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II.

Die wendischen Schwerine.

Ein Beitrag zur Erläuterung des slavischen Götzendienstes

von

Dr. W. G. Beyer,
Archivar.


B ald nach der Gründung unsers Vereins befragte der Archivrath Lisch den damaligen Bibliothekar des böhmischen National=Museums, Prof. Hancka zu Prag, correspondirendes Mitglied des Vereins, nach der Bedeutung des in allen wendischen Ländern häufig vorkommenden Namens Schwerin (Zwerin). Der berühmte Slavist antwortete kurz und bündig: Zuerin heißt Thiergarten 1 ). Gegen dies bestimmte Zeugniß eines der gelehrtesten Slavisten sind keine Einreden zulässig. Auch stimmen die Angaben der Wörterbücher der verschiedenen slavischen Mundarten damit vollkommen überein. Darnach heißt nämlich im Böhmischen zwer: wildes Thier, und zwjre: Thier überhaupt, ferner zwerina: Wildpret, wovon zwerinice sc. obora: Thiergehäge, Thiergarten abgeleitet wird 2 ). Eben so heißt im wendischen Dialekte zwerina: Gethier, Thiergeschlecht überhaupt, besonders Wild, Wildpret, zwerinica: Thiergarten 3 ) und im Sorbischen zwierjo: Thier überhaupt, zwjerjacy: thierisch 4 ); desgleichen im Pol=


1) Jahrb. II, S. 178.
2) Palkowitsch, böhm.=deutsches Wörterb.
3) Pful, wendisches Wörterb.
4) Schmaler, deutsch=wendisches Wörterb.
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nischen zwierz: ein großes, besonders wildes Thier, zwierze: das Thier überhaupt, zwierzy: von Thieren, besonders großen und wilden Thieren 1 ). Gleichwohl bekenne ich, daß mir diese Deutung immer räthselhaft geblieben ist. Ein Thiergarten mitten in der Wildniß eines noch wenig angebaueten Landes, das zum großen Theile mit Urwald bedeckt war, erscheint in der That als ein wunderbarer Luxus. Die Jagd auf Raubthiere und Wildpret aller Art, woran die großen Waldungen Ueberfluß haben, ist bei Völkern auf der Kulturstufe der alten Wenden die Lust und das tägliche Geschäft des Mannes, aber das Wild im befriedigten Parke zu hegen und während des strengen Winters zu ätzen, um es mit Bequemlichkeit vom gedeckten Anstande aus erlegen zu können, und immer einen Braten für die Küche bereit zu haben, das scheint mir nicht im Geschmacke dieser Zeit und dieses Volkes. Wozu denn diese kleinen künstlichen Zwerine mitten in dem großen natürlichen und allgemeinen Wildpark des Landes? Welche Thiere wurden darin gehegt, und zu welchem Zwecke?

Gesteh ich es nur, solche Zweifel haben mich oft heimlich gequält; jetzt endlich aber glaub ich das Räthsel gelöset zu haben! Das Zeugniß der gelehrten Slavisten und ihrer Wörterbücher in Ehren für den Sprachgebrauch unserer Zeit, aber die alten heidnischen Schwerine waren keine Wildgehege für die Küche der Fürsten und Edlen des Volkes, sondern - heilige Haine der Gottheit, und das darin gehegte Thier war kein Wildpret, sondern - das edle Roß, der Liebling aller kriegerischen Völker, das heilige Thier des höchsten der Götter, des slavischen Swantewit, wie des nordischen Othin, dessen Priestern die Hegung für den Gottesdienst, und zugleich die Züchtung dieses in unserm Klima der Pflege des Menschen bedürfenden Thieres in den Tempel=Hainen oblag.

Das ist in kurzen Worten die Ansicht über die Bestimmung und Bedeutung der wendischen Schwerine, die sich allmählig zur festen Ueberzeugung in mir entwickelt hat. Meine Aufgabe ist es jetzt, die Gründe darzulegen, auf denen diese Ueberzeugung beruht, und welche hoffentlich auch den Leser überzeugen werden.

Den nächsten Anstoß zu dieser Idee gab mir die Geschichte der Pferdezucht in Meklenburg von Lisch 2 ). Hier wird beiläufig darauf hingewiesen, daß die Gestüte im Mittel=


1) Mongrovius poln.=deutsches Wörterb.
2) Archiv für meklenburgische Landeskunde, Jahrg. 1856.
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alter nicht bloß in dem ursprünglich slavischen Meklenburg, sondern auch in den rein deutschen Ländern, in der Nähe großer Waldungen angelegt wurden, indem man die Mutter=Pferde nicht in engen Ställen aufstellte, sondern mit ihren Füllen in die Waldungen trieb, wo sie später nach Bedürfniß wieder eingefangen wurden. Es ist dies ohne Zweifel der Grund, weshalb die Mutterstuten im Mittelalter überall, und namentlich auch in Meklenburg den Namen Wilden führten. Das älteste Beispiel einer solchen wilden Stuterei ist vielleicht die von Liutolf, Kaisers Otto I. Sohn, im Jahre 949 in den Waldungen bei Stuttgart angelegte, welcher Ort davon seinen Namen (stut-garten) erhielt. Auch in Dänemark wurden zu Anfang des 15. Jahrhunderts wilde Pferde gezüchtet 1 ). In Meklenburg war diese wilde Pferdezucht noch im 16. Jahrhundert in voller Uebung, wie aus Archivacten über die Anlegung einer solchen Stuterei durch den Herzog Ulrich in der Lewitz hervorgeht.

Daß nun diese Sitte auch bei den Wenden in Meklenburg herrschte, wird urkundlich, wenn auch nicht direct bezeugt, doch meiner Ansicht nach außer allen Zweifel gestellt. Diese Urkunden beziehen sich auf die beiden ältesten bekannten Stutereien des Landes bei dem untergegangenen Orte Pustekow in dem Walde Dewinkel am Ufer des Gutower oder Rosiner Sees bei Güstrow, und bei dem Dorfe Dierhagen an der Rostocker Haide in der Nähe des Fischlandes. Diese beiden Gestüte sind daher vor allen Dingen einer nähern Untersuchung zu unterziehen.


1) Dahlmann, Gesch. von Dänemark, I, S. 377,