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III.

Die Lage
der Travemünder Reede

 

von

 

Werner Strecker.

Vignette
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Erwiderung des Mecklenburg=Schwerinschen Geheimen und Haupt = Archivs auf das Erachten Prof. Dr. Rörigs vom 20. April 1927:
"Die endgiltige Lösung des Reedeproblems." * )

5. Archivgutachten vom 26. September 1927 für das Mecklenburg=Schwerinsche Ministerium des Innern.



*) Dieses Erachten Rörigs wird in der Zeitschrift für lübeckische Geschichte veröffentlicht werden.
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Inhalt.

  1. Die neuen Quellen über die Reedelage von 1784-1801
    Die neuen Quellen. Kartenbeilage 3 zu Rörig IV (Hagensche Karte) S. 73 - 74. Berechnung des Lübecker Fadenmaßes und der 1784 genannten Entfernungen zwischen Bollwerk und Reede, S. 74 - 76. Besprechung der Hagenschen Karte, S. 76 - 79. Anwendung der Quellen von 1784 und 1801 auf die französische Seekarte von 1811 und die dänische von 1860, S. 79 - 80. Desgl. auf die neueste Admiralitätskarte (siehe Kartenbeilage), S. 80 - 82. Streitfall von 1784 S. 82 - 85. Quellen von 1792 und 1731, S. 85 bis 86. Angaben der französischen Karte, Punkt B der Sahnschen Skizze von 1823, S. 87 bis 88. "Reedekopf", Wohlersche Karten, S. 88 bis 89. Anweisungen von 1855 und 1875, S. 90 bis 91. Angaben der heutigen Lübecker Sachverständigen, S. 91 - 94. Ankergrund der inneren Bucht, S. 94 f. Wismarer Reede, S. 95. Mecklenburgische Verordnung von 1925, S. 96. Keine Reede bei Rosenhagen, S. 96 f. Angebliche "Platenreede", S. 97. Irrtümliche Meinung Rörigs über die Lage der Leichterreede, S. 98 f. Quarantänereede S. 99. Ballastordnung von 1787, S. 100. Eigentliche Reede und Reede im geographisch-nautischen Sinne, S. 101 - 104.
  2. Die Quellen der Akten über Fischereistreitigkeiten
    Fall von 1823, Außenreede, S. 105 - 109. Raumbegriffe im Prozeß von 1823-1825, Begriff der nautischen Reede in der Aussage von 1547 und im Fischereivergleich von 1610, S. 109 bis 114. "Binnen de Reide" und "buten de Reide", S. 114. Aus der Bezeichnung "Reede" keine Gebietshoheit ableitbar, S. 114 f. Punkt A der Sahnschen Kartenskizze von 1823, S. 115 f. Die beiden "Gruppen" unserer Einwendungen gegen Rörigs Beweisführung. S. 116 - 118.

Exkurs. Zur Beurteilung der älteren Seekartenwerke

Nachtrag

Beilage. (Skizze zur Lage der Travemünder Reede um 1800.)

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I. Die neuen Quellen über die Reedelage
von 1784-1801.

In dem neuesten Erachten Prof. Dr. Rörigs vom 20. April 1927 (Nochmals Mecklenburger Küstengewässer und Travemünder Reede. Teil IV. Die endgiltige Lösung des Reedeproblems. Zitiert im Folgenden: Rörig IV) werden für die Reedelage wichtige Quellen aus der Zeit von 1784-1801 vorgebracht. Sie bestehen

  1. in den Akten über den Fall des englischen Kohlenschiffes von 1784, zumal dem damals von der Frau des Lotsenkommandeurs Scharpenberg erstatteten Bericht, worin die Entfernung der Reede vom Bollwerk in Kabeltau- und Faden-Längen angegeben wird 1 ),
  2. in den Kartenskizzen und Mitteilungen des Lotsenkommandeurs Wohlers von 1788 und 1801, woraus sich Fadentiefen der Reede ergeben 2 ).

Schwerlich wird ein Leser des Erachtens den Eindruck gewinnen, als ob dieses Material zu den bisherigen Behauptungen Rörigs über die Reedelage stimme. Selbst wenn man die von Rörig vorgenommene Umrechnung der Fadenmaße in Meter und die danach auf der Karteibeilage 3 des Erachtens von Herrn Stabsingenieur Hagen bestimmten Reedelinien gutheißen wollte - was unter gar keinen Umständen möglich ist - , so würde man doch einräumen müssen, daß hier von einer Reede vor Rosenhagen oder auch nur annähernd in der Höhe dieses Dorfes schlechterdings nicht mehr gesprochen werden kann, sondern daß der Ankerplatz im westlichen Teile der Travemünder Bucht und fast vollkommen außerhalb des mecklenburgischen Gewässers liegt. Es handelt sich hier nicht, wie Rörig meint, um "subtile Verfeinerungen" der Kartenskizze 2 seines ersten Erachtens, sondern um einen vollkommenen Umsturz dessen, was aus dieser Kartenskizze zu entnehmen war.


1) Rörig IV, S. 36 ff.
2) Rörig IV, S. 31 ff. und Kartenbeilagen 1 und 2. Eine Kartenskizze Wohlers von 1787 wird nicht mit vorgelegt.
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Wir sehen auf der neuen Kartenbeilage 3, die wir in Zukunft die Hagensche Karte nennen wollen 3 ), den Verlauf der Majorlinie im Jahre 1810 eingetragen und parallel zu ihr zwei kurze Striche, die das 1784 in dem Scharpenbergischen Bericht bezeichnete Reedegebiet begrenzen sollen. Ferner finden wir auf der äußeren Grenzlinie drei Anker; sie sollen den Angaben und Karten des Lotsenkommandeurs Wohler entsprechen.

Auf die genannten Grenzstriche und auf die Ankerlage kommt es an. Alles andere ist Nebensache. Nach den Abgrenzungen auf der Hagenschen Karte liegt die Reede um die Majorlinie herum, der Grenzstrich seewärts mit den Ankern gut 300 m dahinter. Es würde hierin, wenn man die Reedelage an sich, ohne Berücksichtigung der Majorlinie, betrachtet, für die Zeit um 1800 nicht einmal ein so wesentlicher Unterschied zu unseren Berechnungen in Archiv III zu erblicken sein, wie Rörig meint, doch müssen wir die Karte berichtigen. Dazu bedarf es einer Betrachtung der Quellen, auf denen sie hier beruht. Und weil es sich in diesen Quellen um Maßangaben nach Faden handelt, so muß zunächst die Länge des Fadens noch einmal festgestellt werden.

Nach Rörig (IV, S. 39) betrug der in Lübeck bei Seemessungen benutzte Fuß, wie aus Umrechnungen von 1875 hervorgehe, 0,2876 m 4 ). Es sei also der Lübecker Fuß. Damit wird zugegeben, daß wir diesen in Archiv III, S. 18 genau richtig berechnet haben (0,28762 m). Und weil der Faden nun einmal 6 Fuß lang ist, so hätten wir eigentlich das weitere Zugeständnis erwarten können, daß die von uns ermittelte Länge des Lübecker Fadens (1,72572 m) ebenfalls richtig und überhaupt allein möglich ist. Statt dessen erklärt Rörig, sie sei "durchweg falsch". Er beruft sich auf die Angabe des Lotsenkommandeurs Wohler von 1801, wonach die Tiefe auf der Reede, "wo die Schiffe gewöhnlich ankern" , "beinahe 5 Faden oder 30 Fuß" betrage. Hier würden - so behauptet Rörig - "30 Fuß nicht etwa 5 Faden gleichgesetzt", sondern sie seien "beinahe 5 Faden". Also sei der Faden etwas größer als sechs Fuß. Indessen ist es doch ganz selbstverständlich, daß die Einschränkung "beinahe" sich auf beide Größen bezieht und daß Wohler die 5 Faden den 30 Fuß gleichsetzte, indem er die Fadenlänge noch einmal in dem gewöhnlichen Grundmaß, nämlich dem Fuß, ausdrückte. Ebenso würden wir heute sagen: 5 preußische Faden oder 9,41 m. Demgemäß hat denn auch Wohler auf seiner Kartenskizze von 1788 eine Tiefe von 5 Faden dort angegeben, wo auf seiner Karte von 1801 30 Fuß stehen. Er wollte also sagen:


3) Über sie vgl. die Bemerkungen bei Rörig IV, Anl. 4.
4) In unserer Abschrift des Erachtens steht versehentlich 2,876.
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Die Tiefen betragen nicht ganz 5 Faden. Übrigens war es auch nicht gut möglich, daß die Schiffe überall genau auf 30 Fuß oder 5 Faden Wasser ankerten; denn die Tiefen wechseln in der fraglichen Buchtgegend schnell.

Weil wir ja wissen, daß man in Lübeck bei Seemessungen den Lübecker Fuß und also auch den Lübecker Faden zugrunde legte, so kann kein anderer Faden in Betracht kommen, auch nicht der englische. Rörig nimmt nun "die mindest mögliche Fadengröße" zu 1,80 m an und begründet dies damit, daß Wohler nebenher auch in Klaftern gerechnet habe und daß man dieses alte Naturmaß mit 1,80 m wiedergebe. Aber Klafter ist nur ein anderer Ausdruck für Faden, und Abrundungen wie die des Klafters auf 1,80 m konnten erst entstehen und sind auch erst entstanden, seit man die alten Längenmaße mit dem Meter und dem Dezimalsystem in Einklang zu bringen suchte. Vorher rechnete man nach Zoll, Fuß, Ellen, Faden (Klafter). Es ist natürlich unmöglich, daß man diese Maße mit dem Meter in Verbindung brachte, das es, als Wohler seine Karte von 1788 zeichnete, überhaupt noch nicht gab und das noch sehr lange in Lübeck gar nicht verwendet wurde. Es wäre dies gerade so, als ob wir unsere heutigen Maßeinheiten nach einem unbekannten oder ungebräuchlichen System abrunden wollten. 1,80 m sind für uns heute ein Begriff, für den Lotsenkommandeur Wohler war es keiner. Der lübische Faden betrug also 6 Fuß = 1,72572 m. Daran ist festzuhalten 5 ).


5) Rörig (IV, S. 40 Anm. 56) meint, daß ein Faden von 1,80 m für die Angaben der niederländischen und schwedischen Seebücher vermutlich noch zu klein sei. Nach welchem Faden rechnete denn aber Waghenaer in seinem Seekartenwerk? Daß er überall selber gemessen hat, ist doch ganz ausgeschlossen. Er wird sich im wesentlichen an Mitteilungen gehalten haben, die man ihm machte. Und daß seine doch nur sehr ungenauen Einzeichnungen der Wassertiefen überall nach demselben Faden berechnet sind. ist gar nicht anzunehmen (vgl. Archiv III, S. 18, Anm. 57). Auch Peter Geddas Karte der Lübecker Bucht beruht zweifellos nicht auf eigenen Messungen. Er wird die Fadentiefen angegeben haben, die man ihm in Travemünde nannte. Wenn er selber maß, kamen ganz andere Karten zustande, so die Karte der Wismarer Reede in seinem Atlas und die Karte der Wismarischen Gründe und Einfahrt von 1694 (abgeb. Mitt. d. Meckl. Geologischen Landesanstalt XV, 1903), die beide sehr wohlgelungen sind, Die Fadenlänge aber, nach der er rechnete, läßt sich aus ihnen nicht ermitteln, wenn es auch z. B. auffällt, daß er in der Mitte der Wohlenberger Wiek Tiefen von 6, 6 1/2, ja 7 Faden angibt, während die Admiralitätskarte von 1873 hier über 9 m nicht hinauskommt. Das Wahrscheinlichste ist jedenfalls, daß Gedda (und auch sein Vorgänger Månsson) bei eigenen Messungen den schwedischen Faden gebraucht hat. Dieser ist 6 schwedische Fuß lang. Der schwedische Fuß beträgt 131,6 Pariser Linien, der Faden also 1,781 m, noch nicht 6 cm mehr als der Lübecker.
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Wenden wir uns nun zunächst der Quelle von 1784 zu. Es berichtete damals die Frau des Lotsenkommandeurs Scharpenberg, daß "alle Schiffe" 5-6 Kabellängen vom Bollwerk lägen, "wo alldorten die Rehde heißt", und daß eine Kabeltau-Länge 130, 140 Faden betrage. Auch hier können nur Lübecker Faden gemeint sein, umsomehr, als die Länge eines Kabeltaus sonst nur zu 120 Klaftern gerechnet wurde 6 ). Die geringste Entfernung vom Norderbollwerk 7 ) betrug also 650 Faden = 1121,7 m (rund 1120 m), die größte 840 Faden = 1449,6 m (rund 1450 m). Statt der 840 Faden setzt Rörig (IV, S. 42) 900 an, aber zu dieser Vergrößerung besteht nicht der geringste Anlaß; ebenso gut könnte man nach unten, auf 800, abrunden. Rörig kommt so, da er ja einen Faden von 1,80 m annimmt, auf 1620 m als größte Entfernung vom Norderbollwerk; die kleinste beträgt nach ihm 1170 m 8 ). Dem stellen wir die soeben von uns errechneten Abstände vom Bollwerk (1120 und 1450 m) entgegen.

Nun liegen auf der Hagenschen Karte (Kartenbeilage 3 bei Rörig IV) beide Reedegrenzstriche so gut wie ganz im festen Sektor des heutigen Leuchtfeuers. Diese Lage der Reede entspricht den Angaben des Travemünder Lotsenkommandeurs und des Lübecker Hafenkapitäns vom Januar und Februar 1927 9 ). Wenn auch diese Sachverständigen als Reedegebiet nur den Teil des Sektors bezeichnen, der jenseit der 10-m-Tiefengrenze liegt 10 ), so wird doch auch dieseit dieser Grenze, wo die Reede nach den Quellen von 1784-1801 zu suchen ist, das tiefste Wasser von den Lichtstrahlen des Sektors umfaßt. Man wird also annehmen dürfen, daß auch die Reede um 1800 im wesentlichen innerhalb des jetzigen Leuchtfeuersektors lag. Nur für dieses Gebiet passen auch die Angaben der Kartenskizze von 1773 (Archiv III, S. 31 ff.), abgesehen von den 4-Faden-Tiefen, die ja am weitesten travewärts liegen und noch etwas über den Sektor hinausgehen. Sogar bei 1450 m vom Norderbollwerk, also der größten 1784 genannten


6) Vgl. z. B. Krünitz, Ökonomische Enzyklopädie (1784). unter Kabel.
7) Daß nicht das Süderbollwerk gemeint ist, versteht sich von selbst.
8) Warum er nebenbei die kleinste Entfernung noch nach einer gar nicht genannten Kabellänge von 150 Faden ausrechnet, wissen wir nicht. In Klammern schiebt er außerdem noch die Entfernungen von 1188 und 1646 m ein, die nach dem englischen Faden berechnet sind, der aber nicht in Frage kommt.
9) Rörig IV, Anl. 2, zu 3 und 6, Anl. 3, zu 2 und 4.
10) Die Bemerkung des Hafenkapitäns, daß "für kleinere Schiffe bei ablandigem Wind wohl auch noch die Mecklenburger, von Steinen reine Seite bis zur 10 m Tiefengrenze" (also noch außerhalb des Sektors) in Betracht komme, interessiert hier nicht, weil diese Gegend nach den Quellen von 1784-1801 ausscheidet.
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Entfernung, kommt man auf der Admiralitätskarte außerhalb des Sektors nicht mehr auf 5 Faden, wo doch die Schiffe nach dem Zeugnisse des Lotsenkommandeurs Wohler ungefähr ankerten 11 ).

Innerhalb des Sektors wird die Reede auf der Hagenschen Karte im Nordwesten begrenzt durch eine Peillinie Badehaus-Kirchturm Travemünde, die nach Rörig (IV, S. 50) 1875 als Nordgrenze des Ankergrundes genannt wird. Für die frühere Zeit ist eine entsprechende Linie nicht nachgewiesen. Zwar findet sich auf der Hagenschen Karte das Gebiet westlich von der Linie als "der Steingrund" bezeichnet, und es wird durch die hinzugefügten Jahreszahlen 1784 und 1836 auf Quellen für diese Benennung verwiesen. Aber 1784 wird nur angegeben, daß ein Schiff nordwärts dem steinigen Grunde zu nahe gelegt worden sei 12 ). Und wenn es 1836 heißt, daß er als "Hoher Zug" bezeichnete Fischereizug "an der rechten Seite von dem Steingrund" begrenzt werde 13 ), so ist damit nicht gesagt, daß der "Steingrund" bis an die heutige Linie Badehaus-Kirchturm gerechnet wurde. Die Seekarten jedenfalls verzeichnen hier noch keinen steinigen Grund. Nach ihnen endet das Steinriff eine kleine Strecke südlich vom Möwenstein 14 ). Es kommt jedoch auf die Linie Badehaus-Kirchturm wenig an.

Nicht zu billigen ist, daß auf der Hagenschen Karte die Entfernungen der Reedestriche vom Bollwerk - die, wie wir sahen, überhaupt berichtigt werden müssen - auf dem Lot abgetragen sind, das vom Bollwerk auf die Majorlinie gefällt ist. Dieses Lot liegt außerhalb des Leuchtfeuersektors, der überdies auf der Hagenschen Karte nicht ganz richtig liegt und etwas nach Nord-


11) Auf der Seekarte des dänischen Marineleutnants Schultz von 1860 würde man außerhalb des Sektors (wenn man diesen in die Karte hineinverlegt) bei 1450 m Abstand vom Bollwerk noch gerade eine Tiefenzahl von 4 dänischen Faden 4 Fuß (8,78 m) berühren, die sich dicht neben dem Sektor findet.
12) Rörig IV, S. 50.
13) Rörig IV, S. 37, Anm. 52.
14) Auf der französischen Seekarte von 1811 ist der Grund des Steinriffes sehr häufig mit Pi (Pierres) bezeichnet. Es hören jedoch diese Bezeichnungen 1250 m nördlich vom Norderbollwerk auf. Die neueste Admiralilätskarte vermerkt St. (Stein) zuletzt an einer Stelle, die fast gegenüber dem Möwenstein liegt und 1500 m vom Norderbollwerk entfernt ist. Auf der Sonderkarte der Traveeinfahrt, die sich auf der Admiralitätskarte findet, wird 1100 m nördlich vom Norderbollwerk und 300 m vor der westlichen Buchtküste gr. Sd. Stg. (grauer Sand, Seetang) angegeben, aber nirgends steiniger Grund (siehe unsere Kartenbeilage). Und auch auf der Kartenskizze des Lotsenkommandeurs Wohler von 1788 (Kartenbeilage 1 zu Rörig IV) endet das durch kleine Kreuze gekennzeichnete Steinriff in der Gegend der alten Schanze, die nahe beim Möwenstein lag.
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weste verschoben werden müßte. Die abgemessenen Entfernungen stimmen also überhaupt nicht mehr für das Gebiet innerhalb des Sektors. Wenn auch der bis zur Majorlinie reichende sogenannte "Hohe Zug" südlich durch eine "gerade auf das Norderbollwerk gezogene Linie" begrenzt wird 15 ), so darf doch eine solche Fischereischeide nicht einfach für die nautische Reede übernommen werden. Man kann daher die Reedelage nur so bestimmen, daß man von der Spitze des Norderbollwerks aus Kreisbögen mit den Radien der 1784 genannten Abstände (1120 und 1450 m) durch den Sektor des Leuchtfeuers schlägt.

