zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 1 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

I.

Hermann Stannius
und die Universität Rostock
1837-1854

von

Wilhelm Stieda.

Vignette
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 2 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 3 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

I m Oktober 1837 wurde Hermann Stannius aus Hamburg, damals Assistent am Friedrichstädtischen Krankenhause in Berlin, an die Universität Rostock berufen. Hier hat er als ordentlicher Professor der vergleichenden Anatomie, Physiologie und allgemeinen Pathologie im Verein namentlich mit Karl Friedrich Strempel 1 ) glänzend gewirkt und dazu beigetragen, den Ruf der medizinischen Fakultät insbesondere, sowie der Hochschule überhaupt, zu steigern. Leider setzte eine unheilbare Erkrankung der bedeutsamen akademischen und wissenschaftlichen Tätigkeit des hochbegabten Forschers und Lehrers vorzeitig ein Ende. Aus seiner guten Zeit von 1836-1854 haben sich 29 Briefe an den hervorragenden Fachgenossen Rudolf Wagner, zuerst in Erlangen, dann in Göttingen, erhalten. Sie verdienten, soweit ich den fachwissenschaftlichen Inhalt beurteilen kann, wohl vollständig veröffentlicht zu werden, wozu freilich an dieser Stelle kein Platz wäre. Es sind jedoch in den Briefen Ausführungen über die Universität, an der er zu lehren ausersehen war, enthalten, die gewiß weitere Kreise fesseln können. Sie sollen nachstehend, entweder im Wortlaute des Briefschreibers, oder seiner Erzählung folgend, mitgeteilt werden.

Friedrich Hermann Stannius wurde am 15. März 1808 in Hamburg geboren. Seine Eltern waren der in Neu Gattersleben bei Magdeburg 1777 geborene Kaufmann Johann Wilhelm Julius Stannius, der 1798 nach Hamburg kam, und Johanna Flügge, die 1782 in Hamburg geboren war. Die Großeltern Stannius' waren der spätere preußische Plantagen-Inspektor Friedrich August Stannius zu Tapiau bei Königsberg i. Pr. und dessen Ehefrau Magdalene Juliane, geb. Benecke. Die Eltern der Mutter Stannius' waren Hermann Flügge und Maria Dorothea, geb. Peters, wie es scheint, ebenfalls dem kaufmännischen Berufe angehörig.


1) Joh. K. F. Strempel, 1800-1872, geboren zu Bössow bei Grevesmühlen, gest. in Ludwigslust. Blanck-Wilhelmi, Die Mecklenburgischen Ärzte, 1901, Nr. 481. Willgeroth, Die Mecklenburgischen Ärzte, 1929, S. 252. Allgemeine Deutsche Biographie (später A.D.B. zitiert) 36, S. 573.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 4 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Der Vater Johann Wilhelm starb früh, am 13. November 1813, und hinterließ Frau und Kinder in nicht eben befriedigenden Umständen. Frau Johanna Stannius eröffnete im Jahre 1826 in Hamburg eine Mädchenschule, an der ihre damals 15jährige Tochter Marie Sophie ihr wacker half, auch Musikunterricht erteilte. Bei dem großen Brande von 1842 brannte die Schule ab. Frau Stannius nahm dann den Unterricht in einem Hause außerhalb der Stadt vor dem Tor wieder auf, wohin die meisten Schülerinnen folgten. Die Konzession wurde später, von allen 5 Hauptpastoren unterschrieben, auf die Tochter Sophie übertragen, die eine Zeitlang die Schule fortsetzte, aber schließlich aufgab. Mutter und Tochter fanden dann jedoch in den unterdessen zu guten Stellungen gekommenen Söhnen und Brüdern eine Stütze, so daß sie einen sorgenfreien Lebensabend hatten. Frau Johanna starb am 18. August 1862; das Todesjahr von Fräulein Sophie ist unbekannt 1a ).

Die Eltern Stannius' hatten 5 Kinder, außer dem Professor noch zwei Söhne und zwei Töchter. Eine Tochter Johanna starb 12jährig, ein Sohn im zartesten Kindesalter. Ein am 28. Februar 1810 in Hamburg geborener Sohn Wilhelm wurde Kaufmann, erwarb 1864 in Hamburg das Bürgerrecht, nachdem er längere Zeit im Auslande (Frankreich?) gelebt hatte, und starb in Stuttgart am 25. September 1870. Er namentlich war in der Lage, für Mutter und Schwester sorgen zu können.

Hermann besuchte die Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg und wurde am 1. Mai 1825 in die Matrikel des dortigen akademischen Gymnasiums als Student der Medizin eingetragen. Seit 1828 studierte er in Heidelberg und Breslau und wurde an der letzteren Universität am 26. November 1831 zum Dr. med. promoviert. Darauf wurde er am Friedrichstädtischen Krankenhause in Berlin Assistent und übte gleichzeitig die medizinische Praxis in der Stadt. Aus dieser Zeit hat sich ein liebevoller Brief der Mutter Stannius erhalten, der das Ansehen bezeugt, das Hermann Stannius bereits in jungen Jahren genoß. Die Mutter berichtet ihrem Sohne (im Mai 1837), daß ihr Gartennachbar Pastor Noodt ihr eine Stunde lang von ihm erzählt habe. Der Gewährsmann hob hervor, daß unter allen Gelehrten, die Hamburg ins Preußische abgegeben habe, Hermann Stannius obenan stehe und in


1a) Gef. Mitteilung des Staatsarchivs in Hamburg.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 5 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Berlin allgemeine Achtung genieße. Auch der Buchhändler Enslin in Berlin habe nur Günstiges über ihn erzählt. "In Hamburg," fügte die Mutter mit berechtigtem Stolze hinzu, "ist nur eine Stimme, wenn von Dir die Rede ist. Du seist sowohl als Gelehrter als als Mensch und praktischer Arzt ein höchst schätzenswerter Mann." Mag bei dieser Beurteilung auch Mutterliebe mit im Spiele sein, Stannius' Bedeutung trat doch früh hervor. In Berlin war er trotz seiner Jugend ein beliebter Arzt, der in einem Jahre 1600 Taler an Honoraren verdienen konnte, und seine wissenschaftlichen Publikationen zeugten von ungewöhnlicher Begabung und Schaffenskraft. Schon in Breslau gab er 1832 mit Schummel "Beiträge zur Entomologie" heraus, und in Berlin erschien 1837 der erste Teil eines Lehrbuches der Allgemeinen Pathologie, das er freilich nicht fortgesetzt hat. Diese und andere wissenschaftliche Leistungen verschafften ihm die Professur in Rostock 2 ).

In Rostock war am 19. Januar 1837 der als Arzt und medizinischer Gelehrter zu großer Bedeutung gekommene Professor Samuel Gottlieb von Vogel 3 ) in hohem Alter, beinahe 87 Jahre alt, an der Grippe gestorben. Seit 1789 ordentlicher Professor der Medizin, hatte er als herzoglicher Leibarzt und als Förderer des Seebades von Heiligendamm-Doberan sich um seine zweite Heimat - er stammte aus Erfurt - die größten Verdienste erworben. Nun galt es, so vielseitig und allumfassend seine Tätigkeit gewesen war, an der Universität, die in bezug auf naturwissenschaftliche und medizinische Studienanstalten sehr wenig entwickelt war, Spezialforscher für die einzelnen Gebiete des Medizinstudiums zu berufen. Der erste Professor, der in dieser Richtung gewonnen wurde, war Stannius.

Unter den Vorgeschlagenen befand sich auch der Name von Rudolf Wagner 4 ), der damals Ordinarius in Erlangen war. Indes lagen diesem die Vorlesungen, die er in Rostock hätte auf sich nehmen müssen, fern, und er hatte bei einem ihm


2) Blanck-Wilhelmi, a. a. O., Nr. 557. Willgeroth, a. a. O., S. 256. - A.D.B. 35, S.446.
3) 1750-1837. A.D.B. 40, S. 124. - Heinrich Rohlfs, Deutsches Archiv f. Gesch. d. Medizin u. med. Geographie. - Blanck-Wilhelmi, Nr. 261. Willgeroth, S. 246.
4) 1805-1864; seit 1829 in Erlangen Privatdozent, 1833 a.o. Professor d. Zoologie daselbst, 1840 o. Professor der Physiologie in Göttingen. A.D.B. 40, S. 573.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 6 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

vollkommen zusagenden Wirkungskreis eine äußerlich günstige Stellung, so daß sich kaum erwarten ließ, er werde die verhältnismäßig größere Universität mit einer kleineren vertauschen wollen. In diesen Erwägungen lag der Grund, daß Stannius am 23. März 1837 an Rudolf Wagner schrieb und ihn bat für den wahrscheinlichen Fall, daß er selbst einem Rufe nach Rostock zu folgen keine Neigung haben würde, seine Wahl zu fördern. Die Rostocker Vorschlagsliste war einem Berliner Professor unterbreitet worden, der sich über alle Genannten mit Ausnahme von Rudolf Wagner ungünstig geäußert, dafür aber Hermann Stannius in Vorschlag gebracht hatte. "Wieviel mir daran gelegen ist," schrieb dieser an Wagner, "endlich einmal in eine ruhige Situation zu kommen, in der es mir möglich wird, wissenschaftliche Arbeiten vorzunehmen und fortzusetzen, kann ich Ihnen nicht beschreiben; muß man sich aber den ganzen Tag der Praxis wegen in den Straßen des weiten Berlin herumtummeln, so ist abends Lust und Kraft zur Arbeit vergangen. Sie werden daher leicht begreifen, mit welcher gespannten Erwartung ich einem Schreiben von Ihnen, verehrter Herr Professor, entgegensehe, da ich entschlossen bin, allen fremden und eignen Schritten völlig Einhalt zu thun, im Falle Sie ernstlich auf jene Stelle reflectiren."

Auch Karl Theodor von Siebold 5 ), damals als Gynäkolog in Danzig tätig, hatte sich auf die Professur in Rostock Hoffnung gemacht. Er war sogar nach einem Briefe von ihm an R. Wagner vom 6. Juli 1837 in Rostock empfohlen worden, nachdem Wagner den Ruf endgültig abgelehnt hatte. Siebold wäre gern nach Rostock gegangen, schon um aus seiner Tätigkeit, die ihm nicht viel Freude bereitete, nämlich der des praktischen Geburtshelfers, herauszukommen. "Wenn diese Rostocker Professur von der Art ist", schreibt er dem ein Jahr jüngeren Erlanger Kollegen, "daß ein Familienvater sorgenfrei davon leben kann, so würde ich mich freuen, sie ausfüllen zu dürfen, indem ich dann mehr Gelegenheit haben würde, meiner Wissenschaft in einem noch weiteren Umfange zu nützen, als ich es bisher konnte. Könnten Sie zur Erfüllung dieses meines größten Wunsches etwas beitragen, so würde ich mich gegen Ew. Wohlgeboren stets verpflichtet fühlen müssen." R. Wagner hat demnach kaum den Wunsch von Stannius erfüllt, ihn in


5) 1804-1885. A.D.B. 34, S. 186.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 7 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Rostock zu empfehlen. Unter den Brief hat er bemerkt: "Inwieweit kann man mit gutem Gewissen Jemand, den man nicht ganz genau kennt, zu einer solchen Stelle empfehlen?" Dennoch erhielt Stannius den Ruf, vermutlich infolge der warmen Empfehlung eines Mannes in Berlin, der ihn gut kannte und seine Wirksamkeit aus eigener Anschauung zu beurteilen vermochte. Siebold, der damals schon 33 Jahre alt war und den jüngeren Stannius sich vorgezogen sah, mag wohl über das Fehlschlagen seiner Hoffnungen im Innern bedrückt gewesen sein. Er ist jedoch im späteren Leben reich entschädigt worden, indem er als Nachfolger R. Wagners in Erlangen über Freiburg i. Br. 1853 nach München kam, wo er mehr als 30 Jahre wirken konnte, während sein einst glücklicherer Rivale 20 Jahre lang in todesähnlicher Erstarrung lebte.

