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VII.

Das Amt der Fuhrleute zu Rostock.

Von

Postinspektor Karl Moeller
in Frankfurt (Oder)

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U nter den Zünften und Aemtern, die früher in Rostock bestanden haben, nimmt das ehemalige Amt der Fuhrleute, spätere Reihefuhramt, insofern eine eigenartige Stellung ein, als seine Wirksamkeit sich nicht auf das Weichbild der Stadt beschränkt hat, sondern auch außerhalb der Stadtmauern, soweit wie der Rostocker Handel zu Lande Beziehungen unterhielt, in die Erscheinung getreten ist. Es hat länger als fünf Jahrhunderte bestanden, ausgestattet mit zahlreichen Gerechtsamen, die ihm eine sichere, aber auch für das Verkehrsleben von Stadt und Land verhängnißvolle Stellung verliehen; seine Aufhebung gelang erst in der Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts, als seine veraltete Verfassung mit ihren zahlreichen Fesseln für den kräftig aufblühenden Verkehr den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr entsprach.

In Rostock waren schon bald nach der Gründung der Stadt Fuhrleute (aurigae, vectores) ansässig. Ihr Betrieb beschränkte sich in ältester Zeit auf das Weichbild der Stadt, namentlich den Verkehr mit dem Strande, höchstens besuchte der Fuhrmann nahe gelegene Orte, die in ihren Bedürfnissen auf die aufblühende Seestadt angewiesen waren. In die Ferne zog der Rostocker Kaufmann als Eigenthümer des Frachtgutes noch selbst, um den Verkauf zu besorgen, Güter einzutauschen und in Rückfracht heimzubringen. Als aber am Ende des 13. und im 14. Jahrhundert unter dem fördernden Einflusse des Hansebundes Handel und Verkehr kräftig aufblühten und die Beziehungen

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nach auswärts sich lebhafter gestalteten, erhielt auch das Fuhrgewerbe erhöhte Bedeutung für Handel und Handwerk. Die Zahl der Genossen mehrte sich, ihr Selbstgefühl hob sich, und wie die übrigen Erwerbskreise Zünfte und Aemter bildeten, um ein Amt oder Handwerk gemeinsam zu betreiben, so schlossen sich auch die Angehörigen des Fuhrgewerbes im 14. Jahrhundert zu einer Genossenschaft, dem Fuhramte, zusammen. Das Jahr der Gründung ist nicht bekannt. Die Verfassung des Amtes war zunftartig gestaltet.

Wie bei den Zünften sollte das Amt zunächst nicht ein Monopol der Genossen bilden; es war lediglich eine wirthschaftliche Vereinigung, der alle Personen angehören mußten, welche das Fuhrwesen gewerbsmäßig betreiben wollten. Der Zutritt stand jedem Fuhrmann frei, sobald er das Rostocker Bürgerrecht erworben hatte und gut beleumundet war. Sonst bestanden für die Ausübung des Gewerbes keine Beschränkungen. Im 15. Jahrhundert hatte das Amt zur Vertheidigung der Stadt vier Bewaffnete zu stellen, allerdings eine geringe Zahl, man muß aber berücksichtigen, daß die Fuhrleute mit ihren Knechten häufig auf Reisen abwesend waren. Ueber die Mitgliederzahl des Amtes geben die Quellen keine Auskunft, auch nicht über die Zahl der Knechte, die dem Fuhrgewerbe angehörten.

Mit der fortschreitenden Ausbreitung des Verkehrs zu Lande und damit im Zusammenhange mit der wachsenden Verbesserung und Sicherheit der Landstraßen nahm der Geschäftskreis des Fuhramts allmählich an Umfang zu. Die Reisen des Kaufmanns zur Begleitung seines Gutes wurden immer seltener; an seine Stelle trat endlich ganz der Fuhrmann mit festen Aufträgen für Hin= und Rückfracht. Auch der Reiseverkehr mittels Frachtwagens begann aufzublühen, ein ungewöhnlicher Fortschritt im Kulturleben der Ostseeküste.

Schon im 15. Jahrhundert hatte der Fracht= und Reiseverkehr mittels Frachtwagens so große Bedeutung erlangt, daß die Hansestädte zu seiner Regelung besondere Ordnungen verabredeten in der zwiefachen Absicht, die pünktliche und schnelle Beförderung der Reisenden und Güter sicher zu stellen und das heimische Fuhrgewerbe vor dem fremden Wettbewerbe zu schützen. Die Städte Rostock, Wismar und Lübeck hatten vereinbart, daß die Fortschaffung der Reisenden und Güter in bestimmter Ordnung von einer Stadt zur anderen stattfinden sollte, dergestalt, daß die Fuhrleute der einzelnen Städte einer um den andern täglich mit ihren Wagen von einer Stadt zur anderen

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hin= und herfahren sollten, damit Jedermann an seiner Reise und sonst an Ueberführung der Kaufmannsgüter nicht verabsäumt werde. Rostocker Fuhrleute sollten zwischen Rostock und Wismar, Wismarsche zwischen hier und Lübeck den Frachtverkehr besorgen; Lübeck besorgte wahrscheinlich den Verkehr westlich auf Hamburg zu. Vermuthlich bildete diese Theilung nur Abschnitte für den Handelsverkehr auf der großen Straße von Danzig nach Brügge, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß die ganze Strecke in gleicher Weise unter die anliegenden Städte vertheilt war. Es bestand also schon jetzt aus den Landstraßen eine Art Reihefahrt, die im Landverkehr erst erheblich später in größerem Umfange in Aufnahme kam. Wenn die Rostocker Fuhrleute in Wismar angekommen waren, wurden ihre Wagen entladen, und Wismarsche Fuhrleute besorgten die Weiterbeförderung nach Lübeck. Die Rostocker Fuhrleute nahmen die in Wismar angesammelte Fracht an Reisenden und Gütern mit zurück. Dieser Umladezwang, ein Merkmal der mittelalterlichen Stadtwirthschaft, war für den Verkehr zwar lästig und störend, bildete aber ein werthvolles städtisches Vorrecht, das eifersüchtig von den betheiligten Städten und vor allen Dingen von dem Fuhrgewerbe dieser Städte gehütet wurde. Auch landeinwärts zog der Rostocker Fuhrmann, nach Mittel= und Süddeutschland, besonders nach Frankfurt (Main); von einer Wegtheilung auf dieser Straße melden die Akten nichts. Für die gute Regelung des Fuhrwesens der Hansestädte spricht auch eine gelegentliche Aktennachricht, in der von einer festen Lieferungsfrist die Rede ist, ein Beweis dafür, daß schon zu damaliger Zeit der Kaufmann bis auf wenige Tage genau berechnen konnte, wann er sein Gut verfrachten mußte, um es rechtzeitig zur Messe in Frankfurt zur Stelle zu haben.

Im Frachtverkehr des Rostocker Fuhramts handelte es sich hauptsächlich um die Beförderung der Rohprodukte, die zu Schiff nach Rostock gekommen waren, die Rückfracht bestand in Industrieerzeugnissen. Nebenbei besorgte der Fuhrmann Briefe, Gelder und Aufträge oder trieb für eigene Rechnung einträglichen Hausirhandel. Die Frachtwagen waren, wie es alte Bilder zeigen, plump und roh gearbeitet, große, schwere Holzlatten auf ungefüger Achse, aber den schlechten Straßen in ihrer soliden Bauart angepaßt. Die Bespannung bildeten in der Regel vier kräftige Pferde. Frühmorgens, wenn die Stadtthore geöffnet waren, begann die Fahrt; vor Einbruch der Dämmerung, wenn es gelang, den nächsten Ort vor Thorschluß zu erreichen, wurde

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die Reise unterbrochen. In der Nacht ruhte die Fahrt. Der Weg, den der Fuhrmann zu nehmen hatte, war durch Gesetz und Herkommen von altersher fest bestimmt. Eigenmächtiges Verlassen der uralten Landstraße, die verbotwidrige Benutzung von Nebenwegen war streng verboten und für den Fuhrmann mit Gefahr für sich und sein Gespann verbunden, wie es manches Mal die Rostocker Fuhrleute zu ihrem Leidwesen erfahren mußten. So abwechslungsreich der Beruf des Rostocker Fuhrmanns auch war, so gefährlich und schwierig war er auch, denn unterwegs traten manche Ansprüche an den Fuhrmann und seine Ladung heran, deren Abwehr Muth und Umsicht, eine harte und zähe Natur erforderten.

