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der
Vortrag bei der Jahresversammlung des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde zu Wismar. 1890, Juli 11.
Von
Dr.
F. Crull.
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Meine Herren.
Herr Archivrath Grotefend wünschte, daß ich Ihnen heute über die Kunstthätigkeit früherer Zeit in unserer Stadt berichten möge, und ich erklärte mich auch dazu bereit, ohne zu bedenken, daß einerseits die Zeit zur Abfassung eines solchen Berichtes für mich zu kurz war, und andererseits für einen mündlichen Vortrag derselbe zu umfangreich ausfallen würde. Somit muß ich mich darauf beschränken, Ihnen die Entstehung der Bauten zu schildern, welche Sie heute Morgen in Augenschein genommen haben.
Bekanntlich nahm Rostock unter den wendischen Städten den dritten Platz ein, Wismar dagegen den fünften, und während diese Stadt vor ihrer Lostrennung von Meklenburg den achtzehnten Theil der Landessteuern zu zahlen hatte, entfiel auf jene der zwölfte Theil. Diesem gegenüber, der durch die Lage bedingten größeren Bedeutung Rostocks, ist es auffallend, daß die Pfarrkirchen Wismars so viel ansehnlicher sind, als die der reicheren und mächtigeren Stadt, ja, auch ansehnlicher als diejenigen Lübecks, wenn wir von
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der dortigen Marienkirche absehen. Denn in Lübeck ist es eben nur diese Kirche, in Rostock ebenfalls die Marienkirche, und in Stralsund und Lüneburg sind es allein die dortigen S. Nicolaikirchen, welche ein Hochschiff haben mit polygonal geschlossenem Chore, um welchen sich die Abseiten als Umgang herumziehen, dem dreiseitige Capellen derartig angefügt sind, daß jedes Compartiment des Umganges sammt der entsprechenden Capelle von einem sechskappigen Gewölbe überdeckt ist, eine Anordnung, welche sich aus früherer Zeit fern im Westen an den Domen zu Doornik und Utrecht, hier Landes außer an den vorhin genannten Kirchen an dem Dome zu Schwerin und dem Münster zu Doberan, sowie im Norden an den S. Peterskirchen zu Malmö und Riga findet, wogegen wir in Wismar zwei dergleichen Kirchen, Marien und S. Nicolai, haben und eine dritte, S. Jürgens, welche, wenn auch in anderer Weise erbaut, jenen an Umfänglichkeit, Großartigkeit keineswegs nachsteht. Eine Erklärung dieser Erscheinung versuchen, würde viel Zeit und Geduld erfordern und überdem mit wenig Aussicht auf befriedigenden Erfolg begleitet sein, und muß es daher genügen, über die Entstehung dieser und anderer Denkmäler der Frömmigkeit, des Unternehmungssinnes und des Kunstinteresses unserer Vorfahren zu berichten.
Es kann nicht dem mindesten Zweifel unterliegen, daß man sofort nach Gründung der Stadt gegen 1230, welche zunächst nur die Kirchspiele Marien und S. Nicolai begriff, Bauten für den Gottesdienst errichtet hat, Nothbauten, die, wenn nicht ganz aus Holz, was nicht glaublich erscheint, doch nur in Holzverband mit Lehmwänden hergestellt waren, aber ebenso sicher darf man annehmen, daß man gleichzeitig deren Ersetzung durch solidere Bauwerke ins Auge faßte und zu solchen die Opfergaben der Gläubigen sammelte. Wie lange es dauerte, daß sich diese so mehrten, um monumentale Bauten in Angriff nehmen zu können, darüber wissen wir nichts, denn wenn auch in den wenigen Testamenten, die sich aus dem 13. Jahrhundert erhalten haben, nirgend Vermächtnisse ad opus, zum Bau einer oder mehrerer Kirchen fehlen und die Stadtbücher Gaben verzeichnen, so darf man dorther doch nicht, wie es früher häufig irrthümlich geschah, den Schluß ziehen, daß zur Zeit der Abfassung der Testamente oder der Eintragung der Schenkungen ein Bau an der betreffenden Kirche im Gange war: jene Legate und Zuwendungen wurden nur im Allgemeinen dem Werkhause gemacht und finden sich das ganze Mittelalter hindurch und selbst noch in der nächstfolgenden Zeit. Wir haben aber Aufzeichnungen, nach denen unzweifelhaft zwischen 1270 und 1280 an S. Nicolai
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gebaut worden ist, und dürfen daher auch wohl annehmen, daß solches bei S. Marien, der Hauptkirche, ebensalls stattfand, eine Vermuthung, welche durch den Thurmbau dieser Kirche durchaus bestätigt wird, denn da regelmäßig die kirchlichen Bauten, mit dem Chore anfangend, allmählich nach Westen fortschritten, Thürme also zuletzt zur Ausführung kamen, so muß, da unser Thurm ersichtlich älter als die jetzige Kirche ist und der Früh=Gothik angehört, die frühere Kirche, diejenige, welche er abschloß, im Uebergangsstile ausgeführt gewesen sein, welcher eben zur obgedachten Zeit noch keineswegs bei uns aufgegeben war. Der Thurm ist aber nicht bloß ein Document für die Bauzeit und den Stil der früheren Kirche im Allgemeinen, sondern gestattet auch Schlußfolgerungen bezüglich der Gestaltung derselben, denn es ergiebt sich aus dem Grundrisse der Gesammtanlage des Thurmes, aus der Anordnung dreier Fenster von gleicher Höhe im Erdgeschosse, aus dem im Dachraume des Hochschiffes der jetzigen Kirche sichtbaren Reste des Frieses, welcher das erste Geschoß des Thurmes umzieht, und den Abbruchsspuren an der östlichen Ecke der südlichen Thurm=Abseite, daß der Thurm zu einer Kirche gehört, welche drei gleich breite und gleich hohe Schiffe hatte, die von einem einzigen Dache bedeckt waren, dessen First nicht über den genannten Fries hinausreichte; nach den Halbpfeilern an der inneren Thurmwand zu schließen, hatte die alte Kirche rechteckige Pfeiler, und wahrscheinlich einen Chor, welcher mit einer geraden Wand abschloß.
