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I.

Geschichte der Stadt Lage.

Von

Pastor C. Beyer

zu Lage.


Fortsetzung.


IV. Die Lager Unruhen.

E s gewährt für uns, die wir aus den wohlgeordneten, ruhigen Verhältnissen der Jetztzeit heraus zurücksehen können, ein ergreifendes Schauspiel, wie das Landstädtchen um sein Dasein ringt und nach jedem Aufschwung durch neue Schicksalsschläge, durch theils von außen, theils von innen kommende Unruhen immer wieder zurückgeworfen wird. Wenn im Folgenden Verhältnisse, gegen die sich unser sittliches Gefühl vielfach empört, geschildert werden, so möge man bedenken, daß das Gute, das keinen Anstoß erregte und keine Veranlassung gab Acten zu schreiben, nicht auf uns gekommen ist, daß Rohheiten in einer Zeit, wo das ganze Volk, hoch und niedrig, im Gefühl dagegen abgestumpft ist, mit anderm Maße gemessen werden müssen, wie heute, wo durch Ordnung in Unterricht, Verwaltung und Rechtspflege es dem Einzelnen leicht gemacht ist, normal nach außen zu leben, daß selbst in jenen Rohheiten, die zu verbergen man sich nicht bemühte, zumeist noch ein Besseres zu finden ist, wie in der raffinirten und übertünchten Sittenlosigkeit, der wir jetzt oft in den Tiefen unseres Volkslebens begegnen, daß endlich in einer Stadt, die aus solchen Nöthen sich zu ihren jetzigen gesicherten und guten Verhältnissen herausarbeiten konnte, doch allzeit ein gesunder Kern und eine unverwüstliche Lebenskraft geblieben sein muß.

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Wir lenken zunächst unsern Blick auf die Behörden. Der Landesfürst hatte, wie aus dem Vorigen sich schon ergiebt, seinen Stadtvogt, der zugleich meistens das Amt eines Zöllners oder Steuereinnehmers versah. Im Gericht saßen noch als Assessoren die beiden jüngsten Rathsherrn (meistens gab es in der Folgezeit überhaupt nur zwei). Die Einkünfte an Abschoß und Brüchen gingen zu zwei Drittel an den Fürsten, ein Drittel erhielt die Stadt. Das Amt in Güstrow wachte noch sorgfältig darüber, daß das jus primae instantiae ihm nicht vorenthalten wurde. Unter dem Zöllner stand der Steueraufseher, der einen schlechten Posten hatte, weil er bei Wahrung seiner Pflicht oft Prügel durch die Steuer=Unlustigen bekam, wie solche demonstratio ad tergum sowohl als prima wie als ultima instantia durchaus beliebt war.

Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts finden wir auch die Stadtvertretung völlig geordnet, es treten die nach altem Brauch gewählten zwei Bürgermeister und die Rathsherren wieder zum Collegium zusammen. Keiner derselben war ja rechtsgelehrt, die Consules waren aus der Mitte der Bürgerschaft genommen, und mit dem beschränkten Blick, der nicht über den Horizont ihres Ackers oder ihres Handwerks hinüberging, walteten sie ihres Amtes, recht einfältig, oft im schlimmern Sinne des Wortes, nicht unparteiisch. Gelegentlich hatten sie wohl in jüngeren Jahren etwa auf einem adelichen Hofe oder auf der Pfarre gedient und etwas mehr Gewandtheit sich erworben, meistens konnten sie die Dunggabel oder gar den Fidelbogen (wie der Bürgermeister Saß) besser gebrauchen, als die Feder und ein vor ihnen liegendes weißes Blatt Papier machte ihnen mehr Grauen, als ein mit Unkraut bestandener Acker. Die Eingaben an die Regierung entwarf der Stadtschreiber, wenn einer da war (was nicht immer zutraf), sonst auch auf Ansuchen der studirte Cantor oder ein anderer Schriftgelehrter. Der Rath setzte stolz seinen Namen mit eigener Hand darunter, das war etwas Besonderes, weitaus die meisten Bürger konnten auch ihren Namen nicht schreiben. Die Stadtgefälle sollte ein Kämmereibürger einnehmen, der seine Rechnung alljährlich vor der Stadtvertretung abzulegen hatte, doch war der Posten sehr oft unbesetzt, und die Bürgermeister nahmen die Gelder ein, ein Umstand, der sich meistens rächte, weil das Mißtrauen der Bürger erwachte. - Die Viertelsleute, zwei aus jedem Viertel, hatten ihren Führer in dem Bürgervorsprecher. Wie die Bürger gegen den Rath diese Ordnung durchsetzten, ist mir nicht bekannt geworden. Man muß sich im Folgenden zu der Annahme bequemen, daß wegen vieler

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Streitigkeiten beim Abscheiden eines Mannes von bedeutsamern Posten oft die Besetzung desselben sich Jahre hindurch verzögerte.

Wie wenn die Hexenverbrennungen den Zorn Gottes über die Stadt wachgerufen hätten, brach plötzlich eine Fülle von Unheil über dieselbe herein. Während des deutsch=holländischen Krieges mit Ludwig XIV., 1672 - 1678, wurden die Schweden, die mit dem kriegslustigen französischen Könige sich verbündet hatten, zu Reichsfeinden erklärt, und theils Dänen, theils braunschweig=lüneburgische Truppen, die der niedersächsische Kreis zum Schutze der Reichsgrenze nach Pommern aufbot, quartierten sich in Meklenburg ein, konnten aber nicht hindern, daß des Grafen Königmark Völker von Stralsund her einen Vorstoß machten, die Lüneburger fingen und Schwan und Bützow besetzten. Die Lage unserer Stadt brachte ihr alle schlimmen Lasten des Krieges abermals herauf, die mannigfachen Völker, die hindurchzogen, versuchten mindestens durch Contributionen u. s. w. ihren Vortheil wahrzunehmen. 1673 bis 1675 waren die Lasten noch gering, aber auch sie schon drückten die kleine Stadt schwer. Endlich 1676 wurde ihr an Contribution und zur Verpflegung eines dänischen Regiments eine Zahlung von 280 Thlr. in einem Monat auferlegt, 1677 bezahlte die Stadt 600 Gulden an ein kurfürstliches Regiment und mußte zu solchem Zweck das halbe Bauerngehöft in Wozeten verkaufen. 1678 lagen des Grafen Königmark Völker, 4000 Mann, zwei Tage und zwei Nächte mit der gesammten Artillerie und Hauptwache auf dem Orte, und diese schweren Drangsale, die dauernden Unruhen ließen viele Bürger gänzlich an ihrer Existenz verzweifeln. Manche begannen sich denselben zu entziehen. "Die Hälfte der Einwohner", so berichtete der Rath, "ist aus der Stadt gewichen, weil sie keine Nahrung hatten, durch Krieg und Contribution ganz zurückgekommen", sie gingen auf das Land und wurden von den Adeligen mit höchster Freude aufgenommen und auf die wüsten Bauernstellen gesetzt. Ja, 1686 bat der Rath, die Contribution auf ein Drittheil herabzusetzen, da jetzt nicht 40 Einwohner mehr vorhanden wären. Der Macht der Verhältnisse erlag auch der höchste Muth. (Man darf allerdings diesen Zahlenangaben des Rathes nicht zu sehr trauen, denn er übertrieb gerne, um die Noth recht anschaulich zu machen.)

Daß der treue Erasmus in dieser bewegten Zeit starb, war ein großer Verlust, es fehlte ein Mann, der Entschlossenheit besaß, das Ganze zusammen zu halten, und dessen bewährter Uneigennützigkeit man vertrauen konnte. Das zur Begünstigung der sehr kümmerlich gestellten Prediger=Wittwen schon damals übliche

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Gnadenjahr mußte bei der Gemeinde schlimme Dinge zeitigen. Die umwohnenden Geistlichen kamen, wenn sie sich zur Vertretung einfanden, meistens erst um 1 Uhr, die Zeit war aber niemals fest vorher bestimmt, und der Beginn des Gottesdienstes wurde durch Läuten bekannt gemacht. Die Leute vom Lande kamen also rechtzeitig und warteten in dem Wirthshause, woselbst sie sich die Zeit mit Trinken vertrieben; so kam es, "daß sie propter enormem ebrietatem in der Kirche und in öffentlicher Versammlung unter der Predigt ihren berauschten Leib vomitu purgiret haben salva venia", und die Bürgerschaft bat dringend wegen solcher Gräuel um einen neuen Seelsorger. Der Herzog wollte einen Schwiegersohn des Erasmus, den Michael Blanck, der in der Sexta der Güstrower Schule zuvor sechs Jahre unterrichtet hatte, schon einmal in Rambow gewählt war, aber wegen Streites der Adeligen die Stelle nicht hatte übernehmen können, solitarie präsentiren cum reservatione lidertatis votorum, indeß erhob der Adel der Gemeinde Einspruch, weil er angeblich eine zu schwache Stimme habe, und bat um Präsentation mehrerer. Es wurde also noch ein veteranus theologus, Studiosus Stegemann aus Rostock mit aufgestellt und Blanck am 5. Juni 1680 gewählt und ordinirt. 1 ) Derselbe wandte großen Eifer an den Weiter=Ausbau des Gotteshauses, es wurde nun ganz wieder fertig gestellt, innen sauber geweißt, die Gänge geebnet, auch gegen Ende des Jahrhunderts Stühle hineingebracht, nachdem so lange die Leute hatten "im Sande liegen" müssen. Der Kirchenboden war gebaut und endlich der Knauf auf den Thurm gesetzt. (Blanck zählt als Eingepfarrte vom Lande auf: der adelige Hof Barentin und dessen Unterthanen im Dorfe Kronskamp, der adelige Hof Subsin und dessen Unterthanen im Dorfe Breesen, der Hof Klein=Lantow und dessen Unterthanen im Dorfe Groß=Lantow, der adelige Hof zu Groß=Cobrow und dessen Unterthanen im Dorfe Klein=Cobrow, der adelige Hof in Groß=Wardow und dessen Unterthanen im Dorfe Klein=Wardow und dem angelegenen Dorfe Wozeten, der Hof Schweetz mit zwei Bauerhufen. Im Jahre 1707 war die ganze Gemeinde auf 635 Seelen angewachsen, 37 Kinder zwischen 15 und 17 Jahren wurden zum Abendmahl zuerst zugelassen, 11 Erwachsene starben.) Allsonntäglich wurde, wenn Zuhörer da waren, dreimal gepredigt, im Sommer war


1) Er war geboren in Güstrow 1647, gedruckt ist von ihm eine Leichenpredigt, die er dem Georg Heinrich Lehsten in Wardow 1696 gehalten hat, er verheirathete sich in zweiter Ehe mit C. Fidler, Söhne von ihm waren später Pastoren in Proseken und Meklenburg.
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nach der Predigt Kinderlehre. In der Fastenzeit wurden am Mittwoch Passionsgottesdienste gehalten, dann unterwies der Pastor Sonntags und Mittwochs nach der Predigt diejenigen Kinder, die am nächsten Gründonnerstage zum Abendmahl gehen sollten, Confirmation fand noch nicht statt.

Zu Blancks Zeiten war ein Cantor Johann Hermann Balhorn (1690 - 1719), der die Stadtschule allein versorgte, d. h. auch nur im Winter; der Küster Thomas Krempien war, sobald die Zahl der Schüler groß war, zur Hülfe beim Unterrichten verpflichtet, aber die Kinder kamen sehr unregelmäßig. Es war oft nicht möglich, die kirchlichen Katechisationen zu halten, geschweige denn Schule. Auf dem Lande war noch kein Lehrer.

Für seinen großen Eifer unter trotzigen und widerspenstigen Leuten hatte der Pastor noch immer gar geringen Lohn, die Accidentien blieben meistens weg, aus seinem Sandacker wußte er nichts zu machen, es lohnte sich damals noch nicht, jede Scholle auszunutzen; den größten Theil der sieben Pfarr=Hufen hatte er verpachtet, aber es war nicht gerathen, saumselige Pachtzahler zu mahnen, und das Gericht nahm es mit der Klage des Pastors nicht gerade genau. Der Stadtvogt Petrus Bartholdi (1671 bis 1710) war ein sehr herrischer Mann, der sich allerlei Uebergriffe erlaubte, dazu ein persönlicher Feind Blancks, weil er durch diesen einmal vom Abendmahl abgewiesen war. Er lebte nämlich in tödtlicher Feindschaft mit einem Lager Einwohner und wollte auf die Mahnung des Pastors hin sich nicht versöhnen, er wurde also, als er sich trotz zuvoriger Mahnung zum Abendmahl einfand, vor der Gemeinde abgewiesen, und das konnte er nicht vergessen. Alsbald hatte er auch mit der Stadt einen heftigen Conflict, indem er versuchte, über dieselbe ein Herrenrecht geltend zu machen; er befahl dem Rathe, einen Feuerwächter und Nachtwächter - ein solches "Auge des Gesetzes" hatte bisher noch nicht gewacht - anzustellen, aber in höchster Entrüstung wies derselbe die Einmischung in städtische Angelegenheiten zurück. Bartholdi klagte also beim Regierungscollegium und schilderte die Bürger, die ihn einen Rebeller genannt hätten, als Schelme, insbesondere deshalb, weil sie sich durch den Bürgervorsprecher von Viereck in Zapkendorf aufhetzen ließen. (Die Vierecks besaßen seit Alters her ein Haus in der Stadt, weil es ihnen darauf ankam, in städtischen Angelegenheiten mitreden zu können, da sie Feldnachbaren waren, und der Zapkendorfer erreichte es, daß er in Rücksicht auf sein Bürgerrecht zum Stadtsprecher gewählt wurde.) Gegen ein fürstliches

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Mandat, das zum Nachtheil der Stadt ausfiel, wußte dieser guten Rath, indem er empfahl, das Amt in Güstrow, dessen jus pr. inst. durch den Stadtvogt umgangen war, anzurufen. Dasselbe nahm sich auch mit Erfolg der Stadt an, indem es betonte, daß der Vogt gegen der Stadt Recesse gefehlt habe, da er mit städtischen Angelegenheiten nichts zu thun habe. Der Fürst überließ also die Ordnung der Angelegenheit dem Amte, und der Triumph über des Verhaßten Niederlage war groß.

Diese Einmüthigkeit in der Stadt war indessen erst durch sehr herbe Erfahrungen gezeitigt worden, zu deren Verständniß wir die Landesgeschichte heranziehen müssen. 1695 war Gustav Adolf von Güstrow, dem auch Lage gehorchte, ohne Hinterlassung von männlichen Leibeserben gestorben und auf die erledigte Herrschaft machten sowohl Friedrich Wilhelm von Schwerin, wie Adolf Friedrich, ein Schwiegersohn des Verstorbenen, Anspruch. Der Kaiser mischte sich in die Streitigkeiten durch Absendung eines Kommissars Eck und setzte in Güstrow eine Provisional=Regierung ein, endlich entschied er für die Nachfolge von Friedrich Wilhelm. Indessen war dem niedersächsischen Kreise solcher kaiserliche Eingriff ohne Berücksichtigung der Kreisrechte durchaus unwillkommen, und er beabsichtigte, die letztern energisch geltend zu machen, zu welchem Zwecke Kreisvölker, Braunschweiger und Schweden (unter Klinkowström), nach Güstrow rückten. Kurbrandenburg, das im Nachbarlande das entscheidende Wort gerne gesprochen hätte, mischte sich gleichfalls ein und sandte Truppen; die kaiserliche Provisional=Regierung wurde mit Protest gewaltsam aus Güstrow entfernt, woraus Friedrich Wilhelm schon zuvor gewichen war, und es übernahm nun das Kreisdirectorium die Interims=Regierung. Jedesmal, wenn solche gewaltsamen Eingriffe in den Gang ruhiger Entwicklung eines kleinen Landes geschehen, macht sich die Erschütterung sofort bis in den entlegensten Winkel bemerkbar. Der Streit der Obern um die Herrschaft geschieht allzeit auf Kosten des kleinen Mannes, er schwankt, wem er gehorchen soll, der Uebelgesinnte benutzt gerne die Verwirrung, um schlimme Absichten durchzusetzen, denn die nachdrückliche und rasche Handhabung der Justiz ist einstweilen unmöglich gemacht. Zum Glück löste der Successionsvergleich in Hamburg 1701, der die beiden Herzogthümer Schwerin und Strelitz schuf, die Spannung, die Kreisvölker zogen aus Güstrow ab, und der Herzog Friedrich Wilhelm zog ein; aber in diesen wenigen Jahren war über Lage eine heillose Verwirrung gekommen. Der Bürgermeister Peter Kamptmann war bald nach dem Herzog Gustav Adolf gestorben, und ein Nachfolger wurde in den Wirren nicht eingesetzt,

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auch die Stelle des zweiten Bürgermeisters Rosenow (1683 - 1700) wurde durch den Tod erledigt. Es bewarb sich ein Andreas Vanselow beim Güstrower Amte um die Stelle; er behauptete, als Informator bei adeligen Kindern in der Nachbarschaft lange thätig gewesen zu sein, bei solcher Gelegenheit sich die Wirthschaft gründlich angesehen zu haben, auch bei der Lager Bürgerschaft vielen Anhang zu besitzen, wofür er denn auch ein Schriftstück mit der Unterschrift verschiedener Bürger präsentirte. Zugleich stellte er Caution dadurch, daß sein Stiefsohn, Pächter in Barentin, für ihn cavirte. Das Amt überwies seine Bewerbung der Interims=Regierung, und diese befahl denn auch, ihn der Bürgerschaft vorzustellen und in sein Amt einzuweisen. Dagegen erhub die Bürgerschaft lebhaften Einspruch, sie gestand dem Amte sein Recht zu, aber doch nur so, daß die Gerechtsame der Stadt gewahrt bleiben müßten, und unter diesen sei das Wichtigste freie Bürgermeister= und Rathswahl. Ein Fremder, der nicht Bürger sei, der durch seine Verbindungen mit dem Adel die Stadtgerechtigkeiten demselben gar leicht preisgeben könnte, der die Unterschrift verschiedener Bürger erschlichen und gefälscht habe, der keine Caution stellen könnte, weil seines Caventen sämmtliche Sachen schon in Pfand wären, könne niemals ein Bürgermeister in Lage werden. Sie baten um Ansetzung eines Termines zur freien Wahl. Daraufhin ließ das Amt verdrießlich die Sache fallen, und Lage wurde allein von den beiden Rathmännern regiert. Aber auch diese zwei, ältere Leute, starben schnell hintereinander dahin, die Stadt war führerlos, neue Bürger zogen zu, bezahlten kein Bürgergeld, wurden nicht vereidigt, bald ging es sehr kraus und bunt daselbst zu.

Da gelangte am 5. April 1701 an die zur Meklenburg=Güstrower Interims=Regierung wohlverordneten Herren Räthe folgende Petition: "Wir armen Bürger des Städtleins Lage wollen die Beamten bitten, uns aus den von uns vorgeschlagenen acht Mitbürgern den Rath, nämlich zwei Bürgermeister und zwei Rathmänner, zu bestellen und aus solchen die zuständlichste Wahl zu treffen. Es ist unser einziger noch am Leben gewesener Rathsverwandter nunmehr auch Todes verblichen, und sind wir also unseres ganzen Rathes beraubt, wissen auch wohl, daß die hiesigen Beamten mit vielen Geschäften überhäuft sind, bitten, den Beamten aufzugeben, in kurzer Frist uns, wie obsteht, unsern Rath zu setzen und wählen zu wollen u. s. w." Diese unerhörten Zustände rührten doch auch das Herz eines Interims=Rathes, so reiste denn am 25. April 1701 (drei Wochen also ließ man sich noch Zeit) der betreffende Beamte nach Lage ab. Auf Bitten der Bürger wurde

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vor der Wahl festgesetzt, daß Bürgermeister und Rath den Schoß und die Rathspacht so lange nicht erhalten sollten, bis die laufenden Stadtschulden bezahlt seien. Die jungen Bürger, die ihr Bürgergeld noch nicht bezahlt hatten, mußten es erlegen (ein Stadtkind 1 Gld. 8 ßl., ein Fremder 4 - 5 Gld. nach Vermögen), 36 bisher unbeeidigte Bürger mußten schwören, darauf fand die Wahl statt. Wilhelm Saß und Hans Gruël (Gruwel) wurden Bürgermeister, Andreas Vogt und Christoph Westphahl Rathmänner, sodann setzte der Beamte mit Zustimmung der Bürgerschaft einen Kämmereibürger Mau ein, und nach jahrelanger Unordnung war endlich die Stadt mit ihrer Entwicklung in das rechte Geleise gebracht.

Es läßt sich nicht verkennen, daß sie hinfort kräftige Anstrengungen machte, in gesunder Weise sich weiter herauszuarbeiten. Wir erwähnten, daß die alten Stadtschriften nach Rostock gebracht und dort im großen Brande vernichtet waren. Es gab seitdem keine feste Grundlage für die Verwaltung, Stadtabgaben, Bürgerpflichten und Rechte. Was angeordnet war, wurde entweder aus freiem Willen befolgt, oder fand bei den harten Köpfen fortwährenden Widerspruch, die Jüngeren wollten den Brauch der Alten, der nicht zu Recht verbrieft war, nicht anerkennen. So lange hierin keine Aenderung geschaffen wurde, mußte die Stadt der Unordnung Raub sein. Es gab gewichtige Personen genug in der Stadt, die die Hauptnahrung durch Rührigkeit und Schlauheit in ihren Händen vereinigt hatten und viele Professionen zugleich trieben, so daß z. B. ein Einziger Brauer, Brenner, Gastwirth und Ackersmann war, und mehrere Erbe in seiner Hand vereinigt hatte. Diese Vermögenden setzten es durch, daß der kleine Handwerker ganz dieselben Stadtlasten zu tragen hatte, wie sie, und da es ihnen durchaus nicht passen konnte, wenn der Zuzug zur Stadt die Unzufriedenen mehrte, suchten sie thunlichst die Fremden auszuschließen, die wüsten Stellen, die bisher noch unbebaut waren und durch die verarmten Besitzer nicht ausgenutzt werden konnten, den fremden Kauflustigen zu verweigern. Das eigentliche Lebenselement einer Stadt, das Handwerk, lag ganz danieder, es fand sich nur ein Geselle im Ort, sonst wirthschaftete der Handwerker lieber auf seinem Acker und kümmerte sich nicht darum, ob der Landmann der Umgegend seine Aufträge nach andern Orten zu geben sich genöthigt sah. Als nun endlich Jedermann die schlimmen Folgen eines anarchischen Zustandes gesteigert empfunden hatte, machte sich das Bedürfniß nach geschriebenem und verbrieftem Rechte bemerkbar. Der neue Rath hat sich ein hohes Verdienst erworben, daß er von den Güstrower

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Beamten den Entwurf einer Stadtcollecten=Ordnung sich erbat, denselben der ganzen Bürgerschaft vorlegte, im Beisein des Geheimen Rathes von Viereck in Zapkendorf, als deren Vorsprecher, verlesen ließ und ihn allen annehmbar machte, endlich durch den Herzog Friedrich Wilhelm am 9. Juli 1704 bestätigen ließ. (Ich lasse dieselbe im Anhang folgen.) Es wurden die Professionen und Aecker nach drei Klassen eingetheilt und mußten sie demgemäß auch die Stadtabgaben in verschiedener Höhe tragen. Der Zuzug der Fremden wurde dadurch erleichtert, daß ihnen für zwei Jahre Freiheit von allen Stadtabgaben gewährt wurde, auch sollten die Eigenthümer der wüsten Stätten, die solche selbst nicht bauen wollten, zum billigen Verkauf gezwungen werden; mehr wie zwei Erbe sollte Niemand haben. Ein Einwohner, der eine wüste Stätte bebaute, erhielt ein Jahr lang Abgabenerlaß u. s. w. - Da nachträglich sich in Bezug auf das Viehhalten wegen Recht und Last noch Streit erhob, so wurde die Collecten=Ordnung durch einen Nachtrag vom 21. Septbr. 1706 ergänzt. (Siehe Anhang.)

Die wohlthätigen Folgen solcher Ordnung machten sich sofort bemerkbar. Während im Jahre 1703 nur 51 selbständige Wirthschaften sich vorfanden (163 Beichtkinder, nämlich 75 Männer und 88 Frauen oder 46 Hausherren, 44 Hausfrauen, 18 Wittwen, 10 Söhne, 11 Töchter. 17 Knechte und Jungen, 15 Mädchen, 2 Gesellen) zogen von Barentin allein schon 1704 fünf Männer zu und 1706 waren 66 selbständige Wirthschaften in Lage. Auch fällt wohl in diese Zeit die Errichtung der Schützenzunft, deren Mitglieder verpflichtet waren für den Todesfall in einer ihrer Familien für eine würdige Bestattung zu sorgen, auch Nichtmitglieder gegen Erlegung einer bestimmten Gebühr zu bestatten. Wenigstens erhebt sich 1706 Streit, weil etliche Bürger eine Nebenzunft aufrichten wollen und die Einnahme der privilegirten Schützenzunft schädigen. Die Nebenzunft wird bei 100 Thlr. Strafe vom Herzog verboten, nur zu dem Schützenfest der rechtmäßigen Zunft wird ein herzoglicher Deputirter in demselben Jahre abgeordnet, auch derselben aus den Aufkünften der Accise eine Gabe von 10 Thlr. bewilligt.

Die Versuche, die liegenden Gründe, die zum Theil in fremden Besitz übergegangen waren, wiederzuerhalten, mißlangen, wie die Stadt es nur selten durchsetzte, daß nach der Collecten=Ordnung § 5 die auswärtigen Besitzer zur Tragung von Stadtlasten mit herangezogen wurden. Ueber die bedeutenden Verluste der Stadt müssen wir hier noch etliche Bemerkungen einschalten. Die Noth in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts trieb wiederholt einzelne Bürger, an benachbarte Bauern ihre Aecker zu verkaufen oder

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zu verpfänden, nur um die Mittel zu erhalten, ihr Leben zu fristen und ihre Häuser zu bauen. Z. B. verkaufte Peter Bölckow an Hans Hoff in Wardow einen Morgen im hintersten Schlage für 50 Gld., und drei Scheffel Aussaat in derselben Gegend für 30 Gld. im Jahre 1657. Aber auch an die Kobrower und Subsiner (Breesener) Bauern gingen Besitzungen über. Bei den vielen wüsten Flächen machten solche Bauern mancherlei Uebergriffe und versuchten, sich gelegentlich mehr Land zuzulegen, woraus sich sehr gespannte Verhältnisse zwischen dem Adel, der die Bauern schützte und für sich selbst sorgte, und den Bürgern entwickelten. Insbesondere waren die Wardower thätig, die Nothlage der Stadt zu benutzen. So erbat sich allerdings ohne Erfolg Hans Friedrich von Lehsten 1675 vom Fürsten als Geschenk die dem Landesherrn gehörenden, auf dem Lager Stadtgebiete gelegenen Aecker, weil er, wie die Vierecks, auch gerne festen Fuß in der Stadt gefaßt hätte, um durch willfährige Bürger gelegentlich für sich günstige Beschlüsse herbeizuführen. Die sechs Stück Landes Sandacker à 2 Morgen, auf die er es wohl hauptsächlich abgesehen hatte gehörten nachweisbar der Stadt, die darauf nur die Verpflichtung, fürstliche Fuhren u. s. w. zu thun, gelegt und sie gegen Uebernahme solcher Verpflichtung dem Stadtvogt und Zöllner überlassen hatte. Der Landreiterkamp, der fürstlich war, wurde von Alters her vom Stadtvogt benutzt, der dafür Beamte und Landreiter frei beherbergen mußte. Dann gab es nur noch eine wüste Stätte der Mühle gegenüber als fürstliches Eigenthum, die indessen am Eingange so günstig zu einem Zollhause gelegen war, daß sie der Herzog nicht hergeben wollte. Dagegen gelang es dem Wardower 1676 das Lager Moor, das, wie wir oben nachwiesen, 1270 an Lage geschenkt war und, wenn es auch für den Augenblick nicht ordentlich ausgenutzt wurde, dennoch hohen Werth hatte, für 200 Gld. bei der schlimmen Noth der Stadt anzukaufen, ferner 1677 das erwähnte halbe Bauerngehöft Wozeten für 700 Gld. Bezüglich des städtischen Antheils an demselben mußte allerdings der Rath der Stadt sich besonders sichern, denn dem Rathe standen die Dienste und Nutzungen aus solchem Gehöfte zu. Beim Verkauf ließ er sich in der Weise entschädigen, daß ihm als Ersatz von der Stadt die Zinsen des Kaufgeldes zugesprochen wurden; aber da auch Zeiten kommen konnten, wo die Zinszahler säumig wurden, (wie es in der That geschah), wurde die Langkavel=Wiese als Sicherheitspfand eingesetzt, daraus sich später der Rathsantheil an der Wiesennutzung entwickelte. Der hierüber abgeschlossene Vergleich beginnt: "Wir, Viertelsmänner gesammter Bürgerschaft und Einwohner des Städt=

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leins Lage urkunden und bekennen hiermit und kraft dieses Briefes für uns und unsere Erben und alle Nachkommen dieser Stadt Bürger und Einwohner, daß, demnach bei dieser beschwerlichen Kriegszeit und Unruhe, da wir leider dermaßen ausgeschöpft, daß wir uns kaum selber mehr zu retten wissen, wir geschweigen die großen Kontributiones zu ertragen und die Restanten zu bezahlen, daß dannenhero viel unserer Mitburger davon gezogen und dem Städtlein den Rücken zugekehrt, wir andern auch, daferne sich keine Hülfe noch Rettung eräuget hätte, gleichfalls davon zu gehen wären gezwungen worden, wir, weil wir keine andere Zuflucht zu nehmen gewußt, Burgermeister und Rath dieser Stadt als unsere vorgesetzte Obrigkeit angefleht, uns in diesen Nöthen, daferne möglich, heilsamlich zu assecuriren und aus diesem Laborint, daraus wir sonsten nicht zu kommen gewußt, zu helfen u. s. w." Es wurde die Summe von 700 Gld. derart verwendet, daß der Rath 50 Gld. wegen des restirenden Dienstes und Pachtgeldes zurückbehielt, die 650 Gld. "zur Bezahlung der Brandenburgischen Contribution, welche uns auf den Nichtzahlungsfall totaliter ruiniret hätte," angewandt wurden.

Nachweisbar gehörte die "Grünhören=Wiese," die, wenn wir das Recknitzthal aufwärts gehen, an Subsiner Wiesen grenzte, mit 100 Fudern Heu der Stadt, 1629 in der ersten Noth wurde dieselbe, wie schon erwähnt, für 300 Gld. Mekl. Währung dem Andreas Pritzbuer auf Diekhof und Schweetz verpfändet. 1 ) 1630 nahm die Stadt darauf noch einmal 600 Gld., und als inzwischen die Wiese in die Hand des Besitzers von Subsin übergegangen war, 1637 noch einmd 600 Gld., so daß dieselbe beim Einbruch des größten Elends mit 1500 Gld. belastet war. Die Stadt versuchte im nächsten Jahrhundert mit Abtragung der Schuld zu beginnen und verlangte 1718 die Herausgabe, aber die damals in Subsin waltende Frau Vicestatthalterin von Viereck wollte sich dazu nicht bequemen. Die bösen nächsten Zeiten ließen die Sache nicht nachdrücklich verfolgen, und erst 1781, als der damalige Prinz Friedrich Franz Subsin käuflich erwarb, macht die Stadt wieder ihre Rechte geltend, erlangt jedoch leider die werthvolle Wiese nicht zurück, sondern im gütlichen Vergleich die Auszahlung von 400 Thlr. N 2/3; der Brand von Lage hatte 1759 leider alle einschlägigen


1) Der sogenannte Antichretische Vertrag wurde mit Vorliebe von der Stadt in Geldnoth abgeschlossen. Sie gab dem Gläubiger als Faustpfand ein Grundstück und gestand ihm zu, dasselbe zu benutzen, wogegen sie natürlich von der Zinszahlung befreit war.
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Urkunden vernichtet, die das Besitzrecht unbestreitbar beweisen konnten. - Auch die "Schweetzer Wiese" am jetzigen Schweetzer Graben mit 50 Fuder Heu war an Subsin verkauft, dagegen hatten die Vierecks für ihre Besitzungen Gr.= und Kl.=Lantow eine Wiese, die Rathskrug=Wiese genannt, am linken Ufer der Recknitz gegenüber dem Hörengraben, und ferner einen Theil Landes, der Wolfskrug genannt, (wahrscheinlich am Hlg. Geistberg), welcher 4 Hufen Ackers maß, außer Wiese und Busch nach dem Kriege für 1300 Gld. von der Stadt erworben. - Ueber den Verlust der sieben Hufen in Kobrow ist an anderer Stelle berichtet.

Es war die höchste Zeit, daß die Stadt sich auf die Gefahr besann, die aus solchen Verkäufen oder Pfandgebungen kommen mußte, weil sonst allmählich das ganze Feld in einzelnen Stücken durch die Umgegend abgepflückt wäre. Wir werden später sehen, wie heftig sie sich in Zukunft gegen Uebergriffe der Lehsten wehrte, die nach dem großen Kriege erstarkten, während die Vierecks im Laufe des 18. Jahrhunderts vielfach ihre großen Besitzungen einbüßten. (Kobrow wechselte ganz auffallend seine Besitzer, Caspar von Winterfeld wurde durch die Gläubiger sogar gedrängt, sich 1637 um die Belehnung mit St. Jürgen zu bewerben, die ihm auch zu theil wurde.)

1706 - 1712 ereignete sich wenig bemerkenswerthes, wenn wir nicht erzählen wollen, daß der Stadtrichter Bartholdi gelegentlich einmal geprügelt wurde, weil er angeblich nicht kräftig genug fremden Werbern entgegengetreten war. Wahrscheinlich wurde der streitsüchtige Bartholdi 1711 vom Amte entfernt, doch hielt er sich 1715 noch in Lage auf und hatte seine Freude daran, allerlei Verwirrung zu schaffen; der Magistrat mußte sich über ihn beschweren, daß er mit Bürgern zusammen zur Gründung einer Nebenzunft geschritten sei, die regelrechte Versammlungen abhielt, Bier auflegte, bis in den dritten Tag zusammen blieb, den Schneider Kreß zu 1/4 Tonne Bier condemnirte, eine Zunftlade errichtete, ein schwarzes und ein weißes Leichlaken anschaffte und wiederholt Beerdigungen mit Tragen und Laken vornahm. Herzog Friedrich Wilhelm entschied, daß die Nebenzunft aufhören und ihre Leichlaken unentgeltlich an die alte Zunft überlassen sollte. Dagegen sollte die alte Zunft die Mitglieder der Nebenzunft unentgeltlich blos gegen Erlegung von vier Scheffel Gerste innerhalb vier Wochen in die Zunft aufnehmen. Wenn Jemand außer der Zunft das Laken begehrte, so sollte er 12 ßl. zahlen. Die Träger sollten nicht mehr als 4 ßl. nehmen und den Bedürftigen aus christlicher Liebe um=

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sonst dienen. Zu Leitern der Zunft sollten in Zukunft nicht mehr die Aeltesten genommen, sondern die Wahl sollte je nach Geschicklichkeit getroffen werden. - Bartholdi's Nachfolger, Dietrich Wolgemuth (1711 - 1716), erreichte es. daß der Bürgermeister Gruël eine Zeit vom Amte suspendirt wurde, weil er seinen Sohn aufgehetzt hatte, den Steueraufseher am Sonntag Morgen auf öffentlicher Straße anzufallen und gräulich dafür durchzuprügeln, daß er in seinem Geschäfte allzu genau gewesen war. Inzwischen zogen abermals schwere, düstere Wolken am Horizonte auf, die über die Stadt heillose Wetter entladen sollten. Die ruhige Entwicklung derselben wurde wieder einmal gar jäh durchbrochen.

Der nordische Krieg war durch Karls XII. eigensinnigen Aufenthalt zu Bender in die Länge gezogen; um die dadurch gebotenen Vortheile auszunutzen, marschierten zuerst die Dänen mit einem großen Heere vor Wismar, sodann von da über Rostock und Ribnitz nach Pommern, an diese Armee mußten alle naheliegenden Städte, auch Lage 1711, viele Zufuhr leisten. Polnische, kursächsische, russische Völker rückten auf Stralsund und forderten von Meklenburg allerlei Lieferungen, die sie freilich zu bezahlen versprachen; ein Ochse sollte 10 Thlr. gelten, ein großes Schwein 2 Thlr., ein Hammel 1 Thlr. 8 ßl., ein Fuder Heu 2 Thlr., Roggen, Gerste und Erbsen à Scheffel 24 ßl., Hafer 16 ßl. Vieh war aber selbst in Meklenburg nicht überflüssig, weil ein "ziemliches" Viehsterben gewesen war, und mit der Bezahlung haperte es gewaltig. Jetzt rückten Schweden unter Steenbock, 16,000 Mann stark, an und entsetzten Wismar, die Dänen zogen alle verfügbaren Truppen zusammen und vereinigten sich mit den Sachsen, auch die Moskowiter kamen aus Pommern heran. Anfang September 1712 trafen diese in Lage ein, 11,000 Russen, die Garderegimenter Preobratschewski und Semenowski, lagen 14 Wochen lang auf der Lager Feldmark, und zwar schlugen sie ihr Lager auf dem sogenannten Steinlande an der jetzt nach Tessin führenden Chaussee nahe der Kobrower Grenze auf, das Hauptquartier war in der Stadt, der Rest war auf die umliegenden Dörfer vertheilt. Man kann noch jetzt aus den Ueberlieferungen, die alte Leute bewahrt haben, erkennen, welchen tiefen Eindruck die seltsamen Fremdlinge damals auf die Einwohner machten. Es war ihnen das Gerücht natürlich vorangegangen, daß sie entsetzlich roh und wild wären und als Leckerbissen gerne kleine Kinder sich brieten, dagegen benahmen sie sich durchaus gutherzig und sollen sich vor Schweden und Dänen, in denen noch die Tradition des großen Krieges leben mochte, ausgezeichnet haben. Bei den Bürgern waren sie von allen

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fremden Truppen am beliebtesten, weil sie genügsam und dankbar waren, und was auf die Gemüther der Lager, die sich durchaus nicht unter die kirchliche Zucht beugen mochten, einen gewaltigen Eindruck machte, war der große Respect, den die zottigen Männer vor ihrem langhaarigen Popen hatten. Sehr oft mußte sich die Russenschaar gegenüber den jetzigen Windmühlen an dem sogenannten "Predigtberg" versammeln, oben stand der Geistliche, und andächtig hörten die Seinen der Rede desselben zu. Der Moscowiter=Kaiser war zuvor in Karlsbad in Kur und hatte bestimmt, daß seine Truppen die entscheidende Action nicht eher unternehmen sollten, als bis er zu ihnen gekommen wäre. Ueber Dresden und Berlin traf er am 28. November 1712 in Lage ein und wohnte daselbst. Als diese Nachricht ins sächsisch=polnische Hauptquartier kam, machte sich der Polenkönig mit allen seinen Generälen auf, um dem mächtigen Bundesgenossen seinen Besuch abzustatten, am 30. November fand die Zusammenkunft statt, bei welcher der Zar den König von Polen mit dem Andreas=Orden schmückte, um dafür einen polnischen Orden in Empfang zu nehmen. Wenige Tage darauf brachen die Moscowiter nach Güstrow auf. Der schwedische General Steenbock, dem selbstverständlich die bevorstehende Vereinigung der feindlichen Heere viele Sorge machte, bot geschickter Weise den Dänen und Sachsen eine Schlacht an und siegte am 20. December 1712 bei Gadebusch. Den abziehenden Schweden folgend verließen dann alle Truppen Meklenburg, nachdem sie in der Zeit ihres Aufenthaltes dem Ländchen, dem Erholung und Schonung noch so bitter noth that, schwere Verluste zugefügt hatten. Es läßt sich denken, daß der vierteljährige Aufenthalt der Moscowiter der Stadt Lage, die wohl nur wenig über 200 Einwohner zählte, schweren Schaden verursachte. Auf dem Steinlande war ein werthvoller, prächtiger Eichenbestand, aus dem die Fremden 1400 Bäume für Lagerfeuer, Baracken u. s. w. völlig ruinirt hatten, den Rest hinterließen sie ziemlich schadhaft, 30 große Stämme starben noch rasch ab, die Schweinemast, die in damaliger Zeit noch sehr wichtig war, war gründlich verdorben. An die Zeit dieser Besatzung erinnert noch jetzt der sog. Moscowiter=Damm, der bei Eickhof durch die Recknitz von den fremden Männern gelegt wurde, und lange noch wurde ein Soll in der Starkenkoppel, aus dem sie gelegentlich Wasser holten, nach ihnen benannt. (Der Erbmüller Dehn grub im Anfange unseres Jahrhunderts mit einigen Andern bei dem Moscowiter=Damm nach einem Fuchse, beim Graben fand man einen harten, schweren, runden Stein, den man seiner Eigenthümlichkeit wegen bei Seite legte, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Etliche

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Knaben, die als Zuschauer sich eingefunden hatten, spielten mit ihm und wälzten ihn schließlich ins Feuer, das man zum Wärmen angemacht hatte. Bald erfolgte ein furchtbarer Knall, die Brände flogen durch die Luft, und man entdeckte, daß offenbar eine verrostete Granate für Stein gehalten war, glücklicher Weise war Niemand verletzt.)

Während dieser Moscowiter=Zeit war nach 32jähriger Wirksamkeit der Pastor Michael Blanck am 27. September 1712 gestorben, und die Vereinsamung lastete in der bittern Noth doppelt schwer auf der Gemeinde. Er hinterließ acht unversorgte Kinder, und der Superintendent schlug dem Fürsten vor, Jemanden zu bestellen, der eine von den Töchtern heirathen würde. Doch war ein Bewerber um die Pfarre da, dem Friedrich Wilhelm schon längere Zeit eine Versorgung zugesagt hatte, ein Feldprediger M. Lüders, der gerade vom Rhein aus der Kriegsgegend zurückkam und dort acht Jahre bei einem Cavallerie=Regiment gewirkt hatte. Bevor er indessen eingeführt werden konnte, starb am 31. Juli 1713 der Herzog, und es folgte ihm sein Bruder Carl Leopold, der sofort die Bestätigung von Lüders vollzog. Kaum war die Nachricht hiervon in die Gemeinde gekommen, so empfand sie den Eingriff in ihre Rechte der freien Wahl. Auch wenn der junge Herzog diese nicht anerkennen wollte, so war es doch für billig zu erachten, daß Jemand, der einer Gemeinde solitarie präsentirt werden sollte, zuvor erst von ihr gehört und gesehen würde, und es ihr frei stehen müßte, etwaige begründete Einwendungen gegen ihn zu erheben. Aber der Herzog schlug alle Einreden nieder und befahl die Einführung sofort nach Ablauf des Gnadenjahres zu vollziehen. Der 18. Oktober 1713 kam heran, die Gemeinde war versammelt, der Superintendent und die assistirenden Pastoren waren bereit, als plötzlich vom Landtage ein Expresser kam, der ein auf einmüthiges Anhalten aller Eingepfarrten ertheiltes gnädigstes Inhibitorium brachte und die Introduction aufzuschieben befahl. In heller Wuth verlangte der Feldprediger nach seinem Wagen, und auf die Bitte, wenigstens doch die Gemeinde, die zum sonntäglichen Gottesdienste versammelt war, mit einer Predigt zu versehen, da er sich doch auf diesen Tag allein genügend vorbereitet habe, entgegnete er: "Er wolle dem Teufel predigen, wenn sie ihn nicht haben wollten", und drohte denen, die gegen ihn gewesen wären, es gründlich heim zu bringen. Er rechnete dabei auf den Starrsinn des Herzogs, der ihm indessen eine Probepredigt zu thun befahl, damit der Gemeinde ihr Recht einer begründeten Einsprache nicht verkürzt

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würde; nachdem diese geschehen war, erklärte letztere, er habe eine zu schwache Stimme und sei nicht zu verstehen. Nun sollte Lüders es sich gefallen lassen mit zwei Anderen zur Wahl präsentirt zu werden, aber er weigerte sich, da er sein Schicksal vorher wußte. Also wurden am 15. April 1714 drei Candidaten aufgestellt und darunter Johann Friedrich Clasen erwählt. 1 )

Bald nach Clasens Amtsantritt starb der alte Küster, und trotzdem die Küsterei nur sehr wenig eintrug, begann doch sofort ein großer Ueberlauf von Bewerbern, darunter manche mit stolzen, gepuderten Perrücken, ein Beweis, wie bedrängt die Zeit und wie brotlos mancher bei Kriegslast und Mißwachs geworden war. Es wurde auf Clasens Vorschlag des Bürgermeisters und Kirchenvorstehers Saß Sohn Johann bestimmt und 1714 eingeführt, er hatte den Ruf eines stillen gottesfürchtigen Menschen, der ziemlich schreiben, lesen und singen konnte; das war sehr wichtig, weil der alte Cantor Balhorn eine wesentliche Stütze gebrauchte. Derselbe bat, daß ihm, da er so gebrechlich und kümmerlich geworden sei, ein Theologe als Substitut gesetzt würde, der ihm das Predigen abnehmen und Assistenz in der Schule leisten könnte, doch sollte er nur unter der Bedingung genommen werden, daß er seine Tochter heirathe. Die Tochter griff hernach die Sache noch feiner an, sie bat, daß ihr selbst der Cantordienst des Vaters erhalten würde, damit, wer Cantor werden wolle, sie heirathen müsse. Aber trotz Aufforderung des Superintendenten meldete sich Niemand, weil die Stelle nur dürftig und die Zugabe wohl noch dürftiger war. So mußte sich zum Schaden der Schule der alte Cantor noch eine, Weile abquälen.