Wir kommen schließlich auf die Tiefenzahlen der Hagenschen Karte und die danach bestimmte Lage der drei Anker, die den auf der Wohlerschen Karte von 1801 vorgefundenen Schiffen entsprechen sollen. Die Tiefenzahlen sind für das fragliche Gebiet aus der französischen Seekarte von 1811 entnommen, weiter draußen sind auch noch Tiefenangaben der neuesten Admiralitätskarte in Klammern hinzugefügt. Mit der Übernahme von Tiefen der französischen Karte können wir uns aber nicht befreunden 16 ). Auf dieser Karte sind es vom Leuchtturm bis zu den Tiefen von 26 französischen Fuß (8,66 m), die 5 Lübecker Faden (8,63 m) entsprechen, gut 1900 bis etwa 2050 m. Auf der Admiralitätskarte aber kommt man bei 1900 m Entfernung vom Leuchtfeuer zwar auch nur auf etwa 8,8 m, bei 2050 m Abstand aber schon fast auf den westlichen Teil der 10-m-Tiefengrenze 17 ), und etwas weiter seewärts ist das Wasser schon 10,9 m tief, während die französische Karte die dem Leuchtturm am nächsten gelegene Tiefenzahl 30 (= 10 m) in 2300 m Abstand vom Turme vermerkt. Es wird


15) Rörig IV, S. 37, Anm. 52.
16) Beiläufig sei erwähnt, daß es statt 9,5 m (an der Majorlinie, gegenüber dem Zollhause) heißen muß 6,30 m (19 französ. Fuß, deren 3 auf ein Meter gehen). Statt 8,3 vor dem mittleren Anker wird man 8,6 (26 Fuß) setzen müssen, vgl. die Abbildung der Karte bei Rörig III, Kartenbeilage 2 a, wo die entsprechenden Tiefen gleich hinter dem Punkte (a) zu finden sind. Man übersieht ferner nicht, wie die Tiefe von 9,2 (beim nördlichsten Anker) und weiter draußen Tiefen wie 12,2 oder 14,5 bestimmt sind, weil die französische Karte hier nur volle Fußzahlen angibt, so daß man bei der Umrechnung in Meter immer nur auf Dezimalbrüche von 0,3 und 0,6 (genauer 0,33 und 0,66) kommen kann. Schließlich ist der Abstand der Tiefenzahlen vom Leuchtturm auf der französischen Karte vielfach etwas größer, so daß die Zahlen hier weiter seewärts stehen als auf der Hagenschen Karte. Der Leuchtturm liegt auf dem Original recht genau, so daß man ihn gut als Bestimmungspunkt verwenden kann.
17) Ebenso ist auf der französischen Karte eine noch etwas weiter östlich stehende Tiefenzahl von 26 Fuß dort eingetragen, wo die Admiralitätskarte 9,9 m verzeichnet.
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dies auch auf der Hagenschen Karte deutlich. Auf ihr ist die 10-m-Tiefenlinie eingetragen, allerdings nicht ganz richtig, weil sie etwas zu weit an die mecklenburgische Küste herangezogen ist. Am Rande der Linie finden sich die beiden aus der Admiralitätskarte entnommenen Tiefenzahlen 10,9. Jenseit dieser Tiefen aber, die doch schon fast 11 m betragen, stehen Tiefen von 9,9, die aus der französischen Karte stammen 18 ). Sie stehen also an Stellen, wo das Wasser unzweifelhaft viel tiefer ist als 10 m.

Und während auf der Hagenschen Karte die Tiefenzahlen 8,3 (besser 8,6) 19 ) und 8,6, die vor den Ankern eingefügt sind und wohl für die Stelle der Ankerspitzen gelten sollen, etwa 1970 m vom Leuchtturme abliegen, sind entsprechende Tiefen von 8,7 und 8,6 m auf der Admiralitätskarte 20 ) nur 1640-1670 m vom Leuchtturm entfernt. Auch verzeichnet die Hagensche Karte die Ansegelungstonne Lübeck 1 dicht hinter der Tiefe von 8,6 m; auf der Admiralitätskarte aber liegt sie viel weiter seewärts.

Wie sind diese doch nicht bedeutungslosen Unstimmigkeiten zu erklären? Tiefer kann das Buchtgewässer seit dem Ursprungsjahre der französischen Karte nicht geworden sein, eher flacher 21 ). Die Erklärung ist nur darin zu finden, daß die französische Karte, wenn sie auch für ihre Zeit gewiß ein Meisterwerk war, nicht genau ist. Wenn man daher ihre Tiefenangaben in das Meßtischblatt hineinkonstruiert, wie es auf der Hagenschen Karte geschehen ist, so muß das zu Irrtümern führen.

Wollte man die Reedelage auf der französischen Karte mit Hilfe der Quellen von 1784-1801 bestimmen, so müßte man die Originalkarte selbst zugrunde legen. Erinnern wir uns, daß nach der Angabe des Lotsenkommandeurs Wohler von 1801 die Tiefen, wo die Schiffe gewöhnlich ankerten, beinahe 5 Faden, also nicht ganz 8,63 m betrugen. Auf der Skizze Wohlers von 1788 liegt das eingezeichnete Schiff bei 4 1/2 bis 5 Lübecker Faden (7,76-8,63 m). Dies wäre in Einklang zu bringen mit der Kartenskizze von 1773. auf der die Worte "Reede vor Travemünde oder Lübeck" zwischen den Tiefenlinien von 4 und 5 Faden stehen 22 ). Schlägt man nun auf der französischen Karte vom Norderbollwerk aus Kreisbögen in den 1784 genannten Entfernungen von 1120 und 1450 m, so kommt man bei 1120 m zwar


18) Es sind wohl die beiden Tiefenzahlen von 30 Fuß, die auf der französischen Karte allerdings noch etwas weiter vom Leuchtturm abliegen. Eigentlich also 10 m.
19) Vgl. oben Anm. 16.
20) Sonderkarte der Traveeinfahrt, siehe unsere Kartenbeilage.
21) Vgl. Archiv III, S. 39.
22) Archiv III, S. 31.
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im westlichen Buchtteil über eine Tiefenzahl von 20 französischen Fuß hinaus, erreicht aber nicht die Zahlen 23 und 24, d. h. man kommt wohl noch nicht auf 4 1/2 Faden (etwas über 23 franz. Fuß). Bei 1450 m Entfernung jedoch überschreitet man den Auslauf der Tiefenlinie von 25 Fuß (8,33 m), die noch ein Stück über die Majorlinie vorragt, überschreitet an einer Stelle auch fast eine Tiefenzahl von 25, die unmittelbar an der Majorlinie steht. Über die Majorlinie selbst kommt man im heutigen Sektorgebiet teils gar nicht, teils nur wenig und nirgends mehr als etwa 150 m hinweg. Würde man sich also nach der französischen Karte richten - unter der freilich nicht zutreffenden Voraussetzung, daß ihre Tiefenangaben genau seien - so wären die von Wohler angegebenen Tiefen etwa = 25 französischen Fuß, und dann wäre auch die Reede an der Majorlinie so gut wie zu Ende. Die Tiefenzahlen von 26 Fuß liegen 150 -300 m weiter seewärts als die Tiefenzahl 25, was allerdings nicht ausschließen würde, daß das Wasser auch schon etwas näher bei der Majorlinie, wo keine Zahlen stehen, 26 Fuß tief ist.

Nun könnte man etwa die Seekarte der Neustädter Bucht zugrunde legen, die der dänische Marineleutnant J. P. Schultz 1860 vermessen hat. Sie gibt die Wassertiefen in dänischen Faden und Fuß an und bezeichnet die Tiefengrenzen von 1 bis 10 Faden durch Linien. Schlägt man vom Norderbollwerk aus, das zwar nicht abgebildet ist, dessen Länge man aber aus der Admiralitätskarte (nach der Entfernung der Bollwerkspitze vom Leuchtturme) auf den Maßstab der dänischen Karte übertragen kann, einen Kreisbogen mit dem Radius von 1120 m, so kommt man über die 4-Faden-Linie (7,53 m) eine Strecke hinweg. Mit dem Radius von 1450 m durchschneidet der Bogen schon die erste Zahl einer Tiefe von 4 Faden 4 Fuß (8,79 m) und erreicht fast die 5-Faden-Linie, von der er nur 80 bis höchstens 300 dänische Ellen (50 bis 188 m) abbleibt 23 ). 5 dänische Faden sind aber bereits 9,41 m, also rund 0,80 m mehr als 5 Lübecker Faden. Und zwar kommt man auf die genannten Tiefen im Sektor des Leuchtfeuers, wenn man diesen in die Karte hineinverlegt, und südöstlich von der Linie Badehaus-Kirchturm Travemünde, die man natürlich ebenfalls konstruieren kann.

Aber wir wollen uns nach der genauesten Karte richten, die zur Verfügung steht. Dies ist die jüngste deutsche Admiralitäts-


23) Der Maßstab der Karte gilt für dänische Ellen. 1 Elle = 0,628 m; 1 m = 1,592 Ellen. 1120 m also =- 1783 dänischen Ellen, 1450 m = 2308 Ellen.
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karte 24 ), und zwar die auf ihr enthaltene Sonderkarte der Einfahrt nach Travemünde. Nach ihr ist unsere beigefügte Kartenskizze hergestellt worden 25 ). Es ist eine Pausenskizze mit den Küstenlinien, soweit sie sich auf der Sonderkarte finden. Übernommen sind ein Teil der Tiefenzahlen, der Leuchtfeuersektor und die heutige Ansegelungstonne Lübeck 1. Innerhalb des Leuchtfeuersektors liegen die Kreisbögen, die vom Norderbollwerk aus in den bekannten Abständen von 1120 und 1450 m geschlagen sind, und es ist das so ermittelte Gebiet durch fette Linien umrandet. Ferner sind in die Skizze hineinkonstruiert die Staatsgrenze am Priwall, der Möwenstein, die Peillinie Badehaus-Kirchturm Travemünde, die Majorlinie in ihrem Verlaufe von 1801, also dem Jahre der Angaben und der jüngsten Karte des Lotsenkommandeurs Wohler, sowie in ihrem Verlauf von 1748, dem Jahre des Scharpenbergischen Berichtes 26 ), schließlich - durch eingeklammerte Kreise bezeichnet - die am weitesten seewärts gelegenen Ansegelungstonnen (rote und schwarze Tonne) der Admiralitätskarte von 1873. Diesseit der Majorlinie sind drei Tiefenzahlen von 8,6 und 8,7 m unterstrichen. Es sind die Tiefen, die 5 Lübecker Faden (8,63 m) entsprechen. Die mittlere dieser Tiefen steht am Rande des Fahrwassers 27 ), könnte also an sich eine Baggertiefe sein; da sie aber im Zuge der 5-Faden-Tiefen liegt, so wird sichs um eine natürliche Tiefe handeln. Weiter nach Nordwesten, nach dem Brodtener Ufer zu, wird das Wasser tiefer. Es steht hier schon eine Zahl von 9,1 und zwischen dieser und der Zahl 8,4 wird sich die 5-Faden-Linie fortsetzen. Weiter westlich finden sich dann geringere Tiefen.

Lagen nun die Schiffe 1801, wie der Lotsenkommandeur Wohler angab, auf beinahe 5 Faden, so müssen sie innerhalb der

P. Friedrich (Lübecker Blätter 1901, S. 68) hat den jährlichen Rückgang des Ufers durchschnittlich auf 1,2 m berechnet. Vgl. auch Benick, Lübecker Heimatbuch 1926, S. 14: ".. nach den Erfahrungen der letzten 90 Jahre jährlich mindestens 1,2 Meter." Seit 1901 waren es jährlich im Durchschnitt 0,85 m.


24) Nr. 37, neue Ausgabe von 1925.
25) Angefertigt auf dem Landesvermessungsamte in Schwerin.
26) Die Majorlinien sind auf unserer Skizze so konstruiert, daß sie dieselbe Richtung haben wie die Linie auf der Hagenschen Karte, aber 10 m (für 1801) und 30 m (für 1784) weiter seewärts liegen. Auf der Hagenschen Karte ist der Verlauf der Linie im Jahre 1810 eingetragen, gemäß der vom Lübecker Katasteramt hergestellten Aufnahme des Landverlustes am Brodtener Ufer. 10 m sind als Uferschwund für die Jahre von 1801-1810 anzusetzen, weitere 20 m für die Zeit von 1784-1801.
27) Mitten durch die zwischen den Tonnen verlaufende Fahrstraße führt heute die Linie der Priwallfeuer (Feuer in Linie) zur Bezeichnung des Fahrwassers.
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Majorlinie geankert haben, im Schutze des Brodtener Ufers. Fast das ganze nach der Quelle von 1784 zu konstruierende Reedegebiet liegt diesseit der Majorlinie. Nimmt man das Mittel der 1784 angegebenen Entfernungen (1285 m), so kommt man weder auf unserer noch auf der Hagenschen Karte über die Linie hinaus.

Noch 1849 sind die Schiffe von den Lotsen zum mindesten dicht an der Linie verankert worden, die vom Gömnitzer Turm, der jetzt die Stelle des Majors vertrat, am Brodtener Ufer vorbeilief, wahrscheinlich auf der Linie selbst 28 ). Es wird sich um den Liegeplatz für die größeren Schiffe handeln; denn daß man kleinere Fahrzeuge noch weiter buchteinwärts brachte, ist nach unserer Kartenskizze anzunehmen. In jedem Falle ist es durchaus verständlich, daß 1828 der Lotsenkommandeur Harmsen die Majorlinie als eine Grenze zwischen Reede und See betrachtete 29 ). Ferner ist klar, daß wir auf unserer Kartenskizze in Archiv II die Lage der alten Reede im wesentlichen richtig eingetragen haben, wenn man den vormaligen Verlauf der Majorlinie berücksichtigt.

Unsere neue Karte ergibt, daß die Reede völlig außerhalb des mecklenburgischen Gewässers lag. Selbst wenn man den äußeren Kreisbogen nach der mecklenburgischen Küste zu über den Sektor hinaus verlängern wollte, so würde man eine von der Priwallgrenze nach Norden gerichtete Linie nur unwesentlich überschneiden und jedenfalls nicht mehr in einer Gegend, die für die Reede noch in Betracht gekommen wäre.

Und nun können wir die alten Seekartenwerke von Waghenaer und anderen ganz beiseite lassen 30 ); denn die Reede, wie sie um 1800 lag, könnten wir auch schon für die Zeit des Fischreusenstreites akzeptieren.

Es ist nach diesen Ermittlungen gar nicht möglich, aus dem Falle des englischen Kohlenschiffes von 1784 den Schluß zu ziehen, den Rörig (IV, S. 37) daraus gezogen hat, den Schluß nämlich, daß die Reede im allgemeinen bei der Majorlinie, in der Richtung auf die See zu, angefangen habe. Wie Rörig mitteilt, war in diesem Jahre den Lübecker Fischern ausnahmsweise gestattet


28) Vgl. Archiv III, S. 49.
29) Archiv II, S. 126 f., Archiv III, S. 49. Rörig (IV, S. 12) meint, wir hätten die Majorlinie in den Bericht Harmsens von 1828 "hinein interpretiert". Es handele sich daher um keine "objektiv gesicherte Tatsache". Eine andere Auffassung des Berichtes als die unserige ist aber überhaupt nicht möglich.
30) Vgl. unten den Exkurs, auch über die angebliche Außentrave bei Waghenaer
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worden, den sogenannten "Hohen Zug" noch über den 1. Mai, den Endtermin der eigentlichen Heringszeit, hinaus zu befischen. Der "Hohe Zug" begann (nach einer Ordnung von 1836) 31 ) an der Majorlinie und führte von hier aus auf das Travemünder Ufer. Nun kam am 2. Mai 1784 das englische Kohlenschiff an. Der Kapitän nahm dem Lotsen das Steuerruder aus der Hand, steuerte sein Schiff selber buchteinwärts und verankerte es im Bereiche des hohen Zuges. Die Lotsen, die über die Verlängerung der Heringszeit nicht unterrichtet waren, erhoben keinen Einspruch, mußten dann aber auf Anordnung der Kämmerei das Fahrzeug weiter seewärts legen.

Wo hatte nun das Schiff ursprünglich geankert? Nach dem Bericht des erkrankten Lotsenkommandeurs 32 ) hatte der Kapitän sein Schiff "dorthin" gesteuert, weil er "es anderwards foll Schiffe fand". Daraus ist nicht viel zu entnehmen. Die Fischer ihrerseits beschwerten sich darüber, daß die Lotsen Schiffe bis auf 80 Faden (138 m) ans Bollwerk herangelegt hätten, "statt dessen zu wünschen stehe, daß sie solche ganz bis nach die Rehde hinausbringen möchten, damit das Fischereigerätschaft durch die Schiffe nicht beschädigt werden könnte" 33 ). Die natürlich unterschätzte Entfernung von 80 Faden erklärte die Frau des Lotsenkommandeurs für ausgeschlossen. Sie gab statt dessen die oft erwähnten Abstände von 650 bis 840 Faden (1120-1450 m) an. Daraus aber, daß die Entfernung von den Fischern so auffallend gering eingeschätzt wurde, ist jedenfalls der Schluß zu ziehen, daß das Schiff recht tief in den Bereich des hohen Zuges hineingefahren war; wenn auch in der Beschwerde der Fischer von einer Mehrheit von Schiffen die Rede ist, so war doch wohl in erster Linie das englische Fahrzeug gemeint. Da außerdem bemängelt wurde, das Schiff sei nordwärts dem steinigen Grunde zu nahe gelegt worden 34 ), so muß es dort geankert haben, wo sich der hohe Zug im Winkel zwischen der Majorlinie und der Küste stärker verkürzt.

Die Klage der Fischer richtet sich offenbar nur dagegen, daß Schiffe ungewöhnlich weit buchteinwärts verankert wurden. Ihr Verlangen aber, es möchten die Schiffe "ganz bis nach die Rehde" hinausgelegt werden, braucht keineswegs zu bedeuten: bis hinter die Grenze des hohen Zuges, also bis hinter die Majorlinie. Das behauptet zwar Rörig, hat es aber nicht


31) Rörig IV, S. 37, Anm. 52.
32) Rörig IV, S. 36, Anm. 50. Es handelt sich wohl um den von der Frau des Kommandeurs erstatteten Bericht.
33) Rörig IV, S. 38, Anm. 53.
34) Rörig IV, S. 50.
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quellenmäßig nachgewiesen. Wäre seine Auffassung richtig, so würde sich ergeben, daß zwischen Fischern und Lotsen über die Lage der Reede keine Einigkeit herrschte. Es kam ja auch während der Heringszeit eine Behinderung der Fischerei durch die Schiffahrt nicht immer in Frage. Diese Zeit endete nach Rörig am 1. Mai. Wann begann sie? Bei den Leipziger Zeugenaussagen vom 21. März 1927 rechnete ein früherer Dassower Fischer 35 ) sie vom Dezember bis zum Frühjahr. Danach würde sie großenteils in den Winter fallen, wann die Segelschiffahrt ruhte. Und wenn im Frühling Schiffe bei ungefähr 5 Faden ankerten, so wurde im Gebiete der hohen Zuges nur die letzte kleine Strecke besetzt, auf die es doch gar nicht ankommen konnte. Auch vor der mecklenburgischen Küste begannen die Wadenzüge ja erst bei 4-5 Faden Tiefe 36 ). Außerdem ließen sich in dem Raume zwischen den Schiffen am Ende noch Waden auswerfen, ohne daß man mit dem Reedebetrieb kollidierte. Je weiter aber die Schiffe buchteinwärts kamen, desto lästiger mußten sie für die Fischerei werden, zumal im nördlichen Teile des hohen Zuges, wo dieser schnell kürzer wird. Wir verstehen daher die Beschwerde von 1784 so, daß die Fischer sich nur gegen allzu nahe am Bollwerk vorgenommene Verankerungen wehrten. Und selbst wenn in der Heringszeit die Schiffe bis an die Majorlinie oder in das Gebiet dicht dahinter zurückgezogen wären, so würde das doch an der Reedelage gar nichts Wesentliches ändern. Man konnte Hunderte von Metern jenseit der Majorlinie ankern, ohne das mecklenburgische Gewässer zu berühren. Daß die Schiffe den Fischern ganz hätten weichen müssen, wäre doch mit dem Grundsatz: "Schiffahrt geht vor Fischerei", der nach Rörig 37 ) in den Lübecker Akten häufig genannt wird, nicht zu vereinbaren. Die Bedürfnisse der Schiffahrt obenanzustellen, war ja überhaupt in den Seestädten allgemeine Regel.