Nicht allzulange hat man sich mit diesem Gotteshause zufrieden gegeben, sondern etwas Bedeutenderes an dessen Stelle setzen wollen: die heutige Kirche. In Bezug auf deren Bau sind zwei Daten auf uns gekommen, ein Vertrag, welchen die Vorsteher mit Meister Johann Grote behufs Fertigstellung des Chores und der Kirche abgeschlossen haben und zwar nach einem Historiker des vorigen Jahrhunderts 1339, und eine Aufzeichnung über die Consecration des Chores, nach welcher solche am 3. März 1353 stattgefunden hat, während eine Inschrift an einer Capelle der Südseite das Datum des 6. Mai 1339 enthält. Mag diese Inschrift nun unvollständig sein oder nicht, so kann sie doch kaum aus etwas anderes sich beziehen, als auf den Bau der Capelle, und würde es demnach in Beihalt des Datums der Vereinbarung, welches anzuzweifeln kein Grund ist, sich ergeben, daß Johann Grote die Längsfaçaden der Kirche fertig vorfand. Dazu stimmt auch, daß die Einzelnheiten letzterer, welche nur in den dem Thurme zunächst befindlichen Travéen — die Portale dort sind später eingebrochen — sichtbar erhalten sind, einer bei weitem älteren Zeit, der Früh=Gothik
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angehören und auch älter sind als der Chorumgang, welcher aber auch vor Johann Grotes Zeit fällt, da seine Formen viel edler sind als die dessen, was jener ohne Zweifel ausgeführt hat. Dieser Umgang hat die größte Aehnlichkeit mit demjenigen des Domes zu Schwerin, welcher meines Erachtens nicht jünger als der Chor selbst und muthmaßlich vor 1314 zu datiren ist, zeigt jedoch eine entwickeltere Anordnung der seitlichen Capellenfenster, und wird man kaum fehlgehen, wenn man unseren Umgang gegen 1320, die Seitenfaçaden aber in den Anfang des Jahrhunderts setzt. Auch die Arkaden, mindestens die des Chores, hat Johann Grote, wie Crain gewiß richtig in einer Gelegenheitsschrift von 1853 annimmt, vorgefunden, und zwar das Mauerwerk oberhalb des Arkadengesimses bis zu einer Höhe von ein paar Metern, und dann den Bau des Chores zu Ende geführt, so daß derselbe angegebenermaßen Lätare 1353 geweiht werden konnte, wobei er aber leider nur, soweit er mußte, seinem Vorgänger gefolgt ist und, wohl im Einverständniß mit den Vorstehern, u. a. am Hochchore den schönen Fries des Umganges nicht wiederholt, den Chor so hoch geführt, daß der First mitten auf das zweite Stockwerk des Thurmes trifft, und die ältere Anordnung der Dienste im Chore theilweise verändert hat. Nach Vollendung des Chores baute man die Kirche fertig, womit man nach der Zeit, die man zum Chore brauchte, 1367 zu Ende gekommen sein müßte; Johann Grote wird auch, wenn schon nicht ausdrücklich als bei der Kirche beschäftigt, in diesem Jahre zuletzt genannt. Das Bauen an derselben hat aber dann noch nicht aufgehört. Daß bereits 1339 die Capelle der Kröpelin an der Südseite angebaut wurde, ist bereits erwähnt; ziemlich gleichzeitig stiftete auch der Vorsteher Hinrick Hogewarde eine solche, welches die am südöstlichen Theile des Umganges belegene sein mag. Demnächst dürften die beiden gleichzeitig erbauten, neben der Kröpelinen=Capelle belegenen Capellen entstanden sein, die mit jener gleiche Außenarchitektur zeigen, und dann die letzteren entsprechenden Capellen der Nordseite. Später als diese ist die östlich daranstoßende, urkundlich 1388 consecrirte Capelle errichtet und, da sie mit ihr in Verband steht, auch die nördliche Halle. Wenig später als letztere mag man die Sacristei gebaut haben; 1390 wurde in ihrem oberen Geschosse eine Messe gestiftet. Die jüngsten der noch erhaltenen Anbauten sind die der Sacristei correspondirende Knochenhauer=Capelle und die mit dieser in Verband stehende südliche Halle, welche, in sehr roher Weise der Abseite angefügt, 1414 zuerst als novum edificium, dat nige buwte, vorkommt, ein Name, der ihr noch langehin verblieb. Nicht mehr vorhanden sind die zwischen
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1410 und 1420 erbaute Capelle der Krämer und eine Capelle neben derselben, welche vielleicht erst dem 16. Jahrhundert angehörte; sie sind in den dreißiger Jahren abgebrochen. Ihre Stelle an dem nordöstlichen Theile des Umganges zeigt der derzeitig ausgeführte Verschluß deutlich genug an, welcher, so ungeheuerlich er erscheint, doch noch als abschreckendes Exempel bei Wiederherstellungsarbeiten dienen kann. Sieht man auch von diesen Capellen ab, so begreift doch die Bauzeit der Kirche einschließlich des Thurmes über hundert Jahre, ein Zeitraum, der sich allerdings im Aeußeren mehr kenntlich macht als im Innern, welches bei aller Würde und Erhabenheit, die man ihm nicht absprechen kann, doch bei der übergroßen Höhe (114 Hamb. Fuß oder 32 1/2 m) eigentlicher Schönheit entbehrt und gegenwärtig um so mehr, als man bei Errichtung des prahlerischen Altaraufsatzes 1749 Triumphkreuz und Chorgitter, nach 1816 den kleinen Altar entfernte, 1840 die Taufe von ihrer Stelle im Mittelschiffe brachte und mit einem anmaßlichen Orgelbau weit in das Schiff vorrückte, endlich vor einigen Jahren die Thurmabseiten völlig schloß, Maßregeln, welche die im Verhältniß zur Höhe unerfreuliche Kürze der Kirche erst recht ins Auge fallen lassen.
