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VIII.

Ueber Meklenburgs Chroniken und
Genealogien,

von

F. Boll.


E in sehr wesentliches Verdienst um die Geschichte unsers Landes hat sich Herr Archivar Lisch durch die Mittheilung der doberaner und parchimer Genealogie im vorigen Bande unserer Jahrbücher erworben, deren erstere, es ist schwer zu sagen, weshalb eigentlich, so lange der Oeffentlichkeit war vorenthalten worden. Beide Genealogien bieten zwar nicht viele neue, bisher unbekannte Angaben dar, aber sie führen uns auf die erste authentische Quelle derselben zurück, und geben dadurch der Forschung einen festen, sichern Halt. Der erste Theil der doberaner Genealogie ist, wie Herr Archivar Lisch mit durchaus einleuchtenden Gründen dargethan hat, schon um das Jahr 1370 niedergeschrieben, und um dieselbe Zeit etwa die parchimer Genealogie aus jener entlehnt; eine andere Hand hat später, wahrscheinlich im ersten Jahrzehent des funfzehnten Jahrhunderts 1 ), die doberaner Genealogie bis dahin fortgeführt, die parchimer aber noch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts einen Zusatz erhalten.

Die erste Aufzeichnung der doberaner Genealogie ist also ungefähr mit Ernst von Kirchbergs 2 ) Chronik gleichzeitig: Herr Archivar Lisch macht darauf aufmerksam, daß Kirchberg diese Genealogie wahrscheinlich zu seiner Reimchronik benutzt habe, wenn sie nicht gar während und in Veranlassung seiner Arbeit abgefaßt sei. Kirchberg giebt in der Einleitung an, daß er im


1) S. 22 werden schon Herzogs Ulrich Söhne aufgeführt: diese waren, als der Vater im J. 1417 starb, noch unmündig, und erscheinen noch im J. 1422 in Urkunden nur als "Herzog Ulrichs Kinder", waren also wohl frühestens im ersten Jahrzehent des Jahrhunderts geboren.
2) Nach den Meklenb. Jahrb. II, S. 75, hatten um 1370 die Kirchberge Besitzungen in Loissow, zwischen Mirow und Wesenberg. Auffallend ist, daß Ernst von Kirchberg mit den diese Gegend betreffenden Ereignissen besonders genau bekannt ist: siehe Cap. 173, 175 und 166 pag. 820.
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Jahre 1378 Freitags nach Epiphanien auf Bitten des Herzogs Albrecht sein Werk begonnen habe: er habe nach den lateinischen Chroniken der Römer, Sachsen und Dänen gearbeitet; was er aber hier nicht habe finden können, das habe er aus "manigem munde" erfahren, "so er allir beste mochte." Auf solche mündliche, und zwar sehr umständliche und genaue Ueberlieferung scheint denn auch in der That der wichtigste Theil seiner noch vorhandenen Chronik, welcher die Zeiten Heinrichs des Löwen von Meklenburg begreift, zurückzuführen zu sein: das geben vornehmlich die in diesem Abschnitte häufig vorkommenden sehr genauen Bestimmungen der Localität an die Hand. Leider aber ist sein Werk, wie es bei von Westphalen im 4ten Bande der monumenta inedita nach der einzigen bekannten Handschrift (im großherzogl. Archive zu Schwerin) gedruckt vorliegt, nur verstümmelt auf uns gekommen. Von dem "Herzog Albrechts Buch," auf welches er Cap. 179. verweiset, ist keine Spur mehr vorhanden, und grade bei diesem Zeitabschnitte, welcher für die meklenburgische Geschichte so wichtige Ereignisse begreift, wäre eine ausführliche, gleichzeitige Chronik von unendlichem Werthe. Besonders in der ersten Hälfte enthält die Reimchronik viele Lücken, die nach von Westphalens Meinung durch die in dem von ihm benutzten Manuscripte absichtlich ausgerissenen Blätter entstanden sind; doch trifft dies glücklicher Weise nur Abschnitte, die fast gänzlich nach Helmolds Slavenchronik gearbeitet sind. Der wichtigste Theil des Werkes ist noch erhalten und nur am Schlusse fehlen anderthalb Capitel. Nikolaus Marschalk hat allem Anscheine nach noch den vollständigen Kirchberg zur Benutzung vor sich gehabt 1 ).

Auf Kirchberg als ursprüngliche Quelle geht denn auch meiner Meinung nach die plattdeutsche rostocker Chronik zurück, welche Schröter in den rostocker Anzeigen vom J. 1825 mitgetheilt hat. Nicht allein der ganze Verlauf der zum Theil sehr umständlichen Erzählung stimmt dem Inhalte nach bis in die Einzelnheiten mit


1) Besonders augenfällig ist die Benutzung der Kirchbergschen in der Marschalkschen Reimchronik, in welcher oft die Reime aus Kirchberg entlehnt zu sein scheinen. Statt vieler Beispiele wähle ich nur eins aus dem letzten, nicht mehr vollständig vorhandenen Capitel Kirchbergs:

Der hatte sy virtrieben vür
Mit der Snakenborgir für,
Mit helfe und ouch mit nydes drowe
Herrn Conradis von Rensowe etc. .,

wofür Marschalk Lib. III, Cap. IV reimt:

Schnakenberg und er Conrad Rensau
Die hatten mit Macht und auch mit Drau etc. .

