zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 160 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

III.

Ueber den Obotritenfürsten

Mistuwoi,

von

F. Boll,

Pastor zu Neu=Brandenburg.


U nter den Fürsten des Obotritenstammes werden zwei des Namens Mistuwoi aufgeführt; nach einer größeren Lücke, welche in ihrer Reihe durch das Schweigen der Annalisten entstanden ist, werden sie von unsern neueren Geschichtschreibern folgendermaßen geordnet: Mistui Billug oder Mistevoi I. von 960 bis 985, dessen Sohn Mitzlav von 985 bis 1018, dessen Sohn Mistevoi II. von 1018 bis etwa 1025, dessen Sohn Udo von 1025 bis 1032, dessen Bruder oder Sohn Ratibor von 1032 bis 1042, dann Udo's Sohn Gottschalk von 1042 bis 1066 u. s. w. Indeß bei einem jüngst mir gegebenen Anlasse, diese Reihe mit kritischem Auge zu prüfen, überzeugte ich mich bald, daß unter den ersten Gliedern derselben eine arge Verwirrung stattfinde. Ich wandte mich zu den Quellen und fand denn auch alsbald die Quelle des Irrthums, der dieses Mal zu meiner Verwunderung bei Adam von Bremen, einer sonst so geschätzten Autorität in der wendischen Geschichte, zu suchen war. Nicht zwei Mistuwois sind unter den Obotritenfürsten zu zählen, sondern nur einer; der zweite verdankt sein Dasein nur der von Adam irrthümlich um einige Jahrzehnte zu spät angesetzten Zerstörung Hamburgs durch Mistuwoi, ein Irrthum, der freilich bei dem eigentlichen Geschichtschreiber des Bremer=Hamburger Erzstiftes sehr befremdet, der aber doch hinreichende Entschuldigung darin findet, daß Adam fast hundert Jahre später, als diese Ereignisse sich zutrugen, und zwar bloß aus mündlicher Ueberlieferung schöpfend, darüber berichtet hat. Möglichst strenges Festhalten an den gleichzeitigen Nachrichten wird diese Verwirrung aufklären. Doch zur Sache.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 161 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die erste Erwähnung des Mistuwoi ist eine durchaus gleichzeitige. Der korveische Mönch Widukind schrieb seine "Sächsische Geschichte", mit Ausnahme des erst später von ihm hinzugefügten Anhanges, im J. 967 oder 968 (Monumenta hist. Germ., herausgegeben von Pertz V, p. 411). Das letzte von ihm berichtete Factum ist, wie die von ihren Vätern her vererbte Feindschaft zwischen dem Fürsten der Wagrier Selibur und dem Obotritenfürsten Mistav den Anlaß gegeben, daß Wichmann, der Neffe des Sachsenherzogs Hermann Billung, im J. 967 unter den Wenden seinen Tod gefunden (Lib. 3 Cap. 68); damals war also bereits Mistuwoi, denn dieser ist, wie der Verfolg sogleich zeigen wird, unter dem Mistav zu verstehen, Fürst der Obotriten.

An das Zeugniß Widukinds reihet sich unmittelbar das Zeugniß des Bischofs Thietmar von Merseburg; dieser hat die ersten Bücher seiner Chronik im J. 1012 verfaßt (Monum. hist. Germ. V, p. 727) und den Inhalt der beiden ersten Bücher größtentheils aus Widukind geschöpft, jedoch nicht, wie andere Chronisten, ihn wörtlich ausschreibend, sondern frei ihn verarbeitend. 1 ) Er schreibt 2, 9: "Herzog Hermann machte den Selibur und den Mistui mit ihren Völkern dem Kaiser tributbar", dieses Factum, eben so wie Widukind, unmittelbar nach Unterwerfung der Lausitzer durch den Marfgrafen Gero im J. 963 referirend. Doch hat er offenbar die Angabe des Widukind nicht genau wiedergegeben; nicht damals erst wurden die Wagrier und Obotriten dem Kaiser Otto I. zinspflichtig, sondern sie waren es bereits seit dem J. 929 (Widukind 1, 36, und Thietmar 1, 6); auch spricht Widukind in der oben erwähnten Stelle von den Wagriern und Obotriten durchaus nicht als von jüngst erst unterworfenen Völkern, sondern nennt ihre Fürsten Selibur und Mistav Unterkönige (subregulos) des Sachsenherzogs Hermann, die sich gegenseitig bei dem Herzoge, als ihrem Gebieter, verklagt hätten.

