassende Bedeutung des Herkommens, des Rechtsgebrauchs 1 ), als vorherrschender Quelle des Rechtes, gekannt hatte, und anderer Seits noch in neuerer Zeit trotz aller Bedrängniß ein Theil der Colonisten sich in persönlicher Freiheit, ein anderer im Besitze lehnrechtlicher und erbrechtlicher Nutznießungs= oder Eigenthumsrechte an Grund und Boden (Lehnschulzen, Erbmüller, Erbschmiede u. s. w.) erhielt.

Ganz der angedeuteten Wendung der Dinge entsprechend zeugen mancherlei Acten gegen das Ende des 16. Jahrhunderts von zunehmender Unkunde der Colonisten mit heimischen Rechtsverhältnissen, während bis um 1550 in Prozessen und Beschwerden ritterschaftlicher Untersassen und frommer Stiftungen, in Jurisdictions=Händeln u. s. w. Selbstbewußtsein und Rechtseifer der Colonisten noch einiger Maßen hervortreten. So gestehen z. B. in Zeugenverhören, die 1575 über die Gerichtsbarkeit in Schlowe stattfanden, mehrere der befragten Bauleute, das Wesen des höchsten und des "sidesten" Gerichts nicht zu kennen, andere erscheinen unklar über die Bedeutung des Rauchhuhns, so wie gewisser Beden und Dienste.

Das Straßengericht eines Dorfes war zuweilen im gemeinsamen Besitze mehrerer Grundherren, indem Beschwerden wegen einseitiger Erhebung von Brüchen bei den Straßengerichten mehrfach vorkommen. Gewöhnlich ward auch hier der Einfluß der Hufenzahl, besonders für die Theilung der Strafgefälle, geltend gemacht. Um das J. 1550 fielen die Brüche beim Straßengerichte zu Varchentin zur einen Hälfte dem Herzoge Joh. Albrecht I. und zur andern den Rostke auf Varchentin und Schloen zu. Später, 1570, machten aber auch die Krause Mitansprüche an dieses Straßengericht, indem sie das Eigenthum des Kirchenlehns und der meisten Hufen zu Varchentin behaupteten. Wegen verweigerter Theilung der Brüche beim Straßengerichte zu Marin klagten 1591 die Blücher wider die Marin. Es war nämlich um das J. 1580 ein Bauer auf der Straße zu Marin erschlagen, dessen Mörder 15 Gulden Strafgeld beim ältesten Schulzn erlegt hatte. Dieses Geld ward später von Levin Marin einseitig er=


1) Vgl. Dittmer, Das Sassen= und Holsten=Recht, Vorwort, S. 11: "Was in den Gerichtsprotocollen als Sassen= oder Holstenrecht bezeichnet wird, war nichts anderes, als der Inbegriff der im Volke lebenden und im Vogtding verkündeten Rechtsgebräuche".
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hoben, während das Straßengericht angeblich den Blücher und Marin gemeinsam zustand, da beide ungefähr gleichen Antheil an der Feldmark des Ortes besaßen. Ebenso behaupteten 1586 die Holstein gegen die Linstow, daß das Straßengericht zu Woggersin ihnen gemeinsam sei. Noch um 1680 war das Straßengericht zu Zieslübbe halb landesherrlich, halb nach dem Lehngut Möderitz gehörig. - Indessen kommen auch Fälle vor, wo bei ziemlich gleicher Theilung der Feldmark, das Straßengericht einem Grundherrn ausschließlich zustand. So gehörte im J. 1610 das unferne Gadebusch belegene Dorf Jarmstorf zur einen Hälfte nach dem herzoglichen Amte Gadebusch, zur andern den Bülow auf Holtorf. Das Straßengericht stand jedoch ausschließlich dem Amte Gadebusch zu.

Das Verhältniß zwischen dem Straßengerichte und der Gerichtsbarkeit überhaupt war im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts nicht aller Orten gleichmäßig bestimmt. Gewöhnlich erscheint das Straßengericht als ein besonderer, wenn auch nicht grade immer selbstständiger Theil der Gerichtsbarkeit. Der Inbegriff der höchsten und niedrigsten Gerichtsbarkeit, als einem oder mehreren Grundherren zustehend, schloß nicht überall eo ipso das Straßengericht ein. Die auf der Straße vorkommenden Vergehen bildeten gleichsam einen eigenen Kreis der gerichtlichen Wahrnehmung. Ueber das Straßengericht wird bisweilen als über etwas Selbstständiges verfügt. Die uralten Theilungen der Feldmarken und die später sich häufenden Partial=Veräußerungen mußten auch auf die gesammte Gerichtsbarkeit einen wesentlichen Einfluß üben, indem dabei der altdeutsche Grundsatz festgehalten ward, daß jedem Grundherrn Schutz= und Schirmrecht und die Gerichtsgewalt über seine Hintersassen zustehe. Daher konnte es vorkommen und war wirklich öfter der Fall, daß in demselben Dorfe und auf derselben Feldmark 3 bis 4 Jurisdictionen bestanden: ein Grundherr besaß die höchste und niedrigste Gerichtsbarkeit überhaupt, oder nur diese, und ein dritter die höchste, ein zweiter das Straßengericht, ein dritter und vierter die Gerichtsbarkeit über seine Colonisten innerhalb deren Höfe, und vom Schulzen des Dorfes ward noch eine gewisse niederpolizeiliche Gewalt geübt. Alles dies war auch in vielen Dörfern und in deren Nähe schon äußerlich durch Galgen, Pranger und Halseisen erkennbar. Bisweilen war die hohe Gerichtsbarkeit zwischen mehreren Lehnleuten unter sich, oder zwischen einem der Landesherren und einem Vasallen getheilt, wenn sie gleich pro indiviso besessen ward; häufig hatten sich die Landesherren und demnächst andere große Grundherren bei Dotationen die hohe Gerichtsbar=

