zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 17 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

II.

Alt-Rostocker Professoren

von

Wilhelm Stieda †

 

Vignette
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 18 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 19 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Bei Gelegenheit des Universitätsjubiläums von 1919 hat uns Professor Kohfeldt in anziehender Weise von den ehrwürdigen Professoren berichtet, die im 18. Jahrhundert eine Zierde der berühmten und einst viel besuchten Hochschule waren. Doch auch die Professoren, die vor mehr als hundert Jahren in Rostock wirkten, verdienen aus ihrem Schlummer wieder ins Gedächtnis der Gegenwart zurückgerufen zu werden. Die Bibliotheken in Leipzig und Berlin besitzen Briefe von Rostocker Gelehrten, die einst viel genannt wurden. Sie werden nachstehend erstmalig veröffentlicht und bieten Gelegenheit, uns mit ihren Schreibern aufs neue vertraut zu machen.

1.

Jakob Sigismund Beck (1761 - 1840) 1 ).

Jakob Sigismund Becks Wiege stand in Westpreußen. Er ist am 6. August 1761 in Marienburg als Sohn eines Predigers geboren und hat als Student in Königsberg zu den Füßen Kants gesessen. Er kam dann nach Halle, wo er zuerst Gymnasiallehrer war und sich 1791 für das Fach der Philosophie habilitierte. Die ersten Jahre seines Hallischen Aufenthalts waren kümmerlich. Erst nach und nach wurde sein Leben heiterer; er gewann viele und herzliche Freunde, "nachdem er fünf Jahre für die Studenten ein wahrer obscurus war" 2 ). Er fand allmählich Beifall, konnte sich von der Lehrerstelle am Gymnasium frei machen und sich ganz dem akademischen Berufe widmen. Graf Keyserling, der ihm 1790 ein Darlehen von 100 Talern gewährt hatte, erstattete er diese Summe bis zum 17. Juni 1795 zurück. Sehr viel hatte Kant durch seine


1) Neuer Nekrolog der Deutschen XVIII, 928. Allgem. Deutsche Biographie 2, S. 214.
2) Kants Gesammelte Werke 12 (1902), Briefwechsel Band 3 S. 25 Nr. 631: Beck an Kant, 17. Juni 1795.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 20 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Fürsprache zur Besserung seiner materiellen Lage beigetragen. Beck hörte daher Zeit seines Lebens nicht auf, dem hochverehrten Lehrer dankbar zu sein.

Noch im Jahre seiner Habilitation erhielt er den Titel eines außerordentlichen Professors und ward 1799 zum Ordinarius der Metaphysik ernannt. Als in Kurland um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert die Errichtung einer Landesuniversität erwogen wurde, deren Sitz Mitau sein sollte, dachte man bei der Besetzung der Professur für Philosophie auch an Beck 3 ). Bei der mehrere Jahre später in Livland erfolgten Begründung der Hochschule Dorpat 4 ) ist es zu einer Berufung Becks nicht gekommen. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß Beck 1799 einen Ruf als Ordinarius der Metaphysik an die Universität Rostock erhielt und infolgedessen wohl nicht mehr geneigt war, in den fernen Osten abzuwandern. In Rostock hat seine Tätigkeit bis zum 29. August 1840 gedauert. Die langjährige Wirksamkeit war segensreich. Von Johannis 1808 bis dahin 1809 bekleidete er das Amt des Rektors. Er konnte 45 Studenten immatrikulieren, eine für jene Jahre hohe Zahl. Von 1789 bis 1814 betrug die Zahl der jährlich neu hinzutretenden Studenten in der Regel nicht mehr als 20 bis 30. Nur einige Jahre außer dem Beckschen Rektoratsjahr erfreuten sich stärkerer Frequenz, so 1789: 72; 1793: 52; 1797: 47; 1800: 48; 1806: 51 5 ).

Die Anhänglichkeit an seinen großen Lehrer Kant hat Beck dadurch bewiesen, daß er sich angelegen sein ließ, dessen Gedanken und Theorien für ein größeres Publikum zu erläutern und verständlich zu machen. So entstanden 1793 - 95 der "Erläuternde Auszug aus den kritischen Schriften des Professors J. Kant", in zwei Teilen, und 1798 der "Einzig mögliche Standpunkt, aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß". Mit der letzteren Schrift weicht Beck allerdings nicht unwesentlich von Kant ab und nähert sich mehr der Auffassung Berkeleys. Prantl 6 ) nennt ihn in mancher Beziehung den Vorläufer Fichtes.


3) Kants Ges. Werke 12, S. 119, Nr. 686: Kant an Beck, 19. November 1796.
4) Vergl. W. Stieda, Alt-Dorpat, 1926.
5) Eschenbachs Annalen II S. 170 ff. Ad. Hofmeister, Die Matrikel der Universität Rostock IV, V. Fr. Eulenburg, die Frequenz der deutschen Universitäten, Leipzig 1904.
6) A. D. B. 2 S. 215.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 21 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Becks Beziehungen zu Kant spiegeln sich in seinem Briefwechsel mit ihm von 1789 bis 1794, also meistens noch in Becks Hallischer Zeit, wieder. Kant schrieb ihm in diesem Zeitraum elf Briefe, von denen sich neun erhalten haben, und empfing von Beck dreizehn. In den Jahren 1795 - 97 flaut der Briefwechsel ab. Kant schreibt nur noch zweimal, Beck sechsmal. Nach dem Oktober 1797 sind keine Briefe von Beck mehr an Kant gelangt. Vielleicht hängt das mit der obenerwähnten von Kant abweichenden Schrift Becks zusammen. Aus der Rostocker Zeit sind bis jetzt keine Briefe an die Oeffentlichkeit gekommen.

Von Königsberg hatte Beck nach beendigtem Studium sich im Mai 1789 zunächst nach Leipzig gewandt, wohin ihm Kant ein Empfehlungsschreiben an Professor Friedrich Gottlieb Born 7 ) mitgegeben hatte. Born vertrat in Leipzig die Kantische Philosophie und war insofern gewiß geeignet, sich des jüngeren Gelehrten, der die gleichen Ziele verfolgte, anzunehmen. Indes scheint Born sich nicht viel um Beck gekümmert zu haben. Einige Aussichten eröffneten sich dem jungen Philosophen, aber da er keine Mittel besaß, um "ohne Verdienst leben zu können", mußte er die Stadt wieder verlassen. Weder eine Hofmeisterstelle noch eine Beschäftigung bei einem Buchhändler wollten sich ihm erschließen. Er siedelte daher noch in demselben Jahre nach Berlin über, wo der Bibliothekar Biester 8 ) sich seiner freundlich annahm und ihm Newtons Schriften zur Benutzung in seiner Wohnung mitgab.

Über die Professoren der Philosophie in Leipzig urteilte Beck nicht gerade anerkennend. Zwar der Strom der Zuhörer zu den philosophischen Hörsälen sei "reißend", aber Platner 9 ) war in seinen Augen doch ein jämmerlicher Mann, der seinen Zuhörern gegen die Kantische Philosophie Mißtrauen einflößte. Professor Caesar 10 ), den er wegen seines gutmütigen Charakters schätzte, bemühte sich, das Kantische System zu studieren, nur waren die Bedenken, die er äußerte, unklar. Born hatte einen schlechten Vortrag. Der Professor der Physik


7) 1743 - 1807. A. D. B. 3 S. 163.
8) Joh. Erich B. (1749 - 1816), seit 1784 Bibliothekar an der öffentlichen Bibliothek in Berlin, Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift. A. D. B. 2 S. 632.
9) Ernst P. (1744 - 1818), seit 1780 ordentl. Professor der Physiologie, seit 1801 auch Philosophieprofessor. A. D. B. 26 S. 258.
10) Karl Adolf C. (1741 - 1810), seit 1789 ordentl. Professor der Philosophie. A. D. B. 3 S. 687.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 22 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Hindenburg 11 ) erfreute sich weniger Zuhörer, obwohl er durch einen vortrefflichen Vortrag ausgezeichnet war. Die Vernachlässigung gerade des Fachs, das Hindenburg vertrat, wurde von Beck auf "die tändelnde Art" zu studieren, zurückgeführt, die in Leipzig im Gebrauch zu sein scheine 12 ).

Geneigt, die akademische Laufbahn einzuschlagen, vermochte Beck in Berlin auch nicht Fuß zu fassen und siedelte 1791 nach Halle über, wo er die Magisterprüfung bestand und damit das Recht erwarb, Vorlesungen zu halten. Er schickte Kant seine Dissertation und versprach, falls er Zuhörer zu philosophischen Vorlesungen finden sollte, "im stillen die Überzeugung zu verbreiten, die Ihr mündlicher und schriftlicher Unterricht in mir bewirkt hat" 13 ).

Derartige Zusicherungen früherer Schüler mochte Kant häufiger gehört haben. In diesem Falle glaubte er Beck und freute sich, daß dieser in seiner Magisterdissertation seine Begriffe "weit richtiger aufgefaßt habe als viele andere, die ihm sonst Beifall zu erkennen gegeben hätten." Von Wohlwollen für den jungen Freund durchdrungen, er der 68jährige, hatte er ihn dem Kanzler v. Hoffmann 14 ) empfohlen, der sich denn auch durchaus günstig über den jungen Gelehrten aussprach. "Ihm nützlich zu seyn, soll mir Wonne werden", hatte er an Kant geschrieben 15 ), allerdings hinzugefügt, daß er sein Entlassungsgesuch bereits eingereicht habe und daher nicht erwarten könne, daß sein Wort bei der Universität oder beim Oberschulkollegium große Wirkung haben werde. Er versprach aber jedenfalls, sich für den "verdienten Mann" zu verwenden. Kant hielt eine "Subsistenz, die auf bloßer Lesung von Collegien beruhe," für mißlich und hatte daher Beck geraten, sich um eine Stelle beim Pädagogio oder "was dem ähnlich ist" zu bewerben. Er rechnete dabei auf die Unterstützung Hoffmanns. Im übrigen war Kant großzügig genug, dem armen Schlucker zu schreiben, daß er seine Briefe an ihn nicht frankieren solle, "welches ich für Beleidigung aufnehmen würde" 16 ).


11) Karl Friedr. H. (1741 - 1808). A. D. B. 12 S. 456.
12) Kants Ges. Werke 11 S. 67 Nr. 348: Beck an Kant, 1. August 1789.
13) Ebd. S. 239. Nr. 434: Beck an Kant, 19. April 1791.
14) Carl Christoph von H. (1735 - 1801), seit 1786 Kanzler der Universität Halle.
15) Kants Ges. Werke 11 S. 243 Nr. 438: Kant an Beck, 9. Mai 1791.
16) Ebd. S. 245 Nr. 438: Kant an Beck, 9. Mai 1791.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 23 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Über diese wohlwollende Haltung des verehrten Lehrers war Beck natürlich sehr erfreut. Von der Erlaubnis, seine Briefe unfrankiert zu lassen, machte er freilich einen weitgehenden Gebrauch, indem er dem nächsten Brief an Kant eine Einlage an Professor Kraus 17 ) beifügte 18 ).

Dem Rate Kants, seine Existenz nicht allein auf das Honorar aus den Vorlesungen zu gründen, war Beck gefolgt. Er hatte zwar nicht durch Kanzler v. Hoffmann, aber durch Verwendung des Professors Jakob 19 ) die Stelle eines Kollaborators am Gymnasium übernommen, die ihm 90 bis 100 Taler jährlich abwarf. Zugleich erwarb er die Anwartschaft auf den Posten eines Schulkollegen, den Jakob eben aufgegeben hatte, der aber schon an einen älteren Angestellten der Anstalt vergeben worden war. Mit seinen Vorlesungen hatte Beck zunächst weniger Glück. Zu einem Kolleg, das er nach Klügels Lehrbuch 20 ) über reine Mathematik las, hatten sich acht Studenten eingefunden, "die aber wahrscheinlich mir nichts bezahlen werden", und für die angekündigte philosophische Vorlesung hatte sich niemand bei ihm gemeldet. Beck wurde jedoch dadurch nicht mutlos, sondern hoffte, daß man den Nutzen seiner Vorlesungen bald einsehen werde. An der Kantischen Lehre, die er "liebgewonnen" hatte, hielt er fest. Die Kritik der reinen Vernunft zu studieren, war ihm "Herzenssache". Lediglich aus Freude an der Wahrheit arbeitete er, während er bei den sonstigen Anhängern, den "lauten Freunden" unmoralische Gewinnsucht vermutete 21 ).

Kant, durch solche Offenbarungen gewiß erfreut, hörte nicht auf, dem jungen Philosophen sein Wohlwollen zu bezeugen. Als der Buchhändler Hartknoch in Riga, mit dem Kant in dauernder Verbindung stand und der einige seiner Bücher verlegt hat, sich 1791 an ihn mit der Bitte wandte, ihm einen tüchtigen Mann nachzuweisen, der aus Kants Kritischen Schriften einen nach seiner eigenen Manier abgefaßten und mit der Originalität seiner eigenen Denkungsart "zusammen-


17) Karl Chrstn. Friedrich K. (1781 - 1832), Professor der Philosophie in Königsberg. A. D. B. 17 S. 75.
18) Kants Ges. Werke 11 S. 251 Nr. 442: Beck an Kant, 1. Juni 1791.
19) Ldw. Heinr. J. (1759 - 1827), Professor der Philosophie in Halle. A. D. B. 13 S. 689.
20) Georg Sim. K. (1739 - 1812), Professor der Mathematik in Halle. A. D. B. 16 S. 253.
21) Kants Ges. Werke 11 S. 249 Nr. 442.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 24 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kant, keinen dazu geeigneteren und zuverlässigeren als Sie vorschlagen. Es handelt sich um die oben erwähnte Schrift, auf deren Abfassung Beck sicher freudig eingegangen ist.

Auch in der Folge schenkte Kant seinem einstigen Schüler Vertrauen. Beck hatte dem Verleger Hartknoch direkt geantwortet und mit der Zusage das Angebot zum Verlage zweier neuer Schriften aus seiner Feder verbunden. Das Thema der einen war "Reinholds 23 ) Theorie des Vorstellungsvermögens", und das der anderen "Die Gegenüberstellung der Humeschen und Kantischen Philosophie". Beck hatte Kant um Rat gefragt, und dieser riet ihm, erstere Aufgabe fallen zu lassen, wenigstens zunächst. Er befürchtete vielleicht eine schärfere Auseinandersetzung, denn er erbot sich, einen brieflichen Verkehr mit Reinhold zu vermitteln, damit sich beide freundschaftlich miteinander verständigen könnten. Beck solle sich lieber "vor der Hand" an die Bearbeitung der zweiten Schrift machen 24 ). Beck war, wie er im Oktober 1791 an Kant schrieb, auf diese Themata gekommen durch "behutsame Überlegung." Da die Vorlesungen eines neuen Magisters "eine mißliche Sache" seien und seine anderweitigen Einkünfte keineswegs ausreichten, um zu "subsistieren", wollte er sich durch Bücherschreiben eine Einnahmequelle erschließen. Zugleich übersandte er Kant eine Probe seiner Aufsätze über die Theorie des Vorstellungsvermögens, in Form von Briefen an einen Hallischen Freund, den Magister Rath 25 ), "der im Stillen die Kritik beherzigt" und ein paar Aufsätze als Antworten versprochen habe, sodaß die ganze Schrift vielleicht acht Bogen stark werden könne. - Den von Kant gewünschten Auszug aus dessen kritischen Schriften niederzuschreiben, werde ihm vorzüglich "ein angenehmes Geschäfte seyn, weil Sie mir erlauben, meine Bedenklichkeiten gerade Ihnen vorzulegen." Die Kritik der reinen Vernunft habe er mit dem herzlichsten Interesse studiert, die Kritik der praktischen Vernunft sei seit ihrem Erscheinen seine Bibel 26 ).


