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d. Alterthümer anderer europäischer Völker.


Celtische Alterthümer,
gefunden bei Görz im Spätherbste 1867 1 ).

Auf der Feldmark des unweit Görz (Gorizia), im Gubernium von Triest, und zwar südlich davon, am St. Marcus=Hügel belegenen Dorfes St. Peter hatten die Regengüsse des Sommers 1867 an der Westseite dieses Hügels vielfach das Erdreich aufgewühlt. - Am 15. Novbr. 1867 fand ein Bauerjunge aus St. Peter in dem an dieser Westseite befindlichen Weinberge des Herrn von Mulitsch eine Spalte, die er mit einem Stocke untersuchte und darin ein Klingen von Metallen vernahm. Er zeigte diese Entdeckung seinem Vater an, welcher sofort mit Andern nachgrub und an dieser Stelle nicht nur zwei unter seinen Händen zerbrechende dickwandige Gefäße von gebranntem Thon (Ziegelerde), sondern auch mehr als vier (4) Centner uralter Gußsachen aus Bronze (Hausgeräth, Waffen und Schmuck=Gegenstände, größtentheils Bruchstücke oder unvollendete Arbeiten) zu Tage förderte.

Die Finder haben die gefundenen Bronze=Sachen zum Theil weiter zerschlagen und sie sodann verschleudert und verkauft. Der größere Theil derselben kam jedoch glücklicher Weise durch Ankauf bald in den Besitz Sr. Exc. des Feldzeugmeisters Johann Reichsgrafen von Coronini=Cronberg zu St. Peter (S. Pietro) welcher mehrere sehr schöne Stücke davon dem kaiserlichen Antiken=Cabinet in Wien und dem


1) Diese in Handschrift an den Verein eingesandte Abhandlung ist auch schon gedruckt im Correspondenzblatt des Gesammtvereins, 1868, Nr. 8, August.
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Görzer Museum schenkte und den Rest seinem Sohne Franz Reichsgrafen von Coronini=Paravich zu wissenschaftlichen Zwecken zur Disposition stellte 1 ).

Beide Herren Grafen besuchten mit mir am 22. Febr. d. J. die Fundstelle, wo gerade der alte Weinberg neu umgelegt ward. Es war hier durch die Erdarbeiten, in einer Tiefe von 3 bis 8 Fuß unter der Oberfläche, eine Reihe anscheinender Höhlen=Wohnungen sichtbar geworden, ähnlich denen von Dreveskirchen, Wismar und Roggow (vgl. Jahrbücher des Vereins für Meklenburgische Geschichte 1864/65). Die Arbeiter gruben auf meinem Wunsch in einer dieser schwärzlichen Stellen etwas weiter nach und fanden dabei viele dickwandige Scherben von gebranntem Thon, von denen ich einige für die Schweriner Alterthums=Sammlung mitnahm. Die Grafen von Coronini überließen mir zu gleichem Zwecke unentgeltlich mehrere der gefundenen Bronze=Sachen.

Der Graf Franz Coronini, der Director des Görzer Provinzial=Museums F. Gatti und der gelehrte Alterthumsforscher Dr. Kandler haben in den Annalen der landwirthschaftlichen Gesellschaft zu Görz (Nr. 22 von 1867 und Nr. 2 von 1868) einige Nachrichten, sowie ethnographische und archäologische Bemerkungen über diesen Fund und dessen historischen Ursprung mitgetheilt.

Mit den vorgedachten Gelehrten bin ich nun darüber durchaus einverstanden, daß diese Spuren und Producte menschlicher Thätigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach von den Kelten stammen, mithin aus der Zeitperiode, als noch unbesiegte Kelten die jetzige Grafschaft Görz bewohnten. - Form und Materie der Fundsachen bezeugen, daß sie nicht römischen Ursprungs sein können, wie schon eine oberflächliche Vergleichung mit den zahlreichen Römischen Antiquitäten