Wir haben schon Gelegenheit gehabt, den Namen des Herzogs zu erwähnen, der bald gar schlimme Zeiten für Meklenburg heraufführte. Um die im Nachfolgenden darzulegenden städtischen Verwickelungen zu verstehen, müssen wir den Ueberblick über die Regierung von Carl Leopold voranstellen mit der Bitte an den Leser, sich die einzelnen Abschnitte zu merken, damit keine Unterbrechung in der Darlegung der schlimmen Wirren einzutreten braucht. Des Herzogs Vorbild war Karl XII von Schweden, absolute Fürstenmacht war sein Ideal. Er gedachte durch kühnes Vorgehen die


1) Er war geboren in Ribnitz 1684, studirte seit 1705 in Rostock und Greifswald, verheirathete sich mit A. Christiani und hatte fünf Kinder, wovon zwei sich dem geistlichen Berufe widmeten; er starb 57 Jahre alt am 14. August 1741 nach 27jähriger Amtsführung.
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ewigen Widerwärtigkeiten, die der Landtag und besonders die Ritterschaft mit ihren vielen Beschwerden seinen Vorgängern bisher bereitet hatte, zu erledigen und wollte zu diesem Zweck sich ein stehendes Heer (angeblich zur Landesdefensive) errichten. Abermals waren, da der nordische Krieg noch fortdauerte, fremde Truppen im Lande, Dänen lagen vor Wismar und Stralsund und hielten Rostock besetzt, Preußen gesellten sich ihnen zur Belagerung der beiden schwedischen Bollwerke zu, endlich standen auch Hannoveraner vor Wismar. Als Stralsund gefallen war und die ganze Macht der vereinten Schwedenfeinde sich nach Wismar wenden konnte, ließ auch der Zar Peter wieder seine Truppen anrücken, um an der Eroberung der Stadt theilzunehmen. Er that dieses um so mehr, als er Carl Leopold, mit dem er verwandt war, versprochen hatte dessen absolutistisches Streben zu fördern, und es ihm daran lag, Einfluß auf Meklenburg, das wichtige Ostseeland, zu gewinnen. Wenn auch seine Gedanken auf Wismar durch dessen beschleunigte Uebergabe fehlschlugen, so warf er doch 30000 Russen ins Land (bis August 1717), mit deren Hülfe der Herzog die widerspenstigen Adeligen zu fangen versuchte. Dieselben wurden rechtzeitig gewarnt und flüchteten meistens ins Ausland, aber auf ihre Güter wurde fremde Einquartierung gelegt, und der Herzog nahm sie unter seine Verwaltung. Außerdem sammelte er für sich selbst Truppen, und das Land mußte auch diese erhalten. Bald konnte es die großen Kriegslasten nicht mehr tragen. Die Bauern folgten dem Beispiele der Herren und ließen ihre Höfe im Stich, die Städte konnten die Landessteuer nicht erschwingen. Inzwischen mischte sich der Kaiser ein, er schrieb warnend an den Zaren, der niedersächsische Kreis mußte rüsten. Die russischen Truppen wurden abberufen, doch erhielten 3300 Mann die Erlaubniß in des Herzogs Dienst einzutreten. Dieselben hatten ihre ursprüngliche Gutmüthigkeit abgelegt, da sie zum Verwüsten der ritterschaftlichen Begüterungen gleichsam aufgehetzt wurden. Der Ritterschaft Beschwerden über die Vergewaltigungen des Herzogs veranlaßten nun den Kaiser, dem Kurfürsten von Hannover und dem Herzog von Braunschweig=Wolfenbüttel das Commissorium zu ertheilen, die Streitigkeiten zu untersuchen und nöthigen Falls den Schuldigen mit Gewalt zur Ordnung und zum Frieden zu zwingen. Der eigensinnige Herzog ließ sich auf nichts ein, ging immer gewaltthätiger vor, so kamen die Executionstruppen ins Land! Wenn gegen diese auch des Herzogs Truppen bei Walsmühlen im März 1719 siegten, so sah er sich doch genöthigt, sich über Güstrow nach Malchin zurückzuziehen, wobei man die Rittergüter noch ziemlich

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heimsuchte. Endlich mußten die russischen Söldner durch Preußen nach Polen abziehen, und damit war das Land der russischen Last ledig; auch die meklenburgischen Truppen gingen auseinander. Keineswegs aber war das Land nun von aller Militairlast frei.

Die Execution blieb und besetzte 8000 Mann stark das Land, insbesondere die Städte. In Rostock wurde eine kaiserliche Commission eingesetzt (die königlich großbrittannischen und kurfürstlichen, auch hochfürstlich braunschweig=lüneburgischen zur kaiserlichen Commission subdelegirten Räthe) und diese übernahm die Verwaltung. Dem Herzog verblieb Schwerin und Dömitz, außerdem behielt er die Episcopalia für das ganze Land als Summus Episcopus. Ueber Meklenburg kam böser Zwiespalt. Die Ritterschaft war natürlich für die Commission, die Städte schwankten, die Geistlichkeit und die Bauern waren für den Herzog. Wer es mit Rostock hielt, verdarb es mit Dömitz, die Commission befahl, der Herzog verbot.

Die Städte wurden allmählich sehr unruhig. Die Bürger reichten ihre Schadenrechnungen ein und verlangten Ersatz; da derselbe nicht bezahlt wurde, schoben sie die Schuld auf die Magistrate, die zu säumig wären. Dazu kam die 1721 durch die kaiserliche Commission eingeführte Aenderung des Contributions=Modus. So lange galt für Landes=Abgaben die Licent=Steuer, jetzt wurde der Hufen= und Erbe=Modus eingeführt, bei dem die Ritterschaft die Steuerfreiheit ihrer Rittergüter durchsetzte zum Nachtheil der Städte. Der Letzteren Unwille wurde durch Execution niedergehalten. Der Herzog wich aus Dömitz, weil angeblich dort eine Verschwörung gegen ihn angezettelt war, und ging nach Danzig, wer zu ihm wollte, hatte einen weiten Weg. Um die Erbe in den Städten richtiger controliren zu können, befahl der Kaiser Ausmessung der städtischen Ländereien, darob gesteigerte Erregung.

Als der Kurfürst Georg I. von Hannover, König von England starb, wollte der Kaiser 1728 die Verwaltung des Landes umändern, und nach Absetzung des Herzogs und Aufhebung der Commission, der er eigensüchtige Absichten zutraute, einen Administrator in des Herzogs Bruder Christian Ludwig bestellen; damit waren die bisherigen Executoren nicht einverstanden, sie ließen ihre Truppen in Meklenburg unter dem Vorwande, daß sie die Entschädigung für die aufgewandten Mühen noch nicht erhalten hätten. Bis ferner der Reichstag die neue Ordnung gebilligt, blieb die Stellung des Administrators in dubio, die deutschen Fürsten mißbilligten deutlich des Kaisers eigenmächtiges Vorgehen. Carl

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Leopold, der mit heftigen Drohbriefen aus Danzig dazwischen geschossen hatte, kam 1730 plötzlich zurück und wurde freundlich durch die Städte aufgenommen; sie hofften, daß er die Herrschaft jetzt wieder erringen, die Superiorität des Adels brechen würde. Um einen Hauptschlag zu thun, sicherte er sich die Theilnahme Preußens, das argwöhnisch dem Wirken der Lüneburger in Meklenburg zugesehen hatte und gerne auch zur rechten Zeit Einfluß auf das Nachbarland gewonnen hätte. Kaum hatte der Kaiser, der einsah, daß mit der Anordnung der Admistration nicht durchzudringen war, abermals eine Commission ernannt und Christian Ludwig zum perpetuus Commissarius eingesetzt, als 1733 Carl Leopold von Schwerin aus ein Landes=Aufgebot erließ, General=Pardon verhieß, alle Privilegien u. s. w. zusicherte. Der Adel flüchtete, das Land kam in Aufruhr, überall fanden sich Leute, die für den Herzog eintraten, viele Bauern strömten herbei, in den Städten gährte es gegen die Magistrate, die sich nicht schnell genug entschließen konnten. Doch nach etlichen abenteuerlichen Zügen, bei denen des Herzogs Truppen fast durch das ganze Land kamen, wurde das zusammengelaufene Aufgebot durch die regulären Truppen der Braunschweiger und Hannoveraner Lüneburger), die verstärkt anrückten, theils gefangen, theils zersprengt.

Diese günstige Gelegenheit benutzten die Preußen, um sich einzumischen und sich in Besetzung des Landes mit den Executionstruppen zu theilen. Der Kaiser, dem es durchaus bedenklich schien, die nach Meklenburger Boden lüsternen Mächte länger im Lande zu lassen, drängte zunächst auf Entschädigung der Lüneburger, um ihnen den Vorwand zum Bleiben zu nehmen. Es wurden ihnen acht Aemter verpfändet, damit mußten sie zufrieden sein und gingen. Da es aber nicht anging, das Land ganz ohne Schutz gegen Carl Leopold zu lassen, so mußte 1734 Christian Ludwig ein Regiment Schwarzburger und ein Regiment Holsteiner in seinen Dienst nehmen. Die Preußen ließen nicht von dem einmal besetzten südlichen Landestheile und nahmen viele ungesetzliche Werbungen vor. Jene neuen Executionstruppen vertrieben den Herzog aus Schwerin, so daß er nach Wismar sich zurückzog. Seit Ende 1735 regierte Christian Ludwig von der Residenzstadt aus das Land. Von jetzt an ward bessere Ordnung. Carl Leopold kehrte wohl noch einmal 1741 nach Dömitz zurück, aber hatte keinen besonderen Einfluß mehr, nur wie bemerkt, blieben ihm Jura Episcopalia, die er immer willkürlicher handhabte. Die letzten Holsteiner traten in preußische Dienste; gewaltsame Werbungen der benachbarten, soldatenhungrigen Regierungen dauerten wohl fort, sonst

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aber waltete Christian Ludwig unangefochten in Schwerin als Commissarius. Carl Leopold starb 1747, und sein Bruder folgte ihm in der Regierung.

Alle diese verschiedenen Truppen, Landmilizen, Russen, Lüneburger, Schwarzburger, Holsteiner, Preußen sah der Reihe nach auch unser Städtchen, alle diese verschiedenen Wirren spiegelten sich in seinen inneren Zuständen wieder, alle diese Gesetzlosigkeiten und Vergewaltigungen fanden im Kleinen ihre Wiederholung daselbst, denn auch hier galt der Ruf: Hie Kaiser, hie Herzog! Rostock oder Dömitz! Der Streit tobte im Rath, er tobte in der Bürgerschaft, und wenn man schließlich keinen Ausweg fand, griff man zum Knüppel und schrieb mit deutlich wahrnehmbarer Schrift dem Mitbürger die Meinung auf den Buckel. Das letztere wäre ja, so schlimm es an sich war, noch erträglich gewesen, denn wie man einen blauen Rücken zu behandeln hatte wußten die Hausfrauen und die Bader sehr gut, der Streit in der Stadt war sicherlich auch nicht unberechtigt, weil die klügsten Männer des Landes schwankten, auf welcher Seite das meiste Recht wäre. Schlimmer war, daß der ganzen Stadt alle alten Wunden, die noch nicht verheilt waren, wieder aufbrachen, der Steuer= und Einquartierungsdruck zu unerträglicher Höhe wuchs, abermals die Bürger in Verzweiflung auf das Land zogen oder der Justiz vorgreifend Selbsthülfe suchten. Völlige Anarchie war das Ende. Die Sittenzustände waren grauenvoll, es zieht sich dem Beschauer schmerzlich das Herz zusammen, wenn er sieht, wie die Behörden und Ersten der Stadt oft die schlimmsten Vorbilder abgaben. Der Bürgermeister Gruël starb etwa 1715, sein Nachfolger Lille, ein harter Mann, der die Bürger sehr drückte und seine Hauptzeit mit Spielen verbrachte, war nur wenige Jahre im Amte und starb 1721. Da wurde der seit 1716 in Lage als Stadtvogt wohnende Artener, nachdem er sich bei Carl Leopold um die erledigte Stelle beworben hatte, ohne Wahl zum Nachfolger ernannt. Er hatte nämlich verstanden, in drastischen Farben die Zustände des Ortes zu schildern, wie noch kaum ein Drittel der Hausstellen neu aufgebaut sei, unverkennbar durch Schuld des Rathes, der aus Eingebornen sich ergänzend, immer nur Interessen=Politik treibe, wie demselben nicht daran gelegen, neuen Bürgern Raum zu gönnen, sondern ihnen heilsamen Schrecken vor Niederlassung einzujagen, wie er als Adelsdiener ertappt wäre, der um Schmeicheleien oder persönlichen Nutzen willen die Vortheile der Stadt verrathe, kurz, Artener wußte es so anschaulich zu machen, daß es höchste Zeit sei, einmal neues Blut in die Verwaltung zu bringen, daß der

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Herzog ihm die Stelle verlieh. Sofort war gegen den nunmehrigen Consul et Judex die Bürgerschaft feindlich gesinnt, der Bürgermeister Saß war alt und wagte nicht, dem Mächtigen zu widerstehen, der Rathmann Andreas Vogt ließ sich ganz ins Schlepptau nehmen und suchte seinen "Profit", es fehlte der Bürgerschaft also der rechte Führer, um den Kampf zu eröffnen, darum legte sie sich zunächst auf das Schimpfen. Den 56 Bürgern kam ein Befehl zu Hand= und Spanndiensten für Befestigungs=Anlagen recht zur Unzeit, und als der Rath sich selbst frei davon machte und der kleine Mann die Last allein tragen mußte, brach der Unwille zunächst gegen Andreas Vogt los, den reichsten und behäbigsten Mann der Stadt. Er hielt ein Wirthshaus, das bei den vielen Durchzügen gut gedieh, war von Profession ein Bäcker, betrieb Brauerei und Brennerei mit besonderem Schwung, besaß 30 Morgen Landes, die in guter Cultur waren, aber er hatte nur ein Herz für sich und nicht für die Noth seiner Stadt. Den Bittenden wies er hart die Thür, den Rath Erheischenden wollte der Rathmann keine Rede stehen und schimpfte sie als "Pracher, nackende Hunde, Heckenreuter, die alle zum Teufel gehen sollten, ihrer Sechse könnten dem nackenden Dinge (der Stadt) vorstehen, und wenn das andere Takel nur erst beim Teufel wäre, würde es besser sein, weil viele Schweine den Trank dünne machten". Ueber die kleinen Handwerker, die so kümmerlich ihre Existenz fristeten, hatte er besonders seinen Spott, er redete gerne von "Schneiderchens, Schusterchens, Pufferts (Leinweber), Uelkenhüter, Brackvögel, Schnappenlecker" u. s. w., fragte nichts darnach, wenn er seine Saaten besehen wollte, ob er dabei gelegentlich durch das Korn der Armen ritt. Der Consul et Judex war sein Freund und ließ ihn nicht zu Schaden kommen. "Der Himmel ist hoch, und der Kaiser ist weit" - konnte man mit einiger Aenderung auch wohl hier sagen. Man hatte. bei der Regierung Anderes zu thun, als sich um die Streitigkeiten der kleinen Stadt zu bekümmern.

Der alte Cantor Balhorn war endlich gestorben, und seine sehnsüchtig nach einem Freier sich umsehende Tochter hatte durchaus nicht Frau Cantorin werden können. Es meldete sich für das erledigte Amt ein Studiosus theologiae Georgi, der aus Rostock als ein gelehrter und frommer Mann empfohlen wurde; nachdem er vor Pastor und Gemeinde eine Probepredigt zur Zufriedenheit gethan hatte, wurde er in sein Amt als Cantor eingewiesen. Der Pastor Clasen athmete erleichtert auf, daß er eine ernstliche Stütze gegenüber den halsstarrigen Leuten gewonnen hatte. Im Anfang ging Alles gut, Georgi betrug sich ordentlich und that eifrig seine

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Pflicht, bald änderte er sein Benehmen, seine Lage gefiel ihm nicht, die Einnahmen waren ja nicht groß und liefen nicht gut ein, weil die Gemeinde zuweilen selbst nichts hatte, er wurde nachlässig im Amte, und eines Tages ließ er Alles stehen und liegen und hob sich von dannen. Nach wochenlanger Abwesenheit tauchte er plötzlich wieder auf und hielt es nicht einmal der Mühe werth, sich zu entschuldigen. Als er ins Cantorhaus, sein altes Quartier, gehen wollte, war die Thüre verschlossen, er kam kecklich zur Pfarre und verlangte den Schlüssel. Da aber der Pastor verreist war und die Pastorin darüber nicht verfügte, wandte er sich an den Küster und fand diesen auch im Besitze desselben. Die Weigerung, ihn herauszugeben, reizte Georgi, so daß er ohne weiteres dem Küster in die Haare fuhr, worauf derselbe davonlief. Mit einem Brechinstrumente öffnete der Cantor sich dann den gewünschten Zugang und quartierte sich wieder ein. Da er aber doch leben mußte, so ging er zum Gastwirth Getzmann und blieb da vom Dienstag bis zum Donnerstag in der stillen Woche, in dieser Zeit soff er, tanzte, sang Tralla, fluchte und trieb Unfug ärger als ein Soldat "Ich will was zu Fressen haben, hier ist Geld, kann ich um einen Groschen nichts zu Fressen bekommen, so schlag das Donner und Wetter drein!" schrie er wohl, trank mit einem Bettler in brüderlicher Gemeinschaft und machte der Dienstmagd unsittliche Anträge. Am Gründonnerstage betrank er sich noch heftig, schrie und sang auf der Gasse und zog mit seiner Flasche in der Hand zum Thore hinaus. Nachträglich wurde geargwöhnt, daß er wahrscheinlich katholisch sei, weil er von einem Katholiken sich einen Rosenkranz geliehen hatte, gegen den er einen alten, abgenutzten weggab, man erfuhr, daß er in der Zeit seiner Abwesenheit bettelnd in der Welt herumgezogen sein. Ein Bürger Behrens kam aus Pommern zurück und erzählt, dort sei ein Mann von länglicher Statur und schwarzen, krausen Haaren aufgetreten, der sich in verschiedenen Städten für einen Prediger aus Lage ausgegeben und erzählt habe, die Stadt sei abgebrannt, viele Bürger seien todt. In einem Orte wurde er nach Adam Behrens gefragt, der dort Bekannte hatte. Er erklärte ihn frischweg für todt, und im höchsten Mitleid gaben die Leute dem sich für seine Gemeinde so treu bemühenden Hirten. Zufällig kam nach einiger Zeit Behrens gesund und munter dort an, und man erfuhr, daß ein Nichtswürdiger Betrug geübt habe. Die Beschreibung paßte unverkennbar auf Georgi. Der Superintendent setzte einen Tag zur Untersuchung an, und als Georgi, der in Rostock sich aufhielt, es nicht für der Mühe werth hielt zu erscheinen, wurde er natürlich

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abgesetzt. Plötzlich tauchte er nach Wochen wieder auf und schrieb an den Fürsten, daß er durch allerlei Schikane des Pastors und durch bittere Noth gezwungen seine Stelle verlassen habe, um nicht zu verhungern. Nun sei er ganz heruntergekommen, aber ohne seine Schuld, also bäte er, ihm wenigstens das Armenrecht in Lage zu verleihen, bis seine Angelegenheiten geregelt seien, sonst müßte er vor Hunger crepiren! daß seine Eingabe keinen Erfolg hatte, läßt sich denken. Sein Nachfolger wurde 1721 Studiosus Nicolai, ein Sachse, der als Hofmeister im Kirchspiel lebte, ein feiner Mensch (so hieß es zunächst!) im Umgang, gelehrt, geschickt, bei Jedermann beliebt und zum Schulmeister gewünscht. Er predigte und unterrichtete mit großem Beifall und gewann unter den Bürgern sofort festen Fuß, weil er die junge Wittwe des Bürgermeisters Lille heirathete, eine stille freundliche Frau, die Tochter des Pastors in Thürkow. In sehr kurzer Zeit entpuppte sich sein eigennütziger, roher Charakter, insbesondere als er mit einer selbstsüchtigen Natur zusammengerieth. Des Artener Hund beißt nämlich - o Graus - des Cantors "Verken" todt, und der entrüstete Geschädigte läuft natürlich sofort zum Bürgermeister und stellt ihn wegen dieser scheußlichen Unthat seines Hundes zur Rede, es entspinnt sich ein heftiger Wortwechsel, und als Artener erklärt, es sei nicht wahr, holt der Cantor wüthend sein todtes "Verken" und wirft es dem Bürgermeister vor die Füße. Das kränkte den Consul et Judex bitter. Seitdem ist der Lärm im Zuge, der sich endlich dahin nach einiger Zeit zuspitzte, daß trunkenen Zustandes der Cantor den Consul et Judex überfällt, da er im Hause eines Bürgers weilt, ihm in die Haare greift und ihn zu Boden reißt. "Dieser Mordgeist", schreibt Artener wehmüthig, "hat meine Gesundheit geschwächet und meinen Kopf schändlich verquetscht und durch grausames Ausraufen meiner Haare meinen Kopf hohl und schwellend gemacht, daß ich vor Schmerz mich nicht lassen kann." Nicolai wurde bald sehr nachlässig im Amte, unverständig im Werk und Betragen, trieb sich spielend und trinkend in den Herbergen umher, schoß und fischte und wäre ohne Frage vom Amte suspendirt worden, wenn nicht seine Frau mit vieler Mühe die Schule noch zusammen gehalten hätte. Die Aermste starb bald nach schwerem Leid in der Ehe, der verkommene und durch sein wüstes Leben körperlich ruinirte Mann folgte ihr im Jahre 1730 nach.

Wenn das geschieht am grünen Holz, was will am dürren werden! Es werden wiederholt Mordpläne ruchbar, es tauchen Schatzgräber und Siebläufer auf und nutzen den Aberglauben der Leute aus unter Anwendung von Erbscheeren und Erbsieben; Diebe

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graben sich des Nachts unter der Thurmthüre durch, auch vom Thurm aus unter der innern Kirchthüre, sie finden freilich nicht viel, nur einige silberne Franzen und Glöcklein am Klingebeutel, aber sie kommen wieder und plündern den Armenblock gründlich aus. Bei der Pastorwittwe Blank wird eingebrochen, nachdem man am Tage zuvor ihr wachsames Hündchen vergiftet hatte, ein großer Koffer mit Leinen wird auf die Straße gezogen, aber die Diebe können ihn nicht fortbringen, weil des Cantors Hund sie stört. Bald darauf merkt der Küster, daß sein Hund vergiftet ist und schläft keine Nacht ruhig, die Bessern leben täglich in Furcht und Sorge, weil einzelne Bürger viel loses, durchstreifendes Gesindel beherbergen. Die Unsittlichkeit ist in der ganzen Gegend groß und macht sich unverschämt am Tage breit, die Edelleute lassen sich Dirnen aus Güstrow kommen und senden sie von einem Hofe zum andern, die Leute sehen's und machen's nach. Bald hier, bald da hört man Klagen über unendliche Schamlosigkeit. Dem Pastor Clasen sind die Hände gebunden. Wagt er, deutlichen Tadel auszusprechen, so muß er sich hüten, daß nicht sein Haus in Flammen auflodert oder ihm sonst ein Unglück geschieht. Er scheint allerdings ein schüchterner Mann gewesen zu sein, voll redlichen Willens, aber geringer Thatkraft. Anfangs versucht er, die ruchbaren Sünder zum Sitzen auf der Sünderbank, die nach damaliger Sitte in der Kirche vor der ganzen Gemeinde steht, zu nöthigen, aber er empfindet es, daß gerade die Reumüthigen, die herzlich nach Gott und seiner Vergebung verlangen, sich fern halten, weil die öffentliche Schmach sie zurückschreckt, darum wünscht er die Bank weg und benutzt sie nicht mehr als Zuchtmittel. Es ist erfreulich, daß er in dieser Zeit wenigstens die Lust, an der gänzlichen Herstellung der Kirche zu arbeiten, nicht verliert. Durch ihn erhält dieselbe ihr schönes Geläute. 1 )

Außer der geschilderten sittlichen Noth, an der sich am treffendsten der Rückfall in ein Elend bemerkbar macht, aus dem man im vorigen Jahrhundert in tausend Aengsten und Nöthen sich herausgearbeitet hatte, lastete nun auch der Druck anderer, mehr äußerlicher Verhältnisse auf den Bürgern, von denen wir etliche darlegen wollen. Bei der Besteuerung nach dem Hufen= und Erbe=Modus war die kümmerliche Lage der Stadt von der mit der Einschätzung betrauten Commission nicht richtig in Anschlag gebracht, man ver=


1) Um Unterbrechung der Darstellung zu vermeiden, will ich über die Glocken gleichfalls im Anhang berichten.
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langte nach der Stadtvertretung Ansicht von ihr weit mehr, als sie rechtlicher Weise zu zahlen hatte. Der Rath schrieb in seinen wiederholten Petitionen einmal: "Klüver schreibt, daß im Jahre 1506 eine Repartition über den Adel, die Städte und Aemter gemacht worden sei, was ein Jeder an Roß und Mann stellen muß; so hat derzeit Güstrow gestellt 100 Mann, Teterow 40 Mann, Lage 15 Mann. Diese Proportion scheint billig zu sein; daß wir aber jetzo auf 52 1/2 Erbe gesetzt und beständig alle Ausgaben darnach regulirt werden, ist für uns unmöglich zu halten. Unsere Landesvermessung vom Jahre 1726 zeigt klar, was wir zu der Zeit an Ländereien und Wiesen gehabt, und ist so genau bestimmt, daß sie auch zu der Zeit unsere jetzige Weide mit zu Land gerechnet, weil die alten Spuren darauf zu sehen gewesen, daß sie vor dem dreißigjährigen Kriege in Kultur gewesen. Mit diesem Acker hat Lage 579 Morgen 177 □R. Acker. Will man eine Hufe, wonach im Contributions=Edictum Ritter= und Landschaft steuern, in einen Vergleich mit den Erben, wonach die Städte repartiret werden, ziehen, so rechnet man auf eine Hufe nach dem alten Kataster 30 Morgen; nehmen wir also diese 30 Morgen für ein Erbe, so haben wir 19 1/4 Erbe. Nun sollte noch so, wie unter Kley= und Sandhufen ein Unterschied gemacht wird, auch unter den Erben ein Unterschied getroffen werden. Denn 1 Morgen hat 300 □R., es sei Sand oder Kley, ein Morgen Kley aber hat 4 Scheffel Rostocker Maaß, ein Morgen im Mittelacker 3 Scheffel, ein Morgen Sand 2 Scheffel. Nehmen wir nun unser Feld, so weltbekannt, daß es nur Sand, und setzen uns aufs höchste zu Mittelland, so kommt die rechte Proportion nach der in anno 1506 ausgeschriebenen Repartition über Roß und Mann zu 15 Erben, und dieses ist das Aeußerste, was unser armes Städtlein thun kann, und haben die Alten vor 100 Jahren schon eingesehen, daß Lage nicht höher in Erbe gesetzt werden kann. Man lege nun die Landmessung von 1726 zu Grunde, bonitire den Acker, untersuche und taxire die Häuser, Nahrung und Gewerbe eines jeden Ortes, es ist eine Gleichheit unter den Städten in solcher Weise ausfindig zu machen u. s. w." Auf einer andern Stelle schreibt gleichfalls der Rath, nachdem er den Verlust der Ländereien aufgezählt hat daß vor dem dreißigjährigen Kriege nach Klüver Lage 26 volle Erbe, 9 halbe und 10 Buden, zusammen 33 Erbe gehabt, und daß also, nachdem so viel Landes abgekommen, doch unmöglich 52 1/2 Erbe angesetzt werden könnten. Es sei doch nicht mehr als billig, daß die Herren vom Adel, die die Pertinentien für solche Bagatelle zu der Zeit bekommen, auch schuldig sein,

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davon dem Landesherrn zu contribuiren." - Man kann nicht umhin, die Beschwerden der Stadt bei genauerer Prüfung als berechtigte anzuerkennen. Ein Steuer=Modus, der vor dem großen Kriege bei dem ruhigen, gleichmäßigen Wohlstand der Städte vielleicht nicht so ungerecht war, durfte unmöglich bei den ganz veränderten Verhältnissen, die insbesondere in den Städten geschaffen waren, wieder aufgenommen werden. Lage war zur Zeit gar nichts weiter als ein großes Dorf ohne nennenswerthen Handwerksbetrieb. Nicht die gesammten Einwohner wurden gleichmäßig getroffen, sondern die Hausbesitzer vor allem. Sein Haus war vielleicht verfallen, und oft recht leer, seine Grundstücke waren verschuldet, wenn sie nicht schon längst vom Hause losgerissen waren, und dabei mußte er, weil er doch ein nach alter Anschauung so bezeichnetes ganzes oder halbes Erbe besaß, mehr geben, als ein reicher Mann, der Handel trieb und ein ausgedehntes Geschäft hatte, weil dieser letztere ein Haus hatte, zu dem vor Alters gar keine Grundstücke gelegt waren, das also für ein kleines Erbe galt, auch wenn die Stätte stattlich bebaut war. Die großen Ackerbesitzer gaben oft weniger, wie die kleinen Hausbesitzer, die außerdem noch die Einquartierungslasten zu tragen hatten. Ein Vergleich der Städte unter einander ergiebt, daß damals die notorisch kleinsten und ärmsten unverhältnißmäßig mehr steuern mußten, als die wohlhabenden und besser bevölkerten. Lage gab von 52 1/2 Erben, die angeblich vorhanden sein sollten, z. B. 1727 412 Thlr. 36 ßl.

Die Oeconomie in Rostock hatte aus alter Zeit in Lage ein Lehen aus dem Oeconomie=Acker in der Höhe von 6 Gld. 16 ßl. In der Kriegszeit von 1633 - 1667 hatte die Stadt nichts bezahlt, weil 1637 - 1657 "der Acker nur Blumen trug," 1638 und 1659 die Stadt abbrannte. Später 1683 wußte die Oeconomie dem etwas ungeschickten Bürgermeister Rosenow gegenüber die Anerkennung der auf 265 Gld. 5 ßl. aufgelaufenen Schuld und deren Verlegung auf die Langkavel=Wiesen zu erreichen. Diese mußten jährlich 6 Gld. 16 ßl. Lehnsgeld, 13 Gld. 8 ßl. Zinsen, dazu 30 Gld. Rathsgelder tragen. Abermals durch nachlässige Wirthschaft in der "herrenlosen, der schrecklichen Zeit" wurden die Zinsen nicht bezahlt, so daß schließlich die Schuld von 400 Gld. auf der Wiese lag. Die Nutznießer derselben, die Bürger, welche sie unter sich verkavelten und das Heu nicht entbehren konnten, mußten dasselbe oft theuer bezahlen.

Argwöhnisch späheten sie allmählich nach Jemandem aus, dem sie die Schuld an den sich steigernden Calamitäten beimessen konnten. Alle Augenblicke kam Execution von Rostock mit der

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Mahnung wegen nicht bezahlter Gelder, und da ja die meisten nicht lesen konnten, so tauchten 1725 erst heimlich, dann immer dreister, endlich mit offener Entrüstung die Anschuldigungen auf, daß der Rath, d. h. Artener im Verein mit dem übermüthigen Andreas Vogt, (Saß kam als alter Mann und schwacher Charakter nicht in Betracht), die Bürger schmählich betröge, 153 Thlr., die auf Bitten der Stadt von der Steuer nachgelassen waren, unterschlagen, nicht alle Aecker auf dem Stadtfelde in die zur Steuer=Erhebung entworfene Specification eingetragen, sondern etliche aus Gunst verschont habe. Die Erregten beschlossen, die Gelder nicht an die Beschuldigten (ein Kämmereibürger war wieder einmal nicht da!) abzuliefern, sondern selbst einzuziehen, um ferneren Unterschleifen vorzubeugen. Selbstverständlich erhielt der Stadtdiener, so oft er mahnend zu ihnen gesandt wurde, Prügel. Sodann forderten sie, indem sie ihren Verdacht in Rostock bei der kaiserlichen Commission, die den Landkasten verwaltete, vorbrachten, vor allem die Absendung eines Landmessers, der genau die Feldmark aufzunehmen habe, um eine richtige Grundlage für die fernere Besteuerung zu liefern. 1726 wurde der Conducteur Balsleben gesandt, der die Aufnahme rasch beendete, wonach seine Angaben dem Bürgermeister Artener zugesandt wurden, um sich darnach zu richten.

Damit waren aber Jacob Kehle, Hartwig Rosenow, Johann Siewert, Hans Gadewols, Daniel Holtzmann u. a. nicht zufrieden, sie forderten laut die Herausgabe der Specification und des Extractes, nach dem in Zukunft die Steuern erhoben werden sollten. Das wurde ihnen verweigert. Zuerst schimpften sie, "sie wollten Artener den Buckel voll schlagen und den Kopf entzwei kleiben;" "Artener will die Bürger jetzt schleifen, doch das kommt wohl vorbei, dann wollen wir ihn, seine Frau und Kinder wieder schleifen." "Wir wollen dem großäugigten Schuft einen Strick um den Hals thun, ihn ins Wasser ziehen, und alle Bürger sollen nachstoßen." Einer hetzte den andern. Dann drangen sie im Januar 1727 mit wüthendem Geschrei auf das Rathhaus und forderten drohend die Specification. "Schlagt zu, ich schlage mit!" schrie Jemand - wer war es? - die Fäuste reckten sich aus, Artener aus dem Fenster zu werfen, worauf er durch eine Seitenthür flüchtete und in sein Haus entkam. Mit Gewalt holten die Aufrührer von dort die Stadtlade, brachten sie auf das Rathhaus, versiegelten sie und erklärten: "Sie wüßten in Zukunft von keinem Rath." Um seinen zugedachten Lohn kam Artener auch nicht, denn gelegentlich prügelte ihn auf dem Wege zur Kirche Jemand gehörig durch.

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Die Empörer constituirten sich selbständig als Behörde, nahmen einen neuen Rathsdiener an, den sie in die Thorbude setzten, zogen die Stadtgefälle ein, enthielten dem Rath sein Salarium vor; um Geld zu schaffen, fällten sie Stadteichen, wobei Artener erschien und Protest erhob, jedoch nur, weil Cantor Nicolai, der schießkundige Mann, der sich zu solchem Zwecke gern mit Artener vertrug, par nobile fratrum, mit geladener Flinte ihm das Geleit gab. Beide Theile wandten sich sofort an die höhere Instanz. Artener behauptete bei der kaiserlichen Commissson, daß die Bürger Sabbathschänder, Spieler und Säufer wären, die ihn schnöde verleumdeten und ihn mit Schandschriften "an dem öffentlichen Pranger beschandfleckten. Wenn aber nur der Priester und einige von uns fleißig mit ihnen zu Bierhause der alten Gewohnheit nach gingen, en camerade mit ihnen beim Kegel= und Kartenspiel säßen, würde es besser sein, wie jetzt." Die Bürger erklärten bei Carl Leopold, Artener halte es mit der kaiserlichen Commission, er lege vor derselben Rechenschaft über seine Ausgaben und Einnahmen nur mit verfälschten Quittungen ab und verkleinere den Herzog, dem er seine Ernennung verdanke, schändlicher Weise. Sie wollten die Specification schriftlich haben, auch ein Protokoll solle ihnen herausgegeben werden, welches ihnen früher listiger Weise abgeschwindelt sei, daß sie den Rath wegen etwaiger Execution der Commission schadlos halten wollten, denn seitdem sie sich zu solchem Versprechen verstanden hätten, habe der Rath sie betrogen. Zur Repartition der jedesmaligen Contribution sollten die Viertelsmänner und außerdem drei aus jedem Viertel zu wählende Bürger zugezogen werden. Alle Baumgelder von den Thoren an Jahrmärkten müßten der Kämmereikasse zufließen. Artener müßte die von ihm unterschlagenen Gelder ersetzen, da sich herausgestellt habe, daß die von ihm vorgebrachten Quittungen gefälscht seien, auch wünschten sie nach dem alten Licent=Modus zu contribuiren.

Da indessen diese Sache vor die Justiz=Canzlei in Dömitz gehörte, so erhob Artener dort den Proceß, natürlich wieder zum Verdruß der Bürger, welche es lieber gesehen hätten, wenn ihre Angelegenheit als Verwaltungs =, nicht als Justiz=Sache angesehen und durch eine fürstliche Commission untersucht wäre. Während der fünf Jahre, durch welche der Proceß sich hinzog (1727 - 1732), blieben die Verhältnisse in der Stadt so verworren, wie sie sich nun gestaltet hatten. Sobald Artener den Versuch machte, die Landescontribution einzuziehen, traten die Bürger tumultuarisch ihm entgegen, er reiste nach Rostock und holte Execution; Lüneburger kamen und trieben das Geld zusammen, sobald sie abzogen, ging

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der Lärm wieder los. Die kaiserliche Commission verlangte hauptsächlich, daß sie das Geld erhielt, im Uebrigen mußte die Stadt sehen, wie sie fertig wurde, die städtische Verwaltung war von Dömitz aus zu regeln. Die Commission nahm allerdings, und das läßt auch auf ihr Urtheil über Artener schließen, demselben das bisher mit seiner Stelle verbundene Zöllneramt und gab es einem Lager Lorenz Strüwing; natürlich reichte Artener seine Beschwerde über den Eingriff in herzogliche Rechte ein. Um die angeblich unterschlagenen Gelder wieder zu erhalten, nahmen ihm die Bürger 108 Stiege Roggengarben vom Felde, aber Execution zwang sie zur Herausgabe.

An die Spitze der Widerspenstigen trat nun um 1729 der zweite Rathsherr Jacob Bunkenburg, der bisher sich wohl staatsklug zurückgehalten hatte, und er nahm die Sache entschlossener in die Hand, wußte auch die richtigen Hebel gegen den Bürgermeister Artener einzusetzen. Dessen Collegen Saß konnte er im December 1729 aus seiner Schwäche herausreißen und von demselben sehr belastende, beglaubigte Aussagen, die für die Entscheidung der Streitsache ins Gewicht fielen, erreichen. Saß erklärte auf seinem Sterbelager: "Artener habe ihn veranlaßt, aus der Stadtlade schon vor längerer Zeit die wichtigsten Stadtschriften (Registraturen, Quittungen u. s. w.) zu nehmen und ihm auszuhändigen, damit er sie in seinem Hause aufbewahre. Sein Gewissen dränge ihn, solches zu bekennen, damit Artener zur Rückgabe angehalten werden könne." (Artener hatte immer betont, daß diese Schriften verloren gegangen seien, und er nicht ganz genaue Rechnung abzulegen vermöge.) Ferner habe Artener Geld von den Bürgern erhalten, um den Versuch einzuleiten, das Lager Moor, das schwer verschmerzte, wieder zu erwerben, doch habe er es eingesteckt. - Die Sammlung von Zeugenaussagen ergab weitere schwere Anschuldigungen: Artener hatte immer behauptet, er habe aus eigner Tasche Auslagen zur Schuldendeckung gemacht, aber er hatte diese Schulden aus dem Ertrage abgeschlagener Eichen gedeckt. Kinder=Zinsen (Mündelgelder) habe er eingenommen und nicht bezahlt, so daß Vormünder und Kinder fortwährend Forderungen hätten. Was er an Stadtgeldern einnahm, verwendete er zu dem gegen die Stadt geführten Proceß u. s. w. Diese Anklagen gingen an den Herzog nach Danzig, wohin derselbe sich, wie oben bemerkt, gewendet hatte durch eine aus 6 Mitgliedern bestehende Gesandtschaft, worauf Artener bei der Commission anzeigte, diese sechs Läufer (wie er, sich ausdrückte) wären heimlich gesandt, um die Commission zu verkleinern. Inzwischen war Saß gestorben, der Herzog kehrte aus der Ferne

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zurück, in höchster Aufregung bat die Stadt 1730 um Bunkenburg als Bürgermeister und um Absetzung von Artener. Doch bestimmte Carl Leopold, wie es ja auch nicht anders sein konnte, daß Artener einstweilen noch bis zum Austrag der Sache im Amte zu bleiben habe, seine Emolumente beziehen, aber binnen drei Wochen Rechenschaft ablegen müsse; seine Rechnung solle den Bürgern zur Einsicht vorgelegt werden, darnach solle die Entscheidung kommen. Es fand ein großer Auflauf statt, und die Bürger gelobten sich, unter keinen Umständen Artener zu gehorchen, es möge Kopf und Kragen kosten, vielmehr wollten sie ihn bei Gelegenheit "aus dem Dinge herausjagen", weil keine Einigkeit im Orte sei, so lange er regiere, alles Unheil der Stadt sei von ihm gekommen.

Der arme Pastor Clasen war in diesen Zeiten in schlimmer Lage. Sein Gewissen verpflichtete ihn, die Rebellion zu mißbilligen, weil sie gesetzlos war, aber darum richtete sich der Zorn der Empörer gegen ihn. Flehentliche Briefe schrieb er an den Herzog, wie alle Justiz im Orte darniederliege, Schlägereien täglich sich mehrten. Kein Gerichtstag könne gehalten werden, weil Niemand erscheine, der vorgeladen sei, alles bleibe unbestraft, darum käme der Grundsatz auf: "Ich will mein eigner Richter sein, in Lage ist doch kein Recht, da geht Gewalt vor Recht." Prügelei sei Sitte geworden, für den abwesenden Mann werde wohl auch mal die Frau geprügelt Alle fürstlichen Mandate schafften nur größere Aufregung, es müßte eingeschritten werden, ehe Menschenblut fließe; er möchte gerne aus diesem gottlosen Orte mit Freuden gehen, weil er, wenn er einmal Strafpredigt thue, wegen der Rache in steter Angst sein müsse. "Wenn Ihrer Fürstlichen Durchlaucht Justice nicht endlich mit Nachdruck den Proceß hebet", so schreibt Clasen, "so entsteht ein Unglück, dem ich bisher gesteuert, wie mir noch neulich ein Bürger unter die Augen sagte, oder dabei nicht stille schwieg. Gott helfe mich los von den unartigen Leuten." Am 6. Novbr. 1730 bat er noch einmal "um Christi Blutstropfen willen, daß der Sache ein Ende gemacht würde."

Indessen zog die Erledigung der Streitsache sich doch wesentlich in die Länge, weil einerseits der Herzog sich, wie wir oben sagten, nach Auflösung der kaiserlichen Commission und vor Einsetzung des Commissarius perpetuus mit großen Plänen über Landesaufgebot trug, andererseits auf den anberaumten Terminen die Bürger nicht erschienen unter dem Vorwande, sie hätten Saatzeit oder sie waren nicht rechtzeitig geladen. Dagegen allerdings sagte Artener, sie wollten nur das einmal ergriffene Ruder nicht

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fahren lassen. Wer nicht in ihren Rath stimme und zum Processe Geld gebe, der sei in Gefahr, daß ihm die Fenster eingeworfen würden. Bunkenburg gewann immer mehr die Oberhand und versuchte nun auch, um als einer, der um der Stadt Rechte eifrig sorge, zu erscheinen, zum größten Verdruß von Clasen die Cantorats=Besetzung an sich zu ziehen. Nicolai war, wie bemerkt, gestorben, und Clasen brachte Stahl in Vorschlag. Sofort petitionirte Bunkenburg an den Fürsten, er solle den Studiosus Schweder nehmen, der in Kobrow conditionirte. "Sie hätten immer die Permission gehabt, sowohl einen Prediger, wie einen Cantor vorzuschlagen und zu erwählen, und dieser Schweder würde anjetzt von ihnen beliebt." Unterzeichnet wurde diese originelle Eingabe: Stadtobrigkeit und Bürger. Jacob Bunkenburg. Viertelsleute Daniel Holtzmann, Jacob Daniel Howe, Hinrich Kampmann, Johann Behrens, Jacob Frahm und 45 Bürger. - Selbstverständlich konnten sie mit ihrem Plane nicht durchdringen, aber Bunkenburg war doch der Held, weil er sich die Butter nicht ohne Weiteres vom Brot nehmen ließ. Wenn der Pastor Jemanden wegen ärgerlichen Lebens in sein Haus citirte, so ging derselbe erst zu Bunkenburg und fragte, ob er wohl kommen müsse, und dieser hetzte nach Kräften zum Ungehorsam auf.

Die Verwirrung stieg auf den Gipfel, sobald etlichen der Haupträdelsführer es schien, als ob Bunkenburg mit Consorten zu eigenmächtig regierte, insbesondere versagten ihm Daniel Holzmann und Jacob Frahm die Folge und petitionirten sogar für Artener. Kurzum, zuletzt wußte keiner, was er wollte und was er sollte.