23) Karl Leonhard R. (1758 - 1825), Professor der Philosophie in Jena seit 1787. A. D. B. 28 S. 82.
24) Kants Ges. Werke 11 Nr. 457: Kant an Beck.
25) Rudoph Gotthold R. (1758 - 1814), Rektor am Gymnasium in Halle.
26) Kants Ges. Werke 11 S. 281 Nr. 458.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 25 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kant war damals Dekan der philosophischen Fakultät, stark geschäftlich in Anspruch genommenen und konnte erst am 2. November antworten 27 ). Er riet nun nicht weiter ab, die Reinholdsche Theorie zu bearbeiten, scheint jedoch befürchtet zu haben, daß Beck die ihr anhängende Dunkelheit trotz seiner Gabe der "Deutlichkeit auf angenehme Art" nicht bewältigen werde. Kant selber habe sich bisher noch nicht hineinzudenken vermocht. Wahrscheinlich unter dem Einfluß dieser Mahnung hat dann Beck die Arbeit fallen lassen. Auch den Vergleich zwischen Kant und Hume schob er zunächst auf und konzentrierte seine Kräfte auf die Anfertigung des Auszugs, der ihm übertragen war 28 ). Philosophische Bedenken, die er gegen Kants Aufstellung geäußert hatte, widerlegte dieser in einem Briefe vom 20. Januar des folgenden Jahres 29 ). Beck wollte dann das Manuskript des Auszugs Kant oder dem Königsberger Hofprediger Schultz 30 ) zur Durchsicht vorlegen 31 ). Kant meinte, die Arbeit getrost Schultz überlassen zu können, Beck aber, ängstlich darauf gerichtet, den Gedankengang des Meisters zutreffend wiederzugeben, bat, daß Kant wenigstens die Blätter "von der Deduction der Categorieen und der Grundsätze" prüfen möge. Denn von diesen Ausführungen hielt er "am meisten" und besorgte sie etwa "falsch gefaßt" oder "nicht wunschgemäß dargestellt zu haben" 32 ).

Kant hatte an dem ihm übersandten Manuskript des Auszugs nichts Erhebliches zurechtzustellen, aber gerade den Abschnitt von der Deduktion der Kategorien und Grundsätze nicht genau durchgesehen, weil er sich in dem gewünschten Termin der Rücksendung versehen hatte. Er hatte Oktober gelesen statt November. Demgemäß stellte er Beck anheim, ihm diese Blätter noch einmal zuzusenden 33 ). Im übrigen schlug er vor, den Auszug so zu fassen und zu kürzen, daß er als Grundlage für Vorlesungen dienen könne. Diese Abrundung des


27) Kants Ges. Werke 11 S. 290 Nr. 464: Kant an Beck, 2. November 1791.
28) Ebd. S. 297 Nr. 467: Beck an Kant, 11. November 1791.
29) Ebd. S. 300: Kant an Beck, 20. Januar 1792.
30) Johann Schultz (1739 - 1805), Hofprediger und Professor der Mathematik in Königsberg.
31) Kants Ges. Werke 11 S. 325 Nr. 483: Beck an Kant, 31. Mai 1792.
32) Ebd. S. 335 Nr. 488: Kant an Beck, 3. Juli 1792. S. 346 Nr. 495: Beck an Kant, 8. September 1792.
33) Ebd. Nr. 504, S. 361: Kant an Beck, 16./17. Oktober 1792..
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 26 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Manuskriptes würde freilich etwas schwer fallen, weil die transzendentale Dialektik einen ziemlichen Raum beanspruche.

Beck schickte das Manuskript noch einmal zurück. Es war ihm auch darum zu tun, bekannt zu geben, daß Kant um die Aufstellung des Auszugs wisse; er bat daher den Meister, ihm die Worte, in denen diese Mitteilung geschehen könne, vorzuschreiben. Den allgemeinen Titel schlug er vor zu fassen: "I. Erläuternder Auszug aus den critischen Schriften des Herrn Professor Kant; II. Auszug aus der Critick der Urtheilskraft und eine erläuternde Darstellung der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften" 34 ). Kant machte "Erinnerungen von nur geringer Erheblichkeit" und erklärte sich mit der Fassung des Titels einverstanden 35 ).

Im April 1793 war der Druck des ersten Bandes fertig und Beck in der Lage, ein Exemplar Kant zu übersenden. In Verlegenheit geriet er indes durch den Buchhändler Hartknoch. Dieser hatte sich von Kant versprechen lassen, auf dem Titel bemerken zu dürfen, daß Kant um die Arbeit gewußt habe. Hartknoch glaubte, mit einer solchen Äußerung die Schrift den Buchhändlern auf der Messe besser empfehlen zu können. Nun war Beck im Zweifel, in welcher Form dem Wunsch des Verlegers Rechnung getragen werden könnte, zumal da er auf eine frühere Anfrage bei Kant keinen Bescheid erhalten hatte. Schließlich ist eine derartige Erklärung unterblieben.

Nach wie vor fühlte sich Beck seinem Lehrer für die Güte, die er bei der Durchführung seiner Arbeit ihm erwiesen hatte, nachdrücklichst verpflichtet. Seine äußeren Umstände hätten sich dadurch gebessert; er habe viel mehr Einsicht in die kritische Philosophie gewonnen und erkenne mehr als jemals die "wichtige Wohlthat", die Kant der Menschheit durch seine Arbeiten erweise. Er pries sich glücklich, daß er daran Anteil nehmen könne, war sich aber auch darüber klar geworden, daß "nur ein unermüdetes Nachdenken" dazu gehöre, den Sinn Kantischer Gedankengänge richtig zu erfassen. Gleichzeitig übesandte er das Manuskript des zweiten Bandes, der den Auszug aus der Kritik der Urteilskraft, der Einleitung und der Exposition eines reinen Geschmacksurteils, enthalten sollte. Kant möge die Freundschaft für ihn haben, es durchzusehen und die Stellen anzumerken, wo er den Sinn verfehlt oder


34) Kants Ges. Werke 11 S. 369 Nr. 512: Beck an Kant, 10. November 1792.
35) Ebd. S. 379 Nr. 516: Kant an Beck, 4. Dezember 1792.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 27 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wenigstens nicht deutlich dargestellt habe 36 ). Ein Exemplar der "Kritik der Urteilskraft" hatte Kant ihm durch den Buchhändler Lagarde 37 ), der die Schrift verlegt hatte, zugehen lassen 38 ). Er verzichtete aber "bey seinem Alter und manchen sich durchkreuzenden vielen Beschäftigungen" auf die Durchsicht des übermittelten Probestückes und glaubte dem "eigenen Prüfungsgeiste" Becks vertrauen zu dürfen. Immerhin übersandte er die zur Vorrede für die Kritik bestimmt gewesene, aber wegen ihrer Weitläufigkeit verworfene Abhandlung, weil Beck vielleicht eines oder das andere daraus für feinen "concentrirten Auszug" werde benutzen können. (18. August) 39 ).

Beck hatte, als er am 24. August 1793 40 ) aufs neue sich an Kant wandte, dessen Brief vom 18. August 1793 noch nicht in Händen. Wohl aber fühlte er sich, je tiefer er in die Kantischen Gedankengänge eindrang, desto mehr verpflichtet, dem Meister für alle Anregung und Belehrung zu danken. Meine Seele, schrieb er, hat sich "noch nie einem Gelehrten so verbunden gefühlt als Ihnen, ehrwürdiger Mann." Seit er Kants Vorträge in Königsberg gehört, habe er "sehr viel Vertrauen" zu ihm gefaßt; "aber ich gestehe auch, daß bey den Schwierigkeiten, die mich lange gedruckt haben, dieses Vertrauen öfters zwischen dem zu Ihnen und dem zu mir selbst gewankt hat." Sorgfältig habe er immerfort Kants Schriften studiert und sich selbst dadurch auch besser kennengelernt. "Was wohl einem vernünftigen Wesen das wünschenswürdigste Gut seyn muß", das habe ihm die Kantische Philosophie gewährt. Wenn, wie er meinte, sonst sehr berühmte Männer der kritischen Philosophie Kants ihre Zustimmung versagten, so lag das nach seiner Auffassung wohl daran, daß sie den "mächtigen Unterschied" zwischen Denken und Erkennen nicht erfaßt hatten. Nun kamen ihm aber über dem Studium der Kantischen metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaften Zweifel. Namentlich war ihm der Begriff der Qantität der Materie nicht verständlich, und wenn er dieses Unvermögen, sich eine deutliche Vorstellung zu schaffen, auch auf seinen eigenen Kopf zurückführte, so bat er doch um eine Erläuterung 41 ).


36) Kants Ges. Werke 11 S. 411 Nr. 538: Beck an Kant, 30. April 1793.
37) Francois Théodore de Lagarde (1755 - ?), Buchhändler in Berlin.
38) Kants Ges. Werke 11 S. 389 Nr. 521a und 522.
39) Ebd. S. 426 Nr. 551: Kant an Beck, 18. August 1793.
40) Ebd. S. 427 Nr. 552: Beck an Kant, 24. August 1793.
41) Ebd. S. 427 - 29 Nr. 552: Beck an Kant, 24. August 1793.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 28 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kant dürfte diesen Brief nicht mehr beantwortet haben; wenigstens sind in seinem Briefwechsel keine Andeutungen darüber vorhanden. Beck war dadurch keineswegs verletzt, sondern besorgt, ob er etwa "unverständlich gefragt" habe und erkundigte sich, ob Kant vielleicht eine ungünstigere Meinung von ihm bekommen habe 42 ). Auch hierauf blieb die Antwort aus.

Mittlerweile faßte der fleißige Beck den Plan zu einer neuen Schrift, den er dem Meister vortrug. Er war sich darüber klar, daß Kant, "vom Alter gedrückt", ihm sein Urteil nicht werde Schreiben können, "obwohl seine Briefe ihm die kostbarsten Geschenke" seien 43 ). Doch bat er, bei Hartknoch ein freundliches Wort für den Verlag einfließen zu lassen. Je nachdem wie diese Befürwortung ausfiel, erwartete er die Geneigtheit des Buchhändlers, auf seinen Antrag einzugehen 44 ). Das Thema der ins Auge gefaßten Untersuchung bildete die "ursprüngliche Beylegung (der Beziehung einer Vorstellung, als Bestimmung des Subjects, auf ein von ihr unterschiedenes Object, dadurch sie ein Erkenntnisstück wird, nicht blos Gefühl ist" 45 ). Kant war dieses Mal sehr rasch mit einigen Bedenken bei der Hand 46 ), die jedoch den Verfasser nicht entmutigen, sondern nur auf einige vielleicht von ihm übersehene Punkte aufmerksam machen sollten. Auf diese Einwände kann hier nicht eingegangen werden. Jedenfalls wogen sie nicht schwer, denn Kant hatte bei Hartknoch den Verlag der beabsichtigten Schrift befürwortet, doch wohl ein Beweis, daß er Beck nichts Unnützes oder Unbrauchbares zutraute.

Im September 1794 war auch der zweite Band des Auszuges aus Kants kritischen Schriften beendet und konnte dem Meister übersandt werden 47 ). Bescheiden meinte Beck, daß die Arbeit wohl vollkommener ausgefallen wäre, wenn er schon mit der Gewandtheit an ihre Abfassung hätte gehen können, die er bei dem nunmehrigen Abschluß der Schrift durch das Studium Kants erworben hab. Zu Michaelis 1795 sollte der dritte Band unter dem Titel: "Einzig möglicher Standpunkt,


42) Kants Ges. Werke 11 S. 489 Nr. 595: Beck an Kant, 17. Juni 1794.
43) Ebd. S. 492 Nr. 595.
44) Ebd. S. 492 Nr. 595.
45) Ebd. S. 495 Nr. 599: Kant an Beck, 1. Juli 1794.
46) Ebd. S. 496.
47) Ebd. S. 504 Nr. 604: Beck an Kant, 16. September 1794.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 29 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

aus welchem die critische Philosophie beurtheilt werden muß" erscheinen. Beck kündigte ihn im Juni 1795 an 48 ); der Band ist jedoch erst 1796 an die Öffentlichkeit gelangt. Des Verfassers Absicht war, mit ihm "zu zeigen, daß die Categorien der Verstandesgebrauch selbst sind, daß sie allen Verstand und alles Verstehen ausmachen und daß der wahre Geist der critischen Philosophie .. darin besteht, daß dieselbe an ihrer Transcendentalphilosophie die Kunst, sich selbst zu verstehen, aufgestellt habe."

Kant vermochte auf diese Briefe "so angenehm sie mir auch allemale waren" nicht mehr zu antworten und machte sich deshalb selbst Vorwürfe. Seine Gesundheit war wohl so "ziemlich", aber seine Konstitution nicht so stark, daß er nicht genötigt gewesen wäre, mit seinen Beschäftigungen zu wechseln und sie gelegentlich völlig zu unterbrechen 49 ). Diesem Briefe ist noch ein Schreiben vom 20. Juni 1797 gefolgt, das letzte, das Kant an seinen Schüler gerichtet hat, das jedoch nur durch seine Erwähnung in anderen Briefen bekannt ist 50 ).

In zwei Schreiben vom 20. und 24. Juni 1797 verteidigte sich Beck gegen die vom Hofprediger Schultz wider ihn erhobenen Vorwürfe, daß er mit seinen Ausführungen zu Kant in Gegensatz getreten sei. Noch später wehrte er sich gegen die Unterschiebung einer unredlichen Absicht durch den Hofprediger sowie dagegen, daß dieser ihn "mit den neuen philosophischen Irrlichtern in eine Classe" setze 51 ). Kant hat allerdings selbst das Mißliche in Becks Darstellung der kritischen Philosophie empfunden, sich aber auf eine Kontroverse nicht eingelassen. In einem Briefe an Tieftrunk 52 ) schreibt er, daß es nicht nötig sei, andere mit dieser Meinungsverschiedenheit (Mißhelligkeiten nennt Kant sie) bekannt zu machen 53 ).

Ohne auf den verschiedenen Standpunkt Kants und Becks einzugehen, soll doch hervorgehoben werden, daß Beck ein durchaus loyaler Mann gewesen zu sein scheint, der nur seine von Kant abweichende Auffassung nicht unterdrücken mochte, obwohl ihm klar war, daß er seinen einstigen Lehrer und


48) Kants Ges. Werke 12 S. 25 Nr. 631: Beck an Kant, 17. Juni 1795.
49) Ebd. S. 161 Nr. 716b, vor dem 20. Juni 1797.
50) Ebd. Nr. 717, 719.
51) Ebd. S. 198 Nr. 737.
52) Ebd. S. 198 Nr. 737: Beck an Kant, 9. September 1797.
53) Johann Heinrich T. (1760 - 1837), Professor der Philosophie in Halle. A. D. B. 38, S. 286.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 30 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

gütigen Freund dadurch schwer kränkte. In einem Briefe an Kant vom 9. September 1797 bemerkt er jedoch ausdrücklich, daß er ,,fast Lust" habe, in einer philosophischen Arbeit das Fehlerhafte seiner bisherigen Darstellungen auszubessern 54 ). Ob er damit den dritten Band seines Auszugs meinte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls lehnte er es ab, daß man ihm nachsagte, sich mit Fichte auf dem gleichen Wege zu befinden 55 ), und er erklärte Kant, daß er unendlich weit entfernt von dem ,,Fichtischen Unsinn" sei 56 ). Fichte wollte er sich freilich nicht durch eine Entgegnung ,,auf den Hals laden", aber er wollte zum Ausdruck bringen, daß er nicht gesonnen gewesen sei ,,den Stifter der critischen Philosophie im Geringsten zu compromittiren" 57 ). Beck erbat sich zu diesem abzufassenden Aufsatze die Zustimmung Kants, ohne die er nicht gerne etwas tun möchte. Aber Kant hat nicht mehr darauf geantwortet, und so ist diese Abhandlung Becks wohl unterblieben.

Ob Beck sich das Zerwürfnis mit Kant sehr zu Herzen genommen hat, läßt sich nicht sagen. Jedenfalls hat er keinen Versuch mehr gemacht, sich Kant brieflich wieder zu nähern. Er hätte wohl Zeit dazu gehabt, denn Kant ist erst acht Jahre nach der Ausgabe des dritten Bandes des Beckschen Auszuges gestorben.