Die nächste Erwähnung des Mistuwoi von Thietmar geschieht Lib. 3. Cap. 11. bei Gelegenheit des allgemeinen Slavenaufstandes im J. 983. 2 ) Er berichtet, wie der Ueber=


1) Monum. German. V, 414: (Thietmarum) magnum primi et secundi libri partem ex nostro (Widukindo) hausisse, jam satis constat. Attamen nullibi fere ipsius verba retinuit, sed suo more easdem res mutato sermone expressit.
2) Dieses Jahr nimmt Thietmar offenbar selbst als das Jahr der Slaven=Rebellion an, obwohl er es hier nicht ausdrücklich nennt; denn weiter unten, Cap. 14, setzt er mit eigner Hand erläuternd auf dem Rande der Handschrift hinzu: et in hoc anno (983) Sclavi unanimiter restiterunt Cesari et Thiedrico Marchioni, womit auch die einzige gleichzeitige Quelle, welche außer Thietmar dieses (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 162 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

muth, mit welchem Herzog (Markgraf) Dietrich die slavischen Völkerschaften, welche das Christenthum angenommen und den Kaisern zinspflichtig gedient, behandelt, dieselben getrieben habe, einhellig die Waffen zu ergreifen. Am 29. Juni sei zuerst Havelberg von ihnen erobert und der dortige Bischofssitz zerstört worden; drei Tage später habe Brandenburg dasselbe Schicksal betroffen; um dieselbe Zeit sei von einem Böhmischen Heere Zeitz erobert und hernach das Kloster des heil. Laurentius zu Calwe (a. d. Saale) geplündert worden. Hierauf fährt er fort: "Mistui, Herzog der Abdriten, zündete Homanburg, wo ehedem der Bischofssitz war, an und verwüstete es. Was aber Christus hier für ein Wunder vom Himmel wirkte, möge die gesammte Christenheit vernehmen. Von den himmlischen Sitzen herab kam eine goldene Hand, langte mit ausgespreizten Fingern mitten in die Feuersbrunst und kehrte gefüllt vor aller Augen zurück. Dies bewundert das Heer, dies staunt der erschrockene Mistuwoi an, und mir hat es Avico kund gethan, der damals sein Capellan war und hernach mein geistlicher Bruder geworden ist. Ich aber legte es mit ihm also aus, daß auf diesem Wege die Reliquien der Heiligen von göttlicher Hand in den Himmel erhoben wären und die Feinde in Schrecken und Flucht getrieben hätten. [Später ward Mistuwoi, in Wahnsinn verfallen, in Banden gehalten; in Weihwasser getaucht, rief er: Der heil. Laurentius verbrennt mich! und kam, ehe er befreit ward, jämmerlich um.] Nachdem damals alle Städte und Dörfer bis zu dem Flusse, der Porgera heißt, mit Raub und Brand verwüstet waren, vereinigten sich von den Slaven mehr als 30 Legionen Fußvolk und Reiterei, welche ohne Behinderung auch alles Uebrige mit Hülfe ihrer Götter verwüsten zu können nicht zweifelten [ihre Trompeter vorauf]. Aber es blieb den Unsern nicht verborgen. Es vereinigten sich die Bischöfe Gisiler (von Magdeburg) und Hilliward (von Halberstadt) mit dem Markgrafen Dietrich und den übrigen Grafen Ricdag, Hodo und Binzino, Friedrich, Dudo und meinem Vater Siegfried und vielen andern. Als der Sonntag grauete, hörten sie alle die Messe und schirmten Leib und Seele mit dem himmlischen Sacramente, griffen dann die begegnenden Feinde getrosten Muthes an, und hieben sie, wenige die auf einen Hügel entrannen ausgenommen, nieder." 1 )


(  ...  ) Auffstandes erwähnt, die Hildesheimer Annalen, übereinstimmt: et eodem anno (983) Sclavi rebelles effecti sunt. Ich kann deshalb dem trefflichen Herausgeber des Thietmar, Herrn Archivar Lappenberg, nicht beistimmen, der in der 5. Anm. ad l. c. vermuthet, daß der Slavenaufstand vielleicht in ein früheres Jahr zu setzen sei.
1) Thietmar 3, 11: Mistui Abdritorum dux Homanburg, ubi sedes episcopalis quondam fuit, incendit atque vastavit. Quid vero ibi mirabilium (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 163 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

- Die eingeklammerten Worte sind in dem zu Dresden noch aufbehaltenen Autograph des Thietmar später von seiner eigenen Hand auf dem Rande hinzugefügt.