Ich führe, um den Vorfall lebendig zu illustriren, den Verlauf einer Rechtssache an, die gerade in diese Zeit fiel. Reibungen zwischen den Bürgern und den Wardower Leuten traten sehr häufig auf. Wenn ein Lager bei solcher Gelegenheit auf dem Felde einmal Prügel bekam und sich bei dem Wardower Herrn von Lehsten beschwerte, dann schimpfte dieser, die Lager wären zum Theil Kanaillen und drohte dem Kläger auch seinerseits noch mit Prügeln. Natürlich vergalten die Bürger seinen Leuten wo sie konnten. Es kam wohl gar zu einem Gefecht mit Stakelforken. Besonders trutzig zeigte sich auf Wardower Seite der Diener Carl Hoff, er hatte eine Fehde mit dem Schuster David Vogt. Ganz ritterlich sandte er einst einen Cartellträger zu ihm und ließ ihn zum Zweikampf auffordern mit dem Satze: "Der Schusterbengel, der Hundsfott, solle mal raus kommen auf die Straße!" Aber der Geforderte kam nicht. Nun sandte von Lehsten am 4. Februar

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1732 ein Fuhrwerk mit Fischen nach Lage, und sein Diener Hoff mußte beim Verkauf thätig sein. Als der Wagen von Leuten umdrängt war, trat Vogt von hinten herzu und demonstrirte dem Feinde seine Gesinnung so nachdrücklich mit einem Knüppel, daß Hoff sofort blutend zusammenbrach. Lehsten klagte also beim Stadtvogt Artener, derselbe setzte einen Gerichtstag an, und da zu diesem Beisitzer nöthig waren, lud er Bunkenburg ein. Der ließ ihm sagen, das wäre keine Stadtsache, er käme nicht. Da machte sich Artener mit Zeugen zu David Vogt auf, ging in dessen Haus und fragte, ob er Caution stellen wolle, daß er nicht entwiche, sonst müsse er ihn in Haft nehmen. Vogt lachte ihm ins Gesicht und erklärte, er wolle mal sehen, wer ihm was wolle. Artener, der die Bürger fürchtete, ließ seine Forderung fallen. Weil nun Lehsten entschlossen war, seinem Diener Recht zu verschaffen, so drängte er wieder an und nöthigte den Stadtvogt, auf den 4. März einen Gerichtstag anzusetzen. Vogt hatte aber seine guten Freunde, am Termin war bei Ankunft des Richters das Rathhaus verschlossen, der Kunstpfeifer Hennings, der das Schließeramt hatte, war ausgereist und hatte angeblich den Schlüssel mitgenommen. Der Stadtvogt war außer sich und wollte des Schließers Frau sprechen, weil er jener Angabe nicht traute. Sie war nicht zu Hause. Sogar des Stadtvogts Tochter mischte sich ein und lief suchend in der Stadt herum, endlich fand sie die Frau, aber diese war im Hause einer Bekannten schnell ins Bett gekrochen und stellte sich krank. Als schließlich die Stadtrichter=Tochter sich in ihrer Erregtheit so vergaß, daß sie auch gegen Vogt sich heftig äußerte, erklärte dieser, sie für eine Kanaille und Hure. Jetzt setzte der Stadvogt einen Gerichtstag bei sich im Hause an. Vogt erklärte, er käme nicht anders, wie nur auf das Rathhaus. Am 8. März gefiel es ihm, sich auf dem Termin zu stellen, selbstverständlich 1 1/2 Stunden zu spät, und da begann er sehr patzig: "Warum denn von ihm solch ein Wesen gemacht würde, und bei anderen Vorfällen würde kein Gericht gehalten? Aber hier wäre wohl was zu ziehen, hier säße ja ein Edelmann dahinter. Was des Hauptmanns Schreiber hier solle, raus müßte der, so würde aus der Sache nichts. Der Stadtvogt mache mit Reden so viel Wind; ja, er habe Hoff geschlagen, weil dieser ihn einmal einen Schusterbengel genannt habe. Warum er Hoffs Beleidigung nicht geklagt hätte? Weil er vor dem Edelmann keinen Bückling habe machen wollen." - Das Urteil lautete auf 14 Tage Gefängniß und Tragung der Kosten. Vogt wischte mit der Hand über den Tisch und sagte: "Ich gebe nicht soviel, und ins Gefängniß gehe

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ich auch nicht. Wohin will der Vogt mich schließen, der mag nur erst aufschließen, dann will ich schon reingehen." Damit war die Angelegenheit in Lage erledigt, Artener war völlig ohnmächtig zur Durchsetzung der Strafe. Lehsten indessen, der diese Sache durchaus nicht stecken lassen wollte, wandte sich an die fürstliche Regierung, und da der Herzog damals dem Adel sich gefällig erweisen wollte, um das beabsichtigte Landesaufgebot durchzuführen, so wurde Vogt nach Schwerin citirt. Dem wagte er nicht zu widersprechen, so stellte er sich denn und saß seine Strafe dort ab. Wie viele solche Sachen aber sind wohl im Sande verlaufen, weil kein einflußreicher Mann sich derselben annahm.

Die Zeit, daß die commissarische Verwaltung noch nicht geordnet war, benutzte nun Carl Leopold, um endlich am 29. März 1732 das Urteil in der Sache der Bürger gegen Artener zu sprechen. Derselbe wurde als Bürgermeister abgesetzt, jedoch unbeschadet seiner Ehre (!), er blieb seltsamer Weise Richter. Er sollte Stadtsiegel und Schriften an Bunkenburg abliefern, und als er zögerte, griff dieser schnell zu und setzte ihn mit Hülfe der Tessiner acht Tage gefangen. Im August 1732 kam der Rath Fabricius nach Lage und setzte Bunkenburg als Consul, Andreas Getzmann und J. Chr. Buhse als Rathmänner ein. Natürlich protestirten sofort Rosenow und Holtzmann, die ihrerseits auf solche Posten gerechnet hatten, daß die Rathsverwandten ohne Wahl der Bürger einfach eingesetzt wären, da sie doch regelrecht erwählt werden und 25 Thlr. an die Kämmereikasse zahlen müßten. Dennoch ging der Act vor sich. Die Stadtschriften, die der neue Rath übernahm, waren meistens werthlos, und es wurde Artener befohlen, den Rest abzuliefern, indessen entschuldigte er sich, er habe denselben nach Schwerin gesandt. Nachdem abermals ein Kämmereibürger eingesetzt war, der unabhängig vom Rathe die Gefälle einziehen sollte, schien alles wieder in ein gutes Geleise gebracht. Andreas Vogt, der früher so übermüthige Rathmann, war in den Stürmen allmählich eingeschüchtert zurückgetreten, er wurde auch Bürgermeister, aber hatte, alt und gebrochen, gar keinen Entschluß, und die Dinge gingen ohne ihn ihren Gang weiter.

Indessen müssen wir sagen: Leider schien nur alles in ein gutes Geleise gebracht zu sein, denn die neue Ordnung war so einseitig vom Herzog geschaffen, daß, sobald die kaiserliche Verwaltung bei den schaukelnden Verhältnissen wieder Macht gewann, auch der Umschwung der Dinge sich in Lage bemerkbar machen mußte. Zur Veranschaulichung der schwankenden Zustände stellen wir die Schicksale des Webers Bahr dar. Derselbe hatte in der gesetzlosen Zeit

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eine arge Prügelei veranstaltet, so daß der Stadtvogt ihn vor Gericht citirte. Freilich kam er nicht, doch Artener nahm ihn in der Stille aufs Korn. Als das Landesaufgebot gegen die kaiserliche Verwaltung durch den Herzog erlassen wurde, prahlte Bahr gewaltig, daß er demselben zuziehen wollte, alle, die es mit dem Kaiser hielten, müßten draufgehen, Artener schwieg stille. Das Aufgebot wurde zerstreut, die Lüneburger beruhigten das Land, Artener holte Execution und erzwang von Bahr 10 Thlr. Strafgelder. Dieser war ganz klein. Jetzt rückten die Preußen ein, die Lüneburger wichen zurück, Bahr höhnte und ärgerte Artener öffentlich, derselbe schwieg stille. Die Preußen zogen sich zurück, gelegentlich kam ein Commando Holsteiner, Artener ließ Bahr durch Soldaten aus dem Bett holen, sechs Tage einsperren, eine Kuh ihm abpfänden und verkaufen; dazu mußte er 3 Thlr. zahlen und in Gegenwart des Pastors Urfehde schwören, daß er dem Artener nichts nachtragen wollte. Im Uebrigen schadete dem Bahr solches Schicksal nicht, denn er war einer von denen, die dem Faustrecht am meisten huldigten. Aber welche Zustände, wenn die geschilderten Schwankungen sich in 18 Monaten (Sept. 1733 bis Febr. 1735) vollziehen konnten!

Selbstverständlich benutzte Artener noch eifriger günstige Gelegenheiten, um sich an seinen bittersten und zähesten Gegnern, denen er den Sturz aus seiner Macht verdankte, zu rächen. Freilich wagte er, gewohnt immer mehr heimlich und hinterrücks seine Absichten zu verfolgen, auch nicht gegen den durch herzogliches Ansehen geschützten Bürgermeister vorzugehen, so lange die Stadt sich in der rechten Stellung zum Gericht erhielt. Sie war durch ein geschärftes herzogliches Edict 1732 angewiesen, sich in Zukunft der Rechtspflege nicht hinderlich zu beweisen, einen Gerichtsdiener zur Verfügung zu stellen, zwei Gerichtsbeisitzer aus Stadtmitteln zu halten, eine Gerichtsstube einzuräumen, und was solche Dinge zur Erzielung guter Ordnung mehr waren. Aber wenn man nur suchte, ein Grund zum Streit mußte sich schon finden. Artener horchte freudig auf, als die Stadt Anspruch auf den sogenannten Abschoß oder Decem erhob, d. h. Verzehntung der Erbschaften unverheiratheter Leute nach Ablassung der Hochzeits= und Ehrenkleider, sowie Verzehntung der Gelder, die die aus der Stadt Wegziehenden durch Verkauf ihrer Grundstücke eingenommen hatten. Artener behauptete, als die Erben des Cantors Nicolai ihren Grundbesitz an den Rathmann J. Chr. Buhse verkauften (1732) unter der Bedingung, daß er den Abschoß trage, daß diese Einnahme dem Gerichte gebühre, er habe viele Vorschüsse gemacht, und

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es sei nicht abzusehen, wie er zu seinem Rechte kommen solle, wenn solche Einnahmequellen verstopft würden. Bunkenburg forderte den Abschoß für die Stadt. Wir wissen, daß in früherer Zeit es Regel war, daß aller Abschoß getheilt wurde, so daß zwei Drittel an den Fürsten resp. sein Gericht, ein Drittel an die Stadt kam. Da aber aus dem Leser schon bekannten Gründen alle wichtigeren Stadturkunden verschwunden waren, so irrte allerdings Bunkenburg mit seiner Forderung, aber doch nur theilweise, war aber auch nicht der Mann, ohne Weiteres ein betretenes Feld zu räumen, Behauptung stand gegen Behauptung. Buhse bezahlte natürlich der Stadt den Abschoß. Als nach dem Scheitern des Landesaufgebotes (1733) die Lüneburger kamen, rief Artener sie gegen die Vergewaltigungen des Rathes an, und Bunkenburg mußte sich dem Arrest durch die Flucht entziehen. Mit den Preußen tauchte er indessen wieder auf. Nach deren Abzug reiste Artener mit Jacob Frahm heimlich nach Rostock und erwirkte von der Commission die Verurtheilung des Rathes zur Herausgabe des Abschosses, bei welcher Gelegenheit er nicht versäumte, seine Ergebenheit gegen die kaiserliche Verwaltung zu geloben und dem Herzog abzuschwören. Heimlich, um nicht als Anstifter erkannt zu werden und in Folge dessen bei den Bürgern später in Gefahr zu stehen, begleiteten beide Verräther das ihnen zur Verfügung gestellte Commando verkleidet, Artener hüllte sich in einen rothen Mantel, Frahm lieh sich in Prisannewitz ein Bauerngewand. So kamen sie plötzlich vor das Haus des Bunkenburg, der zum Glück rechtzeitig gewarnt war und mit dem Rathmann Getzmann entfliehen konnte. Sie eilten, da sie sonst im Lande nicht sicher waren, stracks nach Wismar. Dagegen wurden der zweite Rathmann Buhse und der Commandeur der Schützenzunft Siewert gefangen genommen. Artener trat nun offen hervor und ließ seiner tückischen Rache den vollsten Lauf. Eifrig hetzte er die Soldaten, sich ja nichts abgehen zu lassen, sie zwangen Bunkenburgs Frau, Bier, Branntwein und Tabak im Ueberfluß zu schaffen, und immer wieder erklärte der triumphirende Stadtrichter: "Das Weib und der Kerl können nicht genug gequält werden." Man nahm also (jedenfalls als Ersatz für das verweigerte Abschoßgeld) Schafe, Schweine, Hühner und Gänse, Leinen und Hafer, soweit die Soldaten nicht von dem Raub für sich gebrauchten. Der Hauptmann legte Beschlag auf einen Koffer mit Schriften und Briefen und forschte die ganze Nacht nach Anhaltspunkten, die Bunkenburgs Schuld beweisen könnten; schließlich am Morgen sagte er enttäuscht: "Der Kerl (Artener) giebt viel an, kann aber nichts beweisen." Auf der Straße fand der Söldnerführer Bunkenburgs

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Kinder, wie sie um Brot weinten, mitleidig und allmählich mißtrauisch in Arteners Sache kaufte er selbst Brot und Butter und sättigte sie. Bei dieser Gelegenheit soll Bunkenburgs Frau in ihrer Bedrängniß, in der alle mühsam erworbene Habe verloren ging und sie in bittere Noth gestoßen wurde, einen schweren Fluch über Artener ausgesprochen haben, daß noch einst die Thiere mit seinem Leichnam herumstoßen sollten, und die Sage (siehe Anhang) hat uns erhalten, wie dieser Fluch an dem schlimmen Manne sich vollzog.

Artener wurde nun abermals durch commissarischen Befehl zum Bürgermeister eingesetzt und drangsalirte die Bürger heftig. Siewert und Buhse wurden nach Rostock geschleppt und mußten zunächst 9 Wochen im Zwinger in harter Kälte sitzen, darauf wurden sie nach Güstrow abgeliefert, woselbst sie noch 15 Monate im Gefängniß gehalten wurden, weil Artener sich nicht beeilte, seine Anklagen eingehend zu beweisen; als sie endlich loskamen, war der Bürger Siewert wenigstens ein Bettler. Gegen Mitte des Jahres 1735 waren Bunkenburg und Getzmann noch in Wismar, wohin sie gegen Ende 1733 geflohen waren, wiederholt gingen ihre Klagen an Carl Leopold, der selbst ja von Schwerin nach Wismar geflüchtet war und nicht helfen konnte.

Die Zeiten wurden ruhiger, bei genauerer Untersuchung kam dann die wahre Sachlage zu Tage, Artener mußte innerlich knirschend seine Consulwürde wieder niederlegen. Bunkenburg kehrte zurück. Aber noch im Jahre 1736 mußte derselbe sich beschweren, daß, obgleich die ihm geraubten Schriften an Artener mit dem Befehl gesandt seien, sie ihm wieder einzuhändigen, er noch nichts davon gesehen habe. Erst ein Jahr darauf kam er in den Besitz. Artener machte, als 1737 Bunkenburg starb, nachdem Andreas Vogt ihm ein Jahr zuvor im Tode vorangegangen war, noch einmal den Versuch, seine frühere Würde wieder zu erwerben, jedoch vergebens, er verlor allmählich alle Bedeutung. Jürgen Christoph Buhse und Lorenz Anton Kuhr wurden Bürgermeister, Getzmann und Johann Heinrich Vogt waren Rathmänner.

Ueber den Schaden der Stadt in solchen schlimmen Zeiten läßt sich nichts Bestimmtes angeben. Vielleicht kann man aber sich den rechten Begriff machen, wenn man bedenkt, daß 1736 etwa 80 Bürger im Orte waren, wovon über 30 Tagelöhner, die das Ihre fast zusammen bettelten, über 40 Besitzer, die zwar etliche Morgen bebauten, aber so sehr verschuldet waren, daß sie nichts mehr ihr eigen nannten. Vom November 1733 bis März 1736 hatte die

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Stadt allein an die Preußen etwa 2395 Thlr. (Naturalien zu Geld gerechnet) zu liefern. Dazu setze man die Ausgaben für andere Truppen, Executionen, Processe u. s. w. Frank giebt als Kosten der Einqartierungslasten, die der Stadt durch Preußen auferlegt wurden, 1073 Thlr. 14 ßl. an. Und wie unter dem Drucke des Deutsch=holländischen Krieges, so erhebt der Rath in seinen Eingaben die Klage, daß die Bürger nicht in der Stadt bleiben wollen, sondern nun, da die Ritterschaft wieder in Sicherheit wohnt, auf die adligen Höfe ziehen. Und abermals strebt ein Wardower von Lehsten die Nothlage auszunutzen, um die Stadtangelegenheiten zu beeinflussen und zu seinem Vortheile auszubeuten. Er gedachte thunlichst viele Stadtländereien möglichst billig zu erwerben und an seine Güter zu bringen. Da die Besitzer die Aecker, die meist verpfändet waren, nicht halten konnten, so mußten sie bei einiger Aussicht auf klingende Münze leicht zum Verkauf zu locken sein. Die Gefahr lag dann darin, daß nicht bloß der Ertrag auswärts verbraucht wurde, sondern daß vielleicht gar die auf solchen angekauften Grundstücken liegenden Stadtlasten beseitigt wurden. Zum Glück waren die Bürger auf ihrer Hut.

Die Grundstücke des weiland Bürgermeisters Bölckow, der in den achtziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts lebte, wurden durch die auswärts lebenden Erben zum Verkauf gestellt, und der Bürgermeister Buhse wurde sofort von der Stadt bevollmächtigt, den Ankauf einzuleiten. Er verhandelte mit einem Rostocker Bölckow, der im Verein mit seinem Bruder von den sämmtlichen Erben mündlich Vollmacht zum Verkauf erhalten hatte, und schloß den Kauf für 540 Thlr. ab, worauf 100 Thlr. sofort ausgezahlt werden sollten. Beim Zahlungstermin wurde indessen von den andern Erben Einspruch gethan, weil dieselben inzwischen mit dem Hauptmann von Lehsten verhandelt und um höhern Preis abgeschlossen hatten. Sehr oft war dieser schon übermüthig gegen die Städter gewesen, wiederholt hatte er die Feldmark vor und nach der Ernte bejagt u. s. w., so daß die Stadt in heftigste Erregung gerieth, und nun kam er gar mit sechs Leuten, die zum Theil geladene Gewehre trugen, nach Lage, ging in das Bölckowsche Haus, legte ein Paar geladene Pistolen vor sich auf den Tisch und erklärte, er wolle hiermit von seinem rechtmäßigen Eigenthum Besitz nehmen. Feierlich kamen Bürgermeister und Rath indessen herbei und protestirten sofort gegen die Besitznahme, "wodurch der actus possessionis abrumpiret ist." Die Stadt behauptete nämlich als ihr altes Stadtrecht, das von Urzeit her gegolten habe daß immer ein Bürger vor einem Fremden das Vorkaufsrecht habe, daß der

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Nachbar jedesmal das nähere Kaufrecht besitze, der Miethsmann das allernächste, und daß immer die Onera, die auf der Stelle hafteten, auf den Käufer übergingen. Allerdings war sie nicht im Stande, dieses Recht urkundlich zu belegen, aber es wurde doch durch alte Leute sicher bezeugt. (Man erzählte, daß einst zwei alte Bürger mit der Stadt besten Urkunden sich zum Geheimrath von Viereck in Zapkendorf begeben hätten, um dessen Ansicht als Bürgervorsprecher in einem besondern Falle zu hören, aber diese seien später betrunken in einem Graben gefunden und die Schriften seien verschwunden.) Der Herzog Carl Leopold, dem die Stadt ihre Noth vortrug, unterstützte auf ihren Wunsch dieses Recht mit folgender Urkunde: "C. L. Demnach uns die Ehrsamen Unsere liebe getreuen Bürgermeister und Rath sambt der Bürgerschaft der Stadt Lage supplicando unterthänigst zu vernehmen gegeben, welchergestalt einige Bürger intentioniret wären, ihre Häuser und auf dem Stadtfelde liegenden Ländereyen an auswärtige und angrenzende zu veräußern und solcher gestalt zur Schmälerung der Scheiden und Grentzen Anlaß zu geben, welches, wenn es zum Zweck kommen sollte, dem publico zum höchsten Nachtheil und Verderb gereichen würde, Wir aber solche verderbliche und unzulässige alienationes nicht gestatten können noch wollen, als inhibiren und befehlen wir hiermit der gesambten Bürgerschaft und allen Einwohnern besagter Stadt Lage, daß keiner von ihnen, wer der auch sey, seine zu Stadt Recht liegenden Häuser und Ländereyen an einen Auswärtigen und angrentzenden, er mag Nahmen haben, wie er will, veräußern, sondern ein Jeder, wenn er sie aus Noth verkaufen muß, dieselben seinen Mitt=Bürgern, nach dem tax zweier unpartheyischer, von dem Magistrate dazu verordneter und beeydigter, der Sachen verständiger Bürger und Hauswirthe überlassen, auch solches bei Vermeidung schwerer willkürlicher Strafe benebst gerechter Cassirung und Annullirung alles darüber vermeintlich abgehandelten nicht anders handeln solle. Wie denn auch Bürgermeister, Gericht und Rath über diese unsere gnädigste Verordnung, und daß derselben beständig gelebet werde, eifrigst zu halten krafft dieses ernstlich und sub poena arbitraria befehliget werden. An dem geschieht Unser gnädigster, auch ernstlicher Wille und Meinung. Datum Wismar, den 7. Martii 1738. (Später bestätigt den 6. März 1749.) - Da diese Urkunde aber doch nicht rückwirkende Kraft haben konnte, so mußte die Stadt sich auf einen kostbaren Proceß mit Lehsten einlassen, das Hof= und Landgericht, das unter Christian Ludwigs Hoheit wiederum in Güstrow eingerichtet war, verschlang viele Kosten, welche Lehsten leicht, die Stadt nur müh=

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sam aufbringen konnte. Lehsten behauptete, daß es nach der Landesordnung von 1552 den Adeligen völlig freistehe, in den Städten sich häuslich niederzulassen, sobald sie alle Pflichten des Bürgers übernehmen wollten. Der Proceß dauerte 11 Jahre, aber endete zu der Stadt Gunsten. Inzwischen wurde ein zweiter begonnen, nachdem Lehsten ganz trotzig von einem Peter Scheele noch zwei Morgen Ackers gekauft hatte. Die Lager klagten, er schiene es darauf angelegt zu haben, die Stadt durch viele Kosten zu ruiniren, um die Städter zu Bauern herabzudrücken, aber sie verfochten siegreich ihr Recht, das jus vicinitatis et consanguinitatis. (Bei dem Verkauf von Grundstücken in der Stadt hatte der Nachbar das Vorrecht, der marktseitig wohnte, bei den Grundstücken auf dem Felde der, welcher stadtwärts lag.

Zum Schluß des Abschnittes will ich bemerken, daß die Bürger, verlockt durch ihren Sieg in den früheren Jahren, noch einmal gegen die Bürgermeister, insbesondere gegen Kuhr, der angeblich wie ein Souverän herrschte, ihre Macht zeigen wollten, indem sie 1744 den Gehorsam kündigten und die Stadtgefälle einzogen. Aber die Zeiten waren anders geworden. Die Justiz wurde prompt gehandhabt, der Rath erhielt Recht, die Bürger mußten trotz Proceß zum Gehorsam zurückkehren. Inzwischen war aber ein anderer Streit über die Stadt und zugleich die ganze Gemeinde gekommen, bei welcher der unsagbar traurige Verfall unseres Landes auf einem andern Gebiete in einem fast noch grelleren Lichte uns entgegentritt. Es handelte sich um einen Streit über die Pfarrwahl.


V. Der Streit um die Pfarrbesetzung.

Der Pastor Clasen war im Alter von 56 Jahren am 14. August 1741 nach kurzem Krankenlager gestorben, und damit war die einst schon umstrittene Frage nach dem Rechte der Pfarrbesetzung wieder eröffnet. Der Fürst hatte früher den Versuch zur Solitär=Präsentation gemacht, die Eingepfarrten, insbesondere der Adel setzten dagegen die freie Wahl unter mehreren Candidaten durch. Es ließ sich nun von vorneherein erwarten, daß um die Besetzung der Lager Pfarre ein noch heftigerer Streit erwachsen würde, sobald Carl Leopold, der die Jura episcopalia sich nicht verkümmern ließ, den Versuch machen würde, die alten Ansprüche der Fürsten zu erneuern, denn einerseits war im ganzen Lande

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schon ruchbar, daß leider zu Dömitz arge Simonie bei Bewerbung um Aemter im Schwange war, weil der Herzog und seine Beamten immer noch Geld verlangten, andererseits waren nach Lage einflußreiche Männer vom Adel eingepfarrt, die ganz gewiß sich von dem ihnen verhaßten Herzoge nichts, was irgendwie anfechtbar war, wollten bieten lassen. Den Hauptmann von Lehsten in Wardow haben wir schon kennen gelernt, in Schweetz war von Drieberg, in Cobrow Major von Viereck, in Subsin und Klein=Lantow Rittmeister von Viereck.

Noch im September 1741 bewarb sich ein Sohn des Verstorbenen um die Stelle, aber fand keine Berücksichtigung. Dagegen reiste eine Frau Witte aus Rostock nach Dömitz und erlegte 2000 Thlr., das wirkte so gut, daß, ohne daß der Ablauf des Gnadenjahres abgewartet wurde, Nicolaus Jacob Witte, ihr Sohn, nach Prüfung durch den Superintendenten Siggelkow zum Pastor in Lage durch Allerhöchstes Rescript ernannt wurde. Unvorsichtiger Weise sprach die Mutter über ihr Mittel zum Kammerjunker von Drieberg auf Hohen=Sprenz, das Unrecht ihres Vorgehens damit beschönigend, daß ein Güstrower Theologe für seinen Sohn die Bützower Pfarre für 4500 Thlr. gekauft habe. Als das bekannt wurde, that der Adel sofort die nöthigen Schritte. Am 4. November übergab Namens der eingepfarrten Ritterschaft von Lehsten ein Memorial auf dem Landtage wegen des schon in Dömitz ordinirten Witte, der sich zur Introduction am nächsten Sonntage eindrängen wolle. Solches ging an die Minister von Christian Ludwig, und weil nun dieses Unternehmen ausdrücklich gegen die Reversales ging, so wurde Entsendung eines Commandos zur Störung der Introduction beantragt. Der Superintendent hatte in der That die Einführung auf den 25. Sonntag p. Tr. angesetzt und wurde von Witte dahin benachrichtigt, daß ein Unteroffizier mit neun Mann in Lage eingetroffen sei, die Kirchenschlüssel erzwungen, alle Kirchenthüren von Innen verriegelt und nur eine unter beständiger Wache offen gelassen habe, mit dem gemessenen Befehle, unter keinen Umständen den Superintendenten in die Kirche zu lassen. Im Januar 1742 sandte Christian Ludwig an den cand. theol. Witte in Rostock den schriftlichen Befehl, sich bei 100 Thlr. Strafe in Lage nicht introduciren zu lassen. Witte verweigerte die Annahme und sandte das unerbrochene Schreiben, das man in der Stube auf dem Tische niedergelegt hatte, zurück. So mußte denn längere Zeit das Commando bleiben, weil man den Versuch witterte, die Leute durch Warten zu ermüden; die Stadt war sehr verdrießlich, daß sie die Last tragen mußte, wenn auch der Adel

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die Service=Gelder erlegte, und bat am 12. October 1742 beim Superintendenten dringend um Erledigung der Sache. Sehr vorsichtig erkundigte sich derselbe (Zander) erst, ob es gerathen sei, überall dem grollenden Herzog in Dömitz, der in seinen Launen unberechenbar war, mit der Angelegenheit zu kommen, und ward dann mündlich bei demselben vorstellig. Witte hatte auf Anfragen keine Lust, sich mit etlichen Anderen zur Wahl zu stellen und wurde bald mit der Versetzung nach Sternberg getröstet, so daß dann endlich im Mai 1743 die Präsentation der drei Candidaten Johann Hartmann, Justus Statius und Joachim Zander (des Superintendenten Sohn) Allerhöchst beschlossen war. Freilich waren damit Zwischenfälle aller Art nicht ausgeschlossen, denn plötzlich tauchte in Dömitz der Pastor Schulze aus Westenbrügge auf und bat den Landesfürsten um die Lager Präsentation für seinen Sohn Carl Leopold, den der Herzog um so mehr zu berücksichtigen wünschte, als er Pathe desselben war. Der neue Bewerber war freilich noch sehr jung, 19 Jahre alt, auch noch nicht examinirt, und es waren ja schon drei Candidaten bestimmt; aber das Erstere ignorirte man, mit dem Examen war immer auf Befehl fertig zu werden und das Letztere? Da galt es einen Vorwand suchen, um C. L. Schulze einschieben zu können. Statius machte gerade eine Reise ins Holsteinische - halt, da ließ sich annehmen, er sei überhaupt für die Zukunft ins Ausland gegangen. Schnell also Schulze eingeschoben, und die Wahl beschleunigt auf den 3. Sonntag p. Trin., den 12. Juli 1743, festgesetzt!

Nun wachten des Statius Angehörigen; seine Mutter sandte ihm einen Expressen nach und ließ ihn zurückholen, so daß er sich noch rechtzeitig dem Superintendenten vorstellen konnte. Der alte Zander kam in große Noth, denn er kannte den Wunsch des Herzogs und konnte gerechter Weise Statius doch nicht ausschließen; um sich zu sichern, fragte er zuvor beim Herzog an, ob er Schulze als vierten Candidaten präsentiren solle. Dieser war gerade in Güstrow, um sich den Text zu seiner Wahlpredigt zu holen und erbot sich äußerst gefällig, den Brief, der Instruction erbat, mit nach Wismar zu nehmen, von da gehe immer eine sichere Ordonnanz, und diese werde das Schreiben am raschesten bestellen können. Zander band ihm den Brief sehr ein, und Schulze reiste nach Wismar.

Vergebens wartete der Superintendent auf Antwort, der Wahltag war nahe und konnte nicht verschoben werden; was halfs, Zander mußte die vier Candidaten aufstellen. (Die Ordonnanz erklärte später, ihr sei von Schulze durchaus keine Eile empfohlen,

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also sei sie bei dem schlechten Wetter langsam gereist; es gewann den Anschein, als ob Schulze, für den die Wahl prächtig vorbereitet war, eine Durchquerung seiner Pläne fürchtete und absichtlich die Zögerung verursacht hatte). Unmittelbar vorher hatte der alte Pastor Schulze an den Rittmeister von Viereck und den Bürgermeister Buhse geschrieben, daß sein Sohn ein Mensch sei, an dessen Erudition und Lehre und Leben der Neid nichts auszusetzen habe und den zu wählen sie nicht gereuen würde; der Kammerdiener Wölper schrieb aus Dömitz an den Rath und gab den zarten Wink, daß man es bei Hofe sehr gern sehe, wenn Schulze gewählt würde. Vor und während der Wahl geschahen noch allerlei Umtriebe, und der taktlose Vater war selbst zugegen.

Als die Wahl eröffnet wurde, erklärten die Eingepfarrten dem Superintendenten, daß sie zwar gegen die Aufstellung von vier Candidaten protestiren könnten, allein aus Devotion wollten sie es sich gefallen lassen. Die Predigten wurden gehalten, bei der folgenden Abstimmung, die regelrecht verlief, hielten sich die Adeligen in ihren Stühlen sehr nahe, so daß sie alles controliren konnten und jede Unregelmäßigkeit entdecken. Der Wahlact verlief correct, und es ergab sich, daß Hartmann 1, Zander 20, Statius 46 und Schulze 55 Stimmen hatte. Sofort trat heftig von Viereck=Klein=Lantow auf und erklärte, daß er gegen den Wahlact protestiren müsse, es sei bei der Wahl nicht alles richtig zugegangen. (Aus dem Protokolle ergiebt sich, daß die Masse der Bürger und etliche der Subsin=Bresener für Schulze waren; der Ungehorsam dieser Letzteren gegen die Weisung der Herren, für Statius zu stimmen, ergab die Majorität für Schulze). Der Superintendent, dem es gewiß nicht zur Freude gereichte, daß sein Sohn nicht gewählt war, behauptete indessen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Wahl und sandte das Protokoll an den Herzog ein, an diesen aber wandten sich die Adeligen mit dem Rathe der Stadt, der mit den Bürgern zwiespältig war, und erboten sich, die Motivirung ihres Protestes demnächst regelrecht vorzulegen. Carl Leopold ließ indessen in Eile das von seinem Hofprediger Rodatzi und zwei anderen Pastoren dem Schulze ausgestellte Zeugniß über sein wohlbestandenes Examen dem Superintendenten zugehen und befahl ihm, sofortige Ordination und Introduction vorzunehmen. Auf das Gerücht davon reisten zwei Adelige, v. Lehsten=Wardow und v. Viereck=Subsin, nach Güstrow und verhandelten mit dem Superintendenten, um von demselben Aufschub zu erlangen, damit sie ihre Gründe gegen Schulze vorbringen könnten, die bei Jedermann durchschlagen müßten, ja, es sollten ihnen sogor willkommen sein, wenn der Herzog aus den

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drei anderen Candidaten ihnen einen Pastor auswählen wolle nach seinem Belieben; Schulze hätte von dem Haufen nur in seiner Blindheit gewählt werden können, bei offenen Augen müßte ihn jeder verabscheuen. Der Superintendent erklärte aber, daß die ganz bestimmten Aufträge des Fürsten ihm Zögerung verböten, worauf der Adel sich an Christian Ludwig als kaiserlichen Commissarius wandte und unter dem Vorwande, daß der Rath zwiespältig mit den Bürgern sei und ein Aufruhr erwartet werden könne, die Absendung eines größeren Commandos erbat. Solcher Bitte wurde sofort gewillfahrt, am 27. Juli rückten 30 Mann in Lage ein. Im Trotz dagegen befahl nun Carl Leopold, der Superintendent solle unter allen Umständen kirchenordnungsmäßig am 10. Sonntage p. Trin. 1743 die Introduction vornehmen.

Abermals war Schulze der schlauere. Die Ordination hatte er vermöge seines Einflusses schon erreicht und außerdem einen Specialbefehl vom Herzog erzielt, worin bündig angegeben war: "So befehlen wir Euch hiermit gnädigst, daß Ihr als legitime erwählter, berufener und ordinirter Prediger Euch nach Lage hin begebt, daselbst mit Vorweisung dieses unseres landesfürstlichen, unmittelbaren Befehles den Gottes= und die übrigen Kirchen=Dienste allda antretet, übernehmt und getreulich verrichtet". Diesen Befehl wußte der listige Mann trefflich für sich auszunutzen. Obgleich daraus wohl nur entnommen werden sollte, daß er sich nicht abschrecken lassen möge, so deutete er ihn so, als habe er nicht auf die Introduction durch den Superintendenten zu warten, sondern müsse zuvor schon sich selbst introduciren.

Im Städtchen war Alles ruhig geblieben, das Commando empfand man doch sehr drückend, Niemand wünschte, dasselbe lange im Orte zu haben, da es viele Unkosten machte, nach zweiwöchentlichem Aufenthalte maschierte es wieder ab, nur ein Posten blieb zurück, um allsonntäglich die Thurmthüre zu bewachen, daß der Introducent nicht eindringe, die anderen Thüren waren verschlossen. Außerdem umging noch ein Soldat immer die Kirche, um etwaige Versuche, durch ein Fenster einzusteigen, zu hintertreiben. Schulze rüstete Alles gleichsam zu einem Ueberfall. Es wohnte in dem Orte eine auffallend große, hagere Frau Bölckow, die männliche Statur hatte, dieselbe wurde bestochen, ihre Kleider miethsweise herzugeben. Am nächsten Sonntage ging nun diese allen wohlbekannte Frau, ehrbarlich das Gesicht tief geneigt und durch den Hut verborgen, so daß man sich über ihre Andacht schier verwundern konnte, ins Gotteshaus und gar in des Pastors Stuhl, während die Posten eifrigst nach dem Pastor ausschauten. Bald

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erhob sich mächtige Bewegung in der Gemeinde, denn aus des Pastors Stuhl heraus trat Schulze, ging ruhigen Schrittes auf die Kanzel, verlas den herzoglichen Befehl, hielt seine Predigt und schloß den öffentlichen Gottesdienst mit dem üblichen Absingen und Segen. Der Posten draußen wandelte noch immer eifrig auf und ab, als Schulze mit solchem Acte sich schon selbst introducirt hatte. Er hatte ferner dafür gesorgt, daß nach dem Gottesdienste eine kranke Frau da war, die das Abendmahl begehrte, es war nach aller Anschauung eine übel berüchtigte, unwürdige Person, aber Schulze erklärte, daß er in periculo mortis die Speisung nicht versagen könne. Ebenso gewandt wurde das Pfarrhaus bezogen, das Vieh war geschwind in den Ställen, das Geräth im Hause, ernstliche Hindernisse fand man nirgends, denn der Posten hielt sich völlig verblüfft zurück.

Erklärlich war der Aerger der Protestler über die allerdings nicht feine List, und mit verhängtem Zügel ging die Reise nach Schwerin, abermals zu protestiren und ein neues Commando zu erbitten. Wiederum marschirten am 17. August 30 Mann unter Führung eines Lieutenants an und erklärten Schulze, daß er sofort das Pfarrhaus zu räumen habe sub poena ejectionis.

Der Superintendent, welcher den Befehl zur Introduction am 10. Sonntage p. Trin. zu spät erhalten habe, lud die Pastores circuli auf den nächsten Sonntag ein, aber auch zu ihm drangen die Gerüchte von den Lager Vorgängen, und er sandte vorsichtig, um sich keine Unannehmlichkeiten zu machen, einen Expressen an Schulze, umgehend kam die beruhigende Antwort zurück, daß das Commando nur da sei, um Unordnung zu verhüten, die Introduction sei ihm durchaus nicht untersagt, denn den jungen Pastor bekümmerte es wenig, ob der alte Mann in Unannehmlichkeiten verwickelt würde, wenn nur alles Denkbare zu seinen eigenen Gunsten geschah. So reiste denn Zander mit dem Kirchensecretair Richter am Sonnabend ab und nahm sein Quartier im Pfarrhause. Sofort trat ein Soldat mit einem Schreiben der Protestler an, Zander verweigerte die Annahme, das Schreiben wurde auf die Diele gelegt, woselbst es verblieb. Dann kam der Lieutenant, der das Commando führte, um zu erklären, daß er Befehl habe, unter allen Umständen die Introduction zu hindern und er wüßte seine Pflicht zu thun; er würde, damit keine Verabredung getroffen werden könnte, keinen Bürger ins Pfarrhaus lassen außer den Kirchenvorstehern, die über die kirchlichen Zustände in jeder Weise Auskunft ertheilen könnten.

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Es war dem ehrwürdigen, alten Herrn eine höchst peinliche Sache, in diese Ungelegenheiten durch Schulzes Berechnung gebracht zu sein, aber er beschloß, da er einmal anwesend war, seine Pflicht bis auf das Aeußerste zu thun. So sandte er denn am Sonntag Morgen 8 Uhr den Küster zu Schulze, der Privatquartier bezogen hatte, und ließ ihn auf das Pfarrhaus laden, um von da mit ihm zur Kirche zu gehen. Schulze wußte dem Küster heimlich zuzuraunen, Zander möge nur in das Cantorhaus gehen, dorthin würde auch er kommen. Als er aber mit dem Ornat, Summarie und Priesterkragen, über die Straße ging, begegnete ihm der Lieutenant Bumberg, mit sechs Mann patrouillirend, ergriff ihn in der Erregung des Augenblickes bei der Brust und fragte: "Wo wollt Ihr hin? Geht zurück!" Schulze erklärte: "Herr Lieutenant, Sie können mir doch nicht verbieten, auf öffentlicher Straße zu gehen?", worauf ihm der Offizier nachdrücklich sagte: "Gebrauchen Sie Respect und machen sich nicht ein Ansehen, hier gilt meine Schärpe und Ringkragen für diesmal soviel als das Priesterhabit. Ich lasse mich nicht von meinem Posten vertreiben und könnte genöthigt sein zu thun, was ich nicht gerne thue." Schulze erklärte, nicht umkehren zu wollen, worauf ein Gefreiter und zwei Mann ihn in seine Herberge zurückführten. Keiner durfte zu ihm, mit ihm zu reden, ein Unteroffizier mußte sogar, als er sich anscheinend krank vor Aerger niederlegte, an seinem Bette sitzen, in der Stube stand ein Soldat.

Der Superintendent wartete also vergebens. Darum beschloß er, wenigstens allein in die Kirche zu gehen und auch ohne Introducenden den Befehl des Herzogs zur Introduction vor versammelter Gemeinde zu verlesen oder, sobald man ihn nicht in die Kirche ließe, die Verlesung auf dem Kirchhofe zu vollziehen, aber er hielt seine Absicht geheim. Der Lieutenant seinerseits hatte die ganze Nacht um die Kirche und in der Stadt patrouilliren lassen und stellte beim Einläuten des Gottesdienstes sein Commando auf dem Kirchhofe auf, die Bajonnette waren anfgepflanzt, um jedem Gewaltact sofort vorbeugen zu können. Als nun Zander mit dem Kirchensecretär und den beiden Kirchenvorstehern (die eingeladenen Pastoren, die besser wußten, wie der Wind wehte, waren gar nicht gekommen) der geöffneten Kirchenthüre zuschritt, vertrat ihm der Offizier den Weg mit der Frage, wohin er wolle; er habe Ordre, ihn nicht in die Kirche zu lassen. Zander wollte den Befehl sehen und erhielt ein Mandatum Serenissimi Christian Ludwigs präsentirt, worauf er erklärte, die vorgelegte Copie sei bedeutungslos, Serenissimus Regnans Carl Leopold allein sei Summus Episcopus

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et Patronus, dem die hohen jura circa sacra von kaiserlicher Majestät nicht hätten genommen werden können. Derselbe habe ihm befohlen, und er sei Willens zu gehen. Damit schritt er vorwärts. Der Lieutenant trat zurück, faßte seinen Säbel, commandirte, und sein Wachtposten kreuzte die Bajonnette. Die Linke erhub er nach der Brust des Superintendenten, um ihn zurückzuweisen, und erklärte: Er habe den unterthänigsten Respect vor Sr. Durchlaucht dem regierenden Herrn, aber er müßte thun, was ihm befohlen wäre, der Herr möge sich keine Ungelegenheiten machen. Als nun Zander sich den Eingang versperrt sah, gedachte er auf dem Friedhofe den Allerhöchsten Befehl vorzulesen, aber der Tambour stand schon bereit, mit seinem Wirbel ihn zu übertäuben. So blieb ihm nichts übrig, als gegen die gewaltsamen Eingriffe in die jura sacra Ser. Reg., Sum. Ep. et Patr. zu protestiren. Sehr verdrießlich kehrte er ins Pfarrhaus zurück und rüstete seine Abreise, die Gemeinde mußte ohne Gottesdienst auseinander gehen. Als der Superintendent auf den Wagen stieg, durfte Pastor Schulze in Begleitung von Soldaten zu ihm, um sich zu verabschieden. Zufällig trat auch ein Mann aus der Landgemeinde heran und fragte, wie er sein Kind getauft kriegen sollte. Als der Superintendent ihn an den Pastor Schulze verwies, meinte er bedenklich, sein Edelmann habe ihm verboten, zu demselben zu gehen, und versprochen, er wolle das Kind lieber in der Kutsche auf eine benachbarte Pfarre fahren lassen, worauf ihm bedeutet wurde, er möge es versuchen, ob es dort aufgenommen würde.

In seinem Bericht an den Herzog äußerte sich Zander sehr bitter über Schulze, weil er ihm nichts von des Lieutenants geschärftem Auftrage geschrieben, trotzdem er nach dessen Aussage die Ordre selbst gelesen habe, überhaupt so unzuverlässig in seinem Wesen und incorrect in seiner Handlungsweise sei, wie er z. B. das Mandat zur Räumung des Pfarrhauses angenommen habe und darauf ohne Protest gegen Gewalt freiwillig gewichen sei, habe auch den Schlüssel zum Pfarrhause und zur Kirche gutwillig ausgehändigt, nur weil er sich habe einreden lassen, die Preußen würden kommen und ihn gewaltsam werben, weswegen er sogar um einen Mann Wache gebeten habe. "Dieser eine Mann hätte doch gewiß nicht geholfen, denn wenn die Preußen kommen, schweigen die Art Leute gerne stille und haben nur Muth, wenn sie einen schwarzen Mantel vor sich haben, von dem sie wissen, daß er nicht schlagen kann . . . . Gott helfe uns und ändere den betrübten Zustand unseres Landes. Ich weiß, daß die Junkers sich gewaltig freuen, daß ich mit einer langen Nase zurückgehen muß, doch das

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wollte ich gerne ertragen, wenn es nur ins Künftige besser werden wollte."

Ja, wenn es ins Künftige nur besser werden wollte! Den umwohnenden Geistlichen kam ein scharfer Befehl Carl Leopolds zu, keine actus ministeriales in Lage zu verrichten, wenn auch die Adligen zur Schadloshaltung sich verpflichteten, nur in den Nothfällen und nach Verständigung mit Schulze sollten sie amtiren. Dagegen ward denselben Geistlichen von der kaiserlichen Commission bei Strafe der Execution befohlen, solche Dienste zu leisten. Es kam vor, daß in 9 - 10 Wochen kein Geistlicher in Lage war, der Cantor predigte zuweilen, der Küster las, aber sonst lag alles darnieder. Schwangere, die ihrer Entbindung nahe waren, konnten nicht ins Gotteshaus. Gelegentlich wurden die Kinder zu den umwohnenden Pastoren aufs Land meilenweit gefahren; aber man war vorsichtig; weil Schulze in seiner verschmitzten Weise vielleicht unterwegs in einer Scheune oder gar im Freien die Taufe leicht hätte vornehmen können, ward immer ein Soldat auf den Wagen commandirt. Gleichfalls mußten Trauleute weit reisen, Kranke lagen und starben ohne Trost, Nachmittags= und Wochenpredigten hörten ganz auf. Diese traurigen Zustände lasteten schwer auf der Gemeinde, so daß wiederholt Bitten an den Herzog abgingen. Umsonst, es mußte noch manches Jahr über die Verwaisten dahin gehen, bevor ihnen zu ihrem Rechte verholfen werden konnte.