Es ist für die Reedelage doch sehr bezeichnend, daß es zu einem solchen Streite zwischen Fischern und Lotsen überhaupt kommen konnte. Und aus dem vorgelegten Material von 1784 bis 1801 läßt sich nur der eine Schluß ziehen, daß "normal verankerte" Schiffe nicht jenseit, sondern diesseit der Majorlinie lagen, freilich bei 5 Faden auch schon dicht an ihr. Als der englische Kapitän eintraf, dachte er gar nicht daran, seewärts hinter der Linie zu bleiben, wo sich


35) Zeuge 2.
36) Archiv III, S. 53.
37) IV, S. 62, Anm. 88.
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doch Raum genug bot, sondern er steuerte noch weiter in die Bucht hinein, als üblich war.

Zu der Reedelage, wie sie sich aus den Quellen von 1784-1801 ergibt, paßt auch die in unseren früheren Erachten angeführte Aussage über ein Schiff, das 1792 auf der Reede gekentert war 38 ). Diese Quelle soll nach Rörig 39 ) "gänzlich minderwertig" sein. Dabei handelt es sich um die gleichzeitige Aussage eines Augenzeugen, des mecklenburgischen Strandreiters, und zwar in dem hier interessierenden Punkte um eine der von Rörig sonst so geschätzten Angaben, die nichts Strittiges betreffen - denn die Reedelage war nicht strittig - , sondern beiläufig gemacht wurden. Nach der Erklärung des Strandreiters befand sich das Fahrzeug "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen wohl 400 Schritte vom Lande". Zu bezweifeln ist an diesem Bericht die angegebene Entfernung, niemals aber, daß eine Wasserfläche der inneren Bucht gemeint ist. Das Schiff war "durch den Sturm vom Anker getrieben" und "auf der Rheede umgeschlagen", und zwar am 6. Mai, also nach Schluß der Heringszeit. Es darf daher angenommen werden, daß die Schiffe ohne Rücksicht auf den "Hohen Zug" so weit wie möglich buchteinwärts verankert lagen. Die Entfernung von 400 Schritten ist am Tage darauf (7. Mai) geschätzt worden, als die ursprüngliche Lage des Schiffes sich schon geändert haben konnte. Mag sie nun, wie wir in Archiv III angenommen haben, vom Travemünder Ufer aus berechnet sein oder vom Priwall aus, unterschätzt ist sie in jedem Falle 40 ). Die Lübecker Fischer behaupteten ja 1784 sogar, daß Schiffe bis auf 80 Faden (138 m, also noch nicht 200 Schritt) ans Bollwerk herangelegt seien; auch ein Zeichen dafür, daß Entfernungen auf dem Wasser leicht zu gering geschätzt werden. Ferner darf man den Ausdruck "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen" nicht pressen. Wenn auch das Fahrzeug mehr oder weniger weit vor den übrigen gelegen haben mag, so konnte man doch aus der Entfernung, vom Ufer aus, den Eindruck haben, daß es sich "unter" diesen befand. Niemals aber hätte das unzweifelhaft ganz in der inneren Bucht liegende Schiff mit Fahrzeugen, die hinter der Majorlinie ankerten, in eine räumliche Verbindung gebracht werden können. Die Art, wie Rörig sich mit


38) Vgl. Archiv II, S. 103, Anm. 188, Archiv III, S. 9 und 32.
39) IV, S. 23, Anm. 29 unten.
40) Ist sie vom Travemünder Ufer aus berechnet, so würde die Unterschätzung wesentlich weniger bedeutend sein. Der kleinste Abstand des Reedegebietes (innerhalb der Linie Badehaus-Kirchturm) bis zur Küste beträgt nach unserer Kartenskizze knapp 600 m.
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der Quelle von 1792 auseinandersetzt oder vielmehr nicht auseinandersetzt, ist sehr sonderbar. Daß sie ihm nicht ganz bequem ist, schließen wir aus seiner Bemerkung, es handle sich bei unseren Angaben "vermutlich um einen Auszug, der die zutreffenderen Mitteilungen derselben Akten nicht wiedergibt". Dabei sind unsere Angaben vollkommen eindeutig. Rörigs ebenso unüberlegte wie ungehörige Bemerkung veranlaßt uns, diese für die Reedelage ja recht instruktiven Akten im Original beizufügen mit der Bitte, sie dem Staatsgerichtshofe vorzulegen. Die in Betracht kommenden Stellen sind darin bezeichnet 41 ).

Ebenfalls stimmt zu der ermittelten Reedelage eine Nachricht von 1731. Wir entnehmen sie der jetzt abgeschlossenen Arbeit von Kühn über den Geltungsbereich des Oldenburgisch-Lübeckischen Fischereivergleichs von 1817 und die Travemünder Reede 42 ). Es sollten 1731 zwei Niendorfer Fischerboote samt einer Wade, die 1729 von den Lübeckern in der Niendorfer Wiek beschlagnahmt waren, wieder ausgeliefert werden. Dies sollte nach einem Vorschlage des Lübecker Rates geschehen: "außerhalb Travemünde auf dortiger Rhede der Gegend des Leuchten-Feldes". Später ließ der Rat erklären, er sei bereit, "auf der Spitze gegen dem Leuchten-Felde über auf der See, die danische Reede genandt, die Sachen restituiren zu lassen". Wie aus den Ausführungen Kühns hervorgeht, erfolgte die Rückgabe bei der Grenzscheide zwischen dem Leuchtenfelde, also dem Lübecker Strand, und dem Gneversdorfer Strande des Domkapitels, einer Grenze, die nach Kühn im Möwenstein zu suchen ist. Zugleich handelte es sich um die Gegend der alten Schanze, die südlich vom heutigen Seetempel und vom Möwenstein lag 43 ). Hier in der Nähe war also die "danische Reede". Dies kann nur eine Bezeichnung für einen Ankerplatz sein, der, wie die Reede überhaupt, nicht weit vom Leuchtenfelde entfernt war. Man wird ja auch, um ein paar kleine Fischerboote auszuliefern, nicht weit in die See hinausgefahren sein. Wir erinnern in diesem Zusammenhange an jene früher von uns beigebrachte Quelle von 1670 über die "Reide bey dem Lüchtenfeldt" 44 ).


41) Übrigens ist es um so erstaunlicher, daß Rörig sich zu einer solchen völlig unbegründeten Vermutung versteigt, als gerade ihm schwere Fehler in der Quellenforschung nachgewiesen sind, die sehr irreführend hätten wirken müssen, wenn wir sie nicht berichtigt hätten.
42) S. 9 und S. 31.
43) Vgl. Kühn, S. 4.
44) Archiv II, S. 103, Anm. 188. Archiv III, S. 9, Anm. 20. Rörig S. 23, Anm. 29) will diese Quelle und auch die von 1616 über die Reede beim Blockhause anders verstehen. Wir halten an unserer Auffassung
(  ...  )
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Nun hat Rörig (IV, S. 43 ff.) seine Meinung über die Reedelage durch die französische Seekarte von Beautemps-Beaupré zu stützen gesucht. Er behauptet, wir hätten unser Urteil über diese Karte geändert. Das ist grundverkehrt. Denn wir haben in Archiv II (S. 124) nicht gesagt, daß sie überhaupt wichtiger sei als die moderne Seekarte, sondern wichtiger nur darin, daß es die Peillinie Gömnitzer Berg-Pohnsdorfer Mühle auf ihr nicht gibt. Weiter haben wir in Archiv II nichts aus der Karte entnommen. Auch haben wir diese in Archiv III (S. 44 ff.) keineswegs als minderwertig bezeichnet, sondern nur gesagt, daß aus ihr die Reedelage nicht hervorgehe. Das ist auch der Fall und wird durch die neuen Quellen von 1784-1801 vollkommen bestätigt. In die Hagensche Karte ist ja einiges aus der französischen hineinkonstruiert. Wir fragen, ob die Worte "Rade de Travemünde" sowie die Bezeichnung des Ankergrundes "Vase couverte de sable fin bonne tenue" sich räumlich mit dem nunmehr festgestellten Reedegebiet decken, das aber auf der Hagenschen Karte nicht richtig liegt. Gewiß nicht! Es ist alles aufrecht zu erhalten, was wir in Archiv III zur Erklärung dieser Bezeichnungen gesagt haben 45 ). Ferner der Punkt a auf der französischen Karte, von dem aus man die an deren Rande abgebildete Ansicht von Travemünde hatte. Der Punkt findet sich auf der Hagenschen Karte am Rande des Sektors. Tatsächlich müßte er aus diesem herausfallen, weil der Sektor nicht ganz richtig liegt und etwas nach Nordwesten zu verschieben ist. Wir haben keinen


(  ...  ) fest. Für die Beurteilung der Quelle von 1670 ist der volle in Archiv II a. a. O. genannte Wortlaut maßgebend, der Auszug bei Rörig wirkt irreführend, zumal da Rörig das "in" unberechtigter Weise unterstrichen hat. Ist denn überhaupt eine Tonne auf der Muschelbank bezeugt? Die Wohlerschen Karten von 1788 und 1801 verzeichnen keine, wohl aber Tonnen in der See vor der Travemündung. Übrigens behauptet Rörig, schon sein erstes gedrucktes Gutachten enthalte alle wichtigen Quellenstellen über die Reede. In Wirklichkeit hatte er aber gar kein Material über die Lage des Ankerplatzes, auf die es doch ankommt, vorgebracht. Das ist auch die Meinung v. Gierkes und Wenzels. Die Quelle von 1547 (Aussage des Zöllners Tydemann), meint Rörig, hätten wir seinem ersten "angeblich quellenlosen" Gutachten entnommen. Gewiß, aber hat er denn etwa diese Nachricht für die Reedelage verwertet? In der Auffassung dieser Quelle ist er uns jetzt einen Schritt entgegengekommen (IV, S. 58, Anm. 85).
45) Übrigens hat ja Rörig (III, S. 87) die Eintragung "Rade de Travemünde" mit der Eintragung "Guter Ankergrund" auf der Karte des Travemünder Hafens im Jahre 1848 verglichen. Auf dieser Karte aber beginnen die Worte fast bei der 24-Fuß-Linie (4 Lübecker Faden = 6,90 m). Die 5-Faden-Linie wird nicht angegeben. Solche Eintragungen haben indessen nicht den Wert, den Rörig ihnen beimißt, vgl. Archiv III, S. 47.
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Zweifel daran, daß unsere in Archiv III, S. 44 ausgesprochene Meinung stimmt, wonach Beautemps-Beaupré den Punkt auf der damaligen Ansegelungslinie der Traveeinfahrt eingetragen hat 46 ). Im übrigen aber liegt der Punkt ja unmittelbar an der Majorlinie. Schließlich ist in die Hagensche Karte der Punkt B aus der verlorenen Skizze des Navigationslehrers Sahn von 1823 übernommen worden, und zwar nach unserer Rekonstruktion auf der Admiralitätskarte in Archiv III, Beilage 5 b. Statt dessen hätte allerdings unsere Beilage 5 a zugrunde gelegt werden müssen, wo der Punkt auf der französischen Karte bestimmt ist, die für Sahn maßgebend war 47 ). Auf ihr liegt der Punkt noch weiter seewärts. Aber in keinem Falle kann der Punkt B der Mittelpunkt der nautischen Reede sein. Er sollte, wie wir Archiv III, S. 56 f. gezeigt haben, auf der Mittellinie der Travemünder Bucht liegen.

Der tatsächliche Wert des Materials von 1784-1801 läßt sich dadurch nicht abschwächen, daß Rörig das Reedegebiet als einen "Reedekopf" bezeichnen will, wo die Lotsen "im allgemeinen" die Schiffe hingelegt hätten. Wohl wurde auch noch das Gebiet weiter seewärts, mitsamt dem flachen Gewässer am Strande, Reede genannt. Aber darauf kommt es nicht an, sondern auf den Ankerplatz, und dieser ist mit dem "Reedekopf" identisch. Ausdrücklich wird in dem Scharpenbergischen Bericht von 1784 das Gewässer, das 5-6 Kabellängen vom Bollwerk abliegt, als "die Rehde" bezeichnet ("wo alldorten die Rehde heißt"). Weiter draußen konnte nach eben diesem Bericht nicht mehr geleichtert und gelöscht werden. Und auch die Wohlerschen Karten bezeichnen das Gebiet bei 4 1/2 bis 5 Faden Wasser als "Die Rhede" oder als "Große Rhede" (im Gegensatze zur Flußreede). Es ist


46) Auch der Punkt b auf der französischen Karte, von dem aus man eine Ansicht von Neustadt hatte, liegt unmittelbar vor der Hafeneinfahrt. Wollte man die Travemünder Reede nach solchen Ansichtspunkten bestimmen, so wäre das für Rörigs Reedetheorie nicht gerade günstig. Denn auf der Admiralitätskarte von 1873 liegt ein Punkt D (Ansicht von Travemünde, auf der Karte abgebildet) noch nicht 1600 m vom Norderbollwerk, unmittelbar an der Ansegelungslinie, die durch die Tonnen führt, fast 800 m vor diesen seewärts. Ebenso liegt auf dieser Karte ein Ansichtspunkt vor den Tonnen, die das Fahrwasser nach Neustadt bezeichnen. Allerdings findet sich in beiden Fällen ein Anker dicht daneben, in der Travemünder Bucht aber fast 300 m weiter buchteinwärts. Ansichtspunkte zeigt übrigens die Karte von 1873 auch vor und in der Wismarer Bucht. Sie sollen unzweifelhaft zur Auffindung der Fahrstraßen dienen (Einfahrt ins Offen Tief, ins Große Tief, Durchfahrt zwischen Sechers-Grund und Mittel-Grund).
47) Vgl. Archiv III, S. 56 f.
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dasselbe Gebiet, das auf der kleinen Kartenskizze von 1803 48 ) durch zwei Anker kenntlich gemacht wird. Ganz unmöglich aber ist es, die Reedelage nach den verzeichneten Küstenlinien der Wohlerschen Karten bestimmen zu wollen. Auf der Karte von 1788, meint Rörig (IV, S. 33), sei das Wort "Rhede" "genau in der Mitte" zwischen Pötenitz und Rosenhagen eingetragen. Vor und neben ihm ständen zwei Tiefenangaben von 4 1/2 und 5 Faden. Auf diese Zahlen und das eingezeichnete Schiff kommt es natürlich allein an, nicht auf das Wort "Rhede", das ja nicht auf die Zahlen gesetzt werden konnte. Und quer über die Bucht sich hinziehende Tiefen von 4 1/2-5 Faden gibt es eben nicht in der Mitte zwischen Pötenitz und Rosenhagen. Übrigens liegt das Schiff auf der Karte näher bei der Zahl 4 1/2. Dann will Rörig gar auf dieser Skizze die Majorlinie ziehen, indem er Pötenitz mit dem Steilufer verbindet. Dann liege die Reede dahinter. Mit demselben Recht kann man sagen, daß auf dieser Karte die Reede sich binnen dem Steinriff Seezeichen mit der roten Fahne befindet. Ebenso ist es auf der kleinen Skizze von 1803. Wo aber das Steinriff-Zeichen (Pavillon Rouge) lag, ergibt sich aus der französischen Seekarte (Kartenbeilage 2 a bei Rörig III). Wenn ferner Rörig meint, daß auf der Wohlerschen Karte von 1801 die Entfernung von Travemünde bis zum Grenzpfahl am Priwall 49 ) "sinngemäß" soweit verkürzt sei, daß die Majorlinie "vor die ankernden Schiffe treten würde", so möchten wir fragen, wo denn eigentlich in den Verzeichnungen der Wohlerschen Karten der Sinn anfängt und wo er aufhört. Auf der Karte von 1801 beträgt die Entfernung vom Norderbollwerk bis zu den drei Schiffen nach dem Kartenmaßstabe im Durchschnitt etwa 3900 Fuß = 650 Faden (1121 m). Das ist gerade die geringste der 1784 angegebenen Entfernungen. Aber man kommt dann nach der Admiralitätskarte noch nicht auf 30 Fuß Wasser. Würde man übrigens die fehlenden Küstenlinien der Wohlerschen Karte von 1801 nach den Größenverhältnissen der früheren von 1788 ergänzen, so würde die Majorlinie hinter die Reede fallen. Aber solche Experimente sind auf den Skizzen Wohlers überhaupt nicht zulässig 50 ).


48) Archiv III, S. 43. In der Führung der Küstenlinien erinnert diese Karte stark an die Wohlersche von 1788.
49) Der übrigens als Landesgrenze damals noch nicht anerkannt war.
50) Die älteste kleine Skizze Wohlers von 1787, die den "Major" vermerkt und ebenfalls "auf genaue Maßstäbe keinen Anspruch" macht, hat Rörig nicht mit vorgelegt. Er bespricht sie IV, S. 32. Aus seinen Ausführungen ist zu schließen, daß die Anker bei 5 Faden liegen sollen.
(  ...  )
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Ferner hat Rörig 51 ) die "Nachricht für Seefahrer" von 1855 herangezogen. Es ist dies ein Merkblatt, das vom Lübecker Lotsendepartement herausgegeben ist. Darin wird gesagt, daß Schiffe, die nachts in den Hafen einlaufen wollten, zum Zeichen dessen, daß sie einen Lotsen verlangten, eine Laterne aufhissen sollten. Werde kein Gegensignal (rotes Licht) gezeigt, "so ist das Einbringen des Schiffes nicht thunlich, dasselbe muß dann entweder in 5 bis 6 Faden Wasser ankern oder bis Tagesanbruch unter Segel bleiben". Dies vergleicht Rörig mit dem "Vorbereitenden Bericht für die Anfertigung der Segelanweisung für die Lübecker Bucht der Reichsmarine" von 1875. Hier heißt es: "Wird die roth-weiße Kugel nicht gezeigt, so ist ein Einlaufen in den Hafen wegen der damit verbundenen Gefahr unzulässig, das Schiff muß dann auf der Rhede in 10 bis 12 m Tiefe ankern oder wieder in See gehen". Beide Male, meint Rörig, sei dieselbe Gegend der Bucht gemeint. Das würde, wenn man 5 bis 6 englische Faden (9,14 bis 10,97 m) oder preußisch-dänische Faden (9,41 bis 11,30 m) annimmt, ungefähr zutreffen, besonders für das Gebiet des Leuchtfeuersektors, das außerhalb des mecklenburgischen Gewässers liegt; hier folgen die Tiefen von etwa 9 bis 12 m dicht aufeinander. Die in den beiden Anweisungen genannten Tiefen berühren uns hier aber gar nicht, weil damit ja keine Leichterreede bestimmt, sondern nur ein zum vorläufigen Ankern geeigneter Platz bezeichnet wird, auf dem die Schiffe lagen, bis sie in den Travemünder Hafen gebracht wurden. Nichts weiter besagt die Nachricht von 1855, als daß man auch ohne Lotsen bis auf 5 Faden buchteinwärts steuern könne; ja sogar noch weiter, denn wenn ein rotes Licht die Ausfahrt des Lotsen anzeigte, so "kann das Schiff sich dem Hafen bis auf 4 1/2 Faden Wasser, das Travemünder Leuchtfeuer in WSW haltend, ohne Gefahr nähern und hat den Lotsen zu erwarten". Dabei blieb den Kapitänen überlassen, nach welchem Faden sie sich richten wollten. 1875 rundete man dann die 5 bis 6 Faden nach dem inzwischen eingeführten Metermaße ab. Warum auch nicht? Auf genaue Tiefen kam es für dieses vorläufige Ankern gar nicht an. In der Anlage 3 zu Rörig 1 bemerkt der Lübecker Hafenkapitän Murken 52 ), daß sich genaue Vorschriften über den Ankerplatz "überhaupt nicht machen" ließen.