Thietmar war freilich erst ein kaum neunjähriger Knabe (er war geboren am 25. Juli 974), als diese Dinge sich zutrugen. Dennoch konnte er sicherlich genau darüber unterrichtet sein, besonders was den Antheil der Obotriten und ihres Fürsten Mistuwoi dabei betraf, da Thietmars eigener Vater in diesen für das Sachsenland so wichtigen Kämpfen mitgefochten, und Mistuwoi's eigener Capellan Avico als Augenzeuge darüber später dem Thietmar berichtet hatte. Des Mistuwoi gedenkt Thietmar später nur noch ein einziges Mal. Als nach dem Tode des Kaisers Otto II. (am 7. Mai 983) der Vaterbrudersohn des verstorbenen Kaisers, Herzog Heinrich von Baiern, dem jungen Otto III. die Krone entreißen wollte, führt Thietmar unter denen, welche sich deshalb auf Ostern des folgenden Jahres zu Quedlinburg mit dem Baiernherzoge verbündeten, vor allen auf die Fürsten der Polen, Obotriten und Böhmen, Miseco, Mistui und Bolislav. Doch muß Mistuwoi noch längere Zeit gelebt haben, und die merkwürdige Todesart desselben, deren Thietmar oben einschaltend gedachte, kann erst nach Beginn des folgenden Jahrhunderts stattgefunden haben. Die Chronik des einige Meilen nordwärts von Magdeburg an der Ohre gelegenen Klosters Hillersleben hat uns nämlich die Nachricht aufbehalten, daß im J. 1000 der Fürst der Obotriten Mistuvitz das Kloster des heil. Laurentius zu Hildesleve verbrannt, die Nonnen herausgeschleppt und viele Sachsen dabei getödtet habe, ein Ereigniß, dessen zwar auch Thietmar als unter der Regierung Otto's III. geschehen gedenkt, aber ohne das Jahr und den Urheber genauer zu bezeichnen. 1 ) Diese Nachricht wirft denn auch Licht auf den Ausruf des in Wahnsinn gefallenen Mistuwoi, den man


(  ...  ) [fnpage]Christus operaretur e celis, attendat religio totius christianitatis. Venit de supernis sedibus aurea dextera, in medium collapsa incendium expansis digitis, et plena cunctis videntibus rediit. Hoc admiratur exercitus, hoc stupet Mistuwoi timoratus, et id mihi indicavit Avico, capellanus tunc ejus et spiritualis frater meus postea effectus. Sed ego cum eodem sic tractavi, reliquias sanctorum itinere in coelum divinitus collatas abiisse, hostesque terruisse atque fugasse. [Post haec Mystuwoi in amentiam versus in vinculis tenetur, et aqua benedicta inmersus, sanctus, inquid, me Laurentius incendit, et antequam liberaretur, miserabiliter obiit.] Desolatis etc. .
1) Chronic. Hillesleb. bei Riedel Beitr. 8: Mistuviz dux Obutriorum scil. Sclavorum combussit monasterium S. Laurentii martyr. in Hildesleve, eductis inde sanctimonalibus et illo die multi de Saxonibus sunt interfecti. - Thietmar 4, 32: Tempore predicti Cesaris monasterium in Hilleslevo a Sclavis combustum est, eductis sanctimonialibus, et eodem die multi ex nostris sunt interfecti. - Der Sächsische Annalist welcher den Thietmar ausschreibt, setzt das Ereigniß in das J. 999.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 164 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

in Weihwasser getaucht hatte, ohne Zweifel um ihn dadurch zu heilen; 1 ) Der heil. Laurentius verbrennt mich! schrie er, des Frevels gedenkend, den er an dem Kloster dieses Heiligen geübt hatte. Diesen Sinn legt seinen Worten offenbar schon der sächsische Annalist unter, der um die Mitte des 12. Jahrhunderts schrieb (Mon. Germ. VIII, 517); weil ihm aber die Zerstörung des Klosters des heil. Laurentius zu Hillersleben durch Mistuwoi unbekannt geblieben, entstellte er Thietmars Bericht, und ließ die Zerstörung des Laurentius=Klosters zu Calwe a(Punkt fehlt) d. Saale, welche nach Thietmar die Böhmen begingen, durch Mistuwoi und die Obotriten geschehen.

