Seite 310 |
|
:
b) Kirchliche Bauwerke.
Die romanischen Feldsteinkirchen
im östlichen Meklenburg
von
G. C. F. Lisch.
Seit mehrern Jahren waren die in Ruinen liegenden Feldsteinkirchen von Dambeck und Papenhagen (bei Rambow) als alte Kirchen romanischen oder Rundbogen=Styls bekannt und bildeten als vereinzelte Beispiele uralter Bestrebung die Zielpuncte lebhafter Aufmerksamkeit. Die Entdeckung einer dritten Kirche dieser Art zu Gr. Wokern (vgl. Jahrbücher XXI, S. 264) im J. 1855 mußte um so mehr überraschen, als diese Kirche noch kräftig da steht und als sich trotz aöler Bemühungen keine Nachrichten von noch anderen Kirchen dieser Art gewinnen lassen wollten. Meklenburg besitzt zwar mehrere seit längerer Zeit bekannt gewesene Kirchen romanischen Baustyls; wie zu Ratzeburg, Gadebusch, Vietlübbe, Lübow, aus etwas jüngerer Zeit zu Rehna, Grevismühlen, Hagenow, Wittenburg u. s. w. Alle diese Kirchen sind aus Ziegeln gebauet und gehören dem Bisthum Ratzeburg an, mit Ausnahme der Kirche zu Lübow, welche jedoch unmittelbar an das Bisthum Ratzeburg grenzt. Diese Kirchen sind daher sicher von Ratzeburg aus gebauet. Das Bisthum Schwerin dagegen hat eine große Menge von etwas jüngeren Kirchen im Uebergangsstyle, theils aus Feldsteinen mit Ziegeln, theils allein aus Ziegeln aufgeführt. Dies läßt sich leicht dadurch erklären, daß im Bisthume Ratzeburg die Regierung der sächsischen Grafen von Schwerin und Ratzeburg jede Störung der christlichen und deutschen Bildung abwehrte, - im Bisthum Schwerin dagegen das Christenthum nach manchen Rückfällen der Wenden erst später durchdrang und feste Wurzel faßte. Es mußte daher auffallend sein, daß sich im östlichen Meklenburg Kirchen fanden, welche auf eine sehr frühe Zeit
Seite 311 |
zurückweisen: diese Kirchen haben jedoch eine andere Beschaffenheit, als die westlichen, indem sie aus Feldsteinen oder Granitgeschieben erbauet sind, und zwar in den bisher bekannt gewordenen Beispielen ohne jede Beimischung von Ziegeln, ja sogar mit Gewölben aus rohen, unbehauenen Feldsteinen, wie zu Dambeck und Gr. Wokern. Es konnte die Bemerkung nicht entgehen, daß diese Kirchen in andern Bisthümern lagen: die Kirchen zu Gr. Wokern und Papenhagen im Bisthume Camin, die Kirche zu Dambeck im Bisthume Havelberg.
Die Entdeckung mehrerer merkwürdiger Kirchen gleicher Bauart 1 ) in den nordöstlichen Gegenden Meklenburgs und in dem benachbarten Festlande des Fürstenthums Rügen giebt nun den bisherigen Beobachtungen, wie es scheint, eine festere Grundlage und weitere Ausdehnung, und es kann sich aus diesen Entdeckungen, in Vergleichung mit den Berichten über die ältesten Begebenheiten in diesen Gegenden, vielleicht eine lebendigere Gestaltung unserer Landesgeschichte für die nordöstlichen Gegenden ergeben.
Die bedeutendste Entdeckung ist die Kirche zu Lübchin, eine Kirche im ausgebildeten romanischen Baustyle und so viel sich bis jetzt übersehen läßt, die älteste Kirche von der Burg Meklenburg (Lübow) bis Stralsund. Diese Erscheinung trifft mit den häufigen Eroberungs= und Bekehrungszügen der Dänen nach Wendenland zusammen, in denen Lübchin als ein hervorragender Ort genannt wird.