Denn bald begann gar die Berufung auf den Kaiser oder der langwierige Proceß beim Reichskammergericht zwischen dem Adel und Schulze. Die Hauptpunkte, die man als belastend gegen Schulze vorbrachte, waren folgende: 1) Der Superintendent will das Wahlprotokoll nicht herausgeben, also ist es wahrscheinlich, daß dasselbe gefälscht ist. 2) Nach Gewohnheit dürfen nur 3 Candidaten aufgestellt werden, hier sind 4 gewesen, der Ueberzählige ist gewählt. 3) Derselbe hat nicht, wie es sonst üblich war, zuvor eine Gastrede gehalten, man hat sich also in der Eile nicht einmal zuvor nach ihm erkundigen können. 4) Darum protestirten die Eingepfarrten auch vor der Wahl. 5) Der Vater des Schulze hat für ihn geworben. 6) Auch andere Personen haben sich tumultuarisch für ihn verwandt. 7) Der Kammerdiener des Herzogs hat die Wahl beeinflußt. 8) Er hat in seiner Wahlpredigt sehr schlüpfrige Sätze ausgesprochen. 9) Auch habe er contra principia fidei gesagt, daß man bis an sein Ende immer sündigen und saufen könne, wenn man sich nur noch zuletzt belehrt. 10) Der Prädikant habe so schlecht gepredigt, daß sein eigner Vater gemeint, so schlecht habe er es noch nie gemacht. 11) Die theol. Facultät in Rostock

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habe bezeugt, daß er noch sehr jung 1739 immatrikulirt sei, nur bei einem Professor sich im Kolleg habe sehen lassen, im Uebrigen nicht Gelegenheit geboten, ihn kennen zu lernen, Gerüchte sprächen unvortheilhaft über ihn. 12) Rector und Concilium in Rostock bezeugten, daß er sehr oft mit Carcer bestraft sei, die Collegia selten, dafür die Wirthshäuser oft besucht habe, unnütze Händel und Duelle gehabt, die er theilweise provocirte, bei einer von Studenten aufgeführten Komödie vor den Zuschauern sich unanständig betragen, den Sohn eines Rostockers verführt unter die Komödianten zu gehen, (so daß dieser verkommen sei), endlich aus allen diesen Gründen mit dem Consilium abeundi versehen sei. 13) Dazu käme, daß er sich selbst introducirt habe und eigenmächtig Amtsgeschäfte verrichtet, insbesondere an jener übel berüchtigten Person.

Alle Vorwürfe waren zunächst dem kaiserlichen Kommissarius Christian Ludwig mitgetheilt, und dieser sandte, um sich zu sichern, das Schriftstück an die juristische Facultät in Kiel, ein Gutachten erbittend. Dasselbe fiel ungefähr dahin aus: 1) Der Patron dürfe nicht weniger wie drei, sicherlich aber mehr Candidaten präsentiren. 2) Die Gastpredigt vor der Wahl geschähe nicht der Gemeinde, sondern des Patrons wegen. 3) Es habe nach dem Gesetz die Gemeinde kein Recht, eine bestimmte Zeit zur Erkundigung vor der Wahl zu beanspruchen. 4) Gerade das Gegentheil vom Protest sei noch dem Zeugniß des Superintendenten geschehen. 5) Die Eingepfarrten nicht, sondern nur die Behörde habe das Wahlprotokoll einzusehen. 6) Die Empfehlung des Vaters sei besonders für einen Pastor unanständig, aber warum sollte der Sohn darunter leiden? 7) Die Empfehlungen durch den Kammerdiener seien nicht ungewohnt und unerlaubt. 8) Besprechungen der Wählenden vor der Kirche seien nicht verboten. 9) Die Ausdrücke auf der Kanzel seien imprudenter et absque judicio, aber man habe die Sätze aus dem Zusammenhang gerissen. 10) Das Urtheil des Vaters über die Predigt fiele nicht in das Gewicht, die schlechte Predigt müßten die Wähler vor dem Wahlact verurtheilen, nicht hinterher. 11) Dem Zeugnisse der theol. Fakultät habe Schulze ein Zeugniß des Professor Engelcken in Rostock entgegen gestellt, worin gesagt, daß er fleißig gewesen sei und wohl studirt habe, ferner das Zeugniß des Ministerii in Dömitz über sein Examen. 12) Sein liederliches Leben auf der Universität dürfe nicht fortwährend gegen ihn angeführt werden, wenn er sich nur später gebessert habe, sei er fervore aetatis zu entschuldigen. 13) Ein gesetzliches Alter zur Wahl sei nur vorgeschrieben bei jenen geistlichen Aemtern, die cum inspectione aliqua verbunden wären, es würde

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nur von zu großer Jugend abgerathen. - Demgemäß entschied die Fakultät zu Schulzes Gunsten und meinte, wenn er sich selbst introducirt habe, so habe er den Anhalt dabei in des Herzogs Befehl gefunden, zur guten Ordnung sei er aber nachträglich zwecks Beruhigung der Gemüther öffentlich zu introduciren. In Rücksicht auf die Noth der Gemeinde könne man freilich auch hiervon absehen.

Inzwischen ging der Proceß beim Reichskammergericht an, und Schulze beschwerte sich seinerseits, daß er, obwohl er richtig erwählt sei, aus der Stadt gewiesen wäre, daß den Bürgern bei Execution verboten, ihn zu beherbergen; daß man bei der Wahl den Bauern scharf verboten habe, auf ihn zu stimmen, daß man die bürgerlichen Deputirten, die nach Dömitz zu seinen Gunsten gereist seien, nach Subsin geladen habe, um sie zu beeinflussen; daß der Adel die Bürgerschaft auf das Rathhaus geladen, um sie gegen ihn zu stimmen, daß er am Introductionstage seinen Leuten bei Strafe von 10 Thlr. und gar Verlust des Ihrigen verboten habe, in die Kirche zu gehen u. s. w. Ein kaiserliches Edict gab am 23. December 1743 dem Commissar Christian Ludwig auf, über die beiderseitigen Beschwerden und Rechtfertigungen einen Bericht einzureichen, zugleich für angemessene Vertretung in Lage zu sorgen. Seine Antwort fiel mit dem Kieler Gutachten dahin aus, daß er für Schulze sich aussprach. Auf seinen Bericht antworteten die Protestler mit einem Gegenbericht, der nichts Wesentliches dazu brachte.

Darauf starb Karl VII. im Jahre 1744, und es trat zunächst das Reichs=Vicariat (der Kurfürst von Sachsen, König von Polen) in Dresden in Thätigkeit, und die Verzögerung, die dadurch in dem Prozeß gebracht wurde, benutzten die Protestler, um mit ausführlichen Darlegungen auch ihrerseits das Gutachten einer juristischen Fakultät und zwar zu Göttingen zu erwirken, das wie hier nur kurz bemerkt werden soll, das Kieler völlig umstieß und die Wahl zu cassiren empfahl. Ihre Eingabe ging natürlich an den kaiserlichen Commissar mit dem Befehl, mit dem in Lage angeordneten provisorischen Gottesdienste einstweilen fortfahren zu lassen, zugleich aber über die Beschaffenheit dieser streitigen Priesterwahl zu berichten. Derselbe erklärte sich nun selbst als Partei und übergab die Decisio dem Reichsvicariat. Die Noth ging weiter. Christian Ludwig, der in seinem gerechten Sinne die endliche Erledigung der Angelegenheit zum Heile der armen, gleichsam von allen preisgegebenen Gemeinde sehnlichst erwünschte, mußte mit schwerem Herzen den Pastores circuli die fernere Verwaltung

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des Gottesdienstes aufbürden, der Superintendent verwandte sich für dieselben bei Carl Leopold und wies auf die Unmöglichkeit hin, entgegen der Kirchenordnung solche Vertretung zu fordern, zumal auch in Recknitz und in Reinshagen aufzuwarten sei und die Pastoren, zum Theil recht alt und kümmerlich, es doch vor ihrem Gewissen nicht verantworten könnten, ihre eigenen Gemeinden verwaisen zu lassen. Weigerten sie sich nach Lage zu reisen, dann würden ihre Einkünfte gesperrt und Execution verhängt, sie könnten nur durch einen klaren Befehl des Summepiscopus gedeckt werden. Der erfolgte denn auch am 17. Juli 1745 dahin lautend, daß, da in Lage der rechtmäßige Pastor sei, so hätten die benachbarten Pastoren zu dessen Nachtheil und gegen ihre Amtspflicht und Gewissen in Lage nichts zu unternehmen, worauf der Superintendent sie bat, nur keine Kranken ohne Abendmahl, keine Kinder ohne Taufe zu lassen.

In ein neues Stadium trat die Sache, als das Reichsvicariat die Wahl cassirte, offenbar durch die Protestler beeinflußt, indem es in der Motivirung hervorhob, daß es bei der Wahl tumultuarisch ohne Fertigung eines rechtlichen Protokolles zugegangen sei. Die Gründe gegen die Person des Schulze wurden nicht als gültig anerkannt, denn es wurde in hoher Weisheit der Commission auferlegt, Schulze mit den andern drei Candidaten noch einmal zu präsentiren. Man muß diese Wendung doch recht drollig finden, wenn sie nicht so bitter ernst wäre. Plötzlich war ja eigentlich Schulze aus dem Mittelpunkt entrückt und der Superintendent Zander, der die Wahl leitete, in die Mitte gestellt, auf ihn war die ganze Schuld gewälzt, und das mußte den alten Mann auf das tiefste kränken. Aber zum Glück hatte er prächtige Beweise für die Seltsamkeit des Bescheides. Christian Ludwig mußte nämlich mit schwerem Herzen dem Superintendenten die betreffende Weisung zukommen lassen, und wenn derselbe auch als erfahrener Geschäftsmann das Schreiben des für ihn als Behörde nicht zuständigen kaiserlichen Commissars gar nicht öffnete, sondern es sofort nach Dömitz sandte, weil ihm ja nur von dort Befehle kommen konnten, so ließ er sich doch von dem Notar Stumpe, dem Ueberbringer des Schreibens, eine Copie vorlesen und that aus Liebe zu der Sache den weitern Schritt, dem Commissar zur Orientirung die Verhältnisse darzulegen. Seine Bemerkungen vom 4. Januar 1746 waren so durchschlagend, daß sie bei Unbefangenen alle Bedenken hätten zerstreuen müssen. Ich will seine Gründe, soweit sie nicht schon Gesagtes wiederholen, hier zusammenstellen. Er beanspruchte als persona publica, dazu beeidigt, ein alter Mann, der sein Leben gerne in Frieden und mit gutem Gewissen beschließen wollte, für

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alle seine Erklärungen Glauben. Sein eigener Sohn sei Mitcandidat gewesen, und es wäre doch unglaublich, daß der Vater ihm zum Schaden ein ungesetzliches Wesen sollte geduldet haben. Waren doch bei der Wahl die Geistlichen aus Lüssow, Kritzkow, Belitz, Warnkenhagen und Polchow zugegen und zeugten für die Gesetzlichkeit der Wahl, wie denn auch ein formelles, gültiges Wahlprotokoll von ihm und dem Kirchensecretär aufgenommen und an den Herzog eingesandt war; die ganze Sachlage, wie sie durch die Protestler dargelegt würde, sei entstellt, jene hätten anfänglich immer besonders ihre Gründe aus der Persönlichkeit des Schulze hervorgehoben und sodann erst aus tumultuarischen Vorgängen bei der Wahl. Was nun die Anberaumung einer neuen Wahl mit jenen vier Candidaten anbeträfe, so müßte man doch zugeben, daß es auf das Höchste bedenklich sei, daß Schulze, ordinirter, vocirter, richtig erwählter Pastor, sich auf einen hasard hin von Neuem wählen lasse, entgegen den Poenal - Inhibitiones des Herzogs. Und schließlich sei es ja unmöglich, die andern drei Candidaten heranzubringen.

Zander, an dem man in Lage sein schwaches Organ tadeln wollte, sei in Güstrow schon als Pastor am Dom angestellt und sehr beliebt, Statius verweigere sich zu stellen, da er die Ungnade des Herzogs scheue, und seine Laufbahn für die Zukunft sich nicht verderben wolle, Hartmann habe überhaupt nur eine Stimme gehabt und könnte nicht in Betracht kommen.

Diese Darlegungen hätten wohl auch beim Reichsvicariat den Ausschlag gegeben, wenn dasselbe nicht inzwischen seiner Befugnisse durch die Wahl von Kaiser Franz I. enthoben wäre. Zugleich mußte durch solchen Wechsel die Angelegenheit wieder ins Stocken kommen. Am 14. Juni 1746 wandte sich denn auch Christian Ludwig an den Kaiser mit der Bitte, endlich den Proceß zu endigen, aber erst über ein Jahr später, am 12. September 1747 erfolgte der Bescheid, daß der Streit erforscht, die Acten eingesehen, die Berichte gelesen, das Protokoll geprüft sei, wonach sich die Rechtmäßigkeit der Wahl ergeben habe. "Wir haben die erbetenen Processus electionis nunmehr abgeschlagen, welches wir Ew. Liebden als unseren Kaiserlichen Commissario pro complemento justitiae zu Dero Nachricht hierdurch zu geben keinen Umgang nehmen wollen." Am 26. November 1747 erfolgte dann die Introduction, an der theilzunehmen die umwohnenden Pastoren sich nicht veranlaßt fanden, und Schulze, der in dieser Zeit des Wartens mancherlei Prüfungen durchgemacht hatte, konnte im Kirchenbuche notiren: "Anno Dom. 1747 Dominica 26. p. Trin. habe ich nach geführtem 4 1/4jährigem Processe und erhaltener kaiserlicher Resolution

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und gnädigster Confirmation meiner rechtmäßigen Wahl mein Amt so zu sagen erst recht angetreten und geruhig verwalten können."

Zwei Tage darauf, am 28. November, starb Carl Leopold, und sein Bruder Christian Ludwig trat die Regierung an. Welches furchtbare Elend in der Conflictzeit über das Land Meklenburg gebracht war, kann man erst richtig ermessen, wenn man die dargelegten Leiden einer kleinen Landstadt erwägt.


VI. Die Zeit des siebenjährigen Krieges.

Mit der Erledigung des Streites um die Pfarrbesetzung war noch nicht jeder Zwiespalt mit dem Pfarrer abgeschnitten. Bei seiner großen Gewandtheit war es Schulze allerdings leicht, die ihm früher so bitter widerstrebende Elemente, den Adel, zu versöhnen, er heirathete endlich gar eine adelige Frau. Dagegen wurden seine früheren Freunde ihm entfremdet, denn er war sehr auf seinen Vortheil bedacht und nahm z. B. sofort seine sämmtlichen Wiesen und Aecker, die recht beträchtlichen Umfang hatten und deshalb von seinen Vorgängern zum größten Theil an die Bürger ausgethan waren, selbst in Nutzung. Mancher Pächter, der seine Wirthschaft verkleinern und Vieh abschaffen mußte, litt empfindlichen Schaden. Auch stritt Schulze bald mannhaft um die Weide, da er nicht leiden wollte, daß die Stadtheerde im Herbst über seinen Acker getrieben wurde, während er seine Kühe auf die Stadtweide bringen durfte, er stand nicht an, in der Vertheidigung seiner Rechte persönlich eine Lanze zu brechen, d. h. den Hirten wacker durchzubläuen. Vor allem wurde er bei den Bürgern verhaßt, weil er angeblich die Frage wegen Verpachtung der Kirchenäcker wieder angeschnitten hatte. Dieser Streit war alt, schon 1626 beschwerten sich jüngere neuzugezogene Bürger über die Kirche, daß sie die Aecker immer allein an ältere Bürger zu einem geringen Satze ausheuerte, und höchst entrüstet constatirte der Rath, daß die Kläger unnütze Menschen wären. Wir haben darüber schon oben berichtet. Ganz ohne Grund wird die Beschwerde nicht gewesen sein, immer wieder finden wir ältere Bürger als Nutznießer der Aecker, die nicht ordnungsgemäß an Meistbietende nach sechs Jahren neuverpachtet, sondern gar durch Generationen vererbt wurden, die Sache wurde schließlich so angesehen, als ob nur ein Kanon auf jedem Acker läge, und als ob nur bestimmte Häuser an der Auskavelung der Kirchenäcker

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Antheil hätten. Der Consul Artener, der ja auch ein Neuzugezogener war, stürmte natürlich gegen diese Festsetzung an, und 1723 war ein heftiger Streit entbrannt. Pastor und Kirchenprovisor befürworteten, daß immer 1 Morgen à 1 Gld. verpachtet würde und zwar empfahlen sie die Austheilung durch das Loos; da der Streit an den Superintendenten kam, so setzte dieser die öffentliche Versteigerung fest. Die alten Miether boten 4 ßl. mehr, als die Eindringlinge und erhielten den Acker, noch einmal wurde derselbe 1729 öffentlich verpachtet, dann lenkte Alles in das frühere Geleise. Abermals schlief die Sache ein, die Nutznießer betrachteten sich als Besitzer und schlossen andere Bürger aus. Zwei unter den jüngeren, die entschlossener waren, Marott und Vogt, beschwerten sich endlich bei Christian Ludwig 1749 und erhielten die Zusage, daß nach Ablauf der Pachtzeit 1753 die öffentliche Versteigerung fortan stattzufinden habe, unter den Meistbietenden sollten die zuverlässigen und verständigen Ackersleute, besonders jene, welche ihre Ernten in Scheunen außerhalb der Stadt einfahren könnten, den Vorzug haben. Schulze wollte ungern die Aufkündigung übernehmen, weil er voraussah, daß er nur Verdruß davon haben würde, und es bedurfte sogar eines verschärften Edictes. In der That wandte sich der ganze Haß gegen ihn, den Schuldlosen, nach 20 Jahren entblödete sich Marott nicht, unter seinen Beschwerden gegen den Pastor auch die aufzunehmen, daß er den Bürgern den Kirchenacker vertheuert habe: natürlich redete er nur so, weil er damals schon zu den älteren Bürgern zählte. - Ein dritter Umstand, der beitrug, Schulzens Stellung zu erschweren, war, daß der Pastor nicht so zaghaft wie seine Vorgänger in seinen Forderungen sich benahm, in der Vakanz=Zeit war am Pfarrgehöfte nichts geschehen, so daß sofort allerlei vermehrte Ausgaben wegen Pfarrbauten erwachsen mußten, hierüber waren die Bürger heftig verdrossen. Es drückte die Meisten bei ihrer Armuth eine Ausgabe von 8 ßl. mehr, als heute einen Arbeitsmann die eines viermal so hohen Betrages, und man weiß wohl, welcher Unwille noch heute nicht bloß in den niedersten, sondern oft auch in begüterten Kreisen anhebt, wenn eine unvermuthete, vermehrte Ausgabe von geringem Betrage im öffentlichen Interesse auferlegt wird. Das Viehhaus mußte ganz neu gebaut werden, und Schulze, der wohl seine Leute kannte und zugeben mußte, daß den Städtern, die die Pfarrgebäude allein erhalten mußten, eine solche Ausgabe zu drückend werden würde, bat den Fürsten um Erlaubniß zu einer Collecte im Lande, da er bei Unwetter in steter Gefahr wegen Zusammensturzes seines Hauses stehen müßte.

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Verdrießlich waren ohnehin schon die Einwohner, daß wegen der Brände, welche die kleineren Städte damals so oft heimsuchten, fürstliche Edicte auf Abstellung der feuergefährlichen Anlagen drangen. Oft genug lagen noch die Scheunen in den Städten, denn in den unsichern Zeiten nach dem großen Kriege hatte man ja das Seine gern um sich und Platz genug zum Bauen in der Stadt. Die Häuser waren alle noch mit Strohdächern versehen und hatten meistens keine regelrechten Schornsteine, baute man doch gerne rasch und billig. Aber es ging der Blick des Einzelnen nicht so weit, die furchtbaren Gefahren zu erkennen, die fortwährend über dem Ort lagen, und wenn auch, - die Verpflichtung zur Abhülfe zuzugeben. Man zuckte die Achseln und meinte: "Großvater hat's auch so gehabt". Auch darin sind die Menschen nicht anders geworden in der kleinen Stadt. Jetzt befahl der Herzog die Abschaffumg der Strohdächer und die Errichtung eines ausgehenden Schornsteins und ließ solches Edict, da es an öffentlichen Blättern fehlte, in alter üblicher Weise von den Kanzeln verlesen. Da nun aber der Pastor selbst fortwährend auf Neubauten für sich hinarbeitete, so reimte man sich schnell zusammen, daß er durch seine Denunciationen Schuld an so unerhörter Verordnung trüge, haßte ihn um so bitterer und - dachte gar nicht daran dem Herzog zu gehorchen. Es blieb immer noch beim Alten. Bei genauerer Prüfung wollen wir uns nicht verhehlen, daß auch manche Sitte des jungen, unbesonnenen Pastors, daß er z. B. sehr auf seinen Vortheil dachte, es mit seinem Amte nicht genau nahm, an weltlichen Vergnügungen, Fischen und Jagen sich eifrig betheiligte, die Veranlassung gab, seine Unbeliebtheit zu steigern. Er war nicht recht aufrichtig und wohl etwas zu glatt und schlau, als daß er in der derben Zeit gefallen hätte. Durch eine furchtbare Schule mußte er noch gehen, bevor er den Ernst seines Amtes recht verststand, wir werden bald das Verhängniß erkennen, das über ihn hereinbrach.

Was den Bestand der Gemeinde anlangt, so ist zu sehen, daß in der vom Kriegsdruck und innerm Aufruhr freien Zeit, etwa von 1741 an, da die fremden Truppen das Land verließen, besonders aber seit dem Regierungsantritt des gerechten Christian Ludwig die Städte sich hoben. Wir finden am Beginn des siebenjährigen Krieges in Lage folgenden Bestand: 342 Beichtkinder und 171 Schulkinder, zusammen 513 Bewohner. Das Handwerk gedeiht besser, 51 Meister arbeiten ohne, 9 aber mit Gesellen oder 2 Lehrjungen. Einzelne Gewerke haben weniger Arbeit, weil mancher Kleinbürger sich seinen dürftigen Haushalt aus Sparsam=

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keit noch selbst ausstattete, manche Häuser noch Lehmwände hatten. Wirthshäuser gab es drei, und sie brachten viel Geld ein, Schornsteinfeger waren nicht am Orte, Tagelöhner waren nur 15 da (man beachte früher!), außerdem 1 Zöllner, 1 Stadtrichter, 1 Notar, 1 Postmeister, 2 Bürgermeister, 2 Rathmänner, 1 Pastor, 1 Cantor, 1 Küster, 28 Ackersleute, 8 Schuster, 8 Schneider, 12 Weber, 1 Maurer, 1 Zimmermann, 2 Rademacher, 1 Papiermacher, 3 Tischler, 1 Schlachter, 3 Bäcker, 2 Chirurgen (Bader), 1 Händler, 1 Kaufmann, 2 Kramer, 1 Riemer, 1 Bojenmacher, 1 Musikant, 1 Töpfer, 1 Nachtwächter, 1 Altflicker, 1 Reifschläger, 2 Kesselhändler, 1 Färber, 1 Drechsler, 1 Böttcher. 2 Kleinschmiede, 1 Glaser, 1 Schmied, 1 Brauer, 1 Tuchmacher. Um unsere Bemerkungen zu vervollständigen, geben wir noch an 55 Vollhäuser, 20 Halbhäuser, 28 Buden; 141 Pferde, 42 Ochsen, 98 Kühe, 51 Schweine, 129 Schafe, keine Ziegen! In Bewirthschaftung waren 522 Morgen Ackers à 4 Schffl. Man theilte die Gewerbe ein in 55 volle, 11 halbe Gewerbe, 15 Tagelöhner, 4 volle, 3 halbe Brauereien, 8 Brenner. Doch wurde Brauen und Brennen meistens mit anderen Geschäften zusammen betrieben. Man beachte die Menge der Zugthiere, die in keinem Verhältniß steht zu der geringen Ackerfläche, offenbar mußte sich viel Verdienst durch Lastfuhrwerk finden.

Diese gegen früher recht günstigen Resultate wurden indessen sehr bald in Frage gestellt, denn es brach die Noth des siebenjährigen Krieges herein. Das deutsche Reich erklärte sich 1757 gegen Friedrich von Preußen und bewilligte durch seine Stände zur Bestrafung des Reichsfriedensbruches einen dreifachen Kriegsssteuer=Anschlag. Meklenburg hatte keine Veranlassung sich von dem Reiche zu trennen und eine dem vielbedrohten Könige günstige Stellung einzunehmen. Es hatte von dem Nachbarlande bisher noch niemals Gutes, wohl aber viel Schlimmes erfahren. Im empörenden Uebermuthe waren von dort aus seit manchem Jahrzehnte fortdauernd die Menschenräubereien betrieben worden, Christian Ludwig klagte z. B. 1754, daß dem Lande viele Tausend wehrhafte Männer geraubt seien. In der Nothzeit unter Carl Leopold hatte ferner Friedrich Wilhelm I. sich nicht müssig finden lassen, in dem aller Willkür preisgegebenen Lande bedeutende Vortheile zu gewinnen, die vier Aemter Plau, Eldena, Marnitz und Wredenhagen hatte er als Pfand für seine Kosten beansprucht, sein Nachfolger hielt sie noch besetzt. So nahm denn Herzog Friedrich der Fromme (oder der Gütige), der seinem Vater Christian Ludwig 1756 gefolgt war, eine preußenfeindliche Haltung an, ohne gerade

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Truppen ins Feld zu stellen, er hoffte wohl, daß Schweden, welches gleichfalls gegen Preußen vorging, mächtig genug sein würde, sein Land zu schützen.

König Friedrich war der Schritt seines Namensvetters nicht unwillkommen, denn er gab ihm das Recht, aus Meklenburg recht viele Kriegssteuern herauszuschlagen. Im Jahre 1757 erschien zuerst eine preußische Heeresabtheilung in unserm Lande. Von dem Belagerungsheere vor Stralsund detachirt, rückte sie über Malchin heran, erhob Kriegssteuern, forderte Rekruten und Lebensmittel und besetzte 1758 Neukloster, Wismar und Poel, und nach kurzem Widerstande auch Rostock. Der Herzog, der nach Lübeck geflohen war, konnte erst im Frühling 1759, als die Preußen abgezogen waren, in sein Land zurückkehren. Aber schon um die Mitte des Jahres trieb ihn ein neues Occupationscorps wieder ins Exil. Furchtbar hausten die Preußen diesmal in dem eroberten Lande. 1760 geschah ein neuer Einfall, der General von Belling, der Anführer des preußischen Corps, schaltete in dem wehrlosen Lande wie 1759. Er wurde zwar im Juli 1761 durch Schweden bis Neubrandenburg zurückgedrängt, aber schon im Herbste hatte er seine alte Position wieder gewonnen. - Der Friede zu Hamburg im Mai 1762 endete den Hader mit Friedrich dem Großen.

Wie jammervoll sah es damals in Meklenburg aus! Die kaum verharschten Stellen waren alle wieder aufgebrochen, und als die furchtbare Zeit vorübergegangen war, blutete Meklenburg aus tausend Wunden. Von diesen traurigen Jahren an bis zu dem letzten Kriege 1870 - 71, in dem die Waffenbrüderschaft ein engeres Band herbeiführte, fand sich besonders bei unserm Landvolke die tiefste Abneigung gegen Preußen, die selbst nicht durch die Freiheitskriege beseitigt wurde. Preußen sonnte sich im Glanze des Ruhmes und vergaß schnell die frühere Noth, Meklenburg hatte das Gefühl, gemißhandelt zu sein von einem Stärkeren. Das vergißt sich schwer. Argwöhnisch sah der Bauer immer über die Grenze, denn man hatte ihm erzählt, daß einst dorther die übermüthigen Husaren hereingebrochen waren, aus dem offenen, wehrlosen Lande die wehrfähigen Männer geraubt hatten, und daß kein Bitten und Flehen sie abgehalten hatte, die Unglücklichen zu zwingen, für eine Sache zu kämpfen, für die sie kein Verständniß und kein Herz hatten. Gelang es Einzelnen zu desertiren - und es gelang nur wenigen - , so fanden sie bei der Rückkehr insbesondere in den Dörfern die Schränke leer, die Scheunen geplündert, die Stallungen ausgeräumt, Pferde und Vieh weggetrieben. Was keinen Werth für den Soldaten hatte, war oft im grausamen Uebermuth

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zerstört, es machte den Eindruck, als hätten zuchtlose Horden gehaust, wo so lange friedliche Menschen wohnten. Diese Verwüstung Meklenburgs ist ein dunkler Fleck für den Ruhm des großen Friedrich, der um so deutlicher hervortritt, als die Franzosen 50 Jahre später nicht annähernd so grausam und hart verfuhren. Es ist schwer, hier eine Entschuldigung zu finden, etwa daß Meklenburg als Reichsland auch Feindesland war, daß der König von der Wirthschaft seiner Soldaten keine Nachricht gehabt habe. Die Klagen erschallten deutlich genug nach Berlin, aber für den Nothschrei des Landes hatte Friedrich als Erwiderung nur kalten Spott. Was er gebrauchte, war Geld, Proviant, Mannschaft, er fragte nicht gerne, wie er es bekam. Es liegt mir ferne, sein Verdienst nicht bloß um Preußens Macht, sondern auch um Deutschlands Größe zu verkennen, das Urteil der Geschichte über ihn steht unerschütterlich fest, aber bei Einzelbetrachtungen, wie die unsere ist, darf man nicht übersehen, wie sein großes Werk auf zertretenem Menschenglück aufgebaut war. Um ihm Werksteine zuzutragen, zerschlugen seine Leute die Hütten der Armen, und gar zu oft benutzten sie von den Trümmern nur den geringsten Theil.

Wenn die Preußen unser Städtchen nicht zu Grunde richteten, geschah es nur, weil eine andere, höhere Macht schon zuvor eingegriffen hatte. (Siehe hernach das Jahr 1759). Aber so lange aus Lage noch etwas zu haben war, mußte es hergeben. 1758 besetzten die Preußen Rostock, und endlos waren die Durchmärsche durch Lage nach Norden und von Norden. Die schwarzen Husaren waren immer sehr rücksichtlos und ließen sich vom besten Ende bewirthen. Wein, Bier, Branntwein, Weißbrot u. s. w. mußte stets im Ueberfluß geboten werden, sie fuchtelten heftig mit der Klinge, wenn auf ihr Wort hin nicht Alles sprang. Rekruten wurden durchgeführt, Deserteure wurden gesucht Haus bei Haus und Stall bei Stall mit finstern Drohungen und Flüchen. Offiziere zogen mit Weib und Kind nach Rostock, um von dort aus die Brandschatzung dauernd zu ordnen. Die Fremden bezahlten natürlich meistens nicht, am allerwenigsten die Chargirten, viele nahmen gerne noch etwas für die eigne Tasche. Weil überall junge Leute von den Preußen aufgegriffen wurden, so war die Aufregung in der Stadt sehr groß, bei drohender Gefahr wurde ein förmlicher Wachtdienst eingerichtet, und auf die erste Nachricht hin floh die einheimische Jugend in gutes Versteck, die fremden Gesellen huben sich von dannen, die Arbeit blieb ruhen wochen=, monatelang. Die im Versteck Liegenden hatten schon oft Familien im Hause, die dann von "Hunger und Noth" lebten. Zuerst wählte man die Scheunen

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außerhalb des Ortes zum Verbergen, solche Schlupfwinkel stöberten die Soldaten bald aus. Später hub man die Dielen in den Stuben auf und grub Höhlungen darunter, wohin noch zu gelangen war, wenn die Gefahr schon an die Hausthür pochte. Da aber die findigen Reiter mit ihren schweren Stiefeln auf die Dielen pochten, so merkten sie bald am Klange den Zufluchtsort. Sie fingen in solcher Weise z. B. den starken Sohn des Bürgermeisters Marott, zwei Preußen schleppten ihn auf das Rathhaus ins Hauptquartier. Unterwegs auf dem Markte packte er sie plötzlich, stieß ihnen unvermuthet die Köpfe zusammen, riß sich von den Betäubten los und stürzte den Berg hinab in die Plage, einen Wiesenabschnitt im Recknitzthal, woselbst hohes, struppiges Buschwerk stand. Bei allem Suchen konnten seine erbitterten Verfolger ihn nicht finden. Die Lager verdoppelten noch solchen Erfahrungen ihre Wachsamkeit, und es flohen die Bedrohten auf das erste Zeichen in jähen Sätzen über das Feld, über die Wiesen und Gräben und suchten besonders gerne im Grünhörenholze Zuflucht. Auf einem langgestreckten Hügel, der mitten in Wiesen lag, die für einen Menschen mit Gefahr, für einen Reiter überall nicht durchschreitbar waren, war dort ein älterer Holzbestand. In den Wiesen wurde wohl auch Heu geworben, doch ließ man es in Schobern stehen, um es im Winter über das Eis transportiren zu können. In diesen Schobern übernachteten die Flüchtlinge. Die verfolgenden Reiter irrten fluchend am Wiesenrande umher und suchten vergebens einen Uebergang, sie schossen aus der Ferne ärgerlich in die Heuhaufen, um die Flüchtlinge herauszutreiben. Bei Nacht erhielten diese heimlich Speise zugetragen. (Nach vielen Jahren fand man, wie ich hörte, einst dort beim Fällen eines hohlen Baumes ein Gerippe, vielleicht hatte hier ein verschollener, armer Flüchtling einen fürchterlichen Tod gefunden). In der Regel ahnte man schon den Ueberfall, wenn der Stadt befohlen wurde, Rekruten zu stellen; es fand sich natürlich freiwillig Niemand, der Preuße mußte sie selbst holen. So gelang es dem Unteroffizier Lange, der auf Befehl des Oberst Brodeville aus Rostock kam, sieben Rekruten zu fangen, darunter drei junge Bürger, deren Frauen und Kinder mit ihrem jammervollen Geschrei die ganze Stadt erfüllten, als die Versorger der Familien nach Rostock weggeführt wurden. Der Unteroffizier machte es sich obendrein mit dem großten Theil seiner Leute bequem, ließ sich 18 Tage in Saus und Braus verpflegen, nahm noch 12 Pferde mit und verlangte zum Schluß für das gute Commando, das er geführt hatte 10 Thlr., die ihm unweigerlich ausbezahlt werden mußten. Darauf reisten Abgesandte der Stadt nach

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Rostock und baten um Herausgabe wenigstens der drei Bürger, aber sie erhielten sie erst gegen Erlegung eines hohen Lösegeldes. Dieser eine Einfall kostete der Stadt, wenn wir Alles in Geld umrechnen, 598 Thlr. 33 ßl. Auch der Oberst Brodeville forderte schließlich für gute Behandlung der Stadt ein Douceur, ließ sich aber bis auf 20 Thlr. abhandeln.

Wenn sonst eine lose Streifpartie mit maßlosen Forderungen im Orte auftrat, begann alsbald ein Feilschen und Handeln, um sie "abzuschubsen" d. h. andern auf den Hals zu schicken. Dragoner forderten einst zwei Pferde, ließen sich abfinden mit 19 ßl. Ein angeblicher Husaren=Rittmeister von Zühlich kam und brandschatzte wahrscheinlich als Marodeur für eigne Rechnung, er forderte sofort 50 Thlr. und eine Last Hafer oder drohte, mit 100 Mann Husaren eine Nacht Quartier zu nehmen. Er ließ sich abhandeln bis auf 5 Thlr. und erhielt für einen werthlosen Sauvegarde=Brief dazu 5 Thlr. Noch einmal wurden 1758 zwei Männer weggeschleppt, einer derselben sollte angeblich Remontepferde transportiren und wurde nach Berlin gebracht, von dort aus weiter verwendet, bis er endlich nach Breslau dirigirt war. Nach 4 Monaten kam er krank und körperlich vollständig gebrochen zurück, der andere war desertirt. Man verpfändete in der Noth seitens der Kämmerei die Rohr= und Hauskavel= und die Kuhwiese. Die Kosten für das Jahr 1758 stellten sich folgendermaßen:

Baare Contribution nebst Unkosten dabei 860 Thlr. 22 ßl.
105 Schffl. Hafer, 60 1/2 Schffl. Mehl, 202 Ctr. Heu, 53 Bd. Heu, 44 1/4 Schock Stroh, 64 Schffl. Häcksel, dazu Unkosten 1392 " 1 "
>Lösegeld für Menschen, Werth der Pferde u. s. w. 598 " 33 "
Einquartierung, Durchmärsche u. s. w. 392 " 35 "
----- ------- ------- ------- -------
3243 Thlr. 43 ßl.

Wir wollen annehmen, daß die Väter der Stadt in übergroßer Fürsorge zur Sicherung ihrer Ansprüche bei späterer Landes=Entschädigung die Summe etwas zu hoch ansetzten, und müssen doch sagen, daß eine Steuer von 3000 Thlr. für eine Stadt wie Lage ein schwerer Schlag war. Wer mochte arbeiten, säen und ernten für den verhaßten Preußenkönig?

Die Durchmärsche dauerten 1759 fort, man rechnete Mittagbrot für einen Offizier 16 ßl., für einen Diener 4 ßl., Abendbrot die Hälfte, 1 Krug Bier 1 ßl., 1 Fl. Wein 8 ßl., Butter und

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Brot 2 ßl., 1 Kanne Kaffee 18 ßl. Am 28. März zog ein feindliches Infanterie=Regiment nach Rostock durch, von dem 1 Bataillon in Lage Quartier nahm, der Major von Kleist lag bei dem Wirthe Marott, und da er auf längern Aufenthalt in Rostock sich eingerichtet hatte, so fanden sich in seinem Gefolge seine Gemahlin mit 3 Töchtern, 1 Kammerfrau, 1 Kammermädchen, Koch, Köchin,1 Inspector, 2 Kutscher, 2 Vorreiter, 2 Lakaien, 12 Knechte bei den Bagage=Wagen, 1 Junge beim Inspector=Wagen, 1 Kutscher beim Kammerwagen, 1 Klein=Mädchen, 1 Ochsenknecht, 2 Kranke. Ich setze die Rechnung für die Unkosten des eintägigen Aufenthaltes hierher: 1 Lamm 1 Thlr., 13 Pfd. Kalbfleisch à 1 ßl. 6 Pf, 1 geräucherte Schulter 1 Thlr., Fisch 24 ßl., 2 Spickgänse à 10 ßl.,2 Mettwürste zusammen 6 Pfd. à 8 ßl., 6 Pfd. Speck à 6 ßl., 10 Pfd. Butter à 7 ßl, 8 Brote à 14 Pfd., das Stück 9 ßl., 2 Pfd. Zucker à 20 ßl., 3 Pfd. Weizenmehl à 2 ßl., 20 Eier 5 ßl., Sauerkohl 2 ßl., 1 Muskatnuß 2 ßl., Muskatblume 2 ßl., 1/2 Pfd. Kaffeebohnen 24 ßl., 1/2 Pfd. Reis 2 ßl., 1/2 Pfd. Perlgraupen 2 ßl., 1/2 Faden Holz 1 Thlr, Salz 6 ßl., Essig 4 ßl, 2 Kannen Milch 4 ßl., 12 Kannen Branntwein 3 Thlr., 84 Kannen Bier 3 Thlr. 24 ßl., 2 Pfd. Licht 16 ßl., 1 Glas zerbrochen 4 ßl., 1 Bettlaken gestohlen 3 Thlr., 2 Kissen mit Bezügen gleichfalls gestohlen 3 Thlr. 24 ßl. In Summa 24 Thlr. 20 1/2 ßl. - In Demmin war eine große Feldbäckerei eingerichtet, dahin mußten aus dem Darguner Holz Fuhren gethan werden; ferner wurden 3 Pferde requirirt, große Lieferungen an Naturalien ausgeschrieben, schwere Contributionen durch das preußische Kriegscommissariat erhoben, (es sollte ein Erbe mit 15 Thlr. besteuert werden). Execution schwebte über der Stadt, der Feind drohte für jeden Tag Verzögerung 50 Thlr. Strafe zu erheben, mühsam brachte die Stadt 1000 Thlr. zusammen. An Kosten verursachte dieses Jahr 1000 Thlr. baar, 433 Thlr. 8 ßl. für Naturalien und Unkosten, 199 Thlr. 40 ßl. für Pferde nebst Bedienung, 439 Thlr. 23 ßl. für Einquartierung u. s. w., zusammen 2072 Thlr. 23 ßl.

Ein furchtbares Schicksal traf gegen Ende des Jahres 1759 die Stadt. Es war der große Brand von Lage.

Es sind im 18. Jahrhundert größere Brände in meklenburgischen Städten nicht selten, da bei der oben erwähnten Bauart eine schnelle Verbreitung des Feuers nicht zu hindern war, auch darf man sich das Elend eines Abgebrannten nicht so schlimm vorstellen, weil ein Haus leichter hergestellt war, wie heute, es gab noch Eichenholz sehr billig, man baute nur einstöckig. Der Schaden wurde aber wirklich groß, wenn er mehrere zugleich traf, und wenn nun gar

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der größere Theil einer Stadt abbrannte, die an sich schon immer nur kümmerlich ihre Existenz gefristet hatte, so war das ein namenloses Unglück, für das uns jedes Maaß fehlt.

Am 25. November 1759 herrschte ein furchtbarer Sturm aus Südwest. Viele Einwohner waren auf der Hochzeit im Hornungschen Hause, und da ein solches Fest noch im ganz andern Sinne wie heute die Aufmerksamkeit des Ortes in Anspruch nahm, so war auch in der Marktstraße allerlei Getreibe, so daß die Hochzeitsleute Thüren und Fensterladen gegen die zuweilen von außen heftig andringenden Neugierigen verschlossen hatten. Bei dem Pastor Schulze war der Rittmeister von Viereck aus Subsin mit seiner Frau zu Besuch, man saß gerade am Theetisch, als die Rittmeisterin mit dem Rufe: "Herr Jesus, es ist Feuer!" aufsprang. Der Pastor öffnete das Fenster und sah oben aus dem Eulenloch unter dem Dache seiner Scheune das Feuer herausschlagen. (Das ganze Pfarrgehöft lag, wie ich hier bemerken will, nicht an derselben Stelle wie jetzt, sondern fast unmittelbar am Stadtwall.) Er stürzte heraus, band im Viehhause das Vieh los, eilte dann auf die Straße und machte Feuerlärm, als er zurückkam, stand schon das Pfarrhaus in lichten Flammen, der Wind fuhr in die Strohdächer, es hallte wie ein ferner Donner, als er mit den Flammen spielte, er faßte wie mit Riesenfaust die feurigen Massen und jagte einen Funkenregen prasselnd und knatternd über die Stadt, jetzt brannten die der Wehdem nächsten Häuser, ha, da loderte schon eine ganze Straße auf! Wie ein feuriger Strom ergossen sich die Gluthmassen vom Winde gepreßt durch die Thorwege auf die Hauptstraße, sprangen über dieselbe tosend hinweg, indem sie jeden Verkehr sperrten; entsetzt flüchteten die Leute durch die Hinterthüren, ihnen nach, fast schneller noch, folgten hoch aufwirbelnd die loßgerissenen Brände, wohin sie trafen, sprang ein neuer Feuerquell - die ganze Stadt fast eine ungeheure, feurige Lohe. Bevor die Sparren an der Pfarrscheune zusammenbrachen, schossen die Strahlen von den entferntesten Gebäuden im Nordosten auf. Die Hochzeitsgäste hielten den Lärm zunächst für einen neuen Störungsversuch und tanzten fort, einzelne verstanden dumpf den Feuerruf, vorsichtig öffnete man zunächst die obere Hälfte der nach damaliger Sitte noch zweigetheilten Thür, aber es war nicht einmal Zeit, die untere, fester verriegelte zu lösen, über dieselbe hinweg und durch die gesprengten Fenster warfen sich die Menschen. Ein brennendes Strohdach schoß ja meistens schon nach wenigen Minuten hernieder, und jeder wußte, daß, wer dann noch im Hause war, nicht gerettet werden konnte. 63 Bürgerhäuser mit den dazu gehörigen Stallungen und

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24 Scheunen brannten in einer halben Stunde; von den Einrichtungen wurde nichts gerettet, es verbrannte auch sehr viel Vieh, die meisten Bewohner retteten nur das nackte Leben, aber es war ein Wunder von Gott, daß keine Menschen umkamen.