Beck beabsichtigte, im September 1797 nach Leipzig überzusiedeln, obwohl er doch früher über die dortigen Vertreter der Philosophie sich nicht gerade anerkennend geäußert hatte. Es gab aber in Leipzig ein Collegium Beatae Mariae Virginis, eine Stiftung, auf dessen reiche Stipendien in Preußen geborene Gelehrte Anspruch erheben konnten. Man hatte ihm Aussicht auf ein solches Stipendium gemacht. Aber bald darauf erreichte ihn der Ruf auf das Ordinariat in Rostock, das er begreiflicher Weise einer unsicheren Stellung vorzog. Aus seiner Rostocker Zeit sind bisher keine Briefe von ihm bekannt geworden. Nur der eine, vom Oktober 1800, der im Folgenden abgedruckt ist, hat sich in der Universitätsbibliothek zu Leipzig gefunden.

Der Empfänger dieses Briefes, Friedrich Bouterwek, war kurz vorher, nach Feders 58 ) Übersiedelung nach Hannover,


54) Kants Ges. Werke 12 S. 199 Nr. 737.
55) Ebd. S. 174.
56) Ebd. S. 173.
57) Ebd. S. 175.
58) Joh. Georg Heinr. F. (1740 - 1821), seit 1768 Professor der Philosophie in Göttingen. A. D. B. 6 S. 595.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 31 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

außerordentlicher Professor der Philosophie in Göttingen geworden. Geboren 1766 zu Oker am Harz, wo sein Vater Hüttenbeamter war, erhielt er auf dem Karolinum in Braunschweig seit 1781 eine sehr gute Schulbildung, die er auf der Universität Göttingen, wohin er 1784 zog, vervollständigen konnte. Er studierte Jurisprudenz, bestand das juristische Examen in Celle, blieb jedoch der ihm in Hannover sich eröffnenden juristischen Laufbahn nicht treu, sondern widmete sich philosophischen und belletristischen Studien. Er kam 1789 zum zweiten Male nach Göttingen, errang mit einer Schrift "Über die Hindernisse des Selbstdenkens in Deutschland" den Doktorhut und begann seit 1791, Vorlesungen über Kantische Philosophie zu halten. Über sein Vorhaben, die Kritik der reinen Vernunft nach Kants System öffentlich vorzutragen, machte er Kant am 17. September 1792 Mitteilung 59 ) unter gleichzeitiger Übersendung des Plans, nach dem er, zum ersten Male an der Georg-August-Universität, den Vortrag einrichten wollte. Kant antwortete ermunternd, lobte den Plan als wohl ausgedacht und freute sich über die Vereinigung der scholastischen Genauigkeit in der Bestimmung der Begriffe mit der Popularität einer blühenden Einbildungskraft 60 ).

Befriedigende Erfolge scheint jedoch Bouterwek mit seinen Vorlesungen nicht erzielt zu haben, denn er ging bald danach auf Reisen, zuerst in die Schweiz, dann nach Darmstadt, wo er sich zu längerem Aufenthalte entschloß und ebenfalls über die Kantische Philosophie Vorlesungen hielt. 1796 kehrte er zum zweiten Male nach Göttingen zurück, nahm seine akademische Tätigkeit wieder auf und wurde an Feders Stelle zum außerordentlichen Professor ernannt. Wahrscheinlich aber waren Gehalt und sonstige Einkünfte so gering, daß er auf eine andere Professur sann, und deshalb wandte er sich an Professor Beck in Rostock.

In Greifswald war nämlich der Vertreter der Kameralwissenschaften, der aus Jena berufene Professor Georg Stumpf, 1798 gestorben 61 ), und Bouterwek trat an Beck mit der Bitte heran, sich für ihn in Greifswald einzusetzen. Beck ging sofort hierauf ein und verwandte sich namentlich bei dem General-


59) Kants Ges. Werke 11 Nr. S. 354. 497: Bouterwek an Kant, 17. September 1792.
60) Ebd. S. 417 Nr. 543: Kant an Bouterwek, 7. Mai 1793.
61) J. G. L. Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald, 1857, I S. 314.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 32 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

superintendenten und Professor der Theologie Gottlieb Schlegel 62 ) für Bouterwek. Indes vermochte diese Fürsprache nichts auszurichten, kam wohl überhaupt zu spät. Nicht weniger als zehn Gelehrte standen auf der Vorschlagsliste. Bouterwek jedoch war nicht darunter, und die Wahl fiel, nachdem Crome 63 ) in Gießen abgelehnt hatte, auf Professor Canzler 64 ) in Göttingen.

Schlug Bouterweks Bewerbung um Greifswald fehl, so hatte er ebensowenig Erfolg in Halle. Dort hatte er sich unter der Hand um eine Lehrstelle am königlichen Pädagogium beworben. Professor Voigtel 65 ) in Halle hatte von dieser Bewerbung gehört und sich ungünstig in einem Briefe an Beck über Bouterwek geäußert. Beck bemühte sich zwar, ihn in Schutz zu nehmen, aber geholfen hat es nicht. Greifswald wie Halle blieben Bouterwek verschlossen. Doch schlugen diese Enttäuschungen zu seinem Glücke aus. Er wurde in Göttingen 1802 ordentlicher Professor und war schließlich einer der angesehensten und geschätztesten Lehrer der Georgia Augusta 66 ).

Die Frau Professor Förster, die in dem folgenden Briefe Becks erwähnt wird, könnte die Witwe von Johann Christian Förster 67 ) gewesen sein, dem Domprediger und Schulinspektor zu Naumburg, späteren Superintendenten in Weißenfels, die eine Tochter des Rektors an der Naumburger Domschule Gottfried August Lobeck war. Nach dem frühen Tode ihres Gatten mag die Frau Professor nach Göttingen gezogen sein. Ich komme auf diesen Gedanken, weil der Bruder der Frau Förster der Professor der Philologie Christian August Lobeck in Königsberg war und Beck dort ihre Bekanntschaft gemacht haben könnte. Vielleicht ist aber statt Förster zu lesen Forster und die Witwe von Johann Reinhold Forster gemeint, der 1798 in Halle als Professor starb 68 ).


62) 1739 - 1810. Recke-Napiersky, Allgem. Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon 4 S. 68; Kosegarten a. a. O. I S. 310.
63) 1753 - 1833. A. D. B. 4 S. 606. Wilh. Stieda, Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft, 1907, Register.
64) 1764 - 1811. Kosegarten, a. a. O. I S. 314. W. Stieda a. a. O. Register.
65) Traugott Gotthold V. (1766 - 1843), A. D. B. 40 S. 212.
66) A. D. B. 3 S. 213. Allgemeine Hannoversche Biographie III (1916) S. 249.
67) 1754 - 1800. A. D. B. 7 S. 189.
68) 1729 - 1798. A. D. B. 7 S. 172.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 33 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Rostock, den 4ten Februar 1800 69 ).

Sehr wertgeschätzter Freund!

In diesem Augenblick habe ich Ihren Brief erhalten, und ich eile, ihn mit der rückgehenden Post zu beantworten. Ich wünsche, daß Sie überzeugt seyn mögen, daß die Greifswalder Angelegenheit in Ansehung Ihrer mir nicht gleichgültig gewesen ist. Ich schätze Sie und Ihre Freundschaft und habe mir das Glück gewünscht, Sie hier in der Nähe zu haben. Zu dem Ende war ich so thätig für Sie, als es mir möglich war. Diese Möglichkeit erstreckte sich aber nicht weiter, als Sie dem Generalsuperintendent Schlegel, einem fast etwas simpeln Mann, der aber zugleich ein Mann von großer Herzensgüte ist und der mich in seine Affection genommen hat, als einen braven Mann und so zu schildern, als ich Sie kenne. Noch ehe ich Ihren Brief erhielt, ging ich, jedoch mit der gehörigen Delicatesse, um Sie nicht zu compromittiren, soweit, daß ich, als verstehe es sich von selbst, merken ließ, daß Sie nicht schwierig seyn würden, sich der allgemein geltenden Regel von Erkenntlichkeit zu unterwerfen. Ich habe zwey Briefe deshalb erhalten, von welchen ich einen noch gefunden, den andern aber verlegt habe. Man hat den Canzler aus Göttingen gewählt, und Sie werden den Grund, weshalb Sie nicht gewählt worden sind, aus beyliegendem Briefe ersehen und das Gerücht bestätigt finden, das schon damals, als ich noch in Halle war, davon verlautete.

Was Ihre Bitte betrifft, keinem meiner Hallischen Freunde ein Wort von Ihrem Briefe oder dieser ganzen Sache zu schreiben, so können Sie mir wohl die Überlegung zutrauen, die mich finden lassen muß, daß diese Mittheilungen Ihnen unangenehm seyn würden. Ich habe niemandem etwas davon geschrieben. Indessen will ich soviel zu Ihrer Nachricht sagen. Voigtel erwähnt in seinem letzten Briefe Ihre Bemühungen um das Königliche Collegium. Voigtel ist ein sehr braver Mann und mein herzlichster Freund, den ich so lieb habe, wie Sie nur immer Ihrem Freunde Lafontaine zugethan seyn können. Ihm begegnete aber das Menschliche, in seinem Briefe etwas unwillig gegen Sie zu thun. In einem Briefe an ihn, der schon geschlossen und versiegelt, mit diesem zugleich und beynahe diesen Augenblick abzugehen


69) Das Original des Briefes befindet sich in der Kestnerschen Sammlung der Leipziger Universitätsbibliothek.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 34 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

bereit liegt, mache ich ihm deshalb freundschaftliche Vorwürfe und sage ihm, daß ich im Gegentheil mich herzlich freue, daß Sie reussirt haben, da es keine Kleinigkeit ist, Weib und Kind mit Schriftstellerey zu erhalten und daß Sie ein braver Mann sind, dem ich dieses Glück gönne. Bey dieser Gelegenheit schreibe ich ihm, daß ich es lieber gesehen hätte, wenn Sie nach Greifswald gekommen wären und daß ich selbst mir darum Mühe gegeben habe, daß aber nichts daraus wurde, weil Sie in Ihrer Fortsetzung der Stöverschen Arbeit den Carl XII. gelästert haben. Ich bin zu faul, den Brief wieder aufzubrechen, und kann nicht den geringsten Grund bemerken, warum Ihnen diese Bemerkung nicht gleichgültig seyn sollte. Also mag es dabey bleiben.

Und nun, mein theuerster Freund, will ich Sie noch von meiner herzlichen Theilnahme an Ihrem Glück versichern. Möge es bald besser kommen!

Die Prof[essorin] Förster mit ihrer Demoiselle Tochter wohnt wahrscheinlich jetzt mit Ihnen unter einem Dach, und Sie schreiben mir kein Wort davon?

Mit den 140 + 20 Rthlrn., die Sie erhalten haben, ist auch die Verpflichtung, für die Nachwelt zu sorgen, größer geworden. Bey dem einen Kinde kann es nun nicht bleiben. Erst heißt es "Seyd fruchtbar und mehret euch" und dann heißt es ferner: "Herrschet über die Fische im Meer etc." Mit Ihrer Thätigkeit im Ehestande wird sich der Segen des Herrn vergrößern.

Grüßen Sie Ihre liebe Frau und behalten auch lieb Ihren treuen Freund

Beck.     

 

2.

Viktor Aimé Huber (1800 - 1869).

Nur wenige Jahre hat Viktor Aimé Huber der Universität Rostock angehört. Aber er hat treu und fleißig seines Lehramts gewaltet und in seinen Studien den Grund gelegt zu der späteren allgemein ihm entgegengetragenen Anerkennung; auch das geistige Leben des Landes, dem er für kurze Zeit angehörte, hat Vorteil von ihm gehabt.

Viktor Aimé Huber ist der Sohn von Therese Heyne, der Tochter des Göttinger Philologen, aus deren zweiter Ehe mit Ludwig Ferdinand Huber, den sie nach dem im Januar 1794

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 35 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

erfolgten Tode ihres ersten Gatten Georg Forster heiratete 70 ). Sein Vater Ludwig Ferdinand Huber 71 ), der, in Paris geboren, als politischer und belletristischer Schriftsteller bekannt geworden war, starb im Dezember 1804 in Dresden; sein Großvater Michael Huber 72 ), geboren 1727 in Frankenhausen in Niederbayern, von 1742 - 1766 in Paris lebend, mit einer Französin verheiratet, war seit 1766 mit einem aus der kurfürstlichen Schatulle bezahlten Gehalt als Lektor der französischen Sprache an der Universität Leipzig tätig, wo er am 15. April 1804 starb.

Über V. A. Huber hat Rudolf Elvers im Jahre 1874 eine zweibändige Biographie veröffentlicht, die auf Briefen aufgebaut ist, die Huber an seinen Schwiegervater Klugkist in Bremen gerichtet hat. Es sind indes auch sonst auf den Bibliotheken von Berlin und Stuttgart Hubersche Briefe vorhanden, die noch nicht bekannt und auch nicht zu seiner Charakteristik verwandt worden sind. Sofern sie aus der Rostocker Zeit stammen, werden sie nachstehend mitgeteilt, um im Zusammenhange mit Elvers' Ausführungen zur Darstellung seines Aufenthalts in Rostock beizutragen. In Hofwyl von Fellenberg erzogen, der ein Freund seines Vaters war, und zu dem er gebracht wurde, als er, noch nicht fünfjährig, den Vater verlor und seine Mutter bei Verwandten in der Umgebung von Ulm auf dem Lande eine Zuflucht gefunden hatte, kam er 1816 nach Göttingen, wo er Medizin studierte und im Hause seiner Stiefgroßmutter Heyne wohnte. Im Sommer 1820 in Würzburg zum Doktor der Medizin promoviert, begab er sich im Frühjahr 1821 auf Reisen, angeblich um seine medizinische Bildung zu vervollständigen, beschäftigte sich aber in Paris, Spanien, Portugal, Edinburg, London vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich mit Kunst und Literatur. Im Sommer 1824 nach Deutschland zurückgekehrt, lebte er zeitweise in Göttingen, Augsburg und München, sich geschichtlichen und sprachlichen Studien widmend, und nahm im Herbste 1828 eine Stelle als Lehrer der Geschichte der neueren Sprachen an der Handelsschule in Bremen an. Er hatte sich mittlerweile dafür entschieden, Universitätslehrer zu werden und betrachtete das Bremer Lehramt lediglich als eine Zwischenstation 73 ). Berufun-


70) Therese Huber, (1764 - 1829), A. D. B. 13 S. 240.
71) 1764 - 1804. A. D. B. 13 S. 236.
72) A. D. B. 13 S. 246.
73) Elvers a. a. O. 2 S. 20.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 36 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

gen als Oberbibliothekar an einer größeren Bibliothek und als Redakteur einer hannöverschen Zeitung lehnte er ab, folgte dagegen einem gegen Ende des Jahres 1832 an ihn ergehenden Ruf als ordentlicher Professor der Geschichte und der abendländischen Sprachen in Rostock. Zu Ostern 1833 traf er dort ein, nachdem er schon zwischen Weihnachten 1832 und Neujahr 1833 eine in damaliger Zeit beschwerliche Reise nach Rostock unternommen hatte, um eine Wohnung zu mieten. Diese Winterreise auf den unbequemen Mecklenburger Postwagen erweckten in ihm die Vorstellung, daß fortan der persönliche Verkehr mit der übrigen Welt nur mit großen Opfern möglich sein werde, und ein im Postwagen geführtes Gespräch ließ das Vorurteil entstehen, daß der Glanz, den der zukünftige Wohnsitz auch nur in nächster Nähe um sich verbreite, sehr gering sei. Zwar fand er hernach in Rostock und Mecklenburg manches, was ihm anziehend und sympathisch war 74 ), doch gewinnt man den Eindruck, daß er nie recht warm dort wurde und, im völligen Gegensatz zu vielen anderen jüngeren Gelehrten, die mit größter Freude und Genugtuung an ihre Rostocker Jahre zurückdenken, froh war, die mecklenburgische Landesuniversität wieder verlassen zu können.