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keit, als durch die Brüche möglicher Weise einträglich, vorbehalten. Auch die Kirchen und Pfarren waren bisweilen durch Dotationen mit bestimmen Colonats=Hufen im Besitze einer Gerichtsgewalt. - Demnach heißt es in Urkunden über Veräußerungen des Grundbesitzes so häufig: "hohestes edder Obgericht vber Haut vnd Har, sidestes vnd Strassengericht;" oder: "hogestes vnd sidestes Gericht vber Halß und Handt vf der Feldmarke, Strassen vnd binnen Zaunes." Im J. 1569 vertauschte Achim Halberstadt auf Kl. Brütz 5 Bauern zu Meteln an den Herzog Johann Albrecht I. unter Andern gegen die dem Herzoge in dem getheilten Dorfe Gr. Brütz zustehende "hogeste vnd sideste Gerichtsgewalt vber Halß vnd Handt vf der Veldmarke, Strassen und binnen Zauneß". Die Schoenberg auf Frauenmark wurden 1572 wegen des von ihnen angesprochenen Straßengerichts zu Grebbin durch landesherrliche Resolution dahin bedeutet: "sie hätten über ihre dortigen Leute nicht weiter zu richten, als was in deren beschlossenen vier Pfälen geschehe". 1 ) In den Beweisartikeln des Zabel Stall zu Pohnstorf wider das Amt Güstrow wegen Miekow v. J. 1578 heißt es: "Art. 18. Wahr, daß demnach das hohe vnd niedere Gericht zusampt dem Strassengericht vber vnd bei den streitigen Hofen dem Kläger zustehe". Als im J. 1598 wegen eines Todschlags zu Walsmühlen der Punkt streitig war, ob der Mord auf der Dorfstraße oder im Hofe eines Pentzschen Unterthanen geschehen sei erklärte das Amt Walsmühlen, daß es das hohe Gericht auf der Straße daselbst nur "vf beiden Seiten bis ahn die Zeune" anspreche. Otto Prignitz auf Bollewick behauptete 1628 die hohe, niedere und die Straßengerichtsbarkeit zu Nätebow und war andern Lehnleuten wegen dreier ihnen gehöriger Bauhöfe daselbst "keiner Gerichte weiter als auf den drey Hoeffen innerhalb Zauns gestendig". Diese Beispiele werden auch vermutlich den Begriff der bisweilen vorkommenden Zaungerichte bestimmen. Endlich war im J. 1645 der Herzog Adolph Friederich bereit, dem Gutsbesitzer von Altenhagen auf dessen Ansuchen das Straßengericht daselbst dergestalt zu concediren, daß er die von den Colonisten im Dorfe oder auf der Straße verübten Unthaten bestrafe, aber keine Jurisdiction über Reisende oder Einwohner des Dorfes, die nicht Bauern seien, zu üben habe.

Die Competenz der Straßengerichte war jedoch


1) Vgl. Spalding, a. a. O. I, S. 48, 65. Franck, A. u. N. Meklenburg, Buch X, S. 216.
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anscheinend nicht immer genau auf die Dorfstraße beschränkt. Vielmehr standen wohl bisweilen "Straßen= vnd Feldgerichte" in einer gewissen natürlichen Verbindung. Es wird wenigstens über die Strafgefälle bei Straßengerichten zuweilen auch wegen solcher Fälle berichtet, die anscheinend auf freiem Felde geschehen waren. Auch werden Straßen= und Feldgerichte in Veräußerungs=Urkunden öfter in solcher Wortverbindung aufgeführt, daß diese auf einen sachlichen Zusammenhang fast unverkennbar hindeutet. So verpfändete Achim Riebe auf Broma im J. 1612 dem Rathe zu Friedland seine Erblehngüter zu Klokow und Kotelow unter Andern mit dem "Strassen= vnd Feldgerichte an Haut, Haar, Hals vndt Handt". Zu Blumenholz gab es 1620 ein Straßen= und Feldgericht, welches die Peccatel gemeinsam besaßen, die auch damals einen Verbrecher auf dem nahen Felde hatten hängen lassen. Im J. 1621 wird zu Kobrow ein landesherrliches "Strassen= und Feldgericht" erwähnt. - Dagegen kann eine Erstreckung der Straßengerichtsbarkeit, so weit sie Privatpersonen als Grundherren zustand, auf die Landstraßen für die Zeiten des 16. Jahrhunderts nicht füglich behauptet werden. Wie bereits oben unter 5 erwähnt ist, wollten die Landesherren, namentlich die Herzoge Heinrich und Ulrich z. M., selbst der Stadt Wismar die Gerichtsbarkeit und das Geleitsrecht auf den nahen Landstraßendämmen nicht zugestehen. Entsprechend ward gegen einzelne Lehnleute damals wiederholt und entschieden verfahren. So wird ein Fall erwähnt, der zu Mödentin zu Zeiten des Hans Preen vorkam; auch setzte in einem andern Falle, der im J. 1572 als Privatbeschwerde des von der Lühe zu Panzow auf dem Landtage mit verhandelt ward, der vermeintlich verletzte Grundherr der landesherrlichen Erklärung von der Regalität der Landstraßengerichtsbarkeit nichts weiter entgegen. 1 ) Doch zeigt sich diese Regalität allerdings in anderer Beziehung, z. B. hinsichtlich des Geleitsrechts und der Verpflichtung aus Gewalttaten, die auf der Landstraße gegen Reisende verübt wurden, damals, wie früher und später, in einzelnen Fällen etwas schwankend, worauf wohl die Landestheilungen und die ständischen Privilegien eingewirkt haben.