Für Rostock war damals freilich die Berufung von Stannius ein großer Vorteil, denn die beiden Jahrzehnte, die er der Universität in ungeschwächter Kraft widmen konnte, gehören zu den bedeutsamsten in der Entwicklung der medizinischen Fakultät.

Im November 1837 war Stannius in Rostock eingerichtet, und vom 9. November 1838 ist ein Brief an R. Wagner datiert, der über seine Erfahrungen berichtet. Der Anfang war schwer für ihn. Er fand die Zustände anders, als er erwartet hatte. Der Kreis seiner Pflichtvorlesungen war umfangreich und die vorhandenen literarischen Hilfsmittel erwiesen sich als unzureichend. "Es fügte sich gleich bei meiner Berufung Manches anders, als ich es erwartet hatte. Während in den ersten Briefen, welche ich von hier aus in Berlin erhielt, von einer Wiederbesetzung der Vogelschen Stelle, wie sie bestand, die Rede war, wurde mir bei meiner offiziellen Berufung zur Pflicht gemacht, Physiologie, vergleichende Anatomie und allgemeine Pathologie nebst Encyclopädie und Geschichte der Medizin zu lesen. ... Fast alle diese Fächer waren früher wenig (Physiologie) oder gar nicht berücksichtigt worden. Nun fehlt es auch natürlich in betreff der literarischen Hülfsmittel und der Sammlungen am Nothwendigsten. Glücklicherweise wurden in den Versteigerungen der Bibliotheken von Vogel, Treviranus 6 ),


6) Gottfried Reinhold T. 1776-1837; seit 1797 Professor der Mathematik und Medizin an dem Gymnasium illustre in Bremen; A.D.B. 38, S. 588.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 8 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Hieronymi 7 ) vortreffliche Werke erstanden, die eine bedeutende Lücke ausfüllen. Anderes ward neu acquirirt. Zu einer vergleichenden pathologisch-anatomischen Sammlung ist der Grund gelegt und hoffentlich wird das Werk Unterstützung von seiten der Regierung und somit auch Förderung finden."

Die Medizinische Fakultät, in die Stannius eintrat, war klein und umfaßte im Sommersemester 1837 nur 4 Ordinariate: Johann Wilhelm Josephi 8 ) für Chirurgie und Geburtshilfe, Heinrich Spitta 9 ) für Therapie und Klinik, Carl Friedrich Strempel für Chirurgie und Augenheilkunde, Karl Friedrich Quittenbaum 10 ) für Anatomie und Chirurgie. Außerdem standen 6 Privatdozenten zur Verfügung, wohl alle gleichzeitig praktische Ärzte. In diesem Bestande blieb die Fakultät lange. Erst nach dem 1845 erfolgten Tode Josephis trat Christian Krauel 11 ) in die Fakultät ein und nach dem Abgange Quittenbaums im Sommersemester 1853 Carl Bergmann 12 ) als Anatom. Unter den Privatdozenten war die Verschiebung stärker. Im Sommersemester 1850 waren es ihrer 4: Johann Friedrich Wilhelm Lesenberg 13 ), Johann Schröder 14 ), August


7) Joh. Friedr. Heinz von H. 1767 1836; seit 1794 Leibarzt des Herzogs Carl in Neustrelitz; später Direktor des dort 1812 errichteten Medizinalkollegiums. Blanck-Wilhelmi, Nr. 308. Willgeroth, S. 178.
8) 1763-1845, geboren zu Braunschweig. Seit 1789 a.o. Professor und Prosektor. Am 30. März 1792 o. Professor. Blanck-Wilhelmi, Nr. 294. Willgeroth, S. 247. Gurlt-Hirsch, Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte, 3 (1886), S. 415.
9) Heinrich Helmerich Ludwig S., 1799-1860, Privatdozent in Göttingen, 1. Februar 1825 Professor der Medizin in Rostock. Blanck-Wilhelmi, Nr. 443. Willgeroth, S. 252.
10) 1793-1852, seit 11. Oktober 1821 Prosektor und a.o. Professor der Medizin in Rostock, 7. Februar 1831 o. Professor daselbst. Blanck-Wilhelmi, Nr. 438. Willgeroth, S. 251.
11) 1800-1854, geborener Rostocker, Sohn des dortigen praktischen Arztes, Privatdozent in Rostock, 9. Mai 1838 a.o. Professor, 21. April 1846 o. Professor. Blanck-Wilhelmi, Nr. 490. Willgeroth, S. 251.
12) Carl Georg Lucas Christian B., 1814-1865, Privatdozent in Göttingen, 1843 daselbst a.o. Professor, 2. Oktober 1852 als o. Professor nach Rostock berufen und 29. Oktober 1852 ins Konzil eingeführt. Blanck-Wilhelmi, Nr. 613. Willgeroth, S. 259.
13) 1802-1857, geboren in Ludwigslust, 1830 Privatdozent in Rostock, Stadtphysikus seit 8. Mai 1840. Blanck-Wilhelmi, Nr. 509. Willgeroth, S. 253.
14) Johannes Theodor Ludwig S., 1799-1878. Seit 1833 Privatdozent in Rostock; von 1835-1865 Arzt der Irrenheil- und Pflegeanstalt zu St. Katharinen daselbst. Blanck-Wilhelmi, Nr. 510. Willgeroth, S. 253.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 9 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kortüm 15 ) und August Strempel 16 ), zu welchen seit dem Wintersemester 1850/51 Ludwig Dragendorff 17 ) als Privatdozent für Geburtshilfe hinzukam.

Mit den Kollegen wußte sich Stannius gut zu stellen. Aus seiner Feder rührte die Gratulationsschrift der Medizinischen Fakultät zum 50jährigen Professorenjubilum von Johann Wilhelm Josephi im Jahre 1839 her.

Es war Stannius' eifrigstes Bestreben, seit er in Rostock war, in diesem Kreise älterer Kollegen, die Sammlungen und die Bibliothek, die dem Unterricht dienen sollten, und die von diesen vernachlässigt worden waren, neu einzurichten und zu vervollständigen. Über alles und jedes, "über jedes kleine Bedürfnis" wollten die Fakultät und die Regierung unterrichtet sein, und der neue Professor hatte vollauf mit Abfassung von Gutachten und Berichten zu tun. Was der übrigens "treffliche, äußerst eifrige College Strempel" an pathologischen Präparaten zusammengebracht hatte, genügte dem jungen Forscher nicht. Auch der geistige Verkehr mit den Berufskollegen befriedigte ihn nicht ganz, und so bat er Rudolf Wagner, im Briefwechsel mit ihm zu bleiben. "Sie glauben nicht, wie sehr ich mich nach solcher Mittheilung sehne."

Rudolf Wagner, der nur wenige Jahre älter war als Stannius, siedelte 1840 nach Göttingen über und scheint dann doch nicht Muße genug gefunden zu haben, um dem Ansinnen zu entsprechen. Wenigstens liegen zwischen diesem Briefe und dem nächsten, vom 25. Mai 1842, Jahre. Entweder blieben also Stannius' Briefe unbeantwortet, oder beide empfanden das Bedürfnis wechselseitigen Verkehrs nicht in dem Umfange, wie es ursprünglich den Anschein hatte. Auch nach 1842 wurde der Verkehr nicht reger, indem Jahre vergingen, ohne daß ein Brief von Stannius bei Wagner eintraf; wenigstens ist kein Brief nachzuweisen, obwohl R. Wagner seine Korrespondenz vollständig aufzubewahren pflegte. Eine solche Pause erstreckte


15) August Karl Friedr. Ludwig K., 1810-1884. Von Herbst 1848 bis Herbst 1853 praktischer Arzt in Rostock, 1849 Privatdozent, seit 1853 Badearzt in Doberan. Blanck-Wilhelmi, Nr. 548. Willgeroth, S. 39.
16) 1822-1852, praktischer Arzt und Privatdozent in Rostock. Blanck-Wilhelmi, Nr. 694. Willgeroth, S. 258.
17) Ludwig Friedrich Christian D., 1811-1856, geborener Rostocker, praktischer Arzt und seit Ostern 1834 Privatdozent. Blanck-Wilhelmi, Nr. 571. Willgeroth, S. 255.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 10 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

sich vom April 1844 bis Oktober 1849. Besonders reich war das Jahr 1850 an Briefen; die folgenden Jahre bis zum Schluß des Briefwechsels wiesen dann regelmäßig einige Schreiben auf.

In dem Brief von 1842 warf der Hamburger Brand seinen Schatten. Stannius war im Interesse seiner Familie sofort beim Ausbruch auf den Schauplatz des Unglücks geeilt, wodurch die Beantwortung eines Wagnerschen Briefes verzögert wurde.

Nachgerade fühlte sich Stannius in Rostock nicht behaglich. Die Enge und Kleinheit der Zustände drückte ihn. Auf Veranlassung Wagners hatte er sich für eine Berufung des Juristen Briegleb 18 ) nach Rostock interessiert, ohne Erfolg. Aber da mittlerweile Preußen auf Beselers 19 ) Befürwortung Briegleb zu gewinnen trachtete, meinte Stannius, ihm gratulieren zu sollen, "daß ihm von Rostock aus kein Antrag zu Theil geworden. Ich muß es offen gestehen, die hiesigen Verhältnisse sind kläglich; es fehlt der geistige Schwung und die erforderliche Regsamkeit durchaus. Die Zahl der Strebsamen ist überaus gering; kaum Einen hat jede Fakultät aufzuweisen; der wissenschaftliche Verkehr fällt somit eigentlich völlig weg; die wissenschaftlichen Hülfsmittel sind spärlich vorhanden; das vorhandene wird unregelmäßig administrirt; so erlahmt mancher, der den Hemmnissen nicht entgegenzutreten vermag, und wendet sich ganz den Vergnügungen und Zerstreuungen zu, denen der reiche Ort die Fülle bietet, denen zu folgen fast als Ehrenpunkt gilt. Ein beträchtlicher Theil der Zeit der Strebsamen wird noch durch administrative Geschäfte in Anspruch genommen, denn lange Gutachten werden beständig gefordert, damit man antworten könne: die Vorschläge seien nicht annehmbar. Zwei Ihrer Collegen: Hofmann 20 ) aus Erlangen und Thoel 21 ) sind berufen und werden, wie ich höre, kommen. Beiden will ich wünschen, daß ihre Erwartungen nicht zu hoch gespannt sind."


