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Anhang.

Ueber die Heimath der Colonisten Meklenburgs,

von

G. C. F. Lisch.


E s ist schon häufig die Frage aufgeworfen, aus welchen Gegenden vorzüglich bei der Germanisirung Meklenburgs am Ende des 12. Jahrh. die Colonisten nach Meklenburg gerufen seien. Für manche Gegenden und Gewerbszweige läßt sich dies mit ziemlicher Bestimmtheit beantworten. Nach dem Dialekt werden z. B. die Warnemünder dänische Colonisten sein (vgl. Meklenburg in Bildern, II, S. 61); nach den Urkunden des Klosters Dargun mochte man ebenfalls Dänen in das Gebiet des Klosters gerufen haben, da es diesem freigestellt ward, auch dänische Colonisten einzuführen (vgl. Meklenb. Urk. I, S. 10, 11 und 24), das Kloster zuerst von dem seeländischen Kloster Esrom gegründet ward (vgl. das. S. 115, S. XIV und die dänischen Chroniken des 12. Jahrh.) und in dem Klostergebiet die jütische Geldbuße von 8 Schillingen für Diebstahl galt (vgl. das. S. 52 und 54 und Lappenberg in Götting. Gel. Anz. 1838, St. 124, S. 1235 flgd.). Die Grafen von Schwerin mögen aus ihren Erbgütern (vgl. Mekl. Urk. III, S. 63), manche geistliche Stiftungen mögen aus den Gütern ihrer Mutterklöster Bauern ins Land gerufen haben. Die Meier oder Kuhwirthschafter werden aus Holland gekommen sein, da sie noch heute "Holländer" genannt werden.

Dies gilt aber nur für einzelne Gegenden des Landes. Es ist noch immer die Frage, woher die Hauptmasse der Colonisten kam. Wenn man Deutschland in Beziehung auf diese Frage aufmerksam durchforscht, so möchte sich diese dahin beantworten lassen, daß die Hauptmasse der Colonisten aus Westphalen, namentlich aus den Grafschaften Mark und Ra=

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vensberg einwanderte. Es giebt in ganz Deutschland wohl keine Gegend, in welcher alle Gebräuche und Sitten so sehr mit denen des meklenburgischen Landvolkes übereinstimmten, als es im Innern Westphalens der Fall ist, namentlich wenn man aus dem Süden und Westen Deutschlands kommt; man betritt dann plötzlich ein ganz anderes Land. Hier finden wir ganz die meklenburgischen Bauerhäuser mit dem Giebel und der Scheurendiele wieder; hier werden selbst in neuen Häusern auch noch keine Schornsteine gebauet, um die viel besprochenen Schinken bequemer räuchern zu können, zu denen plötzlich auch das schwarze Brot erscheint. Hier treibt der Bauer den Haken mit Ochsen im viereckigen Doppeljoche und arbeitet die langen Ackerstriche in Stücken von dreieckigem Queerdurchschnitte auf, wie es noch heute der Bauer in der Prignitz an der meklenburgischen Grenze thut, während in Süddeutschland der Ochse mit der Stirne schiebt oder, wie das Pferd, im Kummt geht. Die kurze, breite, dicke Sense und die Sichel des Südens verschwinden plötzlich und statt dieser Geräthe tritt die lange, schmale, dünne Sense (Hakensense) mit den beiden Haken zum Niederlegen des Korns ein. Das Sielengeschirr der Pferde ist in beiden Ländern ganz gleich. Hier geht der Bauer in dem weißen linnenen Kittel. Was aber vorzüglich entscheidend ist, die Sprache ist in beiden Ländern gleich; es soll im Kleveschen eine Gegend geben, in welcher genau die meklenburgische Aussprache des platten Dialekts herrscht, welcher sich z. B. bedeutend von dem nahen köllnischen Dialekt unterscheidet, den man in unserer Zeit schon mitunter auf dem obern Mittelrhein hört. Dazu kommt, daß unter den meklenburgischen Bauern, namentlich in den Colonistendörfern mit der Zusammensetzung - hagen, der Familienname Westphal sehr verbreitet ist. Beachtenswerth ist noch, daß der klevesche und märkische Bauer in Meklenburg sein Heimathland wieder fand: es giebt in Deutschland wohl kaum zwei Länder, welche in der Bodengestaltung so viel Aehnlichkeit mit einander haben, als das innere, ebenere Westphalen und Meklenburg, wenn man die eigenthümlichen Seen in Meklenburg übersieht. Kurz, der Meklenburger wird sich im innern Westphalen, und nur hier, fast ganz in seiner Heimath fühlen.

Erklären läßt sich diese Einwanderung aus Nordwestphalen vielleicht auch dadurch, daß nicht fern von dieser Gegend das Kloster Alten=Camp lag, das Mutterkloster der deutschen Cistercienserklöster, also auch in gerader Filiation der Klöster Amelungsborn und Doberan.

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Es würde daher von großer Wichtigkeit sein, wenn Jemand, der Meklenburg kennt, zur Vergleichung das innere Westphalen nach Wohnung, Acker= und Hausgeräth, Nahrung, Kleidung, Sitte, Sprache in Untersuchung zöge. Ich glaube nicht, daß man in Westphalen nach dem Heimathlande des meklenburgischen Bauern lange zu suchen brauchte; es würde nur einer scharfsichtigen Beobachtung und Vergleichung bedürfen. Ich war wenigstens im höchsten Grade überrascht, als ich, im Herbste des J. 1846, von dem Cölnischen her in diese Gegend kam und hier plötzlich meklenburgische Gegenden sah und meklenburgische Sitten in den oben angeführten Grundzügen wahrnahm.

Besonderes Augenmerk würde auf die weibliche Volkstracht zu richten sein. Die eigenthümliche Tracht der sogenannten Bistower Bäuerinnen in der Gegend von Rostock und Doberan habe ich nur im Klettgau am südlichen Schwarzwalde, im sogenannten Vorderwalde bis nach Schaffhausen hinab, wieder gefunden, wo die Bäuerinnen die schwarze Farbe, den faltigen Rock, die hochrothen Strümpfe u. s. w. tragen; der Kopfputz allein weicht etwas ab.

Vorzüglich aber verdienen die bäuerlichen Verhältnisse ein tieferes Studium. Bekanntlich besitzen die westphälischen Bauern Grundeigenthum. Die meklenburgischen Bauern sind aber erst in den letzten drei Jahrhunderten zu ihrem jetzigen Zustande herabgekommen; im Mittelalter hatten unsere Bauern eine ganz andere Stellung. Man müßte daher die Verhältnisse unserer Bauern im Mittelalter aus den Urkunden erforschen und dieselben mit der historischen Entwickelung der westphälischen Verhältnisse vergleichen. Es läßt sich kaum annehmen, daß die aus Westphalen gekommenen Colonisten aus dem Stande eines Eigenthümers in die Leibeigenschaft sollten getreten sein. Ohne Zweifel blieben sie in ihrer neuen Heimath in ihren gewohnten Rechtsverhältnissen.

 

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