Die Straßengerichte wurden hauptsächlich in Fällen der Tödtung feierlich gehegt. Im Laufe des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts herrschten dabei noch wesentlich die älteren, landesüblichen Formen des altdeutschen


1) Vg. Spalding, a. a. O. Bd. I, S. 81, 93, 94 und 102. Bezeichnend sind die oben unter 5 angeführten späteren ritterschaftlichen Beschwerden v. J. 1701.
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Gerichtsverfahrens vor. Die Hegung geschah da, wo die That begangen, oder wo der Körper des Entleibten gefunden war, immer aber unter freiem Himmel und "bei Sonnenschein", d. h. während hoher Tageszeit, und so, daß der "blinkende Schein", der Leib des Getödteten, gesehen ward. Wo Selbstmord, wo Tod durch Unfall oder blinde Naturgewalt vorlag, ward ein Noth= oder Fahrrecht gehalten; der todte Leib ward geprüft, der casus "kürzlich untersucht und schließlich Recht" gesprochen. In Fällen des Todtschlags fand das Blutgericht mit der Beschreiung statt. Der gewöhnlich entflohene Thäter ward friedlos gemacht, von dem Entleibten aber die Hand genommen, welches Letztere in Mecklenburg bis etwa um das Jahr 1580 noch durchweg geschah. Der Vorsitzende, Dingvogt, war seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert gewöhnlich ein Rechtsgelehrter oder doch ein öffentlicher Beamter, bisweilen noch aus dem Stande der Dorfschulzen, besonders beim Fahrrecht; die "Beisitzer im Rechte", Dingleute, so wie die "Vorsprachen und der Findes= oder Dingmann" waren häufig Colonisten. - Im einzelnen wich das Verfahren in den verschiedenen Landestheilen allerdings etwas ab 1 ), wie denn überhaupt in Deutschland selbst in den kleineren Territorien von einem durchweg und gleichmäßig geltenden Landrechte kaum die Rede sein kann, weil überall sehr viel von dem localen Herkommen und dem Einflüsse der privaten Patrimonialgewalt abhing. - Eben so sind auch die Straßengerichte in Meklenburg, so wie das ältere gerichtliche Verfahren überhaupt, nicht auf einmal und nicht gleichmäßig erloschen. Nur so viel ist gewiß, daß in der Zeit von 1650 bis 1750 2 ) auch das ältere gerichtliche Verfahren die wesentlichsten Umgestaltungen erlitten hat.


1) Doch läßt auch das Verfahren in den Seestädten fast alle sonst üblichen Grundzüge erkennen. Siehe z. B. über die Beschreiung zu Rostock im 16. Jahrh.: Neue wöchentliche Rostocker Anzeigen, 1839, Nr. 10; Formula, wie das Fahrgericht in Wismar zu halten. Das. 1686. 4. - Ziemlich übereinstimmend war auch das Verfahren in den Nachbarländern, so in den Lübeckischen Hospital=Dörfern in Holstein und Sachsen=Lauenburg; Dittmer, das Sassen= und Holsten=Recht, S. 93 flg. 105 flg. Derselbe, das heil. Geist Hospital zu Lübeck, S. 90-96; in Bremen um 1700: C. Koch, de judicio bannitorio. Bremae. 1716. 4. - Ueber die Grundzüge des altdeutschen Gerichtsverfahrens überhaupt siehe Grimms Deutsche Rechtsalterthümer, Bd. II, S. 745 flg.
2) Wie im J. 1710 die alten Formen des peinlichen Verfahrens bei den meklenb. Patrimonialgerichten schon ganz verstümmelt erscheinen, darüber ist vom Verf. ein Beispiel aus Origin.=Acten erzählt in den Jahrbüchern für meklenb. Geschichte, Jahrg. IX, S. 490 flg.