Gegen das Ende der Bauthätigkeit an der Marienkirche entschloß sich auch die S. Nicolai=Gemeinde ihre Pfarrkirche in ähnlicher Weise wie jene, stattlicher, großartiger, ihrer Bestimmung würdiger zu gestalten, und es ist uns ein im Original nicht mehr vorhandener Contract unter dem Jahre 1381 überliefert, welchen die Vorsteher mit Hinrick v. Bremen, des Rathes Maurermeister, zum Neubau abschlossen, während ein hundert Jahre später schreibender Chronist die Gründung des Chores in das Jahr 1386 setzt. Von einer Erklärung dieser Differenz läßt sich wohl absehen und wird es genügen zu sagen, daß vermuthlich der Umgang und die Capellen neben dem Chore, deren Steine mit einem Buchenblatte gestempelt sind, zunächst ausgeführt wurden, hiernach die Chorpfeiler und =Arkaden, deren Steine als Stempel eine Rose zeigen, und endlich der Lichtgaden des Chores, dessen Steine mit einem Merk gezeichnet sind. Zwischen 1406 und 1415 ist der Chor mit Bedachung versehen worden. Dann hat der Bau vollständig geruht bis zum Jahre 1434, also fast ein Menschenalter hindurch, wurde hiernächst aber mit Macht seiner Vollendung entgegengeführt. Im gedachten Jahre erbaute man die zur Aufnahme der kleinen Orgel bestimmte nördliche Halle nebst den westwärts daranstoßenden Capellen, 1437 führte Hermen v. Münster, Raths=Maurermeister, die südliche Halle, dat likhus, und die unterwärts belegenen Capellen auf, und 1439 ging man an den Bau des Schiffes, welches 1459 vollendet und
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am 23. September d. J. consecrirt wurde. Der Beschluß der Bauthätigkeit an der Kirche selbst durch Einwölbung ist unmittelbar daraus in Angriff genommen. Der alte Thurm wurde bis auf den Unterbau, welchen man conservirte, 1485 abgebrochen und in der verhältnißmaßig kurzen Zeit von zwei Jahren durch Hans Mertens neu aufgeführt; die Ausführung des hohen Helms, welcher denselben bis zum 8. December 1703 schmückte, wird gleich darauf erfolgt sein. S. Nicolai ist eine Copie von der Marienkirche, aber eine organisch durchgebildete und darum und wegen der gleichmaßigen Bildung der Formen und Einzelnheiten erfreulicher als letztere, wenn auch das Mißverhältniß der Abmessungen hier noch größer, insbesondere die Höhe — 37 m — noch mehr übertrieben ist, und die Details den Niedergang des Stiles deutlich kundgeben. Am wenigsten lobenswerth ist der Thurm, den Hans Mertens in rohen Formen und ohne Verständniß in ebenso unschöner Weise angeschlossen hat, wie es an der Marienkirche geschehen ist.