Sichere dänische Quellen, die Knytlinga=Saga und Saxo Grammaticus, geben sehr ausführliche und merkwürdige Berichte, welche bereits vielfach untersucht sind und für den gegenwärtigen Zweck keiner besondern Prüfung bedürfen. Im Allgemeinen lauten diese Berichte 2 ) folgendermaßen. Um Michaelis des J. 1184 unternahm der König Knud von Dänemark mit dem Erzbischofe Absalon einen Zug iu die Wendenländer. Er segelte zuerst nach Rügen und vereinigte sich hier
Seite 312 |
mit 2000 Rügianern. Von dort zog er über Stralsund (Strela), wo die Schiffe liegen blieben, durch das Land Tribfees ("Tribusana provincia"), welches ihm untergeben war, nach Tribfees ("Tribudiz") und drang von hier durch daß Circipaner=Moor ("Circipenensium palus"), d. h. durch die weiten Moore des Trebel=Thales, bis zur Burg oder Stadt Lübchin ("urbs Lubechinka") und darnach weiter hinauf nach Tribiden 1 ) oder Tribedne, d. i. das Land Gnoyen gegen Güstrow hin, wo sein Heer sich zerstreuete, um zu verheeren und zu brennen. Der König wollte nach Demmin ziehen, gab jedoch dieses Vorhaben auf; auf diesem Ritt verbrannte er die "Kaufstadt" ("kaupstadr") oder ein großes Dorf ("villa") (Gnoyen?), wo große Vorräthe von Korn erbeutet wurden. Der König selbst lagerte bei Lubyna (Liepen ? 2 ) bei Sülz). Darauf sammelte sich das Heer wieder, blieb in der Gegend drei Tage liegen und nahm dann seinen Rückzug.
Ein Blick auf die Charte genügt, um einzusehen, daß alle diese Angaben ganz richtig sein müssen, da der Zug auf der gradesten Straße von Stralsund bis gegen Güstrow hin ging und alle Orte genau zutreffen. Es leidet keinen Zweifel, daß die Stadt Lubechinka, urbs Lubechinka, das jetzige Kirchdorf Lübchin ist.
Es findet sich bei dem Dorfe Lübchin nicht allein der Wall der alten wendischen Stadt Lübchin 3 ), sondern auch in dem Dorfe die älteste Kirche in der ganzen so eben beschriebenen Gegend. Die Kirche ist eine Granitfeldsteinkirche im vollständigen romanischen oder Rundbogenstyle, mit rundbogigen Pforten und Fenstern und mit einer halbkreisförmigen Altarnische, welche sich weit und breit an keiner Kirche mehr findet. Ich will grade nicht behaupten, daß die Kirche von den Dänen gegründet worden sei; aber ich glaube, daß sie unter nordischem Einflusse zu Stande gebracht, und daß die Cultur in diesen Gegenden in der ältesten Zeit von Osten her gekommen ist, da in den meisten Gegenden des östlichen Meklenburgs bis in das 13. Jahrhundert hinein große
Seite 313 |
Barbarei herrschte. Noch im J. 1248 ward den Fremden, namentlich den Dänen, im Gebiete des Klosters Eldena die Niederlassung versichert (vgl. Kosegarten Codex Pomer., I, p. 827), wie dies auch im Kloster Dargun der Fall war; noch heute heißt der Meerbusen bei Eldena die dänische Wik; und Kosegarten bemerkt a. a. O. S. 829 wohl richtig, daß der in der Nähe des Dorfes Wik bei Eldena gelegene Ort Lathebo, jetzt Ladebo, nordisch sei, von den schwedischen Wörtern lada = Scheure, und bo = Haus, wie noch heute z. B. ladugard = Scheurenhaus heißt. Um das J. 1290 werden dem Kloster unter andern auch die Dörfer: "Denschewic, Wendeschewic und Ladebu" versichert. Ich nehme keinen Anstand, den Bau der Kirche zu Lübchin noch in das Ende des 12. Jahrhunderts zu versetzen, so daß sie nicht lange nach dem Zuge des Dänenkönigs Knud vom J. 1184 in Angriff genommen sein muß. Noch im J. 1238 war Lübchin ein ansehnlicher Ort, als sich der Fürst Johann von Meklenburg dort aufhielt und am 1. März dem Kloster Dargun neue Freiheiten verlieh. Damals waren Theoderich Kapellan zu Lübchin und Barthold Vogt zu Lübchin, welche neben "allen Burgmännern" daselbst ("omnes castrenses ibidem") die Schenkung des Fürsten bezeugten (vgl. Lisch Meklb. Urk. I, p. 52 - 53). Die Insel Rügen ward schon im J. 1168 von den Dänen unterworfen und bekehrt und schon im J. 1193 ward die noch stehende, aus Ziegeln ("opere latericio") erbauete Marienkirche zu Bergen auf Rügen geweihet.