(  ...  ) Wenn man die Majorlinie ziehe, so werde ein Anker von ihr geschnitten, die beiden anderen und das Wort "Rhede" blieben jenseit der Linie. Aber wohl recht dicht dahinter? Die Konstruktion solcher Linien auf verzeichneten Skizzen muß jedoch zu falschen Vorstellungen führen.
51) IV, S. 40, Anm. 56.
52) Zu Frage 7.
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Bei den Segelanweisungen und dergleichen handele es sich um "Ratschläge". Das haben wir schon im Archiv III (S. 58) gesagt. Und es brauchen diese Dinge eigentlich gar nicht erörtert zu werden, weil sich daraus keine Gebietshoheit herleiten läßt. Wenn Rörig (IV, S. 56) sagt, daß den Schiffen "geraten bzw. befohlen" werde, auf 10 bis 12 m Wasser zu ankern, so setzt er sich mit dem Worte "befohlen" in Gegensatz zu seinem eigenen Sachverständigen.

Der Ankerplatz, der in den Quellen von 1784 bis 1801 erscheint, ist keineswegs identisch mit dem vorläufigen Ankerplatze auf den Tiefen von 10 bis 12 m. Zu den Erwiderungen, die von dem heutigen Travemünder Lotsenkommandeur und dem heutigen Lübecker Hafenkapitän auf verschiedene von Rörig gestellte Fragen erteilt sind 53 ), müssen wir bemerken, daß die beiden Herren für die vormalige Zeit gar nichts berichten können. Wenn für ein Schiff von 5,17 m Tiefgang eine Ankertiefe von noch nicht 6 m für zu gering erklärt wird 54 ), so ist zu


53) Anlagen 1-3 zu Rörig IV.
54) Vgl. Archiv III, S. 13, Anm. 31. Auf der Wismarer Reede vor dem Dorfe Hoben, die allerdings günstiger liegt, können Schiffe von 150-200 Last im Verhältnis wohl nicht viel mehr Wasser unter dem Kiel gehabt haben, siehe unten S. 27. Der Lotsenkommandeur begründet seine Aussage über diesen Punkt (zu Frage 1) damit, daß das Wasser der Trave bei heftigen Südweststürmen bis zu 2 m falle. Wie oft tritt dies ein, und wann ist es zuletzt eingetreten? Ist ferner der Schluß zu ziehen, daß das Wasser der Travemünder Bucht in demselben Maße sinke? Es kommt überhaupt nicht darauf an, wie weit es unter besonders ungünstigen Umständen sinken kann, sondern nur darauf, wie oft dies vorkommt. Die Erfahrung lehrt, daß selten eintretende Naturgewalten die Benutzung der davon betroffenen Örtlichkeit nicht dauernd verhindern. Bei Behrens, Topographie und Statistik von Lübeck (1. Teil, 1829, S. 101) heißt es bei der Beschreibung der Trave, daß deren Wasser bei heftigem Nord- und Nordostwind bedeutend anschwelle, während sie bei starkem Südwest oft sehr seicht werde. "Am 3. Dezember 1828 war seit Menschengedenken der niedrigste Stand -7 bis 8 Fuß unter dem gewöhnlichen Wasserspiegel" (2,01-2,30 m)."Der gewöhnliche Unterschied zwischen ordinairem hohem und ord. niedrigem Wasser ist 2 1/2 Fuß" (0,719 m). Mithin betrug der gewöhnliche Unterschied zwischen Mittelwasser, von dem natürlich auszugehen ist, und niedrigem Wasser nur 11/4 Fuß. - Der Hafenkapitän erklärt zu Frage 1, die Schiffe müßten soviel Wasser unter dem Kiel haben, daß sie bei fallendem Wasser flott blieben und bei aufkommendem Sturm "gegebenenfalls" 3-4 m stampfen könnten. 3-4 scheinen uns sehr hoch gegriffen. Kommen in der Travemünder Bucht bei 8-9 m Tiefe (abgesehen von 6 m) solche Wellen auf? Überdies konnten selbst die größeren Schiffe der früheren Zeit, wenn sie auf 8 m Wasser und darüber lagen, auch gewiß mehrere Meter stampfen. Und angenommen, daß sie auf etwa 6 m ankerten, so konnte das Wasser außergewöhnlich stark sinken, ohne daß sie auf Grund gerieten. Bei Nordostwind aber, der die höchsten Wellen in der Travemünder Bucht verursacht, tritt ja sogleich Hochwasser ein.
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beachten, daß die alte Reede tatsächlich Tiefen von 8,6 m und mehr hatte. Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß jenes Maß von 5,17 m für den Lübecker "Adler", das hier gemeinte Kriegsschiff des 16. Jahrhunderts, überhaupt zutrifft 55 ). Der Lotsenkommandeur erklärt (zu Frage 1), daß für kleine Schiffe das Ankern auf weniger als 12 m Wasser gefährlich sei. Indessen wissen wir, daß die Schiffe vormals - und nach heutigen Begriffen waren sie alle klein - auf weniger als 9 m lagen. Wenn er ferner meint (zu 2), als auf der Reede liegend seien "von jeher" alle Schiffe angesehen worden, die sich zwischen der Ansegelungstonne Lübeck 1 und der Steinrifftonne befanden, so ergibt doch unsere Kartenskizze, daß sie durchaus diesseit der Ansegelungstonne ankerten. Die beiden von dem Kommandeur angeführten Grenzpunkte gab es ja auch früher nicht. Die Steinrifftonne liegt an ihrem jetzigen Orte erst seit 1915 56 ), und 1873 befanden sich die äußersten Ansegelungstonnen (rote und schwarze Tonne) dort, wo sie auf unserer Kartenskizze eingezeichnet sind. Nach und nach sind sie dann weiter hinausverlegt worden 57 ). Außerdem rechnen beide Sachverständigen natürlich mit den heutigen tiefgehenden Seeschiffen. Und was versteht der Lotsenkommandeur hier unter kleinen Schiffen? Wir vermuten, größere, als für die frühere Zeit überhaupt in Frage kommen. Um 1600 gehörten Kauffahrer von 200 Last (= etwa 270 t) 58 ) unzweifelhaft zu den großen. Selbst für das einzig dastehende Kriegsschiff, den "Adler" aus der Zeit des nordischen siebenjährigen Krieges (1563-70) ist auch die geringere der angegebenen Tragfähigkeiten (800 Last) gewiß übertrieben 59 ). In den Jahren vor 1829 fuhren auf Lübeck jährlich über 900 Schiffe (darunter 1/11 mit Ballast) und ebenso viel gingen ab (1/10 mit Ballast). Die Trächtigkeit aller jährlich ankommenden und abfahrenden Fahrzeuge betrug damals nach dem Durchschnitt der


55) Vgl. Archiv III, S. 13, Anm. 32. Kloth (Zeitschr. f. Lüb. Gesch. XXI, XXII), auf dessen Angaben über den Tiefgang des "Adlers" Rörig (III, S. 114) sich gestützt hat, hält zwar anscheinend das Maß von 5,17 m für möglich (XXI, S. 210, Anm. 230), er spricht sich aber (XXII, S. 149) deutlich über die "trügerische Überlieferung" aus, wie sie die Berichte über den "Adler" und andere Schiffe enthielten. Was soll man von dieser sagenhaften Überlieferung glauben?
56) Archiv III, S. 61.
57) Auf der Karte von 1873 mit den Berichtigungen bis 1887 liegen sie ungefähr an der Majorlinie.
58) Die Last nach Vogel, Gesch. d. deutschen Seeschiffahrt, im Durchschnitt zu 1 1/3 Registertonnen berechnet, vgl. Archiv III, S. 41, Anm. 127.
59) Vgl. Archiv III, S. 13.
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letzten Jahre etwa 50 000 Kommerzlasten 60 ). Danach kamen auf das Schiff durchschnittlich nicht viel über 50 Last. Fahrzeuge, die mit 70 Last und darüber beladen waren und 10 Fuß tief gingen, konnten die Plate nicht überwinden, ohne teilweise auf der Reede gelöscht zu haben 61 ). Es ist also klar, daß die große Mehrzahl der Schiffe überhaupt nicht zu leichtern brauchte. Und auch der Rest der Schiffe kann nach heutigen Begriffen nur sehr klein gewesen sein. Es handelte sich ja auch ganz wesentlich um Ostseeverkehr 62 ).

Unter den Erwiderungen des Lotsenkommandeurs interessiert uns noch Folgendes (zu 2): Er meint, niemals hätten Schiffe, die leichtern wollten, "auf der Plate 63 ) innerhalb der Ansegelungstonne gelegen, woselbst bei auflandigen Winden besonders grobe See steht und vielfach Schiffe beim Brechen von Ankerketten in Trift geraten sind". Schiffe müssen hier also doch gelegen haben. Und daß es früher vorgekommen ist, daß Fahrzeuge auf der Reede vom Anker gerissen wurden, wissen wir ja 64 ). Auch das Schiff von 1792 ist auf solche Weise verunglückt 65 ). Dieselbe Gefahr ist aber nach dem Lotsenkommandeur (zu 7) bei 10 bis 12 m Tiefe ebenfalls vorhanden, wo Rörig die Reede gesucht hat. Auch hier kommt bei schweren Nordoststürmen - und das sind doch gerade die bedrohlichen Winde - "sehr grobe See" auf, so daß Schiffe, die unter solchen Umständen dort ankern, ".gefährlich liegen", "weil die Gefahr besteht, daß die Anker nicht halten und die Ketten brechen".

Der Hafenkapitän seinerseits führt aus (zu 3): Natürlich haben die Schiffe früher versucht und tuen es auch jetzt noch, bei nördlichen Winden so nahe als möglich an das Innere der Reede heranzugehen und dort zu ankern, um, wenn auch nicht durch das Land, sondern durch das flache Steinriff Schutz gegen hohe See


60) Behrens, Topographie und Statistik von Lübeck, Erster Teil (1829), S. 211.
61) Ebd.
62) Die durchschnittliche Größe der ankommenden Schiffe ist auch später noch lange klein geblieben. z. B. wurde 1866 für mehrere Jahre ein Höchstbestand von 1829 eingehenden Schiffen (gegen 1000-1200 in der Zeit von 1850 bis 1861) erreicht mit 217 000 Registertonnen. 1878 waren es 2246 Schiffe mit 304 400 Registertonnen. Damals war die Plate schon auf 5 m ausgetieft (nach der Admiralitätskarte von 1873). Auch die ersten Dampfschiffe sind natürlich klein gewesen. Lübeck selbst besaß 1860 zehn Dampfer von zusammen 2400 Netto-Registertonnen. Vgl. Keibel, Lübecker Heimatbuch, 1926, S. 77, 83, 89.
63) Auf diesen Begriff "Plate" kommen wir zurück.
64) Archiv III, S. 10, Anm. 23.
65) Oben S. 85.
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zu haben". Sie sind vormals in der Tat soweit buchteinwärts gefahren, daß sie den Schutz des Brodtener Ufers genossen. Und wenn der Hafenkapitän bemerkt (zu 7), daß Schiffe von 5 bis 6 m Tiefgang auf 10 bis 12 m Wasser unbedenklich ankern könnten, sollten dann 6 bis 8 1/2 m und darüber für die kleinen Fahrzeuge früherer Jahrhunderte nicht genug gewesen sein? Noch auf der Admiralitätskarte von 1873 liegt in der inneren Bucht ein Anker, in der Nähe des Fahrwassers und 300 m westlich einer von der Priwallgrenze nach Norden gezogenen Linie. Seine Spitze ist noch nicht 1250 m vom Norderbollwerk entfernt, und er würde gerade noch binnen der Linie Gömnitzer Turm Brodtener Ufer (Majorlinie) liegen. Dicht hinter ihm, seewärts, steht eine Tiefenzahl von 8 m 66 ). Ebenso auf der gleichen Karte mit den Berichtigungen bis 1887, doch würde hier der Anker mit der Spitze auf der Majorlinie stehen. Vom Norderbollwerk ist er trotzdem keine 1200 m entfernt.

Man darf aus den Angaben der heutigen Lübecker Sachverständigen, die offenbar mit ganz anderen Verhältnissen rechnen, keine Schlüsse auf die Lage der alten Reede ziehen. Die "Kontinuität nach rückwärts" 67 ) ist nicht vorhanden, sie ist nach den Quellen ausgeschlossen. Auch wird die Gefahr des Steinriffes für die ankernden Schiffe von Rörig offenbar nicht richtig eingeschätzt. Wie der Hafenkapitän Murken hervorhebt 68 ), bietet die Travemünder Reede bei südlichen und südöstlichen Winden guten Schutz. Welche anderen Winde sollten denn aber in der inneren Bucht liegende Schiffe aufs Steinriff werfen? Und wenn es bei orkanartigen Stürmen dennoch geschehen könnte, so wäre doch diese Gefahr weiter seewärts auch vorhanden. Keinen Schutz hat man nach dem Hafenkapitän bei nordöstlich-östlichen Winden. Waghenaer hat seiner Zeit nur den Nordost und Nordnordost als bedrohlich bezeichnet 69 ). Und es wird wohl so sein, daß ostnord-östliche Stürme den Schiffen um so weniger schädlich sind, je weiter diese buchteinwärts ankern; denn desto mehr muß der Schutz der mecklenburgischen Küste wirken.

Warum ferner soll der Ankergrund der inneren Bucht nicht gut sein 70 )? Wie der Lotsenkommandeur Wohler 1801 angab, besteht der Grund bei beinahe 5 Faden Tiefe "aus ziemlich


66) Die Karte, die hier nur verhältnismäßig wenig Tiefenzahlen hat, gibt in der See nur volle und volle halbe Meter an.
67) Rörig IV, S. 52.
68) Rörig IV, S. 72, zu Frage 2.
69) Vgl. Archiv III, S. 20.
70) Vgl. Rörig IV, S. 47, Anm. 64. Dazu Archiv III, S. 12 und 46.
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festem Ton mit Sand vermischt", so daß die Anker selten losgerissen würden, wenn auch bei Stürmen öfter die Taue oder die Anker selbst brächen 71 ). Von dem Lübecker Wasserbaudirektor Rehder wissen wir, daß "der auf 5-7 Meter anschwemmende Sand eine feine thonige Beschaffenheit hat, welche das Ausbaggern außerordentlich erschwert" 72 ). Daraus ist natürlich der Schluß zu ziehen, daß der Grund bei 5-7 Meter Tiefe überhaupt Ton enthält. Die Admiralitätskarte von 1873 verzeichnet an der Spitze des oben erwähnten Reedeankers Sk. (Schlick). Auf der neuesten Admiralitätskarte endlich (Sonderkarte der Traveeinfahrt) findet sich in dem Gebiete, das auf unserer beigefügten Skizze mit fetten Linien umrandet ist, die Angabe gr. Sd. (grauer Sand) 73 ); in der Nähe des Gebietes steht f. gr. S. (feiner grauer Sand) 74 ), weiter südlich noch einmal gr. Sd. Das sind dieselben Bezeichnungen des Grundes, die auf der Karte (Hauptkarte) auch weiter draußen, jenseit der Ansegelungstonne, vermerkt sind.

Sehr wohl auch war es zulässig, daß wir in Archiv III (S. 14 f.) andere Ostseereden zur Vergleichung herangezogen haben. Die dort angeführten Reeden sind ja zum Teil ebenso offen oder noch offener als die Travemünder. Geschützter ist die Wismarer. Aber hier lagen auch um 1804 "Schiffe von 150-200 Last, nach Verschiedenheit der Bauart, bey einer Wassertiefe von 14-15 Fuß" 75 ) (4,02-4,31 Meter). Das waren für die damalige Zeit durchaus keine kleinen Schiffe. Ablandige Winde, die das Wasser ein wenig sinken machen, kommen hier natürlich auch vor.

Wir verstehen es nicht, daß Rörig aus den Quellen von 1784-1801 das Ergebnis zieht, alles, was wir über die Reedelage gesagt hätten, sei falsch, alles, was er gesagt habe, sei richtig. Obwohl er die weiteste 1784 genannte Entfernung (840 Faden) ganz unberechtigt zu 900 Faden ausgereckt hat, obwohl auf der Hagenschen Karte die Entfernungen vom Bollwerk bis zu den


71) Rörig IV, S. 34.
72) Archiv III, S. 46, Anm. 145.
73) Unter der Tiefenzahl 8.4.
74) Dicht unter der Tiefenzahl 8,8, die am südlichen Sektorstrahl steht.
75) Norrmann, über Wismars Handlage und deren Benutzung in älteren Zeiten, Rostock 1804, S. 8. Da dieser Ankerplatz nach Norrmann kaum 1/2 Meile von der Stadt entfernt war, so handelt es sich um die alte Wismarer Reede beim Dorfe Hoben. Vgl. Archiv III, S. 14. Größere Schiffe hatten nach Norrmann eine ebenso gute Lage bei Poel. Hier wird die Reede bei 5-6 m Tiefe gemeint sein, die das Segelhandbuch von 1878 nennt, Archiv III, S. 14, Anm. 44. Übrigens konnten auch auf der Wismarer Reede Schiffe vom Anker gerissen werden, wenn es auch nach Norrmann selten geschah.
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Reedegrenzstrichen gar nicht mehr für das Gebiet innerhalb des Leuchtfeuersektors gelten, so geht doch die Reede auch auf dieser Karte nur gut 300 m über die Majorlinie hinaus. Dabei ist es nicht einmal von Wichtigkeit, ob die Reede just an der Majorlinie zu Ende war oder ob die Schiffe auch noch ein bißchen weiter seewärts lagen. Denn daß die Majorlinie eine Hoheitsgrenze gewesen sei, hat ja niemand behauptet. Das Entscheidende ist, daß der Ankerplatz sich in der inneren Bucht befand, nicht da, wo Rörig ihn gesucht hat.

Es sind merkwürdige Vorstellungen, die Rörig sich von den Aufgaben eines wissenschaftlichen Erachtens bildet. Nach ihm wäre Sinn und Zweck unserer Ausführungen in Archiv III in dem Wunsche zu suchen, das "wirkliche" Reedegewässer aus dem Gebiete hinauszuschieben, das in der mecklenburgischen Verordnung vom 23. Februar 1925 umschrieben ist 76 ). Wir möchten wissen, wie wir das machen sollten, wenn nicht die Quellen dafür sprächen. Es ist außerdem völlig unrichtig, daß wir an den "Ortsbestimmungen" der Verordnung "stark beteiligt" seien. Denn beteiligt ist hier allein das Völkerrecht. Was die Verordnung, die wir übrigens erst durch das Regierungsblatt kennen gelernt haben, geltend macht, ist ja gar nicht der alte Strand, sondern die völkerrechtliche Grenze. Diese wird von Mecklenburg verfochten, nicht mehr und nicht weniger.