Uebrigens bricht Marschalk hier nicht mitten in der Erzälhung ab, wie jetzt die Kirchbergsche Chronik, sondern führt sie völlig zum Schluß, ein Beweis, daß er noch den vollständigen Kirchberg vor sich hatte.
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Kirchberg überein, sondern auch der Wortausdruck der plattdeutschen Chronik erinnert überall an ihn; nur an ein paar Stellen fügt die plattdeutsche Chronik Angaben hinzu, wofür sie sich ausdrücklich auf die Lübecker (Detmarsche) Chronik beruft. Wenn übrigens Schröter aus den Worten (S. 47): "wor ith ümme den borch hernamals geschenn sy, secht de Cronica nicht, dar ik dit ander uth schreff", folgert, daß die plattdeutsche Chronik von Kirchberg unabhängig sei, weil dieser wirklich weiterhin noch Nachrichten über die Burg mittheile: so scheint mir dies bei der durchgängigen, augenfälligen Uebereinstimmung mit Kirchberg von keinem Gewicht. Der plattdeutsche Bearbeiter, welcher, seiner Mundart und Orthographie nach zu urtheilen, dem Ende des funfzehnten oder Anfang des sechszehnten Jahrhunderts anzugehören scheint, könnte die späteren Angaben Kirchbergs über die Burg bei Warnemünde übersehen haben, oder er hat auch Kirchberg nicht unmittelbar benutzt, sondern eine aus Kirchberg entlehnte Relation vor sich gehabt: für die ursprüngliche Quelle seines Berichtes aber halte ich aus den angeführten Gründen jedenfalls Kirchberg.

Wenn man nun zu den genannten noch die ums J. 1533 verfaßte ribnitzer Chronik des Franziskaner Lesemeisters Lambrecht Slagghert (dessen vollständige plattdeutsche Urschrift unsere Jahrbücher uns recht bald mittheilen mögen!) hinzunimmt: so hat man Alles beisammen, was Meklenburg gegenwärtig an alten einheimischen Chroniken und Genealogien aufzuweisen hat. Freilich wäre dies sehr wenig, wenn es Alles wäre, was man in früheren Zeiten in Meklenburg für die Erhaltung der Geschichte des eigenen Landes gethan hätte. Allein völlig so dürftig war es in dieser Hinsicht doch nicht bei uns bestellt. Herr Archivar Lisch hat im vorigen Jahrgange unserer Jahrbücher eine Urkunde mitgetheilt, welche der havelberger Bischof am 4. Mai 1418 zu Wilsnack an Kaiser Siegmund ausstellte, worin er auf Grund zweier ihm vorgelegten alten Bücher, deren eines dem Kloster Dobbertin, das andere aber nach Neukloster gehörte, den Herren von Werle bezeugt, daß sie aus dem Stamme der alten Könige der Slaven entsprossen wären. Also besaß wenigstens auch das Kloster Dobbertin eine Chronik oder Genealogie, welche die Abstammung der werleschen Herren nachwies.

Meklenburg aber hatte früher deren noch mehrere aufzuweisen, die zum Theil noch vor hundert Jahren vorhanden waren: auf diese hier aufmerksam zu machen, ist der eigentliche Zweck dieser Zeilen. Möglich wäre es doch, daß sie noch irgendwo in Verborgenheit sich erhalten hätten, und daß Vorsteher auswärtiger Archive oder Bibliotheken uns das nachweisen könnten, was wir bei uns selbst freilich wohl vergebens suchen würden.

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Der Canzler von Westphalen kannte mehrere alte meklenburgische Klosterchroniken, von denen ich sonst nirgends eine Nachricht finde. In der Vorrede zum dritten Bande seiner monumenta inedita S. 2 erwähnt er eine zu dem Ende des 15. Jahrhunderts geschriebene doberaner Chronik: auctor Chronici Dobberanensis vetusti exeunte sec. XV conscripti laudat Chronicon quoddam Buschkanuni scriptum a priore quodam in loco vicino, qui dicitur ab aquis salsis, per quem oppidum Sultam Magnopolensem indicat etc. Leider fügt er aber nichts weiter hinzu, als die Berichtigung, daß unter dem Chronicon Buschkanuni wohl das Werk des Joannes Buschkius zu verstehen sei, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts Prior des Augustiner=Klosters zu Sült bei Hildesheim war. In der Vorrede zu demselben Bande, S. 1, führt Westphalen auch Annalen des Klosters Sonnenkamp an: monachi Soliscampi in annalibus coenobii Msc. aliique illum (Helmoldum Bosoviensem) vocare satagunt Episcopum Buzoviensem etc., um diesen in Bezug auf die Person des Verfassers der Slavenchronik begangenen Irrthum zu rügen. In der Vorrede zum ersten Bande, S. 89, theilt er ein plattdeutsches Fragment aus der Chronik eines Ungenannten de originibus Ducum Mecklenburgensium mit, die zu Doberan am Sonntage Esto mihi 1541 sei vollendet worden; der Verlust dieser Chronik möchte weniger zu bedauern sein, denn das mitgetheilte Fragment enthält schon Marschalksche Fabeln. Sollten aber jene ältere doberaner Chronik und die sonnenkamper Annalen wirklich noch im Laufe des letzten Jahrhunderts spurlos untergegangen sein?