Zunächst befriedigte ihn die religiöse Auffassung der Kreise, zu denen er sich gesellte. Hubers Großvater und Vater gehörten der katholischen Kirche an, Viktor Aimé dagegen neigte dem Protestantismus zu. Besonders in Bremen nach seiner Verlobung mit Auguste Klugkist gewann er Einblick in das tägliche Leben eines von einfacher Frömmigkeit getragenen Hauses. Zu einem Konfessionswechsel konnte er sich jedoch längere Zeit nicht entschließen und war auch zweifelhaft, welcher der beiden protestantischen Schwesterkirchen er den Vorzug geben sollte. Schließlich vollzog er am 15. Oktober 1829 bei dem Pastor Fr. Ad. Krummacher 75 ) den Übertritt zur reformierten Kirche. Gerade war in Mecklenburg seit der zweiten Hälfte der 20er Jahre das kirchlich-religiöse Leben stärker erwacht. Mitglieder der Rostocker Justizkanzlei, Gutsbesitzer, Offiziere u. a. bekannten sich als gläubige Christen, freilich nicht ohne von einer Gegenströmung als "Pietisten" verschrien zu werden. Insbesondere hatte die von Friederike


74) Elvers a. a. O. 2 S. 21.
75) Ebd. 1 S. 345 - 346.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 37 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Drümmer gegründete Erziehungsanstalt für junge Mädchen unter Angriffen zu leiden. Viktor Aimé, angeregt durch seine einstigen Göttinger Universitätsfreunde Elvers 76 ) und Spitta 77 ), die er als Universitätskollegen wiederfand und die bei seiner Berufung nach Rostock eifrig mitgewirkt hatten, schloß sich diesen Kreisen an. Zwar von einem gewissen Konventikelwesen, das sich breit machen wollte, hielt er sich fern, aber er übernahm an der Drümmerschen Anstalt einige Unterrichtsstunden und wurde als Berater, Vermittler und Mahner dem um jenes Institut sich bildenden Kreise von Wert. Auch bei Maßregeln zur Abhilfe sozialer Mißstände war er tätig; die erste Kleinkinderbewahranstalt in Rostock entsprang seiner Initiative 78 ).

An der Geselligkeit in Rostock, die für viele der dortigen Professoren einen nicht zu leugnenden Reiz hatte, fand er kein Gefallen. Er kaufte sich nach Jahresfrist mit Hilfe seines Schwiegervaters ein Haus in der Kleinen Mönchenstraße und hoffte sich dadurch zum längeren Verweilen an der kleinen Universität bewogen zu fühlen. Doch an Festlichkeiten, wie sie damals noch vorgekommen sein sollen, "die von Mittags bis zum hellen Morgen dauerten" und an der überreichen "obotritischen Küche" fand er keinen Geschmack. Sein Freundeskreis bestand wesentlich in den schon genannten Kollegen, dem Justizrat von Oertzen, Major von Stein, dem Professor der Technologie Becker und dessen Gattin, einer Tochter des Botanikers Link, und namentlich der Frau von Gadow, geborenen von Preen, die auf ihrem zwei Meilen von Rostock entfernten Gute Groß-Potrems wohnte und einen großen Einfluß auf die gläubigen Christen der Umgegend ausübte. Nicht weniger fesselte ihn das Seebad Warnemünde, wo er mehrmals einen längeren Sommeraufenthalt nahm 79 ).

Der Hochschule, deren Frequenz gering war, begegnete er nicht mit der Freude, die man hätte erwarten dürfen. Unzufrieden meldete er am 1 8. Mai 1833 dem Schwiegervater, daß die Zahl aller Studierenden im laufenden Semester nur 50 bis 60 betrage und die literarischen Studien bisher so vernachlässigt seien, daß das Interesse für sie geradezu erst ge-


76) Christian Friedrich E. (1777 - 1858), von 1828 - 41 Professor in Rostock. A. D. B. 6 S. 75.
77) Heinrich S. (1799 - 1860). A. D. B. 35 S. 204.
78) Elvers a. a. O. 2 S. 25.
79) Ebd. S. 42, 43.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 38 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schaffen werden müsse 80 ). Und gegen das Ende des Jahres, am 13. Dezember 1833, heißt es: "Unser Universitätsleben geht seinen schläfrigen Gang. Mein Publikum über altdeutsche Poesie hat indessen mehr Interesse gefunden, als ich erwartete, und ich habe ein volles Auditorium, was mir um des Gegenstandes willen besonders lieb ist. Es ist doch immer ein Beweis, daß noch etwas zu machen wäre, wenn sich nur einige Gleichgesinnte fänden. Aber (abgesehen von den Anderen) die philosophische Fakultät liegt wirklich gar zu sehr im Argen, und wenn es irgend mit dem Geiste der Jugend besser werden sollte, so muß bei den Lehern angefangen werden" 81 ). Also auch mit seinen Kollegen war er nicht zufrieden. Nur ein außerordentlicher Professor Schmidt, "ein sehr tüchtiger geistreicher und selbständiger junger Mann" fand Gnade vor seinen Augen. Zwei Jahre später, am 6. Dezember 1835, sprach er sogar über die Haltung des derzeitigen Rektors sein Mißfallen aus: "Der jetzige Rector, der noch dazu unser Nachbar ist, bietet in seinen Privatverhältnissen die ärgerlichsten und die ganze Stadt erfüllenden Skandalosa dar. Die Schimpfereien in seinem Hause hatten am letzten Sonntag Morgen einen großen Auflauf auf der Straße herbeigeführt. Und ein solcher Gesell ist unser Haupt und soll Zucht und Ehrbarkeit unter unserer Jugend handhaben" 82 ).

Seine Vorlesungen betrafen nach den Lektionskatalogen neuere Geschichte, Literaturgeschichte und Privatissima über neuere Sprachen. Einzelne Vorlesungen fanden eine für die damaligen Zeiten sehr große Teilnahme, so die über die Geschichte der Reformation. Bei anderen haperte es. Im Sommer 1835 schreibt er: "Wenn ich Ihnen seither von meinen Vorlesungen nichts geschrieben habe, so hat das seinen sehr guten Grund darin, daß ich keine zu Stande gebracht habe. Vier Stunden Englisch mit 3 bis 4 Scholaren, eigentlich privatissime, nur daß nichts dafür bezahlt wird, sind kaum zu rechnen." Er hatte Geschichte Europas vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Westfälischen Frieden und Geschichte der Poesie der romanischen Völker angekündigt, jedoch kein Zuhörer wollte sich finden. Überhaupt brachte er weder im Wintersemester 1834/35 noch im Sommersemester 1835 eine


80) Elvers, S. 35.
81) Ebd. S. 35.
82) Ebd. S. 39.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 39 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

historische oder literarhistorische Vorlesung zustande, mit Ausnahme des Zwangskollegs über mecklenburgische Geschichte. Er fand immerhin ein Gutes darin, daß der "alberne Brod- oder Honorar- oder Zuhörerneid, wie er z. B. in Göttingen blühte," wegfiel. Aber es ist doch Verzweiflung darin, wenn er ausruft: "Keine Zuhörer haben, ist die Regel, und es gilt, als sei es so in der Ordnung" 83 ). Und in dem schon erwähnten Briefe vom 6. Dezember 1835 heißt es: "Daß ich nur ein englisches Collegium zu vier Stunden wöchentlich zu Stande gebracht habe, kann mich um so weniger befremden, da die nothwendigen Brotfächer theils gar nicht, theils nur mit sieben bis zehn Zuhörern zu Stande kamen. Das ist um so trauriger, als die Zahl der Studenten zugenommen hat und über hundert beträgt" 84 ). Nur der junge Philosoph Schmidt erfreute sich eines größeren Zulaufs. Er konnte einen Kreis von einigen 30 Jüngern um sich scharen, "und das philophirt kreuz und quer."

Im übrigen drückte Huber die Enge der Verhältnisse. Die aus Stiftungsmitteln verfügbaren Summen konnten selbstverständlich nicht allen von den Professoren erhobenen Forderungen genügen. So war die Bibliothek nicht groß und konnte Huber, der für seine Studien ausländischer Literatur bedurfte, nicht genügen. Diesem Umstande verdankt der im Folgenden abgedruckte Brief an Professor Wilhelm Grimm in Göttingen vom 15. Mai 1833 seine Entstehung. Huber kannte Jakob und Wilhelm Grimm von seiner Göttinger Studienzeit her und schätzte sie hoch. Als sie 1837 zu den berühmten "Göttinger Sieben" gehörten, die die Universität verlassen mußten, hatte Huber das größte Verständnis für ihre Haltung und bemühte sich bei gelegentlichem Aufenthalte in Berlin vergeblich, für sie eine neue Anstellung zu finden. In einem Briefe aus Berlin vom 13. April 1838 heißt es u. a.: "Ternite hatte die Courage, mit Müffling über die Grimms zu sprechen und ihn an mich zu verweisen ... , ich habe mich begnügen müssen, ihm eine lange Epistel zu schreiben. Mit Böckh habe ich auch darüber gesprochen; aber der hat wenig Muth, und wie gesagt, ich hoffe für Grimms gar nichts - um so weniger, da Jacob Grimm auch etwas über die Göttinger Angelegenheit schreiben wird 85 ). Später urteilte Huber merkwürdig scharf über die beiden berühmten Brüder. Am 26. Februar 1840 schreibt er:


83) Elvers, S. 37.
84) Ebd. S. 38.
85) Ebd. S. 76.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 40 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Grimms sind doch gar zu einseitig und in mancher Hinsicht, möchte ich sagen, beschränkt, ohne damit eigentlich einen Tadel aussprechen zu wollen. Im Gegentheil hat es in Verbindung mit so vielem Bedeutenden und Guten etwas Ehrwürdiges und Rührendes. So ist z. B. ihre politische Einseitigkeit geradezu Unschuld, besonders bei Jacob, der wirklich in der kindlichsten Unschuld die tollsten liberalen Deraisonnements vorbringen kann, die eigentlich in ihrer wahren Bedeutung und in ihrem Zusammenhange ganz gegen seine Natur und Meinung sein würden. Schade ist es, daß er doch vom Christenthum keine Ader hat, - und seltsam, daß er eigentlich auch keinen rechten Sinn für Poesie hat, selbst nicht für den poetischen Werth der Dinge, mit denen er sich sein Leben lang beschäftigt hat, - jedoch mit Ausnahmen. Nach anderen Dingen frägt er gar nichts - höchstens etwa nach Shakespeare. Wilhelm ist viel empfänglicher, vielseitiger. Aber dennoch Eins in's Andere sind sie und die Frau doch eben gar liebe Leute und wahrhaft anhänglich an die, welche sich in dieser Zeit bewährt haben" 86 ). Mit Wilhelm Grimm blieb Huber auch in dauernder Beziehung, und außer den beiden im Folgenden mitgeteilten Briefen aus den Rostocker Jahren, sind noch andere unveröffentlichte vorhanden.

Rostock, 15. 5. 33 87 ).

Geehrter Herr und Freund.

Sie haben auf eine frühere Anfrage so gütig geantwortet, daß ich es wage, mich auch jetzt noch einmal an Sie zu wenden, um so mehr, da diesmal eher eine Ihnen selbst werthe Sache, als ich, in Betracht kömmt. Aus Respekt vor Ihrer Zeit gehe ich sogleich zur Sache. Ich lese Geschichte der Litteratur, wobei ich unsrer ältern deutschen Poesie nach bestem Vermögen ihren gebührenden Platz zu geben suche - beiläufig gesagt, handelt es sich dabei, wie Sie leicht denken werden, um das discendo discimus für mich, da ich zwar einige der Hauptgedichte aus der Zeit schon lange einzeln kenne und liebe, aber noch nie Gelegenheit hatte, mir den historischen Zusammenhang usw. deutlich zu machen. - Bei diesem Bemühen nun steht mir der klägliche Mangel auch an den nothwendigsten Hülfsmitteln auf hiesiger Bibliothek im Wege, da sich nie Jemand für die Sache inter-


86) Elvers, S. 100.
87) Original in der Preuß. Staatsbibliothek zu Berlin.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 41 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

essirt hat. Ich habe nun zwar über eine geringe Summe jährlich zu verfügen, die ich z. Theil diesem Zweige zuwenden werde; da dies aber immer nur sehr wenig sein kann, so habe ich es erlangt, daß von dem sog. Completirungsfond etwa 40 Thaler auf einem Brett hergegeben werden, um einen Anfang zu machen. Je weniger das ist, desto mehr kömmt es drauf an, das Wichtigste auszusuchen, und da ich hierin keines Menschen Rath so hoch achte als den Ihrigen - meiner eigenen Weisheit gar nicht zu gedenken, so geht meine Bitte dahin, daß Sie mir nur auf einem Zettel, mit möglichstem Zeitverlust, die Werke aufzeichnen, die Sie in ähnlichem Falle, d. h. mit 40 Thl., und wo noch nichts vorhanden ist als das Nibelungenlied, anschaffen würden. Zunächst kommt es wohl darauf an, die Sachen selbst, die Gedichte, so weit sie herausgegeben sind, zu haben - d. h. die bedeutendsten. Fürchtete ich nicht, Ihre Geduld zu misbrauchen, so hätte ich freilich noch manches auf dem Herzen, z. B. meinen herzlichen Dank für die Deutsche Heldensage, die mich in meinem frühern Abscheu vor dem Moneschen historisch-mythologischen Unsinn so wohlthätig bestärkt hat.

Mit nochmaliger Entschuldigung und aufrichtiger Hochachtung

E. Wohlgeborn            
ergebenster        
V. A. Huber.    

Noch eine Frage: wo, wann und von wem ist das Lied von Gudrun herausgegeben?

Mittlerweile hatte Huber begonnen, sich mit dem Studium der mecklenburgischen Geschichte zu beschäftigen. In einem Briefe vom 15. Februar 1835 schreibt er: "Ich sitze jetzt mitten in den Quellensammlungen der deutschen und nordischen Geschichte. Mein nächster Zweck ist zwar mecklenburgische Geschichte", und einige Monate später, am 29. Juli: "Nachdem ich die mecklenburgische Geschichte einigermaßen bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts perlustrirt und eine Zeit lang gemeint habe, ich könnte die ältesten Zeiten, die slavica, deren Dunkelheit mir fast unüberwindlich schien, auf sich beruhen lassen, bin ich doch wieder darauf zurückgekommen" 88 ).


88) Elvers, a. a. O. S. 25, 26.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 42 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Im zweiten Jahre seines Rostocker Aufenthalts begründete er die Mecklenburgischen Blätter, einerseits in der Hoffnung, Einfluß auf das geistige Leben auszuüben, andererseits mit dem praktischen Nebenzweck, für die von ihm eröffnete Kleinkinderbewahranstalt einige Mittel zu gewinnen. Die Mecklenburgischen Blätter erschienen 1834 mit 14tägigen Zwischenräumen, Nr. 1 - 9; und 1835, Nr. 10 - 26; sie behandelten in gemeinfaßlicher Weise Geschichte, Literatur, Kunst, Völkerkunde und Politik, vornehmlich vom lokalen Gesichtspunkte aus 89 ). Das Vorwort forderte die Mitarbeiter zur Verwertung des reichen und mannigfaltigen Stoffes auf, den die Vergangenheit Mecklenburgs biete. Leider hatte die Zeitschrift kein langes Leben. Sie teilte das Schicksal einer vor Jahren unter dem gleichen Titel begonnenen periodischen Unternehmung, die es nur auf 12 Stücke in den Jahren 1817 und 1818 brachte und dann wieder einging. Pekuniär entwickelte sie sich nicht ungünstig, aber die Mitarbeiter stellten sich nicht in der erwarteten Menge ein, die Zensur machte Schwierigkeiten. So durfte Huber nicht die in Rostock im Volksunterricht herrschenden Zustände erörtern. Mißmutig bemerkt er in seinem Schlußwort, daß äußerer Zwang und ein Gefühl herzlichen Ekels ihm den Mund darüber verschlösse, welchen Schwierigkeiten und Hindernissen sein Unternehmen habe erliegen müssen.