Wie es bei solchem gewaltigen, plötzlich hereinbrechenden Unheil zu geschehen pflegt, der Haufe verlor die klare Besinnung und suchte nach einem Gegenstand, an dem er seine Wuth auslassen konnte. Im Pfarrgehöfte war das Feuer aufgekommen, erzählten Einige. "Im Wohnhause selbst", schrien darauf Viele. Verhaßt war der Mann schon; zuerst hörte man Verwünschungen, dann ballten sich die Fäuste, plötzlich wälzte sich ein wilder Haufe zur Pfarre; "in das Feuer mit dem Brandstifter" war der Gedanke, der ihn trieb. Der fluchend Genannte mußte sich in eiliger Flucht nach Subsin retten (nach mündlicher Ueberlieferung sogar zu Fuß durch die überschwemmten Wiesen, richtiger wohl) im Wagen des Rittmeisters, dessen umsichtiger Kutscher noch Zeit gefunden hatte, die Pferde aus dem Stalle zu ziehen. Die Erregteren behaupteten, daß Pastor Schulze unzufrieden mit dem schlechten Zustande seines Gehöftes, absichtlich das Feuer angelegt habe, Besonnene wollten das bestreiten, aber hielten es für ausgemacht, daß durch Verwahrlosung in der Pfarrküche beim Flachsschwingen, während der Zurüstung eines großen Essens das Unglück entstanden sei. Der Haß blieb auf dem unglücklichen Manne haften, ob man nun Absicht oder Versehen annahm.

Die Untersuchung, die auf Befehl des Herzogs Friedrich angestellt wurde, ergab die Ursache des Feuers nicht: daß es in der Scheune aufgegangen war, bewiesen Zeugenaussagen klar genug, denn wenn auch 14 Tage vorher in dem Holzraum, der an die Küche grenzte, und circa 20 Faden Holz aufnehmen konnte, Flachs geschwungen war - ein gefährliches Ding, aber schon 50 Jahre lang Brauch -, so war doch nachweisbar am betreffenden Tage in der Küche alles still gewesen. Der Pastor Schulze suchte natürlich nach der Veranlassung des Brandes und warf den Verdacht auf Heiden, den Knecht des Pfarrpächters, dessen Gebahren während der Feuersbrunst allerdings ein seltsames gewesen war, der auch zuvor wegen Unsittlichkeit und Rohheit auf Schulzes Anzeige vor dem Consistorium hatte erscheinen müssen und aus seiner Feindschaft gegen ihn kein Hehl gemacht hatte aber bewiesen konnte demselben nichts werden, was allerdings Schulze auf den Stadtrichter Hancke schob, der bei der Untersuchung immer nur des Pastors Schaden ins Auge gefaßt habe. Am 12. Januar 1760 war der Letztere mit seiner Familie noch in Subsin, weil das Verweilen

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in der Stadt für ihn lebensgefährlich gewesen wäre. Es war allerdings das kleine Prediger=Wittwenhaus vom Brande verschont, aber dasselbe hatte auch ein Strohdach, und es wurde von dem Pastor befürchtet, daß man darauf ausgehen würde, ihn und seine ganze Familie im Hause zu verbrennen.

Eine tiefe Verbitterung mußte allmählich in Schulze Platz greifen, der sich seiner Unschuld bewußt war aber überall nur Haß und Feindseligkeiten erwarten durfte. Das spricht sich in einem Briefe aus, den er am 23. Januar 1760 an den Herzog Friedrich schrieb, worin es heißt: "Dies erschreckliche Gericht Gottes hat die Lager, welche größtentheils, einige ausgenommen, verruchte, gottlose Menschen, Lügner, Diebe, Räuber, Säufer, Hurer und Ehebrecher sind, nicht nur nicht besser, sondern zum Theil noch ärger gemacht. Und dieses entsteht alles aus dem Mangel an Gerechtigkeit. (Er meint, der Stadtrichter Hancke wäre schwach und spräche nur Recht, wenn er erwarten könne, einige Thaler zu erwerben.) Wer einen guten Stock schlagen, gut stehlen und rauben, auch dabei gut schmählen kann, der ist hier der beste Mann, der kommt hier noch am besten fort. Die Frommen und äußerlich Ehrbaren werden beschimpft und verlästert und auf das schändlichste verläumdet. Der Rathsverwandte Marott, ein guter, ehrlicher Mann, durfte selbst vor einigen Jahren sich nicht einmal getrauen, ohne Gewehr auf seinen Acker zu gehen, aus Furcht überfallen zu werden. Das Herzeleid, was mir, und die Schmach, die meinen Leuten angethan wird, die nicht einmal mit Frieden auf der Gasse gehen können, ohne beschimpft zu werden, ist gleichfalls nicht auszusprechen."

Die Jahre gingen über das Land, Lage erhub sich wieder aus der Asche, indem der edle Herzog reichlich Hülfe an Materialien zum Aufbau spendete. Er hatte zur Aufnahme der wüsten Stellen und Regulirung derselben einen Landmesser beordert, aber die beabsichtigte Geradelegung der Straßen konnte er nicht durchsetzen, weil die Bürger nicht von ihren Fundamenten und Kellern weichen wollten. Einzelne Häuser, die mitten auf dem Markte standen, durften, obwohl sie durch ihre Lage besonders bei Jahrmärkten Profit gebracht hatten, nicht wieder aufgerichtet werden, zum größten Theil blieb Alles beim Alten. Vier Freijahre wurden der Stadt in Bezug auf Landessteuer bewilligt, aber eine Verlängerung dieser Gunst nicht zugestanden.

Allmählich legte sich der Groll gegen den Seelsorger, als bessere Zeiten kamen, derselbe wohnte sicher in seiner Gemeinde, ja er wurde beliebter. Immer noch trug aber der Bedauernswerthe

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den furchtbaren Druck mit sich herum, daß der Verdacht der Brandstiftung nicht von ihm genommen war. Hatte er früher mancherlei an der Gemeinde verschuldet, so mußte er jetzt schwer dafür büßen.

Zwanzig Jahre gingen über die Stadt dahin, zum größten Theil schöne Friedensjahre. Da meldete sich einst beim Pastor Schulze der Chirurgus Carl Strüwing zur Beichte an und machte ihm das Geständniß, daß er, im Gewissen gedrungen, sich ihm als den Urheber des Brandes offenbaren müßte. Was ferner zwischen den Beiden verhandelt wurde, ist nicht bekannt geworden, wahrscheinlich ist indessen, daß Schulze ihn anhielt, jetzt nachträglich nicht mehr von der Sache zu reden. Strüwing war nicht beruhigt, einst beim Abendmahl ging er feierlichen Schrittes zum Altar und legte daselbst ein schriftliches Bekenntniß seiner That öffentlich nieder. Sein Beichtvater nahm das Schriftstück an sich und verbarg es in seinem Gewande, um es zu unterdrücken in dem Verlangen, daß eine Sache, die er zwanzig Jahre im Stillen getragen hatte, nicht mehr öffentlich im Munde der Leute angeregt werden sollte. Seine Dienstmädchen, die zur Kirche gegangen waren, hatten den auffallenden Act beobachtet, sie erzählten davon der Pastorin, die bei ihrem Manne neugierig nach dem Inhalt der Schrift forschte. Es war ihr auffallend, daß er weitere Auskunft hartnäckig verweigerte, und - verziehen sei ihr diesmal ihre Neugierde - sie suchte heimlich und fand das Papier in der Tasche. Selbstverständlich war jetzt an kein Verbergen mehr zu denken, auf ihr anhaltendes Drängen übergab der Pastor das Bekenntniß, das zurück zu halten er amtlich nicht verpflichtet war, dem Gerichte im Mai 1780.

Es ist mir nicht gelungen, dieses Bekenntniß selbst aufzufinden, aber ein Zweites entdeckte ich, das Strüwing etwas später im August an den Herzog sandte, und da die Angaben, die er darin macht, mit der mündlichen Ueberlieferung einer alten Lager Bürgerfamilie in den Hauptzügen sich decken, so finde ich keine Veranlassung, dort, wo die Letztere ergänzend eintritt, sie mißtrauisch aufzunehmen. Darnach darf ich folgendes erzählen: Der Herr von Viereck in Subsin schuldete dem Strüwing Geld, und auf seine Klage, daß er dasselbe nicht erhalten könne, sagte ihm ein Schlosser Mähl, er solle nur Feuer an das Haus, das sein Schuldner in Lage besäße, legen, es schadete nicht, wenn "der ganze Bettel" mit abbrennen würde, der wäre doch nicht viel werth. Seitdem trug Strüwing sich mit Brandstiftungsplänen. Als Schulze nachdrücklich auf die Neudeckung der Pfarrscheune drängte und den Bürgern in einer Zeit, wo Stroh selten war, die Lieferung von Deckmaterial auferlegt wurde, murrten und schalten Einzelne gewaltig, unter andern auch der Kleinschmied

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Hornung. Der ballte einst, als er mit Strüwing am Pfarrhause vorbei ging, die Faust und rief: "Da gebe ich nichts zu, und den Priester haben wir uns an den Hals processirt, wollen wir ihn wieder los sein, so können wir ihn abprocessen, und wenn das nicht hilft, so gebe Gott, daß einer die Scheune desselben ansteckt, oder daß ein Feuer vom Himmel fiele und ein Donnerwetter aufsteige und schlüge den Priester sammt der Wehdem in Gottes Erdboden. Er thut sonst doch nichts weiter, als daß er mit den Edelleuten tractirt und fährt nach Pommern." Auf solchen rohen Wuthausbruch sprach der Kesselhändler Jörris Verhein: "Behüte Gott!" Strüwing sagte: "Bewahre Gott, wer wollte das thun!" Darauf sah ihn Hornung an und sagte höhnisch: "Das ist man eben so viel. Wenns einer ansteckt, wird ihm kein Mensch was darum thun, wenn es auch alles mit wegginge, darauf will ich leben und sterben!" Seitdem war es bei Strüwing, als ob ihm eine geheimnißvolle Macht zum Anstecken der Scheune trieb. Aus dieser Zeit prägten sich ihm alle Erlebnisse auf Schritt und Tritt ein, so daß er sich nach Jahren derselben bis auf Einzelheiten besann. Er schreibt davon etwa also: "Als ich wieder einmal an der Priesterscheune vorbei ging (er barbierte den Pastor), jammerte mich, dieselbe anzustecken, und ich gedachte bei mir: Das wäre ein Elend. Also ging ich nach der Papiermühle. Da lief vor mir unter die Sohle des Hauses ein Marder, so daß er unter die Bretter der Stubendiele schlüpfte, ich ging hinein und erzählte den Papiermüller=Leuten von dem Marder, also gehen sie hinaus aus der Stube mit einem Hund und wollten das Dings greifen. So komme ich her und nehme meine Flasche und das Becken, allwo ich mit barbiere, gieße in das Becken geschwinde ein Bißchen Wasser und setzte dieses ins offne Röhr mit sammt der Flasche daß es während der Zeit sollte warm werden, daß ich den Papiermüller Lehmann damit barbieren wollte. Ich ging aus der Stube und wollte sehen, ob sie den Marder kriegten, da war er nicht da. Da ging ich wieder in die Stube. Als ich aber zum Röhr kam, und wollte das Becken heraushaben, so war so wenig Becken als Flasche darin, als ich aber genauer zu sah, so war mein Becken mit sammt der Flasche zerschmolzen. Darauf nahm ich eine "Federflücht" und fegte mir das Zinn aus dem Röhr und ging damit den andern Tag nach Rostock und holte mir ein neu Becken und eine neue Flasche, daß meine Frau es nicht zu wissen kriegte, denn sie fragte mich, wo mein Barbierzeug wäre, ich sagte, es sei in der Papiermühle. Nachdem, als ich zu Hause kam, ging ich den andern Tag zu der Papiermühle und barbirte den Papier=

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müller, als ich wieder hereinkam, barbierte ich Klas Behrns. Von da ging ich nach der Wehdem, und da gedachte ich nach meiner Schwachheit: "Wenn doch man Niemand käme und die Wehdem ansteckte, der Mann hat so gefährlich geflucht." Darauf so nahm ich so viel Zunder, als wo man eine Pfeife Tabak bei ansteckt, und hielt den Zunder an meine Tabakspfeife und steckte den Zunder an einen harten, eichen Ständer und gedenke bei mir: "Nun wird der Fluch doch ein Ende haben, von dem wenigen Zunder!"

Wir lassen dahingestellt, ob dieser Ausweg zu seiner Entschuldigung später von ihm erfunden wurde oder ob er wirklich durch den Gedanken an Abwendung des Fluches getrieben wurde. Auch waren die Ständer gerade an der Wetterseite der Scheune, wo das Feuer hernach ausbrach, durchaus nicht mehr fest, sondern gerissen und morsch, so daß auch ein Schwach glimmender Funke gute Nahrung fand. Als der Bader von seinem schlimmen Werke hinweg der Straße zuging, sah er plötzlich von der Höhe über das Thal der Recknitz. Der breite Hügel jenseits, der vor seinen Augen lag, hieß der Köppenberg, dort war 1740 ein Mädchen enthauptet, das rachgierig ein Haus angezündet und damit Veranlassung gegeben hatte, daß ganz Barentin abbrannte. Hier aber an derselben Stelle stand damals eine Frau mit ihrem Sohne, dem sie das schreckliche Schauspiel nur von Ferne zeigte mit der Warnung, daß schlimme That schlimmen Lohn finden müßte, und diese Frau war seine Mutter! Die Erinnerung fuhr ihm durch das Herz, sofort kehrte er um, ihm schien der Zunder ausgeschwält, nur etwas Flugasche war noch da, er versuchte durch Aufdrückung seines Daumens die letzte Gluth zu dämpfen. Am Abend sah er beim Hüten seiner Schafe eine Feuerkugel vom Himmel herniederfallen recht auf die Stadt zu, bald darauf noch eine nach Wardow zu. In der Nacht schlich er zu der Pfarrscheune, und da es ihm schien, als ob der Balken nach innen zu glimme, trug er aus einem benachbarten Brunnen Wasser herzu und schüttete es dagegen, bis ihn das Morgengrauen vertrieb. Noch ein Tag verging, die nächste Nacht, in der er immer noch Brandgeruch witterte, sah ihn wieder bei seiner angstvollen Arbeit. Am nächsten Tage brachte er auf der Hornungschen Hochzeit das Gespräch auf die Himmelserscheinungen, deren Bedeutung ihn sehr erschreckt hatte, aber die Leute erzählten ihm, es hätte "der Drache gezogen". Gleich darauf kam der Feuerlärm und Strüwing, unter den Ersten zur Brandstätte stürmend, sah mit Entsetzen das Feuer an der Seite der Scheune herausschlagen, wo er thätig gewesen war.

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In seiner Seelenangst suchte er Trost im Gotteshause, aber was hörte er dort? Fast alle Sonntage erging der Prediger sich über den Brand, er verwünschte und fluchte von der Kanzel, daß derjenige, der das Feuer angelegt habe, möchte rasend und toll werden. Nach einiger Zeit wurde Strüwings Schwein von einem Hunde angefallen, der ihn, als er zu Hülfe eilte, in den Daumen der rechten Hand biß. Die Sau starb an der Tollwuth in wenig Tagen, er selbst, der das Gefühl hatte, als würden ihm "10 Kübel Wasser über den Kopf gegossen", ließ sich freilich heftig zur Ader, aber, den Fluch des Pastors an sich in Erfüllung gehen sehend, kränkelte er, wurde lahm und epileptisch; er suchte seinen Trost in Geschenken an die Kirche und im Lesen des göttlichen Wortes und fühlte in der That sich dann etwas ruhiger, längere Zeit verschwand er ganz aus Lage, und die Sage behauptete hernach, er sei ins Morgenland zum Grabe des Heilandes gewallfahrtet. Nach seiner Wiederkunft war nämlich sein Gebahren ein sehr auffallendes, er sprach Prophezeiungen aus und behauptete Visionen zu haben. Wir erkennen unschwer, daß seine Angst begann ihn seiner geistigen Klarheit zu berauben. So schreibt er in seinem Selbstbekenntniß: "Also ging ich hinter dem Hause in den Garten, stieg auf einen Borstorfer Apfelbaum und wollte ihn aussägen. Weil ich mit dem Sägen in Arbeit bin, so kommt ein weißer Schwan und fliegt mir immer um den Kopf und schnarcht aus dem Hals, als wenn er mit mir reden will, endlich wirft er sich auf den Mühlenteich nieder. Also kam der Rathsverwandte Lewerentz, der schoß ihn todt." Wie lange ihn diese Noth peinigte, ist nicht klar. "Nach der Zeit ist mir wieder passiert", schreibt er, "ich könnte mir eine Absolution fordern. Das träumte mir vor dem 29. und dem 30. April. Darauf ging ich und legte die Schriften alle auf den Altar hin, die ich hatte, darauf bin ich am 6. Mai arretiert worden." - Zwei Mann wurden ihm in seinem aufgeregten Zustande zur Wache gegeben, und er ängstigte sie mit seinen Behauptungen, Geister um sich zu sehen, wobei es ihm schließlich schien, als ob der Herr selbst bei ihm sich hinstellte. "Seit der Zeit habe ich Ruhe gehabt, daß ich das gesehen habe bei mir; ferner bitte ich Ew. Durchlaucht und seien so geneigt und dasjenige, was ich versehen, sehen Sie meiner in Nachlaß, verzeihen mir solches. Gott der Herr wird an solcher Statt wieder mit Segen überschütten u. s. w. Den 24. August 1780."

Die gerichtliche Untersuchung wurde von Marott, Consul et Judex geführt, dem als Adjunct Joh. Chr. Schaller zur Seite stand, Assessoren waren Lewerentz und Heyde, es ergab sich seine

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Schuld, auch daß Pastor Schulze wohl in Folge seiner Beichte von derselben gewußt, aber nichts davon gesagt habe. Die Acten wurden eingesandt, das Urtheil fiel dahin aus, daß, da sein Verbrechen über zwanzig Jahre her sei, er nicht mehr zu strafen sei, daß aber, da er sich selbst angegeben habe, ihm die Kosten zur Last gelegt würden. Dieser Spruch fand in der Stadt wenig Billigung, alte Schmerzen und Sorgen lebten in der Erinnerung wieder auf, Geld für Kosten konnte Strüwing nicht zahlen, da er völlig verarmt war, sollte er also straflos ausgehen? Dazu kam, daß er bei seiner periodischen Geistesstörung gar leicht wieder Unheil anrichten konnte, darum petitionirte der Rath, daß ihm sein Aufenthalt in Dömitz angewiesen würde. In Rücksicht auf seine Gefährlichkeit wurde dem Folge gegeben, und er blieb in der dortigen Anstalt für Irrsinnige bis in den October 1783 still, sinnend, anscheinend harmlos, so daß er nach dem Berichte des Commandanten entlassen werden konnte, doch mußte er Urfehde schwören, sich nicht in der Stadt Lage betreffen zu lassen. Bettelnd irrte der Arme im Lande umher, in Ludwigslust sah man ihn, in Bützow griff man ihn wieder auf, es nützte kein Verwarnen, es zog ihn mit Macht nach seiner Heimathstadt. Dort wollte sich Niemand seiner annehmen, Mitleid fand er nirgends, keinen Bissen Brot, keinen Trunk Wassers bot man ihm, durch Betteln in der Umgegend erhielt er sich, aber in der Stadt trieb er seltsames Werk. Er suchte Schutthaufen auf, von denen er mühsam Steine hinwegschleppte mit der einförmigen Erklärung, er habe immer noch nicht genug getragen, er müßte noch immer mehr tragen. Des Nachts lag er meistens auf der Gasse und störte die Stadt mit seinem Geschrei, indem er laut redete und predigte. So fristete er sein Dasein noch acht Jahre, oftmals prophezeiete er zu aller Schrecken, daß Lage bald wieder in Feuer aufgehen würde, Brandgeruch witterte man sogar einmal in einem Gebäude, wo Strüwing gesessen und mit Feuer gespielt hatte, obwohl keine Feuerstelle nachweisbar war. Darum bat die Stadt am 16. September 1791 abermals den Herzog, er möchte ihn wegen seiner Gemeingefährlichkeit wiederum nach Dömitz zurücksenden. Der herzogliche Minister war in der Nähe der Stadt (in Rossewitz) gewesen und hatte ihn dort gesehen, derselbe erklärte, daß er sein tiefstes Mitleid erweckt hätte, weil er so ganz verlassen sei, gefährlich wäre er wohl nicht, aber erbarmungswürdig, darum er befürworten müsse, daß er in Dömitz aufgenommen und in der Anstalt bis zum Tode erhalten würde. Es sollte indessen nicht zur Ausführung kommen, eines Morgens fand man Strüwing todt auf einem Schutthaufen.

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Welche erschütternde Tragödie hatte dort ihren Abschluß gefunden!

Wir sind durch die Absicht, vorstehende Schilderung von dem Brande und dessen Nachspiel im Zusammenhang zu geben, der Zeit des siebenjährigen Krieges entrückt und müssen nunmehr in das Jahr 1759 zurückkehren. Die Hand der Preußen lastete noch mit schwerem Drucke auf dem Lande. Gehäuft wohnten die Bürger im Winter in den Häusern, die übrig geblieben waren, in Stallungen oft und auf den Dielen. Gar kümmerlich brachte man sich durch die rauhe Jahreszeit hindurch, alles Gewerbe lag darnieder, die Lager Handwerker liefen bettelnd im Lande umher, um ihre Familien erhalten zu können. Wohl kam zuweilen Befehl von Rostock für die Magazine in Rostock, Ribnitz, Sülze, Tessin oder Demmin Lieferungen zu thun, aber selbst die sonst so harten Preußen mußten sich von dem vor ihren Augen stehenden Elende abwenden und ihre Forderungen lassen. Die Stadt verpfändete die Grandbergs=Wiesen für 200 Thlr., die meisten Hausväter hatten kein Korn, oft nicht das liebe Brot. Die Nachbarschaft, die sonst hätte helfen können, war selbst auf das Aeußerste von den Preußen angespannt, die nicht Abgebrannten wurden mit den Abgebrannten in der Stadt ruinirt, weil eine Familie oft 2 - 3 andere aus der Verwandtschaft ernähren mußte. Das Vieh, das gerettet war, mußte an fremden Orten zur Fütterung gegeben werden, dafür nahm der Fremde meistens die Nutzung. Die Wenigsten konnten im Frühjahr den Acker bearbeiten und zusäen, mit Hülfe der benachbarten Bauern wurde etliches Land bestellt, aber weil keine Düngung stattgefunden hatte, konnte der Ertrag nur gering sein, und natürlich arbeiteten die Bauern nicht umsonst, der Ertrag mußte getheilt werden. Scheunen mangelten, in den Miethen aber verdarb Vieles. Trotz alledem mußte Lage 1760 das wenigstens an die Preußen liefern, was es am leichtesten haben konnte, 26 Ctr. Heu, mußte auch noch Vorspann leisten und 195 Scheffel Hafer in der Nachbarschaft aufkaufen, um dem drohenden Druck sich zu entziehen.

Im nächsten Jahre wurden die Forderungen schon wieder ganz bedeutend gesteigert, nach Neukalen mußten von Lagern zu den Schanzarbeiten Hand= und Spanndienste geleistet werden, jedes Erbe sollte ferner 15 Thlr. geben, die Stadt verpfändete zur Deckung solcher Forderungen die Plagen=, Hörn=, Drittentheils= und Bollen=Wiese, auch verschiedene Aecker, und soviel Speculationsgeist hatten die Einwohner doch schon wieder, daß einzelne Consortien zur Aufbringung der von der Stadt begehrten Anleihe sich zusammenthaten, um sich die Vortheile der Wiesennutzung in

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Zukunft nicht entgehen zu lassen. Die Menschenjägereien begannen wieder in alter, erbarmungsloser Weise. Beim Pastor Schulze diente ein Knecht Buhse, ein starker, breiter Bursche, dem sein Herr in der Scheune sein Versteck hergerichtet hatte, der aber nur ungern drin saß, weil es ihm zu enge war. Einst machte er sich auf, seine Schwester, die in der Stadt verheirathet war, zu besuchen. Als er an deren Fenster vorüberging, sah er sie in der Stube händeringend und weinend stehen, erschrocken beschleunigte er seine Schritte zur Hausthüre und plötzlich trat ihm dort ein Preuße entgegen mit dem Rufe: "Gottes Donner! Führt dich der Teufel hierher!" Bevor aber derselbe seine Hand ausstrecken konnte, floh der Knecht leichtfüßig von dannen, sein Schwager aber war den Werbern in die Hände gefallen und wurde weggeschleppt, man sah ihn niemals wieder. Mit ihm nahmen sie noch zwei jüngere Bürger, alle Mühe der Stadt, sie frei zu bekommen, war vergebens, sie wurden zunächst nach Güstrow in die Kirche geschleppt und dort mit andern Opfern zusammengesperrt, nach fünftägigen Versuchen hatten die ihnen nachgesandten Lager sie nur flüchtig sehen und sprechen können. Nicht allemal freilich hatten die Ueberfälle Erfolg, und man erzählt hie und da noch drollige Geschichten über vereitelte Anschläge. Um die Flucht der Männer zu verdecken, setzten sich die Frauen auf den Hof und dengelten Sensen oder nahmen sonst lärmende Männerarbeit vor, dadurch verlockt schlichen die Werber heran, ordneten sich zum Ueberfall und sprangen dann plötzlich über Zäune und Thorwege, um mit gotteslästerlichen Flüchen zurückzufahren, vom Gelächter der Weiber begleitet. Etliche junge Leute, die nicht mehr hatten ins Freie entkommen können, flüchteten einst auf den Thurm, zu dem nur eine sehr enge, schmale Wendeltreppe hinaufführt; als die Werber nachdringen wollten, rissen jene oben die Stufen der Treppe los und ließen die so gewonnenen Steine heruntersausen, so daß die Gegner, die bei ihrer geringen Zahl ungern eine lange Belagerung vornahmen, abzogen. Die Lücke an der Treppe wurde mir noch gezeigt.

Am 10. Mai 1761 lagerte eine größere Truppenabtheilung des Prinzen von Wartenberg auf dem Stadtfelde und verdarb viele junge Saat, so daß der Schaden auf 188 Thlr. taxirt wurde. Als im October wegen einer preußischen Magazin=Anlage auf ein Erbe zwei Thaler gelegt wurden, schrieb die Stadt an den Engern Ausschuß und bat flehentlich um längere Befristung, "weil wir nicht vermögend sein, in so kurzer Zeit (9 Tagen) die Gelder zusammenzubringen, weil einige Einwohner noch aufs Land gehen, ihre Wohnung zu suchen, viele sind ganz weggezogen, und die

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wenigen Einwohner, so noch hier sind, davon stehen die meisten im Bau und sind nicht vermögend, bei diesen theuren Zeiten das Geringste herbeizutragen". (Am Schluß des Krieges sind über 20 Bürger weggezogen, einige darunter haben ihr Grundstück ohne Weiteres im Stich gelassen). Es fehlt mir der Jahresabschluß für 1761, aber die Kosten beliefen sich zum Wenigsten auf

Contribution, Rekrutengeld, Pferdewerth 4403 Thlr. 10 ßl.
Verpflegungsgelder einzelner Abtheilungen 227 " 24 "
Quartiergelder u. s. w. 938 " 41 "
----- -------- -------- -------- --------
5569 Thlr. 27 ßl.

außerdem 6 Ochsen, 19 Schafe, 6 Pferde, 46 Schffl. Mehl.

Je länger der Krieg währte, je größer die Bedrängniß Friedrichs wurde, je spärlicher die Hülfsquellen seines Landes flossen, um so härteres Joch wurde Meklenburg aufgezwungen. Das Jahr 1762 bezeichnet den Höhepunkt des Druckes, und zwar drängte sich diese Noth auf wenige Monate zusammen, da schon im Mai der Friede geschlossen wurde. Abermals kam der Befehl 10 Rekruten zu stellen, und das war das Signal, daß alle, die irgendwie diensttauglich waren, sich davon machten. Plötzlich brach ein Commando von Husaren und Grenadieren herein, trotz ihres Suchens fanden diese keinen brauchbaren Mann, da griffen sie zu und nahmen, wen sie gerade kriegen konnten, zehn angesehene, ältere Bürger, diese schleppten sie unter allerlei Drohungen fort. Am 27. März kamen sie nach Schwan, am 28. über Schwiesow nach Bützow, am 29. von dort nach Rostock. Mit den Geraubten zogen zwei der gewandtesten Männer aus der Stadtvertretung, um zunächst die Verpflegung derselben zu besorgen, denn was die Soldaten für die Gefangenen abfallen ließen, war bitter wenig, für die Erlaubniß zur Verpflegung forderten die Preußen sehr oft Trinkgelder, diese Reisen verschlangen allein 152 Thlr. Das Geschrei der Hinterbliebenen war jämmerlich, die armen Frauen und Kinder flehten die Bürger um Hülfe an, und so stark war doch der Gemeinsinn, daß man beschloß, lieber das eigene, wenige Vermögen daran zu setzen, als die Opfer, die ja für die Gesammtheit leiden mußten, im Elend zu lassen. Die einzelnen Bürger steuerten 5 oder 10 Thlr. zu und brachten so 523 Thlr. 40 ßl. zusammen, der Rest wurde gegen Pfand angeliehen. Für 1050 Thlr. 40 ßl. gelang es, die Gefangen zu erlösen, jeder Mann galt 100 Thlr., dazu Agio 50 Thlr. 40 ßl. Abermals hatte die Stadt einen Rekruten zu stellen, der sich glücklicher Weise kaufen ließ für 60 Thlr. und vielleicht gedachte, möglichst bald durchzubrennen. Jetzt forderten die Preußen sieben Pferde - wo diese hernehmen? Die

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Bürger hatten so wenige, daß keines entbehrt werden konnte, auch gefielen wohl die magern, schwachen Bürgerpferde den Preußen nicht, es blieb nichts übrig, als sie zu kaufen, und sie kosteten (beim Pferdemangel ein erklärlicher Preis) das Stück 132 Thlr.; dann wurde Contribution ausgeschrieben, zu deren Aufbringung man 151 Eichen verkaufen mußte, das brachte 699 Thlr. 3 ßl.; abermals wurde eine Contribution auferlegt, die vom preußischen Commando gesandten Executionstruppen wollten schon Vieh abpfänden, man fällte lieber noch einmal Eichen für 194 Thlr. 41 ßl. Außerdem hatte die Stadt an baar zusammen ungefähr noch 1000 Thlr. zu erlegen. Wie sie diese Summe aufbrachte, ist mir ein ungelöstes Räthsel geblieben. Solcher Bedrängniß gegenüber tritt als grelles Bild soldatischen Uebermuthes das Gebahren jener Executionstruppen, die unter einem Cornet und dem Unteroffizier Rabe das Geld beitrieben. Der Letztere ließ flott 1/2 Anker Wein auflegen, griff vier Juden, die gerade durch den Ort zogen, auf und ließ sich von ihnen Musik vormachen, dann befahl er der Stadt, jedem dafür 1 Thlr. zu geben, erpreßte für sich ein Trinkgeld von 25 Thlr. und für den Cornet 4 Ldr. Donceur. Außerdem erhielt der Offizier täglich 1 Thlr. 16 ßl., der Unteroffizier 32 ßl., ein Gemeiner 16 ßl. (24 Gemeine blieben unter jener Führung vom 6. Februar bis 6. Mai in der Stadt). Freie Beköstigung verstand sich von selbst. Die Preise für Naturalien stiegen bedeutend, 1 Schffl. Roggen kostete 3 Thlr. 24 ßl., Hafer 2 Thlr., 1 Ctr. Heu (!) 4 Thlr., 1 Bund Stroh 8 ßl.

Bei der Recapitulation, bei welcher alle Leistungen in Geld umgerechnet wurden, giebt der Berechner für 1762 als Ausgaben an:

1. Contribution, Agio, Unkosten dabei. 1871 Thlr. 23 ßl.
2. Korn und Fourage, theils ins Magazin, theils ins Quartier 638 " 23 "
3. Rekrutengelder nebst Unkosten dabei 1464 " - "
4. Currenden, Postporto, Deputirte 23 " 28 "
5. Ankauf von Pferden 1003 " 12 "
6. Executionskosten, Defrayirung des Commandos 1249 " 41 "
7. Durchmärsche, Transporte, Vorspann, Fuhren u. s. w 745 " 47 "
8. Extraordinarie (Stafetten, Juden, Latten u. s. w.) 155 " 6 "
9. Bequartierung durch größere Truppenmassen, Schadenrechnungen der Bürger u. s. w 3732 " 27 "
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10884 Thlr. 15 ßl.
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Allerdings werden, wie ich schon bemerkte, sich die Bürger bei solcher Rechnungsaufnahme der höchsten Sätze bedient haben, und wir können wohl nur, wenn wir ziemliche Summen streichen, der Wirklichkeit näher kommen. Bei der vom Rathe bei der Regierung eingereichten Gesammtrechnung wurde denn auch seitens der Revisionscommission ziemlich reducirt, immerhin konnte später der Rath festsetzen: "Unser Kriegsschaden beträgt nach beigehender Kriegsschadenrechnung 16961 Thlr. 3 ßl. 6 Pf. Es ist zu bewundern, daß ein so kleiner Ort, der noch dazu 1759 fast gänzlich eingeäschert, hat dieses Quantum aufbringen und soviel Credit machen können". Ja, das ist zu bewundern, man glaubt mit jedem Jahre, daß es mit der Stadt nicht mehr schlimmer kommen kann, es müßte sonst mit ihr ganz vorbei sein, aber es kommt doch schlimmer, und sie erträgts.

Ganz bezeichnend für den Zustand der Stadt sind die Antworten des Magistrates auf die Monita betreffend seine Angaben über Steuerpflichtige: Er heißt dort Monitum 3. Es ist nicht glaublich, daß in Lage nicht mehr Knechte, Mägde und Gesellen sein sollten, als in der Specification aufgeführt. Bei keinem membro Senatus ist ein Knecht oder eine Dirne zu finden, da doch bekannt, daß solche Leute bei ihnen im Dienste stehen.

Antwort: In dem membro Senatus sind nur zwei, als Bürgermeister Vogt und Rathsverwandter Marott, so Ackerbau treiben und Leute nöthig haben. Daß sie aber keine Knechte gehabt, muß das Steuer=Register beweisen, weil ihre Leute, so sie zum Betriebe des Ackerbaues gehabt haben, Tagelöhner gewesen. Was die innere Wirthschaft anbetrifft, weil man noch nicht ganz wieder aufgebaut, hat man sich statt Mägde kleine Dirns, so um Zeug dienen, und auch theils mit eigenen Kindern beholfen".

Monitum 5: "Es geschehen keiner Zinsen Erwähnung. - Uebrigens stehet dem Magistrate frei, dem, der sich in bedrängten Umständen befindet, die edictmäßige Steuer bis zur Hälfte nachzulassen, jedoch ist hierbei gewissenhaft zu verfahren".

Antwort: "In Bezug auf Capitalisten, so da Geld auf Zinsen stehen haben sollen, ist wohl nicht glaubhaft, daß Jemand in Lage Geld auf Interessen stehen hat, und es wird den mehrsten hier bange, wann Creditores sich melden, daß sie bona cediren müssen und dennoch ihre Gläubige nicht befriedigen können. Zu bedenken ist der Krieg und das Jahr 1759. Anbauen wollte gerne ein Jeder, allein war Erbarmung bei Ausschreibung der Hufen= und

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Erbesteuer zu finden? Wir mußten, ob wir gleich alle in der Asche gelodert, unsere Erbesteuer, worin wir so vor andern Städten uns sehr graviret befinden, ohne die geringste Nachsicht steuern. Die Execution, da wir nicht im Stande waren zu bezahlen, hielt nicht auf, uns zu torquiren, bis wir alle unsere liegenden Gründe versetzt hatten und nun zur Bezahlung Anstalt machten; unser Vieh wurde aufgetrieben, unsere Kisten und Kasten versiegelt, und alles sollte weggeführt werden. Wer sollte demnach bei so kläglichen Umständen noch Geld auf Zinsen behalten haben, und wer ist jetzo noch im Stande, daß er sagen kann: Mein Haus habe ich Gott Lob ohne Schulden? Wenn ein Jeder nur an seine Schuld denkt, so müssen ihm bei jetzigen Umständen die Haare zu Berge stehen und soll nicht wissen, wie er will aus der Schuld kommen". -

Man darf von den Lager Verhältnissen aus eine Rechnung für das ganze Land aufstellen. Selbst wenn man annehmen will, daß die Nähe von Rostock für Lage verhängnißvoll wurde, so gewinnt man den Eindruck, als ob für Meklenburg durch den großen Friedrich eine zweite, nur etwas abgeschwächte Auflage des dreißigjährigen Krieges geschaffen wurde.


VII. Der Uebergang in die neuere Zeit.

Mit der Beendigung des siebenjährigen Krieges beginnt eine Zeit der Erholung und der Hebung aus dem Verfall. Das Land ward allerdings zunächst noch bedrängt durch die mit der Wiederkehr des Friedens überall entlassenen Soldaten, die oft, verwildert wie sie waren, durch Landstreichen, Stehlen und allerlei sonstige unehrliche Dinge sich ihr Dasein zu fristen versuchten, doch machte sich des Herzogs Friedrich vortreffliches Regiment, das die Schäden nicht nur festsetzte, sondern die Mittel zur Besserung bestimmte, der Stadt Lage bemerkbar, indem es sie schützte und aus der dumpfen, verzweifelten Stimmung, in die sie versunken war, aufzurütteln versuchte. Der Landesfürst verlegte zunächst 1763 eine kleine Garnison nach Lage, ein Lieutenant, zwei Unteroffiziere und etwa 20 Gemeine des von Glürschen Regimentes, dieselbe mußte den Recknitz=Uebergang bewachen, alle Durchziehenden scharf examiniren und visitiren, um der Landstreicher habhaft zu werden; sie stellte an der Brücke einen Posten auf, der dieselbe Tag und Nacht bewachte, auch war sie am Platze, um den gelegentlich auftauchenden Gelüsten nach gewalt=

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samen Werbungen in der Umgegend kräftig entgegen zu treten. Als die Sicherheit unter solcher genauen Ueberwachung sich hob, begann die Stadt das Drückende der Erhaltung ihrer Garnison zu empfinden und bat um eine Verringerung derselben, 10 Mann zogen weg. Im Jahre 1771 wurde der Rest abkommandirt, doch wollte der Herzog auf den Vorschlag, den man ihm treuherziger Weise machte, den alten kümmerlichen früheren Gardereiter Clas Getzmann und den noch kümmerlicheren früheren Musketier Jacob Schmidt, beide aus Lage, als polizeilichen Schutz, etwa nach Weise der heutigen Gensdarmen einzusetzen, nicht eingehen, sondern bestand darauf, daß aus Hagenow von den sogenannten Invaliden ein Unteroffizier und zwei Gemeine, die noch alte Gewehre hätten, nach Lage abgehen sollten.

Sodann richtete Herzog Friedrich sein Augenmerk auf Ueberwachung und Verbesserung des Stadtregimentes und ordnete thunlichst Ersparungen an. Der Bürgermeister Johann Christoph Buhse starb am 3. November 1766, sein nachbleibender College Vogt, war ein alter, schwächlicher Mann, der meist im Bett liegen mußte, und nur bei besonderen Gelegenheiten sich aufraffte, darum wählte man beschleunigt einen neuen Vater der Stadt, Erdmann Friedrich Marott, den ältesten Rathsverwandten. Er war Ingenieur und ein betriebsamer Mann, leider ein nicht sehr zuverlässiger Charakter. Sein Nachfolger als Rathmann wurde gleichfalls bestimmt, beide erhielten die Bestätigung in ihren neuen Aemtern durch den Fürsten und wurden vereidigt. Nach alter Gerechtigkeit mußte der alte Vogt dieselben am nächsten Sonntage in die Kirche führen, woselbst für ihre Amtsführung Fürbitte geschah. 1768 starb auch Vogt, als er sich aus seinem Hause zu einer Reise nach Rostock hervorgewagt hatte. Diesen Augenblick hielt der Herzog für geeignet, eine Vereinfachung der Stadtverwaltung derart herzurichten, daß nur ein Bürgermeister in Zukunft sein sollte, dem die zwei Rathmänner zur Seite standen. Natürlich erhoben diese Beiden sofort Einspruch (denn einer hatte nach alter Sitte Anwartschaft auf den erledigten Posten), warfen Marott vor, er habe der Stadt Rechte zu seinem Vortheil und im Streben nach Allgewalt preisgegeben, und weigerten sich ihm bei der Verwaltung zur Seite zu stehen und irgend eine Arbeit zu übernehmen. Wenn sie sich auch die Vereinfachung der Verwaltung, deren Vortheil handgreiflich war, hätten gefallen lassen, so hielten sie es doch für billig, daß die Einkünfte der erledigten Stelle unter allen Magistrats=Mitgliedern getheilt würden. Das freilich ging wieder gegen die Absichten des Herzogs, denn der wollte gerade in der Erkenntniß, daß ein Bürger=

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meister mit geringen Einkünften, der auf das Suchen nach bürgerlicher Nahrung hingewiesen war, gar zu sehr abhängig und immer versucht sein mußte, Vortheile an andere gegen eigne Vortheile zu vergeben, dem Oberhaupte der Stadt eine selbständige Stellung schaffen. Lange weigerten sich die beiden Rathmänner - was sich besonders empfindlich bemerkbar machte - Bürgerbriefe auszustellen, bevor ihnen nicht zugesichert sei, daß die dem zweiten Bürgermeister bisher dafür zukommende Gebühr nicht allein an Marott falle, aber ein kräftiges Edict des Fürsten, vom Jahre 1770, daß in Zukunft nur ein Bürgermeister sein solle, und dieser immer die Einkünfte beider Stellen beziehen, brachte sie zum Nachgeben. Der Herzog ging noch weiter. Bei der gerade eintretenden Erledigung der Stadtrichter=Stelle beschloß er, dieselbe gleichfalls mit dem Bürgermeister=Posten dauernd zu vereinigen. Von dieser Zeit an datirt also in Lage die Vereinigung von Justiz und Verwaltung; in unsern Tagen ist dieser angebliche Mißgriff wieder beseitigt, aber wir erkennen bei unbefangener Prüfung, daß diese Einrichtung sich in der Hand tüchtiger Männer, wie sie hernach der Stadt bescheert wurden, sehr heilbringend zur festen Gründung von Ordnung und zur Regelung der verworrenen Verhältnisse erwies. Freilich dem in Gerichtssachen ungeübten Ingenieur, dem älteren Manne, der in allerlei Nahrungssorgen befangen war, wurde bald die Arbeit zu groß, und bei der genauen Rechenschaft, die gelegentlich die herzoglichen Commissionen verlangten, wurde ihm recht unbehaglich zu Muthe. In Folge dessen bat er um Beiordnung eines Substituten, der die Aussicht habe, sein Nachfolger im Amte zu werden. Dieser letztere Umstand, der allein locken konnte, weil die Einnahme, die Marott seinem Gehülfen bieten konnte, nur sehr gering war, machte es nöthig, daß der Substitut von Rath und Bürgerausschuß gebilligt wurde, und so fiel die Wahl anders aus, wie Marott es sich wünschte, der Cand. jur. Schaller wurde ihm beigeordnet. Marott machte nach mancherlei Geldnöthen bankerott, und nach vielen Streitigkeiten, die ihre Quelle in seiner besondern Stellung fanden, starb er im Jahre 1783, worauf Schaller als Consul et Judex folgte. Auch dieser war seiner Stelle nicht gewachsen, er war zu jung in die große Verantwortlichkeit hineingestellt und hatte gar kein Verständniß für geordnetes Finanzwesen, wie es gerade der Herzog wollte. Die Rathmänner fanden Grund genug, wegen Unordnung in der Registratur und den Kassenverhältnissen zu klagen, und als nach sechs Jahren, die genügten um eine ziemliche Zerfahrenheit in der Verwaltung herzustellen, eine herzogliche Kommission kam, mußte dieselbe dem Bürgermeister sofort scharf zu Leibe gehen.

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Vorgeladen erschien er nicht, die Commissarien gingen in sein Haus und eröffneten ihm, daß sie ein großes Defizit gefunden hätten und daß, wenn er nicht genügende Caution stellen oder sich rechtfertigen könne, sie sofortige Verhaftung anordnen würden. Tieferschrocken bat er um Frist, versprach und gelobte alles, berief sich auf hohe Verwandte in Güstrow, die ihn lösen und für ihn caviren würden, und somit wurden ihm einstweilen in sein Zimmer zwei zuverlässige Bürger als Wache zugeordnet. Es wurde nach bald geschlossener Untersuchung seine Absetzung bestimmt, und da eine schnelle Ordnung sehr wünschenswerth erschien, so ward der Rechtsgelehrte Joachim Heinrich Christian Lüders zu seinem Nachfolger ernannt. Die Bürgerschaft erklärte, sich die unmittelbare Einsetzung eines Bürgermeisters für diesmal gefallen lassen zu wollen, ohne damit ihren Rechten für die Zukunft etwas zu vergeben.

In der kurzen Zeit in der Schaller regierte, waren auf herzoglichen Betrieb weitere sehr wichtige Dinge in Angriff genommen. Zunächst beachten wir die Regelung der Rathswahlen. Während bisher die ganze Bürgerschaft aus drei vom Rathe vorgeschlagenen Candidaten den Bürgermeister wählte, sollte in Zukunft ihre Vertretung, der Bürgerausschuß, die Entscheidung treffen; zu einer Rathsstelle präsentirte der Magistrat hinfort drei geeignete Männer, und die ganze Bürgerschaft (später der aus Bürgern verstärkte Bürgerausschuß) wählte. Die Bürgervertretung sollte hinfort aus dem vereidigten Stadtsprecher als Vorsitzenden, aus den drei Deputirten und den drei Viertelsmännern bestehen. Während nach bisheriger, allerdings nicht in der Stadtverfassung begründeter Gewohnheit die Ausschußbürger lebenslänglich in ihrer Stelle geblieben waren, beschloß man 1783, daß in Zukunft alljährlich ein Viertelsmann und ein Deputirter ausscheiden und durch Wahl ersetzt werden sollten und zwar derart, daß das Viertel drei Männer vorschlug und der Rath daraus wählte, einer Wiederwahl stand nichts im Wege. Die Deputirten durften Kaufleute oder Handwerker, die Viertelsmänner mußten des Ackerwerks kundige Leute sein, der älteste Rathmann sorgte mit Letzteren für Feld und Weide, der jüngere mit Ersteren für die sonstige Verwaltung. Der Kämmerei=Bürger, der die Ausgaben und Einnahmen besorgte, sollte verantwortlich für die Casse sein, außer ihm durfte Niemand Stadtgelder einziehen.