Diese Ansicht, daß in diesen östlichen Gegenden sich eine eigene Cultur entwickelt habe, welche von Osten her Beförderung erhielt, wird dadurch noch verstärkt, daß an der östlichen Seite des Circipaner Moors in Festland Rügen bei Marlow die Kirche zu Semlow ein ähnlicher Feldsteinbau ist und ungefähr in das Jahr 1200 fallen mag; etwas jünger, vielleicht um das J. 1210, ist die an Semlow grenzende Kirche zu Tribohm. Von der andern Seite ist die Feldsteinkirche zu Gr. Wokern bei Teterow der Kirche zu Lübchin im Bau gleich, steht aber der Kirche zu Semlow im Styl näher. Den ersten Uebergang zu dem neuern Styl scheint die Kirche zu Sanitz bei Tessin zu bilden.
Man sollte glauben, daß die Cultur in den nordöstlichen Gegenden Meklenburgs von dem Kloster Dargun 1 ),
Seite 314 |
welches im J. 1173 gestiftet ward, ausgegangen sei. Der Andrang der unaufhörlich aufstehenden Wenden und die Noth des Lebens war so groß, daß die Mönche sich nicht halten konnten, sondern das Kloster verlassen und in fremden Schutz flüchten mußten; es fand also eine völlige Auflösung des darguner Convents statt und an der Stelle des Klosters entstand eine "Räuberhöhle". Erst im J. 1209 wagten sich Mönche von Doberan wieder nach Dargun und erst im J. 1216 ward das Kloster förmlich wieder hergestellt und bald darauf der Ziegelbau ("opus latericium") begonnen, von welchem noch das in den neuesten Zeiten wieder entdeckte Schiff der Kirche übrig geblieben ist. Wahrscheinlich flüchteten die darguner Mönche nach dem Kloster Hilda 1 ) oder Eldena bei Greifswald. Dies mag daraus hervorgehen, daß das Kloster Dargun um das Jahr 1210 eine Pfannenstelle in der Saline zu Eldena (oder Greifswald) geschenkt erhielt 2 ). Es wäre von Wichtigkeit, die Ruinen der in Ziegeln gebauten Klosterkirche zn Eldena 3 ), welche im Kreuzschiffe noch viele alte roma=
Seite 315 |
nische Elemente enthalten, mit dem Ziegelbau des Schiffes der Klosterkirche zu Dargun zu vergleichen, da es nicht unwahrscheinlich sein dürfte, daß Dargun Unterstützung von Eldena erhalten habe.
Die Beschreibung der im nordöstlichen Meklenburg und im westlichen Schwedisch=Pommern neu entdeckten Feldsteinkirchen romanischen Baustyls in chronologischer Ordnung möge den vorstehenden Zeilen zur Bestätigung dienen.