Die Strecke von Rostock nach Wismar, rund 6 Meilen, wurde im Sommer in einem Tage, d. h. in einer Tagesfahrt von 12-14 Stunden, im Winter in 1 1/2 Tagen, oder 18-20 Stunden, zurückgelegt eine Meile also in 2-3 Stunden. Die Zugkraft eines Pferdes schätzte man auf 3-4 Schiffspfund (zu 3 Ctr.), also 9-12 Ctr., bei 4 Pferden hatte eine Wagenladung ein Gewicht von rund 40 Ctr. Die Fracht betrug von Rostock nach Wismar für 40 Ctr. 6 Thaler, für 1 Meile 1 Thaler; zu diesen Kosten traten aber noch zahlreiche Abgaben hinzu, an den Stadtthoren für Ein= und Durchfuhr, unterwegs an Zollstellen - zwischen Rostock und Wismar lagen zwei herzogliche Zollstellen -, Brückengeld u. s. w. Der Landtransport war daher verhältnißmäßig kostspielig, sodaß auf weite Entfernungen nur werthvolle Fracht die Versendung auf dem Landwege lohnte. Der Wochenverdienst von einem Pferde betrug nach einer Aktennachricht aus späterer Zeit 3 Thaler; diese Schätzung, der ein unfreiwilliges Stilllager eines Rostocker Fuhrmanns in Wismar zu Grunde liegt, mag übertrieben sein, immerhin kann man den Reinverdienst von einem Gespann zu 4 Pferden ziemlich richtig auf 3-400 Thaler jährlich annehmen, wenn kein Verlust an Pferden oder Haftleistung für beschädigtes oder verlorenes Gut den Verdienst schmälerte. Das Fuhrgewerbe war mithin recht einträglich, und es ist begreiflich, wenn aus diesem Grunde schon die Theilhaberschaft an dem Rostocker Fuhramte in einer Familie von Geschlecht zu Geschlecht forterbte.

Mit dem Niedergange des Erwerbslebens der Ostseestädte am Anfange des 16. Jahrhunderts begann für das Fuhrgewerbe, das bisher aus dem blühenden Handel Reichliche Nahrung gezogen hatte, eine allmähliche Abnahme von Arbeit und Verdienst sich fühlbar zu machen. In gleicher Weise wie die Handwerker=

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zünfte schon lange vorher zu den nachtheiligen Wirkungen der veränderten Wirthschaftslage Stellung genommen hatten, so suchte man nun auch im Fuhramte mit künstlichen Mitteln, Gesetzen und verschärftem Zwange den sich stetig mindernden Gewinn wieder einzubringen. Das Fuhrgewerbe durfte fortan nicht länger als bloßes Amt gelten, sondern als ein Privileg, dessen Nutznießung allein den Angehörigen des Fuhramts vorbehalten bleiben müsse. Diese Bestrebungen wurden bald zur That, indem das Fuhramt im 16. Jahrhundert von Bürgermeister und Rath geschriebene Satzungen, die sogen. Fuhrordnung, erwirkte. Diese älteste Ordnung ist nicht erhalten geblieben. Dagegen findet sich im Rostocker Rollenbuche eine Fuhrordnung von 1611, die in niederdeutscher Mundart abgefaßt ist und auf die ältere Ordnung mit den Eingangsworten Bezug nimmt, "dat mit Erloffnis der Herren der Gewette de Olderlude und Amtbroder der Fohrlude tho Rostock datjenige, wat darsulvest von oldershero in ehren Ambte gebrücklik gewesen vnd se in ehrer olden Rulle, de ehre Vorfahren verfattet gehat, wedderumb up Papier bringen tho loten erlangt ond wolgemelten Herren avergewen".

Wie bei den Zünften standen zwei vom Rathe erwählte Aelterleute an der Spitze des Fuhramts. Sie führten jährlich abwechselnd bei den Versammlungen des Amtes das Wort und mußten am Schlusse ihres Amtsjahres über ihre Amtsführung berichten und über die Einnahmen und Ausgaben des Fuhramts Rechnung ablegen. Die Schriften des Amtes wurden in einer mit zwei Schlössern versehenen Lade verwahrt, die der wortführende Aeltermann im Hause hatte; den einen Schlüssel führte der andere Aeltermann, den zweiten Schlüssel ein Amtsbruder. Das jüngste Mitglied war Bote des Amtes. Jeder Genosse, der zu Hause war und sonst keine erhebliche Entschuldigung hatte, mußte auf die Ladung des Boten zur Versammlung des Amtes erscheinen bei 4 ßl. lüb. Strafe. Die Genossen mußten den Weisungen der Aelterleute in Amtssachen Gehorsam leisten bei 10 ßl. Strafe. Alles Fluchen, Schwören und Schelten war den Amtsbrüdern verboten; bei Streit sollten die Aelterleute vermitteln oder die Streitenden an das Gewett verweisen.

Ueber das Fuhrprivileg bestimmte die Ordnung, daß der Fuhrverkehr innerhalb der Stadt und mit dem Strande allein den Fuhramtsgenossen vorbehalten sei, "also dat nemandt buten ehren Ambte ebnen Impass dorin dohn schall vnd moth by straff der Herren Indracht vnd dem Ambte eine Tonne Beers". Den Frachtverkehr nach auswärts berührte die Ordnung nicht; er fiel

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aber gleichfalls unter das Monopol, da ja ohnehin jede Konkurrenz im Fuhrgewerbe innerhalb der Stadt und auf dem flachen Lande fehlte oder rücksichtslos niedergehalten wurde. Während die Fuhramtsmitglieder aber früher bei Ausübung ihres Gewerbes völlig freie Hand hatten und durch beschränkende Amtsbestimmungen nicht gehindert waren, legte die Ordnung den Mitgliedern mannigfache Beschränkungen in ihrem Gewerbe auf. Jeder Genosse durfte, damit keiner ohne Verdienst blieb, zur Zeit nur einen, Wagen an den Strand schicken, wo die einlaufenden Schiffe anlegten, besonders wenn hier nicht viel zu thun war. Erst wenn die Arbeit drängte, konnten zwei Wagen geschickt werden, aber auch nur deshalb, damit die Bürgerschaft nicht gezwungen war, fremde Fuhrleute aus anderen Hanseorten zu dingen. Die Aelterleute mußten für angemessene Vertheilung der Arbeit sorgen, sodaß der Emsige nicht mehr Fuhren erhielt als der Lässige. Angenommene Fuhren mußten ausgeführt werden. Niemand durfte einen Genossen aus einer bestellten Fuhre ausstechen oder sich in eine Bestellung eindrängen. Ein Genosse, der vom Böttcheramte zum Holzfahren angenommen war, durfte nur mit zwei Wagen anfahren; bei Mehrbedarf an Wagen mußten von den Aelterleuten andere Amtsangehörige herangezogen werden.

Da der Nutzen der einzelnen Mitglieder aus dem Fuhrprivileg um so geringer war, je mehr Berechtigte an ihm theil hatten, so wurde die Aufnahme neuer Genossen möglichst erschwert. Beim Tode eines Genossen durfte kein Fuhrmann, der anderswo ansässig war, in seine Stelle einrücken. Wer Mitglied werden wollte, mußte das Rostocker Bürgerrecht erwerben und gut beleumdet sein. Bei der Aufnahme mußte der Neuling jedem Aeltermann 8 ßl. lüb. "tho verdrinken" und an das Amt 33 Thaler geben, zahlbar in drei Jahresraten zu 11 Thalern. Eine Wittwe durfte das Amt Jahr und Tag nach dem Tode ihres Mannes behalten; wenn sie keinen Sohn hatte, so mußte sie das Amt nach Ablauf der Frist aufgeben. Falls ihr Sohn aber eintreten wollte, so mußte sie das Amt für ihn neu gewinnen und durfte es für ihn so lange ausüben, bis er sich verheirathete und selbst das Amt nutzen wollte. Die Amtsgenossen hatten also Mittel genug, die Mitgliederzahl nach Belieben zu beschränken. Thatsächlich gehörten dem Amte jahrzehntelang nur 8 Fuhrleute an.

Uebrigens hatten die Amtsgenossen auch einzelne Pflichten zum allgemeinen Besten zu übernehmen. Sie mußten in Feuers=

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noth Wasser und Leitern heranschaffen. Geldpreise waren für die Fuhrleute ausgesetzt, die zuerst zur Stelle waren (der erste erhielt 2 Thaler). Ferner mußten die Genossen bei feindlichem Angriff die städtischen Geschütze nach dem Walle schaffen und zur Ausbesserung des Strandes und der schlechten Wege vor der Stadt unentgeltlich Sand- und Schuttfuhren leisten.

