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Hölzernes Wagenrad

von

Schattingsdorf,

von

G. C. F. Lisch.

Zu Schattingsdorf im Fürstenthume Ratzeburg ward im J. 1863 in einem Torfmoor 4 Fuß tief ein uraltes hölzernes Scheibenrad von einem Arbeiter gefunden und von dem Herrn Archivrath Pastor Masch zu Demern, der es erworben, dem Vereine geschenkt. Nach der Auffindung ist von dem Finder in der Gegend der Fundstelle weiter nachgesucht, aber gar nichts weiter gefunden.

Das Rad bildet eine volle Scheibe aus dickem Holze, ohne Speichen und Felgen, mit einer aus der Scheibe gearbeiteten Nabe. Es hat 2 2/4 Fuß (80 Centimetres) im größten Durchmesser und ist gegen die Mitte in der Nähe der Nabe 4 Zoll (9 Centimetres) und in der Nähe des Randes 2 Zoll (4 1/2 Centimetres) dick; es ist also linsenförmig gestaltet und ist nicht völlig cirkelrund, 70 bis 80 Cent. im Durchmesser. Das Rad ist aus 3 Stücken Holz zusammengesetzt, von denen das mittlere 15 Zoll, die beiden andern 6 und 9 Zoll breit sind. Auf dem mittlern Stück und einem Seitenstück sitzt noch die dicke Rinde des Baumstammes vollständig, so daß die beiden Fugen der drei Hölzer mit Rinde gefüllt gewesen sind. Der erfahrene Tischlermeister Herr Christiansen in Schwerin ist der Ansicht, daß das ganze Rad aus Einem Stück oder Einem Baume gemacht ist, welcher unten Einen Stamm gebildet, sich aber nach oben hin in drei dicht neben einander stehende Stämme getheilt hat, deren Rinden sich scharf berühren. Das eine Seitenstück ist nämlich aus dem ganzen Stück, bei einer Knorren= oder Maserstelle, beim Herausheben offenbar abgebrochen, hat aber ursprünglich mit dem Mittelstück von Natur zusammengesessen. Die drei Stücke des Holzes, aus welchem das Scheibenrad gebildet ist, sind an einer Seite, wo die dicke

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Nabe hervorsteht, zu beiden Seiten der Nabe durch zwei horizontal etwas gekrümmte hölzerne Leisten oder "Federn" aus anderm Holze, welche in eine, wahrscheinlich durch Feuersteinmeißel gebildete, nach oben sich verengende Nut (Schwalbenschwanz) eingetrieben gewesen sind, in einer graden Fläche zusammengehalten gewesen; die eine Nut geht ganz durch bis zu den Rändern des Rades, die andere geht nur bis 2/3 durch, weil sie hier auf einen harten Knorren im Holze (Maser) stößt, wo, wie oben bemerkt, der Baumstamm sich verzweigt hat. Die Nabe ist in der mittlern, breiten Planke stehen geblieben und aus dem dicken Holze herausgearbeitet; sie ragt nur an einer Seite des Rades, 1 1/2 Zoll hoch und 2 Zoll breit, hervor, und ist im Loche 3 1/2 Zoll weit.

Sehr merkwürdig ist die Art der Verfertigung dieses Rades. Ursprünglich ist das Holz wohl gespalten gewesen; die innere Seite, die Wagenseite, welche ganz glatt ist und auf welcher das Rad im Moor gelegen hat, erscheint wie eine gespaltene Holzfläche, auf welcher nur einige Stellen geebnet sind. Die äußere Fläche, auf welcher die Nabe hervorsteht, ist aber aus einer dicken Planke so abgearbeitet, daß die ziemlich regelmäßig gearbeitete Nabe 1 1/2 Zoll hoch stehen geblieben ist. Diese regelmäßige Abarbeitung der ganzen äußern Fläche ist durch allmähliges Abbrennen geschehen. Ueber die ganze Oberfläche und auch um die Nabe herum ist eine äußerst dünne, feste, glänzende Kohlenschicht verbreitet, welche sich ziemlich regelmäßig ausdehnt; diese kohlige Oberfläche ist eigentlich keine Kohle, sondern nur schwarz verkohltes Holz. Auch auf der innern Wagenseite scheinen einige Stellen, welche vielleicht hervorgeragt haben, durch Abbrennen geebnet zu sein. Von Anwendung scharfer Werkzeuge zur Verfertigung ist nirgends eine Spur zu bemerken. Das Rad ist also ohne Zweifel durch Abbrennen gefertigt, wie die ältesten Schiffe im Museum zu Kopenhagen ausgebrannte Eichenstämme sind. Daß dieses Rad bei einem Brande untergegangen und dabei angebrannt sei, ist durchaus nicht wahrscheinlich, da in diesem Falle die Fläche nicht so regelmäßig abgebrannt sein und sich größere Stücke durchgebrannter Kohle und ausgebrannte Lücken finden würden. Gebraucht ist dieses Rad viel, da es an dem Rande, auf der Oberfläche und auf der Nabe glatt abgenutzt ist.