Das Unternehmen zu S. Nicolai regte wiederum den Neubau von S. Jürgenskirche an. Das Kirchspiel S. Jürgens kam erst etwa zwanzig lahre, wie es scheint, nach Gründung der Stadt zu dieser hinzu, und dessen Pfarrkirche wurde dem Ritter S. Jürgen dedicirt, da ein S. Jürgens Siechenhaus, ein Hospital für Aussätzige in der neuen Parochie lag, welches nunmehr weiter westlich an die Köppernitz hinausgelegt und nach dem in unseren Seestädten so beliebten Apostel S. Jacob d. ä. benannt wurde. Die neue Pfarrkirche, deren Patronat 1270 der Deutsche Orden erhielt, wird verhältnißmäßig früh in solider Weise hergestellt sein, da bereits 1286 der Thurm derselben erwähnt wird, doch ist von diesem Bau nichts mehr erhalten. Der älteste Theil der jetzigen Kirche, der Chor, welcher in neuester Zeit durchaus ungehörig als Martinskirche — S. Martin war Compatron — bezeichnet worden ist, wird schwerlich vor 1300 und wahrscheinlich ein paar Decennien später fallen; ein Holzlieferungscontract für den Ziegelofen der Kirche von 1332 und ein Ablaßbrief von 1360 könnten sogar vermuthen lassen, daß der Bau im letztgenannten Jahre noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Dieser ältere Theil hat mit dem Umgange der Marienkirche den Fries gemein, die Gliederung der Schmiegen der Portale und Fenster, auch ein durch Strebebogen gestütztes Hochschiff, dem wie bei der Marienkirche der Fries fehlt, aber er unterscheidet sich durch die Viertheiligkeit der Fenster der Abseiten und ganz besonders dadurch, daß der Chor ohne Ausbildung eines Umganges nicht polygonal, sondern durch eine grade Wand abgeschlossen ist, sodaß also in der allgemeinen Anordnung eine Verwandtschaft mit
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der Pfarrkirche zu Güstrow vorliegt. Nach Ablauf des 14. Jahrhunderts machte man sich aber an einen Neubau, indem man 1404, wie eine Inschrift besagt, mit dem Thurmbaue begann. Dann hat der Bau geruht, bis der schon genannte Hermen v. Münster Werkmeister und zugleich Baumeister der Kirche wurde, als welcher er 1442 bis 1449 urkundlich nachweisbar ist. Er legte das Fundament der neuen Kirche, des höheren Theils derselben, welche aber nur bis zur ersten Travée des Chores einschließlich fertig geworden ist. Die Thätigkeit Hermens v. Münster, dessen Merk an einer Arkade der Nordseite sichtbar ist, ist an den auch bei S. Nicolai angewendeten Details deutlich zu erkennen, doch hat er sich bezüglich der Pfeilerbildung, der Gliederung der Arkaden, der Anordnung der Dienste nach S. Marien und S. Jürgens Chore gerichtet, wie schon sein Vorgänger den Grundriß von Marien=Thurmbau seinem Neubau genau zu Grunde legte. Aus letzterem Umstande resultirt nun, da Hermen v. Münster an das vorgefundene anknüpfte, eine Grundverschiedenheit dieser Kirche von den beiden anderen, indem der Thurmunterbau einer frühen Hallenkirche entspricht, mithin die Seitenschiffe im Verhältnisse zum Mittelschiffe erheblich breiter sind, als in den beiden andern Kirchen, wozu dann noch kommt, daß die S. Jürgenskirche eine wirkliche Kreuzkirche ist, während jene nur im Grundrisse als Kreuzkirchen erscheinen, und zwar eine Kreuzkirche, deren Arme gleich lang sind, ein griechisches Kreuz bilden, denn mir wenigstens erscheint es nicht zweifelhaft, daß für die neue Kirche ein ebenso rechteckig geschlossener Chorschluß projectirt ist, wie die ältere Kirche ihn zeigt, sodaß also noch zwei Travéen der neuen Kirche zur Vollendung fehlen würden. Diese ist nicht erreicht; man hatte seine Mittel überschätzt, und schon 1464 entschloß sich, wahrscheinlich auf Andringen der Vorsteher, der Rath zu dem damals noch seltenen Schritte, Collectanten auszusenden um Gaben einzusammeln. Wann die Bauthätigkeit abgeschlossen ist, läßt sich nicht angeben, doch ist es zweisellos vor 1497 geschehen, da in diesem Jahre der schon genannte Hans Mertens starb, dessen Name am äußersten Gewölbe des nördlichen Kreuzarmes zu lesen ist. Einzig die fürstliche Tribüne östlich neben der Sacristei erweist sich als ein Bau des 16. Jahrhunderts: sie ist 1316 erbaut. Trotzdem, daß die Kirche nicht vollendet worden, ist das Innere derselben doch von mächtigster Wirkung. Gewissermaßen Combination einer Hallenkirche, einer basilicalen, einer Kreuzkirche, ja, wenn man sich den Bau derartig vollendet denkt, wie mir obbesagtermaßen wahrscheinlich däucht, etwa selbst an einen Centralbau erinnernd, darf der Entwurf gewiß als eines begabten und
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unternehmenden Meisters würdig erachtet werden, der noch höher zu stellen wäre, wenn seine Berechnungen nicht zu wünschen übrig ließen, deren Mangelhaftigkeit vor kurzem zu Maßnahmen Anlaß gegeben haben, welche den majestätischen Eindruck der weiten Räume erheblich beeinträchtigen.
Aus dem Vorgetragenen ergiebt sich, daß es nur ganz kurze Zeiträume waren, in denen während des 14. und 15. Jahrhunderts an den noch vorhandenen Kirchen nicht gebaut worden wäre, aber es entstanden neben diesen während der gedachten Periode auch noch andere für gottesdienstliche Zwecke errichtete Baulichkeiten, theilweise von ansehnlicher Größe, die aber entweder untergegangen oder doch in wenig erfreulichem Zustande aus uns gekommen sind.