Auch der Obotriten gedenkt Thietmar im weiteren Verlauf seiner Erzählung nur seltener. Während des beständigen Kampfes mit den Wenden unter der Regierung Otto's III., der vergebens sie wieder zu unterjochen bemüht war, werden mehrere Heereszüge ausdrücklich als gegen die Obotriten gerichtet erwähnt. Die gleichzeitigen Hildesheimer Annalen berichten solche zu den Jahren 990 und 995, welchen letzteren auch Thietmar 4, 12 erwähnt. Otto's Nachfolger, Heinrich II. (seit 6. Juni 1002), befolgte gegen die Wenden eine seinem Vorgänger entgegengesetzte Politik, und erreichte durch Güte, was jener durch Waffengewalt nicht zu erzwingen vermocht hatte. Zu Ostern 1003 erschienen Abgesandte der Redarier und Leutizier zu Quedlinburg vor dem Kaiser, und wurden durch freundliche Aufnahme und Geschenke in treue Verbündete verwandelt (Thietm. 5, 19), wobei freilich von Annahme des Christenthumes nicht die Rede war. Seitdem fanden längere Jahre hindurch nur friedliche Berührungen mit den Wendenstämmen statt, ja bei den Wagriern und Obotriten war, dem Namen nach wenigstens, das Christenthum wieder hergestellt; Thietmar erwähnt mehrere Male Zusammenkünfte, welche der Kaiser mit den Fürsten der nördlichen Wendenstämme, zu welchen die Wagrier und Obotriten gerechnet wurden, gehalten habe, um ihre Angelegenheiten zu ordnen: im J. 1005 zu Werben an der Elbe (6, 21), und im October des J. 1012 zu Arneburg (6, 51).

Erst im letzten Buche seiner Chronik, welches er kurz vor seinem Tode (am 1. December 1018) abgefaßt hat, kommt er wieder ausführlicher auf die Obotriten zu sprechen. Die Leutizier hatten im J. 1017 den Kaiser auf einem Heereszuge wider die Polen begleitet; der Obotritenfürst Mistizlav hatte den Leutiziern dabei seine Hülfe nicht gewährt. Deshalb überfielen sie ihn im


1) Die Kraft, Krankheiten zu heilen und böse Geister zu vertreiben, ward im Mittelalter dem Weihwasser ganz allgemein zugeschrieben.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 165 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Februar des J. 1018, verwüsteten sein Land, vertrieben seine Gemahlin und Schwiegertochter und schlossen ihn selbst in Schwerin ein; darauf wiegelten sie seine eigenen Unterthanen gegen ihn auf, so daß er aus seinem väterlichen Erbe entweichen mußte; die Obotriten und Wagrier fielen, die Kirchen zerstörend, vom Christenthum ab und kehrten völlig zum Heidenthume zurück (8, 4).

Hiermit enden die gleichzeitigen Nachrichten Thietmars und ich gehe jetzt zu Adam von Bremen über, dem die Wendische Geschichte jener Zeiten gleichfalls sehr viel verdankt. Doch ist die Stellung beider Schriftsteller zu den Wenden sehr verschieden. Thietmar war an der wendischen Grenze aufgewachsen; seine beiden Aelterväter waren im J. 929 in der Schlacht bei Lenzen gegen die Wenden gefallen; sein Vater Siegfried, Graf von Walbeck, hatte im J. 983 bei Tangermünde gegen die empörten Wenden mitgefochten; dessen älterer Bruder Lothar ward Markgraf der Nordmark, als Marfgraf Dietrich in Folge der allgemeinen Empörung im J. 983 seines Amtes entsetzt ward; Thietmar selbst war Bischof in einer Diöcese, deren Bevölkerung noch zum größten Theile aus Slaven bestand: so lebte Thietmar eigentlich inmitten der wendischen Geschichte. Ganz anders dagegen war die Stellung des bremer Magisters Adam zum Wendenlande. Dieser war in Oberdeutschland geboren (Scholie zu 4, 35), und kam, seiner eigenen Angabe nach, erst im J. 1068 nach Bremen. Nicht lange nachher, ums J. 1075 (Monum. Germ. IX, 268) schrieb er die Geschichte des Bremer=Hamburger Erzstiftes, besonders um den Verfall desselben unter dem jüngst verstorbenen berühmten Erzbischofe Adelbert und die Ursachen desselben zu schildern. Er führt zwar zahlreiche Schriften an, welche er dabei benutzte, unter ihnen für die frühere Zeit besonders die fränkischen Annalen; für die eigentliche Geschichte des Erzstiftes aber sah er sich, bis auf die Lebensbeschreibungen des heil. Anskar und des heil. Rimbert, nebst den kurzen Fasten des Klosters Corvei, von allen schriftlichen Aufzeichnungen verlassen. Bei seinen Berichten über das Wendenland und dessen Geschichte beruft er sich gewöhnlich auf die ausführlichen Mittheilungen, welche König Suein von Dänemark (geb. wahrscheinlich 1019, † am 28. April 1076) ihm darüber gemacht habe. So entbehren seine Nachrichten über die ältere Wendische Geschichte fast alles chronologischen Anhaltes, und es darf uns daher nicht wundern, wenn wir in dem Zeitabschnitte, den wir so eben nach Thietmar durchgegangen sind, Adam mit diesem vielfach in Widerspruch finden.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 166 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