Weiter meint Rörig (IV, S. 2), wir hätten uns bereits in einer Weise festgelegt, "die einer objektiven Stellungnahme zum mindesten nicht günstig war". Aber wenn er uns eine Reede bei Rosenhagen nachgewiesen hätte, so hätten wir unseren Standpunkt verlassen und verlassen müssen. Hat er selber sich denn nicht "festgelegt"? Auf der Kartenskizze 2 seines ersten Gutachtens ist als "ungefähre Abgrenzung der Reede im nautischen Sinne" die 10-m-Wassergrenze eingetragen. In seinem dritten Gutachten verlegt er die Reede dementsprechend, aber im Gegensatze zu dem von ihm selbst vorgebrachten Kartenmaterial, auf die Höhe von Rosenhagen; manchmal heißt es auch: "etwa" auf dieser Höhe. Wo ist nun die Reede vor Rosenhagen geblieben?

Neuerdings bemerkt Rörig 77 ), er habe mit der Höhe von Rosenhagen nicht den Häuserkomplex gemeint - den aber seine Leser darunter verstehen mußten -, und er gibt zu, daß er besser gesagt hätte: "in der Höhe der Küstenstrecke von Pötenitz bis Rosenhagen". Das sei ihm zu lang gewesen. Es wäre aber außer-


76) Rörig IV, S. 46.
77) IV, S. 56, Anm. 80.
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dem auch noch unrichtig gewesen. Denn wenn man die Reede nach der mecklenburgischen Küste zu bestimmt, so lag sie gegenüber der westlichen Hälfte des Pötenitzer Feldes; im übrigen lag sie nördlich vom Priwall und dem Möwenstein näher als der mecklenburgischen Küste.

Auf der Plate aber lag sie nicht. Schon in seinem dritten Erachten hat ja Rörig behauptet, daß wir die Reede auf die Plate, "also auf jenes gefährliche Hindernis der Schiffahrt", verlegt hätten 78 ). In seiner neuen Abhandlung hat er für unsere Reede die Bezeichnung "Platenreede" angewendet. Das Platenrätsel löste sich für uns bereits, als wir die Kartenskizze erhielten, die bei der Verhandlung in Leipzig am 21. März 1927 von Lübecker Seite vorgelegt ist. Sie ist im Maßstabe der Admiralitätskarte angefertigt und deckt sich im allgemeinem mit dieser. Beanstandet werden muß, daß auf der Skizze die Harckenbeckmündung an die Peillinie Pohnsdorfer Mühle-Gömnitzer Turm 79 ) herangezogen ist, was nach der Admiralitätskarte nicht stimmt und auch den natürlichen Verhältnissen nicht entspricht. Die Begrenzung des Steinriffs ist zugleich die 10-m-Tiefenlinie, die aber willkürlich ans Ufer bis zur Travemündung herangezogen ist, durch den Leuchtfeuersektor hindurch und den ganzen Travemünder Badestrand mit umfassend. Die Plate ist blau gefärbt und reicht bis zu einer Linie, die sich vom Möwenstein bis nach Rosenhagen hinzieht. Verlegt man sie auf die Admiralitätskarte, so läuft sie über die Ansegelungstonne Lübeck 1 und überschneidet an einer Stelle noch etwas die 10-m-Tiefenlinie.

Wenn man in Lübeck dieses ganze Gebiet heute "Plate" nennt 80 ), so berührt das unsere Beweisführung nicht im mindesten. Entsprechend müßte ja dann beinahe die ganze Wismarer Bucht eine Sandbank sein. Und wie verhält sich denn dieser Platenbegriff zu den Ausführungen des dritten Rörigschen Gutachtens? Da wurde die Angabe Waghenaers, daß es "auf der Bancken" sechs Ellen (12 Fuß) tief sei, für bei normalem Wasserstande "viel zu hoch gegriffen" angesehen 81 ), 1831 schwankten die Tiefen auf der Plate nach Rörig zwischen 8 und 133/4 Fuß 82 ). Heute aber rechnet man in Lübeck Tiefen von 30 Fuß und darüber zur Plate.


78) Rörig III, S. 136. Vgl. Archiv III, S. 11.
79) Diese über die Steinrifftonne Brodten-Ost führende Linie ist gemeint, nicht etwa eine Linie Harkenbeckmündung-Gömnitzer Berg.
80) Vgl. auch die Bemerkung des Lotsenkommandeurs Westphal, Rörig IV, Anl. 2, zu 2 (S. 70).
81) Rörig III, S. 111, Anm. Dazu Archiv III, S. 41, Anm. 124.
82) Rörig III, S. 88.
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Wo diese in Wirklichkeit war, das lehrt ja die Wohlersche Karte von 1801.

In seinem dritten Gutachten (S. 116) hatte Rörig den Liegeplatz eines 1746 in Brand geratenen Schiffes infolge eines Lesefehlers bei 8 Faden statt bei 5 angenommen 83 ). Er erklärte daher, daß das Schiff in einer Wassertiefe geankert habe, "wie sie nach Ausweis der modernen Seekarte von Rosenhagen aus gerechnet nur in der Richtung auf die Harkenbeck anzutreffen" sei. "Hier war es," so heißt es weiter, "wo das bei dem flachen Wasserstand der Plate notwendige Löschen - zum mindesten teilweise Löschen - der einlaufenden Schiffe und das Laden der ausfahrenden stattfand" usw. Also gar nicht einmal mehr "in der Höhe der Küstenstrecke von Pötenitz bis Rosenhagen", die er doch sonst als Reedegebiet bezeichnet haben will, sondern von Rosenhagen bis zur Harkenbeck. Noch jetzt meint er 84 ): "Wenn auch die Lotsen die Schiffe nach Möglichkeit bis etwa dorthin vorzogen, wo Lotsenkommandeur Wohler seine drei Anker einzeichnete, geleichtert und gelöscht wurde auch noch weiter hinaus auf der Reede, und Schiffe gingen hier immer wieder bis zum heutigen Tage vor Anker". Woher hat er eigentlich diese Kunde? Er beruft sich auf den heutigen Travemünder Lotsenkommandeur, der von der alten Reede gar nichts wissen kann. Und weil der Fall von 1746 weggefallen ist, so beruft er sich statt dessen ferner auf das "mit Steinen beladene, ziemlich weit hinaus auf der Rhede bey Rosenhagen befindliche Wadeschiff", das 1799 vor Rosenhagen im Wirbelsturm sank 85 ). Wie will er denn daraus, daß ein Wadeschiff, das von irgendwoher Steine geholt hatte, bei Rosenhagen vorbeifuhr, auf einen Ankerplatz schließen? Der Scharpenbergische Bericht von 1784 besagt: alle Schiffe lägen 5 bis 6 Kabellängen vom Bollwerk. Würden sie näher ans Land gelegt, "so könten sie beim Norr-Osten-Sturm leicht dem Strande näher kommen". Anderer-


83) Daß dieses Versehen "für die Sache gänzlich belanglos" sei, wie Rörig IV, S. 57, Anm. 84 meint, können wir nicht finden. Übrigens haben wir nicht von einer "Enthüllung" gesprochen. Das Schiff war aus Bordeaux angekommen. Die Ankertiefe von 5 Faden, die von einem Mitgliede der Besatzung angegeben wurde, hätte nach Rörig "reichlich 9 m" betragen. Wo war das Fahrzeug beheimatet? Wenn es sich um ein französisches Schiff handelt, so wird der alte französische Faden gemeint sein, der aber nur 5 Fuß lang war. Weil der alte französische Fuß verhältnismäßig groß ist (= 144 Pariser Linien), so betragen 5 Faden (25 Fuß) 8,12 m, also weniger als 5 Lübecker Faden (8,63 m).
84) IV, S. 56.
85) Vgl. Archiv II, S. 118.
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seits aber: "Lähgten wir sie weiter hinaus, so liefen wir mit Prahmen und Böhte die Schiffe zu löschen bey stürmichem Wetter Gefahr, wen wir sie weit von die See hereinholen müßten." Und Sturm kann schnell aufkommen.

Bei Licht betrachtet, ringt Rörig in seinem neuen Gutachten weniger mit uns als mit seinem eigenen "hochwertigen und unbedingt authentischen Beweismaterial" von 1784 bis 1801 86 ). Wieder auch entnehmen wir seinen Darlegungen den Vorwurf, daß wir die Beweisführung erschwerten. Freilich ist es mühevoll, so minutiöse Auseinandersetzungen über die Reedelage zu geben und zu lesen. Aber die Beweisführung wird dadurch nicht erschwert, sondern es wird überhaupt erst Klarheit geschaffen. Und nicht unsere Schuld ist es, daß die Untersuchungen einen so großen Umfang angenommen haben. Warum hat denn Rörig die "authentischen" Quellen, die doch in dem wahrhaftig nicht unübersehbaren Lübecker Archiv leicht zu haben waren, nicht beizeiten vorgelegt? Dann hätten die Forschungen über die älteren Seekartenwerke gar nicht angestellt zu werden brauchen.

Der Ausdruck "Große Reede" wird nach Rörig 87 ) auch in der Quarantäneordnung von 1805 angewendet. Gemeint ist die Reede, wie sie sich aus den Quellen von 1784 bis 1801 ergibt. Und wenn die Lotsen nach der Ordnung von 1805 quarantänepflichtige Schiffe eine viertel Meile nordwärts von der Großen Reede verankern sollten, so hat diese Quarantänereede, wie es 1832 heißt, ja sicher nicht im mecklenburgischen Küstengewässer gelegen. Aber auch sonst ist der gebietsrechtliche Schluß abzulehnen, den Rörig aus der Existenz einer Quarantänereede gezogen hat. Vor anderen Häfen gab es zweifellos ebenfalls Quarantänereeden. Und aus Einrichtungen dieser Art ist kein Eigentumsrecht über das betreffende Meeresgebiet zu folgern, sondern sie gründen sich, ebenso wie das Lotsenwesen und das Leichterwesen, auf die Herrschaft über den Hafen selbst. Schon in Archiv II 88 ) haben wir ausgesprochen, daß kein Schiff sich der Quarantäne unterwirft, weil es sich auf dem


86) Die "Virtuosität, alle Werte auf den Kopf zu stellen" (Rörig IV, S. 53, Anm. 78) dürfte nicht auf unserer Seite zu finden sein. Ebenso wenig haben wir die primären Quellen "diskreditiert" (vgl. ebd. S. 45). Unseres Erachtens ist es Rörig, der den Ankerplatz immer noch da suchen will, wo er nach den Quellen, die vom Ankern und Leichtern reden, nicht mehr war. Aber es ist überflüssig, den polemischen Aufschmuck der Rörigschen Schrift einer Betrachtung zu unterziehen.
87) IV, S. 58.
88) S. 122, Anm. 219.
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Hoheitsgebiete des Hafenstaates befindet, sondern weil Fahrzeug, Mannschaft und Ladung sonst nicht in den Hafen hineingelassen werden.

Weiter hat Rörig sich auf ein Verbot von 1787 berufen, wonach Ballast bis auf 1/2 Meile von der Großen Reede fort nicht ausgeschüttet werden sollte 89 ). Der Lotsenkommandeur Wohler schlug damals vor, die Ausschüttung erst bei Schwansee oder besser noch an der Rückseite des Steinriffes vornehmen zu lassen, damit der Ballast nicht ins Fahrwasser getrieben werde 90 ). War man eine halbe deutsche Meile - die hier nur gemeint sein kann - von der Großen Reede entfernt, so befand man sich beinahe einen Kilometer jenseit der Harkenbeck, gegenüber der Feldmark von Barendorf. Schwansee grenzt östlich an Barendorf, und sein Strand beginnt 2 km hinter der Harkenbeck. Soll nun also auch das Gewässer vor Barendorf oder gar vor Schwansee den Lübeckern gehört haben? Unmöglich ist es, aus solchen Anweisungen eine Gebietshoheit zu folgern. Nach der Lotsenordnung des Rostocker Rates für den Hafen zu Warnemünde von 1802 hatte der Lotsenkommandeur "darauf zu sehen, daß beym Ballast-Löschen oder Einnehmen, im Hafen oder auf der Rehde, nichts ins Wasser geschüttet, und das Auswerfen des Ballastes in die See durch Versegeln nicht näher, als eine Meile vom Hafen ab geschehe . ." 91 ). Deswegen aber hat doch Rostock nicht das Meer bis auf eine Meile vom Hafen gehört. Wohin sollte es denn führen, wenn überall da, wo Reeden liegen oder lagen, auf Grund von derlei Anweisungen das Meer als Eigengewässer in Anspruch genommen würde 92 )!

Über die Örtlichkeit der alten Travemünder Reede kann es keinen Zweifel mehr geben. Sie war dort, wo in der inneren


89) Rörig IV S. 58, Anm. 85 und S. 62. Anm. 88.
90) Rörig IV, S. 32.
91) Blanck, Sammlung der Rostockschen Gesetzgebung 1783-1844 (Rostock 1846), S. 161 § 31.
92) Rörig (IV, S. 62, Anm. 88) erwähnt noch ein Schreiben des Lübecker Senats von 1875, das Änderungsvorschläge für die Segelanweisung der Reichsmarine enthält. Darin heiße es, daß die Änderungen des Lotsenkommandeurs sich nur auf die Teile der Segelanweisung bezögen, die "das Lübecker Gebiet" beträfen. Es handele sich um die Wassertiefen von 10-12 m. Nach Rörig steht der Ausdruck "Gebiet" im Sinne von Hoheitsgebiet. Dann würde er sich aber nur auf den Lübecker Teil der Travemünder Bucht beziehen können; denn wir wissen ja, daß der Senat sich in jener Zeit nach den völkerrechtlichen Regeln über Meereshoheit richtete. Im übrigen glauben wir nicht, daß der Ausdruck genau abgewogen ist. Schließlich wäre ja auch eine Lübecker Behauptung noch kein Beweis.
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Bucht tiefes Wasser am weitesten ans Ufer heranreicht. Man erkennt dies auf der Admiralitätskarte schon an dem Zurückspringen der Tiefenlinien von 4 und 6 m. Und auf dieser "Großen Reede" konnten eine ganze Menge Schiffe liegen 93 ). "Es war," um einen Satz Rörigs 94 ) auf den wirklichen Ankerplatz anzuwenden, "ein Zwang, der in den Dingen selbst lag, daß eben an dieser Stelle der Bucht und an keiner anderen eine Reede im nautischen Sinne entstehen mußte". Denn hier hatte man den besten Schutz, den die Bucht bietet, und zugleich ausreichende Wassertiefen. Nun aber geht doch die bekannte rechtsgeschichtliche Vorstellung Rörigs dahin, daß der wirtschaftliche Reedebetrieb zu einer Reedehoheit und dann zur Ausdehnung dieser Hoheit auf die an die Reede grenzenden Wasserflächen bis zum Ufer geführt habe. Abgesehen davon, daß diese "Durchdringungsthese" schon aus anderen Ursachen nicht zu halten ist 95 ), wo war denn außer in dem Gebiete diesseit der Majorlinie oder höchstens ganz unwesentlich darüber hinaus der wirtschaftliche Reedebetrieb, auf den doch alles aufgebaut ist? Von der nun örtlich festbestimmten Großen Reede können allerdings "keine Auswirkungen auf das Küstengewässer Priwall-Harkenbeck in dem von Lübeck angenommenen Maße ausgegangen sein" 96 ). Für den wirklichen Ankerplatz aber besaß Lübeck Schutzstreifen, und zwar am Lande selbst, wo sie wegen des Bergerechtes überhaupt allein Wert hatten. Es waren das Leuchtenfeld mit dem Travemünder Strand und der Priwall, dessen Besitz freilich bis 1803 umstritten wurde, den aber Lübeck Jahrhunderte hindurch heiß verteidigt hat. Eben am Priwall sind ja die Strandungsfälle außergewöhnlich zahlreich gewesen 97 ). Östlich von der Halbinsel dagegen hörte der Schutzstreifen auf, und wenn hier Schiffe oder Gegenstände ans Land


93) Rörig (IV, S. 58) spricht von dem "Travemünde am nächsten zugewandte und am dichtesten mit Schiffen belegten Teile der Reede". Wieviel Schiffe haben denn seiner Meinung nach im Durchschnitt auf der Reede geankert? In den Statistiken, die wie über den Lübecker Schiffsverkehr haben, sind doch auch die kleinsten Fahrzeuge mitgerechnet, die natürlich die große Mehrzahl bildeten, aber gar nicht zu leichtern brauchten. Bei Rörig III, S. 117 ist eine Zahl genannt; es heißt dort: "Auf der Reede lagen täglich mehrere Schiffe, z. B. am 29. November 1732 acht." Das können schon verhältnismäßig viele gewesen sein.
94) III, S. 135.
95) Vgl. Wenzel S. 106 ff.
96) Vgl. Rörig IV, S. 2. Der dort stehende Satz ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich ist das "keine" vor "Auswirkungen" zu streichen.
97) Archiv III, S. 10, Anm. 23 und besonders S. 36.
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geworfen wurden, so trat natürlich nicht die rechtliche Absurdität einer Lübecker Bergehoheit ohne Küstenbesitz in Kraft, sondern das mecklenburgische Strandrecht 98 ).

Ankergrund natürlich war auch noch jenseit der Großen Reede, nach der See zu 99 ). Daß man den Namen "Reede" auch


98) Rörig (IV, S. 21) kommt zurück auf den Fall von 1516. Wir verweisen demgegenüber auf die eingehende Besprechung des Falles in unserem letzten Erachten vom 12. Mai 1927 (s. oben S. 55 ff.). In Archiv III, S. 10 haben wir gesagt, Lübeck habe in seiner Erwiderung auf die mecklenburgische Beschwerde von 1516 als Strandungsort des einen Schiffes die Reede angegeben, "wobei der Ort Rosenhagen durchaus nicht genannt wurde" Rörig (IV, S. 21, Anm. 27) meint, dies stimme nicht. Es stimmt aber. In dem von Rörig zitierten Eingange des Lübecker Schreibens wird ja doch nur der Inhalt der Beschwerde Mecklenburgs wiedergegeben, auf die entgegnet werden sollte, d. h. es wird festgestellt, was Mecklenburg über den Strandungsort beider Schiffe behauptet hatte. Dabei mußten natürlich die beiden Örtlichkeiten, Priwall und Rosenhagen, genannt werden. Die Strandung am Priwall gab Lübeck dann zu. Bei der Angabe darüber, wo das zweite Schiff nach den angestellten Ermittelungen gestrandet sei, wird aber Rosenhagen nicht genannt, und darauf kommt es an. Die Strandung bei Rosenhagen sollte eben nicht zugegeben werden. Wenn Rörigs Auffassung des Schreibens richtig wäre, warum wurde dann nicht einfach gesagt, das Schiff sei zwar vor Rosenhagen gestrandet, aber das Bergerecht dort stehe Lübeck zu? Sehr gewundert haben wir uns über Rörigs Behauptung, daß das zweite mecklenburgische Schreiben (vom 14. Dezember 1516) "überhaupt nicht abgeschickt" sei, sondern daß die "Reinschrift" noch heute ohne Unterschrift im Schweriner Archiv liege. Wir hatten das Aktenstück im Original zur Einsicht nach Lübeck gesandt. Es ist ursprünglich als Reinschrift ausgefertigt gewesen, ist dann aber an vier Stellen durch Zusätze von einzelnen oder mehreren Worten verbessert worden, und zwar von der Hand des Kanzlers von Schönaich. Diese Stellen gehören zu den Erörterungen über das Eigentum am Priwall, und es sind zum Teil offenbar Auslassungen des Abschreibers berichtigt. Natürlich wurde die "Reinschrift" durch die Korrekturen wieder zum Konzept. Das ursprüngliche Konzept fehlt; man wird es als überflüssig vernichtet haben. Warum soll denn nun das Schreiben in der abgeänderten Form nicht abgeschickt sein? Selbstverständlich ist es abgeschickt. Fälle, in denen Reinschriften durch nachträgliche Verbesserungen wieder zu Konzepten werden, können sich noch heute in jeder Kanzlei ereignen. Wir haben verschiedentlich Beispiele dafür in unserem Archiv gefunden.
99) Mehr wird nicht damit gesagt, daß z. B. auf der Karte des Travemünder Hafens im Jahre 1848, etwa von den 4-Faden-Tiefen an bis über die Harkenbeck hinweg, mit großen Buchstaben geschrieben steht: Guter Ankergrund, Worte, die sich auf der Karte auch noch weit draußen in der Lübecker Bucht, nördlich vom Steinriff, finden (vgl. Archiv III. S. 47). Mehr bedeutet es gleichfalls nicht, daß es bei Behrens, Topographie und Statistik von Lübeck, 1. Teil, 1829, S. 76 heißt: "Der Ankergrund auf der Rhede besteht in fester Modde und Sand, ist 5 bis 10 Klafter tief und sicher" während das Steinriff, das
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für dieses Gewässer verwendete, wäre schon an sich um so verständlicher, als die Travemünder Bucht nicht groß ist. Es ist aber auch vom nautischen Standpunkte aus zu erklären. Wie begründeten es denn Wismarer Zeugen 1597, daß sie den Hafen bis zum Ende der Wismarer Bucht rechneten? Damit, daß man hier "zwischen Landts" kam , wo "Beschutz" war und die Möglichkeit sich bot, ein Schiff vor Anker und Tau zu bergen 100 ). Praktisch-seemännische, nicht gebietsrechtliche Erwägungen führten zu dieser rein nautisch-geographischen Anschauung. Nicht für alle Wismarer Zeugen aber waren Hafen und "Tief" dasselbe, und tatsächlich befanden sich Reede und Hafen im Innenwinkel der Bucht.