Wichtig war ferner die auf herzoglichen Befehl in Angriff genommene Ordnung der Verhältnisse der Feldmark (über die wir sogleich Näheres berichten wollen). Eigentlich rettete dieser Um=

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stand sowie die Uebernahme des Pfarrackers in Erbpacht städtischerseits, die sich bald als vortheilhaft auswies, die Stadt vor finanziellem Untergang. Gewissenhafte, einsichtsvolle Männer führten fortan die Verwaltung, so daß die Lage der Stadt sich so sehr hob, daß sie jetzt zu den günstig situirten unter den kleinern Städten zu rechnen ist, obgleich sie nur über eine kleine Feldmark verfügen kann.

1784 war eine herzogliche Commission in Lage anwesend, um über die Wiedereinlösung des verpfändeten Kämmerei=Besitzes zu verhandeln. Sämmtliche Wiesen fast, der größte Theil des Ackers war, wie wir oben ausführten, in fremde Hände oder an Bürger und Bürger=Genossenschaften im Drange der Zeit pfandweise gekommen.

Die Langkavel=Wiesen waren ursprünglich an die Oekonomie in Rostock verpfändet, wurden aber später unter Aufbringung eines Kapitals seitens der sämmtlichen Hausbesitzer, sowie unter Beihülfe eines Kirchen=Kapitals, (zwischen 1740 - 50) wieder eingelöst, so daß dieses Hauptwerthstück der Stadt nicht an Fremde fiel. Die Kämmerei hatte allerdings davon keinen Nutzen, denn die einlösenden Bürger erhielten den Nießbrauch, und da die einzelnen Raten, die diese aufgebracht hatten, ziemlich klein waren, so waren der Nutznießer viele; es hatte sich der Brauch herausgebildet, daß die einzelnen Häuser mit dem Anrecht an die Wiese belegt wurden, Vertrauensmänner theilten dieselbe alljährlich nach Kaveln ein und verloosten diese, ein bestimmter Tag wurde angesetzt, an dem alle Berechtigten zugleich das Mähen des erloosten Theiles vorzunehmen hatten, keiner durfte vorher beginnen oder zu lange säumen. So entfaltete sich auf der Wiese ein fröhliches Treiben, das einen festlichen Zuschnitt erhielt, weil ja auf der einen Fläche wohl hundert Menschen arbeiteten, der Auszug und Heimzug waren von Lachen und Scherzen begleitet. Aber zugleich lag in dieser Ordnung auch eine Quelle von Streit, manchem Theilnehmer war der Termin zu früh angesetzt, einem andern zu spät, das Gras sollte noch wachsen, oder es wurde zu hart, es brach geradezu manchmal ein Krawall aus, der dann aber meist gütlich beigelegt wurde, die Unruhigen gaben sich zufrieden, wenn sie genügend räsonnirt hatten. Die übrigen Wiesen konnten und mußten von der Stadt aus dem Pfandverhältniß gelöst werden, indem dieselbe fremde Kapitalien aufnahm und sodann zum Zinsenabtrag dieselben jährlich verpachtete; dadurch kam ein solcher Ueberschuß, daß bald auch die Kapitalien abgetragen wurden. Die

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Bürger freilich murrten und suchten darzuthun, daß früher vor der Verpfändung die Wiesen immer gegen geringen Kanon an die Bürger verkavelt wären, doch setzte der herzogliche Wille allem Dreinreden zum Glück ein Ziel; ebenso ließ er die verpfändeten Aecker, soweit es möglich war, zurücknehmen. 1770 hatte schon Marott die noch jetzt geltende Schlageintheilung geordnet, Land= und Viehwirthschaft, Holzungen und Weiden traten bald in gute Ordnung, strenge Strafen wurden gegen die Feldfrevler festgesetzt; wer die Befriedigung der Holzzuschläge wegbrach, sollte 10 Thlr. erlegen, wer aber gar sich unterfangen wollte, unter den jungen Forstanpflanzungen zu hüten, sollte im Halseisen stehen. Das geharnischte Edict, durch welches Marott die Felder schützte, lasse ich wörtlich folgen: "Wann seit einiger Zeit hieselbst in Lage allerley Dieberey und Boßheiten scheinen überhand zu nehmen: So haben Bürger=Meister, Gericht und Rath, solchen Frevel, durch nachdrückliche Bestraffung Einhalt zu thun, sich genöhtiget gefunden, nachstehendes, öffentlich zu jedermanns Wißenschaft kund machen zu laßen. Daß von nun an alle diejenigen, welche über kurtz oder lang eines begangenen Diebstahles überführet werden können, er sey so geringe wie er wolle; besonders aber diejenige, welche die Scheuren, Teiche, Garten, Früchte, Zaune, deren Gelender und Stacketten und deren Befriedigung bestohlen und ruiniret haben; Ferner, diejenige welche Schaffe, Fehder Vieh von den Straßen, Holtz von des Nachbahren Höfen, auch durch aushauung der Bohnstöcke die Brüche ruiniren, auch alle diejenige, welche die Eggen, Haken, Pflug, Eysen und Tühder vom Felde Diebischer Weise entwenden, und überhaupt einen Diebstahl begangen haben, sollen nach Befinden, 3 Tage nach einander, und täglich 3 Stunden mit der Straffe des Halß Eysens unabbitlich ohne Ansehen der Person bestraffet werden und zwar so, daß sie die gestohlen Sachen, am Halß=Eysen unter den Armen zu ihrer Schande halten, zugleich aber auch ihr Bürger Recht, Amts und Gilde Gerechtigkeit verlustig seyn sollen. Derjenige aber auch, dem die Außübung des Diebstahles, oder andere Boßheiten öffentlich bekand geworden, und nicht der Obrigkeit davon die gehörige Anzeige thun wollen, vielmehr dieselbige verschweigen und verhehlen, oder gar davon profitiren, sollen gleichfalß nach Befinden, 1 biß 2 Stunden ins Halß Eysen gestellet werden, und seiner Bürgerlichen Gerechtigkeit verlustig seyn. Derjenige aber, welcher den ihn bekand gewordenen Diebstahl treulich anzeiget, und Vorschläge gethan, Wie der Dieb überführet und an Tages Licht zur Bestraffung gebracht werden könne, mithin das Seine, alß ein redlicher Einwohner, mit dazu

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beyträget, daß ein jeder das Seine, wie billig geruhig besitze und behalte, soll nach Befinden, eine Belohnung, von 1, 2 biß 3 Thlr. haben, und sein Nahme soll verschwiegen bleiben. Damit sich nun niemand, mit der Unwißenheit entschuldigen möge; so ist dieses auf Begehren der Obrigkeit öffentlich von der Cantzel verlesen worden. Ein jeder hat solches seinen Kindern und Dienstbohten zur Nach=Achtung anzuzeigen, und dafür zu warnen, auch sich für Schaden und Ungelegenheit, Schimpf und Schande zu hüten, und dahin zu streben, sich und die seinen ehrlich zu ernähren. Publicatum Lage d. 7. Febr. 1768. Bürger=Meister, Gericht und Rath hieselbst".

Im vorstehenden Erlaß ist die Belohnung des Spionirens und des Verraths gewiß recht häßlich und verwerflich, aber das öffentliche Gewissen war noch so verhärtet, daß man das Unsittliche nicht empfand und nur das Zweckfördernde ins Auge faßte, und es stellte sich denn auch bald heraus, daß die Furcht vor öffentlicher Schande die Sicherheit des Eigenthums förderte. 1 ) So, da "das Auge des Gesetzes wacht", repräsentirt durch den alternden Stadtdiener und den Kühler, gewöhnte sich der Lager wieder "zu sanften Sitten", die uns oft recht rauh und borstig noch erscheinen, aber im Vergleich zu früher doch diese Bezeichnung verdienen. Mit der Sicherheit kehrte auch das Behagen am bürgerlichen Wohnen und Hantieren zurück. "Jeder freut sich seiner Ställe", (Schiller verzeihe mir die Veränderung seiner Schreibweise), denn der Stall war der Ort, wo der Kleinstädter zuerst das Anwachsen seines Wohlstandes merkte; die Kundschaft des Handwerkers war nur dürftig und seine Lust zum Geschäft darum auch gering. Aber wenn am ersten Mai früh das Horn des Kuhhirten ertönte, dann blieb keiner, der mit Recknitzwasser getauft war, daheim, Jung und Alt trieb die breitstirnigen Vierfüßler, die aus den Ställen herausdrängten und brüllend verkündeten, daß sie auch ein Verständniß für die Schönheit der weiten, weiten Welt hatten, und achtete darauf, daß sie die alten Bekanntschaften nicht durch zu nachdrückliche Rippenstöße erneuerten. Wild rannten die jüngern Rinder durch die Straßen, die Jugend johlte, die Männer knallten mit den Peitschen, endlich gelangte die Heerde auf die Weide, wo die


1) Der Pranger oder Kaak stand auf dem Markte, es war ein einfacher Pfahl mit Kette und Halseisen. Eine Frau Mehl, die später wegen Hammeldiebstahls daran ausgestellt werden sollte, erhängte sich, um der Schande zu entgehen. In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts soll der Pfahl bei Gelegenheit eines Jahrmarktes durch unbefugte Hand herausgezogen sein.
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bekränzten Helden des Tages den Kampf mit einander aufnahmen, das Bollenstoßen begann, das donnernde Gebrüll der kämpfenden Thiere fuhr den Kindern durch das Herz, am Abend erzählten sie sich, daß der rothe Bolle auch in diesem Jahre wieder den Sieg und damit die unbestrittene Herrschaft für den Sommer errungen habe, jene Kleine weinte, daß ihre weißbunte Kuh im allzukräftigen Spiel ihr prächtiges Horn eingebüßt hatte. Wessen Thier aber den Strohkranz heimgetragen hatte, ein Zeichen, daß es als letztes aus dem Stall entlassen war, der brauchte für Spott nicht zu sorgen. War der Sommer ohne besondern Schaden vergangen, dann gab man mit Freuden dem Kuhhirten und dem Schäfer, wenn dieselben zur Winterszeit am Tage vor Weihnachten, auch am Tage vor Neujahr und am Dreikönigstage, auf ihren Hörnern "melodisch" (!) blasend, von Haus zu Haus gingen, jeder mit einem Eimer versehen; sie heimsten Geld oder Bier, je nach der Neigung des Gebers ein. Zu Fastnacht kamen dann die Hirtenfrauen mit einem verdeckten Korbe, und die Bürger gaben ihnen Eier, Fleisch, Brot, auch wohl einen Schilling. - In dieser Zeit, wo die Feldarbeit nicht so andrängte, wurden Meliorationen der Weide und der Wiesen vorgenommen, Gräben gezogen, Dämme aufgeworfen u. s. w., aber nicht etwa von dazu gemietheten Arbeitern, sondern von den Einwohnern selbst, die zu solchem Werke aufgeboten wurden. Aus jedem Hause mußten sich tüchtige Leute zur Arbeit mit dem nöthigen Geräthe einfinden, und es war, da sich nicht viele Tagelöhner im Orte befanden, nicht leicht einen Vertreter zu stellen. Dann hatte das Mühlenviertel etwa den Kuhdamm auszubessern, das Pinnower Viertel auf dem Flachslande Gräben zu ziehen, das Breesener Viertel Gräben aufzumachen. Wenn es auch für das Ganze ging und so jedem wieder Vortheil brachte, so gedieh doch solche Arbeit meist schlecht denn am liebsten ließ man es beim Bestehenden. Nach alter deutscher Weise aber ging zu bestimmten Zeiten der Rath mit dem Bürgerausschuß die Scheiden und Grenzen ab, fünf alte, sieben junge Leute aus der Stadt wurden dazu gezogen, und man entschied bei dieser Gelegenheit etwaige Grenzstreitigkeiten; eine zuverlässige Feldkarte war noch nicht da, und es gab immer Leute, die bereit waren, heimlich den Nachbarn zu schädigen.

Mit der ausgesprochenen Vorliebe der Landstadt für den Ackerbau war freilich der Herzog Friedrich nicht einverstanden, er wünschte mehr die Hebung von Handwerk und Industrie. Fortwährend strömten ihm die Klagen über Darniederliegen aller Geschäfte zu, der Kaufmann beschwerte sich, daß überall auf dem Lande sich Leute aufhielten, die dem städtischen Handel Concurrenz

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machten; die Chirurgen, daß das ganze Land voll Soldaten sei, die schröpften und zur Ader ließen; die Schuster, daß ihre Gesellen so unstät geworden wären durch das früher gebotene, fortwährende Fliehen, alle Sonnabende wäre ihnen das Jahr aus, und sie zögen weiter; der Kesselhändler Jörris Verhein, Stadtsprecher und der unternehmendste Mann der Stadt, der oft in der Noth allein den Kopf oben behielt und 10 Handwerks=Knechte (Gesellen) zum Kesselflicken über Land sandte, klagte, daß seine Nahrung durch die vielen Vagabonden geschädigt sei, die oft das Kesselflicken verständen und die Kundschaft bei ihren Reisen befriedigten. Der Herzog erkannte freilich besser als andere, worin der Hauptgrund dafür, daß in den meklenburgischen Städten das Handwerk nicht auf einen grünen Zweig kommen konnte, zu suchen sei. 1779 erließ er ein Schreiben, das treffend den Zustand seiner Städte schilderte, es heißt darin: "Da sich unsere Städte vor allen Städten in deutschen Reichslanden dadurch zum Gespött aller Fremden und Reisenden auszeichnen, daß in denselben die Einwohner und Bürger sich mehr auf den Ackerbau und die Viehzucht, als auf Künste und Handwerke legen, dahero denn der unleidliche, in andern Reichen und Landen ganz unerhörte Umstand entstehet, daß nicht nur in den kleinern Landstädten auf beiden Seiten der Gassen fast vor allen Häusern das ganze Jahr hindurch große Misthaufen liegen, sondern daß selbst in den größern Städten den ganzen Sommer hindurch täglich die Kühe= und Schweine=Hirten wie in den Dörfern blasend und mit der Peitsche knallend aus= und eintreiben, auch die Kühe und Schweine haltenden Einwohner, welche bei ihren Häusern keine besondern Thorwege haben, solches Vieh stets durch ihre Wohnhäuser aus= und eintreiben und, wenn sie auch den Mist nicht eben, wie in den kleinern Städten geschieht, das ganze Jahr hindurch auf der Straße liegen lassen, doch solchen sodann, wenn sie ihn abfahren lassen wollen, nicht etwa des Nachts, sondern am hellen Tage von ihren Höfen durch ihre Wohnhäuser auf die Gasse hinausbringen und damit in den Gassen wenigstens auf einen oder einige Tage zum Abscheu ihrer oft angesehenen Nachbarn und aller vorbei Passierenden den unleidlichsten Umstand und Gestank anrichten, wobei es vorzüglich auffallend ist, daß besonders in den Bäckerhäusern an solchen Tagen der Brotverkauf auf den Hausdielen seinen Fortgang hat, durch welche der Mist getragen wird, und die davon ganz unrein und stinkend sind." Der Herzog verlangte, daß die Städte den Ackerbau mehr lassen und sich dem Handwerksbetriebe eifriger zuwenden sollten, die Ackersleute thunlichst in die Vorstädte verweisend. Aus Lage wurde geantwortet,

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daß ein vermehrter Handwerksbetrieb wünschenswerth wäre, daß Blüthe in Fabriken und Manufakturen den Wohlstand sehr heben würden, daß aber, da auf dem Lande viele Handwerker, Krämer, Bäcker, Brauer und Brenner wohnten, die Stadt zum Landbau gedrängt würde und überall die Möglichkeit ihres Bestehens nur darin fände. - Auch nachdem die Zeit um 100 Jahre weiter gerückt, ist hierin kein Wandel eingetreten, die kleinen Städte können ohne Ackerbau nicht sein, der Handwerker treibt noch jetzt oft seine Kuh über die Hausdiele und schleppt Jahr aus Jahr ein seine Dungtrage hinterher, er erzielt damit denselben Effect, der den Herzog verdroß, er will es noch immer nicht glauben, daß dieselbe Zeit, die er bei Gartenarbeiten verliert, in seiner Werkstatt zehnmal nutzbringender angewandt werden könnte.

Dem ihm damals entgegengehaltenen Umstande, daß auf dem Lande so viele selbständige Meister wohnten, wandte der Landesvater seine Aufmerksamkeit zu, und es stellten sich bald gar seltsame Dinge heraus. Allerdings beschwerten sich die einzelnen Aemter in den Städten über die Landmeister, aber sie selbst nahmen, natürlich gegen ziemliche Summen, dieselben in ihr Amt auf, gaben ihnen, natürlich wieder gegen gute Zahlung, das Recht, Gesellen zu halten und schrieben ihre Lehrburschen ein und aus, endlich privilegirten sie die Landhandwerker, abermals gegen klingende Gegenleistung, mit ihrer Arbeit sogar zum Verkauf auf die Jahrmärkte zu ziehen. Gegen diese von einer Stadt geduldeten Landmeister erhob nun die Nachbarstadt Klage, als seien sie unleidliche Pfuscher, jedoch ließ auch diese sich frischweg gerne abfinden, so daß die Bedrohten nunmehr an zwei Amtsladen steuern mußten. Kam einmal eine andere Strömung in das Stadtamt, so lehnte es sich entrüstet gegen die Landmeister auf und ließ sie gerichtlich verfolgen. Diesen endlosen Plackereien zu entgehen wünschten dann die Landmeister in die Städte zu ziehen, was dem einzelnen Amte wieder gar nicht gefiel, es legte ein ungebührliches Meistergeld auf und erschwerte den Zuzug nach Möglichkeit, bis oft der Landmeister das Land überhaupt gänzlich zu verlassen sich genöthigt sah. Diesem unerhörten Unfuge zu steuern, forderte der Herzog klaren Bericht über alle Handwerker der Städte und des platten Landes, befahl den Landmeistern den Wegzug in die Stadt, den Städtern ein williges Entgegenkommen, damit also der Stadt allein die Nahrung durch Geschäft und Handwerk zufließen sollte und sie dadurch vor dem Verbauern gerettet würde. In Lage war damals nach dem eingereichten Berichte ein Schusteramt mit 11 Meistern, ein Schneideramt mit 7 Meistern, ein Weberamt mit 8 Meistern, ein

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Bäckeramt mit 4 Meistern und ein Zimmeramt. Die Bäcker klagten, daß die Krüger auf dem Lande backten und das Brot auf den Kirchhöfen Sonntags feil hielten, so daß das Brottragen aus der Stadt aufhörte, ja es ginge soweit (horribile dictu!), daß die Durchreisenden, welche sonst wohl eine Semmel zum Branntwein kauften, jetzt vom Lande sich schon eine Semmel mitbrächten. Die Tischler (5), die Schmiede und Schlosser (5), die Maurermeister (2), Glaser (1), Riemer (2), Rademacher (1), Böttcher (1), Töpfer (1), Drechsler (1). Schlächter (2), Chirurgen (3) hatten kein besonderes Amt, sondern hielten es mit den Aemtern der umliegenden Städte. Auch die Lager hatten, wie sich herausstellte, Landmeister in ihr Amt aufgenommen und deren Lehrburschen aus= und eingeschrieben, besonders die Schuster. Die Schneider hatten nur einen einzigen Landmeister, "welchem der sehl. Major von Lehsten zu Wardow die Stange gehalten, daß er Gesellen halten könne." - Die andern Schneider im District waren Schulhalter und Küster ohne Gesellen. - Die oben erwähnten Aemter datirten ihre Amtsrolle meistens aus den Jahren 1780 - 87; 1797 folgte das Maureramt nach, 1804 das der Tischler, und bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hinein wurde die Errichtung der Aemter fortgesetzt. Es kann jedoch nicht in Frage stehen, daß einzelne Aemter auf eine große Dauer zurückschauen konnten, wie denn z. B. das Bäckeramt 1705 errichtet wurde, die Rolle war wohl im Laufe der Zeit verloren oder verbrannt, so daß 1787 eine Erneuerung des Amtes stattfand, Aehnliches würde sich wohl von den Schustern, Schneidern und Webern annehmen lassen, ja es ist nachzuweisen, daß schon zur Reformationszeit bedeutende Aemter (z. B. der Tuchmacher) in Lage waren.

Es war ein großes Ereigniß für das Städtchen, als 1786 der Chirurgus Hector die Concession zur Errichtung einer Apotheke bekam, nachdem er vom Kreisphysikus ordnungsmäßig geprüft und vereidigt war. Der erste Arzt hieß Brückner, er gab sich für einen vertriebenen katholischen Priester aus und wob damit um sich noch einen gewissen Nimbus zur Hebung seines Einflusses. Vorher ist von Aerzten und Apothekern nicht die Rede, es ließen sich immer nur Chirurgi, die allerdings geprüft sein sollten, in der Stadt nieder, ihre ärztliche Kenntniß erstreckte sich auf die Behandlung von Wunden, Aderlaß, Schröpfen u. s. w. Es war eines Mannes, der sein körperliches Wohl nicht vernachlässigen wollte, heilige Pflicht, sich alljährlich mindestens einmal die Ader schlagen zu lassen, um sein Blut zu erneuern oder in frischen Fluß zu bringen: aber man gab für die Arbeit dem Chirurgen nicht viel, darum

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suchte er sich durch Nebenprofessionen zu ernähren, Faber und Strüwing waren zugleich Barbiere, Vorbrodt war Küster. Die innern Krankheiten wurden durch Quacksalber behandelt, auch durch Wunderdoctoren und zu allermeist durch alte Weiber, die das "Pusten und Suchtenbrechen" verstanden, der Vernünftige fastete oder schwitzte, und eine ordentliche Hausfrau hatte ihre Hausapotheke, in welcher der altberühmte heilkräftige Wunderbaum, Hollunder, eine große Rolle spielte. Wer unter solchen Hülfen nicht genesen konnte, gab sich oft mit einer merkwürdigen Resignation ans Sterben, wie man sie ähnlich noch jetzt zuweilen bei der Landbevölkerung beobachten kann. In sanitätlicher Beziehung sah es auch sonst recht schlimm in Lage aus. Froh, daß er seinen Misthaufen vor dem energischen Anrücken des Herzogs bewahrt hatte, baute sich der Lager denselben im stolzen Bewußtsein seines Rechtes vor seiner Thüre auf und verlangte von seinem Besucher, daß er sich mit seiner Fußbekleidung darnach einrichte. Sobald es anhaltend regnete, konnte man vor den sich bildenden Pfützen kaum von einem Hause ins andere gelangen, zumal die Bürgersteige nicht gedämmt waren. Es läßt sich leicht schließen, daß auch der Horizont des Bürgers durch solchen Misthaufen begrenzt war, aber er fühlte sich hinter ihm wohlig und behaglich, und das war doch zunächst die Hauptsache nach soviel Kummer und Leiden.

Wie mag es dem Fremden ergangen sein, der einmal am Abend spät, müde vom Wandern, seinen Fuß durch die Straßen lenkte, auf denen meistens in der Nacht tiefe Finsterniß lagerte! Der Luxus der Straßenbeleuchtung war völlig unbekannt, (ein halbes Jahrhundert später erwog man die Einrichtung von Laternen). Niemand hatte, so dachte man, etwas draußen zu suchen in so später, in so unsicherer Zeit, die Nacht war keines Menschen Freund, und wer sich leichtsinniger Weise mit derselben befreunden wollte, etwas später beim Nachbarn oder im Wirthshause verweilen, der versäumte nicht, seine große Laterne anzuzünden und damit den Weg durch die vielen Gefahren und Hindernisse zu suchen. Wenn man die Scylla einer Pfütze vermied, konnte man leicht in die Charybdis eines offenen Brunnens oder Sootes fallen, denn wo es einging, da ragte noch der lange schräge Balken in die Luft, der dem Durstigen schon aus weiter Ferne drohte, daß er erst nach schwerer Arbeit seine lechzende Zunge kühlen könnte. Oder es lag am beschränkten Platze die Kette um ein Gewinde, das knarrend und seufzend die Gedanken der damit Arbeitenden verrieth. Ein Fuhrwerk wagte sich, selbst wenn es die Schrecken des beschwerlichen Landweges nicht gescheut hätte, gewiß nicht in die größern Schrecken

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der nächtlichen landstädtischen Straßen, zudem war auch vernünftiger Weise der Zugang zu denselben mit sinkendem Tage versperrt.

Man konnte in Lage nicht sagen: "Und das Stadtthor schließt sich knarrend", denn ein Stadtthor gab es nicht, wohl aber lagen an den drei Eingängen, an denen in älterer Zeit die Thore einmal weggebrannt waren, die bekannten Schlagbäume, bei denen die Thorbuden standen, das Quartier der Einnehmer; Neugierige sammelten sich dort, "wenn etwas los war", die lebhafteste Passage entwickelte sich an den Jahrmärkten. Zweimal im Jahre, zu Johannis und Michaelis, erfreute sich der Lager an dem Leben, das dieselben in den Ort brachten; volksthümlicher war damals nichts, nicht einmal der Königschuß. Am Morgen begaben sich 6 Bürger, die durch das Loos bestimmt waren, zu den Schlagbäumen und ließen dieselben nieder, je zwei und zwei standen sie als Wache dabei und erhuben von jedem einpassirenden Wagen, Pferd, Rind als gesetzliche Abgabe 1 ßl., doch hielt die Behörde es für nöthig, sie jedesmal zur Höflichkeit zu ermahnen; die Einnahmen wurden nach Abzug des Rathsantheils unter ihnen gleichmäßig vertheilt, denn sie hatten, nachdem sie am Tage thätig gewesen waren, noch am Abende ein beschwerliches Werk. Mit Gewehren ausgerüstet mußten sie Patrouille gehen, alle Ruhestörer, alle, die an verbotenen Stellen rauchten u. s. w., in Haft nehmen, um 10 Uhr Feierabend gebieten, die Trunkenen von den Straßen aufheben und unter Obdach bringen. Es ging an diesen Tagen heiß her, damals regierte der Schnaps, und was in den Gemüthern sich im Laufe des Jahres an Unzufriedenheit ansammelte, wurde durch den Korn=Geist entfesselt, so daß der Rath in schlimmeren Zeiten meist ein Commando aus Rostock erbat. Der Handwerker aus der Stadt achtete argwöhnisch darauf, daß sich kein unberufener Verkäufer einschlich, besonders eifersüchtig waren die Schuster, die allerdings auch die meiste Concurrenz anrücken sahen. Sie beschwerten sich 1779, daß die fremden Schuster verbotene und betrügliche Waaren ausstellten, nämlich Schuhe und Pantoffeln aus Roßleder, die sie billiger verkaufen konnten; darum mußten zwei Amtsmeister durch die Reihen gehen und die Waaren mustern, sie wurden aber ermahnt, nicht aus Brotneid gute Waare für schlechte auszugeben. Die Freimeister von auswärts, die man nicht gerne als rechte Meister gelten ließ, suchte man thunlichst abseits zu schieben - es gab eine Fülle von Gelegenheit zum Streit, und sie wurde sehr kleinlich ausgebeutet. Der Waarenumsatz war sehr bedeutend. Da die Juden nur mit Kattun u. s. w., aber nicht mit Wolltuch

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handeln durften, so verdienten die Gewandschneider, die Tuchhändler aus Güstrow oft sehr viel, denn sie boten die einzige Gelegenheit, Tuch zu kaufen. Man behauptet, daß ein gewandter Händler über 700 Thlr. vom Jahrmarkte davongetragen habe. Aber es kamen doch auch jedesmal frische Gedanken in die Stadt und die trägen Geister wurden für längere Zeit in Wallung gebracht, man konnte erfahren, wie es die Nachbarstadt hielt, der Bürger Leiden und Rechte erörtern und besprechen, und darum reisten die Lager zu den Jahrmärkten nach auswärts und litten es heimlich gerne, wenn Auswärtige zu ihnen kamen. Sie prellten ihrer Meinung nach die dummen Bauern und merkten es nicht, wie deren Augen hinter den oft in die Stirn hängenden Haaren ganz pfiffig in die Welt, besser in den schweren Stiefel, den sie zu theuer bezahlen sollten, schauten. Kurzum, es offenbarte sich hier recht die alte Weise der Landstadt, dasselbe Leben, Denken und Treiben, wie es so unendlich kleinlich dem Großstädter, so unendlich wichtig dem Einheimischen, so gemüthlich dem Eingeweihten, so gesund dem Verständigen erscheint, das sich nicht umformen läßt und auch gar nicht anders sein soll, da es natürlich und ungezwungen sich entfaltet. Aus den Kleinstädten strömt der Großstadt unaufhörlich frisches und gesundes Blut zu.

Es entwickelte sich unter dem heilsamen, ächt landesväterlichen Regimente des frommen Friedrich Lage verhältnißmäßig rasch. Es ist erstaunlich, wie schnell die Folgen des siebenjährigen Krieges überwunden worden. 1769 hatte es nur 560 Einwohner, im Laufe der nächsten 50 Jahre vermehrte sich diese Zahl auf 1157, trotzdem die Stadt inzwischen durch den Druck der Franzosenzeit gegangen war. (Abermals 50 Jahre später ist die Zahl erst auf 2000 gestiegen.)

Einen großen Schmerz mußte freilich der Herzog noch seinen lieben Lagern bereiten, sie sollten sich endlich von ihren Strohdächern trennen und harte Bedachung zum Schutz gegen Feuersgefahr einführen. Selten ist eine heilsamere Verordnung erlassen, und die Lager hätten aus eigner Erfahrung die Gefahr, die durch das leicht entzündliche Deckmaterial angerichtet werden konnte, erkennen müssen. Nach dem Brande hatte man natürlich die alte Bedachung überall wieder angewendet, man wohnte ja darunter warm, und die Urgroßeltern hatten es ja auch nicht anders gekannt, wozu also diese Vergewaltigung? Wer aus dem Vorhergesagten die Bürger kennen gelernt hat, wird wissen, daß sie selbstverständlich sich mit aller denkbaren Macht sträubten. Sie wandten

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ein, sie hätten kein Geld. "Geld, wurde ihnen geantwortet, würde niemals willig zu diesem Zwecke da sein, aber es müsse sein." Viele Häuser seien zu leicht gebaut, um eine harte, schwere Bedachung tragen zu können. "So müßten sie abgebrochen werden, und der Herzog sei gewillt, in solchem Falle 15 - 20 Procent des Neubaues zu tragen." Nur Zeit lassen! bat man. "Nichts da, hieß es, gewartet ist lange genug, es würde sofort ein Commando Soldaten abgehen, um die Dächer der Widerspänstigen abzureißen." Endlich spielte man den letzten Trumpf aus: Die geistlichen Gebäude, die doch gleichsam mit gutem Beispiele vorangehen sollten, hätten sich noch bisher unter weicher Bedeckung gehalten. Das war richtig, veranlaßte aber nur ein geharnischtes Edict in Bezug auf diese, der Wille des Herzogs drang schließlich durch, Lage kam abermals einen großen Schritt in der Cultur vorwärts.

Die geistlichen Gebäude waren zum Theil durch den Brand verschont, aber derselbe hätte an diesen wirklich ein gutes Werk leisten können. Das Cantorhaus war im Innern völlig baufällig und konnte nach Außen nur mühsam noch ein wenig Haltung bewahren. Das Küsterhaus hing lebensmüde etliche Fuß zur Seite über und wäre ohne Frage schon längst umgefallen, wenn nicht das Nachbarhaus dasselbe etwas gestützt hätte. Der Nachbar schalt über den Tropfenfall. Wie, wenn er seine Absicht zum Neubau seines Hauses ausführte? Das Prediger=Wittwenhaus stand frei und aufrecht, aber durch seine Wände fegte der Wind, und das Dach lag so bedenklich auf den wurmzerfressenen Platen, daß man nicht sicher darunter schlafen konnte. Zum Pfarrhaus war eins der vom Brande verschonten Gebäude bald nach der Rückkehr des Pastors von seiner Flucht angekauft, aber es war schon anfangs zu klein und winzig, so daß es der Familie nur ein nothdürftiges Unterkommen bot. Schulze war, wie wir oben bemerkten ein eifriger Wirthschafter und mußte das Wittwenhaus, das zur Verfügung stand, als Wirthschaftshaus benutzen, aber auch so konnte er für die Confirmanden keinen Platz schaffen, die armen Kinder saßen in bitterlicher Kälte in der Kirche. Der Pastor säete 325 Schffl. Korn und erntete 1400 wieder, die er auf den Boden des Wittwenhauses schüttete, 5 Pferde standen wegen Stallmangels im überbauten Thorwege, die übrigen im genannten Hause. Der Keller war für Gemüse zu klein, so daß er, wie er selbst mittheilt, "Erdtoffeln" und weißen Kohl auf seine Studirstube legen mußte und kaum einen Spazierweg in derselben behielt. Auch das Dach des Pfarrhauses war schlecht, der Sturm fand verschiedene Löcher und fuhr vergnüglich hinein, zerrte und riß, bis die Bewohner

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beim Regen nicht mehr trocken in den Betten liegen konnten, die Schriften in der Stube verdarben, das Futterkorn auswuchs. An der Wetterseite war das Haus gegen 8 Zoll versackt, die Giebelwand zeigte große Neigung zum Einsturz, gelegentlich fiel eine Tafel aus der Küchenmauer, so daß der Wind von außen ins Feuer blies. Mit seiner alten Rücksichtslosigkeit mochte der Pastor nicht vorgehen, darum geschah wenig zur Besserung. "Wo bleibt hier", schreibt er, "die Liebe zu ihrem Seelenhirten? Sie verliert sich so gänzlich aus den Augen, daß ich auch mit dem besten Perspective und Fernglase sie nicht erreichen kann. Ihren Kühe= und Schweinehirten haben die Herren ihre Wohnungen decken lassen, aber ihrem Seelenhirten nicht. Einem Hunde macht man seine Hütte zurecht, daß er trocken liegt, aber einem Wächter in Zion muß es nicht so gut werden. Das Viehhaus ist so dürftig, daß 40 Häupter Vieh und zwei Knechte leicht vom Sturme erschlagen werden." Wirklich warf auch der Sturmwind die neu (!) erbaute Pfarrscheune einmal zusammen.

Seinen Klagen ward die Anschuldigung gegenüber gestellt, daß er sein Amt ungetreu verwalte, zuviel auf Reisen sei, ohne für genügende Vertretung zu sorgen und sich um den Unterricht der Kinder als Schulinspector nicht ordentlich kümmere. Die Schulverhältnisse waren wieder einmal dürftig. Der alte gute Cantor Stahl war sehr kümmerlich geworden, und alle Verantwortung, die man auf ihn gelegt hatte, belastete ihn zu schwer, Schulze hatte ihm unrechter Weise sogar die Führung des Kirchenbuches aufgezwungen, und als Stahl gebrechlich wurde, ruhte dasselbe verstaubt in der Ecke, es klafft eine Lücke von 15 Jahren, in denen keine Eintragungen gemacht wurden, erst nach dem Tode von Schulze begann die neue, geregelte Buchführung. Der Küster Gottlob Saß war 1750 gestorben, sein Nachfolger, der Musikus Sauer war für die Schule völlig untüchtig. 1768 mußte der Küster Vorbrodt eine sogenannte Nebenschule eröffnen, in der alle ärmeren oder unfähigen Schulkinder gesammelt wurden und eine Gesellschaft bildeten, die selbst den muntersten Lehrer schnell abstumpfen mußte. Seine Einnahmen hatten sich auf freie Wohnung, etwas Acker und 60 Thlr. baar gesteigert. Stahl hatte, wie früher geschildert, nur ein Schulzimmer und ein Schlafzimmer, er ließ im Alter alles gehen, wie es wollte, und saß meistens nur seine Zeit unthätig in der Schule ab. Diese Gelegenheit benutzten Andere und errichteten Privatschulen; Herr Colerus, Herr Thomsen (ein verdorbener Candidat), Frau Spiegelbergen, Frau Wilken und Frau Hoffen wetteiferten, wer die jämmerlichsten Leistungen bieten

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konnte. War es von den Eltern zu verlangen, daß sie ihre Kinder freiwillig in eine Schule sperrten, wo diese keinen weiteren Vortheil hatten, als daß sie auf den Bänken sich etwas beschleunigter die Kleider zerscheuerten? Zur Winterschule kamen die Kinder meistens von 12 Jahren an, der Bürgermeister wollte etwas voraushaben und ließ seine Sprößlinge noch ein Jahr länger reifen, die Sommerschule bedeutete nichts, in allen Localen zusammen fanden sich in der schönen Jahreszeit nicht 8 Kinder, die Jugend trieb sich lieber bei dem Vieh auf dem Felde herum. Natürlich weigerten sich viele Eltern, Holzgeld und Schulgeld zu geben. (Auf dem Lande waren auch Schulen, aber recht schlecht bestellte; als in Breesen 1805 die Lehrerstelle frei wurde, meldeten sich 3 Maurergesellen, 3 Schneider, 1 Weber, 1 Grenadier und ein adjungirter Schulhalter, der Maurer Prödel that den guten Wurf und trat in Funktion.) Man hätte den alten Stahl pensioniren sollen, aber womit? Wer sollte Geld dazu geben? Auf die Straße werfen konnte man den Mann doch nicht, der in kräftigen Jahren sehr getreu seine Pflicht gethan hatte, also ließ man Alles weiter gehen, und die Bürger hätten sich das wohl ohne Murren gefallen lassen, nur empfanden sie es als unerhörten Nothstand, daß ihre Kinder keine Gelegenheit hatten, Latein zu lernen; Lesen und Schreiben prügelte ihnen auch wohl Frau Spiegelbergen ein. 1774 endlich starb Stahl, und der Candidat der Theologie Hildebrandt wurde sein Nachfolger mit dem Titet Rector. Er mußte zunächst in einem Privathause bei der Mühle wohnen, in dessen Küche ein tiefer Soot lag, gelegentlich lockte die Nähe des Mühlenteiches zum Spielen, und verschiedene Unglücksfälle, die sich dabei ereigneten, trieben zum Neubau eines Schulhauses. Allmählich wurden im Laufe des Jahrhunderts noch alle Gebäude tüchtig gebaut, doch erlebte Pastor Schulze diese ruhige Zeit nicht mehr. In seinen letzten Jahren war er allgemein beliebt. Er starb am 16. März 1786. Sein Nachfolger wurde Friedrich Ferdinand Stolte, der berufen war, mit dem Bürgermeister Joachim Heinrich Christian Lüders, später Gerichtsrath, zusammen die Stadt durch jene Zeiten erneuerter Noth zu führen, die man in Meklenburg gewöhnlich die Franzosenzeit nennt.

Es hat diese Zeit schwere Last, aber auch großen Segen für unsere Landstadt gebracht, sie bedeutet gleichsam das gewaltsame Aufbrechen eines Thores, durch welches man den Weg zu bessern Tagen finden konnte. Zurücksehend in die besprochenen alten Zeiten empfinden wir Schrecken vor der Finsterniß, die dieselben deckte, wir können nicht fassen, wie Menschen in ihr zu leben vermochten,

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ja, wie sie gerade das, was uns heute am meisten erschreckt, die Vereinsamung der deutschen Stämme, das selbstsüchtige Streben für den engsten Kreis, den die Landesgrenze oder der Stadtwall zog, das kleinliche Denken ohne größere Gesichtspunkte als Lebensgenuß oder Fristung des Daseins, nicht als bittere Noth empfanden. Aber man bedenke, daß, nachdem der große Krieg ganz Deutschland zerstückelt und die einzelnen Stücke zermalmt und zerrieben hatte, zuerst der Anfang zur Erneuerung durch den Bau des eigenen Hauses gemacht wurde, für dieses wurde natürlich die größte, die einzige Sorge getragen. Dann mußte dem Einzelnen durch das sich entwickelnde Stadtwesen bewußt werden, daß durch die Gemeinschaft ihm viele Wohlthaten zuflossen, seine Theilnahme für die Stadt wurde geweckt. Im ferneren Verlauf spürten die einzelnen Ortschaften den Segen einer geordneten und landesväterlichen Regierung, ihre Liebe zum Lande und zum Fürsten erwachte. Und nachdem das alles geschehen war, da war das größte Hinderniß noch zu beseitigen, das Widerstreben, viele der Eigenheiten, die sich in den 150 Jahren des Aufbauens herausgebildet hatten, nunmehr zum Nutzen eines noch größeren Ganzen daranzugeben. Zu dem Zweck mußte eine starke Faust von außen darein fahren und Land, für Land, Stadt für Stadt, Dorf für Dorf fassen und schütteln, daß alle aus der Stumpfheit erwachten und Anhalt an einander suchten, gleichsam im Nothschrei den Begriff für einen Namen wiederfanden, der in der Zeit der Zersplitterung verloren war, den Begriff für Deutsch, Deutschland, deutsches Volk, deutscher Kaiser; man mußte lernen, daß der Einzelne wirklich erst gedeihen konnte, wenn er das gerade Gegentheil von dem that, was bisher seine Gewohnheit gewesen war, nicht immer an sich, seine Stadt, sein Land zuerst bachte, sondern an das Größte, das weite Vaterland zuerst und an sich selbst zuletzt. Die Vertheidiger desselben durften nicht mehr kläglich für Geld geworben oder mit unerhörter Gewaltthätigkeit gepreßt werden, sondern mußten sich aus der Mitte der edelsten Söhne herzudrängen; heimkehrend durften sie nicht mehr mißtrauisch und scheel angesehen werden wie Leute, denen man das Strolchthum an den Gesichtern ablesen konnte, und bei denen es zweifelhaft war, ob man ihnen ein ehrliches Grab auf dem Friedhofe gönnen sollte, sondern ihre Namen mußten auf Ehrentafeln in den Kirchen dem Gedächtnisse der Nachwelt überliefert werden. Der große Friedrich, der das preußische National=Bewußtsein so gwaltig hob, konnte die Engherzigkeit der Deutschen nicht dauernd brechen. Man jubelte, daß er die hochmüthigen Franzosen demüthigte und vor der ganzen Welt den deutschen

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Namen wieder zu Ehren brachte, aber ärgerte sich über die dominirende Stellung, die er seinem Lande dem Reiche gegenüber gegeben hatte. In Meklenburg hatte der Name Preußen dauernd einen schlimmen Klang, in Lage brach der Groll unaufhaltsam hervor, sobald man der Schmerzen der Eltern und Großeltern gedachte. In Summa: das übermüthige, selbstbewußte Preußen war ein Land, dem man eine Demüthigung durch einen gewaltigen Mann gönnte, der aus Frankreich mit unwiderstehlicher Macht hervorbrach, alle Gegner zu Boden warf und nicht den Eindruck machte, als ob er sich mit dem bisher Errungenen begnügen wollte.

Es lag eine schwüle Luft über dem politischen Horizont. Man erzählte sich im Jahre 1805, daß gegen Napoleon ein Bündniß von England, Rußland, Oestreich und anscheinend auch Schweden sich gebildet habe, und daß die Franzosen unter Bernadotte nicht allzufern von der meklenburgischen Grenze in Hannover ständen. Bald sollte man den Beweis für den Ausbruch des Krieges ganz in der Nähe erhalten. Im October rückten russische Truppen in Lage ein und übernachteten vom 21. auf den 22. in der Stadt, Artillerie unter Major Woicykoff; ihnen folgten sofort Kosaken, die bis zum 25. October blieben, sie belästigten die Bürgerhäuser weniger, denn sie blieben gern in den Scheunen bei den Pferden, und das war ein Glück, man sagte ihnen betreffs Reinlichkeit allerlei Schlimmes nach. Die blauen und rothen Kosaken trotteten fort, um einem Bataillon des Petersburger Grenadier=Regiments Platz zu machen, 744 Gemeine und 25 Offiziere übernachteten vom 28. zum 29. October im Orte. Endlich kam ein russisches Kürassier=Regiment, eine stattliche Schaar, ein stolzes Corps, das nur auserlesene Pferde, meistens Schimmel, besaß; so schöne Truppen hatte man noch nie gesehen, man redete noch lange davon. 134 Pferde, 192 Mann und 4 Offiziere blieben in der Nacht vom 31. October auf den 1. November. Bei solchen Gelegenheiten erfuhr der Bürger, daß man Hannover besetzen wollte, welches vom General Bernadotte geräumt war. Da die Russen Meklenburg in friedlicher Absicht berührten, so hielten sie meisterhafte Manneszucht. Außerdem war der Stadt von der Regierung zugesichert, daß sie für alle Verpflegungskosten vollen Ersatz erhalten sollte. Sie setzte im Ganzen 527 Thlr. 22 ßl. in Rechnung, der Betrag fiel so gering aus, weil aus dem ganzen umliegenden Amte Lieferungen an Korn und Stroh hülfsweise geleistet wurden. Ein Theil des Geldes wurde in der That durch Rußland sofort ersetzt, der Rest, dessen Bezahlung durch die ausbrechenden Wirren unmöglich gemacht wurde, erst im Jahre 1818, aber auf Heller und Pfennig, sogar die

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Zinsen und die Schulden der russischen Offiziere, die alle Kosten aus eigener Tasche hatten bestreiten sollen, kamen zur Deckung. Nach der Schlacht bei Austerlitz mußten die Hannoverschen Besatzungen sich schnell zurückziehen, damals berührten nicht russische, sondern schwedische Truppen unsern Ort; vom 7. auf den 8. December übernachteten von dem Königs=Regiment 22 Offiziere, 520 Mann, 22 Pferde, dazu etwas Artillerie. Auch diesmal kam die Stadt völlig auf ihre Kosten, so daß man ganz vergnügt auf diese gewinnbringenden Durchzüge sah, man hatte gutes, baares Geld in Händen. Die Einsichtigen freilich zuckten die Achsel und fragten, ob der französische Kaiser es sich wohl ungeahndet gefallen lassen würde, daß Meklenburg seinen erklärten Feinden offen gehalten wurde; Napoleon vergaß dergleichen Kränkungen nie.

