zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 278 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

Wendischer Begräbnisplatz von Alt=Gutendorf.

Bei der großen Gruppe der Kegelgräber von Marlow und Alt=Gutendorf (vgl oben S. 269), welche links an dem Wege von Marlow nach Alt=Gutendorf liegt, liegt rechts vom Wege bei der Schmiede von Alt=Gutendorf ein lang gestreckter Hügel, welcher offenbar nicht zu der großen Gruppe von Kegelgräbern gehört und zur Sandgrube angegraben ist. Der Herr Dr. med. Hüen zu Marlow hatte wiederholt Gelegenheit, an diesem Hügel Forschungen anzustellen, und hat die Güte gehabt, nicht nur die folgenden Ergebnisse seiner Forschungen, sondern auch die dabei gefundenen Alterthümer dem Vereine mitzutheilen.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 279 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Der Hügel ist 106 Schritte lang und in der höchsten Erhebung 12 Fuß hoch. Der Hügel ist im Innern eine natürliche Hügelbildung und besteht aus lehmhaltigem und reinem Sande. Dieser Hügel ist von zwei verschiedenen Erdschichten über einander bedeckt, von denen jede zwischen 1 bis 3 Fuß Dicke schwankt. Diese Schichten tragen Spuren von Menschenarbeit, sei es daß Erdschichten aufgetragen sind, sei es daß die Oberfläche zu verschiedenen Zeiten bearbeitet ward. Die in diesem Hügel gefundenen Alterthümer lagen dicht unter diesen obern Schichten und auf der umherliegenden Erdoberfläche 1 bis 2' tief; dies ist also schon ein Beweis, daß dieser Hügel kein aufgetragenes Kegelgrab der Bronzeperiode ist, weil in diesem Falle die Leichen auf dem Urboden beigesetzt worden wären.

Zuerst fand der Herr Dr. Hüen in dem abgegrabenen "Ufer" in der Höhe nicht tief unter den aufgetragenen Erdschichten, eine zertrümmerte heidnische Begräbnißurne von hellbrauner Farbe mit einigen dazu gehörenden verbrannten Knochen.

Späterhin entdeckte er ungefähr 10 Schritte von dem Fundorte einen menschlichen Schädel. Der Schädel ist sehr schmal, die Stirne sehr flach und spitz und das Hinterhaupt auch nicht stark entwickelt; am meisten ist der Schädel nach oben zum Scheitel nach beiden Seiten ausgebuchtet. Die noch vorhandene Naht läßt auf ein Lebensalter von 25 - 40 Jahren schließen, so wie die schwachen Knochenhervorragungen für die Muskelansätze und die Ausbuchtung des Schädels für das Mittelhirn auf ein weibliches Individuum. Merkwürdig und auffallend ist aber die Prävalenz der linken Schädelhälfte gegen die rechte Hälfte, welche auf der innern Seite noch mehr hervortritt, indem der sulcus longitudinalis sich nach rechts wendet und die Furchen für die Gehirnarterien auf der linken Seite stärker entwickelt sind, als auf der rechten. Der Herr Dr. Hüen bemerkt, daß er diese Schädelbildung häufig bei Menschen gesehen habe, die von Jugend auf einen schiefen Kopf hatten. Der Schädel wird mit den Gesichtsknochen, welche vergangen sind, nach oben gelegen haben und war mit einem Feldsteine, etwas größer als ein Mannskopf, bedeckt. Man könnte annehmen, daß der Schädel durch diesen Stein schief gedrückt worden sei, wenn nicht die innere Schädelwand für eine abnorme Bildung von Natur spräche. Uebrigens ist der Schädel dem Anscheine nach ziemlich alt.

Schon früher sind auf der Höhe des Hügels von Arbeitern zwei Schädel ohne andere Knochen gefunden. Noch später fand der Herr Dr. Hüen zwischen diesem Schädel und der

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 280 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Urne, ungefähr in der Mitte des Hügels auf der Höhe, noch einen Schädel. Der Schädel lag auf der rechten Seite, von Süden nach Norden gekehrt. Der Schädel ist besser gebildet, als der zuerst gefundene, jedoch ist er nur klein und die Stirn nur schmal. Nach der dünnen, fast zahnlosen Unterkinnlade zu urtheilen, scheint der Schädel einer alten Frau von 70 bis 80 Jahren zu gehören. Bei weiterer Nachforschung fand sich auch das Gerippe dieser Leiche in der Richtung des Schädels von Süden nach Norden. Das ganze Gerippe lag in einer 5 Fuß tiefen Grube, und dem Anscheine nach war die Leiche kopfüber in die Grube geworfen. Neben dieser Leiche wurde im Sande eine kleine, schmucklose, bronzene, hakenförmige Heftel von 2 1/2" Länge und 1/2" Breite gefunden; sie hat in der Mitte 4 Nietlöcher, so daß ein Schmuck aufgeheftet werden konnte. Daneben fanden sich kleine, dünne, sehr verrostete Stücke von Eisen, welche nicht mehr zu erkennen sind.

Am Fuße des Hügels fanden sich dicht unter den aufgetragenen Erdschichten drei von Steinen eingefaßte Begräbnisse.

Das mittlere dieser Begräbnisse, welches von dem Herrn Dr. Hüen geöffnet ward, hatte 12 Fuß im Umkreise und war von kleinern Steinen eingefaßt und mit größern gefüllt. Auf dem Erdboden des Grabes lag eine unverbrannte Leiche, welche gegen Osten schauete. Die Knochen waren sehr vergangen; jedoch waren noch Arm= und Beinknochen, Rückenwirbel, Schädel, Kiefern vorhanden, wenn auch sehr mürbe. Unter dem einen Rückenwirbel lag ein zerbrochenes, stark verrostetes eisernes Messer mit Ueberresten einer Scheide von Leder mit bronzenem Beschlage. Dieses Stück reicht offenbar an die Wendenzeit hinan.

In einem andern, auch mit Steinen umsetzten Begräbnisse daneben, von 16' Breite, welches der Herr Dr. Hüen auch aufdeckte, fanden sich nur die "sichtbaren Spuren eines in Asche zerfallenen Körpers und einer gänzlich vergangenen Urne mit Inhalt".

Ein drittes ähnliches Begräbniß daneben, von 12' Breite, ward in der Abwesenheit des Herrn Dr. Hüen aufgebrochen, ohne daß Nachricht darüber eingeholt werden konnte.

Nach allen diesen Forschungen gehört dieser Begräbnißplatz wohl der letzten heidnischen und ersten christlichen Zeit an. Es finden sich noch Urnen und Leichenbrand, daneben jedoch auch Begräbnisse unverbrannter Leichen, bei welchen sich jedoch noch unverkennbar wendische Geräthe aus Bronze und Eisen finden. Die einzeln gefundenen

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 281 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Schädel sind allerdings auffallend und scheinen etwas jünger, jedenfalls aber alt zu sein. Ob es sich, wie wohl geäußert ist, annehmen läßt, daß hier die Köpfe von Hingerichteten begraben seien, ist wohl schwerlich zu ermitteln. Jedoch ist es immer möglich, daß auf diesem heidnischen Begräbnißplatze auch in jüngern Zeiten hingerichtete Missethäter eingescharrt sind; der Hügel kann auch zu Hexenverbrennungen gedient haben. Die Erinnerung an die alten heidnischen "Kirchhöfe" dauerte beim Volke sehr lange.

G. C. F. Lisch.