Ähnlich lagen die Dinge vor Travemünde. Auch hier kam


(  ...  ) sich 1 1/2 Meile ins Meer hinein erstrecke, als "zum Ankern gefährlich" bezeichnet wird. Von den genannten Tiefen gehörten eben nur die von 5 Klaftern oder Faden zur Lotsen- und Leichter-Reede. Es waren zugleich deren wichtigste Tiefen, wo die Schiffe nach der Angabe des Lotsenkommandeurs Wohler "gewöhnlich" lagen. An einer anderen Stelle aber bei Behrens (S. 211) wird gesagt: "Die Rhede von Travemünde ist tief und sicher genug, daß Schiffe, welche 20 Fuß tief gehen, sich auf 320 Klafter dem Ufer nähern können." Dabei wird in einer Fußnote auf die französische Seekarte von Beautemps-Beaupré verwiesen. Nun werden Schiffe, die 20 lübische Fuß (5,75 m) tief gingen, wohl nicht in Betracht gekommen sein (5,80 m waren 1848 der mittlere Tiefgang der 20 größten Dampfer der Welt bei einem durchschnittlichen Gehalt von 1430 Tonnen, Archiv III, S. 15, Anm. 45), doch hat man offenbar ermittelt, wie weit solche Schiffe buchteinwärts zu bringen waren. Mißt man auf der französischen Seekarte eine Entfernung von 320 Lübecker Klaftern (552 m) vom Travemünder Ufer ab, so kommt man etwa 800 m nördlich vom Norderbollwerk über eine Tiefe von 16 französischen Fuß hinaus und in die Nähe einer Tiefenzahl von 20 Fuß. Legt man die Admiralitätskarte zugrunde, so überschneidet man etwa 700-1000 m nördlich vom Norderbollwerk, bei einer Entfernung von 552 m vom Ufer überall die 6-m-Tiefenlinie und kommt an einer Stelle fast genau auf eine Tiefe von 6,8 m. Es ist die Zahl, die auf unserer Kartenskizze kurz vor dem mit fetten Linien umrahmten Gebiet und dicht an der Peillinie Badehaus-Kirchturm steht. Weil hier nicht die Schiffahrtstraße ist, so kann sich die Angabe bei Behrens nur auf die Reede beziehen. Daß Schiffe von 20 Fuß Tiefgang bis auf 320 Klafter ans Ufer herangehen, wäre an anderen Stellen der Bucht bis zur Harkenbeck nur gegenüber und kurz vor der Bachmündung auf einer Strecke von etwa 300 m möglich. Schon weit jenseit Rosenhagens wird das Wasser viel zu flach dazu. Bei der Harkenbeck aber hätte es überhaupt keinen Zweck gehabt, sich der Küste so weit zu nähern, weil damit nicht das geringste gewonnen wäre. Die Entfernung bis zum Hafen wäre dieselbe geblieben.
100) Vgl. Archiv II, Anlage I, S. 197 f. Bezeichnend ist auch die Aussage: "In anderen Stetten hette es eine andere Gelegenheit, daß sie Tief und Have so weit nicht rechnen köndten." Das bezieht sich offenbar auf Häfen, die nicht an einer Bucht liegen.
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man, wenn man in die Bucht einfuhr, binnen Landes, in den Schutz einerseits der mecklenburgischen Küste, andererseits des Brodtener Ufers unter Hinzurechnung des flachen Steinriffteiles, der ebenfalls gegen hohe See schützt 101 ). Die wirkliche Reede aber lag - wie vor Wismar - in der inneren Bucht an der günstigsten Stelle. Und wenn weiter draußen, in dem äußeren Buchtgewässer, Schiffe Anker warfen, etwa des Nachts und bevor sie auf die Große Reede gebracht wurden, so könnte daraus eine Lübecker Gebietshoheit noch weniger gefolgert werden als aus dem Steineholen am Brodtener Strande 102 ) und ebenso wenig wie daraus, daß heute Kriegsschiffe oder andere große Dampfer noch jenseit der angeblichen Peilliniengrenze vor Anker gehen, auf einem Gebiet, das Lübeck selber nicht beansprucht 103 ). Die bloße Ankerung ist nicht einmal auf der Großen Reede ein Beweis für Gebietshoheit. Soll Mecklenburg sein Recht verloren haben, weil vielleicht mitunter auf seinem Buchtanteil ein Schiff Anker warf, was in keinem einzigen Falle aktenmäßig bezeugt ist?

Nicht darauf kommt es an, was man im geographischen Sinne oder auf Grund von geographisch-nautischen Vorstellungen Reede nannte, sondern allein auf die Lotsen- und Leichter-Reede. Diese Feststellung ist zu treffen, bevor die Quellen besprochen werden können, die Rörig aus den Akten über Fischereistreitigkeiten herangezogen hat.

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101) Vgl. die Angabe des Hafenkapitäns Murken, Rörig IV, Anl. 3, zu 3, S. 73.
102) Über dieses Steineholen vgl. auch Kühn, S. 5.
103) Vgl. Archiv III, S. 59.
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II. Die Quellen
der Akten über Fischereistreitigkeiten.

Es ist hier einzugehen auf den ersten Teil des neuen Rörigschen Gutachtens 104 ), der die "Reedebegriffe in den Verordnungen etc. der Lübecker Behörden" behandelt.

In Archiv III (S. 51) haben wir den kurzen Auszug Rörigs (II, S. 245) aus einem Wetteentscheid von 1823, worin eine etwa "beim Möwenstein anfangende und sich von dort noch weit in die See erstreckende Außenreede" erwähnt wird, mit dem bekannten Lübecker Fischereiprozeß von 1823-25 in Verbindung gebracht. Tatsächlich bezieht sich der Auszug, wie Rörig jetzt mitteilt, auf eine Beschwerde der Schlutuper Fischer über einen Travemünder Schiffszimmermann, der Krabbenkörbe an der westlichen Buchtküste jenseit des Möwensteins ausgesetzt hatte, was angeblich gegen den Fischereivergleich von 1610 verstoßen sollte. Ferner hatten wir aus dem Auszuge geschlossen, daß die eigentliche nautische Reede ungefähr beim Möwenstein zu Ende gewesen sei und daß man das Gewässer weiter seewärts, "richtiger gesagt jenseit der Majorlinie", als Außenreede bezeichnet habe. Nun hat aber Rörig (IV, S. 5) einen anderen Auszug aus den Akten beigebracht. Er teilt zunächst mit, daß die Wette einen Vergleich befürwortete, der den Travemündern das Setzen von Garnkörben jenseit des Möwensteins gestattet hätte. Dies wurde folgendermaßen begründet:

"Herrn der Wette glauben deshalb vielmehr, daß man im Sinne des Vergleichs von 1610 die Linie von dem Möwenstein auf der holsteinischen Seite nach der Harkenbeck auf der Mecklenburger Seite als Gränzlinie zwischen der See und der Rehde ansehen, das Wasser jenseits derselben, wenn ein Teil davon auch die nirgends erwähnte und beachtete sogenannnte Außenrehde ausmachen möchte, als die offene See und das Wasser diesseits jener Linie . . . . . als die Rehde annehmen müsse, und zwar um so mehr, da . . . . . bis zum Mevenstein noch ein


104) IV, S. 4-25.
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bedeutender Wasserbezirk für die in dem Vergleich benannte Außentrave und ganze Rehde und für die ausschließlichen Berechtigungen der Lübecker Fischer 105 ) vorhanden ist."

Nach Rörig kommt das Wort "Außenreede" nur an dieser Stelle in den Lübecker Akten vor. Zum wenigsten also hat er es nur einmal gefunden. Weiter meint er, die Außenreede sei "niemals eine Realität gewesen", "sondern das am grünen Tisch ersonnene Auskunftsmittel einer Behörde, die einen Ausgleich schaffen" wolle 106 ). Nun ist allerdings richtig, daß die von der Wette hier gezogene Reedegrenze "am grünen Tisch ersonnen" ist, indem, wie Rörig mit Recht sagt, die beiden in dem Vergleich von 1610 genannten Punkte - Möwenstein und Harkenbeck - "ganz mechanisch" miteinander verbunden wurden. Wenn aber Rörig der Ansicht ist, daß die Wette einen Teil der Reede ausgeschieden und zu diesem Zwecke eine Außenreede "konstruiert", also erfunden habe, so kann man mit demselben Rechte behaupten, daß sie die Außenreede den beiden im Vergleich von 1610 vorgefundenen Punkten zuliebe noch weiter hinausgeschoben habe, als sie tatsächlich lag. Daß der Ausdruck "Außenreede" von der Wette neu aufgebracht wurde, halten wir für ausgeschlossen, und zwar schon deswegen, weil die Wette von der "sogenannten" Außenreede sprach, ein Beiwort, daß niemals hätte angewendet werden können, wenn die Bezeichnung "Außenreede" sonst ungebräuchlich gewesen wäre. Auch in dem früher von Rörig gegebenen Auszuge, dessen Ergänzung wünschenswert ist, wird doch ganz eindeutig die etwa "beim Möwenstein anfangende ... Außenreede" genannt. Daß ein solcher Begriff in einem Streitverfahren, in dem es gerade auf geographische Umschreibungen ankam, plötzlich und ohne Begründung neu eingeführt worden sei, kann man nicht annehmen Zwar erklärte die Wette, die Außenreede werde "nirgends erwähnt und beachtet", aber das bezieht sich doch selbstverständlich nur auf die Fischereiordnungen, im besonderen auf den in Frage stehenden Vergleich von 1610. Warum sollte man die Bezeichnung "Außenreede", die doch anderwärts gebraucht wurde, in Lübeck nicht gekannt haben?

Der Senat war mit dem Wettevorschlage nicht einverstanden. Er griff auf ein früheres Dekret vom 29. Juni 1822 zurück. "Den Travemündern blieb also," wie Rörig hinzufügt, "auch weiterhin das Setzen von Garnkörben an der holsteinischen Seite über den


105) "ausschließlich" natürlich im Verhältnisse zu den Travemündern gemäß dem Vergleich von 1610, wie die Wette ihn verstand.
106) Rörig IV, S. 7, Anm. 7.
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Möwenstein hinaus verboten." Auch bemerkt Rörig, daß "der Senat sich auf den Standpunkt stellte, daß durch den Vergleich von 1610 die ganze Reede den Travemündern verschlossen sei; folglich auch die über den Möwenstein hinausgehende Uferstrecke." So wurde der Vergleich auch von den Schlutuper Fischern, den Gegnern der Travemünder, aufgefaßt 107 ). Und so hatte vormals auch die Wette gedacht 108 ).

Nun aber hat Kühn nachgewiesen, daß an der westlichen Buchtküste der Brodtener und der Gneversdorfer Strand außerhalb der Reede lagen, und er erblickt die Südgrenze der Gneversdorfer Strandstrecke wohl mit Recht im Möwenstein. Sicher ist soviel, daß sie in der Nähe des Möwensteins und der alten Schanze zu suchen ist 109 ). In dem Niendorfer Fischereivergleich zwischen Lübeck und Oldenburg von 1817 bedeutet die Grenzbestimmung "von der Travemünder Rehde an" nach den Darlegungen Kühns unzweifelhaft: vom Gneversdorfer Strande an, dessen Südgrenze also mit dem Ende der Reede zusammenfällt 110 ). Es ist Kühn darin zuzustimmen, daß in dem Vergleich nur die nautische Reede vor Travemünde gemeint sein kann, die, wie es 1731 heißt, "der Gegend des Leuchten-Feldes" lag 111 ).

Mithin ergibt sich, daß in dem Vertrage von 1817 mit einer Reedegrenze (wahrscheinlich dem Möwenstein) operiert wird, die zu dem gegen die Travemünder gerichteten Senatsdekret von 1822 nicht passen würde. Wenn dieses Dekret den Travemündern die ganze Reede verschließen wollte, zur Reede also auch das Steinriffgebiet jenseit des Möwensteins rechnete, so muß "Reede" hier in einem anderen Sinne aufgefaßt sein als in dem Niendorfer Vergleich von 1817, und man kann dann nur die ganze Travemünder Bucht, also die Reede im geographischen (nicht nautischen) Sinne, darunter verstehen. Eben daraus, daß die Bezeichnungen "Reede" und "Travemünder Bucht" in neuerer Zeit durcheinander gehen 112 ), ergibt sich ja von selbst, daß Reede und Bucht identische Begriffe im geographischen Sinne sind 113 ).


107) Vgl. Rörig IV, S. 5.
108) Ebd. S. 6.
109) Kühn S. 9 und 22 f. Vgl. unser Erachten vom 12. Mai 1927 (Archiv IV, S. 36). Speziell über den Möwenstein als Grenzpunkt hat Kühn in dem uns damals nach nicht bekannten Teile seiner Schrift nichts Neues mehr vorgebracht.
110) Kühn S. 25 ff.
111) Vgl. oben S. 86.
112) Rörig IV, S. 27 f. Den Ausdruck "Travemünder Bucht" hat er zuerst in einem Aktenstück von 1825 gefunden.
113) IV, S. 28 meint Rörig, die Annahme, daß der Name "Reede" als geographische Bezeichnung auf die ganze Bucht ausgedehnt sei, er-
(  ...  )
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Das Wichtigste, was Rörig aus den Akten über den Streitfall von 1823 mitteilt, ist, daß die Wette das Gewässer jenseit der Linie Möwenstein-Harkenbeck als "offene See" ansah. Damit ist natürlich die ganze Rörigsche Reedebegrenzung gar nicht zu vereinbaren. Die Wette wollte sagen: Die "sogenannte" Außenreede ist eigentlich schon offene See. Nach dem Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828 fing die See - d. h., wie eine andere Stelle des Schriftstückes ergibt, die offene See 114 ) - sogar schon an der Majorlinie an. Nun fragt Rörig, warum denn die Wetteherren "in ihrem offensichtlichen Bemühen, die allzu schroffen Forderungen der Schlutuper den Travemündern gegenüber einzudämmen", nicht mit Vergnügen auf die Majorlinie als Grenze zurückgegriffen hätten. Aber vorausgesetzt, daß die Wette, die ja kein Lotsendepartement war, von dieser Linie überhaupt etwas wußte, so würde sie sie dennoch nicht haben benutzen können, weil sie ja dann den Travemündern die ganze Wendseite vor dem mecklenburgischen Ufer preisgegeben hätte, was damals keineswegs in ihrer Absicht gelegen haben kann. Denn in Wirklichkeit haben Wette und Senat damals den Fischereivergleich von 1610 nicht interpretiert, sondern vergewaltigt. Der Vergleich gab ja den Travemündern für ihre Stellnetzfischerei klar und deutlich Rechte auf den Strecken Blockhaus-Möwenstein und Blockhaus-Harkenbeck, also gerade innerhalb der Reedegrenze, die von der Wette angeblich im Sinne des Vergleichs, in Wahrheit aber, wie auch Rörig bemerkt, im Widerspruche zu ihm gezogen wurde.

Wie die Wette erklärte, blieb bis zum Möwenstein noch ein bedeutender Wasserbezirk für die in dem Vergleich von 1610 den Travemündern versagte "Außentrave und ganze Rehde". In der Tat lag ja die Reede binnen der von der Wette angenommenen Linie Möwenstein-Harkenbeck. Diese führt mitten durch die Tiefen von 10 bis 12 m, die Rörig für die Reede in Anspruch nimmt, hindurch. Hinter der Linie war nach der Wette nur noch Außenreede oder vielmehr offene See. Daß aber durch die mechanische Verbindung der beiden Fischereigrenzpunkte, die der Vergleich von 1610 nennt, eine im nautischen Sinne haltbare Scheidung zwischen Reede und Außenreede hergestellt sei, daß also die Lotsen und Leichterreede just bis zu der für Reedezwecke ganz unmög-


(  ...  ) fordere, daß sich zunächst die Bezeichnung "Bucht", dann "Reede" noch weisen lasse; das Gegenteil sei aber der Fall. Dieses Gegenteil indessen reicht nur bis zum Fischreusenstreit zurück. Als es überhaupt noch keine Lübecker Seereede gab, muß die Bucht doch anders genannt sein.
114) Vgl. Archiv II, S. 126 f.
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lichen Linie Möwenstein-Harkenbeck reiche, hat die Wette natürlich selber nicht behaupten wollen. Sie konstruierte nur gewissermaßen eine Fischereireede.

Nach Rörig ergebe sich aus dem Vorgang, daß die Wetteherren "selbst bei ihrem Versuch, zugunsten der Travemünder die Wirkung des Vergleichs von 1610 zu begrenzen, die Reede bis zur Harkenbeck als der Verordnungsgewalt Lübecks unterworfen betrachten; und das bis zum Ufer". Er setzt dabei aber wiederum voraus, daß die lübische Buchtfischerei vor dem Mecklenburger Ufer auf Gebietshoheit beruhte. Und wie steht es denn mit der "offenen See" jenseit der Linie Möwenstein-Harkenbeck, wo doch auch noch Lübecker Eigengewässer gewesen sein soll?