18) Hans Karl B., 1805-1879. A.D.B. 47, S. 233.
19) Georg Beseler, 1809-1888. A.D.B. 46, S. 445.
20) Joh. Christian Konrad v. Hofmann (1810-1877) wurde 1842 von Erlangen berufen, wo er seit 1838 Privatdozent in der theologischen Fakultät und 1841 zum a.o. Professor ernannt war. A.D.B. 12, S. 631.
21) Johann Heinrich Thoel, 1807-1884, in Lübeck geboren, seit Dezember 1829 Privatdozent in Göttingen, 1837 a.o. Professor daselbst, von Herbst 1842 bis 1849 Ordinarius in Rostock, dann wieder nach Göttingen zurück. A.D.B. 38, S. 47. - Stintzing-Landsberg, Gesch. der Jurisprudenz 3, 2 S. 626; 3, 3 S. 271.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 11 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Wenn auch diese Betrachtungen über die wissenschaftliche Einstellung seiner Kollegen wohl in vorübergehendem Unmut niedergeschrieben waren und sicher über das Ziel hinausschossen, so blieb allerdings die Beschränktheit der Mittel bedauerlich. Aus einem Verzeichnis von Dubletten seiner Bibliothek, deren sich Rudolf Wagner zu entäußern wünschte, will Stannius für 139 1/2 Taler Bücher erwerben, nach denen er teilweise "Jahre lang vergeblich geangelt hatte". Der Betrag verringerte sich später um 5 Taler, da Wagner einige Bücher nicht zu dem vorgeschlagenen Preise ablassen wollte. Doch Stannius bekam weder den größeren, noch den kleineren Betrag zum Ankauf. Man mutete ihm zu, die Bücher auf seinen eigenen Namen zu kaufen, wozu er freilich, vermutlich weil er keinen anderen Ausweg sah, selbst angeregt hatte, und sicherte ihm zu, sie später zugunsten des Instituts ihm abzunehmen. "Ich eilte," schreibt Stannius am 30. März 1843, "damit zu unserem Vice-Kanzler 22 ) und stellte ihm den Antrag, er möge unsere Desideria für die Universitäts-Bibliothek übernehmen. Er erklärte es bei gänzlicher Erschöpfung der Casse vorläufig für unmöglich, genehmigte dagegen meinen Vorschlag, im Laufe von 1 1/2 Jahren durch außerordentliche Bewilligungen mir die Bücher wieder abzunehmen, wenn ich sie jetzt auf meinen Namen übernähme." Er nennt die Titel und fährt dann fort: "Nun möchte ich Sie bitten, mir diese Summe entweder auf den eben genannten Zeitraum oder wenigstens bis Ostern 1844 zu stunden, da ich sie sogleich zu erlegen außer Stande bin. Sollten Sie die Güte haben, auf meinen Vorschlag einzugehen, so würde ich Sie ersuchen, mir die Bücher baldmöglichst zu übersenden."

In demselben Sinne, voller Eifer die Büchersammlung zu erweitern und zu vervollständigen, schreibt er einige Wochen später, am 10. April 1843: "Für Ihre Bereitwilligkeit, mir oder vielmehr unserer Universitäts-Bibliothek einige Ihrer verkäuflichen Bücher unter den von mir proponirten Bedingungen abzulassen, sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Ich hoffe, der einliegende Schein wird Ihrem Verlangen gemäß ausgestellt sein. Auf die Bücher freue ich mich sehr; lieb wäre es mir freilich gewesen, wenn die "Annales des sciences naturelles" mitgekommen wären. Sollten Sie sie später abzustehen geneigt sein, so bitte ich sehr, meiner nicht zu vergessen.


22) Dr. Karl Friedrich v. Both.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 12 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Blainville 23 ) und Swan 24 ) besitzen wir glücklicher Weise. Überhaupt ist für vergleichende Anatomie bei uns viel vorhanden, weil ich die mit in das Fach der Medicin hineinziehen kann, was bei der systematischen Zoologie und bei zoologischen Zeitschriften nicht angeht. Sie erwähnen den Agassiz 25 ), natürlich fehlt er uns; wieviel besitzen Sie von dem Werke und zu welchem Preise sind Sie geneigt, ihn abzustehen? Wollen Sie etwa noch andere, namentlich mit Abbildungen versehene Werke über systematische Zoologie verkaufen?"

War die Unzulänglichkeit der Universitätsbibliothek ein Übelstand, über den Stannius häufig klagen mußte, und der ihm bei seinem vorwärtsstrebenden Forscherdrang besonders lästig wurde, so blieben doch die Lichtseiten in der akademischen Wirksamkeit nicht aus. "Ich habe Aussicht," ließ er sich am 30. März 1843 vernehmen, "unserer Universität ein neues hochwichtiges Institut einzuverleiben: die jetzt in Schwerin bestehende Tierarzneischule. Sollte mir dies gelingen und sollte ich die Direktion gegen eine geringe jährliche Entschädigung erhalten, so würde ich mich in Rostock sehr glücklich fühlen und einen Wirkungskreis haben, den ich schwerlich je mit einem anderen vertauschen würde. Vorläufig bedarf es noch weitläuftiger Verhandlungen, um die Sache in den Gang zu bringen. Dies ganz unter uns."

Die Tierarzneischule in Schwerin, um die es sich vorstehend handelt, wurde 1825 eröffnet und war aus einer etwa 1815 in Carlshof bei Rostock errichteten Anstalt hervorgegangen. Ihr damaliger Direktor, Professor Steinhoff hatte sich, unbekannt aus welchen Gründen, für ihre Überführung nach Schwerin, wo sie dem Marstallamte unterstellt war, lebhaft interessiert. Er hatte dann eine Verordnung vom 27. April 1825 veranlaßt, nach der alle Tierärzte des Landes vom Di-


23) Ducrotay de Blainville, Henri Marie, Zoolog und Anatom, 1778-1850, seit 1812 Professor der vergleichenden Zoologie, Anatomie und Physiologie in Paris.
24) Theodor Schwann, Naturforscher, 1810-1882, geboren in Neuß, seit 1838 Professor der Anatomie in Löwen, 1848 in Lüttich und seit 1858 zugleich Professor der Physiologie ebenda. Starb in Köln.
25) Ludw. Joh. Rud. A., Naturforscher, 1807-1873, zuletzt Professor der Zoologie und Mineralogie in New-Cambridge (Massachusetts, Vereinigte Staaten). Louis A., Leben und Briefe, herausgegeben von Elisabeth Cary A., deutsch von Mettenius, 1886.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 13 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

rektor geprüft sein mußten. Nachdem Professor Steinhoff am 28. Februar 1843 gestorben war, wurde der Betrieb der Schule eingestellt, und die praktischen Tierärzte mußten nun ihre Ausbildung auswärts suchen, blieben jedoch verpflichtet, sich einer Prüfung in Schwerin zu unterwerfen. Der Augenblick für eine Rückführung der wichtigen Anstalt nach Rostock war somit sehr günstig. Die Prüfung der Tierärzte nahmen der Kreisphysikus und der Roßarzt am Marstall ab. Leider erreichte Stannius die Verwirklichung seines Wunsches nicht, und er hatte nur die Genugtuung, daß durch Verfügung vom 5. Juni 1845 er, sowie der Tierarzt Urban in Rostock, mit der Abnahme der Prüfung betraut wurden. Er war bereits von seiner akademischen Tätigkeit zurückgetreten, als am 15. Oktober 1863 die Prüfung der Tierärzte der Medizinalkommission in Rostock unter Zuziehung eines bewährten Tierarztes übertragen wurde. Die Bestrebungen des Privatdozenten Dr. Cohn in Rostock, die Tierarzneischule nach Rostock mit Angliederung an die Universität ins Leben zu rufen, hatten ebenfalls keinen Erfolg, weil die Medizinalkommission sich dagegen aussprach und die Kosten zu hoch schienen. Es bezeugt jedoch die Richtigkeit des Stanniusschen Wunsches, daß 1911, also lange nach seinem Tode, die Frage der Errichtung einer veterinärärztlichen Fakultät in Rostock von neuem aufgenommen wurde und wohl glücklich gelöst worden wäre, wenn nicht der Weltkrieg dazwischen gekommen wäre 26 ).

Nicht nur die Bibliothek, auch die Sammlung von Tieren und Präparaten für den akademischen Unterricht erweckten dauernd das Interesse von Stannius. Am 10. April 1843 schrieb er dem Freunde, der offenbar an allem, was in Rostock vor sich ging, Anteil nahm: "Unsere vergleichende anatomische Sammlung hat durch einen Chimpanzen wieder einen wertvollen Zuwachs erhalten; der Großherzog hatte auf einen Specialantrag von mir außerordentlicher Weise eine Summe zu seinem Ankaufe bewilligt. Thiere erlangen sich leichter als Bücher. Aber leider stehen alle unsere Schätze in buntester Unordnung auf dem Boden, der Diele, in Zimmern und Kellern. Alles harrt der Vollendung des neuen für das Museum bestimmten Gebäudes, das hoffentlich Ostern 1844 bezogen werden kann. Ich freue mich sehr darauf, Alles hübsch aufgestellt zu sehen und allseitig benutzen zu können."


26) Gef. Mitteilung des Herrn Ministerialrat Jörn in Schwerin.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 14 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Als Stannius im Herbste 1837 in Rostock eintraf, stand das Institut für vergleichende Anatomie und Physiologie auf dem Papier. Überhaupt sah es mit den zum Studium der Naturwissenschaften bestimmten Instituten, obwohl seit den 30er Jahren ein Umschwung sich gezeigt hatte, recht trübselig aus. Die naturhistorische Sammlung war 1832 durch Professor Strempel im Weißen Colleg neu aufgestellt, dem mathematischen und dem physikalischen Kabinett je ein besonderer Raum zugewiesen und 1834 das Chemische Laboratorium gegründet worden 27 ). Stannius schuf nun Mitte 1838 sein Institut, indem das Naturhistorische Museum die wenigen zootomischen Präparate und zum Skelettieren sich eignenden, in Alkohol aufbewahrten Wirbeltiere abgab. Es wurde in einem Mietshause, in dem Stannius selbst wohnte, untergebracht.

Daß der eifrige Forscher sich dabei nicht beruhigen konnte, lag auf der Hand, und er wählte das richtige Mittel, um Interesse für sein Fach zu erwecken. Er gab im Jahre 1840 einen Bericht heraus, der eine wissenschaftliche Abhandlung enthielt, über die neue Schöpfung sich aussprach und schließlich die inländischen Ärzte zur Einsendung von Präparaten aufforderte. Infolgedessen fühlten sich nicht nur die Inländer bewogen, dem Wunsche zu entsprechen, sondern auch die Universitäten zogen über das in Rostock geschaffene Institut Nachrichten ein. So kam Stannius zu dem Institute, das ihn in seiner Geringfügigkeit auf die Dauer freilich nicht befriedigen konnte.

Erst 1840 wurde das dem Weißen Colleg benachbarte, dem Kloster zum Heil. Kreuz gehörige, am Blücherplatz gelegene Grundstück angekauft und auf ihm ein Gebäude errichtet, das sämtlichen naturwissenschaftlichen Instituten zweckmäßige Räumlichkeiten bot. Damals bekam auch das vergleichende anatomisch-physiologische Institut ein Arbeitslokal in einem hinter dem westlichen Ende des Weißen Collegii erbauten kleinen Gebäude 28 ). Im Herbste 1844 wurde dann das neue Museum der Benutzung übergeben. Im südlichen Saale


27) Herm. Karsten, Zur Geschichte der naturwissenschaftlichen Institute der Universität Rostock. Rektorats-Programm, 1846, S. 3 und 4.
28) Max Braun, Zoologie, vergleichende Anatomie usw. bei den Universitäten Bützow und Rostock. Rostock 1891. Als Manuskript gedruckt. S. 33 ff. A. F. Lorenz, Die Universitäts-Gebäude zu Rostock und ihre Geschichte. Rostock 1919.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 15 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

des zweiten Stockwerks des großen Gebäudes kam die Abteilung der zoologischen Sammlung, die die Wirbeltiere aus der Klasse der Amphibien und Fische und die wirbellosen Tiere umfaßte, zur Aufstellung. Die südliche Seite des dritten Stockwerks wurde der anatomisch-physiologischen Sammlung eingeräumt, und dort wurden auch die Vorlesungen gehalten 29 ).