Ein Jahr fast blieb es still. Preußen rüstete zum Kriege, um am 14. October 1806 in der Schlacht bei Jena alle seine früheren Lorbeeren einzubüßen. Blücher schlug sich durch Meklenburg durch und berührte die mittleren Gegenden von Waren nach Schwerin, von seinem Zuge sowie von den in Eile folgenden Franzosen merkte man in Lage nichts, als daß einzelne Pferde, die die flüchtigen Preußen unterwegs in den Dörfern verkauft hatten, nach dort verhandelt wurden. Dann hieß es plötzlich, daß auch Meklenburg von Napoleon als ein feindliches Land angesehen würde, weil es seinen Feinden wiederholt Vorschub geleistet habe. Jetzt flog die Nachricht durch den Ort: "die Franzosen sind in Güstrow!" "In Kritzkow!" meldete ein zweiter Bote. Aus den Dörfern, die abseits der Landstraße lagen, flüchteten die Bewohner, denn es erzählte der erfahrene Großvater, daß nicht so sehr die geschlossene, große Schaar, als vielmehr die einzelnen fliegenden Abtheilungen, die Marodeure seitwärts des Zuges zu fürchten seien. Die Zehlendorfer Leute lagen drei Tage und Nächte in der kalten Jahreszeit im Freien, zunächst kamen dorthin nur zwei Franzosen, die auf dem leeren Hofe Kisten und Kasten zerschlugen und sogar die Knechtsladen in den Ställen erbrachen, um sich dann mit geraubtem Gelde eiligst weiter zu machen. Ein Knecht, der sie aus der Ferne beobachtet hatte, schlug vor, sie zu erschlagen, aber der Kutscher hielt ihn zurück, weil er größeren Nachzug fürchtete, der letztere ritt auf Kundschaft nach Kritzkow, um zu sehen, ob nicht ein blindes Gerücht sie getäuscht habe, seine Frau war in Folge der rauhen Witterung auf den Tod erkrankt. An der Landstraße wurde er von einer Schaar Reiter, die hinter einer Scheune hervorkamen, ergriffen und zum Führer gezwungen. So kamen die Feinde nach Zehlendorf; sie zogen aber bald nach Zapkendorf

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weiter, aber dem Kutscher haftete lange Zeit der Verdacht an, er habe die Franzosen verrätherischer Weise geholt - aus Frankreich! raunte sich die jüngere Generation in der Ecke zu.

In Lage empfand man "Langen und Bangen in schwebender Pein". Ein Kaufmann Thiemann, der früher im westlichen Deutschland gewesen war und allerlei von den Franzosen gehört hatte, behauptete sie seien nicht so schlimm, wie man sage, sie betrügen sich wie ordentliche Menschen, denen man freundlich entgegen kommen müsse. Jetzt sprengte eine Schaar Reiter über die Straßen auf den Markt und verlangte heftig parlirend einen Führer nach Teterow. Große Rathlosigkeit! Keiner wollte mitziehen. Endlich wandte man sich an obigen Kaufmann, man erinnerte ihn an seine Franzosengeschichten und faßte ihn bei seiner Ehre, man bot ihm eines der angekauften preußischen Pferde, das ja, so hieß es, den Krieg kennen mußte; da Roß und Reiter die einzigen waren, die französische Bekanntschaft hatten, so fanden sie sich in ihre Aufgabe. Der Zug kam nach Diekhof und traf dort andere Franzosen; man machte längeren Aufenhalt, Thiemann entwischte natürlich und schlug wohlgemuth, die Brust geschwellt von dem Bewußtsein bewiesener Bravour, den Rückweg ein. Unterwegs begegneten ihm zwei einzelne französische Reiter, die ihn anhielten und ungestüm sein Geld forderten. Thiemann war kein Dummkopf, er hatte schlauer Weise bei seinem Ritte nur etliche Pfennige eingesteckt, die er mit Achselzucken willig anbot; sie schlugen verächtlich seine Hand bei Seite, und im nächsten Augenblick wurde er mit flacher Plempe gründlich belehrt über seine Pflicht, in Zukunft stets für die kaiserlich französischen Reiter Großgeld in der Tasche zu haben. Kleinlaut, ritt er weiter, von seitwärts her kamen noch einmal zwei Franzosen und riefen: alt! alt! ihn verlangte nicht nach vermehrter gewichtiger Bekanntschaft, er spornte sein Kriegsroß, das ihn auch sicher zum Städtchen zurücktrug. Es war schon anno dazumal so, daß man zum Schaden den Spott hatte, denn lange noch freuten sich die Lager über die Beschlagenheit der Franzosen, mit der sie ihren besten Freund sofort herausgefunden und belohnt hatten. - Am 20. November 1806 rückte die zweite Escadron Muratscher Dragoner ein und nahm eine Woche lang Ouartier, die Reiter munkelten allerlei von Plündern und schnitten grimmige Gesichter dazu, aber man sah, daß es nicht rechter Ernst war, und nach kurzem Handeln konnte man ihren Zorn mit etlicher baarer Münze stillen.

Daß es mit der französischen Invasion bitterer Ernst war, machte sich noch im Laufe des Monats bemerklich, der Herzog

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Friedrich Franz I. flüchtete, und der französische General Michaud nahm von Meklenburg im Namen des Kaisers Napoleon Besitz bekümmerten Herzens rief der Bürgermeister Lüders die Stadtvertretung zusammen und machte die Anzeige, daß der General allen städtischen Behörden befohlen habe, sofort ein von ihm übersandtes Schriftstück, das einen genau formulirten Eid enthielt, durch welchen dem Kaiser der Franzosen Treue und Dienst zugesagt wurde, zu unterzeichnen, mit einem Worte: dem alten Landesherrn ab =, dem neuen Landesherrn zuzuschwören; die Entrüstung war groß, denn die landesväterliche Fürsorge hatte. die Herzen der Bürger dem Fürstenhause fest verbunden. Aber was half Erwägen und Bedenken? Es machte die Herzen nur verzagter, man fügte sich endlich in das Unvermeidliche. Die Obrigkeit wurde also beeidet, die Bürger von der neuen Regierung in Pflicht genommen. Im Anfang des nächsten Jahres verließ der Herzog sein Land, das ja nicht mehr das seine war, die Fürbitte für ihn im Kirchengebete fiel weg, vor dem Hause des nunmehrigen Maire Lüders wurde ein großes Schild mit dem französischen Adler angebracht.

Wer war nun noch, der den Preußen erneute Niederlagen gönnte? Mit Sorge folgte man der Entwicklung des Krieges, ganz Meklenburg wurde von französischen Truppen besetzt, Lage erhielt sogar eine dauernde, größere Besatzung, außerdem zogen fortwährend Abtheilungen durch, französische Chasseurs, die nach dem Frieden von Tilsit zurückkehrten, meistens aber Deutsch=Franzosen, die zum Rheinbunde gehörten und Napoleon Heerfolge leisten mußten, Baiern, Würzburger u. s. w., auch Spanier, Artillerie und Cavallerie bunt durcheinander, so daß man in wenigen Wochen 2534 Mann und 315 Pferde beherbergt hatte, ungerechnet die Durchzüge, die etliche Male ganze Tage dauerten. Die Fremdlinge legten Meklenburg viele Lasten auf, Lieferungen von Naturalien u. dgl., die dann von der Regierung über das Land repartirt wurden. Besonders hoch waren die Forderungen von Schuhlieferungen. In Lage waren, wenn man Alles zusammenrechnete, 18 Schustermeister, darunter jedoch etliche ältere, die nicht mehr recht arbeiten konnten. Im Februar hatten diese eigentlich nichts weiter zu thun, als Schuhe zu machen, alle andere Schusterarbeit blieb liegen, die Lager gingen ohne Sohlen, damit die Franzosen gute Sohlen bekommen konnten. Die Rostocker Gerber dachten nicht daran, in dieser bösen Zeit Leder auf Credit zu geben, zur Baarzahlung hatten die Schuster kein Geld, da schlug sich die Kämmerei ins Mittel und verbürgte sich beim Gerberamt, kostbare Zeit war mit den Verhandlungen verloren, am 28. Februar lieferten dennoch die wackeren

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Meister ihr richtiges Pensum ab, jeder Arbeitsfähige hatte täglich ein Paar hergestellt, das mit 1 Thlr. 16 ßl. vergütet wurde. -

Im August 1807 kehrte Herzog Friedrich Franz zurück, da Rußland im Tilsiter Frieden die Selbständigkeit Meklenburgs durchgesetzt hatte, und die Franzosen räumten das Land bis auf Rostock, woselbst noch einige zur Küstenbewachung blieben, doch zogen auch diese 1808 ab.

Fragt man die älteren Leute in Lage nach dem Benehmen der Franzosen in dieser Zeit von 1806 - 1807, so hört man nichts schlimmes. Außerhalb der Stadt begingen sie allerlei Excesse, das platte Land hatte oft böse Erfahrungen zu machen und rächte sich dafür durch heimliche Blutthat. Einzelnes aus der Ueberlieferung will ich hier anführen.

Ein Arbeitsmann aus Kronskamp wollte nach Lage gehen, als ihm zwei feindliche Reiter begegneten, einer derselben sprach deutsch (wie überhaupt die Franzosen viel mit Deutschen untermischt kamen), und dieser forderte den Mann auf, den Weg nach Kl.=Lantow zu zeigen, ertheilte ihm auch, als man noch wenigen Minuten den Ort sehen konnte, die Erlaubniß zur Umkehr. In demselben Augenblick zog der andere Reiter mit einem französischen Fluche seinen Säbel und schlug den Führer über die Schulter, daß sofort Blut lief; der Deutsche riß des Wüthrichs Pferd vorwärts, und als der Franzose noch einmal zu einem Schlage ausholen wollte, der vielleicht dem Armen den Tod gebracht hätte, fuhr des Deutschen Klinge sofort aus der Scheide und dem Franzosen so dicht und drohend unter die Nase, daß derselbe sich besann und schimpfend weiter ritt.

Jene zwei Reiter waren Quartiermacher, die einen größern Zug anmelden sollten, vielleicht Genossen jener andern Zwei, die sich in Lage nach dem Wege nach Drölitz erkundigten, woselbst sie Einquartierung ansagen sollten. Angekommen forderten sie in ungestümer Weise Geld, weil sie es jedenfalls für richtig hielten, das Beste vor den Nachkommenden vorweg zu nehmen. Die Besitzer, zwei Brüder, verweigerten die Zahlung unter Hinweis auf Armuth und nöthigten die Franzosen in die Stube; sie dachten an das oft erprobte Mittel, mit Essen und Trinken freundlichere Gesinnung beizubringen. Die Feinde benutzten aber ein vorübergehendes Alleinsein und machten sich daran den Schrank aufzubrechen, in welchem in der That die Besitzer ihr Geld aufbewahrten. Das sahen die Letzteren von außen, eilten sofort auf den Hof und riefen

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ihre Leute zusammen. Den Kutscher Oloff voran stürmten sie in die Stube, bevor die Einbrecher sich besinnen konnten, war der eine schon durch einen heftigen Stoß mit einer Forke zu Boden gestreckt, der andere flüchtete in die Ecke und bat flehentlich um sein Leben, es half nichts, man mußte den Mund des gefährlichen Zeugen stumm machen. In der Eile schleppte man die Leichen auf den Dunghof und bettete sie dort tief in den Grund, bald, bevor man die Spuren des Ueberfalls hatte tilgen können, kam die Nachricht, daß eine größere Colonne Franzosen sich auf Drölitz heran bewege. Die fremden Pferde fort! war der erste Gedanke. Man führte sie in ein Scheunenfach und baute bis auf den Raum, wo sie standen, dasselbe sorgsam mit Stroh bis unter die Decke zu, der Kutscher mußte bei ihnen sitzen, um sie zu beschwichtigen. Ein gefährlicher Posten! Wenn sie sich verriethen, war er zuerst verloren. Dann raffte man Hühner, Puter u. s. w. auf dem Hofe zusammen, brachte sie in die Mordstube und schlachtete sie dort, um die Blutspuren erklären zu können. So kam es, daß die Franzosen, die nach ihren Quartiermachern fragten, sich bei der Antwort, daß dieselben weiter gezogen seien, beruhigten. Niemand konnte später wissen, ob sie nicht auf dem Wege anderswohin verlockt und erschlagen seien. Oloff rühmte sich noch lange, als er in Lage wohnte, seiner That und trank auf Kosten seiner Herren, bis er sich todt getrunken hatte.

Es war nichts Unerhörtes, daß der Landmann, dessen Ingrimm mit dem Drucke anwuchs, zu solchen verzweifelten Mitteln griff. Zwei Franzosen, so erzählt man aus der Umgegend der Stadt, hielten eine Schaar Knechte, die nach Leistung von Fuhren mit ihren Pferden heimkehrten, unterwegs an und machten lachend Miene, das beste Pferd auszuspannen, um dafür eine abgetriebene Mähre zurückzulassen. Während sie schwatzend und vergnügt beschäftigt waren, die Umsattlung vorzunehmen, hatten die Knechte, die anfangs verdutzt waren, die Köpfe zusammengesteckt, die Pferde waren ihnen zu sehr ans Herz gewachsen, als daß sie nicht einmüthig diese Vergewaltigung hätten empfinden sollen, bevor die Franzosen, die ihre Hände voll Geschirr trugen, sich helfen konnten, lagen sie todt am Boden, worauf man sie seitwärts ins Holz schleppte und dort verscharrte.

Während so auf dem Lande oft Blut vergossen wurde, ging es in Lage besser zu. Die Fremden erlaubten sich in der ersten Zeit auch wohl einmal Uebergriffe, die Holländer und Süddeutschen am meisten, aber man konnte bei ihren Offizieren klagbar werden und fand auch Gehör, der Gewaltthätige wanderte in Arrest, nur

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die Beköstigung hatte der Quartiergeber zu tragen. Einer der wohlhabenderen Einwohner war der Erbmüller Dehn, der eine große Familie hatte, aber auch eine Frau, die der schweren Zeit völlig gewachsen war. Zuweilen wurden des Abends spät die Kinder aus dem Bette genommen und eiligst in Stroh gepackt, um Franzosen Platz zu machen. 18 - 20 Mann oder 4 Offiziere rückten zugleich ein, und oft gingen täglich 18 Thlr. drauf, ohne daß annähernder Ersatz gegeben wurde. Forderten besonders die Gemeinen sehr unverschämt, so mußten sie sich auch eine energische Zurechtsetzung gefallen lassen. Einem französischen Diener behagte es nicht, daß er nicht so leckeres Essen bekam, wie sein Offizier, und obgleich der letztere ihm seine Klagen wiederholt verwiesen hatte, mäkelte und murrte er immer in der Küche herum, bis einst die gereizte Frau, die gerade beim Kaffeebrennen beschäftigt war, ihm eine Schaufel voll Kohlen um die Ohren warf, daß er prustend und schreiend zur Thüre hinausschoß, um von seinem Herrn obenein ausgelacht zu werden. - Sie traute anfangs der Ehrlichkeit der Franzosen etwas mehr und legte zum Essen gar noch silberne Löffel bereit. Zu ihrem Aerger bemerkte sie einst, daß einer derselben offenbar durch einen einquartierten Soldaten gestohlen war. Die entschlossene Frau rief ihr Mädchen und stieg des Nachts, als alle schliefen, auf den Boden, dort lagen die Franzosen in Reihe und Glied im Stroh und schnarchten; ohne Weiteres untersuchte sie die Taschen derselben, die seitwärts von der Lagerstatt hingen, bis sie ihren Löffel wiederfand. Befriedigt kehrte sie von ihrem gefährlichen Gange zurück, ohne daß sie von Jemand bemerkt war, und legte in Zukunft zinnerne Löffel auf den Tisch. - Einzelne, die sich im Ouartier sehr wohl gefühlt hatten, vertrauten ihr an, daß demnächst ein Zahlmeister in die Mühle gelegt würde, der ein rechter Satan sei. Nach einigen Stunden stellte sich ein aufgeputztes, stolzes Mädchen ein und erklärte, sie würde des Zahlmeisters Quartier beziehen, er selbst würde bald nachkommen. Die Müllersfrau witterte sofort die Geliebte des Erwarteten, und da sie ein unkeusches Verhältniß in ihrem Hause zu dulden nicht gewillt war, so maß sie die Fremde mit ihren scharfen Blicken; diese that frecher Weise, als ob sie nichts merke, und setzte sich zum Warten nieder. Bald kam der Zahlmeister und präsentirte sein Quartierbillet, die Wirthin verlangte ein zweites für das Mädchen, lächelnd und achselzuckend hielt er ihr das eine entgegen. Da wallte ihr Zorn gewaltig auf, ohne ein Wort zu sagen, faßte sie die Fremde und warf sie zur Thüre hinaus, daß diese auf die Gasse flog und Zeter schrie. Der so übel verrufene Zahlmeister

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aber schwieg vor solcher Entschlossenheit einer deutschen Frau verdutzt still. Es ist werth, daß man aus einer Zeit, in welcher der Hohe und Stolze oft Muth und Ehre verlor, das Andenken einer Bürgerfrau ehrt, die beides den Fremdlingen gegenüber bewahrte. Von dem Müller forderte ein Franzose, der längern Aufenthalt nahm, beharrlich mit wiederholtem Drohen seine goldene Uhr. Allen Versicherungen, daß keine Uhr da sei, schenkte er keinen Glauben und beruhigte sich erst, als man für ihn aus Rostock Tuch zu einem neuen Anzug kommen ließ. Beim Wegreiten rief er den Müller heran und flüsterte ihm listig ins Ohr: "daß du goldene Sackuhr ast, weiß ick. Die da schreibt bei die Gericht, at's gesagt!" Also fanden sich auch Verräther unter den Bürgern, die es mit den Fremden hielten. Es war ebenso, wie überall in Deutschland, noch war der Knechtssinn nicht gebrochen. Wenn das Volk sich wehren wollte, geschah es nicht in freier, offener That des Schill, es ging heimlich vor, und viele Mordanfälle, wie die oben geschilderten, sind nie an das Tageslicht gekommen. In Groß=Wokern wurde über ein halbes Dutzend Franzosen, die im Schulhause übernachteten, durch die Dorfleute heimlich beseitigt, die Sache wurde nach dem Kriege erst ruchbar, als zwischen Tagelöhnern und Bauern der Streit über die Vertheilung des Nachlasses ausbrach und erstere beim Amte in Güstrow klagbar wurden. In Cammin fand man 1820 beim Mergelgraben noch sieben Leichname von Franzosen, von denen Niemand sagen wollte, wie diese dorthin gekommen waren.

Wenn größere Commandos im Orte lagen, Douaniers oder Gensdarmen längere Zeit in Quartier waren, hielten die Franzosen sich mit Vorliebe auf den Kegelbahnen auf, wobei sie allerdings schalten, daß noch kein Billard vorhanden war. Die Bürger stellten aus ihren Reihen jenen manche Genossen, die von früh bis spät die Kugel rollen oder die Karten schwirren ließen; die Fremden waren leidenschaftliche Spieler, häufig kamen Reibereien vor, plötzlich prügelten sich die Spieler der verschiedenen Nationen und manches Sacre und Bougre wurde den Bürgern an den Kopf geworfen, die dafür ein deutsches Schimpfwort zurückschallen ließen. Später setzten sich die abgekühlten Parteien, die ja nicht berufen waren, den Weltkampf zu entscheiden, wieder zu einander und tranken brüderlich. In den Gasthäusern war starker Geldumsatz, denn die Garnison bezahlte alles baar in der Stadt, wenn sie sich ihr Geld auch wohl gelegentlich vom Lande zusammenholte. Der Umsatz war freilich ein unsicherer, es war mehr "fliegendes Geld", sagte mir ein alter Mann, das nicht beim Erwerber lange blieb.

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Französische Uhren, die im Spiel erworben waren, hatten die Bürger noch lange nach dem Kriege. Man gewinnt aus allen Erzählungen den Eindruck, als wären die Franzosen gutmüthig gewesen.

Die Stadt setzte ihre Gesammtrechnung über alle Kosten, die ihr bisher erwachsen waren (bis 1807 incl.), auf und fand: Fuhren und reitende Boten 1088 Thlr. 47 ßl., Einquartierungskosten 2273 Thlr. 45 ßl., Fußboten 18 Thlr. 42 ßl., Lieferungen 2 Thlr. 32 ßl., Douceur 34 Thlr. 20 ßl., Handwerker 57 Thlr. 23 ßl., Medicin u. s. w. 13 Thlr. 47 ßl., also in Summe 3490 Thlr. 16 ßl. Vergleicht man die Summe mit der Ausgabe im siebenjährigen Kriege, so ist sie gering. Sie wurde aufgebracht von einer Stadt, deren Wohlstand in langen Friedensjahren gewachsen war, und die außerdem mancherlei Einnahmequellen von Fremden und Hülfe vom Lande hatte; die Regierung, die mit großer Umsicht zu Werke ging, hatte für eine genügende Vertheilung der Lasten Sorge getragen.

Die Jahre 1808 und 1809 vergingen verhältnißmäßig ruhig, dagegen brachte das Jahr 1810 neue Belästigung. Um den Engländern einen tödtlichen Schlag zu versetzen, befahl bekanntlich Napoleon die Continentalsperre. Die meklenburgischen Küsten wurden abermals durch die Franzosen bewacht, weil der Kaiser argwöhnisch beobachtet hatte, daß von dort aus erheblicher Schmuggel ins Werk gesetzt wurde. In Folge davon kamen Douaniers wiederholt durch Lage, lagen auch längere Zeit daselbst. Der meklenburgische Exporthandel war völlig gehemmt, das Getreide verkam fast in Rostock, da es nicht zur See verladen werden konnte, ein Scheffel Roggen galt 17 ßl., Weizen 28 - 30 ßl., Butter 3 1/2 bis 4 ßl. Dagegen stiegen die Preise für Colonial=Waaren sehr hoch, 1 Pfd. Zucker galt 1 Thlr., Kaffee 1 Thlr. 8 - 16 ßl. Die Franzosen nahmen nur Weizenbrot, die Müller und Bäcker in Lage verdienten, die Landleute und Ackersleute waren sehr in Noth, darum auch der von ihnen seine Nahrung erhaltende Handwerker. Viele Fuhren wurden begehrt. Vom August 1810 bis 28. Febr. 1811 hatte die Stadt wiederum circa 1800 Mann, 1700 Pferde beherbergt, die Fuhrleute mußten fast immer auf dem Wege von Rostock nach Teterow und Malchin in Bewegung sein. Die Stadt verfügte, wie sie klagte, nur noch über Pferde zu sieben Vierspännern und zwölf Zweispännern, auch diese waren schließlich so abgetrieben, daß man oft zu einer vierspännigen Fuhre die Pferde von vier Besitzern zusammenleihen mußte. Allerdings wurden die Fuhrherren für jede Leistung bezahlt, aber dennoch litten sie vielen

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Schaden, ihr Acker konnte nicht bestellt, ihre Wirthschaft nicht besorgt werden. Solcher Nachtheil traf auch den kleinen Handwerker, der sein Stücklein Acker durch jene immer hatte bestellen lassen; das Korn wuchs auf dem Felde aus, weil man kein Fuhrwerk schaffen konnte, es in die Scheunen zu bringen. In der Zeit, als Saatkorn gedroschen werden mußte, im September 1811 kam der Befehl, 18 kräftige Männer, mit Schaufel und Spaten versehen, nach Warnemünde zum Schanzenbau zu stellen. 20 brauchbare Tagelöhner waren überhaupt nur da, also mußten die Bürger selbst mit ausrücken, alle acht Tage fand Ablösung statt, nach vier Wochen waren die Arbeiten beendet.

In dieser Zeit, wo die anfangs frische Kraft anfing zu erlahmen, wo die Bürger zu Leistungen widerwillig wurden und es große Schwierigkeiten zu überwinden galt, verlor der Bürgermeister, Gerichtsrath Lüders, allmählich den klaren Ueberblick über das Stadtregiment, die Regierung rügte wiederholt grobe Versehen und Nachlässigkeiten und drohte mit Absetzung, so daß er um die Erlaubniß bat, auf seine Kosten einen Adjuncten halten zu dürfen, der mit ihm die Arbeit theilen sollte in der Weise, daß derselbe die Besorgung der richterlichen Geschäfte allein übernehme. So kam der Abvocat Christian Johann Lüders, ein Sohn des Hofrathes Lüders in Malchin, nach Lage, nachdem die Bürgerschaft zu seiner Wahl zugestimmt hatte. 1 ) Er kam am 8. Februar 1812 an, gerade zu der Zeit, als ein neues Kriegswetter, das aber diesmal auf Napoleons Haupt sich entladen sollte, sich im fernen Osten zusammenzog.

Argwöhnisch beachtete Napoleon, der die Grenzen Frankreichs bis zur Trave vorgeschoben hatte, die Sprödigkeit der Norddeutschen und nöthigte die von ihm abhängigen Fürsten, aus allen ihren Städten an jedem Sonnabend Berichte über alle Reisenden, besondere Ereignisse, Volksstimmung u. s. w. an seine Vertreter einzusenden. Auch nach Lage kam am 10. März 1812 die herzogliche Aufforderung zum Bericht. Da man dort noch nicht ahnte, wohin derselbe stets gesandt wurde, so freute sich der Gerichtsrath zu der Gelegenheit. allerlei Klagen an den Herzog bringen zu können. Außer der Nachricht, daß die Juden ein in Kronskamp verstorbenes und daselbst auf dem Felde begrabenes Judenkind wiederum ausgegraben und nach Güstrow auf den Judenkirchhof gebracht hätten


1) Er wurde 1814 der Nachfolger des Gerichtsrathes, erhielt später den Titel Hofrath und blieb bis 1834, in welchem Jahre er auf einen höhern Posten abberufen wurde. Seine Amtsführung war für die Stadt von sehr großem Segen.
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(in Lage war kein Judenkirchhof), berichtete er, daß um Politik sich eigentlich Niemand kümmere, Vergnügungen hätten längst aufgehört, Klagen über den Druck der Zeit mehrten sich, der Mühlendamm sei in schlimmem Zustande, daß bei dem regen Verkehr bald ein großes Unglück zu befürchten sei u. s. w. Darauf hin wurde er vertraulich bekehrt, daß die Berichte für die kaiserlich französischen Behörden bestimmt seien und Domestica darin nicht recht angebracht. In Folge davon passirte in Lage plötzlich nichts, über Stimmung und Excesse war nichts zu bemerken u. s. w., also, daß der Franzose aus solchem Berichte eben soviel entnehmen konnte, wie aus einem leeren Bogen.

Da bei dem Zusammenziehen und allmählichen Vorrücken der großen Armee nach Rußland sich die Ansprüche an Fuhren ins Unerhörte steigerten, so wurde das Land in Kreise abgetheilt, jeder Kreis hatte seinen Berechner, der, sobald Fuhren verlangt wurden, sie über Stadt und Land gleichmäßig zu vertheilen hatte. Hier zeigte sich die Tüchtigkeit des Adjuncten Lüders zum ersten Male im hellen Lichte, derselbe war Berechner der Fuhren (638 in 11 Monaten) und des Magazins, das von dem ganzen Kreise in Lage errichtet wurde, damit für Truppen und Pferde immer auf Verlangen sofort der nöthige Proviant zur Hand war, die Durchzüge schienen oft endlos - immer nach Osten zu. Was man nicht verhindern konnte, war der Umstand, daß die Fuhrleute in der Sorge mit nach Rußland genommen zu werden, mit aller Macht und List sich heimlich auf die Seite zu drücken strebten; sie zur Rechenschaft zu ziehen, war für die Franzosen unmöglich. Schmunzelnd erzählte man, wie aus einem Nachbarorte die Knechte, sobald sie bemerkten, daß die französische Eskorte achtlos an der Spitze und am Ende des Zuges sich hielt, plötzlich nach verabredetem Zeichen vom Pferde sprangen, die Stränge abschnitten und davonjagten. Nur einer, der überall ein Unglücksvogel wegen seiner Langsamkeit war, versuchte die Pferde regelrecht abzusträngen, den hielten die Franzosen an und zerbläuten ihn in ihrem Aerger gründlich, und daheim wurde er noch lange wegen seines Schicksals geneckt.

Vier Rekruten wurden in Lage zum Kriege ausgehoben, unter ihnen ein Enkel des Cantors Stahl, alle bemühten sich vergebens einen Stellvertreter zu kaufen, kaum daß sie Jemanden gefunden hatten, so kam die Nachricht, daß er davongelaufen sei. Ein verkommener Zinngießer Karsten, der schon früher im Felde gewesen war und eine Marketenderin geheirathet hatte, ließ sich mit seiner

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Frau in die Armee locken, wohl in Hoffnung einer guten Beute in Rußland. Von diesen allen sah man nichts wieder.

Ein halbes Jahr war alles still ein schwerer Winter kam über Land und Stadt, dann schwirrten Gerüchte über Unglück der Franzosen heran, sie gewannen immer deutlichere Gestalt, die fremden Truppen im Lande wurden unruhig, es kam Marschbefehl, am 26. Februar 1813 zogen die Rheinbundstruppen und die gehaßten Küstenwachen ab, wenige Tage darauf kamen die Kosaken, die Helden des Tages, klein, bärtig und schmutzig, wie man sie vor 8 Jahren gesehen hatte. Aber ihre Augen guckten so vergnügt und lustig in die Welt hinein und zwinkerten den Einwohnern so vertraulich zu, daß man den Schmutz und dessen zahlreiche Bewohner vergaß und mit ihnen, als den sehnlichst erwarteten Befreiern, Brüderschaft machte. Draußen in den Scheunen hatten sie wiederum ihre Quartiere, dorthin brachten die Kinder ihnen das Essen, das die Bürger in den Häusern kochten, sie waren auffallend kinderlieb, und die Kleinen sträubten sich nicht, sie in ihr struppiges Bartgewirr zu küssen, weil sie dafür die Pferde durch die Stadt zur Tränke reiten durften. Rauh, klein, mager, ungepflegt waren die Thiere, aber sie kletterten wie die Ziegen den steilsten Hohlweg hinauf und hinab, mit und ohne Reiter, daß die Lager offenen Mundes das Unerhörte anschauten und noch einmal so eifrig mit der Schnapsflasche liefen, die allzeit von den Fremdlingen herzlich geliebkost wurde. Die Kaufleute, so erzählte man mir, hatten Grund, Talglichter vor ihnen zu verstecken, sie verlangten dieselben als Würze für ihr Mahl.

Im März erließ Herzog Friedrich Franz I. einen Aufruf Zur Bildung des Corps der freiwilligen Jäger, nachdem zwei Tage zuvor sein Aufruf an die Meklenburger bekannt gemacht war. Pastor Stolte unterließ nicht, beide von der Kanzel zu verlesen und mit warmen Worten der Gemeinde ans Herz zu legen. Der Bürgermeister entlieh auf den Rath seines Adjuncten die Trommel der Schützenzunft und ließ durch ihren Wirbel die Aufmerksamkeit der Lager bei der nochmaligen Verlesung derselben auf dem Markte erwecken; am Abend wurde den jungen Leuten Gelegenheit zum Gedankenaustausch und zum Aussprechen gegen einander durch ein Volksvergnügen gegeben. Ferdinand Lüders, der Sohn des Bürgermeisters, war der erste, der seinen Entschluß, für das Vaterland zu streiten, kund that, ihm schloß sich Adolf Hector, der Sohn des Apothekers an (geblieben im Felde), es folgte Joachim Maaß, ein Ackersmannssohn, Johann Russow, ein Arbeitsmannssohn, Jacobs, ein Maurergeselle, der seine Familie verließ und den Tod für die

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heilige Sache starb, und einige andere. Etliche Tage gönnte man der Jugend Gelegenheit zum brausenden Austoben, dann zog die Schaar davon. Daheim blieb man in bangem Warten.

Als die wiederholten Niederlagen der Verbündeten (bei Lützen am 2. Mai, bei Bautzen am 20. und 21. Mai) die Aufbietung aller Kräfte nöthig machten, kam das Gebot zur Organisirung des Landsturms erster und zweiter Klasse (Landwehr und Landsturm) auch nach Lage. Am 15. Juni 1813 trat der Magistrat mit der Bürgerschaft zusammen, der Bürgermeister machte den herzoglichen Befehl bekannt und beauftragte etliche Bürger, sämmtliche Einwohner männlichen Geschlechts sofort aufzuzeichnen. Am 17. Juni wurden die zur Landwehr (Landsturm erster Klasse) Verpflichteten in die Kirche geladen, daselbst hielt der Gerichtsrath Lüders folgende Ansprache: "Unser Durchlauchtigster Herzog hat die schleunige Organisirung des Landsturms gnädigst befohlen, um im Falle der Noth für Vaterland und Freiheit zu kämpfen; zu diesem Zwecke ist sämmtliche Mannschaft unserer Stadt verzeichnet, sie wird in zwei Klassen getheilt; die auf heute zusammen Berufenen gehören zur ersten, morgen soll auch die zweite Klasse zusammen berufen werden. Ich bin überzeugt und unser gnädigster Landesherr erwartet es von uns mit Gewißheit, daß wir im Falle, wenn unsere Hülfe nöthig sein sollte, uns als brave Meklenburger und Deutsche bezeigen werden. Wir wissen es ja selbst, wie viele junge Männer sich bereits freiwillig dem Dienste des Vaterlandes und der guten Sache gewidmet haben, man lobt und schätzt sie deshalb. Also wollen auch wir nicht zurückbleiben, sondern nach unsern Kräften mitwirken und uns gleiches Lob und Schätzung erwerben. - Kein braver Deutscher fürchtet sich. - Vielleicht ist unsere Hülfe, wenn hoffentlich der erwünschte Friede zu Stande kommt, gar nicht erforderlich. Aber wird sie erfordert, so laßt uns beweisen, daß wir den Namen Deutsche und Meklenburger mit Recht verdienen. Wir streiten ja mit für uns und die Unsrigen, für eignes Feuer und Heerd. Keiner von uns bleibt ausgeschlossen, wenn er nicht über 60 Jahre alt oder durch körperliche Gebrechen, welche ihn zum Dienst untauglich machen, behindert wird. Selbst die Obrigkeit wird nicht zurückbleiben." Die Landwehr wählte nun, da nur eine Compagnie aufgebracht werden konnte, sechs Unteroffiziere, nämlich den Apothekergesellen Sasserhagen, Handlungsdiener Thielow, Kaufmann Thiemann, Schustermeister Carl Weißmöller, Lackfabrikanten Neckels, Riemergesellen Heinrich Kindt. Diese sechs Unteroffiziere wählten unter sich zum Hauptmann den Advokaten Lüders.

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Am 18. Juni 1813 wurde in der Kirche die zweite Klasse des Landsturms organisirt. Gerichtsrath Lüders hielt abermals eine Ansprache, die Mannschaft wurde aufgerufen, sie wählte acht Unteroffiziere, nämlich Glaser Lorenz, Kaufmann Scholz, Maurer Christian Olischer, Töpfer Rathmann, Glaser Domninck, Organisten Schlichting, Zimmermeister Sabelmann, Chirurg Necker. Diese wälhlten den Gerichtsrath Lüders zum Hauptmann.

Es hatte allerdings die so vorbereitete Hülfe nicht viel zu bedeuten, aber es war doch Jedermann die heilige Pflicht gegen sein Vaterland nachdrücklichst zum Bewußtsein gebracht, es fanden sich auch nur wenige "Buben", die sich derselben fluchtweise zu entziehen suchten. Mit besonderem Eifer griff der Hauptmann der Landwehr, Advokat Lüders, seine Aufgabe an, er ließ seine Mannschaft oft zusammentreten und exerciren, und als der Marsch auf dem Schafdresch durch neugierige Zuschauer gestört wurde, rückte er ohne Weiteres auf die Nachbardörfer, ließ seine Leute des Nachts im Mantel auf der Scheunendiele liegen und beschwichtigte deren Murren dadurch, daß er alle Lasten und Entbehrungen fröhlich in ihrer Mitte ertrug. Ende August mußte seine so geschulte Mannschaft ausziehen, der Waffenstillstand, der lähmend die Gemüther bedrückte, war beendet und die Franzosen rückten bis Schwerin vor. Da die Landwehr drei Wochen fortblieb, so hatte sie bald an Kleidung sowie an allerlei kleinen Genüssen, Tabak, Bier, Branntwein u. s. w. Mangel, darum sammelte man in der Vaterstadt und sandte den Stadtkindern eine Fuhre nach. Sie kamen bis wenige Meilen vor Schwerin und behaupteten später, Franzosen gesehen zu haben, die aber vor den gelben Kreuzen, welche die Landwehr als Abzeichen auf dem Arm trug, nicht hätten Stand halten wollen. Auch in den Landsturm war ein besonderer Geist gefahren, falsche Gerüchte über Annäherung der Franzosen durchschwirrten fortwährend die Luft, plötzlich kam die (allerdings falsche) Botschaft, sie ständen in Polchow östlich von Lage und gedächten einen Vorstoß auf die Stadt zu machen. Die Sturmglocken läuteten, die Männer traten mit ernsten Gesichtern unter die Waffen und freuten sich, als Unterstützung vom Lande heranrückte. Der Pächter Schröder aus Levkendorf hatte den Ruf der Glocke verstanden, seine Leute marschierten mit gerade geschmiedeten Sensen heran, hinter ihnen kam ein mit Proviant hoch beladener Wagen, der ihnen und ihrem Führer den besten Muth machte. Der Gerichtsrath kommandirte vom Wagen aus, seine Unteroffiziere vermochten beim besten Willen keinen Muth zu heucheln und sahen rathlos drein, nur der Maurer Olischer hatte ein großes Wort

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und um den Kaper Scholz oder Scholte drängten sich wegen dessen Kriegserfahrung die Bürger. (Er war früher Schmuggler gewesen und hatte mit weitem Gewissen auch wohl einmal einen räuberischen Angriff auf englische Waaren zur See nicht gescheut, damals hatten angeblich die Engländer ihn aufgegriffen, und er war nur mit Mühe heimlich im Boot dem Tode entronnen.) Der Zug begann recht flott, aber er wurde immer langsamer, je weiter er sich von Lage entfernte. An der Wardower Mühle machte man Halt und sandte Kundschafter aus, die Zeit bis zu ihrer Wiederkehr benutzte man, um sich aus den mitgenommenen Krügen und Flaschen zu stärken. Einer trank dem Andern Muth zu, die Zungen wurden sehr lose und dann bald sehr schwer, große Trunkenheit senkte sich auf den schlachtenfrohen Landsturm, die sich nur steigern konnte, als die Nachricht kam, daß nirgends ein Feind zu sehen sei und offenbar ein falsches Gerücht alle getäuscht habe. - In derselben Zeit hatte es sich auf dem Lande geregt, z. B. sammelten sich auf dem Zehlendorfer Damme alle Männer aus der Umgegend und wollten dem Feinde den Uebergang von Zapkendorf her sperren. Wenns auf die Masse angekommen wäre, so wäre der Streich meisterhaft gelungen, der Damm stand gedrängt voll, die Weiber schrieen und die Männer schwangen ihre Dunggabeln und bedrohten jeden Feigling, der zu Hause bleiben wollte.

Vom 6. - 11. September 1813 war die Güstrower Landwehr=Brigade in Lage und Umgegend einquartirt, 677 Mann und 48 Offiziere lagen in der Stadt, 4000 Mann in der Umgegend. Mit dem Vorrücken der Verbündeten nach Westen trat die Landwehr zurück. Sie hatte bald nur noch die Aufgabe, die Menge der Gefangenen zu transportiren, zuerst Dänen, dann Franzosen. Dieselben wurden, sobald sie in größeren Schaaren anlangten, in der Kirche des Nachts eingesperrt, am nächsten Tage unter Führung des Lieutenants Thiemann von der Landwehr nach Tessin gebracht und an die dortige Abtheilung abgegeben; so von Stadt zu Stadt geleitet, wurden sie nach den preußischen Festungen befördert.

Zuweilen kamen gegen 1000 Mann in einem Haufen. 11 junge Leute der Lager Landwehr wurden am 29. October nur noch zum bleibenden Dienst ausgeloost, abermals am 27. März 1814 wurden etliche davon entlassen, bald kehrten die letzten heim.

Die von Dalwitz entliehenen Messingkanonen verkündeten von der Höhe des Walles bei den großen Eichen (die später bei Ausfüllung des Grabens gefällt sind), die Friedensfeier, die Lager begingen ein frohes Volksfest und freuten sich herzlich des endlichen Sieges.

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Als man die Schlußrechnung über die Gesammtlasten der Stadt aus den Jahren 1806 - 1815 aufstellte, ergab sich nur eine Forderung von 5957 Thlr. 44 ßl. 5 Pf. Wollte man alte Last, die das ganze Meklenburg getragen hatte, in angemessener Weise gleichmäßig vertheilen, so entfiele auf Lage ein Betrag von 10209 Thlr., so daß die Stadt also weit unter dem Durchschnitt gelitten hatte, darum mußte sie auch noch eine Nachzahlung leisten zu Gunsten der Städte, die durch den Krieg am meisten gelitten hatten, speciell an Boizenburg, dem es wohl am traurigsten ergangen war.

Im frohen Bewußtsein der wieder erlangten Sicherheit und gehoben durch das Gefühl des Sieges nicht bloß einer gerechten, sondern auch einer heiligen Sache wandten sich die Lager Bürger aufs Neue ihren Geschäften zu, sie bemühten sich, wacker als Glieder des Deutschen Reiches, jenes großen, neuerbauten Ganzen, zu schaffen und zu streben. Der Gerichtsrath Lüders starb 1814, und es folgte ihm sein bisheriger Adjunct Christian Johann Lüders, der zwanzig Jahre hindurch mit großer Umsicht und Treue das Stadtregiment führte. Bei seinem Amtsantritt hatte die Stadt 1084 Einwohner, als er ging, hatte sie fast um 450 Seelen zugenommen.


Angelangt an einem Hauptabschnitte der Geschichte unserer kleinen Landstadt sehe ich mich genöthigt, von einer Fortführung derselben abzusehen. Die folgenden Ereignisse gehören zu sehr der neuern Zeit und der jetzt lebenden Generation an, als daß es nicht bedenklich wäre, in der Oeffentlichkeit davon zu reden. Auch stehe ich selbst zu sehr in den Kämpfen und Wirren dieser Zeit, um mir ein unbefangenes Urtheil zutrauen zu können. Ich will mich begnügen, wenn ich durch Darlegung der Entwicklung der kleinen Stadt ein wenig das Verständniß der Geschichte des ganzen Landes, dessen Leiden und Freuden sich ja in jenem kleinen Theile ganz getreu wiederspiegeln, gefördert habe. Man darf dem Arndt'schen Worte eine weitere Bedeutung geben, wenn er sagt:

"Das Land, da ihr geboren seid,
Das Land der Treu und Redlichkeit,
War einst ein Land der Schmerzen."

Wir dürfen nie vergessen, wie viele Noth unsere Vorfahren erlitten, wie viele Arbeit sie geleistet, wie viele Trübsal sie bezwungen haben, und zwar allein durch Aufbietung ihrer ganzen Kraft, damit daß große deutsche Vaterland in seiner Herrlichkeit erstehen konnte. Stets müssen wir uns eingedenk sein, welche Pflichten uns dadurch

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von unsern Vorfahren übermacht wurden. Es zeugt von sehr kleinlicher Denkungsweise, wenn zuweilen ausgesprochen wird: "Warum sollen wir bei diesem oder jenem Werke alle Arbeiten thun, alle Lasten tragen, alle Auslagen decken, wir können ja unsern Nachkommen auch etwas zu leisten überlassen." Wer für sein Volk nicht thut, was er kann, wer mit seiner Kraft zurückhält, um bequemer zu genießen, der bildet sich mehr oder weniger zu einem Schmarotzer aus. Zuerst der Einzelne für das Ganze, dann das Ganze für den Einzelnen.


Anhang.


Der Stadt Lage Collecten - Patent
nebst Nachtrag.

Von Gottes gnaden Friedrich Wilhelm, Hertzog zu Mecklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graff zu Schwerin, der Lande Rostock, und Stargardt Herr. etc. .

