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Hünengrab von Gresse (bei Boizenburg).

In der Uebersicht über die Vertheilung der meklenburgischen Hünengräber Jahrb. 64, S. 92 ist als die südwestlichste Gruppe eine Anzahl von Gräbern bei Wittenburg und Boizenburg zusammengefaßt, an deren Gebiet sich dann die gräberleere Thalsandheide anschloß. Am weitesten vorgeschoben erschienen einige Gräber bei Granzin. Seitdem ist ein neuer Grabfund bekannt geworden, der unmittelbar an dem alten Abfallsufer zum großen Elbthal hin gelegen ist und der nach seiner ganzen Anlage ein besonderes Interesse beanspruchen darf. Verfasser hat das Grab unter freundlicher Führung des Herrn Freiherrn von Ohlendorff am 23. Mai 1900 besichtigt. Etwa 800 m nordöstlich von Schloß Gresse liegt auf ebenem Gelände ein sehr auffallender, mit alten Bäumen bestandener Hügel von etwa 6 m Höhe und 25 m Durchmesser, der sog. Finkenberg. Herr Freiherr von Ohlendorff auf Gresse hat im Frühjahr 1899 den Hügel von der Höhe und der Nordseite her angraben lassen und eine große Grabkammer im Innern frei gelegt. Diese Kammer ist nach Möglichkeit erhalten, indem die Steinwände, so weit angängig, in ihrer ursprünglichen Lage gelassen sind, oben durch eine Wölbung geschlossen und mit Oberlicht versehen. Ein ausgemauerter Gang, zu dem die Steinmassen des Grabes benutzt sind, führt jetzt in den Grabraum, in dem die hier gemachten Funde aufbewahrt werden. So ist eine bedeutungsvolle und in ihrer Art einzige Anlage dauernd geschützt und der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Grabkammer lag gerade in der Mitte des Hügels und bildete einen unregelmäßig vierseitigen Raum mit gerundeten Ecken von etwa 4 m Durchmesser und 2 m Höhe. Die Wände bestanden nicht aus großen, stehenden Steinblöcken, wie bei den Hünengräbern, sondern aus wagerecht gelegten, geschichteten

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Steinen von durchschnittisch 30 cm Länge. Sie war auch nicht überwölbt mit den üblichen massiven Felsen, sondern die Decke bestand aus denselben Steinen, wie die Wände. Eine Holzüberdeckung ist nicht beobachtet, es hatte den Anschein, als ob die Steine oben ein Gewölbe bildeten. Natürlich kann dieses nur ein sog. "falsches Gewölbe", d. h. ein durch Ueberkragen der Steine gebildeter oberer Abschluß gewesen sein. Im Innern der Kammer fand man an einer Stelle eine starke Brandschicht von 1 m Länge und 30 cm Stärke. Die Beerdigung hat an der Westwand stattgefunden. Beobachtet sind:

1. Reste eines (oder mehrerer?) unverbrannten Leichnams.

2. Eine Axt, anscheinend aus Gneis, länglich und unregelmäßig, ähnlich dem in Jahrb. 63, S. 60 abgebildeten Stück, Grundform A, 19 cm lang, 4 cm hoch.

3. Eine Axt, anscheinend aus Diorit, von der a. a. O., S. 61 abgebildeten Form, Grundform B I a, 13 cm lang, 5 cm hoch.

4. Ein "Arbeitskeil" aus Feuerstein, gleich Jahrb. 63, S. 21. Grundform C b I, 12 cm lang.

5. Ein "Hohlteil" aus Feuerstein, der Form nach dem vorigen gleichend, 11 cm lang.

6. Ein Keil "mit geschweifter Schneide" von Feuerstein, ähnlich dem a. a. O. S. 19 abgebildeten Stück, Uebergangsform von B zu C, 11 cm lang.

7. Ein flacher, unregelmäßig geformter Keil (oder Axt) aus einem schiefrigen Gestein, ungefähr 8 cm lang.

8. Ein Dolch aus Feuerstein; gleich der Abbildung a. a. O. S. 49, Grundform II C 2, prachtvoll gearbeitet, mit gekröselten Seiten und feiner paralleler Muschelung der Klinge; leider ist der größere Theil der Klinge abgebrochen. Länge noch 14,5 cm.