ES muß billig bezweifelt werden, ob diese dem starren Zunftzwang entspringende Amtsordnung die Wünsche und Hoffnungen der Genossen in Erfüllung gebracht hat. Jeder Wettbewerb fehlte allerdings, und die Zahl der Amtsangehörigen wurde in engen Grenzen gehalten, sodaß Arbeit und Verdienst unter Wenigen zur Theilung kam, dabei wurde aber übersehen, daß mit der neuen Ordnung jedem Mitgliede eine Fessel angelegt war, die niemand abstreifen durfte, wenn er nicht der Mitgliedschaft am Amte und damit am Gewerbe verlustig gehen wollte. Diese Fessel lähmte auch jede Unternehmungslust, Fleiß und emsiger Eifer verloren an Geltung, denn jeder Fuhrmann fand bei der neuen Einrichtung Verdienst, mochte dieser auch gering sein; der Gedanke, daß es dem Nachbarn nicht besser erging, machte dem Einzelnen Pflicht und Zwang erträglicher.

Je mehr im Laufe der Zeiten der Handel der Ostseestädte abnahm, um so geringer wurde auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das bisher die Städte verbunden hatte; die Noth der Zeit lehrte jede Stadt, selbst auf Kosten der anderen mehr an den eigenen Vortheil zu denken und die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen; für die kleineren Städte begannen schlechte Zeiten, da sie bei dem Wettbewerb mit den größeren Städten unterliegen mußten. Auch im Fuhrgewerbe trat dieser Wettbewerb zu Tage. Bisher hatten die Fuhrgewerbetreibenden von Rostock, Wismar und Lübeck auf der Straße nach Danzig und Hamburg getreu den alten Ueberlieferungen das Fuhrgewerbe ausgeübt. Aber zu Anfang des 16. Jahrhunderts begann man schon in Rostock und Lübeck, die Rechte der Wismarschen Fuhrleute zu schädigen. Im Jahre 1534 wurden, wie aus einem Schreiben des Lübecker Rathes vom 1. Februar nach Wismar erhellt, die regelmäßigen Fahrten zwischen Rostock, Wismar und Lübeck nicht mehr in verabredeter Weise ausgeführt. Die Fuhrleute hielten sich nicht mehr an die herkömmliche Ordonnanz; sie fuhren auch nicht täglich, sondern über den andern, dritten und vierten Tag, d. h. sie warteten jedesmal, bis sie volle Ladung hatten, was denn männiglich zum merklichen Hinderniß und Schaden gereichte.

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Der Rath verlangte deshalb, daß man in Wismar die Fuhrleute anhalten möchte, täglich mit ihren Wagen wie von altersher gebräuchlich zu fahren, damit der gemeine reisende Mann in seinem Gewerbe und Geschäft unversäumt bleiben möchte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die ganze Verabredung schon in Vergessenheit gerathen. Jeder Fuhrmann nahm Frachten, wo er sie fand, und fuhr wie und wann es ihm beliebte. Die Rostocker Fuhrleute fuhren über Wismar hinaus auf Lübeck, erhoben aber gleichzeitig laute Klage beim Rathe, als die Wismarschen Fuhrleute nun auch auf der Straße nach Rostock Frachten besorgten. Der Streit war gewissermaßen eine Lebensfrage für das Fuhrgewerbe, denn der um diese Zeit gerade aufblühende Reiseverkehr bot dem Fuhrgewerbe eine neue erwünschte Einnahmequelle und annehmbaren Ersatz für den Verlust beim Frachtgeschäft. Das Rostocker Fuhramt strebte mit allen Kräften danach, den Reiseverkehr von und nach Rostock allein in seiner Hand zu behalten. Es mußte die Rostocker Fuhrleute daher aufs Höchste verdrießen, als im Jahre 1594 eines Tages Wismarsche Fuhrleute Reisende und Frachtsachen nach Rostock brachten auf sogen. "Kutschen", leichten, mit Verdeck gebauten, in Riemen hängenden Wagen, deren Gebrauch aus Westdeutschland übernommen war, während in Rostock noch die alten Frachtwagen, die sogen. Vorwagen, Verwendung fanden.

Die Rostocker Fuhrleute wandten sich mit einer Bittschrift an den Rath. Dieser vermittelte für sie in Wismar (9. April 1594). Von altersher seien die Wismarschen Fuhrleute - der Aeltermann Niebuhr und seine Konsorten - auf der Straße von Wismar nach Rostock nicht gefahren, sondern nur nach Lübeck; auch hatten sie keine Kutschen sondern nur große Vorwagen gehalten. Wenn Rostocker Fuhrleute helfende nach Wismar gebracht hätten, so wären die Reisenden hier auf Wismarsche Wagen umgeladen worden. Diesem alten Gebrauche handelten die Wismarschen nun zuwider; sie führen auch auf der Straße nach Rostock und hätten sogar verlauten lassen, daß sie Kutschen genug halten wollten, davor die Rostocker sich verkriechen könnten, sodaß man nicht wissen sollte, wo sie geblieben. Es wurde deshalb gebeten, die Angelegenheit durch einen Vergleich beider Städte zu ordnen.

Von Wismar kam in wenigen Tagen Antwort. Die Wismarschen Fuhrleute hätten nach Ausweis der Stadtzeugenbücher seit 50 und mehr Jahren die Straße nach Rostock benutzt. Jederzeit seien zwei Wagen von Wismar nach Rostock und

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Lübeck gefahren, ebenso sei den Rostocker Fuhrleuten gestattet worden, in Wismar Reisende und Fracht zu laden. Noch kürzlich hätte ein Rostocker Fuhrmann in Wismar 5 Personen aufgenommen und nach Rostock befördert. Immerhin war in Wismar Geneigtheit, die Sache mündlich zu verhandeln. Ein Erfolg wurde aber nicht erzielt. Augenscheinlich suchten die Rostocker Fuhrleute mit aller Kraft den Wettbewerb der Wismarschen "Kutscher", wie die Fuhrleute seit dieser Zeit in den Akten genannt werden, niederzudrücken. Jedes Mittel, auch Gewalt war ihnen recht. Zahlreiche Klagen der Wismarschen Fuhrleute beim Rath der Städte und bei der Regierung in Schwerin über ihre Beeinträchtigung durch die Rostocker füllen fortan die Akten: stets drehte sich die Klage aber um den Reiseverkehr, während des Frachtgeschäfts immer nur nebenbei gedacht wurde. Auch in Lübeck suchte man den Wettbewerb der Wismarschen Fuhrleute zu beschränken, während die Lübecker und Rostocker Fuhrleute einander Hand in Hand arbeiteten. Im Jahre 1619 war den Wismarschen Fuhrleuten wohl noch gestattet, Reisende nach Lübeck zu bringen, sie mußten dann aber sofort leer von Lübeck zurückfahren. Ausdrücklich wurde ihnen vom Lübecker Rath verboten, in Lübeck auf Ladung zu warten oder gar von Lübeck Reisende nach Travemünde, Lüneburg, Frankfurt (Main), Hamburg, Wismar oder Rostock aufzunehmen, wenn Lübecker Fuhrleute anwesend waren, eine bequeme Handhabe für das Lübecker Gewerbe, jede Konkurrenz der Wismarschen Kutscher abzuschütteln. Einige Jahre später (1623) war es auch in Rostock mit Wissen, auch aus Vergünstigung und Anlaß der Obrigkeit unter den Rostocker Fuhrleuten Gebrauch, daß kein fremder Kutscher, der Reisende nach Rostock gebracht hatte, länger als eine Nacht in Rostock stillliegen, auch kein Volk, weder Einheimische noch Fremde, weiterfahren durfte, sofern einheimische Kutscher anwesend waren, "so in Rostock gewöhnet und daselbst Feuer und Rauch gehalten, auch das Bürgerrecht besitzen, allerwege auch ihre Wagen auf dem Markte Tag und Nacht in Bereitschaft halten." Die Rostocker Fuhrleute hätten ebenso wie die einheimischen in Lübeck, Hamburg und Wismar den Vorzug, zuerst und vor den Fremden Leute zu fahren und dürften an jenen Orten auch nur eine Nacht stillliegen. Diese Maßregel war natürlich gegen die Wismarschen Fuhrleute gerichtet, die angeblich oft mit leeren Wagen nach Rostock gekommen waren und unter einander verabredet hatten, daß der zuerst Angekommene auch zuerst wieder abfahren sollte, "dadurch, wie die Rostocker klagten,

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also jahraus jahrein fremde Kutscher in den Herbergen liegen und der Haber uns vor dem Maule weggekaufet und vertheuert wird."