Für die Bibliothek hatte er die Freude, die zuerst schmerzlich vermißten "Annales" doch noch erwerben zu können. Darüber schrieb er am 5. Mai 1843: "Ihr Anerbieten, uns auch die "Annales des sciences naturelles" überlassen zu wollen, hat mich sehr erfreut, und ich übersende Ihnen hiermit den gewünschten Empfangsschein. Leider wird vorläufig wohl schwerlich mehr zu erreichen sein, da die Mittel der Universitäts-Casse in der That völlig erschöpft sind. So gerne ich selbst mir Mancherlei anschaffte, muß ich es doch unterlassen, da ich von meiner Einnahme bei dem theuren Leben in Rostock auch gar nichts dazu erübrigen kann."

Indes Stannius hatte nicht nur Interesse für Bücher und Sammlungen, er hatte auch ein warmes Herz für die neu berufenen Kollegen und verfolgte mit lebhaftem Anteil ihr Einleben. Am 10. April heißt es: "Thoel und Hofmann scheinen sich hier sehr gut zu gefallen. Hofmanns kommen zum Jubiläum nach Erlangen, wo Sie sie wohl sehen werden. Sie gefallen hier sehr. Thoel macht zum Heirathen noch keine Anstalt, er hat im Laufe des Winters viel getanzt, besucht sehr regelmäßig das Theater, arbeitet am zweiten Theile seines Handelsrechtes und scheint es nicht zu bereuen, nach Rostock gekommen zu sein. Daß er einen vortrefflichen Weinkeller besitzt und einen liebenswürdigen Wirth macht, wenn es darauf ankömmt, mit Austern zu tractiren, kann ich bezeugen. Die Geister seiner Weine spucken noch in meinem Körper, - daher die Confusion dieses Briefes."

Etwas später, am 30. September 1843, berichtet er dann, daß Thoel anderen Sinns geworden, sehr bald dem Beispiel Vogels gefolgt sei und sich verlobt habe. Mit wem, unterläßt er zu schreiben.

Die Teuerung in Rostock befremdet ihn, da sie ihn hindert, die kostbaren Bücher zu erwerben, deren er für seine wissenschaftliche Arbeit bedarf. Es ist ihm ein Trost, daß auch der


29) H. Karsten, a. a. O., S. 8.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 16 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kollege Hofmann "nicht wenig verwundert über die hiesige Theuerung" sich ausgesprochen. Dennoch ist er gastfrei und lädt zum 15. Oktober 1843 Rudolf Wagner und seine Frau zu sich nach Rostock ein. "Es soll mich sehr freuen, Sie im nächsten Jahre hier zu sehen; ich rechne aber mit Bestimmtheit darauf, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin einige Tage bei uns verweilen, d. h. in meinem Hause wohnen. Die See ist auch von Warnemünde aus aufs Schönste in Augenschein zu nehmen. Rostock war im vorigen Sommer von Fremden besucht wie nie zuvor. Baum 30 ) aus Greifswald, war zweimal hier; Michaelis 31 ) aus Kiel, Valentiner 32 ) aus Kiel, viele Berliner Ärzte, Hornschuch 33 ), Kröger 34 ) aus Kopenhagen, Elvers 35 ), Beseler 36 ) und viele andere stellten sich der Reihe nach ein. Flemming 37 ) aus Schwerin präsidierte in einer Versammlung der Mecklenburgischen Ärzte, die meinem Institute eine außerordentliche Unterstützung von 100 Thalern votiert haben."

Auf die Vergrößerung und Erweiterung der Bibliothek und der Sammlungen bleibt Stannius beständig bedacht. Er macht sich zum Vermittler des Wunsches des Kollegen Karsten 38 ), der Agassiz, Poissons fossiles, für die Universitätsbibliothek zu erwerben wünschte. Ausnahmsweise konnte die Zahlung sogleich geleistet werden, da für das betreffende Fach noch Kassenvorrat vorhanden war. Die Werke von Carus und

der Rechte in Rostock. A.D.B. 46, S. 445. Erlebtes und Erstrebtes, Berlin 1884.


30) Wilhelm Baum, 1799-1883, seit 1842 o. Professor der Chirurgie in Greifswald, später in Göttingen. A.D.B. 46, S. 250.
31) Gustav Adolf Michaelis, 1798-1848, seit 1841 o. Professor der Gynäkologie in Greifswald. A.D.B. 21, S. 679.
32) Vielleicht Georg Theodor Valentiner gemeint, 1820-1877, der 1843 in Kiel Dr. med geworden war und später Oberarzt der Schleswig-Holsteinischen Marine wurde.
33) Christian Friedrich Hornschuch, 1793-1850, o. Professor der Botanik in Greifswald. A.D.B. 13, S. 158.
34) Kroeger, nicht nachweisbar, wer gemeint.
35) Christ. Friedr. Elvers, 1777-1858, von 1828-1841 o. Professor der Rechte in Rostock. A.D.B. 6, S. 75.
36) Georg Beseler, 1809-1888, von 1837-1842 o. Professor
37) Karl Friedr. Flemming, 1799-1880, dirigierender Arzt der Heilanstalt Sachsenberg bei Schwerin seit ihrer Eröffnung im Jahre 1830. Blanck-Wilhelmi, Nr. 473. Willgeroth, S. 340.
38) Hermann K., 1809-1877; seit 1836 Professor der Mathematik und Physik in Rostock.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 17 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

d'Alton 39 ), die Wagner offenbar auch in der Lage war abgeben zu können, besaß die Universitätsbibliothek bereits. ..."Überhaupt sind wir an comparativ-anatomischen Werken im ganzen reich; nur das Fach der Zoologie ist verwaiset. - Den "Naumann" hätte ich äußerst gerne; im vorigen Jahre wurde uns ein schönes Exemplar von Finke in Berlin angeboten zu 94 Thaler pr. Cour.; es war aber leider kein Geld in Cassa."

Die Zahlung konnte dann leider doch nicht, wie in dem Briefe vom 15. Oktober 1843 in Aussicht gestellt, sofort erfolgen, sondern erst im April des folgenden Jahres. "Die Zahlung für Agassiz," heißt es in einem Briefe vom 6. April 1844, "ist erfolgt. Wir bitten Sie um Übersendung der beiden letzten Hefte. Die Zahlung für die übrigen Bücher hat in diesen Tagen stattgefunden; ich habe das Geld erst vorgestern erhalten und sogleich dem zweiten Bibliothekar, Baron Nettelbladt, zur Absendung an Voß übergeben; ob es abgeschickt ist oder nicht, weiß ich nicht; gestern sagte mir N., es sei kein preuß. Courant am Orte zu haben. Ich möchte Sie ersuchen, mir sogleich nach Empfang der Anzeige von Ankunft des Geldes eine Quittung auszustellen, die ich, da das Geld eine Extra-Bewilligung ist, bei der Regierung einreichen muß."

Über die Sammlungen berichtet er im Oktober 1843: "Sie machen schöne Fortschritte; neben dem Chimpanzen habe ich jetzt auch einen Orang-Utang aufzuweisen." So große Freude ihm deren Vergrößerung bereitete, so stimmte doch die wachsende, mit ihrer Ausdehnung verbundene Arbeitslast ihn gelegentlich traurig. Sie hält ihn von der Vollendung begonnener Untersuchungen ab. "Eine ganze Reihe von Aufsätzen liegt unvollendet da und immer kömmt Neues," schreibt er am 7. November 1844, "das mich abzieht, da es augenblicklich absolvirt sein will. Es ist eine eigne Lage, eine große Sammlung gründen sollen und in Ermangelung eines Assistenten überall selbst Hand anlegen müssen. Da vergehen ganze Tage mit technischen Arbeiten. Bis Ostern muß außerdem ein Grundriß der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere vollendet sein." Mit dem Chirurgen Neese, den er infolge der Zuwendung der Mecklenburgischen Ärzte hatte einstellen können, war er zunächst zufrieden, bald aber beschwerte er sich über die Unzuverlässigkeit

Jahrbuch des Vereins f. mecklb. Gesch. LXXXXIII.


39) Eduard d'Alton, 1803-1854, seit 1834 Professor der Anatomie in Halle.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 18 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

des Assistenten und Aufwärters. Seufzend klagt er im Jahresbericht für 1843/44 über "beständige Unreinlichkeit des Arbeitszimmers, Abwesenheit des Aufwärters, mangelhafte Verpflegung der Thiere, absichtliche Verstümmelung der Scelete, Fortschaffen von Präparaten und Instrumenten" 40 ). Und einige Jahr später heißt es in einem Briefe vom 9. Dezember 1849: "Man ist hier in Rostock in Bezug auf die neuesten literarischen Erscheinungen in trauriger Lage; sie kommen leider oft sehr spät, auch wohl gar nicht. Überhaupt fehlt Communication. So bleibt Manches liegen, weil man nicht sicher weiß, ob wirklich neu, oder in Verlegenheit geräth, wenn es mitzutheilen sein dürfte." So erklärt er, daß er erst im Dezember 1849 seine Schrift über das peripherische Nervensystem der Fische, die schon vor Jahren erscheinen sollte, überreichen kann. Sie ist als Rektoratsprogramm erschienen. Das Titelblatt hat bei seinem Namen den Zusatz: d. 3. Rektor. Das Vorwort datiert vom Oktober 1849 und bringt den Dank zum Ausdruck, daß es ihm an seinem Wohnsitze, der derartige Forschungen begünstige, gelungen sei, die Arbeit zu vollenden. "Die folgende Arbeit", heißt es, "ist das Ergebnis langjähriger, aber häufig durch anderweitige Studien und Berufsgeschäfte unterbrochener Forschungen, deren Versuche sich durch den für ichthyologische Untersuchungen so trefflich geeigneten Wohnort des Verfassers begünstigt ward."

Zu alledem kam, daß früh sich Vorboten der schweren Krankheit, die ihn später heimsuchte, geltend gemacht haben müssen. Nachdem vom 5. Mai 1843 an der Briefwechsel einige Monate geruht hatte, läßt er sich am 30. September folgendermaßen vernehmen: "Nach langer Unterbrechung unseres Briefwechsels, die zum theil durch überhäufte Geschäfte, zum theil durch anhaltendes Kränkeln herbeigeführt war, komme ich endlich wieder zum Schreiben." Und im November desselben Jahres glaubt er den Vorschlag Wagners, die Nerven-Physiologie für sein Handbuch bearbeiten zu wollen, ablehnen zu müssen, sofern der Ablieferungstermin des Manuskripts auf Pfingsten 1844 festgesetzt wäre. Auch wegen eines anderen Beitrages, mit dem er im Rückstande geblieben war, entschuldigte


40) M. Braun, Zoologie, vergleichende Anatomie und die entsprechenden Sammlungen bei den Universitäten Bützow und Rostock. Rostock 1891. S. 35. Als Manuskript gedruckt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 19 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

er sich: "Sie müssen es mir nicht übelnehmen, wenn ich auch mit dem Artikel "Lebensperioden" im Rückstande bleibe; im vorigen Winter hätte ich ihn gerne geliefert, da fehlte es weder an Zeit noch an Kräften. Jetzt habe ich noch mit ernsten Nachwehen meiner letzten Krankheit zu kämpfen, und dabei lasten andere Arbeiten sehr auf mir." Er hat dann tatsächlich für das Handwörterbuch der Physiologie, von dem 1842 der erste Band ausgegeben wurde, nicht mehr als den Beitrag "Fieber" (S. 481-484) geliefert.