Die steinzeitlichen Grabformen sind Jahrb. 64, S. 79 flgd. besprochen. Keiner schließt sich das von Gresse an. Von allen in Meklenburg bekannt gewordenen Hünengräbern unterscheidet sich das besprochene in verschiedenen sehr wesentlichen Punkten. einmal durch seine Lage in der Tiefe eines Hügels, der in seiner ganzen Anlage genau den bronzezeitlichen Gräbern gleicht. sodann durch seine Schichtung aus Steinen, während die Grabkammern

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sonst aus aufrecht stehenden Blöcken oder Platten gebildet werden. Der erste Punkt findet seine Analogien in den "Riesenstuben" von Schweden, Dänemark und Schleswig=Holstein, die ja auch oft von sehr bedeutenden, zu Hügeln geschichteten Erdmassen umgeben sind; in S. Müllers Nordischer Alterthumskunde S. 77 flgd. ist das Material übersichtlich zusammengefaßt. - Eigenthümlich diesen Riesenstuben aber ist der Gang, der hier anscheinend fehlt, und keine zeigt die aufgemauerten Wandungen. In diesem Punkte entfernt sich das Gresser Grab von den nordischen Hünengräbern und schließt sich an jene "Kuppelgräber" an, deren bekanntester Vertreter das "Schatzhaus des Atreus" in Mykene ist. Derartiges findet sich erst in weiteren Entfernungen von uns.

Dahin gehören, um zunächst einige Beispiele anzuführen, die dem Verfasser aus eigener Anschauung bekannt sind, mehrere der großartigen Gräber in der Bretagne (Dep. Morbihan), so der Mané-er-Hroèg bei Locmariaquer, ein 12 m hoher Hügel, auf dessen Grunde sich die aus platten Steinen aufgesetzte und mit starken Platten überdeckte Grabkammer (4x3x1,5 m) fand, zum Theil auch der mächtige St. Michel bei Carnac, wo wenigstens eine Seite der Grabkammer aus einer Trockenmauer bestand, das Grab von Tumiac bei Arzon, kurz, gerade die größten und ergebnißreichsten Gräber jener klassischen Gegend. (Die Belege s. bei Mortillet, Musée préhistorique Tafel 59, Cartailhac, la France préhistorique S. 204 flgd. u. s. w.)

Auch über Grabhügel an der Westküste Frankreichs (z. B. St. Amand, Dep. Charente) liegen gute Untersuchungen, besonders von Chauvet, vor. Diese werden folgendermaßen beschrieben (Cartailhac, S. 214 ff.): einige der Hügel schlossen echte Megalithgräber ein, andere bargen Trockenmauern aus flachen Bruchsteinen, mit Wiederlagern aufrecht gestellter Blöcke, die Zweidrittel oder Dreiviertel der Höhe erreichten. Die Kammer war rechteckig, polygonal, besonders aber rund. Erhalten waren Theile der Bedachung in Form über einander gelegter Platten, ein System einfachster Wölbung [das sog. "falsche Gewölbe"], wie es noch jetzt bei den Hütten der Hirten in den Kalksteinplateaus. von Südfrankreich in Gebrauch ist. Mehrere hatten enge und lange Eingänge. Endlich war meist der Boden mit einer rothen Lehmdiele bedeckt, auf der die Reste der Beerdigten mit ihren Beigaben lagen. Ärmliche Beobachtungen sind in einer Nekropole bei Fouqueure gemacht. In beiden Fällen handelte es sich um neolithische Begräbnisse.

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Ebenso sind in Süd = Frankreich Grabkammern aus Trockenmauern mit Erdauftrag bekannt, die zum Theil schon Kupfer (oder Bronze) ergeben haben; so ein großes Grab von La Roquette bei St. Pargoire (Dép. Herault), wo 26 Leichen mit Feuersteinklingen, Bernstein, Kupferzierrath u. s. w. gefunden sind und zu dem der Entdecker, Cazalis de Fondouce, Analogien aus Sardinien anführt (Cartailhac, a. a. O., S. 220).