Die grauen Mönche oder minderen Brüder, die Franciscaner, erwarben 1251 oder 1252 einen Platz zu einem Kloster in der Stadt, für welches nach einer inschriftlichen Ueberlieferung eine Kirche am Schlusse des Jahrhunderts erbaut wurde. Von dieser ist jedoch nichts erhalten, denn die spärlichen Reste der südlichen Chorwand, welche heute noch vorhanden sind, sowie der — von Crain mitgetheilte — Grundriß sprechen durchaus für einen Bau des 14. Säculums, wofür auch eine späte Nachricht vorliegt. Nach diesem Grundrisse und verschiedenen Abbildungen war die Kirche dreischiffig, vielleicht mit höherem Mittelschiffe, hatte einen polygonal geschlossenen Chor ohne Abseiten, und an dem schlicht dreieckigen Giebel erhob sich jederseits ein Windelstein. Der Rest der Klostergebäude, die Große Stadtschule, wird dem Anfange des 16. Jahrhunderts angehören. Der Kreuzgang ist im vorigen Jahrhundert abgebrochen wegen Baufälligkeit, welche auch für den Abbruch der Kirche im Jahre 1810 als Grund angegeben wird. Die sehr schlichten, späten Bauten südlich neben dem Chor wurden vor funfzig Jahren niedergelegt um eine Gewerbeschule an ihrer Stelle zu errichten. Rücksichtslos ist der Chor der Kirche, in dem sieben Mitglieder unseres Fürstenhauses ihre Ruhestätte fanden, zu Hof und Garten für die ehemalige Rechenmeister=Wohnung hergegeben.
Etwa ein Menschenalter später als die Minoriten sind die Schwarzen Mönche oder Predigerbrüder, die Dominicaner, in die Stadt gekommen. Ihre ansehnliche, wenn auch in einfachen Formen, so doch in schönen Verhältnissen im 14. Jahrhundert erbaute Kirche, welche derjenigen der grauen Mönche glich, mußte wegen unzweifelhaftter Baufälligkeit, insbesondere wegen Ueberweichens des mächtigen Giebels 1878 abgebrochen werden, und nur der jüngere, von Merten
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Kremer erbaute und 1397 consecrirte Chor blieb, da er in gutem baulichen Stande, aus Verwendung des Baumeistes H. Thormann erhalten und wurde zu Zwecken der Mittelschule, welche an Stelle der Kirche durch H. Brunswig ausgeführt wurde, eingerichtet.
Zu längerer Verpflegung Einheimischer, kürzerer für bedürftige Wanderer wurde in der Mitte des 13. Jahrhunderts zwischen Alt= und Neustadt das Haus zum heiligen Geiste gestiftet, dessen ziemlich große, ein längliches Rechteck bildende ungewölbte Kirche aber kaum vor dem 14. Jahrhundert erbaut, und deren Altar jedenfalls erst 1326 consecrirt ist. Die Südseite, der man wegen Ueberweichens in jüngerer Zeit Strebepfeiler gegeben hat, zeigt strengere Formen als die Nordseite, soweit letztere erhalten ist, denn man hat nicht allein eine größere, sondern auch noch drei kleinere Capellen dieser angebaut, von denen die der Pforte westwärts zunächst belegene zwischen 1395 und 1419 geweiht worden sein wird. Die Giebel der Kirche sind 1665 neu aufgeführt.
Von der Kirche des Aussätzigenhauses zu S. Jacob besitzen wir weder Nachricht über ihre Erbauung noch über ihre Gestalt; sie wurde bei der schwedischen Belagerung 1631 ruinirt. Ebensowenig ist von der Capelle zum h. Kreuze aus dem vormaligen Kirchhofe von Alt=Wismar etwas übrig, die, 1481 qeweiht, bereits 1563 zum Bau einer Wasserkunst vor dem Alt=Wismar=Thore abgebrochen worden ist.
Zu Menschen Gedenken, nämlich 1850, ist die aus der nordwestlichen Ecke des Marien=Kirchhofes zur Sühne für die Hinrichtung zweier Rathsmitglieder erbaute, im Anfange der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts consecrirte Capelle frivoler Weise abgebrochen worden. Es war ein bei der Seltenheit derartiger Bauwerke und der sicheren Datirung, auch seiner historischen Bedeutung wegen, schätzbares Werk von zwei Gewölben Länge mit einem Walmdache, einfach, tüchtig und gediegen, aber architektonisch allerdings nicht von hervorragender Bedeutung.
Solche darf man jedoch der aus der südwesttichen Ecke des eben genannten Kirchhofes errichteten Capelle Marien zur Weiden, sub salice, zuerkennen, welche, im Aeußeren ganz aus glasirten Ziegeln hergestellt, neben den besten Verhältnissen die Details unserer Blüthezeit des gothischen Stiles zeigt. Darnach steht sie dem Umgange der Marienkirche äußerst nahe, und wenn dazu 1324 ein Vicar an ihr genannt wird, so erscheint es kaum zweifelhaft, daß sie in diesem Jahre bereits bestand. Leider befindet sie sich in einem sehr ruinosen Zustande, aus welchem sie gerettet zu sehen kaum gehofft werden kann.
