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Die Marien=Kirche zu Rostock.

In Jahrb. IV, S. 80 sind kurze Andeutungen über den baulichen und antiquarischen Werth der Kirchen zu Rostock gegeben. Es ist dort gesagt, daß die Kirchen Rostocks sich durch Größe und Kühnheit im Bau nicht auszeichnen, daß nur die Marien=Kirche hohe Beachtung verdiene, jedoch "nichts Hinreißendes, nichts Begeisterndes" habe.

Die Bewunderung der Marien=Kirche ist ziemlich allgemein; aber es fühlen sich viele Gebildete von dem Bau nicht befriedigt: es ist ein geheimer Widerspruch in den Ansichten über dieses Kunstwerk vorhanden, welcher irgendwo seinen Grund haben muß. Betrachtet man die gewaltigen Fenster, den höchst tüchtigen Bau, die große Ausdehnung des Chors und des Kreuzschiffes von außen, so hofft man im Innern eine große, imponirende Kirche zu finden, und tritt man ein, so fühlt man sich ohne Zweifel getäuscht, so sehr man auch die bedeutende Höhe und Kühnheit der Pfeiler und Gewölbe bewundern muß, wenn man diese einzeln betrachtet.

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Dieser Widerstreit beruht in einem Mißverhältnisse zwischen Höhe und Länge oder vielmehr darin, daß die Kirche nicht vollendet ist: es fehlt ihr noch der bei weitem größere Theil des Schiffes. Daher kommt es, daß man keine Ansicht über den ganzen Bau im Innern gewinnen kann. Der Chor ist allerdings großartig; aber er bildet jetzt den Haupttheil der Kirche, während er nach der ursprünglichen Absicht nur den Altarraum in sich fassen sollte. Das Wenige, was vom Schiffe vorhanden ist, wird dazu noch von einer kolossalen Orgel und von großen Kirchen=Stühlen und Chören gefüllt. - Aber so kam es in den Hansestädten öfter: es wurden etwa in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Kirchen von kolossaler Ausdehnung für den Ziegelbau angefangen, aber nicht vollendet; dasselbe finden wir an den Kirchen Wismars, welche ebenfalls in sehr großem Maaßstabe angelegt, aber nicht in allen Theilen und in demselben Geiste vollendet und ausgeführt sind; man sieht überall, wie jüngere, schlechtere Anbauten die Ausführung des Grundplanes abgeschnitten haben. Dies mag seinen Grund in dem allmähligen Verfall und den innern Unruhen und äußern Kriegen der Hansestädte im Anfange des 15. Jahrhunderts haben. - Dasselbe Gefühl, welches man beim Anblick des Innern der Marien=Kirche zu Rostock empfindet, empfindet man beim Anblick der großen Kloster=Kirche zu Dargun, von welcher ebenfalls das Schiff abgenommen ist (vgl. Jahresber. VI, S. 90). Fehlt das Schiff, so verliert man die Uebersicht über den Chor, so wie man umgekehrt durch das Fehlen des Schiffes unangenehm berührt wird.

Es ist der Zweck dieser Zeilen, der Wahrheit die Ehre zu geben, und Kunstfreunde und Kunstkenner zum genauen Studium der einzelnen Theile der Marien=Kirche aufzufordern, welche in ihrem Grundplane und in der Ausführung einzelner Theile desselben allerdings zu den bedeutendsten Bauwerken des Vaterlandes gehört.

Von Wichtigkeit dabei wäre das Studium des S. Marien=Kirchen=Archivs und des Oekonomie=Archivs überhaupt, welches noch vorhanden ist, aber in einem alten feuchten Gewölbe des ehemaligen S. Johannis=Klosters aufbewahrt wird und in einer so traurigen Verfassung ist, daß es nicht lange mehr ausdauern kann. Die Urkunden sind theils vermodert, theils mürbe geworden und hunderte von Siegeln sind abgefault und abgerissen oder fallen bei der leisesten Berührung ab; eine schleunige Hülfe ist im höchsten Grade nothwendig.

G. C. F. Lisch.