Auf weitere Beispiele aus Frankreich bezieht sich Montelius, Orient und Europa I, 1899, S. 58 ff., wo ebenfalls S. 70 ff. Beschreibungen und Abbildungen zahlreicher gleicher Anlagen aus Irland und auch einige aus Schottland gegeben werden. Aus den Ausführungen von Montelius ergiebt sich, wie ähnliche Bauten mit ähnlicher Ausstattung in Kleinasien (besonders Karien), Sardinien, Spanien bekannt geworden sind (a. a. O., S. 36. 60. 75. 89 u. s. w.).

Ob unser Gresser Grab einen inneren Zusammenhang mit jenen Kuppelgräbern hat, die von Spanien bis Schottland sich hinziehen und zwar unverkennbar die Küste entlang, bleibe noch dahingestellt. Denkbar ist ein solcher sehr wohl. Alle jene Gräber liegen der Küste nahe. Auch das Gresser Grab liegt am alten Elbthal, etwa 140 Kilometer von der Elbmündung entfernt. Wenn jene Gräber, wie man jetzt meist annimmt, ihre Entstehung einer die Küsten entlang sich bewegenden "orientalischen" Beeinflussung verdanken, so kann diese sich auch nach Deutschland erstreckt haben, ebenso gut wie die jung=steinzeitlichen Thonbecher und alten Metallgegenstände in identischen Formen sich nicht nur auf dem ganzen Verbreitungsgebiete der Kuppelgräber in Europa, sondern auch in Deutschland finden. Zunächst aber, ehe weitere Beobachtungen vorliegen, wollen wir uns mit dem Nachweise begnügen, daß das Grab von Gresse in seiner Bauart nicht nur, sondern auch in seiner zeitlichen Stellung sich einer Gruppe von Gräbern anschließt, die bisher besonders hauptsächlich im westlichen Europa bekannt geworden sind und auf unserem Boden, im Gebiete der nordischen Steinzeit, sich noch durchaus fremdartig ausnehmen.

Die Ausstattung des Grabes gleicht der unserer megalithischen Kammern, der typischen Hünengräber. Auffallend ist nur das Vorkommen des Dolches in einer Form, die, soweit ich das Material übersehen kann, in den älteren steinzeitlichen Gräbern überhaupt nicht, sondern bei uns wenigstens erst am Ende der

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Steinperiode, besonders in Flachgräbern, vorkommt, so in den Flachgräbern von Basedow) (vgl. Jahrb. 64, S. 124). Auch der Keil mit geschweifter Schneide gehört erst in die jüngsten Abschnitte der Steinzeit.

Daraus ergiebt sich die zeitliche Stellung unseres Grabes. Dieses gehört sichtlich einer ganz jungen Periode der Steinzeit an, entsprechend Montelius' Periode IV der jüngern Steinzeit, (Månadsblad 1893). Die Grabform führt schon zu der Bronzezeit hinüber. Aber die Form der Grabkammer ist noch nicht aufgegeben, nur wird sie anders gebildet wie in den früheren Perioden. Das Bild, welches wir von der Entwickelung der steinzeitlichen Grabformen entwerfen konnten (Jahrb. 64, S. 82 ff.), erhält hierdurch einen neuen Zug, der mit den andern nicht so ohne weiteres vereinbar ist. Wir sahen dort, wie aus der Steinkammer, mit der Abart des steinkammerlosen Hünenbettes, die Steinkiste 1 ) wurde. In diesen Gang läßt sich die Grabform, deren einziger Vertreter auf dem Gebiete der nordischen Steinzeit bisher das Grab von Gresse ist, nicht einreihen, wir werden in ihm eine jener mannigfachen auswärtigen Einwirkungen zu sehen haben, die schon in der Steinzeit bestimmend in den einheimischen Formenkreis eingriffen.


1) Das Flachgrab scheint nicht auf nordischem Boden aus der Steinkiste hervorgegangen, sondern aus fremden (südlichen) Einflüssen entstanden zu sein.