Der Rechte der Universität nahm sich Huber mit lebhaftem Interesse an. Die Hochschule besaß eine große Selbständigkeit, insofern ihr Vermögen durch ihre eigenen Organe nach den Beschlüssen des Konzils verwaltet wurde. Es war jedoch eine den Universitäten ungünstige Zeit. Die Beschlüsse des Bundestages hatten die mecklenburgische Regierung veranlaßt, einen Regierungskommissar einzusetzen, dessen Ernennung störend empfunden wurde, weil er in den überkommenen Organismus nicht recht hineinpaßte. Infolge mehrfacher dadurch entstandener Reibungen entzog eine großherzogliche Verordnung vom 17. Juni 1834 der Universität die Verwaltung ihres Vermögens und unterstellte diese einer unter dem Vorsitz des Regierungsbevollmächtigten gebildeten besonderen Kommission. Wohl lehnten sich Rektor und Konzil hiergegen auf, indes ihre Eingabe vom 18. August 1834, an deren Ausarbeitung Huber einen wesentlichen Anteil hatte, blieb ohne Erfolg, und die


89) Fr. Bachmann, Die landeskundliche Literatur über die Großherzogtümer Mecklenburg. Güstrow 1889. S. 39.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 43 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Verstimmung nahm zu. Bei der üblichen Audienz, die der Großherzog Friedrich Franz I. in Doberan Rektor und Dekanen zu gewähren pflegte, trat sie in mißverständlicher Weise hervor. Der Großherzog rügte nämlich in seiner Ansprache, daß die Professoren nicht mehr Staatsbürger sein wollten, während in der Eingabe nur gestanden hatte, daß sie keine Staatsdiener seien, sondern Glieder einer selbständigen Korporation 90 ). Huber ließ damals (1834) im Verlage von Hoffmann & Campe eine Schrift unter dem Titel "Einige Zweifel und Bemerkungen gegen einige Ansichten über die teutschen Universitäten, deren Verfall und Reform" erscheinen, worin er namentlich auch den Beschränkungen der korporativen Selbständigkeit der Universitäten entgegentrat 91 ).

Mit dem damaligen Vizekanzler von Both, der sicher nur das Beste der Universität im Auge hatte, stand Huber durchaus freundschaftlich, aber gerade weil er sich nicht verhehlen mochte, daß auf Seiten der Universitäts-Verwaltung manches nicht in Ordnung gewesen war, ergriff ihn Ungeduld. Unmutig schrieb er am 15. Februar 1835: "Ich meines Orts gestehe, daß, da fortan nur von Convenienz, von Willkür und dem leidigen allgemeinen guten Willen Einzelner oder eines Einzelnen die Rede ist, mein Interesse für die Universität als solche todt ist. Wenn die Sache als Ganzes entschieden, das Spiel verloren ist, so scheint es mir kindisch und unwürdig, noch um untergeordneter Details willen zu krakehlen, Unrecht sogar, ein neues System, was man nicht mehr abwenden kann und was am Ende auch seine guten Seiten hat, wenn es sich normal entwickeln kann, durch hoffnungslosen Widerspruch zu stören oder zu erschweren" 92 ).

So zeigte sich Huber durchaus nicht als starrer Doktrinär, sondern nachgiebig und versöhnlich. Den Universitäten und ihrer geschichtlichen Entwicklung hat er Zeit seines Lebens sein Interesse bewahrt. Besonders hatten die Universitäten Englands es ihm angetan. Auf seinen früheren Reisen hatte er 1824 Oxford besucht, und die damals davongetragenen Eindrücke waren so lebhaft, daß er zehn Jahre später, 1834, in den Mecklenburgischen Blättern einen eingehenden Aufsatz "Blicke auf die englischen Universitäten" veröffentlichte 93 ).


90) Elvers, a. a. O. S. 33.
91) Ebd. S. 28.
92) Ebd. S. 34.
93) Ebd. S. 55.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 44 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Diesem Umstande verdankt der nachstehende Brief vom 4. Dezember 1835 an Professor Meier in Halle seine Entstehung. Moritz Hermann Eduard Meier 94 ) war 1819 in Halle Privatdozent geworden und im folgenden Jahre als außerordentlicher Professor der Altertumswissenschaft und klassischen Philologie nach Greifswald berufen. Nach dem Rücktritt des Hofrats Seidler eröffnete sich ihm in Halle das Ordinariat, und er siedelte 1825 dorthin zurück. Einer reichen literarischen Tätigkeit obliegend, war er seit 1828 Mitredakteur der "Allgemeinen Literaturzeitung" und bearbeitete seit 1830, zuerst in Gemeinschaft mit Kämtz, seit 1842 allein die dritte Sektion der Ersch- und Gruberschen Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Dabei hatte er sich offenbar nach Mitarbeitern umgesehen und war auf Huber wegen der englischen Universitäten geraten.

Rostock, 4. 11. 35 95 ).

Ew. Hochwohlgeborn

habe ich die Ehre auf deren geneigte Zuschrift vom 29. Okt. zu erwidern, daß ich zwar im Ganzen nicht abgeneigt bin, an der Bearbeitung der bezeichneten Abtheilung der Ersch-Gruberschen Encyclopädie Theil zu nehmen, auch den bezeichneten Artikel Oxford zu liefern. Indessen muß ich bemerken, daß ich zu einem Artikel der Art schwerlich Zeit finden würde, wohl aber für mehre - oder, wenn Sie wollen, daß es mir nicht der Mühe verlohnt um einer aus meinem Wege liegenden Arbeit der Art den Lauf meiner vorliegenden Arbeiten zu unterbrechen, während ich dagegen wohl meine Arbeitspläne für die nächste Zeit im Ganzen abändern könnte, um einer Reihe von so1chen Arbeiten Raum zu geben. Dabei käme es nun aber wieder ganz darauf an, welcher Art diese Artikel wären und ob ich Lust, Beruf und Mittel hätte, sie zu übernehmen. Darüber fehlen mir aber alle Data, und dürfte es am besten sein, Ew. Hochwohlgeborn theilten mir einige Artikel aus dem Gebiete der neuer Geschichte und Literatur mit, welche noch nicht vergeben sind, nebst Beifügung des einem jeden ungefähr zugestandenen Raums. Dann erst könnte ich bestimmt entscheiden, ob ich einige und welche passende für mich fände. Oxford würde dann zwar jedenfalls darunter sein kön-


94) 1796 - 1855. A. D. B. 21 S. 209.
95) Original auf der Preuß. Staatsbibliothek zu Berlin.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 45 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nen, doch muß ich bemerken, daß ich auch dazu erst einige Hülfsmittel von auswärts herbeizuschaffen suchen müßte - indem der Aufsatz, dessen Sie erwähnen, das Resultat früher gesammelter Notizen ist, deren Quellen mir hier fehlen und die zumal hinsichtlich der Geschichte keinesweges ausreichen. Dann müßte ich vor allen Dingen auch wissen, in wie weit bei dieser Gelegenheit das Englische Universitätswesen im Allgemeinen hineingezogen werden kann; bis auf einen gewissen Punkt ist es unumgänglich nöthig, um die Bedeutung einer einzelnen Universität wie Oxford deutlich zu machen. Schließlich muß ich noch dringend ersuchen, bei der Stellung der Termine von der Überzeugung auszugehen, daß ich das Versprochene zur rechten Zeit liefern werde und daß es nicht nöthig ist, mir einen kürzern Termin zu setzen, um es im längsten zu erhalten. Ich sage dies, weil es mir nahmentlich mit der jetzigen Verlagshandlung der Encyclopädie so gegangen ist, daß Artikel binnen 8 Wochen gefordert wurden, die am Ende erst binnen Jahr und Tag nöthig waren. Ich habe leider die altmodige Gewohnheit, in solchen Dingen gewissenhaft zu sein, und muß eben deshalb das bekannte: "Bange machen gilt nicht" für mich in Anspruch nehmen. Jedenfalls aber müßte ich auch von Ihrer Seite auf baldige Antwort dringen, damit ich wisse, woran ich bin und meine Anstalten, zunächst für Oxford treffen könne.

Ew. Hochwohlgeborn            
ergebenster        
V. A. Huber.    

Zur Ausführung der in diesem Briefe geäußerten Pläne ist es nicht gekommen. Der Aufsatz über Oxford ist allerdings bei Ersch und Gruber zu finden 96 ). Das Material, das Huber sammelte, wuchs ihm derart unter den Händen, daß er vorzog, es nicht in einzelnen Artikeln zu verkrümeln, sondern im Zusammenhange zu einem Buche zu verarbeiten. Am 23. November 1837 schrieb er an Professor Meier: "Hat man einen Gegenstand einmal angefaßt, so will er durchgearbeitet und ausgeführt werden. Ich habe nun noch einige fehlende Materialien gewonnen, und so kann es ein opusculum von 15 Bogen werden, welches die Sache für's erste absolvirt" 97 ).


96) Band 8 S. 146 ff.
97) Elvers, a. a. O. S. 56.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 46 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Es wurde jedoch mehr daraus. In den Jahren 1839 und 1840 erschien in zwei Bänden, 63 Bogen stark, das Buch "Die englischen Universitäten, eine Vorarbeit zur englischen Litteraturgeschichte." Dieses Buch fand große Anerkennung, wurde einige Jahre später, 1843, ins Englische übersetzt und verschaffte Huber rühmliches Ansehen 98 ). Damals war er indes schon lange nicht mehr in Rostock, sondern hatte seinen Weg über Marburg nach Berlin gemacht, wo er seit 1843 an der Universität wirkte.

Aber noch einen bemerkenswerten Brief von Huber aus seiner Rostocker Zeit können wir mitteilen. Das ist ein weiterer Brief an Wilhelm Grimm, vom 1. Dezember 1835, der Huber insofern besondere Ehre macht, als er sich darin für einen talentvollen jüngeren Kollegen, Hävernick, 99 ) verwandte. Dieser, am 29. Dezember 1811 zu Kröpelin in Mecklenburg, wo sein Vater Prediger war, geboren, war 1831 Lizentiat der Theologie und Doktor der Philosophie geworden und auf Empfehlung von Hengstenberg und Tholuck im folgenden Jahre nach Genf an die von der Société évangélique de Genève begründete Ecole de théologie berufen. Dort hatte er jedoch keinen rechten Boden gefunden. Er war in seine Heimat zurückgekehrt, wo er sich zu Michaelis 1834, unterstützt von der Erbgroßherzogin Auguste von Mecklenburg-Schwerin, in der Rostocker theologischen Fakultät habilitierte. Dieser Schritt war nicht ohne Bedenken von der Fakultät zugelassen worden, und Hävernick hatte einen schweren Stand.

Rostock, 1. 12. 35 100 ).

Wohlgeborner

Hochzuverehrender Herr Professor!

Indem ich mir erlaube, geehrter Herr, mich in einer etwas delikaten fremden Angelegenheit an Sie zu wenden, muß ich nicht blos überhaupt mein Vertrauen auf Ihre erprobte Nachsicht schärfen, sondern besonders auch bitten, daß aller Nachtheil, der aus einem solchen Schritt erwachsen dürfte, zumal in Ihrer guten Meinung, mich und nicht jenen dritten treffen möge, zu dessen Gunsten ich zu reden habe. In der


98) Elvers, a. a. O., S. 59. Den zweiten Teil seines Buches widmete Huber dem Kronprinzen von Preußen.
99) Heinrich Andreas Christoph H. (1811 - 1845). A. D. B. 11 S. 118.
100) Original auf der Preuß. Staatsbibliothek zu Berlin.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 47 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

That ist es die Hoffnung, daß jedenfalls diesem kein Nachtheil erwachsen könne, allein, welche mich bestimmt, mich an Sie zu wenden. Ob Sie in der Sache etwas thun können oder wollen, kann ich durchaus nicht mit Bestimmtheit angeben - jedenfalls, hoff ich, ist dabei nichts gewagt. Die Sache ist aber diese.

Wir haben hier seit etwa einem Jahr als Privatdocenten der theologischen Fakultät einen jungen sehr tüchtigen Mann, Lic. Hävernick, dem damals von einer sonst sehr einflußreichen Seite her sehr bestimmte Hoffnungen einer Anstellung und (wenn auch anfangs geringen) Besoldung gemacht wurde[n], wodurch er sich bewegen ließ, anderweitige, günstige Verhältnisse und Aussichten aufzugeben, und nach seinem Vaterland zurückzukehren. Jene Hoffnungen sind nun, und ich darf mit gutem Gewissen sagen, durch Umstände und Einflüsse, die ihm nur zur Ehre gereichen, zerstört worden, und er ist genöthigt sich anderweitig nach einer Stellung umzusehen, da er als bloser Privatdocent hier keine Aussicht hat, sich auch nur den nothdürftigsten Unterhalt zu erwerben. Daran ist nicht nur die geringe Anzahl der Studirenden Schuld, sondern eben auch jene Einflüsse, die seiner Beförderung im Wege stehen und die ich am kürzesten als "rationalistische und todtorthodoxkirchliche Feindschaft gegen das lebendige evangelische Christenthum" bezeichnen kann. Eine traurige, eckelhafte Mischung, welche zumal in der hiesigen theolog. Fakultät vorherrscht und das ganze Land seit so langen Jahren mit Todtengebeinen anfüllt, die man eben um jeden Preis vor dem Hauch eines neuen Lebens bewahren will, der von jüngern, auswärts gebildeten Männern ausgehen könnte. Nun hat mein Freund Hävernick erfahren, daß in Marburg eine theologische Professur erledigt ist, und zwar eine exegetische, welches grade sein Hauptfach ist. Sein dringender Wunsch wäre nun, unter irgend annehmbaren Bedingungen dort eine Anstellung zu finden. Er bat mich, deshalb an S. Excellenz den Herrn Minister von Hassenpflug zu schreiben, indem er irriger Weise glaubte, daß ich in einem solchen Verhältniß zu demselben stehe, wodurch dies ihm nützen könnte. Da ich eine solche Verwendung von meiner Seite als ganz unpassend und unbefugt ablehnen mußte, fiel mir ein, ob nicht vielleicht durch Sie bei Gelegenheit etwas zu Hävernicks Gunsten bei Ihrem Schwager geschehen könnte. Dies die Veranlassung meines Schreibens.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 48 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Hävernicks Ruf in der theologischen Welt kann für einen so jungen Mann gewiß ein sehr bedeutender genannt werden. Sein Commentar über das Buch Daniel (1832) ist von allen Seiten, sogar von Gegnern seiner religiösen Ansicht, anerkannt, auch schon ins Englische übersetzt worden. Auch seine zahlreichen Beiträge zu Tholucks litter. Anzeiger, sowie zu der Berl. Evangel. Kirchenzeitung sollen sehr gediegen sein. Binnen wenig Wochen wird von ihm eine Einleitung in das alte Testament erscheinen, welche er selbst für eine viel gereiftere Frucht hält und auf die er sich bes. berufen zu können glaubt. Inwieweit nun diese Leistungen Berücksichtigung in diesem Fall verdienen mögen, muß ich natürlich Andern zu entscheiden überlassen. Für den Charakter des Verf. aber, seinen aufrichtigen, lebendigen Eifer für sein Fach und für dessen höhere Bedeutung zumal - für die Sache des Christenthums kann ich das bestimmteste günstigste Zeugnis ablegen. Noch muß ich hinzusetzen, daß die Gefahren, welche wohl früher aus zu jugendlicher Schärfe und Heftigkeit entspringen konnten, durch die Milde und Besonnenheit, welche als Frucht früher Erfahrungen in einem frommen und kindlichen Gemüthe nicht ausbleiben konnten, völlig beseitigt worden sind. Wenigstens hat er hier unter sehr schwierigen Verhältnissen nie Anlaß zu einem irgend gegründeten Tadel gegeben. Ich halte es für meine Pflicht, dies hier bestimmt auszusprechen, da sein Nahme in den Halleschen Streitigkeiten vor einigen Jahren von Böswilligen auf eine Weise verflochten und genannt wurde, die ihm vielleicht auch jetzt noch schaden könnte, wenn sie von eben jener Seite wieder angeregt und aufgewärmt werden sollte.

Ob Sie nun, werther Herr, überall in solchen Angelegenheiten bei Ihrem Herrn Schwager Etwas zu wirken Lust oder Gelegenheit haben - ob Sie es hier können oder mögen würden - darüber bin ich, wie gesagt, ganz und gar im Dunkeln. Ich selbst kann mich nur durch meinen dringenden Wunsch entschuldigen, einem tüchtigen jungen Mann zu helfen und zugleich die Sache zu fördern, und durch meine Überzeugung, daß Sie jedenfalls einen solchen Beweggrund verstehen werden.