Das wichtigste unter den alten einheimischen Geschichtsbüchern war vielleicht dasjenige, wovon uns der bekannte lübecksche Chronikenschreiber Reimar Kock (um 1550) Nachricht giebt. Er zählt (bei Grautoff I, S. 458) die gedruckten und ungedruckten Bücher auf, welche er bei Ausarbeitung seiner Chronik benutzt habe. Unter den ungedruckten lateinischen Quellen führt er an erster Stelle auf: "Eine herlicke geschrevene Chronicke in twe Parten, welche Bischop Böddecker van Schwerin hefft laten schrivenn, düsse Bischop licht tho Lübeck in dem Dome begraven. Düsse Chronike hefft my ein Erb. Rath van der Wismar behändiget." Nikolaus Böddecker oder Böttcher, aus einem angesehenen wismarschen Geschlechte entsprossen, ward im J. 1444 Bischof von Schwerin, resignirte im J. 1457 auf das Bisthum und starb zwei Jahre später in der Zurückgezogenheit zu Lübeck. Die auf sein Geheiß verfaßte ausführliche Chronik (denn sie bestand aus "twe parten") würde

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also eine authentische Quelle aus der Mitte des 15. Jahrhunderts sein. Reimar Kock nennt sie eine "herrliche" Chronik, das einzige Mal, daß er eine solche Bemerkung bei den von ihm aufgezählten Büchern hinzufügt: möglich, daß sie sich nur auf die kalligraphische Schönheit der Handschrift bezog. Weiter weiß ich freilich von dieser Chronik, deren Verlust gewiß höchlich zu bedauern ist, nichts zu sagen. Sollte sie vielleicht ihren Weg von Wismar hinüber nach Schweden gefunden haben und dort noch vorhanden sein? Oder war diese, auf Befehl des schweriner Bischofs verfaßte Chronik identisch mit den annalibus ecclesiae Suerinensis 1 ), welche Nettelbladts succincta notitia etc. S. 21 unter den Schriften aufführt, welche die kirchlichen Verhältnisse Meklenburgs in katholischer Zeit behandeln, und bemerkt, daß Wallenstein das authentische Exemplar dieser Annalen aus dem schweriner Archive sich zugeeignet habe? Schmidt in den Zusätzen zu Nettelbladt (Rostocker Anzeigen von 1823, S. 196) giebt dagegen an, daß diese schweriner Annalen mit den übrigen Stiftssachen nach Dänemark gekommen seien.

Die zur Zeit der Wallensteinschen Invasion stattgehabte Entführung des schweriner Stiftsarchives nach Dänemark ist freilich wohl die bedeutendste Einbuße, welche die Geschichte Meklenburgs erlitten hat. Die fleißige Sammlung bischöflich schwerinscher Urkunden und Regesten, welche Herr Archivar Lisch im 3. Bande der Meklenburgischen Urkunden geliefert hat, zeigt deutlich, wie viel wir durch die Entfremdung jenes Archives verloren haben. Neuerdings durch Lisch deshalb in Kopenhagen angestellte Nachforschungen haben nur ergeben, daß das Meiste wahrscheinlich völlig verloren ist. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts besaß der Landrath von Negendank mehrere Folianten mit Abschriften aus dem ehmaligen schwerinschen Stiftsarchive, welche er sich mit großen Kosten aus Kopenhagen verschafft hatte: so berichtet wenigstens der Vorredner zum meklenburgischen Urkunden=Iventar. Sind auch diese als gänzlich verloren zu betrachten?

 

Vignette

1) Unter Annales ecclesiae Suerinensis wird im schweriner Archive, nach den darüber erhaltenen Nachrichten und Verzeichnissen, das große Diplomatarium verstanden, welches der Bischof Friederich II. in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts anfertigen ließ und welches nicht allein das Memorienbuch und die Heberegister, sondern auch Abschrift sämmtlicher Urkunden des Stifts enthielt. In Kopenhagen habe ich in allen Archiven und Bibliotheken, so bereitwillig sie mir auch geöffnet wurden, keine Spur von diesem Buche entdecken können.           G. C. F. Lisch.