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Der Altar der Krche zu Lübbersdorf
(bei Friedland),

von

G. C. F. Lisch.

Im Spätsommer 1866 erhielt ich Nachricht von dem alten, geschnitzten Altar der Kirche zu Lübbersdorf, früher Lehn der ausgestorbenen Familie von Lübbersdorf, welcher von dem Kirchenpatron Herrn Schloßhauptmann von Oertzen auf Lübbersdorf dem Herrn Maler Greve zu Malchin zur baldigen Restaurirung übergeben war, und im Haupttheile eine merkwürdige Darstellung enthalten sollte, die wahrscheinlich auf Ereignisse aus dem Leben des Stifters Bezug haben dürfte, um so mehr, da offenbar dieser am Fuße der Darstellung knieend angebracht war; es ließ sich vor allen Dingen, wie man meinte, im Mittelpuncte die Jagd auf ein weißes Pferd erkennen. Der innere Zusammenhang war nicht schwer zu vermuthen. Als ich bald darauf selbst nach Malchin kam, erkannte ich in dem gehetzten Thier sogleich ein Einhorn, welches freilich das Horn verloren, aber in der Stirn noch das Loch hatte, worin es befestigt gewesen war, und in der ganzen Darstellung die alte Versinnbildlichung der Menschwerdung Christi.

Nicht lange darauf ward eine andere werthvolle Entdeckung gemacht. In der Allerheiligen=Bibliothek der Marienkirche zu Danzig entdeckte der Herr Prediger Bertling in einer alten handschriftlichen lateinischen Uebersetzung des Neuen Testaments aus der Zeit 1470-1480 auf der Innenseite des vordem Deckels aufgeklebt einen sehr alten, merkwürdigen "Metallschnitt in geschrotener Manier" (nicht Holzschnitt), oder "Schrotblatt", welcher fast dieselbe Darstellung enthält, die der Lübbersdorfer Altar zeigte so daß man fast glauben könnte, jenes habe diesem zum Vorbilde gedient, wenn dieser nicht in einigen Stücken abwiche. Der Fund ist bekannt gemacht in der "Altpreußischen Monatsschrift (Neue Folge der Preußischen Provinzial=Blätter), 1867, November - December, S. 723 flgd., unter dem Titel: Die Jagd des Einhorns auf einem Schrotblatte des 15. Jahrhunderts, von R. Bergau". Außerdem hat Professor Dr. Piper zu Berlin die Kunstvorstellungen dieser Sage in seinem "Evangelischen Kalender", 1859, S. 36 flgd. eingehend behandelt.

Der Lübbersdorfer Altar ist ein ganz kleiner, einfacher Flügel=Altar aus der letzten Zeit des Katholicismus

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in Norddeutschland, jedenfalls aus dem Anfange des 16. Jahrhunderte mit beginnenden Anklängen an die Renaissance, in gefälliger, wenn auch gerade nicht strenger Kunstausführung.

Die Mitteltafel enthält die oben angedeutete Darstellung in reicher Ausführung unter zwei großen Baldachinen und (noch auf der Mitteltafel) an jeder Seite zwei Heiligenfiguren über einander unter kleinen Baldachinen. Jeder Flügel enthält über einander zwei Gruppen in Bezug auf die Geburt Christi.