1) Der Feldzeugmeister Johann Coronini, Reichsgraf von Cronberg, Freiherr von Oelberg, Herr von und zu Prebacina und Gradiscutta, Ritter des Ordens vom goldenen Vliese etc. . etc. . k. k. Kämmerer und Geh. Rath (Excellenz), Inhaber des 6. Infanterie=Regiments, geb. am 16. Novbr. 1794, war früher Gouverneur Sr. Majestät des jetzt regierenden Oesterreichischen Kaisers und dessen Brüder und lebt gegenwärtig auf seinem Schlosse zu St. Peter bei Görz. - Sein einziger Sohn Franz Reichsgraf Coronini=Paravich von Csubaer=Cronberg, k. k. Kämmerer und Obrist, geb. 1833, hochverdient um Wissenschaft und Kunst und durch patriotische Bestrebungen, beschäftig sich vielfach mit literarischen Arbeiten. Sein Hauptwerk ist: "Aquileja's Patriarchen=Gräber. Monographische Skizze von F. C. Wien, 1867, bei Braumüller."
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jener Gegend darlegt. Wir blicken also auf diejenigen arischen Völkerstämme (oder indogermanischen Sprachstämme), welche schon in der vorgeschichtlichen Zeit aus dem Innern Asiens in das mittlere Europa eingewandert waren. In der europäischen Urzeit erstreckte sich

1) der Wohnsitz der Germanen nördlich vom Jura, den Vogesen und der Maas bis zur Weichsel und von der Donau bis zur Nord= und Ostsee, ja über den größten Theil der skandinavischen Halbinsel. Von hieraus drängten germanische Stämme in den beiden letzten Jahrhunderten v. Chr. nach Gallien und Italien vor (die Cimbern i. J. 101 v. Chr. über die Tiroler Alpen bis zum Po). - Sodann wurden unter den Römischen Cäsaren die Germanen temporair bis zum Rhein und zur Donau und theilweise noch weiter Zurückgedrängt, bis sie sich zur Zeit der Völkerwanderung siegreich über den Süden und Westen Europas ergossen, während sie ihre von Bewohnern verlassenen nordöstlichen Grenzen den Slaven und Aesten überließen. Dagegen hatte

2) der große Volksstamm der Kelten seinen europäischen Ursitz im heutigen Frankreich zwischen der Rhone, Garonne, dem Ocean und der alten belgischen Grenze, von wo aus keltische Zweig= und Wanderstämme schon in frühester Zeit Groß=Britannien, Spanien, Celt=Iberien), ferner die ganze Alpen=Kette besetzten und selbst schon im vierten Jahrhundert v. Chr. als "Gallier" in Italien einbrachen und temporair Rom eroberten. Weiter besetzten sie die ganze Donaugegend und Illyrien, wo sie ebenfalls schon seit dem 4. Jahrhundert v. Chr., insbesondere im Lande der Morawa und der untern Save, lange Zeit ruhig saßen und von hieraus i. J. 280 ihren Verheerungszug nach Thrazien, Macedonien, Griechenland und Kleinasien (Galatien) begannen. Dieser ganze keltische Volksstamm unterlag jedoch nach und nach dem Römischen Weltreiche in den drei letzten Jahrhunderten v. Chr. und dem ersten Jahrhunderte n. Chr. - Endlich betritt

3) das Volk der Slaven (welches früher im Nordwesten Europa's hinter den wolchonskischen Waldhöhen nomadisirte) erst gegen das Ende des fünften Jahrhunderts n. Chr. den geschichtlichen Schauplatz, indem es in den in Folge der Völkerwanderung leer gewordenen Osten und Nordosten Deutschlands bis an die Elbe, das Fichtelgebirge, den Böhmerwald etc. . nach und nach einwanderte, ja selbst in vereinzelten Stämmen bis in die kärnthnischen, krainischen und steyerschen Gebirge und an's Ostufer des adriatischen Meeres vordrang.