Daß der Umstand, daß es sich grade um Marburg handelt, bei mir eine eigne Bedeutung hat, kann ich nicht läugnen. Es ist nun grade ein Jahr, daß Ihr Herr Schwager mich mit einem Ruf dorthin erfreute und beehrte, den

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 49 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

anzunehmen so viele Gründe und Wünsche mich drängten, den ich aber aus andern Gründen, die mir überwiegend schienen, ablehnen zu müssen glaubte. Ob in Folge jener Verhandlungen, die bei mir ein bleibendes Gefühl der Achtung und des Vertrauens gegen Ihren Herrn Schwager begründet haben, mein Nahme einen guten oder irgend einen Klang bei ihm behalten hat, und ob und wie er zu Gunsten H.'s genannt werden kann, muß ich lediglich Ihrem gütigen Ermessen anheimstellen. Leider haben die seit einem Jahr in den Verhältnissen der Universität eingetretenen Veränderungen aller Art mir oft Gelegenheit gegeben zu bereuen, daß ich jenen Ruf nicht annahm. Damals war noch die Möglichkeit vorhanden, daß Alles sich günstig entscheiden konnte, was seitdem gegen uns entschieden worden ist; eben jene Möglichkeit aber machte es mir zur Pflicht, hier zu bleiben, bis die Entscheidung eingetreten. Doch das ist vorbei, und ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie damit belästige. Jedenfalls kann ich es nun Hävernick oder jedem meiner Collegen um so weniger verdenken, wenn er sich nach einer andern Stellung umsieht, und ihm gönne ich am liebsten, was ich damals verscherzte. Doch Basta und rebasta.

Mit herzlichster Achtung ergebenst
der Ihrige     
V. A. Huber.

Ihrem Herrn Bruder bitte ich mich bestens zu empfehlen.

Einige Tage nachdem dieser Brief an Wilhelm Grimm abgegangen war, schrieb Huber seinem Schwiegervater (6. Dezbr.): "Dem theologischen Privatdocenten Hävernick, einem Mecklenburger, von dem wir ein neues Leben in dem Todtengebein der theologischen Facultät erwarteten und dem bei seiner Hierherkunft unter der Hand die bestimmtesten Zusicherungen eines wenigstens nothdürftigen Gehalts gemacht waren, ist sein auf diese Zusicherungen begründetes Gesuch schnöde abgeschlagen worden, und er muß sich nun nach einer Stellung in Preußen umsehen. Sein neuestes im Druck befindliches Werk, Einleitung zu den Büchern des Alten Testaments, soll überaus tüchtig sein 101 ).

Indes Hubers Bemühungen, den ihm befreundeten Hävernick in Marburg unterzubringen, scheiterten. Aber er hatte


101) Elvers, a. a. O. S. 38, 39.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 50 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die Freude, daß der von ihm Hochgeschätzte 1837, also schon nach dem Abgange Hubers aus Rostock, zum außerordentlichen Professor der Theologie und zum Prediger an der Klosterkirche ernannt wurde. Auch ehrte ihn die Universität Erlangen, indem sie ihn zum Doktor der Theologie promovierte. Es gelang ihm aber nicht, in der Heimat festen Fuß zu fassen. 1841 ging er als ordentlicher Professor der Theologie nach Königsberg. Auch dort hat er keinen leichten Stand gehabt und ist jung gestorben, in Neustrelitz, wohin er sich nach einer Operation zum Besuch von Verwandten begeben hatte 102 ). Mit Konrad v. Hofmann, dem angesehenen Mitgliede der Rostocker theologischen Fakultät, war er, einst mit ihm befreundet, in Konflikt geraten, weil er dessen grundlegendem Werke "Weissagung und Erfüllung" mit einer "wahren Wut" entgegengetreten war 103 ). Jedenfalls, wie immer man heute über Hävernick, der in der Schule Hengstenbergs groß geworden war, denken mag, hat Huber sich für keinen Unwürdigen eingesetzt.

Hubers weitere Schicksale können hier nicht verfolgt werden. Er siedelte im Herbste 1837 nach Marburg und von dort 1843 nach Berlin über. 1852 gab er seine Lehrtätigkeit auf und wählte Wernigerode zu seinem Wohnsitz, wo er eine fruchtbringende Tätigkeit zugunsten des Genossenschaftswesens ausübte. Er ist 1869 gestorben.

3.

Johann Christian Konrad von Hofmann (1810 - 1877).

Konrad von Hofmann ist als Sohn kleiner Gewerbsleute in Nürnberg geboren und unter kärglichen Verhältnissen aufgewachsen. Dennoch wurde ihm der Besuch eines Gymnasiums ermöglicht, und er konnte auch 1827 die Universität Erlangen aufsuchen, wo er Theologie und Geschichte studierte. Zwei Jahre später wurde er in Berlin im gräflich v. Bülow-Dennewitzschen Hause Lehrer und setzte gleichzeitig seine Studien fort. Hengstenberg und Schleiermacher befriedigten ihn nicht, während Ranke auf ihn einen tiefgreifenden Einfluß ausübte, so daß er beschloß, sich ganz dem Studium der Geschichte hin-


102) A. D. B. a. a. O.
103) Charlotte Schmid, Briefe von J. Chr. K. v. Hofmann an Heinrich Schmid, 1910, S. 77.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 51 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

zugeben. Immerhin unterzog er sich nach beendetem Studium 1832 der Prüfung für die Kandidaten des Predigtamts in Ansbach und übernahm den Unterricht in Religion, Geschichte und hebräischer Sprache am Gymnasium in Erlangen. Drei Jahre darauf promovierte er in der philosophischen Fakultät und wurde Repetent der Theologie. Im Jahre 1838 habilitierte er sich in Erlangen bei der theologischen Fakultät, nachdem er zwei wertvolle Geschichtswerke veröffentlicht hatte, darunter ein Lehrbuch der Weltgeschichte für Gymnasien, das zwar eine zweite Auflage 1842 erlebte, aber sich nicht dauernd im Gebrauche hielt. Nunmehr galt sein Denken und Sinnen wieder der Theologie, auf deren Gebiete er ein grundlegendes Buch: "Weissagung und Erfüllung" schuf. Er wurde zum außerordentlichen Professor für die exegetische Theologie ernannt, und 1842 als Ordinarius dieses Fachs nach Rostock berufen 104 ). Hier hat er sechs Semester lang eine sehr fruchtbringende Wirksamkeit entfaltet, verließ jedoch die ihm liebgewordene Universität im Winter 1845, um eine Professur an der Hochschule seines Heimatlandes, Erlangen, zu übernehmen, wo er in hochangesehener Stellung bis an sein Lebensende tätig geblieben ist, auch politisch wirksam als Abgeordneter des Wahlkreises Erlangen-Fürth. Als Deputierter der Universität nahm er an den Generalsynoden von 1873 und 1877 teil.

Aus seiner Rostocker Zeit haben sich Briefe erhalten, die er an seinen Freund und späteren Kollegen in Erlangen, Heinrich Schmid 105 ), gerichtet hat. Sie sind zusammen mit seinen anderen Briefen an denselben Freund von Charlotte Schmid herausgegeben worden 106 ).

Im Ganzen liegen 28 Briefe aus Rostock vor, von denen einige, an verschiedenen Tagen geschrieben, doch zusammen abgegangen sind. Auf das Jahr 1842 entfallen 4, auf 1843 9, auf 1844 5, auf 1845 10 Schreiben. Ob die Herausgeberin sämtliche Briefe veröffentlicht oder nur eine Auswahl getroffen hat, bemerkt sie nicht. Der erste Brief ist vom 12. Oktober 1842 datiert, der letzte vom 6. September 1845; die meisten sind recht ausführlich, wenn auch mit mehr oder weniger langen Zwischenräumen verfaßt.


104) A. D. B. 12 S. 631.
105) A. D. B. 54 S. 83, 1811 - 1885.
106) Briefe von J. Chr. K. v. Hofmann an Heinr. Schmid. Leipzig 1910.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 52 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Der Empfänger dieser Briefe, Heinrich Schmid, ein Jahr jünger als Hofmann, hat diesen zehn Jahre überlebt. Beide sind miteinander in herzlicher Freundschaft verbunden gewesen, was die Länge der Briefe und die umfangreichen Mitteilungen über Rostock erklärlich macht. Schmid, verheiratet mit einer Tochter des Erlanger Professors Henke 107 ), ein Schwager des Göttinger Professors der Physiologie Rudolf Wagner 108 ), war gleich Hofmann seit 1837 Repetent bei der theologischen Fakultät in Erlangen und habilitierte sich 1846 als Privatdozent, nach dem eine Aussicht, als Prediger in Nördlingen, wo seine verwitwete Mutter wohnte, angestellt zu werden, sich zerschlagen hatte. Vermutlich ist es dem Einfluß Hofmanns mit zuzuschreiben, daß Schmid 1848 außerordentlicher und 1852 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte wurde.

In den ersten Tagen des Oktobers 1842 kamen Hofmanns in Rostock an und konnten bald im Dunkhorstschen Hause eine Wohnung beziehen. Sie war schön, groß und bequem, "eine angenehme Wohnung, wo es nur gestern Abend des starken Sturmes von der See wegen etwas unangenehm rauchte" 109 ). Die Hauswirte waren entgegenkommend und liebenswürdig; sie standen dem jungen Paar "mit Rat und Tat ebenso erfahren und klug wie dienstfertig zur Seite", besorgten Torf und Kartoffeln und alles andere Nötige oder nötig Scheinende. Hofmann fühlte sich in seiner Wohnung recht behaglich, saß, seine "Bücher im Rücken, an einem Tische, der eigentlich vor ein Sopha und die darüber hängende Schule von Athen gehört, der aber einstweilen mein in passiver Arbeit begriffenes Stehpult vertreten muß. Meinem Fenster gegenüber ein schönes altes Giebelhaus, ein Teil der Rückseite des alten Rathauses, dessen Thürmchen über jenes herüberlugen."

Auch die Stadt selbst sagte ihm zu. Ich möchte dir, schreibt er dem Freunde, "alles zeigen, die schöne Stadt in ihrer unverwischten Altertümlichkeit und hanseatischen Ernsthaftigkeit, den Blücherplatz mit dem Marschall Vorwärts, dessen Befehlswort die Universität ihm gegenüber schon zu verstehen scheint, indem sie an ihrer unansehnlichen Seite ein stattliches Gebäude für ihre Sammlungen aufrichtet."

Ebenso wohl ward ihm zu Mute beim Hinblick auf die Menschen, die er kennenlernte, und die Freunde, die er all-


107) Christ. Heinr. Adolf H. (1775 - 1843), A. D. B. 11 S. 751.
108) Rudolf W. (1805 - 1864), A. D. B. 40 S. 573.
109) Brief vom 12. Oktober 1842. Ch. Schmid S. 9.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 53 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mählich erwarb. Schon am 12. Oktober 1842, als er wenig länger als eine Woche in Rostock lebte, sprach er von den "vielen wackeren Männern und guten Christen" samt ihren Frauen, denen er schon begegnet war. Röper, Professor der Botanik 110 ) und zur Zeit Rektor, sowie Krabbe "der herzlich gute Mann, aber nicht recht starkknochige Theologe", hatten die Ankommenden am Eilwagen empfangen, "obschon es nach 9 Uhr abends und häßliches Regenwetter war". Senator Passow überwies ihnen, ohne daß sie erst darum baten, aus der Stadtwaldung, die ihm unterstand, gutes Holz, mehr als sie glaubten für den Winter brauchen zu müssen. Weniger sagten Hofmann die fremdbürtigen Herren Kollegen zu, unter denen er den "einen und den anderen E .. l" bereits glaubte bemerkt zu haben. Besonders fiel ihm "das leidige Geschlecht der königlichen Sachsen" auf die Nerven, "welches in den drei freien Hansestädten sich eingenistet hat und an Ablegern nicht fehlen ließ, die an dem Marke der Universität saugen und nichts hervorbringen als Totenäpfel." Außer Krabbe 111 ), von dem sich trennen zu müssen, ihm später den größten Schmerz bereitete ("Wenn Du wüßtest", schreibt er am 27. Juni 1845, "was es mich kostet, mich von meinem theuren Krabbe loszureißen, den ich von meinem Scheiden vielfältig schwer betroffen sehe im persönlichen Verhältnisse wie im öffentlichen und amtlichen Leben") wurde namentlich Kliefoth 112 ) sein treuer Freund. Kliefoth war damals Pastor zu Ludwigslust. Hofmann lernte ihn am 1. Mai 1843 kennen, als er mit ihm und dem Superintendenten Vermehren in Güstrow die neue Prüfungsordnung für das Tentamen der Theologen zu entwerfen hatte. Er kam ihm schnell nahe, wie er in einem Briefe vom 21. Mai ausführt. "Er ist meines Alters, ein Jahr älter, klein wie ich, eingefallenes Gesicht, dem man viel innerliche und äußerliche Arbeit anmerkt; bestimmt und klar wie ein Geschäftsmann, umfassenden, freien Blicks als Mann der Wissenschaft, ohne Anmaßung, aber seiner bedeutsamen Stellung sich bewußt." Vorher hatte er dem Freunde mitgeteilt: "Das hiesige Urteil über diesen Mann ist schwankend. Daß er geistvoll und kräftig und fürs Kirchenregiment sehr befähigt ist, rühmen alle, dagegen erheben sich auch Bedenken über seine wissen-


110) Johannes August Christian R. (1801 - 85), A. D. B. 29 S. 149.
111) Otto Carsten K. (1805 - 73), seit 1840 Ordinarius der theologischen Fakultät und Universitätsprediger, A. D. B. 17 S. 2 bis 3.
112) Theodor Friedrich Dethlof K. (1810 - 95), A. D. B. 51 S. 218.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 54 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schaftliche Richtung und über seine Neigung zu herrschen, welche mit gesundem und ernstem Glauben sich nicht vertragen 113 ).

Weniger gut vermochte er sich mit Julius Wiggers zu verständigen, der seit 1837 Privatdozent an der Universität war. Ein Sohn des verdienstvollen Rostocker Professors der Theologie Gustav Friedrich Wiggers 114 ), hatte er im September 1842 den ersten Band seiner "Kirchlichen Statistik oder Darstellung der gesamten christlichen Kirche nach ihrem gegenwärtigen inneren und äußeren Zustande" 115 ) erscheinen lassen, dem im Oktober des nächsten Jahres der zweite, das Werk abschließende Band folgte. Offenbar daraufhin hatte er sich nach Hofmann 116 ) Aussicht gemacht, an Fritsches Stelle von der Fakultät in Vorschlag gebracht zu werden. Das aber hatte Krabbe aus sachlichen Gründen zu verhindern gewußt. Wiggers rächte sich dadurch, daß er "eine giftige Schrift" gegen Krabbe veröffentlichte. Krabbe erwiderte, und Wiggers ließ ein zweites Wort über rein biblischen und kirchlichen Supernaturalismus ausgehen, das gerade in den Tagen, als Krabbes Frau starb, an die Öffentlichkeit trat. Hofmann fühlte sich bewogen, in den Streit einzugreifen. "Um so mehr", schrieb er am 1. April 1843 117 ), "mußte ich es für meine Pflicht hatten, dem Menschen eine verdiente Züchtigung zukommen zu lassen, damit Krabbe den zweiten Wisch wenigstens in den ersten Tagen seines Leides auch nicht einmal zu lesen veranlaßt wäre. Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, wenn Wiggers sich zum zweiten Male vernehmen lassen würde, ihm zu zeigen, was er für einen Beruf habe, die kirchliche Wissenschaft zu vertreten. Das habe ich denn auch gethan: am Freitag bekam ich den Wisch, am Montag war meine Gegenschrift fertig, am Mittwoch las ich sie einem consessus vor, der aus Karsten, Hegel, Röper und Strempel 118 ) bestand, und den nächsten


113) Brief vom 18. Januar 1843. Ch. Schmid S. 19.
114) 1777 - 1860. Seit 1808 Inhaber einer rätlichen, seit 1810 einer herzoglichen Theologie-Professur, viermal Rektor, seit 1858 Oberkonsistorialrat. A. D. B. 42 S. 464. Er war seit 1823 Senior der theologischen Fakultät, seit 1845 des gesamten Professorenkollegiums.
115) Hamb. u. Gotha, Friedr. u. Andreas Perthes.
116) Ch. Schmid S. 10.
117) Ebd. S. 28.
118) Joh. Karl Friedr. St. (1800 - 72); seit 1826 Professor der Chirurgie in Rostock. A. D. B. 36 S. 573.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 55 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Dienstag wurde sie ausgegeben ... In Stadt und Land hat sie ihre Wirkung gethan. Kliefoth ließ mir sagen, über derselben habe sich ihm das Alpdrücken, welches er bei dem Streite gehabt, in Heiterkeit verwandelt. Wiggers hat natürlich etwas erwidert, aber so inhaltsleer, unkräftig und langweilig, daß der Streit damit glücklich zu Ende gebracht ist, und das wollte ich nur. Und so reut mich die Zeit nicht, welche ich daran gewendet, ob Du Dir gleich denken kannst, daß ich sie mir schwer abmüßigte."