In geradezu düsterer Stimmung aber schreibt er am Weihnachtsabende 1844 dem verehrten Freunde: "Mir ist's traurig ergangen, seit ich meinen letzten Brief an Sie schrieb; sonst würde ich prompter in Beantwortung Ihrer später empfangenen Zeilen gewesen sein. Das fortdauernde Kränkeln, dem ich seit der Mitte des vorigen Sommers ausgesetzt war, hat eine Verstimmung des Gemüthes nach sich gezogen, die mich zu jeder ernsten Thätigkeit lange Zeit unfähig machte, und die ich noch immer nicht ganz zu überwinden vermag. Die völlig divergirenden Urtheile zweier consultirten Ärzte über den Grund meines Krankseins führten ein dumpfes Grübeln über meinen körperlichen Zustand herbei und widerwärtige Berührungen von außen her mußten natürlich diesen Unmuth und die damit verbundene Reizbarkeit aufs höchste steigern. Wenn ich nun auch mehr und mehr einsehe, daß die von einem meiner Ärzte und mir selbst gehegten Befürchtungen übertrieben und vielleicht selbst grundlos waren, so bin ich doch immer noch nicht in der Fassung, irgend eine Arbeit zu unternehmen. Dazu fehlt aller Muth. Ich muß Sie daher dringend bitten, mir vorläufig die versprochenen Artikel zu erlassen, denn Sie glauben nicht, wie der bloße Gedanke daran gegenwärtig mich noch peinigt. Später wirds wieder gehen. Wählen Sie die Überschrift "Perioden des Lebens" oder "Umlauf des Lebens", dann kann ichs nach einigen Monaten bearbeiten. Denn wenn ich jetzt wieder anfange, thätig zu sein, so ist's die vergleichende Anatomie, der ich mich zuwende, und von der schon im Herbste 6-7 Bogen vollendet waren." Am Schlusse dieses Briefes aber heißt es: "Es ist ein trauriges Loos, im äußersten Winkel Deutschlands zu sitzen, wo jedes selbständige wissenschaftliche Organ fehlt, und es auf die Gnade eines fremden Potentaten ankommen lassen zu müssen, ob eine Mittheilung zu tage gefördert werden soll oder nicht."

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 20 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Mehrere Jahre verstrichen, ohne daß Briefe gewechselt wurden. Nach dem Briefe vom 6. April 1844 liegt ein kürzerer Brief erst wieder vom 9. Dezember 1849 und ein sehr ausführlicher vom 1. Februar 1850 vor. Es hatte sich zwischen beiden Fachgelehrten eine Spannung entwickelt, die das Freundschaftsverhältnis zu ersticken drohte. Stannius hatte bei seinen Studien über die vergleichende Anatomie, der er sich immer mit besonderer Neigung zuwandte, Rud. Wagners Lehrbuch der vergleichenden Anatomie benutzt, das 1834/35 ausgegeben war, und dabei gleich anderen Forschern es als einen Mangel empfunden, daß keine neue Auflage den mittlerweile erreichten höheren Stand der Wissenschaft berücksichtigt hatte. Unter diesem Eindrucke hatte er Wagner nahegelegt, eine neue Auflage in Angriff zu nehmen, für die er ihm in uneigennütziger Weise die Ergebnisse seiner bisherigen Forschungen zur Verfügung gestellt hatte. Wagner hatte jedoch dankend abgelehnt und sich dahin geäußert, daß er von einer neuen Auflage absehe. Daraufhin hatte Stannius sich mit Siebold verständigt und mit ihm zusammen ein Lehrbuch der vergleichenden Anatomie in Angriff genommen. Während dieses Buch in Arbeit war - der zweite Teil erschien unter dem Titel "Lehrbuch der vergl. Anatomie, Wirbelthiere", Berlin 1846 -, besann sich Wagner anders und ließ unter dem Titel "Lehrbuch der Zootomie" zum größten Erstaunen von Stannius in den Jahren 1843-47 eine zweite Auflage erscheinen. In ihr fand Stannius einige veraltete Anschauungen, die durch seine eigenen Beobachtungen, die Wagner unberücksichtigt gelassen hatte, widerlegt worden waren. Im Unmute darüber hatte er sich in einer Wagner offenbar verletzenden Auseinandersetzung seines eigenen Lehrbuches über dessen irrtümliche Auffassung geäußert. Wagner hatte ihn deswegen zur Rede gestellt, und in dem eingehenden Briefe vom 1. Februar 1850 wurde nun die Differenz in freundschaftlicher Weise beglichen. Man setzte sich freimütig sachlich auseinander, und die Fortdauer der Freundschaft und des Sachverständnisses für die beiderseitigen Forschungsergebnisse war nicht in Frage gezogen. In diesem Briefe nimmt Stannius auf seinen leidenden Zustand mehrfach Bezug. Die heftigsten Neuralgien hätten ihn heimgesucht und alles habe ihn, der "damals schwer krank gewesen", irritiert.

Wie ihn sein ehrlicher Wahrheitssinn schnell zu einer Aussöhnung mit Wagner kommen ließ, so hatte er auch das Be-

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 21 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

dürfnis, sich anderer anzunehmen und für andere einzutreten. Aus irgendeinem Grunde war Thoel, der mittlerweile nach Göttingen übergesiedelt war, zu Wagner in ein Mißverhältnis geraten. Stannius bedauerte es und fügte hinzu: "Ich habe Thoel hier sehr lieb gewonnen, und es hatte sich zwischen uns ein sehr inniges Verhältnis gebildet. Wir sahen uns täglich. Was um so eher geschehen mußte, als auch unsere Frauen vollständig miteinander harmonirten. Hoffentlich werden Ihre Differenzen bald und leicht ausgeglichen sein." Gern hätte Stannius Göttingen besucht, wohin "Sie, Thoel, Baum 41 ), Hansen 42 ), Ribbentropp 43 ) und Andere ihn zogen". Er sah jedoch kaum die Möglichkeit zu einer solchen Reise, "indem ich, wenn überhaupt eine solche möglich sein wird, an eine Seeküste eilen werde, die mir größere Ausbeute verspricht, als unsere verhältnismäßig sehr arme Ostsee".

Eine Hiobspost konnte er sich nicht enthalten am Schluß dem Fachgenossen mitzuteilen, wenn sie auch zunächst an Schrecken verloren hatte. Sie betraf die drohende Schließung der Universität. "Unserer Universität wurde eine Zeit lang mit Aufhebung gedroht. Die Gefahr ist - Dank sei unserem Großherzoge - wenigstens vorläufig vollkommen beseitigt. Die zu Ostern vakant werdende chemische Professur ist denn auch durch Professor Schulz 44 ) aus Greifswald glücklich, und wie ich hoffe, sehr gut wieder besetzt worden. Ich habe harte Kämpfe in dieser Angelegenheit mit unserem Ministerium mit großem Erfolge durchgekämpft, bin aber auch abgespannt und kränkelnd von meiner Mission nach Schwerin zurückgekehrt. Mich greifen dergleichen Dinge immer auch körperlich an." Der Grund, daß Stannius in die Berufung eines Mitgliedes der philosophischen


41) Baum war im Frühjahr 1849 von Greifswald nach Göttingen übergesiedelt.
42) Sollte der Nationalökonom Georg Hanssen, 1809-1894, gemeint sein, der seit 1848 o. Professor in Göttingen war.
43) Georg Julius Ribbentropp, 1798-1874, seit 1832 o. Professor des Römischen Rechts in Göttingen.
44) Franz Ferdinand Schulze (nicht Schulz, wie Stannius schreibt), 1815 in Naumburg geboren, starb als Professor in Rostock schon am 14. April 1873. Ursprünglich der Theologie, dann den Naturwissenschaften, insbesondere der Zoologie zugewandt, wurde er Assistent in Eilhard Mitscherlichs Laboratorium und seit 1837 Lehrer der Chemie und Physik an der Akademie zu Eldena und gleichzeitig Privatdozent in Greifswald. A.D.B. 34, S. 750.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 22 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Fakultät so stark eingriff, dürfte wohl darin gelegen haben, daß er seit dem Sommersemester 1850 die Rektoratsgeschäfte führte. Im Index Lectionum in Academia Rostochiensi ist er erstmalig im Sommersemester 1850 als Rektor geführt. Aber schon am 5. März 1850 berichtete er von den Rektoratsgeschäften, daß sie "ganz ungewöhnlich groß, weitläuftig und zeitraubend" seien. Im Frühjahr 1850 folgte Franz Ferdinand Schulze, der seit 1837 als Privatdozent und bald darnach als außerordentlicher Professor für Chemie und Technologie angestellt war, dem Rufe nach Rostock als ordentlicher Professor für Physik, Chemie und Pharmacie. Demnach muß Stannius schon vor dem Antritt des Rektorats mit der Berufung amtlich zu tun gehabt haben. Sonst hätte er auch nicht ihretwegen in Schwerin sein müssen. Eine Reise dorthin war in jenen Tagen keinenfalls so bequem wie heute, und demnach war seine körperliche Angegriffenheit erklärlich. In demselben Briefe äußert sich Stannius übrigens in höchst charakteristischer Weise über sich selbst: "Ich bin weder rasch in Publicationen, noch sehe ich auf Andere herab oder bin mir der Schwächen meiner nicht bewußt. Der Brief, den ich an die Uebersetzer meiner vergleichenden Anatomie geschrieben, ist beinahe heftig und grob ablehnend, weil ich mich schäme, daß sie 5 Jahre nach ihrem Entstehen in alter Gestalt und mit solchen Lobhudeleien versehen in die Welt tritt. Von demjenigen, was ich entschieden Neues geliefert, mag ich allerdings gerne, daß es als solches anerkannt und nicht umgangen werde, oder so angeführt, als fände ein blindes Huhn auch einmal eine Erbse. Ich könnte Ihnen Beispiele von unverdientem Lobe, wie auch von unverdientem Tadel und Aehnlichem genug aufweisen. Sie werden mir indessen schwerlich nachweisen können, daß ich in öffentliches Gezänke solcher Art mich je eingelassen habe. Manchmal ärgere ich mich aber wirklich über Angaben, die mir aus der Luft gegriffen scheinen, wie sie z. B. in den Arbeiten von Valentin 45 ), Budge 46 ),


45) Gabriel Gustav Valentin, 1810-1883. Professor der Physiologie in Bern seit 1836, wo er 45 Jahre segensreich als Forscher und Lehrer wirkte.
46) Ludwig Julius Budge, 1811-1888. Seit 1842 Privatdozent in Bonn für Anatomie und Physiologie, seit 1847 daselbst Extraordinarius. A.D.B. 47, S. 337.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 23 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Harleß 47 ), meiner auf wiederholte Prüfungen sich stützenden Ansicht nach, genug vorkommen. Ich habe in meinen Tagebüchern Material genug, um gegen gewisse Versuche von Valentin und Budge, wie gegen andere von Harleß, ganz umfassende Aufsätze zu schreiben. Aber was wäre im Grund damit genützt?"