Was Rörig dann weiter über die "räumlichen Grundlagen" (Reede im nautischen Sinne und Reede im weiteren Sinne) ausführt, ist ja nichts Neues mehr, sondern schon in seinem ersten Erachten vorgebracht worden. Auf alle diese Dinge kommt es überhaupt nicht mehr an, seit feststeht, wo die Reede tatsächlich lag. Gewiß haben wir in Archiv III (S. 51 f.) zugegeben, daß in dem Lübecker Fischereiprozeß von 1823-25, in dem die Travemünder endlich ihre rechtmäßigen Ansprüche durchfochten, das ganze tiefe Gewässer der Bucht Reede genannt wurde. Aber ganz entschieden erheben wir Einspruch gegen Rörigs Behauptung, daß dies "in seinen Folgen eine Preisgabe der bisher eingenommenen Position und vor allem der in den von Mecklenburg eingereichten Rechtsgutachten enthaltenen Voraussetzungen örtlicher Art" sei 115 ). Das ist ja gerade der Fehler Rörigs, daß er sich durch die Bezeichnung Reede für das ganze mittlere Buchtgewässer dazu hat verleiten lassen, die eigentliche Reede viel zu weit seewärts auszudehnen, ja - auf der Kartenskizze 2 seines ersten Erachtens - überhaupt erst von der 10-m-Tiefenlinie an zu rechnen, während sie tatsächlich schon vor dieser endete.

Nun wird in den Akten des Oberappellationsgerichts über den erwähnten Prozeß der Ausdruck "eigentliche Reede" gebraucht, und Rörig 116 ) glaubt uns vorwerfen zu können, daß wir diesen "aktenmäßig eindeutig festgelegten Begriff" für unsere "Platenreede" verwendet hätten. Darauf allerdings sind wir nicht verfallen, das "eigentlich" der Gerichtsakten so zu pressen. Weil ja auch die gesamte Bucht bis zu den Küsten hin Reede genannt wurde, das Gericht aber das mittlere, für den Schiffsverkehr in


115) Rörig IV, S. 9.
116) IV, S. 10 mit Anm. 13.
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Betracht kommende Gewässer von der strittigen Fischereistrecke am Ufer unterscheiden wollte, so mußte ein Ausdruck gefunden werden, der diese Trennung aussprach. Hierzu diente das Wort "eigentlich". Wir haben den Akten dadurch volles Genüge getan, daß wir gesagt haben, es sei "das ganze tiefe Gewässer der Bucht als Reede bezeichnet worden." Von einer Außenreede sprechen die Akten nicht. Aber was sie Reede nennen, ist ja auch nicht nur die Außenreede, sondern auch die Leichterreede, weil die ganze neben der Reede verlaufende Fischereistrecke beim Blockhause an der Travemündung beginnt.

Sehr unberechtigt ist auch die Polemik, die Rörig (IV, S. 48 f.) gegen unsere Verwertung des Urteils richtet, das in zweiter Instanz vom Lübecker Obergericht gefällt wurde. Wir haben ja in Archiv III (S. 52) ausdrücklich gesagt, daß die Auslegung des Vergleichs von 1610 durch das Obergericht unzutreffend und auch hernach vom Oberappellationsgericht abgelehnt sei. Das Fehlsame des Urteils lag aber nur darin, daß das Gebiet zwischen Reede und Küste in zwei Längsteile zerlegt und den Travemündern nur der jenseit der Wadenzüge gelegene Teil zugewiesen wurde. Nur dies hat auch das Oberappellationsgericht getadelt. Unser Schluß aber, daß hinter den Wadenzügen noch ein nicht zur Reede zu rechnendes Fischereigebiet gelegen habe, bleibt unberührt. In den Entscheidungsgründen des Oberappellationsgerichts 117 ), die Rörig gegen uns gelten macht, heißt es:

"Die jetzt von den Beklagten vertheidigte, dem vorigen Urtheile zum Grunde liegende Auslegung jener Vorschrift, nämlich daß die Travemünder ihre Netze nur in dem Raume ausstellen dürfen, welcher zwischen der Rhede und derjenigen Entfernung vom Ufer, worin die Schlutupper nach dem Herkommen ihre Waden auswerfen, übrig bleibt, ist eben so wenig anzunehmen."

Hier wird doch die Existenz dieses Raumes nicht geleugnet!

Daß wir auch die Stelle über die Majorlinie, die sich in der Eingabe der Schlutuper Fischer von 1825 findet, im Archiv III, S. 54 f., richtig ausgelegt haben, ergibt unsere Kartenskizze.

Die Vorstellungen örtlicher Art, wie sie in dem Prozeß von 1823-25 erscheinen, hat Rörig in die frühere Zeit zurückprojiziert. Sie seien mindestens seit dem 16. Jahrhundert dieselben gewesen. Wir sind anderer Meinung. Wo wir in den Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts auf den Begriff "nautische Reede" stoßen, kann nur die "Reide bey dem Lüchtenfeldt" gemeint sein. So in der


117) Siehe den Auszug bei Rörig III, Anl. 2, S. 145.
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Aussage des Zöllners vor dem Holstentore von 1547. Aus dessen Worten "Strom und Stranth van der Reide an beth in de Herckenbecke" läßt sich niemals folgern, daß er das ganze tiefe Gewässer bis zur Harkenbeck zur Reede habe rechnen wollen. Dann der Fischereivergleich von 1610. Er verschließt den Stellnetzen der Travemünder sowohl den Travestrom innerhalb und außerhalb des Blockhauses (Fahrwasser) wie die "ganze Reide". Vor den Uferstrecken Blockhaus-Möwenstein und Blockhaus-Harkenbeck aber durften die Netze unter gewissen Bedingungen ausgesetzt werden. Folglich: Das Gewässer vor diesen Uferstrecken gehörte nicht zur Reede. Es versteht sich, daß man nur die nautische Reede im Auge hatte, und zwar wiederum die beim Leuchtenfeld. Diese den Travemündern zu verwehren, hatte Sinn. Sie kam an sich in ihrem ganzen Umfange als Fischereigebiet in Betracht. Wenn aber hier, wo die Schiffe sich in mehr oder weniger großer Zahl versammelten, stehende Netze verwendet wurden, so mußte das den Schiffsverkehr und den Leichterbetrieb stören. Warum aber hätte man das Verbot auf die ganze mittlere Buchtfläche ausdehnen sollen? In der eigentlichen Mitte der äußeren Bucht, wo das Wasser am tiefsten ist und die Fahrstraße entlangführt, hätte es überhaupt keinen Zweck gehabt, Netze auszusetzen; denn hier halten sich, wie wir aus dem Prozeß von 1823 wissen, keine Fische mehr auf 118 ). Eben hier aber müßte man doch die Reede suchen, wenn sie wirklich in dieser Gegend gelegen hätte. Nur bei ablandigem Wind käme, wie der Hafenkapitän Murken angibt 119 ), als Ankerplatz für kleinere Schiffe außerhalb des Leuchtfeuersektors "wohl auch noch" die Mecklenburger Seite bis zur 10-m-Tiefengrenze in Betracht. Näher jedenfalls könnten die Schiffe wegen der Gefahr nördlicher Winde auch vormals nicht ans Ufer herangegangen sein; die Wassertiefen sinken hier schnell, der Strand ist viel flacher als vor dem Leuchtenfelde. Zwar wurde noch eine Strecke jenseit der Wadenzüge, die bei 4 bis 5 Faden Tiefe nach der Küste zu begannen, gefischt 120 ); aber dieses für den Fang noch brauchbare, wenn auch gewiß weniger fischreiche Gebiet wurde in dem Vergleich von 1826 den Travemündern für ihre Stellnetze freigegeben, und zwar von der Majorlinie an und für gewisse Zeiten und Tage landwärts bis zur Linie Travemünder Kirchturm-Leuchtturm 121 ), die vor dem Mecklenburger


118) Vgl. Archiv III, S. 53, Rörig III, S. 84.
119) Rörig IV. Anl. 3, zu 4 (S. 73).
120) Archiv III, S. 53.
121) Rörig II, Anl. IV, S. 321 f.
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Ufer ungefähr auf der 10-m-Tiefengrenze verläuft. Es ist eben das Gebiet, das nach dem Hafenkapitän Murken vielleicht noch für Reedezwecke in Betracht käme. Warum also hätte man den Travemündern 1610 verbieten sollen, was ihnen 1826 zugestanden wurde?

Gegen unsere Auffassung des Begriffs "Reede" in dem Vergleich von 1610 spricht keineswegs der Streitfall von 1634, den Rörig (IV, S. 18) anführt. Damals beschwerten sich die Lübecker und Schlutuper Fischer unter Hinweisung auf den offenbar falsch ausgelegten - Vergleich von 1610 darüber, daß die Travemünder ihre Netze an den Buchtküsten bis zum Möwenstein und bis zur Harkenbeck ausgestellt hätten. Daraufhin verbot die Wette den Travemündern das Setzen von Netzen "in der Wentside biß an die Harkenbeeke". Das Wort Reede kommt hier nicht vor. Schauplatz des Konfliktes war, wie so oft, das Gebiet der Wadenzüge in der Nähe des Strandes. Und wenn die Beschwerdeführer darauf hinwiesen, daß den Travemündern doch "die ganze offenbare Sehe auswendig der Harkenbeeke" zur Verfügung steht, und verlangte, daß sie "an ihrem Ordte jenßeit der Harkenbeeke" blieben, so wird dadurch bestätigt, was schon längst feststeht, daß nämlich der Lübecker Rat auch über die Fischerei außerhalb der Harkenbeckmündung Bestimmungen erlassen hat, selbstverständlich nicht auf Grund von Gebietshoheit.

Nun meint Rörig, es begegneten 1634 dieselben Vorstellungen wie bei den Streitigkeiten der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts: Eigentliche (nautische) Reede bis zur Harkenbeck und zwischen Ufer und Reede sich erstreckende, also die Reede in ihrem Verlauf bis zur Harkenbeck begleitende Wendseite. Indessen begegnet nur die Bezeichnung "Wendseite" für die mecklenburgische Seite der Bucht. Aus den Worten "offenbare Sehe auswendig der Harkenbeeke" ist für die nautische Reede, deren Lage und Abgrenzung nach der See zu nicht das geringste zu entnehmen. "Offen", "frei" und "offenbar" waren um jene Zeit beinahe stehende Epitheta des Meeres überhaupt, und im Fischreusenstreit wurde 1616 von den Mecklenburgern auch das Gewässer vor Rosenhagen, wo die Reuse stand, also noch diesseit der Harkenbeck, fortwährend "offenbare" (oder offene, freie) Ostsee genannt 122 ). Wäre der Ausdruck "offenbare Sehe" in der Quelle von 1634 auf eine bestimmte Vorstellung von den lokalen Verhältnissen zurückzuführen, so doch höchstens darauf, daß an der


122) Vgl. Archiv II, S. 76 mit Anm. 127 und S. 204 f.
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Harkenbeck die Buchtfischerei zu Ende war 123 ). Mit der Reedelage aber hat das nichts zu schaffen.

Für die ältere Zeit steht nur fest, daß es eine nautische Reede beim Leuchtenfelde gab und daß man auch das Gewässer weiter seewärts, und zwar bis an den Strand, Reede nannte. In diesem umfassenderen Sinne kommt die Bezeichnung, soweit wir sehen, am frühesten im Fischreusenstreit von 1616 vor. Und vor ausgesetzt, daß sie damals nicht erst aufgebracht wurde, so muß sie doch so farblos gewesen sein, daß noch sechs Jahre vorher, eben bei dem Vergleich von 1610, niemand daran dachte, den Ausdruck "ganze Reide" auf die gesamte Bucht zu beziehen.

In dem Fischereiprozesse von 1823-25 ist man nicht zu der offenbar einzig richtigen Auffassung der "ganzen Reide" von 1610 zurückgekehrt, hatte allerdings auch wenig Ursache, sich gerade hierüber den Kopf zu zerbrechen, weil es ja nicht auf das tiefe Gewässer der Bucht, sondern auf die strittige Fischereistrecke am Ufer ankam. Ein Fortschritt gegenüber den früheren Interpretationen durch Lübecker Behörden war es schon, daß man das Wort "Reide" im nautischen Sinne verstand. Auch die Wette meinte jetzt, im Widerspruche zu ihren sonstigen Auslegungen, es habe den Anschein, daß der Tatort vor Rosenhagen, wo die Netze der Travemünder von den Waden der Schlutuper weggerissen waren, weder zum Strom (Travenstrom außerhalb des Blockhauses) noch zur Reede gehöre 124 ). Indem man aber die Reede des Vergleichs von 1610, entsprechend der Fischereistrecke am Ufer, bis zur Harkenbeck rechnete, ergab sich die Scheidung zwischen Reede und Fischereistreifen von selbst.

Wenn auch klar war, daß für den Schiffsverkehr nur das tiefe Wasser in Betracht kam, so scheint uns doch diese Längsteilung des Buchtgebietes erst eine zur Zeit des Prozesses vorgenommene Konstruktion zu sein. Hätte man von jeher solche festen Vorstellungen gehabt, so wären die früheren Auslegungen des Vergleiches von 1610 durch Senat und Wette (Reede gleich der ganzen Bucht, Reede bis zur Linie Möwenstein-Harkenbeck) noch unverständlicher, als sie an sich schon sind. Und es hätte dann schwerlich zu einer solchen Begriffsverwirrung kommen können, daß die Schlutuper Fischer 1823, in dem Falle des Travemünder Schiffs-


123) Wir erinnern an die Nachricht von 1825, wonach in der See "über die Harkenbeck hinaus es Wind und Wetter selten zuließen, ohne Lebensgefahr Netze zu setzen" Rörig III, S. 84.
124) Nach der Korrelation des Oberappellationsgerichtsrates Overbeck zum Urteil von 1825.
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zimmermannes, die Reede über den Möwenstein hinausrechneten, also die ganze Bucht darunter verstanden, in dem Prozesse aber, der im selben Jahre ausbrach, behaupteten, das Revier der Travemünder sei die Mitte der Bucht, während die Travemünder entgegneten, dort sei gerade entweder der Travenstrom außerhalb des Blockhauses oder die Reede.

Indessen hat die Scheidung zwischen Reede und Fischereistreifen in der äußeren Bucht gar keine Bedeutung. Denn was man hier Reede nannte, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Außenreede, mochte man sie so bezeichnen oder nicht. Sie ist, wie wir in Archiv III (S. 54) gesagt haben, die Verlängerung der eigentlichen nautischen Reede nach der See zu. Die "eigentliche" Reede aber lag vor dem Leuchtenfelde, in der inneren Bucht.

In Archiv III (S. 59) haben wir angeführt, daß die Travemünder Fischer noch heute die Wasserfläche zwischen dem Traveauslauf und den letzten Fahrwassertonnen als ein Gebiet "binnende Reide" bezeichnen. Rörig 125 ) hat dies nicht bestritten, will es aber so auslegen, als ob das Gebiet diesseit der Reede gemeint sei, weil die Reede "notorisch" außerhalb der Tonnen liege. Seine Deutung ist unhaltbar. "Binnen de Reide" kann schon an und für sich nur heißen: auf der Reede. Und außerdem ist man nach dem Sprachgebrauch der Fischer, wenn man sich jenseit der Ansegelungstonnen befindet, "butende Reide". Entsprechende Begriffe finden wir in Hinsicht auf die Trave in der Fischereiordnung von 1585: "binnen der Traven" (d. h. auf dem Traveflusse selbst) und "in der See, buten der Traven".

"Binnen de Reide" und "buten de Reide" werden hergebrachte Bezeichnungen sein. Willkürlich ist dabei nur die Abgrenzung durch die Ansegelungstonnen; denn diese Richtungspunkte gab es früher nicht, noch auf der Admiralitätskarte von 1890 liegen die äußersten Tonnen viel weiter buchteinwärts, und zwar dicht an der Linie Gömnitzer Turm-Brodtener Ufer (Majorlinie). Ein Gebiet "buten de Reide" aber läßt sich doch höchstens als Außenreede ansehen.

Aus der Bezeichnung "Reede" für eine Wasserfläche, auf der man vor Anker ging oder gehen konnte, läßt sich keine Gebietshoheit ableiten. Heute sind nach Ansicht des Travemünder Lotsenkommandeurs "alle Schiffe, die innerhalb des 54. Breitengrades in Sicht des Leuchtturms ankern, als auf der Reede liegend anzu-


125) IV, S. 50, Anm. 72.
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sehen." 126 ) So auch "nach dem Sprachgebrauch der Lotsen" 127 ) Danach können Schiffe kilometerweit jenseit der Harkenbeck und doch auf der Reede sein. Was hat das mit Lübecker Gebietshoheit zu tun! "Da Lübeck," so sagt Rörig 128 ), "aus der Tatsache, daß heute die Reede noch über die Harkenbeck hinausreicht, keine Hoheitsansprüche in Fischereisachen abgeleitet hatte, gehören diese Dinge nicht mehr hierher." Man fragt sich mit Erstaunen, ob denn solche Ansprüche überhaupt für möglich gehalten werden. Und mit ebenso großem Erstaunen liest man bei Rörig 129 ) den Satz: "Um keine Irrtümer aufkommen zu lassen, ist aber festzustellen, daß für alle Fragen, welche mit der Schiffahrt zusammenhängen, die Reede auch außerhalb der Linie Harkenbeck-Gömnitzer Turm ebensogut Lübecker Hoheitsgebiet ist, als die Reede innerhalb dieser Grenze; nur Lübecker Aufsichtsbehörden haben mit den hier ankernden Schiffen zu tun." Wenn diese Aufsichtsbehörden überhaupt mit den Schiffen zu tun haben, so handeln sie selbstverständlich nicht auf Grund von Gebietshoheit, sondern kraft der Hoheit über den eigentlichen Hafen. Sonst sind die Schiffe gar nicht genötigt, Lübecker Aufsichtspersonen an Bord zu lassen.

Was Rörig von seinem Standpunkte aus nachweisen muß, das sind nicht nautische Benennungen für Wasserflächen, sondern unzweifelhafte Lübecker Hoheitshandlungen im mecklenburgischen Küstengewässer. Diese fehlen. Denn daß die Fischerei der lübischen Fischer nicht auf Grund von Gebietshoheit geregelt sein kann, ist in den von mecklenburgischer Seite vorgelegten Erachten gezeigt worden. In dieser Hinsicht behält auch unsere Rekonstruktion des Punktes A auf der Sahnschen Karte von 1823 ihre Bedeutung 130 ). Rörig behauptet, auf der Originalkarte müsse der Punkt anders gelegen haben 131 ). Wenn jedoch


126) Rörig IV, Anl. 2, zu 6 (S. 71).
127) Rörig III, S. 99.
128) IV, S. 65, vgl. III, S. 100.
129) III, S. 100, Anm. 68.
130) Vgl. Archiv III, S. 66 f. und Beilagen 5 a und b.
131) Rörig IV, S. 13, Anm. 18. Er meint, der Punkt A stehe nicht im Einklange mit dem Kommissionsbericht von 1825 (Rörig III, S. 83). Dieser Bericht ist allerdings etwas unklar, aber zu deuten. Denn wenn die Kommission vom Möwenstein "bis zur äußersten Spitze des Harkenbecker Ufers" und dann an Rosenhagen vorüber auf den Punkt A fuhr, so bedeutet "Harkenbecker Ufer" natürlich nicht das Bachufer am Lande, sondern die Küste, an der die Harkenbeck mündet, d. h. die Mecklenburger Küste bis zur Harkenbeck. Die "äußerste Spitze" aber kann nur die Westgrenze der betreffenden Strecke sein.
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etwas sicher ist, so ist es die Lage dieses Punktes, für den es drei Winkelbestimmungen gibt (zwei genügen schon) und der sich auf zwei Seekarten, von denen eine über hundert Jahre alt ist, bestimmen läßt. Der Punkt liegt sowohl außerhalb der Bucht wie außerhalb der Peillinie Gömnitzer Berg-Pohnsdorfer Mühle. Selbstverständlich handelt es sich, wie Rörig bemerkt, "einfach um einen Punkt, von dem aus die Fischer die äußerste Befischung der Strecke Priwall-Harkenbeck mit Waden vornehmen". Dafür, so fährt Rörig fort, sei es "natürlich vollkommen gleichgiltig, ob sie damit auf irgendeiner Peillinie oder Reedegrenze sich befinden; Wadenzüge der Schlutuper Fischer gehen ja bekanntlich über die Harkenbeck weit hinaus". Alles richtig, aber wie steht es dann mit der Gebietshoheit 132 )?

