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(1403, Mai 27.)
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D a Urkunden über die Weihung von Kirchen (oder Theilen von Kirchen) und Altären, falls wie gewöhnlich Inschriften oder gleichzeitige Nachrichten abgehn, die sichersten Stützen für die Baugeschichte sind, so ist es um so bedauerlicher, daß ihrer so wenige erhalten oder bekannt geworden sind.
Für Wismar insbesondere kannte man nur Urkunden über die Weihe des Hauptaltars im Heiligen Geiste von 1326 1 ), der westlich an die nördliche Halle der St. Marienkirche stoßenden Kapelle mit Altar von 1388 2 ), der 1850 zerstörten Sühnekapelle auf dem Marienkirchhofe von 1436 3 ), von drei Altären in St. Nicolai: 1441, November 2, 1459, Februar 28, 1461, October 24 4 ). Von einem vor etwa 50 Jahren aus einer Kapelle des Heiligen Geistes (wahrscheinlich der links von der Thür hofwärts belegenen) entfernten Altare ist nur die hölzerne Reliquienkapsel mit dem zweiten Sekrete Bischof Detlefs von Ratzeburg (1395-1419), aber ohne Urkunde
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und Reliquien, zum Vorschein gekommen. 1 ) Nachrichten haben wir von der Weihe des Hochaltars in St. Marien 1353, Lätare 2 ), der Franziskanerkirche (Große Stadtschule) angeblich von 1358 3 ), des Chors der Dominikanerkirche (Schwarzes Kloster) von 1397 4 ), eines Altars in St. Jürgens von 1478 5 ), des Kirchhofs von Alt=Wismar von 1481 6 ).
Durften wir nun kaum hoffen, durch neue Funde unser Wissen hierüber gemehrt zu sehen, so ist doch neuerdings noch ein wichtiges Stück, freilich nur in einem Abdrucke, entdeckt worden, die Weihungsurkunde des alten Hochaltars in St. Nicolai. Ans Tageslicht ist sie getreten 1774, als man den Platz für den jetzt bestehenden 1775 am vierten Sonntage nach Trinitatis (Juli 2) eingeweihten Altar freimachte, und abgedruckt in der Festpredigt 7 ) des Pastors Matthias Daniel Berens S. 14 Anm. Dieser meldet darüber: "Einige fast vermoderte Reliqvien fand man in dem alten Tische des grossen Altars, als derselbe Ao. 1774 vor Ostern abgebrochen ward. Sie waren in Gläsern aufbehalten und dabei folgende geschriebene Nachricht . . . . "
Der Wortlaut der Urkunde aber in berichtigter Schreibung =B. läßt dem klassischen Gebrauche gemäß ae statt e drucken, er hat Detlevus, zwei Male gratia, praesentium, Answerti, impositionem, consecravimus, octavas und gibt einige große Anfangsbuchstaben zu - ist folgender:
Nos Detleuus dei et apostolice sedis gracia episcopus Ratzeburgensis tenore presencium profitemur, quod presentem chorum cum suo summo altari in honorem sancti Answeri martyris Nicolai episcopi Catherine beate virginis Michaelis archangeli angelorum omnium et Anne vidue per manus nostre imposicionem consecrauimus cooperante nobis gracia spiritus septiformis. Actum et datum anno domini 1403 die dominico
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infra octauas ascensionis domini nostro sub secreto presentibus appenso.
Demnach sind also 1403, Mai 27, Chor und Hochaltar von St. Nicolai durch den Bischof Detlef von Parkentin geweiht worden. Wie stellt sich dazu, was man bisher über den Neubau der Kirche wußte? 1 ) Durch Schröder ist der Baukontrakt überliefert, den die Kirchenvorsteher mit des Raths Maurermeister Hinrik von Bremen abgeschlossen haben, und zwar mit der Jahreszahl 1381 2 ). Dagegen erzählt der Schreiber des Werkhauses, Michael Kopman, daß 1386 das Fundament gelegt sei 3 ). Und diesem, der um das Jahr 1490 schrieb würden wir nach den Regeln der Kritik uns anschließen müssen, wenn nicht eine Bestimmung aus dem Testamente des Rathmanns Gottschalk Witte 4 ) für Schröder entschiede, wonach 1383, December 4, der Bau mindestens im Gange gewesen ist.