Wenn die Rostocker Fuhrleute mit diesen Klagen auch stark aufgetragen haben mochten, um ihre Absichten gegen die Wismarsche Konkurrenz destomehr zu verdecken, so hatten sie doch Erfolg, denn der Rath verlieh ihnen zu ihrem Schutze eine besondere Ordonnanz. Nun begann der Kampf gegen die Wismarschen Fuhrleute mit verstärkter Kraft; denn diese wandten sich im Jahre 1624 um Hülfe in ihrer Noth an die Regierung. Sie verwehrten, hieß es in der Vorstellung, keinem Hamburger, Lübecker und Rostocker Kutscher, Reisende nach Wismar zu bringen und wieder wegzufahren, dürften aber dafür bei 10 Thlr. Strafe nur eine Nacht in Rostock liegen und müßten anderen Tages wieder leer zurückfahren. Die Rostocker nähmen ihnen mit gewehrter Hand Leute und Sachen vom Wagen und schreckten auch nicht vor einem Ueberfall zurück. Obendrein sei ihnen die Möglichkeit genommen, die Rostocker in Wismar mit gleicher Münze zu zahlen, denn jene hätten auf einen derartigen Versuch der Wismarschen hin die Straße über Wismar verlassen und einen Nebenweg an Wismar vorbei eingeschlagen, "und also uns, die wir zur Wismar gleich sie zu Rostock das jus civitatis haben vnd die onera tragen helfen, in unserm eigen Vaterland das Brot summa injuria für dem Maule intercipiren." Sie hätten sich schon an den Rath zu Wismar gewandt, dieser hätte aber auf sein Schreiben an den Rostocker Rath nur ein bloßes Recepisse zurückbekommen. Von einem alten Gebrauche, wie die Rostocker vorgäben, sei ihnen nichts bekannt, und wenn auch dieser vorhanden sei, so dürfe er nicht bestehen bleiben, "nam rei non bonae consuetudo pessima est". Die Bitte ging dahin, die freie Fahrt auf der alten Heerstraße zu schützen, "damit von keinem Theile der reisende Mann übersetzet, den Commercien gewehret, andere Abwege gemachet, die uralte Landstraße gehindert und die Krüge, so an der alten Landstraße liegen und darauf sich eingerichtet und das Ihre spendiret haben, herunterkommen und verarmen."

Uebergriffe, wie sie Rostocker Fuhrleute gegen andere Landesangehörige sich erlaubten, konnte die Regierung nicht dulden; sie ordnete unter dem 10. Juli 1624 an, daß Gleichheit gehalten werden solle, denn "was den Rostockern zu Wismar Recht, möge den Wismarschen zu Rostock nicht Unrecht sein." Die herzoglichen Beamten hatten streng darauf zu halten, daß die Rostocker

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Fuhrleute bei Verlust ihrer Wagen und Pferde die rechte Landstraße über Wismar benutzten.

Auch jetzt ließen die Rostocker von ihrem Beginnen nicht ab. Es wurde deshalb auf die erneuten Klagen der Wismarschen Fuhrleute im Jahre 1634 die herzogliche Verordnung von 1624 erneuert, aber ohne Erfolg. Die Rostocker benutzten ruhig die an Wismar vorbeiführende Landstraße weiter, obgleich an derselben vier herzogliche Zollstellen lagen, die von jedem Wagen Abgaben erhoben. Trotz der andauernden Klagen aus Wismar trat keine Aenderung ein, denn bei dem herrschenden Kriegselend konnte Niemand helfen. Am Ende des Krieges, im Jahre 1648, kamen wieder Klagen: Die Rostocker erdächten immer Neues, um die Wismarschen Fuhrleute zu schädigen; "es ist zum Erbarmen, daß sie uns so feindselig sind und dagegen den Stralsunder, Lübecker und Hamburger Fuhrleuten alle Hülfe thun, und wenn wir Leute fahren, müssen wir für jeden 2 Thlr. Strafe geben." Jetzt nahmen sich die herzoglichen Beamten ihrer an und ließen wiederholt Rostocker Fuhrleute mit ihren Wagen und Gütern festnehmen. Dessenungeachtet trieben es die Rostocker nur noch ärger, ja, sie beschwerten sich obendrein bei der Regierung über die Wismarschen, die angeblich schon auf die Krone Schweden pochten und im Vertrauen auf deren Schutz sich allerlei Uebergriffe zum Nachtheil des Rostocker Fuhramts herausnähmen. Dieser Einwand hatte die Wirkung, daß den Rostocker Fuhrleuten die Straße wieder freigegeben wurde. Bis zur endgültigen Regelung der Angelegenheit sollte zwecks Beförderung der Kommerzien überall die Durchfahrt frei und ungehindert bleiben. Als die Wismarschen Fuhrleute diese Verordnung nicht beachteten und Rostocker Wagen in Wismar anhielten, verfügte die Regierung, "daß sie solche mutwillige Contemption ihrer zur Erhaltung der Commercien und Landstraßen Freiheit gereichenden und wohlgemeinten mandata ungeahndet nicht hinpassiren lassen könne; wenn die Wismarschen Fuhrleute nicht von ihren Gewaltthätigkeiten abließen, sollten ihnen die Landstraßen ganz verboten werden."

Diese Drohung hatte keinen Erfolg. Einige Tage nach Veröffentlichung der Verordnung traf ein Wismarscher Wagen mit 14 Reisenden (darunter 3 schwedischen Offizieren) in Rostock ein. Er durfte nicht weiterfahren; die Rostocker Kutscher ließen auf Geheiß des Gewetts Alles vom Wagen reißen, Personen und Güter; nur die Offiziere durften weiterreisen. Der Regierung kam die Angelegenheit aus politischen Gründen sehr ungelegen,

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denn sie fürchtete, daß durch den Zank der Fuhrgewerbe "den Schwedischen allerhand ombrage gegeben werde, daß man jetzt der Stadt Wismar nehmen wolle, was man ihr 1624 gegeben." Man entschied sich jetzt dafür, lieber alles beim Stande von 1624 zu lassen, wodurch den Schwedischen auch keine offension geschähe und die Freiheit, durchs Land zu reisen, beibehalten, auch der reisende Mann damit befördert würde." Gleichzeitig wurden die streitenden Parteien nach Schwerin zur Verhandlung geladen. Sie zeigten sich aber bei dieser Gelegenheit auf einander so erbittert, daß in Güte nichts zu erreichen war, weil Niemand nachgeben wollte. Die Streitsache wurde daher von der Regierung unter dem 1. Mai 1648 durch einen bündigen Machtspruch geregelt, da zu befürchten stand, daß, wenn die Sache länger unentschieden blieb, leicht Mord und Todtschlag daraus erfolgen könnte. Künftig sollte jedem Wismarschen Fuhrmann freistehen, mit Gütern und Personen nicht bloß auf Rostock, sondern auch durch Rostock nach Stralsund, Greifswald und Stettin und weiter zu fahren, auch von diesen Orten Personen und Güter zurückzubringen und durch Rostock auf Lübeck und weiter zu befördern. In gleicher Weise durften Rostocker Fuhrleute in der Dichtung auf Lübeck über Wismar und zurück verkehren. Wismarsche und umgekehrt Rostocker Fuhrleute durften 1 1/2 Tage nach der Ankunft in Wismar und Rostock verweilen und Personen und Güter sammeln. In einer Tabelle war genau nach Zeit und Stunde festgesetzt, wann die Kutscher nach ihrem Eintreffen wieder weiterfahren mußten. Es war aber verboten, daß z. B. die Rostocker Kutscher leer nach Wismar fuhren, um hier Ladung zu suchen und umgekehrt. Wer gegen diese Verordnung verfließ, hatte ernstliche, willkürliche, auch nach Befinden Leibes= und Lebensstrafe zu befürchten.

Die Maßregel half nur auf kurze Zeit; bald war der alte Streit wieder im Gange. Auf einlaufende Klagen wies die Regierung nur auf den Abschied von 1648 hin, ohne etwas zu erreichen, denn aus Wismar kamen in den folgenden Jahren noch mehrfach bewegliche Klagen. Inzwischen war aber Wismar schwedisch geworden; deshalb hatte die Regierung auch wohl kein rechtes Interesse mehr an der Sache, zumal da die schwedische Regierung noch im Mai 1649 den Rostocker Kutschern verboten hatte, überhaupt durch Wismar zu fahren.