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Diejenigen, welche diese besprochenen monumentalen Bauten aufführten, waren Maurermeister, stenwerchten oder stenwerter, lapiscidae, welche nicht etwa bloß für die Aufsicht ihren Groschen einzogen, sondern auch das Ziegel= und Kalkbrennen besorgten und selbst mit der Kelle mitarbeiteten. Daß sie nach Rissen gearbeitet hätten, die ihnen von Anderen in die Hand gegeben wären, erscheint wenig wahrscheinlich, da eine künstlerische, wenigstens baukünstlerische Thätigkeit der Geistlichkeit, wie in früherer Zeit, im 14. oder gar 15. Jahrhunderte gewiß nicht mehr statthatte, und man das Können der damaligen Handwerker entschieden nicht nach dem der heutigen beurtheilen darf, es spricht vielmehr für eine Ausführung durch die Auftraggeber in allgemeiner Weise ertheilter Dispositionen durch bürgerliche Kräfte, daß nicht allein die Verhältnisse der Abmessungen zu einander erheblich von dem hergebrachten Kanon abweichen, besonders die Höhenbewegung außerordentlich übertrieben ist, sondern auch die Einzelnheiten vielfach Unbeholfenheit, mehr und mehr zum Theil sogar geradezu Rohheit zeigen. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß es mehr die Größe der in Einer Stadt, und zwar einer von secundärer Bedeutung, entstandenen Kirchen ist, welche das Interesse an denselben erregt, als die Schönheit ihrer Verhältnisse oder die Feinheit ihrer Details. In ersterer Beziehung stehen unsere Kirchen dem Doberaner Münster, auch dem Schweriner Dome weit nach und bezüglich letzterer werden sie von dem alten Theile von S. Marien in Rostock, von S. Jacobi und S. Petri daselbst erheblich übertroffen.
Außer diesen gottesdienstlichen Gebäuden finden sich in Wismar noch drei kirchliche, welche der Ausmerksamkeit werth und deren zwei von hervorragender Bedeutung sind. Ganz besonders ist die Alte Schule bei der Marienkirche ein nicht bloß in seinen Verhältnissen höchst zierlicher, sondern auch in seinen Einzelnheiten so ausgezeichneter Bau, daß derselbe die höchste Werthschätzung verdient, und daß man wohl sagen darf, es gebe im Gebiete des norddeutschen Ziegelbaues kein Bauwerk ähnlicher Art, welches ihm an die Seite gestellt werden könnte. In der That wird dasselbe, von dem vor etwa 25 Jahren dem Musikantenhause zu Liebe leider eine Abtheilung weggebrochen ist — der Ostgiebel ist also neu; der ursprüngliche, schlicht dreieckige hatte nur fünf einfache schmale Nischen mit abgerundeten Ecken —, der Blüthezeit des Spitzbogenstiles angehören, was nicht bloß aus den Bauformen an sich, sondern auch in Beihalt gewisser Umstände geschlossen werden darf. Es findet sich nämlich an der südlichen Façade ein Fries von vier in ein Ouadrat zusammengefügten Dreiblättern, und ganz denselben Fries
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sieht man auch am ersten Geschoß vom Marien=Thurm. Da wir diesen aber nothwendig noch dem 13. lahrhunderte zuschreiben mußten, der gedachte Fries sonst nirgends vorkommt, eine langjährige Aufbewahrung überschüssigen Materials oder der Formen oder eine spätere Nachbildung höchst unwahrscheinlich ist, so wird man die Alte Schule umsomehr der Zeit. um 1300 zuschreiben dürfen, als 1297 der Rath mit dem damaligen Scholasticus einen Vertrag abschloß, nach welchem jener die Schule, welche übrigens schon 1289 an derselben Stelle lag, non kirchlichen Mitteln, d. h. aus dem Beutel der Kirchenfabrik, bauen und bessern sollte. Bei der Restauration des in bösem Verfall begriffenen Gebäudes ist möglichst gewissenhaft verfahren, doch nöthigte die jetzige Bestimmung desselben zum culturhistorischen Sammelplatz die Anordnung der Fenster auf der Südseite zu ändern.
Wenngleich nicht so anziehend und bedeutend wie die Alte Schule, ist doch U. L. Frauen=Capellanei, südöstlich bei der Kirche, aller Ausmerksamkeit werth. Wie wesentlich alte Wohnhäuser ein Giebelhaus, unterscheidet sie sich doch von solchen durch das Fehlen eines Entresols, durch die schmalen zweilichtigen Fenster — das dreilichtige an der Sargmacherstraße, welches die Stelle zweier schmalen einnimmt und jüngeren Ursprungs ist, mußte belassen bleiben, um den Giebel nicht zu gefährden — und den Eingang über einen Hof aus der Hinterseite. Die Details des Bauwerks sprechen klar dafür, daß dasselbe ungefähr in der Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut worden ist. Bedauerlich reichten die vorhandenen Mittel nicht, um bei der Restauration auch den Hintergiebel wiederherzustellen.
Die Pfarre derselben Kirche besteht außer einem kleinen Fachwerkshause und einem 1576 errichteten, aus einem in den einfachsten Formen gehaltenen Hauptbau, welcher aus dem Grunde in die Zeit um 1500 anzusetzen sein dürfte, als über den Fenstern, die in Nischen angebracht sind, welche das Bodengeschoß mit begreifen, Entlastungsbogen gespannt sind, an deren Stelle wir sonst überall starke Balken finden. Ohne hervorragende architektonische Bedeutung im Einzelnen, bildet dieser Gebäudecomplex eine höchst malerische Gruppe, für die wohl auch einmal die Stunde zu schicklicher Herstellung schlagen wird, wie nicht minder für den Todtentanz, welcher in dem Saale des Haupthauses unter der Tünche verborgen ist.