Der Lübbersdorfer Altar enthält folgende Darstellungen. Mitteltafel. In einer Gebirgsgegend (auf dem Danziger Schrotblatt: in einem verschlossenen Garten) sitzt links in der Ansicht in einer eigenen, offenen, gewölbten Halle, welche vorne durch Schranken oder ein Thor geschlossen ist, Maria mit großem Diadem und Heiligenschein, mit einem sehr faltenreichen Mantel bekleidet. Zu ihr hat sich das gejagte Einhorn geflüchtet, welches die Vorderbeine auf ihren Schoß legt. Rechts vor den Schranken der Halle ist der Erzengel Gabriel, mit großen Flügeln, ebenfalls im langen Mantel, welcher sich vor Maria auf ein Knie niedergelassen hat; er hält im linken Arme einen Jagdspieß und mit der linken Hand an zwei Leinen zwei laufende Jagdhunde (darstellend Tugenden als Eigenschaften Gottes, welche das Einhorn vom Himmel in den Schoß Maria gejagt haben), von denen der eine die Vorderfüße auf das Thor legt; mit der rechten Hand hält er ein Jagdhorn an den Mund. (Die Spruchbänder, welche auf dem Schrotblatte neben den Köpfen der Maria, des Engels und der Hunde angebracht sind, sind hier nicht vorhanden. Auf dem Schrotblatt hat der Engel, der keine Flügel hat, drei Hunde an der Leine. Hier steht auf dem Spruchbande des Engels an dem Jagdhorn: "Ave, gracia plena, dominus tecum.) Links neben Maria an den Schranken, zwischen ihr und dem Engel Gabriel, steht ein hoher, viereckiger Pfeiler, auf welchem eine kleine Kirche, oder vielleicht richtiger ein Reliquienschrein in Form einer Kirche steht, welche die Lade des Alten Testaments darstellt, in Beziehung auf Hebr. IX, 4. Im Hintergrunde der Nische links neben Maria, zwischen dieser und der Lade, steht ein kleiner Altar, auf welchem zwischen zwölf Lichtern die grünende Ruthe Aarons steht. Andere Beigaben, z. B. das Vließ Gideons, die segnende Hand Gottes, die Taube, fehlen jetzt, obwohl sie nach einigen Andeutungen vorhanden gewesen sein mögen.

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Durch diese Darstellung wird die Menschwerdung Christi und die unbefleckte Empfängniß der Jungfrau Maria versinnbildlicht. Bergau sagt in der Altpreuß. Monatsschrift: "In diesem Bilde der Jagd des Einhorns durch einen Jäger mit Hunden ist der Rathschluß der Menschwerdung Christi symbolisch dargestellt. Gott selber wurde als der Himmelsjäger betrachtet, welcher sein Kind auf die Erde trieb. Nach einer alten Sage sollte das fabelhafte Einhorn von solcher Stärke sein, daß es durch keine Tapferkeit der Jäger gefangen werden könne. sobald es sich aber einer Jungfrau nähere, lasse es von aller Wildheit ab und lege den Kopf in ihren Schoß, worauf es wie wehrlos gefangen werde. Diese Sage mit Anwendung auf die Menschwerdung Christi und seine Geburt von der Jungfrau findet sich seit dem 11. Jahrhundert. seit dem 14. bis 16. Jahrhundert ist das Einhorn das geläufige Bild für Christus".

Dies erklärt auch die Unterschrift des Danziger Blattes:

Otus conclusus soror mea sponsa,
Ortus conclusus fons signatus.

(Hohelied IV, 12. "Meine Schwester, liebe Braut, Du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born".)

Im Hintergrunde der Tafel sind oben in gebirgiger Landschaft in perspectivischer Haltung zwei alttestamentliche Typen dargestellt, welche Bezug auf das Hauptbild haben: links in der Ansicht hinter und über Maria: Moses, die Schuhe ausziehend (2. Mos. III, 5), und rechts, über Gabriel: Ezechiel vor dem verschlossenen Thor knieend (Ezech. XLIV, 2), Typen zu der Verkündigung Mariä und der Geburt Christi; vgl. den Doberaner Altar Jahrb. XIV, s. 363 flgd.

Unten links zu den Füßen der Maria knieet eine betende Rittergestalt im Harnisch, den abgelegten Helm neben sich, welche ohne Zweifel den Schenker, einen Herrn von Lübbersdorf, vorstellen soll, da das Gut Lübbersdorf zur Zeit der Verfertigung des Altars noch im Besitze dieser jetzt ausgestorbenen Familie war.

Zu den Seiten der Hauptdarstellung, noch auf der Mitteltafel, stehen an jeder Seite zwei Heiligenfiguren unter Baldachinen über einander: oben: zur Rechten: (links in der Ansicht) die H. Katharina (die "Braut" Christi) mit Rad und Schwert; zur Linken: die H. Anna "selbdritte" (die

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Mutter Mariä) mit dem Christkinde auf dem rechten Arme und einer kleinen Maria links neben sich; unten: zur Rechten: der H. Georg, den Drachen überwindend; zur Linken: der H. Christoph, das Christkind durch das Wasser tragend.

Die Flügel enthalten jeder zwei gruppirte Darstellungen über einander, jede mit mehreren Figuren: in der Ansicht:

oben:
     rechts: die Verlobung Mariä,
     links: die Geburt Christi,

unten:
     rechts: die Anbetung der H. Drei Könige,
     links: die Beschneidung Christi.