Für seine Studien fand Stannius nicht immer den geeignetsten Boden. Am 26. März 1850 beklagt er, sich kein ausreichendes Material verschaffen zu können, und entschuldigt sich bei Wagner, ihm nichts Reiferes und Abgeschlossenes auf neurologischem Gebiete überweisen zu können. "Leider bin ich auch nicht um einen Schritt weiter gelangt, als ich es bereits im Mai vorigen Jahres war. Der Grund davon ist einfach folgender: im Winter hatte ich wenig Neigung, die begonnenen Untersuchungen fortzusetzen, und jetzt, wo es seit Wochen weder an Zeit noch an Lust gebricht, mangelt es an allem geeigneten Materiale. Nur in den 3 Frühlingsmonaten April, Mai und Juni kann ich zu solchen Fischen gelangen, die mir besonders geeignet zu dergleichen Arbeiten erscheinen. Wenn ich auch jetzt täglich auf den Markt schicke, erhalte ich nichts, was mir brauchbar wäre; immer erfolgt die Antwort: der Wasserstand sei zu hoch, an den Küsten werde nicht gefischt, weil Alles mit Ausrüstung der Seeschiffe beschäftigt sei, und jetzt, wo die Warnow mit dünnem Eise belegt ist, ist sogar die Communication mit Warnemünde gehemmt. Die Zeit des Ueberflusses wird bald genug kommen, vielleicht aber erst dann, wenn Vorlesungen und Sitzungen wieder begonnen haben, denn unsere Ferien sind jetzt den Ihrigen ganz conform. So muß ich mich schon gedulden, so gerne ich immer wieder an die Arbeit ginge." Und 5 Tage später, am 31. März 1850, drückt ihn wieder die Enge der kleinen Hochschule. Er hat keinen guten Zeichner zur Verfügung. Dankbar erkennt er an, daß seine Frau 48 ) ihm hilft, aber sie vermag es nicht bei mikroskopischen Objekten, zumal seine eigenen Skizzen allzu


47) Kann Johann Christian Friedrich Harleß, 1773-1853, gemeint sein? Seit 1818 Professor der Medizin in Bonn und viel beschäftigter Arzt. Sein "Versuch einer vollständigen Geschichte der Hirn- und Nervenlehre" erschien deutsch 1801. A.D.B. S.10, S. 605.
48) Frau Berta Stannius, geb. Fromm, starb 7. Mai 1905 im 87. Lebensjahre.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 24 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

dürftig seien. "Dann kann ich auch zu wenig frei über meine Zeit disponieren, um zu einem bestimmten Termine eine größere Arbeit zu liefern. Ich muß immer auf alle möglichen Störungen gefaßt sein, und auf Hülfe kann ich von keiner Seite her rechnen. Ich habe keinen Prosector, keinen Assistenten, nicht einmal einen für gröbere Arbeiten brauchbaren Aufwärter, und nur selten findet sich ein Studirender, der ein halbes Interesse für Zootomie und Physiologie hätte. Das sind die Nachtseiten der kleinsten deutschen Universität! Es hat lange innere Kämpfe gekostet, bis ich die gehörige Resignation gefunden und über all den Schattenseiten auch manche Lichtseiten des Hierseyns erkannt und mich mit ihnen befreundet habe. Infandum regis jubes renovare dolorem!"

Bei alledem hing er an der Hochschule, deren Gedeihen seine ganze Kraft und Liebe gewidmet war. Es klingt wie ein Triumphschrei, als er 26. März 1850 schreibt: "Unsere Universität, deren Fortbestand zweifelhaft war, ist gerettet. Ich habe ein Paar Reisen nach Schwerin nicht scheuen dürfen, und gewisse Pläne sind als gescheitert zu betrachten. In wenigen Tagen erwarten wir zwei neue Professoren, den Juristen Budde 49 ) aus Halle und den Chemikar Schultze aus Greifswald. Auf letzteren freue ich mich besonders. Sein Vorgänger Blücher 50 ) war ein vortrefflicher Mensch und College, aber zu sehr mit seinem großen Gute beschäftigt, als daß er anderen Interessen sich hätte zuwenden können. Es ist wieder eine juristische Professur vakant. Würde Ihr Zachariae 51 ) zu haben sein? Würde er allzu hohe Bedingungen aufstellen? Er soll in Hannover nicht besonders angesehen sein. Bitte lassen Sie diese Angelegenheit aber vorläufig ganz unter uns. Würde Zachariae wirklich zu kommen geneigt sein, so könnte ich jetzt sehr thätig dafür sein."


49) Johann Friedrich B., erscheint erstmalig im Index lectionum f. d. S.-S. 1850.
50) Hans Helmuth Friedrich v. B., 1805-1862. Von 1831 bis 1850 Professor der Chemie und Pharmazie in Rostock; dann Gutsbesitzer von Wasdow.
51) Heinrich Albert Zachariae, 1806-1875. Seit 1842 o. Professor des Staatsrechts und Kriminalprozesses in Göttingen. A.D.B. 44, S. 617.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 25 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die zeitlich nun folgenden Briefe sind rein fachwissenschaftlicher Natur. Am 13. Mai 1850 heißt es: "Ich habe jetzt vollauf zu thun, da es an Fischen nicht mangelt. Diese Zeit muß benutzt werden, denn sie ist leider von kurzer Dauer. Fast war ich entschlossen, Sie zu Pfingsten zu besuchen. Ein Schwager Thoel's hatte mich dringend gebeten, mit ihm unsern schreibfaulen Freund zu überraschen, und ich hatte schon zugesagt, als ein Besuch, der sich mir ankündigte, den Plan vereitelte."

Im Herbst kam es doch zu einer Erholung. Die Reise führte auch nach Göttingen, wo ihm viele Beweise entgegenkommender Güte von Rudolf Wagner und seiner Frau zuteil wurden. Dafür dankte er am 4. Oktober desselben Jahres in einem Briefe, der deswegen besonders anziehend ist, weil er über seine Wünsche und Hoffnungen sich äußert. Es scheint, als ob Wagner ihm einige Aussicht zu einer Professur in Göttingen eröffnete. Vielleicht war damals davon die Rede, daß Wagner nach München berufen werden sollte. Denn für ihn und Stannius gleichzeitig war kaum die Möglichkeit gegeben. "So wäre ich denn heimgekehrt in mein stilles Rostock", schreibt er am genannten Tage, "und bewege mich wieder in den gewohnten Verhältnissen. Die Reise hat einen äußerst wohlthuenden Eindruck auf mich gemacht und hätte nur freundliche Erinnerungen mir hinterlassen, wäre sie nicht zuletzt noch durch den Unfall meines Hermann 52 ) etwas getrübt worden. Der arme Junge hat sich den Fuß verstaucht und muß noch immer ruhen. Indessen gehts heute schon bedeutend besser. - So viele deutsche Universitäten ich bis jetzt auch näher kennen gelernt habe, - nirgends haben mich alle Verhältnisse so angesprochen als in Ihrem freundlichen Göttingen. Ich wiederhole Ihnen, was ich bereits früher ausgesprochen, Ihre Universität hat, meiner vollsten Überzeugung nach, eine reiche schöne Zukunft zu erwarten. Sie wird, sie muß mehr noch erlangen, als sie jemals hatte. Wie ganz anders bei Ihnen, als auf den preußischen Universitäten, als in Heidel-


52) Der älteste, 1842 geborene Sohn, der nach vollendetem juristischem Studium sich der Konsulatslaufbahn zuwandte und längere Zeit Generalkonsul des Deutschen Reichs in Smyrna war. Er starb 1912. Rostocker Anzeiger vom 25. September 1912. Willgeroth, S. 256.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 26 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

berg, als in Würzburg und München. Sie haben die tüchtigsten Lehrkräfte, die nicht durch anderweitige Ansprüche zersplittert werden, die nicht auf die Bahnen falschen Ehrgeizes abgelenkt werden, die allein auf Lehre und Wissenschaft sich concentriren. Sie besitzen wissenschaftliche Anstalten, zum Theil großartig, zum Theil ausreichend für Unterricht wie für eigene Forschungen. Ihre Universität behauptet dem Ministerium wie dem Lande gegenüber eine würdige Stellung. Das Alles ist ausreichend, Ihnen Ihren Rang anzuweisen, und, wie die deutschen Verhältnisse liegen, Sie werden ihn unbestritten behaupten. Daß bei solchen Eindrücken unsere letzte Unterredung zehnmal und hundertmal schon in meinem Kopfe sich wiederholt hat, daß manches Ihrer Worte hin und her gedeutet ist, werden Sie begreiflich finden. Aber selbst auf die Gefahr hin, sie falsch verstanden, irrig gedeutet zu haben, wiederhole ich Ihnen, daß ich mich äußerst glücklich schätzen würde, in Ihrem Kreise zu wirken, daß ich gewisse Opfer, die ein Verlassen und Aufgeben meiner gegenwärtigen Verhältnisse nothwendig nach sich ziehen müßte, nicht scheuen würde, falls es mir vergönnt sein könnte, Ihnen anzugehören. Sie werden mich nicht mißverstehen; es sind nicht äußere Verhältnisse, die mich locken; es ist das Verlangen, einer Universität im eigentlichsten Sinne des Wortes eingegliedert dort zu werden."

Leider mußte dieser Wunsch unerfüllt bleiben. Wagner kam nicht nach München und die Stelle des vergleichenden Anatomen und Zoologen wurde anders besetzt. Offenbar kam es Stannius damals nicht darauf an, Rostock verlassen zu können, weil es ihm dort nicht behagte. Vielmehr blieb er der Hochschule, die ihn aus seiner anstrengenden praktischen Tätigkeit für die Wissenschaft gewonnen hatte, dankbar verpflichtet und unterließ nichts, was ihm in seiner Lage möglich war, namentlich in der Zeit seines Rektorats, zu ihrer Hebung beizutragen. Das Schicksal der Universität lag ihm immer am Herzen. Aber die Begrenzung der Möglichkeit zu wissenschaftlicher Betätigung erlaubte ihm nicht, seine Fittige so zu entfalten, wie er es sich wünschte. Das Ministerium mußte mit den knappen zur Verfügung stehenden Mitteln haushalten. Erst sehr viel später, als die Stände die Bedeutung der Universität für das ganze Land richtiger würdigen lernten, entschlossen sie sich, den landesherrlichen Mitteln entgegenzukom-

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 27 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

men und sie durch ihre finanzielle Mithilfe zu verstärken. Dadurch wurde ein Aufschwung des medizinischen Unterrichts möglich in neu errichteten schönen Kliniken, die Stannius seiner Zeit vermißte. 53 ) Daß Stannius nicht um jeden Preis Rostock aufzugeben geneigt war, beweist sein Brief vom 5. Novbr. 1850 als Antwort auf eine Aussicht, nach Breslau berufen zu werden, die ihm Rudolf Wagner erschlossen hatte. Göttingen blieb sein Ideal. Die Hoffnung auf Breslau beglückte ihn nicht, und die Zumutung, sich um die dortige Professur zu bewerben, wies er weit von sich. "Ihr letzter Brief hat gewisse Hoffnungen, welche zu nähren ich anfing, verscheucht. Gerade die mögliche Aussicht, der vergleichenden Anatomie, in Verbindung mit Zoologie, ausschließlich mich widmen zu können, gerade der Wunsch, es in Göttingen zu können, waren es, die mich hoben, aufregten und zu jenem Briefe vermochten. Ich dachte es mir schön, an einer Universität, wie Göttingen, zu wirken, wo so viele edle Kräfte versammelt sind. Sie eröffnen eine entfernte Aussicht auf Breslau; Sie ermuntern zu direkten Schritten. Nach reiflicher Überlegung werde ich dies keinenfalls thun. Bewirbt man sich um eine solche Stelle, so muß man, meiner Ansicht nach, die feste Absicht haben, sie eventuell zu übernehmen. Und ob ich das in Breslau dürfte, weiß ich nicht. Die zu bringenden Opfer müßten immer sehr groß sein, und solche Opfer bringt man nur gegen andere erhebliche Vortheile. Zu solchen würde ich zählen: die durch ausgezeichnete Collegen zu erwartende Anregung, die Anwesenheit jüngerer wissenschaftlich strebender Docenten, eine größere Anzahl befähigter und eifriger Studirender; große wissenschaftliche Hülfsmittel, einen angenehmen Aufenthaltsort. Inwiefern das Alles in Breslau sich finden würde, darüber bin ich zweifelhaft, und eben deshalb verhalte ich mich so stille, daß ich einen Brief, den ich in anderen Angelegenheiten an Siebold geschrieben haben würde, ungeschrieben lasse. Kömmt ohne meine directe oder indirecte Theilnahme eine Vocation, so wird mir das jedenfalls erfreulich sein, mag ich sie annehmen oder ablehnen, worüber ich mir augenblicklich selbst keinerlei Rechenschaft zu geben ver-