Seit seinem dritten Erachten vertritt Rörig ja die Meinung, daß man eine "lineare Grenze" seewärts überhaupt nicht gehabt habe. Das hat aus seinen beiden ersten Arbeiten wohl niemand entnommen. Und er kann sich doch eigentlich keiner Täuschung darüber hingeben, daß Grenzen, die Lübeck heute für passend hält, in dem schwebenden Prozesse ohne jede Bedeutung sind. Daß übrigens Rörig (IV, S. 62) die Peilliniengrenze den Ortsbestimmungen im Urteil des Oberappellationsgerichts von 1825 gewissermaßen hinzuinterpretiert, halten wir für ebenso irreführend wie die Vermengung der Peillinie mit den "Angaben der Quelle" des 16. Jahrhunderts bei Rörig III, S. 133.

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Nach Rörig 133 ) zerfallen unsere "Bemühungen", seine Beweisführung oder, wie er meint, die "urkundlich unbedingt gesicherten Tatsachen" zu erschüttern, in zwei "Gruppen". Erstens nämlich sollen wir "die gesamten in den Lübecker Quellen vorkommenden


132) IV, S. 29 behauptet Rörig wiederum, daß "die Mecklenburger selbst" die Wendseite als "der Lubschen Fischer Fischzuge-Seite" bezeichnet hätten (vgl. Rörig I, S. 60). Es handelt sich um die bei Rörig I, S. 56 wiedergegebene Aussage des Schneiders Dechow in dem Fahrrechtsfalle von 1615. Ihr Zweck (Feststellung des Fundortes der Leiche) ergibt sich aus unserer Darstellung in Archiv II, S. 112 ff. Gemeint ist aber gar nicht die ganze Wendseite, die ja bis zum Ufer reichte und auf der die Leiche natürlich gelegen hatte, sondern bloß die Gegend, wo die Waden ausgeworfen wurden. Das geht ja aus dem Protokoll über die Zeugenaussagen wie aus dem ganzen Zusammenhange klar hervor. Was Rörig mit der Aussage beweisen will, begreifen wir nicht. Der Fall lehrt gerade, daß Mecklenburg den Lübeckern die Wendseite bis an den Strom nicht zugestand. Und daß die lübischen Fischer in der fraglichen Gegend mit Waden fischten, wissen wir ja ohnehin.
133) IV, S. 26 f.
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Angaben" als Verhüllung von "Anmaßung", "Gewalthandlung" oder "Irrtum" dargestellt haben. Und Rörig nennt das "den Versuch der einseitig parteiischen Verdächtigung der gesamten amtlichen Tätigkeit Lübecks auf diesem Gebiete durch die Jahrhunderte". Das ist eine starke Übertreibung. Für unbedingte Gewalthandlungen Lübecks Mecklenburg gegenüber halten wir nur die Reusenzerstörungen. Bei den paar Übergriffen ins Bergerecht aber liegen die Dinge anders; um sie richtig zu beurteilen, muß man den Widerstreit berücksichtigen, der zwischen den Rechtsanschauungen der Landesherren und der Seestädte über das Bergerecht obwaltete. Die Städte hielten sich für befugt, überall selbständig zu bergen. Daher glaubte auch Lübeck in derlei Fällen nicht gegen die mecklenburgische Gebietshoheit zu verstoßen, um so weniger, als es besondere mecklenburgische Strandrechtsprivilegien besaß 134 ).

Daß aber die Reusenzerstörungen rechtswidrig gewesen sind, ist keineswegs unglaubhaft, wenn Rörig es auch so hinstellen möchte. Man muß allerdings die alten Zeiten kennen mit ihrem schleppenden, oft versiegenden Prozeßverfahren, um zu wissen, was möglich war. Gewohnheitsmäßige private Fischereiberechtigung am mecklenburgischen Strande war kein Rechtstitel für solche Handlungen, ebenso wenig wie die gleichfalls private, auf einem Privileg beruhende Fischereiberechtigung der Lübecker an der holsteinischen Küste ein Rechtsgrund für die Bedrängung der domkapitularischen Fischer in der Niendorfer Wiek gewesen ist. Und wenn Rörig 135 ) meint, daß die "Einwürfe, die von mecklenburgischer Seite zur Zeit des Fischreusenstreites gemacht werden", "zum guten Teil auf faktischer Unkenntnis der Verhältnisse überhaupt beruhen", so ist das gar nicht aufrecht zu erhalten gegenüber der Tatsache, daß diese Einwürfe auf Grund einer eingehenden, unter Aufbietung vieler Zeugen angestellten Untersuchung erhoben wurden. Ferner übersieht Rörig hierbei ganz die tatsächlichen Hoheitshandlungen und Verfügungen Mecklenburgs bis in die neueste Zeit. Oder handelt es sich bei alledem nun etwa um "Anmaßung" und "Irrtum" auf mecklenburgischer Seite? Dann wäre es sehr merkwürdig, daß Lübeck 1874 die Verordnung zum Schutze der Dünen des Ostseestrandes vor Rosenhagen und damit die mecklenburgische Hoheit über das strittige Küstengewässer anerkannte. Keineswegs auch trifft die Behauptung zu, daß es Mecklenburg


134) Das alles kommt schon in Archiv II genügend zum Ausdruck. Vgl. aber besonders unser letztes Erachten vom 12. Mai 1927 (oben S. 56 f. und S. 59 unten).
135) IV, S. 23.
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"bis zur allerjüngsten Vergangenheit" an "jeglichem staatlichen Organ" zur Wahrnehmung seiner Rechte gefehlt habe. Diese Organe sind die Jahrhunderte hindurch die Amtmänner des Amtes Grevesmühlen und ihre Strandreiter gewesen.

Die zweite Gruppe unserer "Bemühungen" soll in Versuchen bestehen, "besondere, nicht aus den gleichzeitigen Akten entnommene Begriffe einzuführen, um durch sie entweder die in den Akten vorkommenden Begriffe zu ersetzen und zu verwässern oder aber eine künstliche Begriffsverengerung vorzunehmen" usw. Dies zielt auf die Reede. Aber wir haben hier nichts verwässert und auch nichts zu Unrecht verengert, sondern Rörig hat den Reedebegriff übersteigert.

Wir schließen mit der Feststellung, daß die neuerdings von Rörig über die Reedelage beigebrachten Quellen unsere früheren Angaben in erfreulicher Weise bestätigen, und hoffen, daß wir nicht noch zu weiteren Auseinandersetzungen genötigt werden.

 

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Exkurs.

Zur Beurteilung der älteren Seekartenwerke.

In der Anmerkung 78 seines neuen Erachtens (IV, S. 53 f.) bekämpft Rörig zunächst unsere Verwertung der Werke Waghenaers. Wir entgegnen, daß wir in Archiv III, S. 20, keineswegs behauptet haben, es sei der Text in Waghenaers "Spiegel der Seefahrt" allgemein wertvoller als die Karten; nur im vorliegenden Falle der Travemünder Reede haben wir den Text für wichtiger erklärt, und zwar mit Recht. Auf der Karte interessiert für die Reede überhaupt nur die Ankerlage, und daß darauf im "Spiegel der Seefahrt" nichts zu geben ist, wird in Archiv III, S. 19, Anm. 60 nachgewiesen, worauf aber Rörig nicht eingeht. Seine geringschätzige Beurteilung des jüngeren Werkes, des "Thresoors von der Seefahrt", greift völlig fehl. Man vergleiche die Abbildung aus dem "Spiegel" bei Rörig III (Kartenbeilage 1) mit dem Kartenausschnitt aus dem "Thresoor" auf unserer Beilage 2 in Archiv III. Wo findet sich denn auf dieser ein "leicht-

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fertiges Zusammendrängen" der Angaben des "Spiegels"? Im "Spiegel" verläuft die holsteinische Küste, die doch nicht bloß "fingiert" sein soll, bei Heiligenhafen gegenüber Fehmarn fast in gerader Linie; der große Vorsprung, den sie hier nach Norden bildet, kommt gar nicht zum Ausdruck, wohl aber im "Thresoor", wo die ganze Küstenlinie dem natürlichen Verlaufe, wenn auch vergröbert, nachgebildet ist. Man vergleiche ferner die Zeichnung der Insel Fehmarn, die der Ausschnitt bei Rörig noch größtenteils wiedergibt; im "Thresoor" ist sie viel genauer, die kleinen Buchten der Insel kommen besser zum Ausdruck, auch ist das zwar nicht namentlich bezeichnete Burg einigermaßen richtig eingetragen, während es im "Spiegel" ganz falsch liegt. Angesichts solcher Verbesserungen, deren wir noch mehr anführen könnten, läßt sich nicht von einem "rein buchhändlerischen Unternehmen" sprechen. Es ist denn auch die Karte des "Thresoors" in den Großen doppelten neuen Seespiegel von 1600 mit aufgenommen worden. Der Irrtum freilich, der darin besteht, daß die Plate vor der Travemündung nur über die Lübecker Bucht bis an die holsteinische Küste herangezogen ist, macht sich auf ihr sehr bemerkbar, geht jedoch auf die Karte im "Spiegel" zurück; denn so ist diese nicht aufzufassen, daß sie überhaupt nur die Travemünder Bucht darstellen will, sondern sie zieht Lübecker und Travemünder Bucht in eine zusammen und bringt im Buchtwinkel Angaben, die für die Travemünder Bucht gelten sollen.

Die jüngere Karte verdient den Vorzug. Daß wir sie der Ankerlage wegen gebracht haben, ist doch selbstverständlich. Warum soll denn die Einzeichnung von Anker und Tiefenzahlen "gedankenlose Flüchtigkeit" erweisen, d. h. flüchtiger sein als im "Spiegel"? Mit den Tiefenangaben auf den Karten Waghenaers ist überhaupt nicht viel anzufangen. Wir haben daher auch nur relativen Wert darauf gelegt, obwohl im "Thresoor" die Ankertiefen verschiedentlich berichtigt sind 1 ). Wohl aber haben wir hervorgehoben, daß auf beiden Karten der Anker nach Westen zu liegt, d. h., wie die Karten aufzufassen sind, nach dem Brodtener Ufer zu. Ist das etwa nicht der Fall? Auch dies würden wir jedoch durchaus nicht für entscheidend halten, wenn es nicht zu allen anderen Quellen stimmte. Ganz unwahrscheinlich ist die Meinung Rörigs, daß im "Spiegel" der Anker dem Worte "de Trave" habe ausweichen müssen; der Flußname hätte sich auch binnen Landes anbringen lassen.


1) Vgl. Archiv III, S. 20, Anm. 60, über die Reede von Pernau auch S. 16.
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Denn um den Flußnamen handelt sichs, nicht um die "Außentrave". Er ist aber nicht aus Platzmangel vor die Mündung gesetzt worden (aus Platzmangel steht er nur jenseit der Plate), sondern Waghenaer hat es auch sonst so gehalten. Ob die sechs in Archiv III, S. 22 (mit Beilage 4) dafür vorgebrachten Beispiele die einzigen sind, die sich anführen lassen, können wir nicht mehr nachprüfen. Sie genügen jedenfalls. Eben auf derselben Karte haben wir das Beispiel des "Yellen". Bei der Warnow, meint Rörig, sei es "nicht so gemacht". Das ist buchstäblich richtig, und jeder Leser nimmt nun natürlich an, daß der Name "Warnow" auf dem Flußlaufe oder an dessen Rande stehe; er ist aber gar nicht angegeben, ebenso wenig wie der der Piasnitz am östlichen Ende der pommerschen Küste (Archiv III, Beilage 4). Im übrigen verweisen wir auf alles, was wir in Archiv III, S. 22 bemerkt haben. -

Wenn ferner behauptet wird, daß das "sättia" in Manssons Seebucht unbedingt "Anker werfen" heiße 2 ), so müßte zunächst einmal die Bedingung erfüllt werden, alle in Betracht kommenden Stellen des Originalwerkes daraufhin zu prüfen. Aber es kommt, wie mir schon in Archiv III, S. 30, gesagt haben, auf die Angabe bei Mansson gar nicht an, weil die deutschen Überarbeitungen des Werkes (es sind nicht eigentliche Übersetzungen) die 5, 7 und 8 Faden in 5 und 6 berichtigt haben. Und wenn man keine Lübecker Faden annimmt, so handelt sichs eben nur um den vorläufigen Ankerplatz bei 5 bis 6 Faden Tiefe, der in der Lübecker "Nachricht für Seefahrer" von 1855 genannt wird (vgl. oben S. 22). Übrigens greift selbst dieser Ankerplatz höchstens ganz unwesentlich in das mecklenburgische Gewässer über. Natürlich aber konnte man, wenn man wollte, auch bei 7 und 8 Faden oder noch weiter draußen ankern, war dann jedoch gleichfalls nicht auf der eigentlichen Reede.

Über die Karte von Peter Gedda haben wir unseren Ausführungen in Archiv III, S. 25 f. nichts hinzuzufügen. Wer die Karte mit unserer neuen Reedeskizze vergleicht, wird eine vollkommene Übereinstimmung feststellen.

Erwähnen wollen wir noch, daß es in dem holländischen Seeatlas von Voogt (De nieuwe groote lichtende Zeefakkel) auf S. 20 über die Lübecker Reede heißt: "Als de Tooren van Travemunde ende de voor Tooren over een komt, ankert men op 5 a 6 vadem." Mit dem "voor Tooren" kann wohl nur der Leuchtturm gemeint sein. Dann wäre aber die Anweisung nicht richtig


2) Vgl. Rörig IV, S. 55, Anm. 79.
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oder wenigstens ungenau. Setzt man nämlich den Leuchtturm mit dem Kirchturm überein, d. h. in Linie, so fällt diese aus dem jetzigen Leuchtfeuersektor und dem Fahrwasser völlig heraus und führt, in der äußeren Bucht ungefähr auf der 10-m-Tiefenlinie verlaufend, schräge auf die mecklenburgische Küste zu. Auf der dänischen Seekarte von 1860 z. B. würde sie die Tiefen von 6 dänischen Faden überhaupt nicht mehr fassen und die 5-Faden-Tiefen nur teilweise, auf einem schmalen Gebiet längs der Küste überschneiden. Gerade die quer über die Bucht führenden gleichartigen Tiefen, auf die es für die Reede ankommt, berührt sie nicht. Auch ist an sich schon selbstverständlich, daß die Schiffe nicht in Linie hintereinander lagen, weil die Bucht viel breiteren Raum bietet. Überdies würde die Anweisung sämtlichen älteren Lübecker Reedekarten widersprechen, nach denen sich die Reede quer über einen Teil der Bucht hinzog. Es könnte sich also bei Voogt höchstens um ein Ungefähr handeln; man sah natürlich auf der Reede den Kirchturm hinter dem Leuchtturm liegen, aber man sah beide nicht genau in Linie. Weil jedoch eben die Linie Kirchturm-Leuchtturm in Manssons Seebuche als Ansegelungslinie für die Einfahrt in die Trave bezeichnet wird 3 ), ist es das Wahrscheinlichste, daß Voogt die Reede mit der Ansegelungslinie durcheinander geworfen hat.

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Nachtrag.

Kurz vor Versendung der Druckexemplare erhalten wir Kenntnis von einem Berichtigungsschreiben des Lübecker Senates vom 15. Nov., wonach sich bei der Vervielfältigung des jüngsten Rörigschen Gutachtens ein Fehler eingeschlichen hat; es sei in dem Bericht der Frau des Lotsenkommandeurs Scharpenberg von 1784 (S. 76 unseres Gutachtens) hinter den Zahlen 130, 140 die Zahl 150 ausgelassen worden. Der Bericht besagt also, daß alle Schiffe 5-6 Kabellängen vom Bollwerk ablägen und daß eine Kabeltau-Länge 130, 140, 150 Faden betrage. Damit wird erklärt und gerechtfertigt, daß Rörig mit einer Kabellänge von 150 Faden operiert und die größte Entfernung vom Bollwerk zu 900 Faden (6 x 150)


3) "Wil man ock löpa ini Tramynd, skal man hålla Kyrkiotornet och Lychtan öfwer ens (Schulze, Segelanweisung für die Lübecker Bucht und die Einsteuerung in die Trave, Festschr. z. Begrüßung d. XVII. deutschen Geographentages, Lübeck 1909, S. 195). In den deutschen Überarbeitungen des Seebuches von 1735 (4. Aufl.) und 1760 (6. Aufl. ) wird die Ansegelungslinie anders beschrieben (Exemplare der Commerzbibliothek in Hamburg).
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angenommen hat, was wir beanstanden mußten. Für die Sache selbst aber ist diese Feststellung belanglos. Denn die weiteste Entfernung vom Bollwerk, die wir auf 1450 m berechnet haben, würde jetzt 1553 m betragen. Auf unserer Kartenskizze müßte also der äußere Kreisbogen vom Norderbollwerk aus mit einem Radius von 1553 statt 1450 m geschlagen werden. Das macht nur gut 100 m Unterschied. Überdies ist Folgendes zu bedenken: Die Entfernung vom Norderbollwerk bis zu dem Punkte der Majorlinie des Jahres 1784, wo diese den südlichen Strahl des heutigen Leuchtfeuers schneidet, beträgt auf unserer Kartenskizze nur etwa 10 m mehr als 6 Kabellängen zu je 130 Faden (= 780 Faden oder 1346 m). Weiter nordwestlich, in der Richtung des Reedegebietes, wird der Abstand zwischen Bollwerk und Majorlinie natürlich größer, beträgt also über 6 Kabellängen zu 130 Faden. Nimmt man das größere Kabelmaß von 140 Faden an, so kommt man mit 5 Kabellängen auf 1208 m, mißt also vom Norderbollwerk bis zur Majorlinie überall mehr als 5 Längen. Ebenso, wenn man das größte Maß von 150 Faden zugrunde legt, von dem 5 Kabellängen = 1294 m sind. Demnach kommt man auch mit den beiden größeren Kabelmaßen schon in dem Gebiet bis zur Majorlinie auf über 5, d. h. auf 5-6 Kabellängen, ja, wie unsere Skizze lehrt, teilweise auch schon auf 6 volle Längen zu 140 Faden (1450 m). Und selbst mit 6 vollen Kabelmaßen zu je 150 Faden überschreitet man die Majorlinie vom Jahr 1784 äußersten Falles nur um gut 200 m. Es kann aber nicht gerade die weiteste Entfernung, die sich auf Grund des Scharpenbergischen Berichtes überhaupt ausrechnen läßt, für die richtige angesehen werden. Hätte die Reede jenseit der Maiorlinie gelegen, so würde man sie mit 5 Kabellängen, welches der drei Maße man auch annimmt, niemals erreicht haben, und sogar die Maßangabe von 6 Kabellängen zu je 130 Faden wäre unzutreffend, weil man damit im Sektorgebiet außer auf einer kleinen Strecke von etwa 80 m nirgends bis an die Majorlinie von 1784 herankommt. Wahrscheinlich ist aber gerade dieses Kabelmaß von 130 Faden in Lübeck das eigentlich gebräuchliche gewesen. Denn man rechnete die Kabellänge sonst zu 120 Faden (s. S. 76 unseres Gutachtens), und 130 Lübecker Faden (224,34 m) sind ungefähr soviel wie 120 englische (219,36 m) oder 120 preußisch-dänische Faden (225,96 m).

Vignette
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Skizze zur Lage der Travemünder Reede um 1800
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