Nach 1406, berichtet Kopman des Weiteren 5 ), habe Göslik von der Kulen sein Amt als Werkmeister angetreten. Dieser aber hat nach der Vertheidigungsschrift seiner von dem revolutionären Rathe 6 ) ernannten Nachfolger den Chor decken lassen 7 ). Somit mußte die Vollendung des Chors spätestens 1415 angesetzt werden. Die Stempel 8 ) auf den Steinen endlich erwiesen, daß der Umgang und die Kapellen sammt der Sakristei 9 ) für sich und zuerst, dann wieder für sich Chorpfeiler 10 ) und Arkaden und schließlich der Lichtgaden 11 ))
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des Chors hintereinander mit Steinen verschiedenen Brandes gebaut sind. Hernach sind 1434 die nördliche Abseite mit Halle und Kapellen, 1437 die südliche Abseite, Halle und Kapellen, seit 1439 das Schiff der Kirche, in den achtziger Jahren in zwei Absätzen die oberen Stockwerke des Glockenthurms erbaut 1 ).
Man sieht, daß im Allgemeinen unser bisheriges Wissen vom Bau der Kirche durch die neue Urkunde nur bestätigt, im Einzelnen jedoch berichtigt und fester bestimmt wird. Allerdings lassen sich auch Zweifel erheben. Man könnte die Zahlen 1403 und 1406 vereinigen, wenn auf einer Seite eine v als i j oder umgekehrt verlesen wäre. Doch würde dadurch nichts gewonnen werden, da der Antritt Gösliks beträchtliche Zeit vor die Weihe fallen muß. Berens könnte ein x übersehen haben, so daß die Weihe auf 1413 verschoben würde; allein in jenen Jahren politischer und kirchlicher Unruhen - von 1411 bis 1416 herrschte der neue Rath und um dieselbe Zeit wollte sich Joachim von der Horst, folgends Protonotar zu Stralsund, in die Pfarre von St. Nicolai eindrängen - war schwerlich an die Weihe der Kirche zu denken. Es bliebe nur die recht unwahrscheinliche Annahme eines Druckfehlers übrig 1403 statt 1408. Richtiger wird es jedoch sein den Fehler auf Seiten des achtzig Jahre später schreibenden Chronisten anzunehmen, zumal auch sein Datum über den Beginn des Baus zu verwerfen war. 2 )
Noch zu einer andern Bemerkung nöthigt die kleine Urkunde. 1459, September 3, ist die Kirche - im engern Sinne des Worts, ohne den Chor - vom Ordinarius geweiht, und Kopman nennt als Patrone die Heiligen Nicolaus, Blasius, Katharina, Michael; beider Chor= und Altarweihe erschienen dagegen als solche Answerus, Nicolaus, Katharina, Michael, alle Engel und die heilige Anna. Hier ist ein Irrthum Kopmans ausgeschlossen, da sonst das auffällige Vergessen oder Wechseln der Patrone anstatt in mehr als fünfzig bewegten Jahren in einer weit kürzeren, ruhigen Zeit 3 ) vor sich gegangen sein müßte. Man wird sich also mit der Thatsache abzufinden haben und mag sich erinnern, daß auch bei St. Jürgens Kirche in Wismar Aehnliches sich ereignet hat. Diese hieß im 13. Jahrhundert nach St. Martin und Georg 4 ), wird
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derzeit einmal nur als Martinikirche 1 ), einmal nur als Georgskirche 2 ) angeführt. Im Laufe der Jahre trat dann Bischof Martin mehr und mehr zurück. Die Kirche ward ausschließlich nach St. Jürgen benannt 3 ), und während Martins Martyrium auf dem Hochaltare noch neben dem Georgs dargestellt wird und allerdings auch noch eine Wandmalerei der nördlichen Abseite ihn zeigt (wie eine andere St. Georg in der südlichen Abseite), führen ihn Urkunden aus der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Reihe der Patrone erst hinter Stephan und Simon und Judas an 4 ).
Eine Erklärung dafür habe ich nicht, darf aber wegen St. Nicolai wohl darauf hinweisen, daß zugleich mit den entsprechenden Bautheilen Hochaltar und Frühmessenaltar geweiht wurden, für die theilweise verschiedene Heilige zu besonderer Verehrung erkoren sein mochten. Und wegen St. Jürgens scheint die mir gegenüber ausgesprochene Ansicht beachtenswerth, man habe nach Begründung des neuen Kirchspiels 5 ) St. Martin anfangs in den Vordergrund geschoben, um die Erinnerung an das früher dort bestehende Hospital 6 ) zu verwischen. Auf alle Fälle mögen diese Beispiele zur Warnung dienen, aus vereinzelt überkommenen Nachrichten nicht zu rasch allgemeine Schlüsse zu ziehen.
Wismar 1894, April 29.
F. Techen , ph. Dr.