53) Richard N. Wegner, Zur Geschichte der anatomischen Forschung an der Universität Rostock, Wiesbaden 1917, S. 139 ff. Auch unter dem Titel: Merkel und Bonnet, Anatomische Hefte, 165. Heft.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 28 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

mag. Wenn eine Aufhebung unserer Universität wirklich in Aussicht stände, dann würde ich nicht schwanken." Bei alledem darf man nicht vergessen, daß die Zeit seines Rostocker Aufenthalts eine in wissenschaftlicher Hinsicht außerordentlich fruchtbare war, es ihm also durchaus gelang, trotz entgegenstehender Schwierigkeiten allgemein anerkannte Leistungen zu schaffen. Sein "Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere" wurde in Rostock fertig (1846 in Berlin gedruckt), und das Aufsehen erregende "peripherische Nervensystem der Fische, anatomisch und physiologisch untersucht," erschien 1849 54 ).

War er mithin durchaus nicht geneigt, unter allen Umständen Rostock zu verlassen, wo er nunmehr bereits 16 Jahre tätig war, so war er gleichwohl nie völlig ausgesöhnt mit den Zuständen. Es beunruhigte ihn das Cliquenwesen unter den Kollegen, das kein rechtes Behagen aufkommen ließ. Am 25. Januar 1851 erkundigt er sich nach dem Wohlergehen und den Arbeiten, mit denen Wagner augenblicklich beschäftigt sei, und fährt dann fort: "Ich meinersseits habe nur bis gegen Anfang December sie (sc. die Arbeiten) observiren können; von da an sind Zeit und Kräfte durch so mannichfache geschäftliche Arbeiten in Anspruch genommen, daß ich mich seit einigen Tagen völlig erschöpft fühle. Ich fühle mich nicht leicht durch eine Geschäftslast gebeugt und gedrückt, wenigstens nicht, so lange ich mir von ihrer Übernahme ersprießliche Folgen versprechen kann; wenn sie aber durch Parteiumtriebe unnütz vergrößert wird, so wird sie mir widerlich, und dies Stadium ist da oder steht wenigstens, allem Anscheine nach, nahe bevor. Die divergirenden Richtungen, welche im Großen unser Vaterland zu zersplittern drohten und noch drohen, geben in engeren Kreisen sich auch kund." In dieser Beziehung hatte schon Georg Beseler, der von 1837-41 in Rostock eine Professur bekleidete, zu klagen gehabt. Er schreibt in seinen Erinnerungen 55 ), daß er, obwohl seine Frau einer in Mecklenburg sehr angesehenen und verbreiteten Familie angehörte, doch nicht recht warm im Lande geworden sei. Die Schuld daran schob er dem engen Partikularismus, der sich


54) Nachweis seiner sämtlichen Veröffentlichungen bei A. Blanck-Wilhelmi, Nr.551, und bei Wegner, a.a.O., S. 129.
55) Erlebtes und Erstrebtes, 1884, S. 38.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 29 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

allenthalben breit mache, und den Zerwürfnissen und Parteiungen an der Universität zu. Daran mochte sich in dem Jahrzehnt, seit Beseler Rostock verlassen hatte, nicht viel geändert haben.

Es scheint mir, daß bei den mitunter hart ausfallenden Urteilen über die Landesuniversität wohl auch der Kränklichkeit von Stannius Rechnung getragen werden muß. Als geborener Hamburger hätte ihm das Klima nichts anhaben sollen, aber wenn er manchesmal Personen und Dinge zu scharf ansah. so warf wahrscheinlich seine spätere Krankheit ihre Schatten voraus. Jedenfalls war er im Frühjahr 1851 wieder krank. "Ein heftiger Anfall von Grippe hatte mich sehr mitgenommen; eine Unvorsichtigkeit bei einer sehr starken Blutentziehung hätte sehr böse Folgen haben können; eine hartnäckige Augenentzündung ist es aber, die mich noch immer von aller Thätigkeit zurückhält und, allem Anscheine nach, noch längere Zeit zu halber Unthätigkeit zwingen wird. Die laufenden Geschäfte absolviren, herumschlendern, meinen Hermann unterrichten, - das ist Alles, was ich mir gestatten darf. An wissenschaftliches Arbeiten ist nicht zu denken, und mein Programm wird ungeschrieben bleiben. Schöne Aussichten für einen Sommer, in dem ich recht eifrig zu arbeiten dachte! Ich werde mich nun auf meine Vorlesungen zu beschränken haben, für die eine größere Anzahl von Zuhörern als in den letzten Jahren sich einzufinden scheint."

Einen damals, wie es scheint, verbreiteten Mißstand an deutschen Universitäten berührt er am Schluß mit kurzen Worten, die zugleich seine ehrenhafte und redliche Gesinnung bekunden, die jeden Umweg, auf dem man zu einer Professur gelangen könnte, verabscheut. "Ihre Meldungs-Nachrichten für die Langenbecksche Stelle 56 ) haben mich sehr unangenehm


56) Konrad Johann Martin Langenbeck, 1776-1851, war seit 1814 o. Professor der Anatomie und Chirurgie in Göttingen. Im Jahre 1848 mußte er auf Wunsch der Regierung seine Stellung als Lehrer der Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Klinik aufgeben und wurde auf die anatomische Professur beschränkt. Obwohl er im 72. Lebensjahre stand, besaß er eine solche Rüstigkeit des Körpers und Frische des Geistes, daß er den Verzicht bitter empfand. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Baum aus Greifswald. A.D.B. 17, S. 667; 46, S. 251.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 30 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

berührt. Ich hasse dies Meldungs-System, das immer mehr überhand zu nehmen scheint. An die Greifswalder Facultät sind, wie ich höre, nicht weniger als 14 Gesuche der Art betreffend die Hornschuch'sche Professur eingegangen. Ein Professor muß sich rufen lassen, muß gewünscht werden; sonst bekömmt er meist eine schiefe Stellung. Und was kömmt bei solchen Meldungen heraus? Die tüchtigsten Männer werden unter nichtigen Vorwänden allenfalls perhorrescirt. So ist es z. B. Rathke 57 ) in Bonn gegangen, wo Troschel 58 ) ihm vorgezogen ward; so früher schon Baer 59 ) in Halle, der d'Alton 60 ) nachstehen mußte." Die trübe Stimmung, die Stannius heimsuchte, wollte nicht mehr weichen. Im Herbste war er auf einer Versammlung in Berlin gewesen, wo er mit Rud. Wagner zusammengetroffen war. Darauf hin schrieb er am 10. November 1851: "In Berlin konnte ich Ihnen am letzten Abende nicht mehr Lebewohl sagen, was mir sehr leid that; ich war müde und abgespannt und mußte das Bett suchen. Unterwegs hierher hatte ich noch die große Freude, Thöls auf einige Augenblicke zu begrüßen. Es ist außerordentlich wohlthuend, die alten Freunde, wenn auch nur auf Momente, wiederzusehen. Hier bin ich isolirter als je, und werde es fast vollständig sein, wenn Leist's 61 ), dem ein Ruf nach Tübingen drohen soll, uns verließen. Ich lese diesen Winter wenig; nur vergleichende Anatomie und Histologie. Da bleibt mir Zeit zu Arbeiten und ich benutze sie."

Aus den Jahren 1852 und 1853 liegt nur je ein Brief vor. Das Schreiben vom 9. Januar 1852 enthält die Klage, daß er sich körperlich und geistig abgespannt fühle, "wie mich schon


57) Martin Heinrich Rathke, 1793-1860, Anatom und Embryolog. A.D.B. 27, S. 352.
58) Franz Hermann Troschel wurde 1844 Privatdozent in Berlin nud 1847 in Bonn a.o. Professor, am 8. April 1881 daselbst Ordinarius.
59) Karl Ernst v. Baer, 1792-1876, berühmter Naturforscher. A.D.B. 46, S. 207.
60) Eduard d'Alton, 1803-1854.
61) Burkhard Wilhelm Leist, 1819-1906; 1842 Privatdozent in Göttingen, 1846 a.o. Professor daselbst, 1847 o. Professor in Rostock, 1853 nach Jena. J. Bekker, B. W. Leist und seine Äqualen, in Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Rom. Abt. 28. Stintzing-Landsberg, Geschichte der Jurisprudenz 3, 2, S. 350.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 31 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Frau Thöl hier sah und ich es täglich mehr werde." Im übrigen ist weder in diesem, noch in dem Briefe aus dem folgenden Jahr eine Bemerkung über Rostock gemacht. Dann kommt am 9. Januar 1854 ein Seufzer über seine Zurückgezogenheit in Rostock. Er übersendet Wagner eine neue Arbeit und bittet um nachsichtige Beurteilung, die gewiß nicht nötig war. Er meint jedoch: "in der ultima Thule wird es Einem schwer, den in den Capitalen der Wissenschaft Thronenden genug zu thun, und doch geräth ein Strebender gar leicht in die Versuchung, von Zeit zu Zeit zu dokumentiren, daß er des Fortschritts sich befleißigt; ob er dabei auf rechtem Wege sich befindet oder in Holzwege sich hat ablenken lassen, darüber erwartet er den Ausspruch Anderer." Im übrigen lebte er damals in entsetzlicher Spannung und Unruhe. Sein Sohn war an einem Darmleiden erkrankt, und er fürchtete für sein Leben. Die Sorge um das Kind dauerte einige Zeit, und er gab ihr erneut in einem undatierten Briefe, der wohl noch aus dem Anfang Januar 1854 stammt, rührenden Ausdruck. Eben dieser Brief ist von anerkennender warmer Dankbarkeit der Hochschule gegenüber, an der er seinen wissenschaftlichen Ruf begründet hatte, wenn er auch nicht frei von schmerzlich berührenden Eingeständnissen ist. "Eine andere Sorge neben dieser um meinen Sohn habe ich nicht. Seit ich die Erfahrung gemacht, daß eine Theilnahme an wissenschaftlichen Untersuchungen von solchen, bei denen sie vorausgesetzt werden dürfte, versagt werden kann, bin ich hier ganz zufrieden und beruhigt, und so war z. B. meine Stimmung auch während der Paar Tage, die ich im vorigen Herbste in Göttingen verbrachte. Thöls und Leists versicherten, mich nie ruhiger, zufriedener und heiterer gesehen zu haben. Sie wissen, ich habe mich oft fortgesehnt von hier; dabei war und blieb das wesentlichste Motiv immer das eine: aus meiner wissenschaftlichen Isolirung herauszukommen, meine Untersuchungen Anderen demonstriren, Urtheile Anderer darüber unmittelbar entgegennehmen zu können, an wissenschaftlichem Material und Umgang keinen Mangel zu leiden. Daneben tauchte dann auch der Wunsch auf nach einem größeren Auditorium, denn als Lehrer blos von zweien oder dreien zu wirken, ist nicht angenehm. Mit Ausnahme dieser Punkte bin ich hier zufrieden; eine im ganzen nicht bureaukratische Regierung, ein tüchtiger braver Men-