Demnach Unß Bürgermeister, Raht und gemeine Bürgerschaft der Stadt Lage unterthänigst zu vernehmen gegeben, welcher gestalt daselbst eine große ungleichheit in denen Stadt Collecten gebrauchet würde, daß ein geringer Handwerks= oder ackermann denenjenigen so die Principalste nahrung der gantzen Stadt an sich zögen, und Vielerley Professionen und handthierungen trieben, wodurch denen geringen ihr Brodt entzogen, und frembden, welche sich bey Ihnen nieder zulaßen entschloßen die Gelegenheit benommen würde; weßfalß dieselbe hiemit eine Stadt und privat - Collecten Ordnung unterthänigst übergeben wolten mit gehorsamster Bitte, wir geruheten Ihnen so gnädig zu erscheinen und Sie mit unserer ratification und Confirmation zu versehen, selbige lautet in ihren Articuln würcklich, wie folget:

  1. Sollen alle Professionen und Gewerbe in gewiße Classes eingetheilet, und einem Jeden eine proportionirte quota beygeleget werden, alß:
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Collecten-Patent
  1. Soll ein Jeder bey seiner Profession die Er erlernet, und wozu Ihn gott berufen hat, bleiben, und sich nicht auf den Ackerbaw legen, denn damit versäumet Er die Zeit, verleuret
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endlich seine Kunden, vergißet sein Handwerk, und geräht in den Müßigang, wodurch die Städte in verachtung Kommen, weil von denen Handtwerkern Keine Arbeit und Befoderung zuerhalten, und also die Verkehrung mit auswärtigen sich mit der Zeit gantz verlieret.

  1. Soll auf dem Acker eine Auflage gemachet werden, umb so vielmehr, weil das gröste Vermögen dieser Stadt in liegenden gründen bestehet, und also der Stadt zum Besten billig gesteuret werden muß, weil Er aber durchgehendts nicht gleich gut, noch bequem gelegen ist, so soll Er gleichfalß in 2. Classes getheilet und von dem Besten und nahe belegenen, von jeder Morgen 6 Pf. von dem weit entlegenen und schlechten aber 3 Pf. gesteuret werden.
  2. Damit aber nicht ein oder anderer auch allen Acker an sich bringen möge, so soll auf dem Jenigen Acker so Er über 16 Morgen hätte, ein Duplum und respective anstaat 6 und 3 Pf., 1 ßl. und 6 Pf. geleget werden.
  3. Da auch viele liegende gründe in frembde Hände gerahten, und dadurch der Stadt vermögen merklich verringert worden, die onera hingegen auff die Einwohner haften bleiben, so sollen die Professores die Stadt onera mit tragen, damit nicht mit der Zeit die Stadt pertinentien gantz und gaar davon alieniret, hingegen die alienirte wieder Beygebracht werden mögen, und also dieselbe von einem Jeden Morgen Acker und wiesen zu einem Simplo 6 Pf. beytragen, und soll das gebauete Korn und Hew dafür jedesmahl haften.
  4. Weil der älteste Bürgermeister von Stadt Sachen die meiste mühe hat, wenn Er zugleich Stadtschreibers Dienste mit verrichtet, so soll Er von einer Profession und 4 Morgen Acker frey seyn; von der übrigen Nahrung aber, so Er etwa treibet, steuren.
  5. Gleiche Freyheit soll der Stadt Vogt genießen.
  6. Und weil die Frembde von denen Gewinsüchtigen unterm vorwandt, daß Sie Einkömlinge wären, gaar unfreundlich und übel begegnet würden, Da Sie doch dieselbe an sich ziehen solten, so soll eine nahmhafte Strafe auf dergleichen Excesse gesetzet, hingegen Frembde dahin zu ziehen, eine 2jährige Freyheit von allen Stadt oneribus gelaßen, Sie hingegen zu einer Caution angehalten werden, nach verlauf solcher Frey
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Jahre nicht von dannen zu weichen, oder auch die Collecten von denen 2 Frey Jahren zu erlegen.

  1. Wenn sich ein Frembder zu bauen angeben sollte, und eine wüste Stelle verlangete, dem Jenigen soll eine Stelle für billige Bezahlung gelaßen, oder der Eigenthümer bey verlust der Stelle angehalten werden, innerhalb Jahres Frist dieselbe zubebawen.
  2. Mehr, alß 2 volle Erben, in eins zu bebawen, soll Niemanden erlaubet seyn.
  3. Mit der Einnahme der Collecten Gelder soll es nach der bißhero observirten Verfaßung gehalten, und unter eines Raths Gliedes und des Cämmerey Bürgers verwahrung beybehalten werden.
  4. Wann durch obige Ahrt zu Collectiren ein Vorrath bei der Stadt gemachet werden Könte, so soll Er zu einigen vorfallungen und zu der Stadt besten, und Abtrag der Stadt Schulden angewandt werden.
  5. Zu solchen Ende soll ordinarie ein Simplum oder Einfache Collecte 4 mahl des Jahrs öfter oder weniger nach erheischender noht angeleget, und nach dieser proportion in andern Anlagen, bey Einquartirungen und Repartitionen verfahren werden, wo von der effect zu der Stadt besten sich Zeigen wirdt.
  6. Damit aber ein oder ander Wiederspenstiger sich dieser zur Billigkeit und Stadt besten abzielenden Ordnung nicht wiedersetzen, noch andere an sich ziehen Könne und müsse; So soll der oder die Jenige jedesmahl, wenn Er oder Sie dawieder handeln solten, mit 5 Reichsthaler Strafe beleget, und dieselbe durch Execution sofort eingetrieben, und darin nicht die geringste Nachsicht gebrauchet werden.
  7. Und weil das Städchen in so schlechten Zustande ist, daß niemandt mit der Außgabe verschonet werden Kann, so soll dennoch denen Einwohnern welche eine wüste Stelle Bebawen, Ein Jahr; denen Frembden aber (wie oben im 8ten punct verfaßet) 2 Jahre Freyheit gelaßen worden. Wenn aber ein Einwohner Bereits ein Hauß gebauet, und deßfalß die Frey Jahre genoßen hätte, soll Er, wenn Er zum andern mahl bauen solte, dieses Frey=Jahr nicht praetendiren.
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  1. Bey Einquartirungen soll ein Bürgermeister, einer des Rahts, die Viertelßmänner und aus Jeden Virtel ein Bürger, aber nicht einer allein, ohne ansehen der Persohn, Keinen zu verschonen, dieselbe einrichten.

Daß wir dahero zu befoderung und Erhaltung guter Nahrung in unser Stadt Laage die unterthänigst gesuchte und gebetene ratification und Confirmation einhalts vorbesagter von unß revidirter articuln der Collecten Ordnung gnädigst eingewilliget, confirmiret und Bestätiget haben; wollen demnach, daß Sie solche Ordnung hinfüro auch ordentlicher weise gebrauchen, und im geringsten nicht dawieder handlen sollen.

Gebieten und Befehlen darauf unsern jetzigen und Künftigen Beampten zu Güstrow, daß Sie Bürgermeister, Raht und Gemeine Bürgerschaft bey allen und Jeden Articuln, so in obberührter Collecten Ordnung begriffen seyn, Kraft dieser unser Begnadigung biß an unß gebührendt schützen und mainteniren sollen, alßo Ihrer vorgesetzten Ordnung ohne Männigliches Verhinderung und Eintrag geruhiglich genießen und gebrauchen laßen bey Vermeidung unserer Ungnade und willkührlicher Strafe. Deßen zu Uhrkundt haben wir diesen unsern Confirmations - Brief mit unserm Fürstl. Insiegel bestärken laßen; So geschehen in unser Residentz - Stadt und Vestung Rostock den 9ten Julij Anno 1704.

(L. S.)

Ad mandatum Serenissimi proprium.

Fürstl. Mecklenb. Verordnete Praesident und Regierungs=Rähte.


V. G. G. Friedrich Wilhelm H. z. M. cum toto titulo:

Demnach Unß Bürgermeister und Rath wie auch gesambte Bürgerschaft Unser Stadt Lage, in Unterthänigkeit zu vernehmen gegeben, wasmaßen unter ihnen wegen haltung des Viehes bey denen allgemeinen Stadtfuhren angelegter Vergleich bewilliget und in gewiße Puncta abgefaßet worden, mit unterthänigster bitte, Wir geruhen wolten, ihnen so gnädigst zu erscheinen und Unsern Fürstlichen Consens und Confirmation darüber zu ertheilen; daß Wir demnach solchem ihrem unterthänigsten und zu Befoderung gemeiner Stadt bestens abzielendem petito gnädigst deferiret, und obberegten Vergleich in allen puncten ratificiret und bestätiget haben. Thun

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auch solches hiemit und in Krafft dieses so viell auß Landes Fürstlicher Hoheit und Macht auch von Rechts und gewohnheit wegen geschehen kan und mag, wißend= und vollbedächtlich Uhrkundtlich etc. . So geschehen, Schwerin d. 21. Septbr. A. 1706.

Puncta.

Worüber hochfürstl. Confirmation unterthänigst gebehten wirdt

  1. Soll von denen Einwohnern in der Stadt Laage, wegen haltung des Viehes folgende Maaße und Ordnung gehalten werden: daß der Jenige so von 24 oder mehr Morgen Acker steuret und also zur ersten Classe gehöret, halten könne 4 Pferde, 4 Ochsen, 4 Kühe, 2 Rinder und 12 Schaaffe, so aber von 12 bis 20 Morgen, der zweiten Classe, 3 Pferde, 2 Ochsen, 3 Kühe, 1 Rindt und 6 Schaaffe, die Jenigen aber so nur von 6 bis 12 Morgen beytragen, und also in der dritten Classe gerechnet sindt, nicht mehr den 2 Pferde, 2 Ochsen, 1 Kuhe und 4 Schaaffe zuhalten befuget seyn sollen.
  2. Die Jenigen welche keinen Acker haben, sollen nicht mehr den eine Kuhe, und 4 Schaaffe auff gemeine Weide bringen, wann aber Jemandt ein mehres außer waß alhier und in Vorigen puncte versehen, an Vieh solte halten wollen, soll, wann Bürgermeister und Raht befinden wirdt, daß dadurch Gemeine Weide nicht übertrieben werde, dafür folgendes Weide geldt gemeiner Stadt, Vor jedes Pferdt oder Stück Rindt Vieh 16 ßl., vor jedes Schaaf aber 4 ßl. erleget werden.
  3. Weiln ein Jeder durchgehendts von besäeten und unbesäeten Acker steuret, hat derselbe den unbesäeten Acker oder Drösch für sich allein zugenießen, und ist also niemandt bey 16 ßl. Straff vor jedes stück Vieh Klein oder Groß so darauf betroffen wird befugt eines andern Drösch zubehüten; wie den auch sich niemandt unterstehen soll, seine Ochsen, bey 2 Rthlr. Straff absonderlich hüten zulaßen, sondern in gemeine Stadt hude zutreiben, damit wegen der angrentzenden Besäeten stücke, wie bishero öffters geschehen, denen benachbahrten an ihren Korn kein Schade zugefüget werde.
  4. Nachdem auch die Schaaffe so in der gantzen Stadt Laage gehalten werden eine Zimliche Anzahl außmachen, soll zu mehreren Nutzen der Stadt und Bürgerschafft damit ein Hürden Schlag angeleget werden und der Jenige welcher das für den lager auff seinen Acker haben will von 2 bis 400
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Schaaffen Jedesmahls für die Nacht 6 ßl. von mehr Schaaffen aber nach proportion ein mehres der Stadt zum Besten bezahlen, und solches der gemeinen Cämmerey anheim fallen.

  1. Soll auch ein Jeder außwärtiger so Acker auff den Laager=Felde hat, gehalten seyn, noch vor der Bevorstehenden Erndte für jeden Morgen per aversionem Einen Rthlr. der Stadt zum Besten zu entrichten, wofür das auff solchen Stücken befindliche Korn hafftet.
  2. Die zur Pfarre gehörige Acker sindt zwar frey, wann aber davon ein Bürger einige in heuer hat, sollen ihme dieselbe in haltung des Viehes nicht zustatten Kommen, Von den Kirchen Acker aber wirdt gebührendt gleich andern gesteuret.
  3. Von einem Jeglichen garten der von einer wüsten Haußstelle gemahet ist, soll der Schoß alß von einen hause nach proportion entrichtet werden.
  4. Wann es sich auch befinden solte, daß ein oder ander von seinen Acker etwas verschwiegen oder Weniger alß Er in der that nach den Einfall hält, angegeben hätte, soll nunmehro da die eingeräumbte frist verfloßen für jeden Scheffel verschwiegenen Acker 1 fl. Straffe erleget werden.
  5. Mit der heu Werbung soll es hinfüro also gehalten werden, daß die Jenigen welche von 24 und mehr Morgen steuren, die 16 bis 24 Morgen haben 8 Persohnen, von 16 bis [12 aber] 12 Persohnen, und die übrigen welche weniger oder gaar keinen Acker haben, 16 Persohnen zu einer Kafel gerechnet werden.
  6. Dahingegen sollen die Jenigen so obgedachter maaßen zur ersten Classe gehören, zu denen Krieges und anderen fuhren 2 Pferde, die von der anderen Classe 2 Pferdt, und von der dritten Classe ihrer Zweene 1 Pferdt hergeben die übrigen aber an gelde nach proportion und Billigkeit zu Zehrungs und andere Kosten Beytrag thun.
  7. Solte auch bey solchen allgemeinen Stadt fuhren und insonderheit in Krieges Zeiten ein oder ander Pferdt Verlohren gehen, und Schaden leiden, auch an denen Wagens Schade geschehen, träget selbigen gemeine Stadt, es wehre dann daß ein solches Pferdt an sich untüchtig gewesen, oder der Eigenthümer und deßen Knecht es vorwahrloset hätte.

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Die Glocken der Lager Kirche.

In dem Thurme hängen zur Zeit drei Glocken. Die kleinste trägt die Inschrift: GAUDIO NOBIS STAT OBVIA TRIBULATIO. ANNO MDCLIII. Ueber dieselbe ist nichts Näheres bekannt. Die zweite Glocke, die Pastor Clasen schon vorfand, war im Jahre 1714 durch Ungeschicklichkeit der Läuter zersprungen und mußte umgegossen werden. Sie hatte 940 Pfd. Gewicht; dem Glockengießer wollte man nicht undedingt trauen, da dieser in steter Versuchung war beim Einschmelzen statt des alten guten Materials schlechtere Speise zu nehmen. Clasen reiste also nach Rostock, kaufte dort selbst 208 Pfd. Metall je 13 1/2 ßl. und ließ in seiner Gegenwart die Glockenspeise in den Kessel thun. Für das Gießen bezahlte er für das Pfund 1 1/2 ßl. Die in Rostock umgegossene Glocke zersprang wiederum am Charfreitage 1728. Da ihm der Rostocker Meister nicht gefallen hatte, wandte er sich an den Gießer Lorenz Strahlenborn in Lübeck und derselbe stellte die jetzige mittlere Glocke her. Dieselbe hat die Inschrift: "Unter der Regierung Ihrer Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit, als Patron dieser Kirche, Herrn Carl Leopold, Herzog zu Mecklenburg, ist diese Glocke Anno 1728 zu Lübeck, nachdem sie am stillen Freitage unter dem Geläute geborsten, auf Veranstaltung des damaligen Pastors Herrn Christian Friedrich Clasen und der Vorsteher Wilhelm Sasse, Christian Albrecht Buseke umgegossen durch Laurenz Strahlenborn". - Obere Rundschrift: "Wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird. Matth. 24, 42." Untere Rundschrift: "Ihr Menschen, wachet auf, verlaßt das Sündenleben. - Der Richter kommet bald, euch euren Lohn zu geben. - So oft mein heller Klang euch in die Ohren dringt, - So denkt, daß jede Stund euch vor den Richter bringt!" Außerdem befinden sich auf der der Inschrift entgegengesetzten Seite fünf Abdrücke von Münzen resp. Denkmünzen erhaben aufgelegt. Oben stehen in einer Reihe drei, unten zwei. Die erste oben links zeigt ein weibliches Brustbild mit der Umschrift: CHRISTINA D : G : SVE : GO : WAG : DE : RE : ET : PH :. Die zweite zeigt ein männliches Brustbild mit der Umschrift: D. G. ADOLPH FRIEDRICH III — MECKLENBURG, Die dritte zeigt eine Königs=Krone mit der Umschrift: IIII MARK DANSKE 1724. Die erste unten links hat ein leider undeutliches Wappen, darüber die Inschrift: Inschrift Die zweite zeigt eine Burg

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mit Umgebung, darüber steht: CONSILIO STAT FIRMA DEI. Darunter: MEGAPOLIS IUBILANS ANNO 1717. 31. Oct. Sämmtliche Münzen (die erste ist die kleinste, die letzte die größte) sind größer wie ein Thaler, die letzte etwa wie ein Doppelthaler.

Die größte Glocke endlich stammt aus dem Jahre 1721. Die Mittel zur Anschaffung lieferte ein durch den Müller Hans Voht testamentarisch geschenkter Glockenacker, auch eine Sammlung von milden Gaben (50 Thlr.). Diese Glocke wurde in schöner Weise vollendet, mit feinen Ornamenten (Blattwerk) geschmückt, wog 1923 Pfd. und wurde am 3. Januar 1722 glücklich ohne alle Gefahr auf den Thurm gebracht. Am Dreikönigstage hielt Clasen unter großem Zulauf die Weihrede. Sie hat die Inschrift: "Unter der Regierung Ihrer fürstlichen Durchlaucht, Herrn Carl Leopold, Herzog zu Mecklenburg, ist Anno Christi 1721 diese Glocke im Namen Gottes auf Veranstaltung des damaligen Pastors allhie zu Lage Christian Friedrich Clasen, der Vorsteher der Kirchen Wilhelm Sasse und Christian Buseke gegossen, nachdem der von Hans Vohten seel., gewesenen Mühlenmeister hieselbst, hierzu vormals geschenkter acht Morgen Acker, auch viele milde Gaben, nicht weniger Kirchengelder dazu angewandt". Obere Rundschrift: DEO SOLI GLORIA. Untere Rundschrift: "Laurentius Strahlenborn ME FECIT LUBECAE Anno MDCCXXI. Gloria in excelsis DEO. - Kinder, es ist die letzte Stunde. 1. Joh. 2, 18. - Gott gebe, daß dich nie ein Unglücksfall berühret, - Bis Gott uns allesammt vor sein Gericht citiret. - Weil Erd und Himmel stehen, - Laß er dein helles Klingen - den Sündern jederzeit - durch Herz und Seele dringen." - Der Hauptinschrift gegenüber ist ein großes Crucifix.


Bürgermeister der Stadt Lage.

Bürgermeister der Stadt Lage
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Bürgermeister der Stadt Lage

Stadtrichter in Lage.

Stadtrichter in Stadt Lage
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Stadtrichter in Stadt Lage

Pastoren der Gemeinde Lage.

Pastoren der Gemeinde Lage

Schulmeister oder Cantoren (später Rectoren) in Lage.

Schulmeister oder Cantoren in Lage
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Schulmeister oder Cantoren in Lage

Sagenhafte Nachrichten.

I. Studemund erzählt vom Köppenberg bei Kronskamp: Des Ritters Tochter Marie hatte ein Liebesverhältniß mit einem Knappen, das der Vater entdeckte und untersagte. Hierauf folgten heimliche Zusammenkünfte; ihr Kind ermordete Marie aus Angst vor dem Vater. Man entdeckte die That, und sie wurde auf dem Berge geköpft. Der Knappe stürzte sich in die Recknitz. Man hört in der Nacht vom Köppenberg manchmal den Ruf: "Marie." Im dumpfen ängstlichen Klageton schallt aus der Tiefe des Flusses der Ruf: "Arme Marie".

Anm. Von dieser Sage hört man jetzt nichts mehr. Studemunds Angaben sind nicht ganz zuverlässig.

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II. Der heilige Geistberg war, bevor die Chaussee hindurch gelegt wurde, wüst und mit Buschwerk vielfach bestanden. Die Gegend war unheimlich. Der Jäger Schmidt aus Kronskamp ging einst in der Nacht über den Berg. Plötzlich fühlte er Schauer um sich wehen, sein Hund wollte nicht weiter und drängte sich ängstlich an ihn, schnappte wiederholt in die Luft wie nach etwas Unsichtbarem. Er selbst stand wie gebannt, nahm seine Flinte schußgerecht und wartete. Da war es als hörte er deutlich Jemanden mit schwerem langsamen Schritt den Berg heraufkommen, der offenbar eine große Last trug, er konnte aber nichts sehen. Unmittelbar vor ihm warf Jemand einen schweren Sack oder dergl. auf den Boden, dann war Alles still, der Hund ward ruhiger und sie gingen unangefochten über den Berg. - Wenn der Schäfer aus Klein=Lantow in der Nähe des Berges seine Hürden aufschlug, geschah es wohl, daß die Schafe des Nachts wie toll aufsprangen, entsetzt durcheinander rannten, die Hürde durchbrachen und davon stürmten. (Chausseewärter Schmidt.)

III. Die Gegend bei der Schwenknitz ist berüchtigt durch mancherlei unheimliche Wesen. Besonders treibt dort "dei Lütt" (der Kleine) sich um. Er gesellt sich zu Wanderern und neckt sie, führt sie irre, stößt sie in den Graben u. s. w. Der Pastor Schulze war ein eifriger Freund der Jagd und hatte bei solchem Gewerbe auch einmal Gelegenheit seine Bekanntschaft zu machen. Er vernachläßigte nämlich oft in gröblicher Weise sein Amt; z. B. begegneten ihn einst auf einem Jagdzuge etliche Subsiner, die sich zur Beichte angemeldet hatten und von ihm vergessen waren, er hatte nicht Lust zur Umkehr und nahm unter der Begründung "die Welt ist überall des Herrn" ihnen die Beichte an der Grabenborte ab. Später einmal ging er am Sonnabend Abend, nachdem er am Nachmittage selbst gebeichtet hatte, mit seiner Flinte durch das Holz. Plötzlich gesellte sich "dei Lütt" zu ihm und schritt immer stumm, offenbar unschlüssig, neben ihm her. Der Pastor Schulze faßte sich nach dem ersten Schrecken und fragte, was er wolle. Da sah ihn sein Begleiter seltsam an und sprach: "Ja, wenn Du man hüt nich bicht harst, denn wull ick di woll ganz wat Anners wiesen". Damit war er verschwunden. Schulze ging in Folge dessen in sich und ließ das Jagen. Seitdem beschäftigte er sich mit dem Fischfang, er hatte viel Glück, aber einst fiel er dabei ins Wasser, zog sich eine schwere Erkältung zu und starb. -

Auf dem Subsiner Wege warf "dei Lütt" einst ein Fuhrwerk um, auch erschreckte er den dortigen Verwalter, der oft nach

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Lage kam, spielte und trank, so sehr, daß dieser niemals, sobald es anhub zu dämmern, den Weg mehr ging, sondern einen Umweg über Breesen wählte. Was er erlebte, wollte er selbst in Trunkenheit nicht verrathen. (Frau Senatorin Buhse.)

Auch machte sich in der Schwenknitz oft ein unheimlicher Reiter bemerkbar. Ein Wagen fuhr ganz früh in der Dunkelheit hochbepackt auf der Landstraße, die durch die Gegend führte, um nach Teterow zum Jahrmarkt Waaren zu bringen. Die Begleiter gingen nebenher. Plötzlich hörten alle drei deutlich den scharfen Trab eines Reiters, der von hinten heransprengte. Die Schritte des Pferdes und das Rücken des Reiters im Sattel waren unverkennbar, er kam so überraschend und mitten auf dem Wege heran, daß der Fuhrmann ängstlich zur Seite lenkte, ein Begleiter in den Graben sprang, der andere von hinten auf den Wagen kletterte. Alle sahen sich scheu um, plötzlich war es ganz stille. - Noch einmal begegnete einem Fuhrmann etwas ähnliches. Diesmal hörte er scharf vor sich den Pferdetrab, sprang erschrocken zur Seite. - Alles war still. (Kaufmann Thiemann.)

Unweit der Schwenknitz rechts von der ältesten Landstraße nach Teterow zu (die über den heutigen Schützenplatz führte), lag der Galgenberg, auf dem im Anfange dieses Jahrhunderts noch der Galgen stand, allerdings hatte er sich geneigt und stützte schwerfällig seinen Arm auf den Boden. (Später wurde die Landstraße verlegt und ging in der Richtung des heutigen Subsiner Steiges.) Einst kam ein lustiger Wanderbursche die Straße daher, am Galgen hing ein Gerichteter, er ging frisch auf ihn zu und grüßte ihn spöttisch. Da fing der Todte an zu reden und sprach: "Morgen um diese Zeit erwarte ich dich; kommst du nicht, so hole ich dich!" Entsetzt stürzte der Bursche von dannen und eilte in die Stadt, laut sein grausiges Schicksal beklagend. Alle, die ihn hörten, erfaßte Schrecken und Mitleid, aber sie wußten nicht zu rathen. In seiner Noth schlich er betrübt zum Geistlichen, doch fand er hier guten Trost: "Hingehen mußt du, sprach der Pastor, sonst holt er dich, und du bist sicher verloren. Aber ich will mit dir gehen und seiner Macht mit Gebeten und Sprüchen wehren; so wirst du gerettet". Am nächsten Tage wurden die Glocken geläutet, ein großer Haufe Volkes gab dem muthigen Pastor und dem zitternden Burschen das Geleite, doch wurde die Schaar mit der wachsenden Entfernung von der Stadt immer kleiner, die Muthigsten blieben dort, wo der Weg durch einen Einschnitt in den Berg führte, denn mit gesträubten Haaren sahen sie, wie der Gehenkte allerlei lustige Sprünge am

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Galgen machte, als freue er sich und winke seinem Opfer. Unverzagt im Gottvertrauen schritt der Pastor, den Begleiter stützend, heran, laut betend und beschwörend. Krachend stürzte der eben noch so Bewegliche herab und lag steif und starr am Boden, der Pastor grub ihm mit Hülfe seines Begleiters ein Grab, und unter lautem Lobpreis Gottes kehrten sie ungefährdet zur Stadt zurück. (Kaufmann Thiemann. Die obige Sage wird auch aus einer andern Gegend Meklenburgs, soweit mir bekannt, erzählt.)

IV. Der Bürgermeister Artener hatte durch sein schlimmes Regiment außerordentlich viel Leid über die Stadt gebracht, in Folge einer grausamen Gewaltthat wurde er von einer Frau (Bunkenburg) verflucht, daß einst noch die Thiere mit seiner Leiche herumstoßen würden. Als er gestorben war, trug man seinen Leichnam im Sarg in üblicher Weise vom Wohnhause am Markt durch die Kirchenstraße; bevor man indessen den Kirchhof betrat, erscholl der Ruf, es brenne im Artenerschen Hause ein heller Schein leuchtete auf, als führe er aus dem brennenden Schornstein, eiligst stellte man die Bahre auf die Straße und stürzte zum Löschen zurück. Da behaupteten Etliche ganz gewiß, daß sie eben gesehen hätten, wie der Todte breit im Fenster gelegen und sie höhnisch angegrinst hätte, man fand kein Feuer und stand erschrocken und zweifelnd, was das Ganze bedeute, still. Inzwischen ließ ein Kaufmann aus der Nachbarschaft seine Ochsen aus dem Thorwege, um sie zur Tränke zu treiben, diese kamen zu der unbeachtet stehenden Bahre, scheuerten sich an dem Sarge, derselbe fiel und erschreckt durch sein Poltern fuhren die Ochsen auf ihn ein, daß er zersprang und der Leichnam auf den Hörnern hing, sie schleuderten ihn hin und her, bis man sie vertrieb. Obwohl nun Artener ein ehrliches Grab fand, hatte er in demselben keine Ruhe, er spukte fortwährend in dem Hause, das er bisher bewohnt hatte. Insbesondere hörten die Leute spät am Abend, wenn sie in der unteren Stube saßen, in der Giebelstube über sich plötzlich ein Scharren, als ob ein Tisch zurückgeschoben würde, an dem Leute gesessen hatten. Dann sagten sie: "Hei spält all werre Korten". Da man die Stube nicht benutzen konnte, so ließ man endlich zwei Jesuiten kommen, die als Geisterbanner bekannt waren. Dieselben bannten ihn auf den hohen Kamp, in der Nähe des Kuhdammes stand eine Gruppe Erlen, in einen Baum hinein wurde er gebannt, und das Loch, durch welches er einschlüpfte, wurde sorgfältig zugepflockt. (Frau Senatorin Buhse.)

V. Das Schatzgraben war noch am Ende des vorigen Jahrhunderts in Brauch. Den Küster hatte man in Verdacht, daß

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er die Schätze aus den alten Särgen, die im Gewölbe unter dem Kirchenchore standen, gehoben habe. Auf der Stelle des alten Schloßberges brannte oft ein Schatz, der aber nicht gehoben wurde. Bei Polchow lag ein sog. rauher Berg unweit des Sees, auf dem gleichfalls zuweilen ein Schatz sich meldete. Drei Lager machten sich auf, um ihn zu erwerben. Da sie indessen noch nicht erfahren genug bei ihrer Arbeit waren, so hub sich plötzlich am jenseitigen Ufer des Sees eine Flamme, zog über das Wasser, kam zu ihnen und fiel vor ihnen in den Boden, worauf sie erschrocken sich davon machten. Durch diese Erscheinung war aber die Anwesenheit des Schatzes festgestellt. Nachdem sie bei einem Sachverständigen in die Lehre gegangen waren, machten sie sich abermals auf, alle Geräthe wurden durch Kreide mit den nöthigen Zeichen versehen, es ward ein Kreis gezogen, in den alle traten. Unter tiefstem Schweigen begann das Graben. Ein großer Stein lag ihnen im Wege, um den sie glücklich herumgruben, aber bei Tagesgrauen hatten sie noch nichts gefunden. Etwas entmuthigt gingen sie heim. Am nächsten Nachmittage mit sinkender Sonne waren sie wieder da. Wer beschreibt ihren Aerger, als sie sahen, daß der große Stein aus seiner Lage gerückt und in die Grube gewälzt war, hinter dieser aber eine Höhlung sich zeigte, in der offenbar der Schatz geruht hatte, er war fort. Von Stund an besserte sich der Wohlstand des Küsters von Polchow, er konnte sich gute Tage machen und seine Söhne tüchtig ausbilden lassen. Offenbar hatte er am hellen Tage die Grube gesehen, neugierig den Stein gerückt, den Schatz gefunden. (Kämmerarius Dehn.)

VI. Beim Scheibenstand in der Ueker war es nicht richtig. (Der älteste Scheibenstand war im Wallgraben, von dort wurde er in die Ueker verlegt, hernach zum Judenkirchhof, endlich auf seinen jetzigen Platz.) Ein Scheibenzeiger ging längere Zeit vor dem Schützenfeste einst am hellen Tage mit einigen Begleitern durch die Gegend, plötzlich sehen sie bei dem Scheibenstande einen Mann, der winkte mit einer rothen Fahne, als wollte er Zeichen geben. Beim Näherkommen war er verschwunden. Als der Königschuß nahte, drang man allgemein in den Scheibenzeiger, diesmal seines Amtes nicht zu walten; obwohl man ihm alle Vergünstigungen desselben zusagte weigerte er sich zurückzutreten. Eine Kugel, die wahrscheinlich irgendwo abgesetzt hatte, traf ihn so, daß er sofort todt war. (Kämmerarius Dehn.)


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Nachtrag einzelner Nachrichten.

1552. Restaurirung des abgebrannten Thurmes.
1577. Herzog Ulrich befiehlt auf Klage des Müllers Marschalk Berner, daß die Bürgerschaft den Mühlenbach (die Recknitz) krauten soll, alle Wehre, Stege, Dämme, die sie hineingebracht, herausreißen, weil dadurch das Mahlen geschädigt und den Mühlmetzen des Fürsten Abbruch gethan wird.
1593. Die Tuchmacher in Lage beschweren sich, daß die Gewandmacher in den umliegenden Städten ihnen entgegen sind, und nicht leiden wollen, daß sie ihr Gewand auf öffentlichen Märkten verkaufen, während doch Tuchmacher von Alters her in Lage gewesen sind.
1594. Der Rath stellt ihnen ein darauf bezügliches Zeugniß aus.
1612. Vier Schweine wurden sonst vom fürstlichen Amte auf die Mühle gethan und daselbst fett gemacht. Hans Albrecht von Meklenburg erläßt die Last auf 10 Jahre.
1629. Die Lager klagen beim Fürsten, daß der Adel auf dem Stadtfelde jage, die Saaten zertrete, mit Netzen auf Stadtgebiet fische.
1636. Vorsteher klagen, daß so viele Schulden an die Kirche nicht entrichtet würden, deren Thurm nothwendig reparirt werden müßte.
1661. Der Magistrat der Stadt bittet nach abgelegtem Huldigungseide den Herzog Gustav Adolf um Bestätigung der städtischen Privilegien. Dieselbe erfolgt im nächsten Jahre.
1663. Die Bürger sollen die Recknitz räumen, Handmühlen abschaffen, ihr Korn nicht zu andern Mühlen fahren. Die Bürger haben auch Grützmühlen, der Amtsmüller und der Kornschreiber reißen sie weg. Darauf beschweren sie sich, weil sie solche seit undenklicher Zeit gehabt haben.
1667. Der Müller beschwert sich, daß der Landrath von Lehsten auf Wardow einen Mühlenbau auf seinem Gute beabsichtigt.
1669. Die Recknitz ist seit 40 Jahren nicht geräumt. Es wird vorgeschlagen, daß die angrenzenden Vogteien dieselbe in zweitägiger Arbeit aufräumen sollen.
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1670. Der Herzog decretirt der Kanzlei, daß das jus primae instantiae über Lage, Krakow und Teterow dem Amte Güstrow, und so lange kein Hauptmann vorhanden sei, dem Kammerrath Hans Albrecht Schütze bei seiner Bestellung beigelegt werde.
1673. Zu Weihnachten ist durch außerordentliche Wasserfluth und Sturm, gegen welche die Oeffnung aller Schütten nichts nützte, der Damm bei Lage an mehreren Stellen durchbrochen und unpassirbar gemacht. 4 Löcher wurden gerissen, 12 Ruthen Damm verschwanden. Beim Müller stand im Hause das Wasser ellentief, wenn der Damm nicht gebrochen wäre, so wäre die Mühle weggeschwemmt. Der Mühlenmeister Hans Voht bat um Restaurirung. Der Amtsverwalter erchielt Befehl, den Damm machen zu lassen, der Zöllner sollte ihm das Geld dazu geben.
1674. Hans Albrecht Bunkenburg bittet ds Stadtvogt die fürstlichen Beamten, nach üblicher Weise, wie sonst alljährlich, einen Gerichtstag in Lage abzuhalten, da bisher viele Sachen darauf verschoben sind.
1683. Die Stadtregister werden im Beisein der Stadtvertretung vom Amtsverwalter aus Güstrow aufgenommen.
1692. Die Stadt verkauft an den Bürger Samuel Kägeler soviel Boden am Pludderbach, daß er eine kleine Papiermühle darauf anlegen kann. Er darf aber nur zwei Stampfen errichten, ohne eigne Wohnung.
1694. Ein großer Brand (der vierte) in Lage.
1697. Der Müller Christian Mau beschwert sich über den Bürgermeister Rosenow, daß er ihn aus dem Vogtstuhle ausgewiesen habe (in der Kirche), auch nicht leiden wolle, daß er einen Kahn auf dem Flusse halte und Rohr werbe.
1703. Conrad Walter, Stadtmusikant in Güstrow, erhält das Privilegium, allein im Amte Güstrow, also auch in den Städten Lage, Teterow, Krakow bei Gelegenheit von Hochzeiten u. s. w. Musik zu machen. Dagegen bittet der Rath in Lage um einen eigenen Musikanten.
1705. Die Bäcker haben bisher kein Amt gehabt und nun solches unter sich aufgerichtet.
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1707. Die Schützenzunft bittet den Herzog, die ihnen gewordene Gabe aus der Accise von 10 Thlr. auf 15 - 16 Thlr. zu erhöhen.
1708. Die Stelle eines Mühlen= und Accise=Aufsehers ist erledigt, es findet sich Jaspar Hartwig zu derselben, wenn er sicher gestellt wird, daß ihn Niemand wegen solcher Function attakiren und für unehrlich halten darf, ferner daß er nicht aus der Schützenzunft gestoßen wird, daß sein Salarium gebessert, etwaige Versehen nur an seinen Gütern gestraft werden.
1712. Herzogliche Verordnung, daß die Feuerstellen im Orte nachgesehen werden, geändert, wo sie feuergefährlich sind. Das Korn soll nicht in die Häuser gefahren werden, sondern in die Scheunen. Neue Scheunen sind außerhalb der Stadt anzulegen.
1715. Weil der Licent=Aufseher zugleich Stadtknecht ist, muß er oft dem Rathe dienen und zu dieser Zeit geschieht viel Unterschleif. Beide Posten sollen getrennt werden, was dem Rathe nicht gelegen kommt, er versucht, die Thorbude als Stadtknechtswohnung zu reclamiren und wird beschuldigt, daß er gerne defraudiren möchte.
1718. Die fürstliche Wege=Commission bittet, den Amts=Küchmeister in Güstrow anzuweisen, Steindamm und Mühlenbrücke bei Lage zu restauriren.
1720. Restaurirung des Thurmes.
1723. Erweiterung der Concession an den Papiermüller Dethlof Heuser und Erlaubniß, sich bei der Mühle niederzulassen.
1730. Der Zöllner darf den vor der Stadt nahe an der Recknitz belegenen Zollberg bebauen und den dazu gehörigen Raum als Garten nutzen.
1732. Der Procurator camerae theilt dem Fürsten eine Beschwerde des Güstrower Amtes mit, darüber, daß seit 1718 vor demselben seitens der Stadt Lage nicht das Geringste eingeklagt sei, so daß es scheine, als wolle sich die Stadt der Jurisdiction des Amtes entziehen.
1737. Christian Ludwig bescheinigt, daß die Aufräumung der Recknitz niemals Schuldigkeit der Lager gewesen sei, vielmehr solches Pflicht des Amtes sei. Wenn die Lager die Aufräumung besorgten, so sei das nur guter Wille.
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1749. Der Stadtrichter Hancke, der vom Herzog zum Commissar bei dem Königschuß ernannt ist, beschwert sich bei demselben, daß er nicht genügend geehrt sei. Es sei Sitte gewesen, daß der Commissar sonst durch die Fahne und 12 bis 16 Mann unter Musik abgeholt sei, diesmal sei er nur durch 5 Mann abgeholt und zurückgebracht. Auch hätten sich die Bürger in seiner Gegenwart geschimpft und geprügelt, so daß er weggehen mußte.
1752. Tischlermeister Heidtmann wurde jämmerlich von einem Bösewicht erschossen und hinterließ eine Wittwe mit sieben Kindern.
1755. Es wird ein zweiter Klingbeutel eingeführt, dessen Ertrag Cantor und Küster theilen sollen.
1775. Die beiden Kirchenvorsteher legen ihr Amt nieder, es wird ein Kirchenvorsteher oder Kirchenprovisor Rocksin bestellt.
1781. Starke Ruhr in Lage.
1795. Einweihung der durch den Orgelbauer Friese=Polchow für 595 Thlr. gelieferten Orgel.
1799. Die Bürger hindern gewaltsam das Auskaveln der Langkavelwiesen, weil ihnen der Termin zu früh ist.

Flurnamen.

Es ist nicht ohne Interesse, auf die Flurnamen zu achten, eine Fülle von Bezeichnungen ist über die Feldmark ausgestreut; meist alt, oft recht treffend sind sie, der Ackersmann konnte mit ihrer Hülfe sich auf dem vielgetheilten Grunde leicht zurecht finden.

Im Allgemeinen muß auffallen, daß die Niederungen sämmtlich ächt deutsche Namen tragen, wohl weil die Einwanderer sie erst nutzbar machten und entwässerten, dagegen haben etliche größere Ackerflächen wendische Namen.

I. Wendische Namen.

1) Auf dem Pinnower Felde. Allerdings weiß zur Zeit kaum ein Lager noch, wo solches zu suchen ist, der Name ist seit

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der Neugestaltung der Schläge vor hundert Jahren im Volksmunde verschwunden, früher war er sehr geläufig, wie die Visitationsprotokolle nachweisen, die Kirche hatte viele Stücke auf dem Pinnower Felde, nach damaligen Angaben läßt sich seine Lage leicht bestimmen, es findet sich auf jenem Viereck, das so auffallend nach Wardow vorspringt. Wir haben schon gehört, daß die Stadt es 1346 ankaufte. Auf der Karte findet man in der Nähe "die Dorfstellen", dabei den Pinnower Teich. Nach Kühnel bedeutet Pinnow Ort, wo Baumstämme sind. (Unmittelbar an die Dorfstellen rührt das Steinland, wo sich der frühere alte Bestand von mächtigen Eichen fand.) Die Eintheilung des Feldes nahmen die Städter nach Erwerbung desselben vor und rechneten von der Stadt aus nach dem vordersten, mittelsten, hintersten Schlage.

2) Auf der Ture. Der Lager meint heute "auf der Tour" müsse man schreiben, als ob es ein so weiter Weg zu jenem Acker wäre. Er liegt bei den Dorfstellen und gehörte sicherlich einst zum Dorfe Pinnow. Es kommt dieser Name zur Wendenzeit in Meklenburg vor, gab es doch einst ein Land Ture, wo jetzt das Amt Lübz sich ausdehnt (Jahrbuch X, 33 - 35). Nach Kühnel stammt der Name von turu, Auer=Ochse, und bedeutet "Auerort".

3) Auf der Schwenknitz oder Schwendnitz. Vom wendischen Burgwall östlich am Wiesenquerthale entlang erstreckt sich das so bezeichnete Land, wo heute meistens Kiefern stehen, es gehörte darum wohl den Bewohnern der Vorburg. Nach dem altslavischen svetu, heilig, wäre es heiliger Ort zu deuten.

4) Auf der Dickstow. Der so genannte Acker liegt unweit des vorigen. Die jetzige Schreibart "Dieckstau", (als ob dort ein Teich gestaut wäre) ist geschichtlich unberechtigt. Ich vermag den Namen allerdings nicht zu deuten. - Auffallend ist, daß der der Pfarre sicherlich schon bei deren Gründung überwiesener Acker auf wendischem Grunde liegt, wahrscheinlich ist mit bestimmter Rücksicht auf den dem Heidenthume abgerungenen Boden auch hier verfahren.

II. Deutsche Namen.

Ein Blick auf die Karte lehrt, daß nach Gründung der deutschen Stadt, die entfernt von wendischen Ansiedlungen angelegt wurde, alle Aecker in deren nächsten Umgebung deutsche Namen erhielten.

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a. Mehrfach findet sich die Zusammensetzung mit "Stücke" zur Bezeichnung von Aeckern so: Fußstücke, Pachtstücke und Paalstücke (1330). Ebenso mit "Kavel" (Theil) so: Langkavel, Hauskavel.

b. Etliche Namen stammen von frühern Lager Einwohnern z. B. Gruwelskamp (1578), Tessins Koppel, Getzmannskamp (neueren Ursprungs), Kampmannssoll, Karocks=(Karschen=) Bruch, Lewerenztannen, Surower Berg.

c. An Dotationen für bestimmte Aemter u. s. w. erinnern Richteracker, Landreiterkamp, Raths =, pfarr =, Viertelmanns =, Kühler =, Hirten =, Stadtsprecher=,Drittentheils=Wiese. (Letztere Bezeichnung daher, daß alle drei Stadttheile in der Nutzung einst wechselten.)

d. Nach Gestalt oder Boden heißen Schlatenbrink (geschlossener Brink), Kellerbrink, Der hohe Kamp, Dreienrücken, Krumme Trift, Scheben(schief)berg, böse Berg, süße Grund, Grandberg, sowie das Steinland. Häufig findet sich die Zusammensetzung mit Hörn, Hören (Horn), und in diesem Falle hat man meist an eine Höhe, die sich in Niederungen, auch an eine Niederung, die sich in Höhen vordrängt, zu denken, z. B. bei Grünhören, Hasenhören, Nickelshören, Stuwen(stumpf)hören, Kehlhören, Hörnwiese.

e. Historische Erinnerungen knüpfen sich an den Burgwall, Predigtberg, Spitalberg, St. Jürgen, Beguinenstück.

f. An frühere Anlagen oder Benutzungsweisen erninern Backhauskoppel, Windmühlenberg (1330), Pferdekoppel, Hoppenhäwen (Hopfenhof 1330), Papenhof.

g. Nach Pflanzen oder Thieren wird meistens der Soll, das Wasserloch benannt, so Siggen =, Duwick =, Bült =, Wriedbusch=Beeschen =, Kater=Soll, Ihlenpohl, Fischteich, Rohrteich, auf den sieben Weiden, Hühnersoll. Auch etliche Berge heißen nach Pflanzen z. B. Nelken =, Erdbeerberg, vielleicht auch Ecker=(Buchecker =) Berg.

h. Schließlich füge ich noch die Bezeichnungen Ueker (ein Thal, früher vom Bach durchzogen), die Plage (ein Wiesenstück), die Sääg (eine Niederung), den Klapper =, Boller =, Tippen=Berg an.


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Berichtigung.

Im 1. Theil der Stadtgeschichte, Jahrbuch 1887, Seite 233 heißt es: "Unser Staatskalender, der die jetzige Präpositur Lüssow, zu der auch Lage gehört, zu Kammin rechnet, würde also auch hier irren". Diese Bemerkung ist durch ein Versehen eingefügt und paßt nur auf die Staatskalender von 1819 bis 1848.

Außerdem muß auf Seite 227 die für Berthold und Lüder als Bürgermeister angegebene Zahl in 1356 (Febr. 2.) umgeändert werden.

 

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