Durch den langen Krieg hatte der Handel der Ostseestädte schwere Einbuße erlitten. Um das Geschäft nach Möglichkeit zusammenzuhalten, erwirkte das Rostocker Fuhramt im Jahre

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1652 vom Rath für die Fahrt nach Wismar, Lübeck und Hamburg eine neue Ordnung. Diese war im Einvernehmen mit dem Lübecker Rath zu Stande gekommen. In dieser waren die einzelnen Bestimmungen über das Fuhrmonopol noch schärfer als früher gefaßt. Die Ordnung berücksichtigte indessen nur die Personenbeförderung, während das Güterfrachtgeschäft vom Fuhramte nach alten Grundsätzen betrieben wurde. Künftig sollte jeder auf die neue Ordnung angenommene Kutscher einen überdeckten Wagen und einen kleinen Nebenwagen, beide mit Stühlen und Bänken bequem eingerichtet, sowie die nöthige Zahl guter Pferde halten. Fuhrleute, die nicht zum Amte gehörten, hatten an dem Personentransport keinen Antheil, es sei denn, daß Jemand im eigenen Wagen fuhr, oder daß die ordentlichen Kutscher, denen es aber vorher angeboten sein mußte, ablehnen würden, zu fahren. Kein Kutscher durfte Personen und Güter zusammen auf einem Wagen befördern; auf Personenwagen durften nur Reisende mit ihren Koffern und Laden aufgenommen werden. Der einzelne Reisende hatte bis 5 Liespfund Gewicht frei. Die Beförderung schwereren Gepäcks wurde besonders bezahlt. Auf einem Güterfrachtwagen durfte nur der Eigenthümer des Gutes mitfahren, oder arme Leute, die das Reisegeld auf den Personenwagen nicht erschwingen konnten. Zwecks besserer Kontrolle des ganzen Fuhrbetriebes und der einzelnen Fuhramtsmitglieder wurde ein besonderer Wagenmeister bestellt, der von jedem Reisenden 3 ßl. Schreibgeld erhielt. Der Kutscher bekam für einen großen Wagen 12 ßl., für einen kleinen 6 ßl. Die Reise nach Lübeck mußte im Sommer in 2, im Winter in 3 Tagen, nach Hamburg in 3 bezw. 4 Tagen zurückgelegt werden. Sie begann im Sommer früh 6 Uhr, im Winter um 10 Uhr. Wenn Personen, die sich zur Reise angemeldet hatten, bei der Abfahrt nicht pünktlich zur Stelle waren, sollte der Wagen ohne sie abfahren, und das vorausbezahlte Reisegeld verfiel. Wer sich nicht vorher beim Wagenmeister angemeldet hatte, durfte von den Kutschern nicht mitgenommen werden. Ein kleiner Wagen zu 1-2 Personen nach Lübeck kostete 7, zu 3-4 Personen 9, zu 5-6 Personen 12 Thaler, nach Wismar die Hälfte dieser Sätze, nach Hamburg 9, 14 bezw. 20 Thaler. Der Preis für die Meile schwankte je nach der Zahl der Personen zwischen 1/2 und 1 Thaler. Mehr als 8 Personen durften auf einem Wagen nicht befördert werden.

Außer einheimischen Fuhrleuten konnten auf die Ordnung auch fremde Kutscher, wenn sie für die Personenbeförderung

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ordentlich eingerichtet waren, und wenn Rostocker Kutscher an deren Heimathsort ebenso behandelt wurden, angenommen werden. Unter fremden Kutschern wurden nur hansestädtische, nicht etwa Fuhrleute aus umliegenden Städten und Dörfern des Landes verstanden, denn diese galten nicht als ordentliche Fuhrleute und durften in Rostock das Fuhrgewerbe nicht treiben. Die Namen aller Betheiligten wurden auf ein Verzeichniß gesetzt; diese Reihenfolge mußte von den Fuhrleuten bei ihren Fahrten pünktlich eingehalten werden. Der Kutscher, der an der Reihe war zu fahren, mußte Wagen und Pferde stets bereit halten. Wenn ein Rostocker Fuhrmann weggefahren war, folgte ein Lübecker und Hamburger, falls diese anwesend waren, sonst trat der nächstfolgende Rostocker ein. Ein Kutscher, der wohl an der Reihe war, aber sich nicht zur Abfahrt einstellte, ging der Reise verlustig, und der Folgende sprang vor.

Damit war die Reihefahrt, die vorübergehend im Frachtverkehr der Hansestädte schon im 15. und 16. Jahrhundert bestanden hatte und die in der Flußschifffahrt 1 ) noch früher in Aufnahme gekommen war, endgültig im Landverkehr eingeführt, alterdings nur für die Personenbeförderung. Das Rostocker Fuhramt hieß fortan das Reihefuhramt, seine Angehörigen Reihefuhrleute.

Die neue Einrichtung hatte manche Vortheile, zunächst für das Publikum, das jetzt den Vorzug einer täglichen Reisegelegenheit besaß und nicht mehr nöthig hatte, mit dem Aussuchen eines Fuhrmannes und dem üblichen Feilschen um Reise= und Zehrgeld nutzlos Zeit und Mühe zu opfern. Auch die Fuhramtsmitglieder zogen Nutzen aus der neuen Einrichtung. Jeder Fuhrmann hatte einen gleichen Antheil an der Personenbeförderung. Er fand zu festgesetzter Zeit ohne eigene Bemühungen Arbeit und Verdienst. Der freie Wettbewerb hätte vielleicht bewirkt, daß sich gleichzeitig mehrere Fuhrleute für die Reise angeboten hätten, und daß in Folge dessen wahrscheinlich die Frachtgebühren auf geringe Sätze heruntergedrückt worden wären; zum Ausgleich des entstehenden Verlustes hätte jeder Fuhrmann möglichst viele Reisende für seinen Wagen aufsprechen müssen, naturgemäß auf Kosten der Schnelligkeit der Beförderung und zum Schaden des Publikums. Diese Nachtheile fielen jetzt


1) Vornehmlich auf der Elbe und ihren Nebenflüssen. (Vergl. Töche=Mittler, Der Friedrich=Wilhelmskanal und die Berlin=Hamburger Flußschifffahrt, Leipzig 1891.)
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allerdings fort, dafür legte die Ordnung der Thatkraft und Unternehmungsluft der Fuhrleute schwere Fesseln an. Der emsige und umsichtige Fuhrmann hatte vor dem lässigen und sorglosen keinen Vortheil mehr. Im sicheren Bewußtsein, Ladung zu erhalten, brauchte er die pflichtgetreue Erfüllung seiner Obliegenheiten nicht zu sehr zu beherzigen und den Klagen der Reisenden, die gezwungen waren, dem gerade in der Reihe liegenden Fuhrmann sich anzuvertrauen, gleichviel, ob er als unzuverlässig bekannt war, kein Gehör zu schenken.

Zum Betriebe des Reihefuhramts gehörten jetzt auch schon vier besondere Auflader - die geschworenen "Litzenbrüder" -, die das Heranschaffen und Aufbinden des Reisegepäcks zu besorgen hatten; sie erhielten für jede Dienstleistung 4 ßl., für die Herbeischaffung von Reisegepäck aus dem St. Marien=Kirchsspiel aber nur 2 ßl. Gleiche Entlohnung stand ihnen für das Abladen und Abbringen der Sachen zu. Jeder Reisende konnte auch durch sein Gesinde seine Koffer zum Wagen bringen lassen, mußte es aber durch die Litzenbrüder auf= und abbinden lassen, "auf welchen Fall die Litzenbrüder kein Trinkgeld von den Reisenden fordern, viel weniger sich mit trotzigen Worten zu ihnen nöthigen sollen bei ernster willkürlicher Strafe; wobei aber auch in Acht zu nehmen, daß solche Laden zuvörderst dem Kutscher selber, so da fahren wird, geliefert werden, und derselbe, im Fall davon unterwegs etwas verloren würde, dafür gehalten und solches den Leuten hinwieder zu erstatten schuldig sein soll." Uebrigens hatten sich die Kutscher, deren Knechte und die Litzenbrüder alles Fluchens und Schwörens, auch Zankens und Schlagens bei Strafe des Gefängnisses gänzlich zu enthalten.

In einer zu der Ordnung im Jahre 1663 aufgestellten Rolle 1 ) sind genannt 8 Rostocker, 4 Lübecker und 3 Wismarsche Kutscher. In Lübeck verlieh der Rath 1658 dem dortigen Fuhramte eine ähnliche Fuhrordnung mit gleichem Inhalt für die Personenfahrt nach Rostock.

