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Kirche zu Retschow.

Die Kirche in dem bei Doberan gelegenen Dorfe Retschow, welches im J. 1358 in den Besitz der Cistercienser=Abtei Doberan kam, ist, wie wohl alle Landkirchen der ehemaligen Abtei, ein geräumiges, festes, gewölbtes Gebäude im ausgebildeten Spitzbogenstyle, welcher freilich in den Fenstern in neuern Zeiten sehr verunstaltet ist; die reiche Abtei hatte Mittel genug, im 14. und 15. Jahrh. alle alten Kirchen ihrer Landpfarren dauerhaft neu zu bauen oder umzubauen. Dadurch hat aber auch die Kirche zu Retschow ihre Bedeutsamkeit für die Kunstgeschichte verloren.

Die Kirche enthält aber einen andern, seltenen und großen Schatz in einem vortrefflichen Altar, welcher dieselbe Idee darstellt, wie der eine bekannte Altar in der Kirche zu Doberan (vgl. Jahrb. IX, S. 422 flgd.), nämlich den biblischen Spruch: "Und das Wort ward Fleisch," durch die Symboli=

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sirung, wie das Wort Gottes auf einer Mühle gemahlen wird. Der doberaner Altar ist älter, als der retschower; der doberaner Altar fällt in das erste Viertheil des 15. Jahrh. Der retschower Altar stammt aber gewiß frühestens aus der Mitte des 15. Jahrh. Es läßt sich daher die Verbreitung der Idee von dem Mutterkloster Doberan auf die demselben gehörende Landpfarre bestimmt verfolgen.

Der doberaner Altar, ein Nebenaltar des Klosters, ist noch viel einfacher, als der retschower. Der doberaner Altar hat die Darstellung der Mühle als Gemälde in der Mitteltafel und an jeder Seite einen Flügel mit Gemälden, welche jedoch schon längst so verwittert und abgefallen sind, daß sich der Gegenstand der Darstellung auf denselben nicht mehr erkennen läßt.

Der retschower Altar, der Hauptaltar der Kirche, ist dagegen ganz wie ein großer Hauptaltar eingerichtet. Der Altar hat ein Mittelstück und zwei Flügel an jeder Seite. Die Hauptansicht ist mit vergoldetem und bemaltem Schnitzwerk bekleidet: die Flügel sind mit Gemälden verziert.

In der Hauptansicht enthält die Mitteltafel die Krönung der Jungfrau Maria durch Christus. Die Flügel sind quer getheilt und enthalten jeder zwei Mal sechs Figuren über einander: zunächst an der Mitteltafel zwölf Heilige, und zwar in der Ansicht links:

1. S. Anna. 2. (Christus.)       3. S. Christoph.
4. S. Elisabeth.      5. S. Georg. 6. S. Gertrud.

rechts:

7. S. Margaretha.  8. S. Laurentius.  9. S. Antonius.
10. S. Barbara. 11. S. Nicolaus. 12. Ein H. Bischof.

1) S. Anna, mit der Jungfrau Maria neben sich und dem Christkinde auf dem Arme.

2) (Christus ?). Mit vollem, langem Gewande, Schuhen an den Füßen und einer Krone auf dem Haupte, ans Kreuz genagelt. Die Figur ist größer und anders modellirt, als die übrigen, ist also wahrscheinlich von einer andern Stelle hierher versetzt, um eine entstandene Lücke auszufüllen.

3) S. Christoph mit dem Christkinde auf der Schulter.

4) S. Elisabeth mit einem Korbe in der Hand und einem Kinde neben sich.

5) S. Georg, den Drachen tödtend.

6) S. Gertrud, als Nonne, ein Hospital=Modell im Arme tragend.

7) S. Margaretha.

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8) S. Laurentius, als Diacon; der Rost in der Hand ist abgebrochen.

9) S. Antonius, mit einem Schweine neben sich.

10) S. Barbara, mit einem Thurme neben sich.

11) S. Nicolaus, mit drei Broten im Arme.

12) Ein heiliger Bischof, nicht zu bestimmen.

Von diesen Heiligen stehen 4 weibliche Heilige der Krönung Mariä zunächst. Vier Heilige gehören zu den Nothhelfern: S. Margaretha, S. Barbara, S. Christoph und S. Georg.

Die ersten Flügel, welche mit Malerei bekleidet sind, sind auch quer getheilt und enthalten in 8 Darstellungen die Leidensgeschichte Christi.

Die letzten Flügel sind nicht quer getheilt, sondern enthalten in großen, durch die ganzen Tafeln gehenden Gemälden eine Darstellung der Offenbarung des Wortes bis zur Messe, und zwar

a. links nach innen:

die H. Anna (?)

mit Kindern neben sich und andern Frauen, welche Kinder herbeiführen.

b. rechts nach innen:

die Verkündigung Mariä,

wie ein Engel, mit einem Spruchbande

Inschrift

auf einem Lichtstrahl zur Jungfrau Maria hereinschwebt.

c. rechts nach außen:

die Menschwerdung des Wortes durch die Mühle.

d. links nach außen:

die Messe,

von einem Priester gefeiert.

Der innere Zusammenhang liegt hier klar vor.

Besonders interessant ist hier das Mühlenbild. Oben schütten die 4 Genien oder Symbole der Evangelisten aus langen Säcken das Wort oder das Evangelium in einen Mühlentrichter, welcher über den Mühlsteinen steht. An jeder Seite der Mühlsteine stehen 6 Apostel, welche an einer langen Stange oder Welle die Mühlsteine drehen. Aus der Mühle unter den Mühlsteinen kommt ein Spruchband heraus mit der Inschrift:

Inschrift
(= und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.)
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An dem Spruchbande hängt das Christkind in einem Kelche, welchen die 4 Kirchenväter: S. Gregorius (Papst), S. Hieronymus (Cardinal), S. Augustinus und S. Ambrosius (Bischöfe), zugleich Repräsentanten der höchsten Kirchenwürden, halten.

Der doberaner Altar unterscheidet sich von dem retschower nur dadurch: daß auf dem doberaner die Evangelisten die Evangelien aus Flaschen mit langen Hälsen in den Mühlentrichter schütten, daß das Spruchband ohne Christkind in den Kelch geht (das Christkind ganz fehlt) und daß hinter den Kirchenvätern zu beiden Seiten niedere Geistlichkeit und Volk anbetend knieet, während auf dem retschower Altare der Raum zu beiden Seiten der Kirchenväter frei ist.

Die letzten Flügel des retschower Altars mit den 4 großen Gemälden sind sehr prachtvoll und gut gemalt und gut erhalten, und zeichnen sich namentlich vor den meisten Altären Norddeutschlands durch eine große Pracht und Gluth der Farben aus, so daß dieser Altar auch in Hinsicht der Kunsttechnik zu den seltenern Erscheinungen in Norddeutschland gehört.

Ein Altar in Tribsees mit einer gleichen Darstellung, jedoch in Schnitzwerk, ist von Kugler in Pommer. Kunstgesch., Baltischen Studien, VIII, 1, S. 194 flgd. beschrieben.

Sonst hat die retschower Kirche keine andern Merkwürdigkeiten, als etwa die kleine Glocke mit der Inschrift:

Inschrift

G. C. F. Lisch.