Julius Wiggers stellt in seinen Erinnerungen "Aus meinem Leben" 119 ) diese Polemik etwas anders dar. Er scheint es für seine Pflicht gehalten zu haben, für seinen Vater einzutreten, der bei den Verhandlungen über die Besetzung der durch den Tod Anton Theodor Hartmanns 120 ) erledigten Professur für die Auslegung des Alten Testaments wohl nicht gut abgeschnitten hatte. Damals kam es zu einem wenig erfreulichen Konflikt zwischen der theologischen und der medizinischen Fakultät, von der ein Mitglied sich zu häßlichen Äußerungen über die theologischen Kollegen hinreißen ließ. Die Angelegenheit endete mit der Berufung Krabbes, dem das Mitdirektorium des von Wiggers geleitetem homiletisch-katechetischen Seminars und die Leitung von dessen homiletischer Abteilung übertragen wurde. Julius Wiggers glaubte nun, da ihm das Antrittsprogramm, das nach damaliger Gepflogenheit von Krabbe veröffentlicht wurde, nicht zusagte, den Anlaß zu einer Auseinandersetzung zwischen der freieren und "einer unter der Herrschaft des Buchstabens stehenden" Richtung gefunden zu haben. Wiggers war mit dem Erfolge seiner Streitschriften, die Hofmann despektierlich abtut, nicht unzufrieden, aber ehrlich genug, um aus einem Briefe eines ihm befreundeten mecklenburgischen Pastors, den er selbst als gelehrt und einsichtsvoll anerkannte, eine Stelle mitzuteilen, die beweist, daß er keineswegs Ursache hatte, auf den begonnenen Streit stolz zu sein. Der nicht genannte Freund, der zugab, daß Wiggers sich bemüht habe, die persönliche Leidenschaft zu unterdrücken, schreibt: "Es gelingt Dir nicht; jeder


119) Leipzig 1901.
120) 1774 - 1838, seit 1811 ordentlicher Professor der Theologie in Rostock, verdient außer um die Kritik des Alten Testaments auch um die Erforschung der morgenländischen Sprachen. Seine Auffassung des Judentums und dessen staatsbürgerlicher Stellung verwickelte ihn in eine heftige Polemik mit dem jüdischen Prediger Gotth. Salomon in Hamburg. A. D. B. 10 S. 680.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 56 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

muß merken, daß Du nicht bloß Deines Gegners theologische Richtung besiegen, sondern daß Du auch Deinen Gegner persönlich vernichten willst. Jeder wird, glaube ich, sagen müssen, daß Du in denselben Fehler gefallen bist, den Du an Deinem Gegner tadelst."

Der Freund, der das Manuskript gelesen hatte, meinte auch, "daß kein Nutzen für die Kirche daraus erwachsen" werde. Auch Wiggers' Vater verhehlte seine Bedenken nicht, trat indes der Entscheidungsfreiheit des Sohnes nicht entgegen. Hofmanns Schrift, die nach Wiggers bei den Freunden und früheren Kollegen des Verfassers in Erlangen sicherem Vernehmen nach durch die Art, wie er seine Aufgabe gelöst hatte, Anstoß erregt haben sollte, rief die Entgegnung hervor, die Hofmann in dem Briefe vom 1. April erwähnt 121 ). Aber wenn man heute, nach bald hundert Jahren, über den unerquicklichen Streit urteilen darf, so hat offenbar Hofmann das Richtige getroffen, wenn er es auch im Tone versehen haben mag 122 ). Heute lächelt man über diese Meinungsverschiedenheiten, die einige Jahre vorher, bei der Berufung Krabbes, zu einer Versiegelung der Konzilsakten und ihrer Aufbewahrung im Universitätsarchiv geführt hatten.

Am 2. November 1842 wurde Hofmann in das Konzil eingeführt, zusammen mit dem Juristen Thöl 123 ). Da der derzeitige Rektor Joh. Röper, "ein braver, christlicher Mann" war, ging diese Formalität "nicht unerquicklich" vor sich. Hofmann sprach sich unumwunden über das aus, was er für seine Verpflichtung von Gottes und Rechts wegen hielt. In der Fakultät verlief die Begrüßung, die erst am 22. November 1842 erfolgte, nicht so glücklich. Der Dekan sah die Einführung als etwas Ungebräuchliches und Formelles an, sagte in seiner Ansprache, daß es mit den Geschäften der Fakultät so gut wie gar nichts auf sich habe, daß er überzeugt sei, Hofmann werde allezeit kollegialisch handeln, und überreichte ihm den Schlüssel zu den Missive-Mappen, in denen die Fakultätsangelegenheiten verschlossen zur Abstimmung herumgetragen zu werden pflegten. In seiner Antwort schlug Hofmann die Geschäfte der Fakultät etwas höher an und "gab der erwar-


121) Gedruckt bei J. M. Oeberg, Rostock, unter Zensur des Vizekanzlers Dr. v. Both.
122) Vgl. J. Wiggers, Aus meinem Leben S. 71 - 77.
123) Heinrich T. (1807 - 1884), von 1842 - 1849 Ordinarius der Juristenfakultät in Rostock, später in Göttingen. A. D. B. 38 S. 47.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 57 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

teten Kollegialität die nach Vorgängen, wie Krabbe sie erlebt hat, notwendige Restriction. Das Protokoll wurde diktiert und vorgelesen, die Kollegen beglückwünschten mich, und so war der Aktus von nicht ganz 10 Minuten zu Ende" 124 ). Am 3. November 1842 begann Hofmann seine Vorlesungen mit einem Publikum über alttestamentliche Geschichte vor drei Zuhörern. "An die richtete ich meine Darlegung des theologischen Bestrebens, welchem ich mich an hiesiger Universität zu widmen gedächte, und der Bedeutung, welche mir die biblische Geschichte in der theologischen Wissenschaft hätte. Du kannst Dir denken, daß sich mein Auge erst gar nicht gewöhnen wollte, auf diesen drei Häuptern zu ruhen" 125 ). Später kamen noch zwei Zuhörer dazu. In den Exegeticis, die er ebenfalls mit drei Studenten anfing, stieg die Zahl allmählich gleichfalls auf fünf, und zu den Interpretationsübungen fanden sich sogar sechs ein. Es war keine für die Hochschule sehr günstige Zeit, in der Hofmann in Rostock erschien. Die Gesamtzahl der in der theologischen Fakultät immatrikulierten Studenten belief sich auf 22, von denen, wenn nicht alle, so doch die Mehrzahl "wegen der Stipendien und des Convikts wegen" gekommen waren. Ausländer verirrten sich, wie Hofmann bemerkt, kaum nach Rostock, weil das Leben hier kostspieliger war als anderswo und "viel weniger als irgendwo zu haben war."

In einem anderen Briefe 126 ) spricht er von einem Studenten aus Hamburg, den er scherzhaft als Mitglied der "theologischen Fremdenlegion" bezeichnet.

Unter diesen Umständen erfüllte seine Lehrtätigkeit ihn nicht mit großer Freude. "Der Gedanke an meine Vorlesungen" schrieb er am 18. Januar 1843 127 ), "hat mich dieser Tage fast unmutig machen wollen. Ist es nicht arg, daß ich meine wenigen Zuhörer nur in der neutestamentlichen Exegese regelmäßig beisammen, in den beiden alttestamentlichen Vorlesungen dagegen immer nur die Hälfte vor mir habe? Ich habe schon oft vor zweien gelesen, wenn der dritte fleißige gerade krank war." Hofmann verlor gleichwohl den Mut nicht. Er sagte sich selbst, daß nur langsam die Liebe zur Kenntnis des alten Testaments in den Studenten erwachen werde. Er ver-


124) Brief vom 29. November 1842, Ch. Schmid, S. 11.
125) Ch. Schmid a. a. O. S. 11 und 12.
126) Ebd. S. 20, Brief vom 18. Januar 1843.
127) Ebd. S. 18.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 58 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

traute auf die Hilfe des Herrn und war entschlossen auszuharren. Zu einem in jeder Woche von ihm veranstalteten Konversatorium kamen nicht nur alle Teilnehmer regelmäßig, sondern es offenbarte sich ein ernstes und lebendiges Interesse, sodaß ihm immer wieder neuer Mut für die Vorlesungen erwuchs. Mit der Zeit nahm seine Tätigkeit einen mehr und mehr befriedigenden Verlauf. Schon im Dezember 1842 konnte er eine Vermehrung der Zahl seiner Zuhörer melden 128 ), er hatte ihrer fünf für den Römerbrief, fünf für den Jesaias, sechs für die alttestamentliche Geschichte und sieben für das Konversatorium. Im Februar des neuen Jahres 129 ) erklärte er sich mit dem Besuch der alttestamentlichen Vorlesungen zufriedener. "Es fehlen mir jetzt nur ein Saufaus und ein Jenenser." Seine Auffassung der alttestamentlichen Geschichte schien ihm Bahn gebrochen zu haben, und er erlebte die Freude, daß einmal drei, ein anderes Mal vier Studenten ihn abends aufsuchten, um mit ihm die Grundsätze seiner Darstellung zu erörtern. Doch war ihm im Hinblick auf das kommende Semester bange ums Herz, da drei seiner Zuhörer zu Ostern 1843 nach Berlin zu gehen beabsichtigten.

Seine Besorgnis erwies sich jedoch als unbegründet, denn er konnte im Sommersemester 1843, am 21. Mai 130 ), mitteilen: "Den zweiten Teil des Jesaias lese ich vor sieben, die Korintherbriefe, um welche ich dringend angegangen worden, für elf, aber neutestamentliche Geschichte nur für zwei, da diejenigen, welche die alttestamentliche gehört haben, fast alle nach Berlin gegangen sind". Somit hatte er Ursache, zufrieden zu sein, und wollte die exegetischen Konversatorien in der nächsten Woche von neuem beginnen.

Sehr bemerkenswert ist ein Vergleich, den er in einem Briefe vom 1. April 1843 zwischen den Studenten der Theologie in Erlangen und in Rostock zieht 131 ). Die Erlanger hätten mehr positive Kenntnisse und mehr theologische Anregung voraus, die Rostocker dagegen mehr Unbefangenheit; beides liege an der Beschaffenheit der sie bildenden Umgebung. "Es war freilich nicht sonderlich tröstlich und ermunternd für mich, wenn ich in meinen alttestamentlichen Vorlesungen regelmäßig nur drei und erst in den letzten acht Wochen vier Zuhörer vor


128) Ch. Schmid, a. a. O. S. 13.
129) Ebd. S. 23.
130) Ebd. S. 37.
131) Ebd. S. 24 und 25.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 59 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mir sah, aber nachdem ich in der Konversation die Schwäche der Vorkenntnis wahrgenommen, mit welcher sie für das Studium des Jesaias versehen waren, so mußte ich mich vielmehr wundern, daß so viele mit Fleiß und Sorgfalt Vorlesungen beigewohnt hatten, welche ihnen eine ganz unverhältnismäßige Mühe machen mußten. Denn bloß zu hören und nachzuschreiben, durften sie sich nicht genug sein lassen, da sie bei Bewerbung um Konvikt oder Stipendien bereit sein müssen, eine Prüfung über das Gehörte zu bestehen. Da nun bis jetzt bei den theologischen Kandidatenprüfungen das Hebräische sehr leicht genommen wurde, so war desto mehr Versuchung vorhanden, sich einer Vorlesung über den Jesaias zu entschlagen und sich etwa mit Hahns Psalmenerklärungen zu begnügen." Trotzdem ließ sein Eifer keinen Augenblick nach. Als er im Herbst 1843 zum 100jährigen Jubiläum der Universität Erlangen fahren sollte, machte er sich Gedanken, wie sich die Reise mit seinen Vorlesungen vertragen werde. In Rostock begannen die Somnmerferien damals am 24. Juli, und am 24. August fingen die Vorlesungen wieder an. Da er bis dahin nicht zurück sein konnte, beabsichtigte er, bis zum 31. Juli zu lesen 132 ).

Weniger vermochte sich seine Frau mit dem geringen akademischen Wirkungskreis abzufinden. Sie sprach "abgesehen davon, daß er ihr wenige Thaler bringt" fleißig "von neuer Auswanderung" 133 ). Sie sehnte sich somit nach einem finanziell ergiebigeren Platze. Auch ihm war selbstverständlich die geringe Zuhörerzahl nicht gleichgültig, aber er blieb ruhig in der Gewißheit, für jetzt am Orte seines Berufes zu sein. "Und das hat mir der Herr von jeher als eine besondere Gunst gewährt, daß ich über den gegenwärtigen Augenblick nicht viel hinausdenke." Es kamen denn auch bessere Zeiten. Am 2. Mai 1844 begann er um sieben Uhr Morgens seine Vorlesungen, mit denen es sich günstiger anließ als im vorhergehenden Semester. Im Winter hatten sich einige Studenten, "die sogenannten Rationalisten" zusammengetan, um Julius Wiggers zu einer Zuhörerschaft zu verhelfen. Das hatte zweifellos die Hofmannschen Vorlesungen beeinträchtigt. Doch hatte Wiggers seine Getreuen nicht zu fesseln vermocht, daher war im Sommersemester keine neue Agitation zu seinen Gunsten unternommen worden. So konnte Hofmann am 18. Mai 1844


132) Ch. Schmid, S. 40, Brief vom 24. Juni 1843.
133) Ebd. S. 52, Brief vom 14. Oktober 1843.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 60 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

melden: "Ich lese über ausgewählte Psalmen sechsstündig, über den Brief an die Hebräer sechsstündig, über alttestamentliche Geschichte vierstündig, über den dogmatischen Gebrauch der heiligen Schrift, eine erbetene Fortsetzung, dreistündig, also in der Woche 19 Stunden. In der ersten Vorlesung habe ich 12, in der zweiten sechs, in der dritten 11, in der vierten vier Zuhörer. Von des Morgens 7 Uhr bis des Abends 9 Uhr habe ich angestrengtest zu arbeiten, die Essensstunde 1 bis 2 Uhr ausgenommen" 134 ).