Nur kurze Zeit konnte das Rostocker Fuhramt sich des ungestörten Besitzes seines Privilegs erfreuen. Unter den Aufgaben der Landesherrschaft zur Hebung von Wohlstand und Verkehr kamen zu Ende des 17. Jahrhunderts verkehrspolitische Bestrebungen in Aufnahme, die natürlich Sonderrechte, welche den


1) Sie war auf Pergament in Fraktur geschrieben und auf einer hölzernen Tafel, 1 1/2 Ellen lang und 1/2 Elle breit, befestigt.
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Verkehr zu Gunsten Einzelner und zum Nachtheil der Gesammtheit leiten sollten und den Maßnahmen der Regierung zur Hebung des daniederliegenden Verkehrs zuwiderliefen, einzuschränken und möglichst zu beseitigen suchen mußten. Es war die Zeit des Aufkommens staatlicher Posten, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens Frachtanstalten im wahrsten Sinne des Worts waren und neben Personen, Briefen und Geldern auch Güter jeden Umfangs beförderten, also in wirksamster Weise den Wettbewerb mit dem Fuhrgewerbe begannen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Interessen der herzoglichen Staatspost und des Rostocker Fuhramts bald an einander geriethen. In Rostock war ein herzogliches Postamt eingerichtet worden, das, gestützt auf herzogliche Verordnungen, für sich allein die Brief= und Personenbeförderung beanspruchte und jede Konkurrenz des Fuhramts auf diesem Gebiete zu unterdrücken suchte; auch Frachtsachen jedes Umfangs nahm das Postamt zur Beförderung mit den Posten an. Das Alles bedeutete allerdings einen Eingriff in hundertjährige, wohlerworbene Vorrechte, den das Fuhramt mit größter Erbitterung zurückwies. Der Rath zu Rostock nahm sich des städtischen Fuhramts mit Nachdruck an. Er machte die private Sache des Amts zu seiner eigenen und richtete im Interesse desselben eine eindringliche Vorstellung an die Regierung in Schwerin. Er hätte, heißt es in derselben, der Einrichtung des Postamts in Rostock zwecks Beförderung von Briefen ruhig zugesehen. "Wie aber aus den Rechten bekannt ist, daß das eigentliche Postregale mit dem Fuhrwerk des reisenden Mannes keine Gemeinschaft hat, sondern bloßer Dinge auf die Briefe gerichtet ist, so will zumal höchstpräjudicirlich fallen, wenn der hiesige Postverwalter sub praetextu des Postwesens im Fuhrwerk ein monopolium einführen und den reisenden Mann necessitiren könnte, an einen gewissen Wagen sich zu verdingen, damit er sein unbilliges lucrum desto höher treiben möge." Wenn dem Postverwalter freistände, einen Fuhrmann für die Postfahrten "allein zu beneficiren und ihm die Abfuhr der Leute zuzuschanzen", so wäre das Schlimmste zu gewärtigen, "da solches der wohlhergebrachten Fuhrordnung, so mit den Städten Wismar und Lübeck beliebet, ausdrücklich entgegenlaufet, da denn unsere Fuhrleute gar übel daran sein würden, weil sie schon von dem Güstrow'schen Fuhrwerk durch die Post daselbsten contra libertatem commerciorum abgestoßen sind, daß sie auch nach Wismar und Pommern nichts abführen dürfen, weil auf solche

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manier das ganze Fuhrwerk zu der trafiquen größtem Schaden und dieser Stadt höchstem Präjudiz ganz niedergelegt werden muß, da doch die Fortschaffung des reisenden Mannes weit besser durch gesammte Fuhrleute nach ihrer gemachten Vereinigung kann befördert werden, als wenn einem Fuhrmann allein solche Abfuhr unter die Hände gegeben wird, weil allemal praesumirlich, daß viele Interessenten ihre Pferde und Wagenzeug besser im Stande halten können als ein Kerl allein, insonderheit da die Fuhrleute bei Tag und Nacht parat sein und, es finden sich viele oder wenige Personen ein, dennoch um den gesetzten Preis fahren müssen, zu geschweigen der nothwendigen Beibehaltung und Vermehrung des Fuhrwerkes, als welches bei ereignenden Feuersbrünsten, dann auch bei Kriegeszeiten und Ausfällen sehr nutzbar in Darstellung einer guten Anzahl der Pferde zu halten, welches aber nicht conserviret werden mag, wenn man den Leuten alle Mittel nimmt, ihre Hantirung zu treiben."

Auch die Vermittlung der Stadt hatte für den Augenblick keinen Erfolg. Die Regierung verhängte mehrfach empfindliche Strafen gegen die Fuhramtsgenossen, die gegen das Postregal verstießen. Trotzdem blieb der Wettbewerb des Fuhramtes in der Personen=, Brief= und Sachbeförderung ruhig im Schwange, denn die Ueberwachung der Frachtfahrer unterwegs war unter damaligen Verhältnissen schwer durchzuführen. Das einzige Zugeständniß, zu dem die Regierung sich nach Verlauf einiger Zeit herbeiließ, bestand darin, daß den Postämtern untersagt wurde, große Frachtsachen und schweres Kaufmannsgut mit den Postwagen befördern zu lassen.

Bei den trüben politischen Verhältnissen, die zu Ende des 17. Jahrhunderts in Meklenburg herrschten, hatten die jungen Postanlagen eine schwere Krisis zu bestehen, die das Fuhramt zu Rostock benutzte, um das Verlorene wieder zu gewinnen. Im Jahre 1691 ließ es sich zu dem Zweck vom Rath für die Beförderung von Personen auf der Straße nach Hamburg eine neue Ordnung verleihen, die mit der Ordnung von 1652 im Wesentlichen gleichlautend war. Die Höchstzahl der mit einem Wagen zu befördernden Personen, früher 8, wurde jetzt auf 6 beschränkt. Die den Lübecker Fuhrleuten gewährten Vorrechte wurden auch auf die Hamburger ausgedehnt, unter der Voraussetzung allerdings, daß den Rostocker Fuhrleuten in Lübeck und Hamburg gleiche Rechte eingeräumt würden. Von Wismarschen ist nicht mehr die Rede. Die Frachtsätze waren unverändert ge=

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blieben. Fuhrleute mit schlechten Pferden und Wagen sollten in der Rolle gestrichen werden. Um den ganzen Betrieb noch mehr unter Aufsicht zu stellen und Nebenfuhren zu verhindern, mußten die Wagen eine Stunde vor der Abfahrt am Neuen Hause sich einstellen; es war den Fuhrleuten besonders verboten, Reisende vor den Herbergen, Thoren und bei den eigenen Häusern aufzunehmen. Das Güterfrachtgeschäft gehörte nach wie vor zum Monopol des Fuhramts, unterlag aber nicht den Bestimmungen der Reihefahrt.

Auf der neuen Grundlage betrieb das Fuhramt die Personenbeförderung ungestört weiter, obgleich seit einiger Zeit zwischen Rostock und Hamburg neben den herzoglich meklenburgischen Postanlagen auch noch hamburgische und schwedisch=dänische Postkurse eingerichtet worden waren, die nicht bloß die Beförderung von Personen und Briefen, sondern auch von Frachtsachen betrieben. Um das Fuhrgewerbe war es somit schlecht bestellt, da von Gewalt gegenüber den Staatsposten keine Rede sein konnte, wenn nicht der Bestand des Fuhramts überhaupt gefährdet werden sollte.

Noch mehr verschlechterten sich die Lebensbedingungen des Fuhramts, als Herzog Friedrich Wilhelm von Meklenburg=Schwerin im Jahre 1710 mit Ausdauer und Geschick die Staatspost neu organisirt hatte. Fortan war die Fortschaffung von Personen, Briefen und kleinen Sachen im ganzen Lande Vorrecht der Postanstalten. Dagegen wurde die Personenbeförderung mittels Beiwagen und Extraposten, der Kurier= und Estaffettendienst dem Fuhrgewerbe unter der Aufsicht der Postanstalten überlassen. Ueberall in den Städten an den großen Postkursen nach Hamburg wurden Reihefuhrämter eingerichtet, deren Mitglieder die Postnebenfuhren an den einzelnen Orten in einer bestimmten Reihenfolge leisten mußten. Niemand sonst durfte die Personenbeförderung betreiben. Auch das Rostocker Fuhramt mußte sich jetzt in die veränderten Verhältnisse finden. Es behielt aber seine selbsttändige Stellung als städtische Anstalt auch fernerhin bei und führte nur auf Ersuchen des Postamts die erforderlichen Nebenfuhren aus. Neben diesem minder wichtigen Dienstzweige blieb dem Fuhramte mithin nur das Lohnfuhrwesen in der Stadt und das Frachtgeschäft übrig, soweit an letzterem nicht auch die Posten Theil hatten.