Profanbauten aus älterer Zeit haben nur wenige sich erhalten oder sind doch so verunstaltet, daß ihr einstiger architektonischer Werth kaum noch zu erkennen ist. Lübeck und Stralsund haben ihre alten Rathhäuser behalten und würdig wiederhergestellt, und die Möglichkeit dazu, zu einer Wiederherstellung, scheiut doch auch
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in Rostock nicht ausgeschlossen. Wismar ist nicht so glücklich. Sein Rathhaus brannte 1350 nieder. Das dann erbauete bestand aus einem mit der Längsfaçade dem Markte zugekehrten, vermuthtich zweigeschossigen Hause, an dessen Westgiebel sich ein marktwärts vorspringender. ohne Zweifel gegen Abend mit einem Blendgiebel von sechs Compartimenten geschmückter, auswärts gänzlich aus glasirten Ziegeln hergestellter Bau schloß. Jener Blendgiebel ist um 1600 durch zwei Renaissance=Giebel ersetzt worden, wie denn überhaupt das Rathhaus im Laufe der Zeit mit allerlei Verschönerungen bedacht worden ist. Dieser Bau diente seiner Bestimmung bis 1807, wo er durch Zusammenstürzen des Daches unbrauchbar wurde. Ein neuer, der jetzige, wurde 1817/19 ausgeführt, wobei von dem alten Mauerwerk viel conservirt wurde und namentlich auch von dem westlichen Theile die aus zwei Reihen von je sechs Gewölben bestehende Halle sowie der schöne Keller kenntlich erhalten blieb, letzterer freilich durch Herstellung eines östlichen Flügels gründlich beeinträchtigt.
Hinter dem Rathhause lag eine Reihe Buden, die Schusterbuden genannt, die ein einziges Gebäude gebildet haben werden. Die Rückseite einer Bude hat sich bis heute erhalten und scheint es nach dem Bodengeschosse, daß sie der letzten Zeit der Gothik angehört, während der Fries unter demselben auf ein höheres Alter deutet.
Westlich an diese Buden, durch einen Durchgang, den Schwibbogen, von ihnen getrennt, stößt die ehemalige Wohnung des Cämmereidieners, gleichfalls eine Bude, die einzig derartig erhaltene, daß man die Einrichtung einer solchen Baulichkeit erkennen kann. An diese schließt sich die Rathsapotheke, ein offenbar ursprünglich sehr elegantes Giebelhaus, welches leider, besonders in neuerer Zeit, stark modernisirt ist aber doch die alten Formen leidlich erkennen läßt. Es gehört ersichtlich dem 15. Jahrhundert an und zwar wohl der ersten Hälfte desselben.
Die Westseite des Marktes nahmen zwei öffentliche Gebäude ein. Das von dem Durchgange "beim Salzfasse" nordwärts gelegene enthielt 12 oder 13 Buden, die Lowents= und Leinenbuden, mit Fronten sowohl nach dem Markte wie nach der Hege. Vordem von der Cammerei vermiethet, wurden sie später veräußert und Wohnhäuser daraus gemacht, mit denen man marktwärts und hinterwärts ausrückte. Nur eines der letzteren enthält noch alte Reste, die oberhalb des Daches zu Tage liegen. Ein vor mehreren Jahren unternommener Neubau gestattete das Bauwerk als dem 15. Jahrhunderte angehörig zu schätzen.
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Südwärts in derselben Reihe lagen gleichfalls Buden, aber nur an der Hege. während marktwärts Schrangen sich an sie lehnten. Zwei dieser Buden waren wohlerhalten bis 1858, wo sie abgebrochen wurden um dem Neubau einer Hauptwache Platz zu machen. Sie werden dem Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts angehört haben.
Der Stadt=Marstall, Herren=Stall, links beim Ausgange aus dem Altwismar=Thore, 1864 durch ein Wohnhaus ersetzt, war ein langes massives Haus mit Fachwerksgiebeln neueren Datums, offenbar von hohem Alter, aber ohne architektonische Bedeutung. Jünger, etwa dem Anfange des 16. Jahrhunderts angehörend, war die Herren=Schmiede rechts am gedachten Thore, wie man bei einem Durchbau vor einigen Jahren sehen konnte.
Von den Mauern der Stadt ist allein die südliche Hälfte etwa erhalten, ihr Zinnenkranz jedoch nur an wenigen Stellen noch zu sehen. Mit der Mauer sind natürlich auch die Reste der sie unterbrechenden, theils viereckigen, theils halbrunden Mauerthürme, der wikhusere, geschwunden und nur ein einziger am Lindengarten, der zur Wasserleitung dient, erhalten. Wie die Mauerthürme sind auch die Thore gefallen. Das thurmartige Lübsche Thor ging beim Auffliegen der Pulverthürme 1699 zu Grunde, das hausähnliche Meklenburger nahm ein Ende bis auf die Durchfahrt, als dieselbe beim letzten Festungsbau verlegt wurde, das gleiche Altwismar=Thor wurde in Folge des Schadens, den es in der Franzosenzeit nahm, abgebrochen und das Pöler Thor 1870, angeblich, weil es den Verkehr behindere. Es war ein mit einem achteckigen Helm versehener ansehnlicher Thurm, welcher feldwärts ganz schlicht, stadtwärts mit zwei Doppelnischen und einer Rosette darüber geschmückt war und unterhalb des Daches einen Fries von Vierblättern zwischen Rundstäben hatte. Das Thor hatte große Aehnlichkeit mit dem Gefangenthurme am Altwismar=Thore und gehörte mithin wie dieser dem Ende des 14. Jahrhunderts an. Das hausartige Große Wasserthor, die Höllenpforte, verdankt seine Erhaltung dem Umstande, daß Lübcke die innere Ansicht der Abbildung werth gehatten hat. Der dem Hafen zugekehrte Giebel, welcher ursprünglich fünf Stufen und ebenso viele einfache schlichte Blenden zeigte, ist um 1600 einfach dreiseitig zurechtgemacht und diese Form, aus Sparsamkeitsrücksichten vermuthlich, sowohl bei der Reparatur von 1859, wie bei der gegenwärtigen beibehalten. Das ehemalige Neue Thor, spätere Fischer=Thor, ist zu unbekannter Zeit untergegangen.