So versichert er 2, 24: Erzbischof Adeldag, der bis 988 im Amte war, habe für Aldenburg in Wagrien, wo er um das J. 948 einen Bischofssitz errichtet hatte, die Bischöfe Egwald, Wego und Ezico ordinirt, "zu deren Zeiten die Slaven Christen blieben. So war auch Hamburg in Frieden. Ueberall wurden im Wendenlande Kirchen errichtet, Klöster für Männer und Weiber, die Gott dieneten, erbaut. Dies bezeugt der gegenwärtig noch am Leben befindliche König Suein; er berichtete, das Wendenland zerfalle in 18 Landschaften, und versicherte uns, bis auf drei wären sie alle zum christlichen Glauben bekehrt gewesen, und fügte hinzu: ihre Fürsten waren jener Zeit Missizla, Naccon und Sederich 1 ), unter denen, sagte er, beständiger Friede war und die Slaven unter Tribut dienten". - Auf Erzbischof Adeldag folgte Libentius im Amte von 988 bis 1013; auch unter diesem blieb noch über die Hälfte seiner Amtszeit hindurch das Wendenland in Ruhe und Friede. Libentius "besuchte häufig die überelbischen Völkerschaften und hegte ihre Mutterkirche Hamburg mit väterlicher Liebe" (2, 27).

Nun fährt Adam Cap. 40 bis 43 in der Erzählung fort: "Inzwischen ward das tausendste Jahr, von der Menschwerdung unsers Herrn an, glücklich erfüllt, und dies war das zwölfte Jahr des Erzbischofes. Im folgenden Jahre starb der tapfere Kaiser Otto 2 ), welcher bereits die Dänen, Slaven, desgleichen die Franken und Italiäner bezwungen hatte, als er schon zum dritten Male zu Rom siegreich eingezogen war, durch einen frühzeitigen Tod ereilt. Nach seinem Tode blieb das Reich streitig 3 ). Damals aber wurden die Slaven, von ihren christlichen Gebietern mehr als billig gedrückt, nachdem sie endlich das Joch der Knechtschaft abgeschüttelt hatten, gezwungen, ihre Freiheit mit den Waffen zu vertheidigen. Die Fürsten der Wenden waren Mistiwoi und Mizzidrog, unter deren Führung der Aufstand entbrannte. Unter diesen Führern rebellirend, verwüsteten die Slaven zuerst ganz Nordalbingen mit Feuer und Schwerdt. Darauf durchzogen sie das übrige Wendenland, zündeten alle Kirchen an, und machten sie dem Erdboden gleich. Die Priester und übrigen Kirchendiener tödteten sie auf allerlei Art, und ließen keine Spur


1) Nacco heißt bei Widukind 3, 50 ein wendischer Fürst (subregulus barbarorum) der im J. 955 Herzog Hermann von Sachsen feind war; ein Wendenfürst Namens Sederich kommt noch später bei Adam 2, 58 vor (siehe unten).
2) Otto starb erst am 24. Januar 1002.
3) Markgraf Eckhard von Meißen und Herzog Hermann von Schwaben trachteten nach der deutschen Krone. Am 6. Juni 1002 ward indeß Herzog Heinrich von Baiern zu Mainz zum Könige gewählt und gekrönt; Markgraf Eckhard war inzwischen schon erschlagen, und Herzog Hermann unterwarf sich dem neuen Könige bereits am 1. October (Thietm. 5, 14).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 167 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