Unter solchen Umständen konnte von besonderen Vorrechten des Fuhramts kaum noch die Rede sein, aber die Sache hatte in Wirklichkeit eine weniger ernste Bedeutung, denn einmal

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setzten die Fuhrleute die Personenbeförderung im Geheimen ruhig fort, weil sie den Rath ihrer Stadt stets als Stütze hinter sich hatten, dann war Meklenburg vom Jahre 1715 ab auch wieder auf mehrere Jahrzehnte hinaus der Schauplatz kriegerischer Ereignisse, während deren die mißliebigen Postverordnungen bald in Vergessenheit geriethen.

Bei der Gunst der Umstände konnte es deshalb das Fuhramt wagen, sich im Jahre 1717 vom Rath eine neue Ordnung und Rolle verleihen zu lassen, in der die alten Vorrechte des Amts bestätigt und neue hinzugefügt wurden. Der Rath erließ die neue Ordnung, weil die Fuhrleute ihm beweglich vorgestellt hätten, "daß sie durch die eine Zeitlang im Fuhrwerk eingerissene Unordnung fast zu Grunde gegangen und, dafern durch eine anzurichtende gute Fuhrordnung nicht solchem Unwesen bei Zeiten vorgebeugt werden würde, ihr totaler Untergang unfehlbar erfolgen müßte." Den Bestrebungen von Reich und Staat, die Zunftgerechtsamen, die sich längst als ein Hemmschuh der wirthschaftlichen Entwicklung erwiesen hatten, zu beseitigen, wurde die Rolle insofern gerecht, als sie bestimmte, daß das Fuhramt fortan nicht mehr ein geschlossenes Amt sein sollte; vielmehr konnte jeder Fuhrmann nach Prüfung durch Gewett und Aelterleute als Amtsgenosse gegen Zahlung der üblichen Gebühren an Gewett, Gericht, Wagenmeister und an das Amt (10 Thaler) aufgenommen werden, wenn er wenigstens 4 Pferde und einen bequemen Wagen besaß und das Rostocker Bürgerrecht erworben hatte. "Und damit nun das Fuhrgewerbe soviel aufrecht erhalten und ein jeder fremde Passagier desto besser mit Vorspann bedient werden möge, so soll das Personenfahren wie vordem jederzeit gebräuchlich gewesen nach voriger Fuhrordnung von 1691 unter den Fuhrleuten nach der Reihe umgehen." Zwei Fuhrleute mit je 1 Wagen und 4 Pferden mußten sich in steter Bereitschaft halten und durften ohne Wissen der Aelterleute keine anderen Fuhren übernehmen. Uebertretungen oder Verabsäumungen wurden von Amtswegen mit 1 Thaler Strafe geahndet. "Und weil diese Fuhrleute solchergestalt obligiret, jederzeit Pferde und Wagen auf ihre Kosten vor fremde ankommende und abfahrende Passagiere in Bereitschaft zu halten, so soll dagegen keiner, er sei auch, wer er wolle, auch nicht einmal ein Amtsfuhrmann, an welchem die Reihe nicht ist, solches Personenfuhrwerk bei Verlust der accordirten und gehobenen Fracht anzunehmen und zu fahren befugt sein."

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Zur Reihefahrt gehörte auch die Leistung der Postnebenfuhren, das Einzige, was das Fuhramt von den herzoglichen Verordnungen beibehalten hatte, da es günstig war und den Anschein landesherrlichen Dienstes erweckte. Da Rostocker Fuhrleute jetzt auch nicht mehr in Hamburg, Lübeck, Greifswald und Stralsund mit Personen durchfahren durften, sondern diese an den genannten Orten den einheimischen Fuhrleuten zur Weiterbeförderung überlassen mußten, so sollten die Fuhrleute aus diesen Städten in Rostock hinsichtlich der Personenfahrt ebenso behandelt werden. Um eine bessere Aufsicht über die fremden Kutscher zu haben, waren diese gehalten, durch die Litzenbrüder einen Passierzettel zu lösen, damit sie bei der Rückfahrt an den Thoren ungehindert passieren konnten. Alljährlich um Martini sollte zum Schutze des Publikums vor Benachtheiligungen eine Fuhrordnung mit den jeweiligen Fahrtaxen, deren Höhe nach dem Hafer= und Fouragepreise festgesetzt wurde, veröffentlicht werden; wer andere Sätze forderte, mußte 2 Thaler Strafe zahlen. "Und weil es höchst billig, daß einem jeden Bürger die Nahrung, worauf er sein Bürgerrecht genommen und worauf er sich häuslich niedergelassen, davon er auch seine Beschwerden den Nachbarn gleich tragen muß, gelassen und von anderen, so ihr Bürgerrecht nicht darauf gewonnen, sondern eine andere Profession gewählet, darin nicht beeinträchtiget werden, als soll kein Bürger und Einwohner zu seiner Ausfahrt, es sei wohin es wolle, ander Vorspann als von diesen ordentlichen Fuhrleuten - kleine Lustreisen auf einige Meilen Weges und wovor keine ordentliche Bezahlung geschiehet, item das Jahrmarktfahren ausgenommen - zu gebrauchen, auch keiner sonsten zu fahren bei Vermeidung willkürlicher Strafe befuget sein." Gleichzeitig wurde dem Reihefuhramte das gesammte Frachtfuhrwesen mit Gütern, Kaufmannswaaren u. s. w. als alleiniges Vorrecht übertragen; es wurde den Bürgern, die keine ordentlichen Fuhrleute waren und ihr Bürgerrecht nicht darauf gewonnen hatten, ebenso den Bauern streng verboten, Frachtsachen gewerbsmäßig zu befördern. Hamburger und Lübecker Fuhrleute durften ungehindert Güter befördern, da die Rostocker Fuhrleute in Hamburg und Lübeck das gleiche Recht ausübten; doch durften die Wagenmeister und Litzenbrüder für die fremden Fuhrleute zum Nachtheil des heimischen Fuhrgewerbes nicht Waaren und Güter aufsprechen, sondern mußten nach Kräften im Interesse des Fuhramts thätig sein.

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Damit waren die alten Zunfterinnerungen wieder zu neuem Leben erwacht. Der Zunftzwang war straffer durchgebildet als je zuvor, und rücksichtslos machte das Fuhramt von seinen Vorrechten Gebrauch. Länger als 30 Jahre hindurch blieb das Monopol des Fuhramts unangetastet. Dann begannen die Kämpfe mit der Staatspost von Neuem. Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Postwesen geordnete Verhältnisse geschaffen worden waren, verloren auch die alten Sonderrechte des Rostocker Fuhramts an Geltung. Nachdem im Jahre 1759 wieder in allen größeren Orten Reihefuhrämter zum Betriebe der Postnebenfuhren eingerichtet worden waren, mußte auch das Rostocker Fuhramt die gleichen Dienste übernehmen. Seine Vorrechte in Bezug auf die Personenbeförderung hörten auf. Es unterstand aber auch jetzt nicht dem herzoglichen Postamte, sondern war als rein städtische Anstalt selbständig neben dem Postamte unter städtischer Polizeigewalt thätig, ein Zwitterverhältniß, das den Dienst des Postamts erschwerte und für das Publikum manche Unbequemlichkeiten im Gefolge hatte. Denn das Postamt hatte keine Gewalt über die einzelnen Fuhramtsgenossen, und bei Klagen über die Leistungen des Amtes waren Bürgermeister und Rath der Stadt immer geneigt, sich des Fuhramts anzunehmen, nicht selten mehr, als sich mit den öffentlichen Interessen vertrug. Die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Sachlage ergaben, wurden noch dadurch gesteigert, daß die Regierung bei Abschluß des landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs von 1755 (mit den Ständen des Landes) der Stadt Rostock alle alten Privilegien neu bestätigt hatte, darunter auch die Privilegien des Fuhramts, wie der Rostocker Rath stets hervorhob, während die Regierung diese Auffassung wiederholt, aber stets ohne Erfolg, bestritten hatte.