Auch im Wintersemester 1844/45 konnte Hofmann sich der gleichen Erfolge rühmen. Am 5. November 1844 begann er die Vorlesungen die "verhältnismäßig gut besucht sind, die über das Evangelium Johannes von neun, die über Jesaias 1 - 35 von elf Zuhörern. Auch ein exegetisches Konversatorium ist wieder im Gang, zu welchem sich ihrer 14 eingestellt haben, sodaß ich es in zwei teilen mußte" 135 ). Und das alles erreichte der unermüdliche Professor, obwohl die Zahl der Theologie-Studierenden nicht stieg. Die günstigen Ergebnisse hatte er somit nur seiner Emsigkeit, seinem Fleiß und seiner glücklichen Beredsamkeit zu danken. Für die Hochschule hat dieser Pflichteifer jüngerer Männer den größten Nutzen gehabt. So wie Hofmann die Zustände in den vierziger Jahren darstellt, waren sie auch in den achtziger Jahren. Damals zählte die Juristenfakultät oft nicht mehr als 25 Studenten, und die Professoren mußten ihre Vorlesungen vor wenigen halten. Bedingt es auch der Charakter der Universität, daß diese jungen Gelehrten, die später angesehene oder gar berühmte Vertreter ihrer Fächer wurden, nach einigen Jahren die Stätte, wo sie zu wirken angefangen hatten, wieder verließen, - ihre Hingabe an das ihnen anvertraute Lehramt hat für das Land und die Ausbildung künftiger Beamten, Lehrer, Pastoren die größten Vorteile gehabt. Hofmanns Erfolg hielt bis zum letzten Tage seiner kurzen Rostocker Zeit an, und als der Ruf nach Erlangen an ihn herantrat, war er durchaus nicht ohne weiteres geneigt, die ihm lieb gewordene Hochschule wieder zu verlassen. "Ich habe meinen Beruf, einen recht vollen und freudigen Beruf hier gefunden, Arbeit in Fülle und glückliches Gedeihen derselben." "Warum soll ich Mecklenburg und Rostock verlassen? Du wirst meinen Brief erhalten haben, in welchem ich


134) Ch. Schmid, S. 65, Exaudi 1844.
135) Ebd. S. 75, 16. November 1844.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 61 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

meine Freude ausspreche, in einem Lande zu leben, wo nicht nur keine Feindseligkeiten gegen unsere Kirche, sondern auch keine Torheiten aus ihrer Mitte zu fürchten sind" 136 ). Er verglich die gute materielle Lage in Rostock, wo er doch nicht mehr als 1300 Taler im ganzen bezog, aber günstige Pensionsbedingungen für eine etwaige Witwe vorhanden waren, mit der beschränkteren Einnahme und geringeren Witwenpension in Erlangen 137 ). Doch solche Abwägung des Vorteilhafteren gaben bei einem so vornehm denkenden Manne wie Hofmann nicht den Ausschlag. Hatte ihn in Rostock das Gefühl beseelt, daß er dort stehe, wohin ihn Gottes Wille gestellt habe, so sagte er sich auch wieder im Juni 1845, "daß nun Gottes Wille sei, ins Vaterland zurückzukehren" 138 ). Diese Überzeugung ersparte ihm freilich die inneren Kämpfe nicht, sodaß er mit sich und anderen ringen mußte.

Zu seiner akademischen Tätigkeit gehörte die zweckmäßigere Ordnung des Prüfungswesens. Als Hofmann nach Rostock kam, fand er einen "wahrhaft erschreckenden Überfluß von Kandidaten" vor 139 ). Er rührte daher, daß jeder Superintendent diejenigen, die sich bei ihm meldeten, examinierte und "so leicht keiner durchfiel." Hofmann hat es als seine Pflicht angesehen, hierin Wandel zu schaffen. Er machte sich alsbald an die Aufstellung einer neuen amtlichen Prüfungsordnung, deren Grundzüge, soviel ich weiß, bis auf den heutigen Tag nicht angetastet sind. Im April 1843 wurden er und Krabbe zu Mitgliedern einer Prüfungskommission ernannt, die den Auftrag erhielt, eine Examensordnung auszuarbeiten. Der Güstrower Superintendent Vermehren und Pastor Kliefoth in Ludwigslust wurden ebenfalls berufen. Hofmann nahm an der Regelung des ersten Examens (pro licentia concionandi) teil, Krabbe an der des zweiten (pro munere). Die Sitzungen sollten unter dem Vorsitz des Superintendenten stattfinden, "Ranges und Standes halber" 140 ). Am 1. Mai 1843 reiste Hofmann nach Güstrow, wo Kliefoth schon eingetroffen war.

"Unsere Arbeit währte am Dienstag (d. h. den 2ten Mai) von 10 bis 2 und von 6 - 9 Uhr, am Mittwoch von 9 - 1/24 Uhr. Kliefoth führte das Protokoll und kam uns, namentlich mir,


136) Ch. Schmid, S. 87, 7. April 1845.
137) Ebd. S. 88.
138) Ebd. S. 93.
139) Ebd. S. 12.
140) Ebd. S. 26.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 62 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mit seiner Geschäftskenntnis sehr zustatten, denn der Superintendent wußte so recht nicht, was an der bisherigen Prüfungsordnung anders werden sollte; ich wußte es wohl, hätte es aber ohne Kliefoth unmöglich in Gesetzesform bringen können, denn sowie wir sie faßten, sollte sie als Gesetz bekannt gemacht werden" 141 ). Auch eine Geschäftsordnung mußten die Herren ausarbeiten. Die Einzelheiten der neuen Ordnung wären hier nicht am Platze. Es bestand die Absicht, daß das Rigorosum, "welches bis jetzt immer zuerst bei der Bewerbung um eine Stelle zu bestehen war und für welches auch eine neue feste Ordnung" eintrat, unter der Legion alter Kandidaten ausräumte. Die von selbst Zurücktretenden oder Durchfallenden sollten dann in der Zivilverwaltung untergebracht werden. Auch sollte mit dem Grundsatz gebrochen werden, daß die Kandidaten, falls sie nicht Patronatspfarren bekamen, zuvor sich als Rektoren oder Kollaboratoren an den Schulen der kleineren Städte betätigt haben mußten. Endlich wünschte der Großherzog die Versetzung von einer Pfarre zur anderen wegen deren besserer Dotierung vermieden zu sehen und stellte daher in Aussicht, die geringer dotierten Pfarren aufzubessern. Mit Kliefoth verstand sich Hofmann ausgezeichnet. "Auch die Stunden, wo wir von dieser Arbeit ruhten, verflossen Kliefoth und mir nicht unnütz: ich trug ihm Wünsche vor, die er vertreten soll, er teilte mir Pläne der Regierung mit" 142 ). Auch mit dem Kanzleirat von Wick, einem Freunde Hävernicks, einem trefflichen, liebenswürdigen Menschen, tüchtig gebildeten Gelehrten und innig frommen Christen, war er in jenen Tagen viel zusammen.

Eine wesentliche Rolle hat Hofmann in den Angelegenheiten der Mission gespielt. Ausführlich kann darauf hier nicht eingegangen werden. Nur einige Hauptpunkte mögen hervorgehoben sein. Als er in Rostock eintraf, bestand hier ein Missionsverein, mit dem der streng lutherische Landrat von Maltzahn nicht völlig einverstanden war. Er hatte, wie Hofmann am 12. Oktober 1842 dem Freunde mitteilt, gehofft. daß der Neuberufene zu dem Verein in einen gewissen Gegensatz treten werde. Dazu konnte sich jedoch Hofmann nicht verstehen: "Zu schwach sind hier noch die Anfänge christlichen Lebens, hier und in Hamburg, als daß man ihren Fortgang


141) Ch. Schmid, S. 31 ff.
142) Ebd. S. 33.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 63 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

durch Handlungen stören dürfte, welche eine starke Grundlage geförderter Erkenntnis zur Voraussetzung haben. Und was ist es mit dem Dresdner Institut? Dazu habe ich mich in der Überzeugung bestärkt durch das, was ich hier und in Hamburg habe äußern hören, daß eine ganz andere Gestaltung der Missionstätigkeit als die mit Seminarien jetziger Art behaftete nicht gar zu lange wird auf sich warten lassen. Ich harre ihr verlangend entgegen" 143 ). War er zunächst zurückhaltend, so drängte man ihn und kam damit einem schon in ihm rege gewordenen Wunsch entgegen, "sobald als möglich Vorlesungen über Mission und Missionsgeschichte zu halten. Die einen sollen für Studenten allein, die anderen für ein größeres Publikum sein" 144 ). Es trieb ihn dazu, die Missionsfrage zur Sache der theologischen Fakultät zu machen, und da Krabbe die Initiative nicht ergreifen wollte, hielt er es für seine Pflicht einzuspringen, um so mehr, "als michs drängt und sticht, dem schlechten Institutwesen, soviel ich kann, sein Ende zu bereiten. Ich habe es schon Wyneken für Nordamerikas lutherische Gemeinden, ich habe es Birkenstock in Hamburg für die Heidenwelt zugesagt, ich habe es in meinem Herzen dem Herrn gelobt, dahin zu wirken, daß Theologen ausgehen zu predigen, wo ER ihrer bedarf, und nicht in elendem Stundenlaufen und Hofmeistern ein Gespötte der Welt und des Teufels werden. Ein lutherisches Missionsseminar ist nun vollends so gut wie ein Faustschlag ins Angesicht des Doktor Martinus" 145 ). Hofmann schloß sich dem norddeutschen Missionsverein an, weil er einen lutherischen Missionseifer, der "aus einem lutherischen Kirchenleibe" stammte, in Rostock nicht vorhanden glaubte. Er hielt sich an Pastor Willebrand und Professor Karsten in Rostock, von denen er eine Wiederbelebung der lutherischen Landeskirche Mecklenburgs allein erwartete. Von solchen Männern hoffte er, wenn über kurz oder lang der Missionsverein Norddeutschlands gesprengt werde, daß sie Neues im Lande schaffen könnten. Karsten beabsichtigte, in einer Missionsbeilage seines Mecklenburger Kirchen- und Schulblatts in diesem Sinne zu wirken. Gegen Ende des Jahres 1842 entstand dann in Ludwigslust ein zweiter Missionsverein, dem der Großherzog beitrat. Das Verdienst dieser Gründung gebührte


143) Ch. Schmid, S. 10.
144) Ebd. S. 13, Brief vom 7. Dezember 1842.
145) Ebd. S. 13 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 64 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kliefoth. Hofmann war es durchaus nicht gleichgültig, ob den Heiden das Evangelium im lutherischen oder calvinischen Sinne gelehrt wurde, und er beabsichtigte, sobald das Seminar in Hamburg mit reformierten Lehrern besetzt würde, sich von ihm loszusagen 146 ). Ihm widerstrebte namentlich, Handwerkern auf mechanische Weise die Mittel zur Heidenbekehrung und zur Bildung von Christengemeinden in der Heidenwelt beizubringen. Er meinte, daß die lutherische Kirche nur lutherische Theologen aussenden dürfe 147 ). Es kam dann aber doch zu keiner Trennung, obwohl Brauer, der Inspektor des Hamburger Missionshauses, und Pastor Rautenberg aus Hamburg sich auf einer Versammlung in Rostock im Mai 1843 anfangs barsch und wegwerfend gebärdeten, während Mallet aus Bremen auf einer späteren Versammlung in Hamburg "dem falschen Kirchengeiste, wie er sich bei den holländischen Reformierten und den preußischen Lutheranern zeige", entschieden entgegentrat 148 ). Das Interesse für die Heidenmission blieb immer stark; es wurde fleißig gesammelt, und 1843 war die Einnahme doppelt so groß wie im Jahre vorher. Im Juni 1844 fand eine Versammlung der norddeutschen Missionsgesellschaft statt, zu der der Rostocker Verein mehrere Anträge gestellt hatte. Man wünschte, die Missionsschule eingehen zu lassen, zu Predigern künftig nur Studierte zu nehmen und die anderen im Wichernschen Gehilfeninstitute vorzubilden. Brauer sollte als beständiger Sekretär der Gesellschaft mit der Leitung der eigentlichen Missionstätigkeit betraut werden 149 ).

Die Früchte dieser Bestrebungen hat Hofmann nicht mehr geerntet, denn im nächsten Jahre verließ er die Stätte seiner segensreichen Wirksamkeit. Aber er hatte noch die Freude, daß ein mecklenburgischer christlicher Edelmann dem Rostocker Komitee ein ihm für die Förderung mecklenburgischer Missionstätigkeit vor Jahren übergebenes Kapital von 1000 Talern, das auf 1200 angewachsen war, zur Unterstützung solcher, die sich zum Missionsdienste ausbilden wollten, unter der einzigen Bedingung überließ, daß der Verein unter der Richtschnur der Augsburgischen Konfession bliebe. Einige andere


146) Ch. Schmid, S. 21.
147) Ebd. S. 23.
148) Ebd. S. 42. Friedrich Ludwig M. (1792 - 1865), seit 1827 Prediger an S. Stephani in Bremen. A. D. B. 20 S. 170.
149) Ebd. S. 63, 68.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 65 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Edelleute erboten sich, für Theologiestudierende, die sich dem Missionsdienste widmen wollten, zwei Stipendien, jedes zu 75 Talern jährlich, zu stiften 150 ).

Sehr verdienstlich war auch die Mitwirkung Hofmanns bei der Gründung des Vereins für innere Mission, die im Oktober 1843 vor sich ging. Der Großherzog übernahm das Protektorat, Präses wurde der Minister von Lützow, den eigentlichen Vorsitz im Generalkomitee führte Karsten, Hofmann wurde Sekretär, Senator Passow Schatzmeister 151 ). An diesen Verein schlossen sich im Laufe der Zeit Rettungsanstalten für die verwahrloste Jugend, ferner ein Unternehmen, um die im Winter müßig gehenden Matrosen nicht der Torheit und Rohheit anheimfallen zu lassen, und manches andere an, bei dem Hofmann seine unermüdliche Hand im Spiele hatte. Auch das Mecklenburgische Kirchenblatt, das für wissenschaftlich gebildete Leser bestimmt war, wurde unter seiner Mitwirkung umgestaltet. Es sollte künftig die Lebensfragen und Lebenserscheinungen der gegenwärtigen, vornehmlich der mecklenburgischen Kirche besprechen, die ersteren in einer zum voraus festgestellten Folge von Aufsätzen, die letzteren mit besonderer Rücksicht auf die beiden Missionstätigkeiten. Krabbe lieferte eine Abhandlung über das Wesen der Offenbarung, Karsten eine rügende Beurteilung der seit einigen Jahren im Lande geltenden Synodalordnung 152 ). Im Sommer 1844 konnte ein Grundstück zur Errichtung eines Rettungshauses nach Wichernschem Vorbild gekauft werden. Darauf entwickelte sich die segensreiche Anstalt von Gehlsdorf, die Anfang April 1845 bezogen wurde. Die ganze Einrichtung des Hauses "ist durch freiwillige Gaben Rostocks und seiner Umgebung zusammengekommen. Von Garten und Ackerland umgeben, liegt es reizend an der Warnow, diesen Strom samt der Stadt weithin überschauend" 153 ).

So zeigt sich, von allen Seiten betrachtet, die Wirksamkeit Hofmanns in Rostock als anregend und höchst verdienstlich. Daß es ihm selbst leid tat, die mecklenburgische Hochschule so schnell wieder zu verlassen, wurde schon hervorgehoben. Es war schwer, eine ihn ersetzende Persönlichkeit zu finden. Hofmann lag daran, bei den Vorschlägen für die Wahl seines


150) Ch. Schmid, S. 69.
151) Ebd. S. 47.
152) Ebd. S. 57.
153) Ebd. S. 69, 92.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 66 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Nachfolgers mitzuwirken. Er hoffte im Juli 1845, das Ministerium werde die Weisung an die Fakultät, Vorschläge für die Wiederbesetzung der Professur zu machen, noch vor den Sommerferien ergehen lassen. Gleichwohl verzögerte sich die Weisung, und Hofmann konnte nicht mehr tun, als mit Krabbe zusammen eine Liste aufstellen. Auf ihr standen die Namen Baumgarten, Delitzsch, Thiersch, Wieseler, Huther, Dietrich. Hofmann und Krabbe waren am meisten für Baumgarten, bis Erkundigungen dessen nur mittelmäßige Dozentengabe feststellten. Man mußte einsehen, "daß zu viel gegen ihn spreche und noch mehr ohnehin gegen ihn vorgebracht und benützt werden" würde 154 ). So einigte man sich auf Heinrich Thiersch 155 ), den die Zeitungen als Nachfolger von Harleß in Erlangen genannt hatten. Hofmann meinte, das Konzil, das die Vorschläge der Fakultät zu begutachten und weiterzugeben hatte, werde "gleich beifallen", wenn auch ihm selbst um diesen Nachfolger "nicht recht wohl zu Sinne" war, so lieb er ihn habe. Thiersch kam indessen nicht nach Rostock, sondern statt seiner wurde Franz Julius Delitzsch 156 ) 1846 zum ordentlichen Professor für das alte Testament berufen. Auch er siedelte wenige Jahre darauf nach Erlangen über, wo er, neben dem ihm geistesverwandten Hofmann lehrend, gleichwohl die diesem eigenartige Geschichtsauffassung und Dogmatik ablehnte 157 ).

Vignette

154) Ch. Schmid, a. a. O. S. 96 f. Baumgarten wurde später, 1850, der Nachfolger Delitzschs. Vergl. H. H. Studt, Michael Baumgarten, 1891, 1, S. 87.
155) A. D. B. 38 S. 17.
156) A. D. B. 47, S. 651.
157) Ebd.