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 32 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schenschlag, Umgangsverhältnisse mannichfacher Art, Freunde in weiten Kreisen und wenn auch weniger nahestehende in der eigenen Facultät, so doch sehr eng verbundene aus anderen Facultäten, dabei eine mäßige, aber vor Sorgen schützende Einnahme. Erwäge ich diese, durch langjährige Erfahrung erprobten Vorzüge und daneben die Ungewißheit, ob ich an einer größeren Universität die gewünschte Theilnahme Anderer an meinen wissenschaftlichen Bestrebungen wirklich finden würde, so stellt sich nothwendig ein Gefühl der relativen Zufriedenheit heraus, und das hat mich, abgesehen von dem entsetzlichen Unglück, das mich getroffen, nicht verlassen. Mit Ausnahme der letzten Monate habe ich über Jahr und Tag gearbeitet mit soviel Lust und Liebe, wie nie zuvor, habe, mit Ausnahme der Vorlesungen und Sitzungen, die Stadt Rostock kaum betreten, in meinem Garten mit meinen Kindern und einigen Freunden die nicht der Arbeit gewidmete Zeit verbringend. Die Liebe zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen und, wie ich hoffe, auch die Pietät gegen die Natur hat zugenommen. Da ich einmal zu einer neuen Ausgabe meines Handbuches mich hatte entschließen müssen, war ich genöthigt, Vieles im Zusammenhang durchzuarbeiten, und das ist immer fruchtbar, wenn auch, bei minder interessanten Abschnitten, beschwerlich. Das Arbeiten ist meine Freude; liegt mein Machwerk fertig da, dann verwünsche ich es, und es ist nicht meine Schuld, daß meine beiden letzten Publicationen ausgegeben sind; ohne einen nicht abgegebenen Brief wäre die erste nie erschienen, und in betreff des Handbuches müssen Berliner Gönner thätig gewesen sein, denn noch Mitte December schrieb ich den Verlegern unter Anbietung vollen Ersatzes für die Druckkosten etc. auf eine Weise, daß ich alles eher als eine sehr artige Antwort und Einsendung der Freiexemplare erwartet hätte. Mein Unmuth und meine Unzufriedenheit mit dem Handbuche sind durch einen äußerst freundlichen Brief J. Müller's 62 ) gewichen, der schon die Aushängebogen eingesehen hatte.


62) Johannes Müller, 1801-1858, der große Anatom und Physiolog, Professor in Berlin. Von dem durch v. Siebold und Stannius in Angriff genommenen Handbuch der Zootomie erschien der von Stannius bearbeitete Teil, Handbuch der Wirbeltiere, in 2. Auflage 1854 und das dazu gehörende 2. Buch, Zootomie der Amphibien,
(  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 33 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Was speciell Breslau anbetrifft, so will ich nicht läugnen, daß es mir lieb gewesen wäre, wenn man mich gerufen hätte. Unter günstigen Anerbietungen wäre ich auch wahrscheinlich hingegangen. Aber ich bin ja nicht einmal vorgeschlagen, und doch haben sich angeblich so Viele für meine Berufung interessirt. Nun auch Frerichs! 63 )

Deutschland hat eine Universität und die heißt Göttingen. Das ist mein alter Satz, von dem ich nicht weiche; nicht daß ich persönliche Wünsche mehr hätte oder hoffte oder gar beneidete. Sie wissen: die Sterne, die begehrt man nicht, man freut sich ihrer Pracht."

Diesem Briefe ist noch einer, vom 26. Oktober 1854, gefolgt, der indes, lediglich fachwissenschaftlichen Inhalts, für weitere Kreise kein Interesse bietet. Wie es gekommen sein mag, daß der Briefwechsel aufhörte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Briefnachlaß und die Tagebücher von Hermann Stannius, die er einmal erwähnt, die vielleicht Aufschluß geben würden, haben sich nicht erhalten. Wahrscheinlich ist der Grund in der zunehmenden Kränklichkeit zu suchen. Sie wurde Veranlassung, daß am 2. Oktober 1852, nach Quittenbaum's Tode am 14. August 1852, Professor Bergmann 64 ) aus Göttingen als ordentlicher Professor der Anatomie nach Rostock berufen werden mußte. Ihm fiel 1863 die Vertretung der Physiologie zu.

Im Herbste 1861 fühlte der oft kränkelnde Mann sich wieder einmal behaglich. In einem durch seinen Zustand kaum gerechtfertigten Vorgefühl eines nahenden Todes schrieb er


(  ...  ) ebenfalls in 2. Auflage 1856. Die 2. Auflage des Handbuches der Wirbeltiere erschien Berlin 1854. In dem Vorwort, das aus Rostock von Ende Juli 1853 datiert ist, wünscht er sich für die neue Bearbeitung eine ähnliche Nachsicht, wie sie der ersten Auflage zuteil geworden wäre. Der zweite Abschnitt, Zootomie der Amphibien, erschien in 2. Auflage 1856 mit einer von Ostern 1856 datierten Widmung.
63) Friedrich Theodor v. Frerichs, 1819-1885. Seit 1852 o. Professor der Medizin in Breslau, seit 1859 in Berlin. A.D.B. 21, S. 782.
64) Carl Bergmann, 1814-1865. Seit 1843 Extraordinarius in Göttingen, seit 2. Oktober 1852 in Rostock. M. Braun, Zoologie usw., S.36 Anm. 1. - Blanck-Wilhelmi, Nr. 613. - R. N. Wegner. a. a. O., S. 130.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 34 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

auf einem Zettel eine "Disposition für den Fall meines baldigen Ablebens". Das eigenhändig geschriebene und "H. Stannius Rostock November 1861" unterzeichnete Schriftstück, dem eine eingehendere Ausführung nicht gefolgt zu sein scheint, lautet: "Da ich einen baldigen Tod zu erwarten habe, so bitte ich meine liebe Frau und meine lieben Kinder, mich in liebevollem Andenken zu behalten, meine gute liebe Frau namentlich, manche Schwäche mir zu vergeben und die Überzeugung zu bewahren, daß ich sie als meinen Schutzengel auf meinem Lebenspfade verehrt habe und verehre. Meinem Sohn Hermann empfehle ich Fleiß, Ausdauer und Treue im Kleinen wie im Großen. Was er auch werden möge, er gebe sich dem Berufe mit Liebe und Treue hin.

Meinen geringen Nachlaß mögen Frau und Kinder sich theilen. Vor Allem aber wünsche ich, daß es Hermann während seiner Studienzeit an nichts fehle.

Von meinen Büchern wünsche ich, daß wenigstens die kleinen Schriften und Dissertationen dem zootomischen Institute der Universität als Andenken an mich übergeben werden. Auch anderes Einzelne, das interessiren könnte, stelle ich der Universität zur Disposition."

Dieser kurzen Aufzeichnung sind aus dem Mai 1862 noch folgende Zeilen auf dem gleichen Blatt angereiht: "Meine Papiere wünsche ich vernichtet! Desgleichen meine Briefe; wenigstens soll keinerlei Mißbrauch damit getrieben werden. Auch das Manuscript mit Excerpten aus Göthe."

Dauernd gehörte also sein warmes Interesse der Hochschule, die ihn aus der ihm nicht zusagenden medizinischen Praxis befreit hatte. Ihr vermachte er einen Teil seiner Bücher. Daß er in seinen kargen Mußestunden sich gern in Goethe zu vertiefen pflegte, erfährt man nur aus dem Nachtrage. Gewiß im höchsten Grade bedauerlich, daß auch diese Papiere, seinem Wunsche gemäß, haben vernichtet werden müssen. Über seinen Zustand irrte er sich. Zwar wurde er kränker, aber der Tod kam nicht so schnell. Im Jahresbericht vom 30. Oktober 1862 klagte Stannius über Krankheit, die ihn nötigte, um vorläufige Entbindung von den Vorlesungen über Physiologie zu bitten und einen Teil der Objekte, Instrumente und der Etatssumme an Professor Bergmann abzutreten. Im Sommer 1863 übernahm Bergmann in der Tat

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 35 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die Direktion des Instituts, für das er freilich wenig mehr tun konnte, da er selbst krank und längere Zeit von Rostock abwesend sein mußte. Die pathologischen Vorlesungen waren wohl schon durch Ackermann 65 ), der 1856 Privatdozent und seit 24. Mai 1859 außerordentlicher Professor der Medizin in Rostock geworden war, übernommen.

Zehn Jahre nach dem letzten Briefe von Stannius starb Rudolf Wagner in Göttingen. Daß Stannius sein Nachfolger hätte werden können, war bei seinen unterdessen erreichten Lebensjahren ausgeschlossen. Ihn hatte im Jahr vorher der geistige Tod ergriffen, ein schweres Schicksal für den arbeitslustigen und ideenreichen Mann, der in diesem traurigen Zustande noch zwei Jahrzehnte verbringen mußte.

Aus dem Institut für vergleichende und pathologische Anatomie und Physiologie, das Stannius mit so großem Verständnis und warmer Liebe für die von ihm vertretene Wissenschaft schuf und ausbaute, sind später drei Universitätsinstitute geworden. Der pathologische Teil wurde zuerst 1863 abgetrennt und Professor Ackermann übertragen, der bis 1873 die ordentliche Professur der Pathologie verwaltete und der erste Direktor des pathologischen Instituts wurde. Sein Nachfolger war Emil Ponfick, der 1876 nach Göttingen übersiedelte. Das anthropologische und das vergleichend-anatomische Institut wurde nach Bergmann's Tode seit 1865 von Franz Eilhard Schulze verwaltet, der seit 1863 Prosektor am anatomischen Institut und zugleich Konservator am Zoologischen Museum war. Er wurde am 26. August 1865 Professor extraordinarius der vergleichenden Anatomie und Direktor des für den Lehrbetrieb derselben vorgesehenen Instituts (des einst von Stannius begündeten und ausgebauten). Im Jahre 1871 wurde Schulze zum ordentlichen Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie ernannt und damit war die notwendig gewordene Trennung des Lehrgebietes der beiden Schwesterwissenschaften, der menschlichen Anatomie und der vergleichenden Anatomie, durchgeführt. Schulze's Nachfolger wurde 1873 Hermann Grenacher. Die Physiologie wurde dann 1865 von


65) Hans Conrad Carl Theodor Ackermann, 1825-1896. Seit 1865 o. Professor der Medizin in Rostock und seit Michaelis 1873 in Halle. Blanck-Wilhelmi, Nr. 718. Willgeroth, S. 259.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 36 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

der vergleichenden Anatomie getrennt und mit der Berufung von Professor Henke auf den Lehrstuhl der Anatomie ein neues Ordinariat für Physiologie in der medizinischen Fakultät errichtet. Die neue Professur erhielt am 21. Juli 1865 Hermann Aubert 66 ).

 

Vignette

66) M. Braun, a. a. O., S. 36. R. N. Wegner, a. a. O., S. 135.