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Von bürgerlichen Wohnhäusern aus dem Mittelalter hat sich äußerst wenig erhalten und wird voraussichtlich immer mehr verschwinden. Die alten Häuser waren nur für eine Familie eingerichtet und befriedigten die bescheidenen Ansprüche unserer Vorfahren, aber heutzutage genügen Häuser mit zwei, drei, höchstens vier Zimmern nicht und das Aufkommen von Miethswohnungen hat die Kasernen zur Folge, ohne Dielen und Vorplätze, nur mit Corridoren und recht vielen Zimmerchen, von denen das größte und beste allein zum Ausstellen der ungebrauchten "guten" Möbeln dient, und dessen Haupterforderniß der Spiegelpfeiler ist. Abgesehen von der Marien=Capellanei und Pfarre habe ich noch 35 mittelalterliche Giebel in Wismar gekannt. Vollständig erhalten waren nur drei, die übrigen theils durch Abbrechen, theils durch Ausmauern dem herrschenden Zeitgeschmacke nach verändert und besonders um ihre Stufen gekommen, und solche existiren gegenwärtig nur noch etwa sechszehn. Eine chronologische Bestimmung der einzelnen Giebel ist daher schon nur in bedingtem Maße möglich, und außerdem, da sie theils abgeputzt sind, theils so einfach, daß man sie ebensowohl dem 14. wie dem 15. Jahrhundert zuschreiben kann. Den alten Giebel am Markte, sowie den von Wädekins Hôtel, beide leider nicht intact erhalten, wird man mit einiger Sicherheit in den Schluß des 14. Jahrhunderts setzen dürfen, da ihre Verwandtschaft mit der Sacristei von der Marienkirche und der Capelle im Nordosten von S. Jürgen in die Augen springt. Ebenso wird es gestattet sein, die Giebel Altwismarstraße 19, Dankwartsstraße 8 und Lübschestraße 29 wie die Marien=Capellanei und die Rathsapotheke gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datiren, da ihre Profilirungen sich mehr oder minder gleichen und an einzelnen Details sich finden, die auch an den Kirchenbauten jener Zeit vorkommen
Aus dem 16. Jahrhundert sind nur zwei öffentliche Bauwerke auf uns gekommen, an bürgerlichen einige mehr, alle aus der zweiten Hälfte des gedachten Säculums. Jene sind der erwähnte Mittelbau der Marien=Pfarre von 1576 und die von Philipp Brandin angefertigte, aber erst 1602 aufgestellte Wasserkunst auf dem Markte. Dieser hat auch 1571 das Wohnhaus des Bürgermeisters Schabbel, Schweinebrücke 8, erbaut wie noch verschiedene andere, die aber sämmtlich untergegangen sind. Außer jenem ist noch das durch Renovirung arg mitgenommene Haus, Schmiedestraße 1, welches von 1589 datirt, von einigem Interesse; alle übrigen sind ohne Bedeutung, höchstens etwa ein Speicher von 1575, Neustadt 1, und ein ähnlicher an der Frischen Grube zu bemerken. Der fürstliche Bau des Fürstenhofes im Jahre 1554
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ist für die städtischen Bauten ganz ohne Bedeutung geblieben, ebenso wie der ältere im Anfang des Jahrhunderts errichtete Flügel jenes Hofes, welcher allerdings über bürgerliche Ansprüche weit hinausging, wie man trotz seines Verfalls erkennt.
Aus dem 17. Jahrhundert sind keine öffentlichen Bauten vorhanden, auch bis auf das Commandantenhaus, Markt 15, kaum ausgeführt; an Bürgerhäusern sind noch eine leidliche Anzahl erhalten, die aber alle mindestens abgeputzt oder in dieser oder jener Weise verändert sind.
Ebensowenig ist von der Stadt in dem traurigen 18. Jahrhundert etwas gebaut außer dem Baumhaus und — einem Galgen. Dieser wurde 1830 niedergelegt, jenes unlängst durch sehr unpassende Fenster häßlich entstellt.
Von den Bauten dieses Jahrhunderts erwähne ich nur das 1842 fertiggestellte Theater von H. Thormann, die Bürgerschule von H. Brunswig und den 1889 in Gebrauch genommenen Schlachthof von Dallmer als bemerkenswerth; alles Uebrige ist, soweit es seitens der Stadt gebaut ist, unerheblich, besonders für einen Verein für Vaterländische Geschichte und Alterthumskunde.