Den Fuhramtsmitgliedern waren diese Umstände nicht fremd. Sie hielten deshalb auch noch Jahrzehnte lang im Geheimen den Wettbewerb mit den Posten in der Personen= und Sachbeförderung aufrecht. Bei der wachsenden Verbesserung des Landespostwesens und in Folge scharfer Ueberwachung der Fuhrleute durch die herzoglichen Behörden nahm der Wettbewerb des Fuhramts aber allmählich ab. Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte das Fuhramt sich mit den neuen Verhältnissen abgefunden und beschränkte sich fortan auf das Güterfrachtgeschäft und die Leistung der Postnebenfuhren, aber auch jetzt noch als rein städtische Anstalt. Diese Doppelstellung des Fuhramts führte je länger je mehr zu ernsten Unzuträglichkeiten. In Folge der mangelnden Aufsicht und der Unnachgiebigkeit der Fuhramtsmitglieder gegen

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jede Anregung des Postamts, den Forderungen der neuen Zeit im Fuhrbetriebe sich mehr als bisher anzupassen, hatte allmählich im Rostocker Fuhrwesen eine grenzenlose Mißwirthschaft Platz gegriffen, die beim reisenden Publikum den schlechtesten Eindruck machte. Nach dem Urtheil Aller war im Anfang des 19. Jahrhunderts nach Beendigung der Freiheitskriege die Einrichtung des Extrapostwesens in der lebhaften See= und Handelsstadt Rostock schlechter bestellt als selbst in der kleinsten Stadt irgend eines Landes. Die ankommenden Reisenden wandten sich wegen der Weiterreise zuerst an das herzogliche Postamt, das sie an das städtische Fuhramt verweisen mußte. Der Wagenmeister lief nun zu dem Fuhrmann, der an der Reihe war, und wenn diesem zufällig die Fuhre nicht paßte, so lehnte er sie unter irgend einem Vorwande ab. Dann mußte der bejahrte Wagenmeister den in der Reihe folgenden, vielleicht im entgegengesetzten Stadttheil wohnenden Fuhrmann aufsuchen; wenn dieser seine Pferde zu Hause hatte, so besaß er doch kaum einen schicklichen Wagen, und wenn die Reisenden im eigenen Wagen fuhren, dann kam der Fuhrmann erst aus der Vorstadt herein, musterte Wagen und Reisende, und nun entstand erst Verhandlung und Streit darüber, wieviel Pferde vorzulegen waren. Die Amtsältesten betrachtete jeder Fuhrmann als seines Gleichen und achtete ihrer Einreden nicht, und die Furcht vor der Aufsichtsbehörde, dem Gewett, kam überhaupt nicht in Frage. "Wird nämlich, wie es in einer zeitgenössischen Schilderung heißt ein Fuhrmann bei dem Gewett besprochen, daß er seiner Verpflichtung nicht genügt habe, so wird erst eine gerichtliche Kognition begonnen, protokollirt, geleugnet, gestritten, auf Beweis erkannt, appellirt und Gott weiß was sonst noch Alles gethan, um die Kontrolle zu schwächen und somit möglichst ungebundene Hände zu behalten."

Unzählige Klagen von hoher und niedriger Seite waren schon erhoben worden, aber immer vergeblich. Jeder Klage wurden die alten verbrieften Rechte des Amts entgegengehalten, die doch von den Genossen selbst täglich verletzt wurden. Jeder bemühte sich, möglichst zahlreiche Fuhren zu erhalten, auch wenn er nicht an der Reihe war, schaffte die Reisenden heimlich aus der Stadt und suchte an sich zu ziehen, was möglich war. Die Mißstände wurden umsomehr im Publikum empfunden, als der Reiseverkehr sich sehr lebhaft entwickelt hatte, und besonders wohlhabende Reisende dem ersten Ostseebad Doberan auf dem Wege über Rostock zuströmten. Es kam hinzu, daß jeder mit beson=

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derem Fuhrwerk in Rostock eintreffende Reisende sich dem Pferdewechsel unterwerfen und frische Pferde vom Fuhramte nehmen mußte. Wenn der Reisende Miene machte, diesem Gebrauch zuwiderzuhandeln, so wurde sofort mit Pfändung und gerichtlichen Strafen vorgegangen, sodaß er schließlich, um Weiterungen in der fremden Stadt zu vermeiden, immer nachgab, auch wenn das Recht klar auf seiner Seite war. In besonders üble Lage gerieth der Reisende, der wegen frischer Pferde mit Fuhrleuten verhandelte, welche nicht dem Fuhramte angehörten: sofort war das ganze Fuhramt zur Stelle, und nur ruhiges Nachgeben konnte vor Thätlichkeiten schützen.

So allgemein die Klagen waren und so rückständig der Betrieb des Stadtfuhramts jahrzehntelang blieb, so war bei der Regierung ersichtlich geringe Neigung vorhanden, mit fester Hand einzugreifen, weil die Stadt Rostock sich stets warm des Fuhramts annahm, wie mehrfache Versuche der Regierung gezeigt hatten. Auch betrachtete der Rostocker Rath die Sache nicht als Angelegenheit eines einzelnen Amts, sondern als Bestandtheil seiner Stadtgerechtsamen, die ohne angemessene Entschädigung nicht aufgegeben werden konnten. Mannigfache Vorschläge wurden im Laufe der Zeit gemacht, aber immer ohne Erfolg. Der beklagenswerthe Zustand des Fuhramts dauerte fort, wie jeder Reisende, der Rostock einmal berührt hatte, erzählen konnte. "Die Schuld an diesem Uebelstande fällt aber," wie die Regierung sich selbst zu trösten suchte, "nicht auf die Großherzogliche Postverwaltung, sondern die Rostocker tragen den Schimpf und die Schande ihrer Einrichtung selbst."

Nachdem wieder lange Zeit verstrichen war, und da der Zustand des Fuhramts dem Rath zu Rostock selbst unhaltbar erscheinen mochte, ließ dieser im Jahre 1841 bei einer wiederholten Erörterung der Angelegenheit mit der Regierung durchblicken, daß die Auflösung des Fuhramts gegen eine angemessene Entschädigung wohl in Erwägung gezogen werden könnte. Diese Andeutung griff die Regierung sofort auf. Sie ernannte einen Kommissar in Rostock, der mit dem Rathe und Fuhramte unterhandeln sollte. In der Instruktion des Kommissars kam zum Ausdruck, daß die Regierung der Stadt Rostock zwar kein besonderes Recht auf das Postnebenfuhrwesen einräume, daß es auf diesen Punkt bei der jetzigen Haltung des Rathes auch nicht ankomme, und das Prinzip umsomehr auf sich beruhen könne, als vor allen Dingen die augenblickliche günstige Stimmung be=

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nutzt werden müsse, um den bisherigen unleidlichen Zustand zu beendigen, wenn das ohne große Opfer möglich sei.

Beide Parteien zeigten bei der Verhandlung Entgegenkommen. Man einigte sich schließlich dahin, daß jedes aktive Mitglied des Reihefuhramts eine baare Abfindung von 125 Thalern, jedes inaktive Mitglied (frühere aktive Mitglieder, die in Folge Verarmung den Fuhrbetrieb eingestellt, aber die Mitgliedschaft behalten hatten) von 20 Thalern erhalten und dem Amte außerdem der Betrag von 50 Thalern zur Bestreitung seiner Unkosten gezahlt werden solle. Bei einem Bestande von 17 aktiven und 7 inaktiven Mitgliedern betrug mithin die ganze Entschädigung 2315 Thaler. Sie war nicht übertrieben. Durchschnittlich waren bis zum Jahre 1840 etwa 320 Extraposten u. s. w. jährlich, jede auf etwa 3 Meilen Entfernung, geleistet worden. Jeden Genossen hatte 15-20 Mal im Jahr die Reihe getroffen, und sein Verdienst betrug gering gerechnet 20-30 Thaler jährlich aus dem Fuhramte. Eine einmalige Entschädigung von 125 Thalern war daher eine sehr bescheidene Forderung.

Die Stadt Rostock, die mit der Preisgabe des Fuhramts auf ein städtisches Privileg verzichtete, nahm keine Geldentschädigung in Anspruch. Sie sprach aber die Erwartung aus, daß die Regierung ihr eine günstige Gegenkonzession zu Theil werden ließe, allerdings ohne sich über Gegenstand und Umfang derselben des Näheren auszulassen.

Die ganzen Abmachungen wurden in Form eines Vertrages zwischen dem Kommissar und Bürgermeister und Rath zu Rostock zusammengestellt. Der Vertrag wurde am 15. Dezember 1841 vollzogen und von der Regierung genehmigt. Nach Erfüllung der verabredeten Bedingungen stellte das Fuhramt am 1. Januar 1842 seinen Betrieb ein, und seine Befugnisse gingen von diesem Zeitpunkte ab auf das Großherzogliche Postamt über.

Damit hatte ein Institut aufgehört zu bestehen, das länger als ein halbes Jahrtausend im Handels= und Verkehrsleben der Stadt Rostock eine bedeutsame Rolle gespielt hatte. Es fand sich aber Niemand, der sein Ende bedauerte, selbst nicht die Angehörigen des Amts, denen endlich eine Fessel abgenommen war, unter der ihre Vorgänger im Fuhramte schon vor 100 Jahren und mehr geseufzt hatten.

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