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Ueber

die erste postdiluviale Periode

und

das Rennthier in Meklenburg,

von

Dr. Lisch,
Archivar in Schwerin.


Bei den immer klarer sich entwickelnden Anschauungen der großen Umwälzungen durch das Diluvium auf der Erdoberfläche ist es seit langer Zeit mein Streben gewesen, die ältesten Ueberreste lebender Wesen in dem Boden Meklenburgs zu sammeln und zu beobachten, und ich bin deshalb in einen ausgedehnten Verkehr getreten. Ich trat daher auch mit dem Herrn Professor Spring zu Lüttich in Verbindung und theilte ihm einige meiner Beobachtungen mit. Derselbe hat nun einen Brief von mir im Auszuge ins Französische übersetzt und der königlich=belgischen Akademie vorgelegt, welche ihn für werth gehalten hat, in ihre Verhandlungen aufzunehmen: Académie Royale de Belgique, Bulletins, 2 série, T. XXI., No. 2: Sur la période postdiluviale et sur le renne dans le Mecklembourg, par M. le docteur Lisch, archiviste à Schwerin. Extrait d'une lettre adressée à M. Spring. Da nun meine Beobachtungen ohne mein Wissen in die Wissenschaft übergegangen sind, so halte ich es für meine Pflicht, meinen eben erwähnten Brief in einer Rückübersetzung ins Deutsche auch in den Jahrbüchern im Folgenden mitzutheilen, ohne für die

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Uebereinstimmung dieser Uebersetzung mit meinem Originalbriefe bürgen zu können, da mir der rasch geschriebene Brief leicht aus der Feder geflossen ist.


"Die Knochen, welche im Diluvium liegen, haben ein eigenthümliches Ansehen, einen sichtlichen Charakter der Auflösung. (Sie zeigen nur noch das poröse Kalkgerüst, ohne jegliche Spur einer organischen Substanz, und haben eine weiße oder gelblich=weiße Farbe.) Wir haben in Meklenburg keine Höhlen, aber Hügel, gebildet aus Lehm und Mergel, und außer diesen nur sandige Ebenen und Wiesen". Man findet zuweilen in den Mergellagern Ueberreste von antediluvianischen Thieren; so z. B. besitzen wir einen Elephantenzahn und mehrere andere Fossile dieser Art. Vor Kurzem haben wir aus einer Mergelgrube einen menschlichen Lendenwirbel ausgegraben, welcher ganz und fest mit Kalk (Tropfstein oder Kalksinter) überzogen ist. Als man vor ungefähr 50 Jahren alle Ländereien Meklenburgs mit Mergel bestreute, hat man in den Mergelgruben zahlreiche fossile Knochen und Muscheln gefunden, wovon jedoch unglücklicher Weise nichts gerettet ist". Die Knochen aus den Pfahlbauten des Steinalters, welche ohne Zweifel aus den ersten menschlichen Ansiedelungen stammen, sowohl in Meklenburg, als in der Schweiz und Itatien, haben ganz andere Kennzeichen. Sie sind braun und enthalten noch Fettigkeit und organische Bestandtheile; sie sind so gut erhalten, daß man sie glänzend machen kann, wenn man sie mit Wolle oder ähnlichen Stoffen reibt". Man muß also zwei Perioden unterscheiden, zwischen denen eine dritte liegt, welche sehr lange dauerte, während welcher Europa, oder doch ein Theil dieses Continents, wahrscheinlich nicht von Menschen, aber doch von Thieren bewohnt war, welche das Diluvium überlebten. Ich möchte diese Periode die erste postdiluviale Periode nennen".

"Denn man findet bei uns in den Torfmooren und fest gewordenen Sümpfen mehrere Arten sehr alter Knochen, welche weder braun sind, wie die Knochen der Pfahlbauten, noch so sehr poröse, wie die antediluvianischen Knochen, sondern weißlich oder grauweiß, jedoch ohne Fettigkeit und organische Bestandtheile, oft von den Substanzen ihres Lagers durchdrungen oder versteinert, wie man zu sagen pflegt, und

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klingend. Der Charakter dieser Knochen ist stets derselbe, selbst dann, wenn sie in alten Torfmooren liegen, in denen sich die Knochen der Pfahlbau=Periode sicher braun gefärbt haben würden. Sie gehören ohne Zweifel Thieren an, welche ertrunken oder versunken sind, denn es finden sich oft ganze Skelette, was den Gedanken an Küchenabfall ausschließt". Es ist merkwürdig, daß die Anzahl der Arten, welche man beobachtet hat, sehr beschränkt ist, und daß diese immer dieselben in denselben Verhältnissen sind: Der Urstier (bos primigenius) von einer außerordentlichen Größe, das Elen, oft auch sehr groß, und das Rennthier. Wir haben außerdem allerdings auch einige Ueberreste vom Pferde; aber es läßt sich wohl schwer entscheiden, ob sie der antediluvialen oder postdiluvialen Periode angehören". Man hat oft daran gezweifelt, daß es dem Rennthier möglich gewesen sei, auf dem Continent zu leben, wo ihm, wie man glaubte, die äußern Bedingungen dazu fehlten. Ich für meinen Theil hatte lange diese Ansicht bestritten, bis ich endlich so glücklich war, ein Rennthiergeweih zu erhalten, welches von Kalk durchdrungen und aus einem Lager von Wiesenkalk und von Torf, d. h. aus einem frühern See, ausgegraben war. In Folge einer öffentlichen Bekanntmachung, welche ich über diesen Gegenstand erließ, wurden mir in kurzer Zeit über ein Dutzend Rennthiergeweihe zugesandt, welche theils unter gleichen Verhältnissen auf dem Grunde von Torfmooren gefunden waren, theils, bis dahin unrichtig bestimmt, als solche in Privatsammlungen nicht erkannt wurden". Diese Thiere und Geweihe stammen ohne Zweifel aus einer Zeit, welche älter ist, als die Pfahlbauten, und jünger, als die Zeit des Diluviums. Die Arten dieser Zeit sind in Deutschland seit langer Zeit untergegangen. Der riesenmäßige Stier (bos primigenius) ist gezähmt und Hausthier geworden, schon zur Zeit der Pfahlbauten. Das Elen ist seit langer Zeit auf einen kleinen Raum beschränkt, man findet es jedoch noch in den Pfahlbauten, während vom Rennthier in jüngerer Zeit durchaus keine Spur vorkommt, weder in den Pfahlbauten, noch in den Gräbern". Es scheint mir wichtig, die Aufmerksamkeit schärfer, als es bisher geschehen ist, auf diese Zwischenperiode zu lenken, welche sicher einen außerordentlich langen Zeitraum umfaßt".