Das Holz ist, nach der Untersuchung des kundigen Herrn Forstmeisters Schröder zu Dargun, Birkenholz, allerdings von einem sehr starken Baume. Es ist jetzt sehr leicht und hellbraun, nicht schwarz, wie altes Eichenholz zu werden pflegt.

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Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Scheibenrad in die allerältesten Zeiten des Menschengeschlechts in den hiesigen Gegenden fällt, wohl sicher in die Zeiten der Steinperiode, da der Gebrauch von schneidenden Werkzeugen für so große Flächen noch nicht sichtbar ist. Vielleicht gehört es in einen Pfahlbau der Steinperiode, der bei dem Torfgraben nicht beobachtet ist.

Sehr merkwürdig ist die Entdeckung eines gleichen Rades, welches in Ober=Italien in dem der letzten Zeit der Steinperiode angehörenden Pfahlbau von Mercurago bei Arona am Lage Maggiore ungefähr um dieselbe Zeit gefunden ward. Der Herr Gastaldi zu Turin berichtet 1 ) darüber: "Es ist einem Rade ähnlich, aber nicht ganz kreisförmig (im größten Durchmesser 60 Centimetres). In der Mitte ist ein Loch zur Aufnahme eines Rohres von der Gestalt einer Nabe angebracht. Das Ganze besteht aus drei Brettern (aus Nußbaumholz?) und wird zusammengehalten durch zwei Verstärkungen, die sich in der Mitte des Rades begegnen und schwalbenschwanzartig in die Bretter eingelassen sind. Die Verstärkungen sind indessen nicht in gerader Linie, nämlich parallel mit dem Durchmesser des Rades, sondern in einem Bogen fast parallel mit der Peripherie angebracht, indem sie, um eingefügt werden zu können, biegsam gemacht werden mußten. Sie sind von Lärchenholz und an der untern Seite verkohlt."

Dieses Rad gleicht also ganz unserm Rade von Schattingsdorf. Der Hauptunterschied zwischen beiden besteht darin, daß zu beiden Seiten der Nabe zwei halbmondförmige Oeffnungen durchgearbeitet sind, so daß hiedurch gewissermaßen schon eine Doppelspeiche gebildet wird, in deren Mitte die Nabe steht, und dadurch schon Anfänge von Felgen gebildet werden. Das italienische Rad bildet also die ersten Anfänge eines Speichenrades, während das meklenburgische Rad ein reines Scheibenrad ist. Ein anderer Unterschied ist nicht so bedeutend. Es sind in dem italienischen Rade eigentlich nicht "zwei Verstärkungen" (Leisten oder Federn) vorhanden, sondern nur zwei halbe, welche sich "in der Mitte des Rades begegnen" und zusammen eine ganze bilden, welche an einer Seite der Nabe liegt, während das meklenburgische Rad an jeder der beiden Langseiten neben der Nabe eine Feder hat. Leider ist die


1) Vgl. Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Pfahlbauten, Vierter Bericht, von Dr. Ferd. Keller, 1861, S. 8-9, und Abbildung Taf. l, Fig. 12. Dieses Rad ist auch abgebildet in Staub, Pfahlbauten in den Schweizer=Seen, Taf. IV, Fig. 12; in der Beschreibung S. 50 ist der Fundort nicht angegeben.
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Bearbeitungsweise des Rades von Mercurago nicht näher beschrieben.

Später ward in demselben Pfahlbau von Mercurago ein zweites Rad 1 ) gefunden, welches schon etwas ausgebildeter ist. Es hat schon einen Radring von Felgen (aus Nußbaumholz), die durch Holzstücke verbunden sind, welche in Einschnitte mit größter Genauigkeit eingelassen sind. Es hat gewissermaßen 6 Speichen. Zwei davon bilden ein grades Stück Holz, in dessen Mitte sich die Nabe befindet. Die 4 andern Speichen (aus Kastanienholz) sind in die große Mittelspeiche und in die Felgen eingesetzt. Von Metall ist keine Spur vorhanden.

Alle diese Räder sind von großer Wichtigkeit für die Culturgeschichte, da das Rad wohl die älteste Maschine ist, welche die Menschheit erfunden hat. Daher mögen die Räder auch wohl eine so große Rolle in der Symbolik spielen. - Da nun auch schon viele Räder der alten und jungen Bronzezeit bekannt geworden sind, so möchte sich wohl schon eine Geschichte des Rades unternehmen lassen.



1) Vgl. Mittheilungen a. a. O. S. 13, und Abbildung Taf. l. Fig. 13.