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Alterthümer und (Pfahlbau?) von Groß=Woltersdorf.

Im Anfange des Monats Juni 1868 ward zu Groß=Woltersdorf nahe bei der Stadt Wismar ein sehr merkwürdiger Fund von steinernen und knöchernen Geräthen gemacht, welcher durch seine Seltenheit oder vielmehr Neuheit die wissenschaftliche Theilnahme in hohem Grade in Anspruch nimmt. Zu Groß=Woltersdorf liegt hart an der Grenze von Klein=Woltersdorf, etwa 100 Schritte von dem Wege von Dammhusen nach Groß=Woltersdorf, ein kleines Torfmoor, ungefähr ein Viertheil so groß als der allerdings sehr große Wismarsche Marktplatz. Die Raumverhältnisse gleichen also ganz denen des Moderlagers in dem benachbarten Dorfe Gögelow, in welchem vor einigen Jahren der erste Pfahlbau in Meklenburg entdeckt ward. In diesem kleinen Moor fand ein Bewohner des Dorfes beim Torfstechen die Alterthümer auf dem festen Grunde beisammen liegen. Er nahm sie nicht lange darauf nach Wismar und veräußerte sie an das Wismarsche Stadtmuseum. Nachdem der Herr Dr. med. Crull die Sachen gesehen hatte, fuhr derselbe nach Groß=Woltersdorf, um die oben beschriebene Oertlichkeit zu sehen und den Finder zu befragen. Das Torfmoor ist in der Mitte, wo in diesem Frühling gearbeitet ward, schon ziemlich ausgestochen. Hier fand der Mann in der Torfgrube "4 1/2 Fuß tief die Alterthümer in einem Haufen ("in de kûl all up ênen hûpen packt"). Holzwerk, berichtete er weiter, komme allenthalben im Moore vor; ob es sich auch in der Nähe der gefundenen Alterthümer befunden habe, darauf habe er nicht geachtet, auch wisse er nicht, ob das Holz pfahlartig bearbeitet gewesen sei. Hirschgeweihe und Thierknochen habe er schon früher in dem Moore gefunden; dieselben seien aber in der letzten großen Feuersbrunst zu Groß=Woltersdorf mit untergegangen."

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Nachdem auch ich die Sachen gesehen hatte, schien es sehr wünschenswerth zu sein, diese Alterthümer für die Schweriner Sammlungen zu erwerben. Der Vorstand des Wismarschen Stadtmuseums zeigte sich auch in der Erkenntniß der Seltenheit der Geräthe bereitwillig, diese Gegenstände den Schweriner Sammlungen zuzuwenden, zumal da dasselbe grade nicht auf heidnische Alterthümer von außerhalb der Stadt sammelt, und hatte die anerkennenswerthe Gefälligkeit, dieselben gegen einige aus Wismar stammende mittelalterliche Alterthümer dem Vereine für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde zu überlassen.

Die Groß=Woltersdorfer Alterthümer bestehen aus 11 Stücken aus Feuerstein, 11 Stücken aus Knochen und 5 Stücken aus Hirschhorn, im Ganzen aus 27 Stücken.

I. Die 11 Stücke Geräthe aus Feuerstein bestehen aus 5 Keilen, 3 Schmalmeißeln und 3 Splittern. Alle Stücke sind, zwar sehr gefällig an Form, großmuschelig geschlagen und, mit alleiniger Ausnahme eines kleinen breiten Keiles, nur an den Schneiden geschliffen. Alle haben auf der Oberfläche eine reine kreideweiße Farbe; diese rührt ohne Zweifel von einer Lage Wiesenkalk her, welche auf dem Grunde des Torfmoors liegen muß, da die weiße Deckfarbe ein wenig abfärbt, Flüssigkeit leicht einsaugt und der Feuerstein, nach einigen kleinen Absplitterungen zu urteilen, im Innern dunkelgrau ist. Im Einzelnen sind diese steinernen Alterthümer folgende.

4 Keile, welche in jeder Hinsicht von den zahlreichen in den Ostseeländern gefundenen Keilen abweichen. Sie sind alle nur klein, großmuschelig geschlagen, sehr flach und dünne, abweichend von allen andern mit scharfen (nicht breiten) Seitenrändern, spitzer (nicht viereckiger) Bahn und nur an der Schneide ein wenig geschliffen, jedoch von sehr gefälligen Formen. Der größte Keil ist nur 5 Zoll lang und gar nicht geschliffen. Die 3 andern Keile, 4 Zoll, 3 7/8 und 3 1/2 Zoll lang, sind an beiden Seiten nur ein wenig, etwa 1 Zoll lang, jedoch sehr scharf und regelmäßig an den Schneiden, und hin und wieder ein wenig auf den Breitseiten, um scharfe Erhöhungen wegzunehmen, geschliffen.

1 Keil, welcher ebenfalls sehr dünne (1/4 Zoll) und kurz und breit ist, 3 1/2 Zoll lang und 1 1/2 Zoll breit, ist allerdings überall geschliffen und offensichtlich an der Schneide nachgeschliffen.

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1 Schmalmeißel, regelmäßig gearbeitet, von rechteckigem Durchschnitt, 6 1/2 Zoll lang und 1 Zoll und 3/4 Zoll breit, ist großmuschelig geschlagen und nur ein wenig an der Schneide geschliffen.