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Die jetzige Grafschaft Görz war in der vorchristlichen Zeit ein Theil des keltischen Illyriens (Illyria barbara), welches unter der Königin Teuta im Jahre 228 v. Chr. den Römern zinspflichtig und demnächst, nach langen Kämpfen, im ersten Jahrhundert n. Chr. eine römische Provinz, mit römischer Industrie und Cultur, ward. - Die Hügelkette bei Görz und St. Pietro, westlich vom Isonzo, südlich von der Wippach, östlich vom Liach umflossen und von den Niederungen dieser Flüsse umgeben, bildete gleichsam eine im Norden an die Julischen Alpen sich anlehnende, fruchtbare und leicht zu vertheidigende Halbinsel, welche von den Carnen (einem keltisch=illyrischen Zweigstamme) 1 ) bewohnt ward. - Auf dem erstgedachten westlichen Abhange des St. Marcus=Hügels bei St. Pietro lag wahrscheinlich damals (etwa in der Zeit vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 1. Jahrhundert n. Chr.) eine befestigte karnische Niederlassung (keine Todtenstadt oder Todtenstätte, wie Dr. Kandler meint). - Unter den verschiedenen hier jetzt noch sichtbar gewordenen sog. Höhlenwohnungen befand sich auch zweifellos eine eigene Schmelz= und Gieß=Stätte (eben eine solche, wie neuerdings auch in Meklenburg im Torfmoore zu Holzendorf bei Sternberg aufgefunden worden). - Letzteres wird dadurch bewiesen, daß die aufgefundenen Bronze=Sachentheils unfertig (d. i. noch nicht gefeilt und geschliffen), theils Bruchstücke sind, welche offensichtlich zum Einschmelzen bestimmt waren (aes collectaneum des Plinius). - Da sich die Illyrier in diesen, durch Natur und Kunst befestigten Stellungen sicherlich am längsten vertheidigten, so möchte ich die Zerstörung der keltischen Niederlassung auf dem St. Marcus=Hügel und die Verbergung der jetzt dort aufgefundenen Menge von Bronze=Sachen in diejenige Zeit setzen, als Illyrien in Folge der Siege des Cäsar und Germanicus und der Maaßregeln des Augustus und Tiberius gänzlich unterjocht ward.

Die Kelten, denen die reichen Erzlager Noricum's zu Gebote standen, arbeiteten fast ausschließlich in Bronze und Kupfer, weit länger als die Germanen, welche früher in Skandinavien Eisen=Bergwerke eröffneten. - Sie besaßen auch in der Bearbeitung des Erzes eine große Kunstfertigkeit, und lieferten wahrscheinlich in der Bronze=Periode den nordischen Völkerschaften eherne Waffen und Geräthe,


1) Die Wurzel des Wortes: Carnia (Krain) ist keltisch, eben so wie die Wurzel vieler geographischer Namen in der Umgegend von Görz.
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später auch rohes Erz zur eigenen Bearbeitung. - Die Bronze=Periode dauerte bei ihnen so lange fort, bis die Römische Unterjochung und Industrie sie verdrängte. Auf den alten Schlachtfeldern der Römer mit den Illyriern bei Triest, in Istrien und an den Julischen und Krainischen Alpen findet man noch fortwährend keltische Waffen von Bronze und Kupfer.

Dagegen hatte bei den Germanen der ausschließliche Gebrauch der Bronze zur Zeit ihrer Kämpfe mit den Römern schon aufgehört. - Selbst schon damals, als die Cimbern und Teutonen in den steyerschen Gebirgen bei Noreja siegten (113 v. Chr.) und als die Cimbern über die Alpen in die tridentinischen Thäler drangen (101 v. Chr.), führten die Letzteren schon eine Reiterei mit sich von 15000 Mann mit eisernen Harnischen, Spießen und Schwertern. (Plutarch: "vita Marii" cap. 25). Als später im fünften und sechsten Jahrhunderte auch Hunnen, Slaven und Avaren in die östliche Alpenkette eindrangen, war auch bei diesen Völkerschaften längst schon die Bronze durch das Eisen verdrängt, wie z. B. die slavischen Begräbnißstellen ("Wenden=Kirchhöfe" in Meklenburg) bezeugen. - Alles Beweise, daß die aufgefundene Niederlassung zu St. Pietro bei Görz eine keltische (keine germanische oder slavische) gewesen.

Schwerin, den 28. August 1868.

C. Ch. von Bülow, Canzlei=Director a. D.