1 Schmalmeißel von rautenförmigem Durchschnitt, 3/4 Zoll auf jeder Fläche breit, 6 Zoll lang, ist ebenfalls großmuschelig geschlagen und nur ein wenig an der Schneide geschliffen.

1 Schmalmeißel, 5 Zoll lang, ist nur ein roh zugerichteter Span von 1 Zoll Dicke und kaum 1/2 Zoll lang, an der Schneide geschliffen.

1 halbes spanförmiges Messer, jetzt noch 3 Zoll lang, offenbar von Menschenhand geschlagen und an den Schneiden ein wenig abgenutzt.

1 löffelförmiges dünnes Stück Feuerstein mit Schlagansatz von Menschenhand.

1 ungleichmäßiger Feuersteinsplitter, Abfall.

II. Die Geräthe aus Knochen bestehen aus 10 Meißeln und 1 ausgehöhltem Beinknochen, von 4 3/4 bis 7 1/4 Zoll Länge. Von diesen sind 9 Stück gleich gearbeitete Meißel aus dem großen Unterschenkelknochen des Hirsches so gearbeitet, daß an einer Seite noch die Markhöhle sichtbar ist, die Knochen also gespalten sind. Die Oberfläche der Knochen ist abgerundet und glatt und glänzend polirt; die Gelenke oben sind abgeebnet und, wahrscheinlich durch Gebrauch, platt geschlagen. Das untere Ende ist durchschnittlich 1/4 bis 3/4 Zoll breit zum Meißel geschärft und scharf und glatt geschliffen, wie die Schmalmeißel aus Feuerstein. Von 2 Stücken ist die Schneide abgebrochen - Das 10. Stück ist ein Breitmeißel (oder Keil), 1 Zoll breit, aus dem Nackenwirbel oder Widerrist des Hirsches. - Das 11. Stück ist ein ganzer, ungespaltener Beinknochen, dessen eines Ende noch das Gelenk hat, dessen anderes Ende nach Abschneidung des Gelenkes aber künstlich rein und glatt in Dreieckform ausgehöhlt ist; die Anwendung dieses Geräthes ist noch vollkommen dunkel. - Alle knöchernen Geräthe sind noch vollkommen fest und wohl erhalten und haben dieselbe gelblich graue oder Lehmfarbe, und nicht die dunkelbraune Farbe der Knochen aus den Pfahlbauten; diese hellere Färbung wird wohl dem Kalkboden zuzuschreiben sein, welcher auch alle feuersteinernen Geräthe kreideweiß gefärbt hat. - Einige Meißelknochen scheinen am Gelenkende von Thieren stark angenagt zu sein.

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III. Die 5 Hirschhornenden, 3 bis 5 Zoll lang und eben so lehmfarbig wie die Knochenmeißel, sind offenbar alle durch die Rinde schräge durchgekeilt und dann abgebrochen. Alle sind stark abgerieben und abgenutzt, und offenbar viel gebraucht, wozu ist aber noch nicht zu erforschen. Ein Stück ist gespalten. - Sonst kommen wohl abgekeilte Hirschhornsprossen in Pfahlbauten und einzeln vor, welche aber nicht so sehr abgenutzt sind, wie diese.


Der Groß=WolterSdorfer Fund ist nun außerordentlich merkwürdig. Vor allen Dingen ist die große Zahl der knöchernen Meißel auffallend, welche bisher in den deutschen Ostseeländern noch nicht bekannt gewesen sind. Große durchbohrte Streitäxte aus Hirschhorn sind freilich hie und da, jedoch nur selten, gefunden. Im J. 1866 sind bei Dobbertin tief im Wiesenkalk mehrere kleine Geräte aus Knochen, z. B. Häkelnadeln, gefunden (vgl. S. 209), welche aus einer sehr fernen Zeit zu stammen scheinen. Ueberhaupt scheinen knöcherne Geräthe zu derben und schweren Arbeiten sehr alt zu sein, und man dürfte doch vielleicht zu der Annahme einer "Knochenperiode" kommen, in welcher die Knochen vorherrschend, jedoch keinesweges ausschließlich allein in Gebrauch waren; man konnte ja die knöchernen Geräthe nicht ohne Feuerstein bearbeiten. Zu dem mutmaßlich hohen Alter der knöchernen Meißel stimmt auch die ganz ungewöhnliche Beschaffenheit der feuersteinernen Geräthe. Die zahllosen steinernen Geräthe der eigentlichen Steinperiode in den deutschen Ostseeländern bestehen bekanntlich vorherrschend entweder aus geschliffenen oder aus kleinmuschelig geschlagenen Feuersteinen. Die Geräthe von Groß=Woltersdorf sind aber großmuschelig geschlagen und nur an den Schneiden sehr wenig geschliffen und dabei von ganz abweichenden Formen und Größenverhältnissen.

Aus diesen Gründen dürften die Groß=Woltersdorfer Alterthümer wenn auch nicht in die erste Steinperiode (des gar nicht geschliffenen) Feuersteins, doch in die älteste Zeit der zweiten Steinperiode, des geschliffenen Feuersteins, zu setzen sein. Jedenfalls sind sie sehr alt, merkwürdig und selten. Vgl. über die Zweitheilung des Steinalters Worsaae Om Tvedelingen af Steenalderen, Kopenhagen, 1862 (aus Kgl. Danske Videnskahernes Selskabs Forhandlinger for 1861).

G. C. F. Lisch.