des Christenthums jenseit der Elbe zurück. Cap. 41. Bei Hamburg wurden zu dieser Zeit und hernach viele Cleriker und Bürger in die Gefangenschaft geschleppt, viele auch aus Haß gegen das Christenthum getödtet. Der oft zu erwähnende König Suein, der alle Geschichten der Barbaren, als wenn sie geschrieben wären, im Gedächtnisse hatte, erzählte uns: Aldenburg sei damals eine von Christen stark bevölkerte Stadt gewesen; sechszig Priester, sagte er, wurden dort, nachdem die übrigen wie das Vieh abgeschlachtet waren, zur Verspottung aufbewahrt, von denen der Propst des Ortes Oddar hieß, unser Blutsverwandter. Dieser ward mit den übrigen durch ein solches Marterthum vollendet, daß ihnen die Kopfhaut kreuzweise eingeschnitten und das Gehirn geöffnet ward 1 ); dann wurden ihnen die Hände auf den Rücken gebunden und die Bekenner Gottes durch die verschiedenen Städte der Slaven geschleppt, bis sie ihren Geist aufgaben. So wurden sie Engeln und Menschen ein Schauspiel 2 ), und hauchten mitten in ihrer Laufbahn siegreich ihren Geist aus. - Viel dergleichen geschah damals, wie erzählt wird, in den verschiedenen Provinzen der Slaven, was aus Mangel an Geschichtschreibern darüber jetzt für Fabeln gehalten wird. Als ich darüber den König weiter befragte, sagte er: Höre auf, mein Sohn; wir haben in Dänemark und im Wendenlande so viele Märtyrer, daß sie kaum alle könnten in einem Buche begriffen werden. - Alle Slaven also, die 70 Jahre hindurch und drüber zu der ganzen Ottonen=Zeit das Christenthum bekannt hatten, schieden sich auf solche Weise vom Leibe Christi und der Kirche, mit dem sie zuvor verbunden gewesen waren. - Dieses geschah in der letzten Zeit des Libentius, unter Herzog Bernhard, dem Sohne des Benno, der das Volk der Slaven hart heimgesucht hatte."

Adam gesteht, daß er diesen Bericht über den Abfall der Wenden vom Christenthume nach den Zeiten der Ottone nur aus mündlicher Relation, und zwar des Königs Suein von Dänemark, der noch nicht geboren war, als diese Dinge sich zugetragen haben sollen, geschöpft habe; er selbst bedauert den Mangel schriftlicher Aufzeichnungen darüber. Aus diesem Umstande sind die chronologischen Widersprüche zu erklären, in welche Adam nicht nur mit Thietmar, der gerade in dieselbe Zeit, in


1) Es soll wohl verstanden werden, daß ihnen die Hirnschale bloßgelegt ward; ferro ziehe ich zu incisa.
2) Paulus sagt 1. Corinther 4, 9 in Bezug auf die Verfolgungen, welche er litt: quiaspectaculum facti sumus mundo, et angelis et hominibus (Vulgata). Wohl mit Unrecht findet man in den Worten Adams eine Anspielung auf Virgil.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 168 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

welche Adam die Rebellion der Wenden verlegt, ihre Aussöhnung mit dem deutschen Reiche setzt,sondern auch mit sich selber tritt. Zu Anfang seines Berichts sagt Adam ausdrücklich: die Rebellion der Wenden habe stattgefunden bald nach dem zwölften Amtsjahre des Libentius, als nach dem Tode des Kaisers Otto III. die Herrschaft des deutschen Reiches eine Zeit lang streitig war, also im J. 1002. Am Schlusse aber giebt er an: dies sei geschehen in den letzten Zeiten der 25jährigen Amtsführung des Libentius, unter Herzog Bernhard II. von Sachsen dem Sohne Benno's oder Bernhard I., und auch Cap. 47 wiederholt er ausdrücklich: Herzog Bernhard habe aus Geiz die Wenden grausam bedrückt, und sie dadurch gezwungen, zum Heidenthume zurückzukehren. Nun starb Herzog Benno am 9. Februar 1011; die Rebellion der Wenden also müßte zwischen diesem und dem Todesjahre des Libentius 1013, also etwa im J. 1012, stattgefunden haben. Aber noch mehr. Adam versichert, 70 Jahre und darüber, während der ganzen Ottonen=Zeit, hätten die Slaven dem Christenthume angehangen. Nun hatte er oben Cap. 4 und 5 den Beginn des Christenthumes bei den Wenden in das zwölfte Jahr des Bischofs Adeldag, d. i. ins J. 948, gesetzt; hiernach würde also 70 Jahre später ihr Abfall ins J. 1018 fallen, in welchem nach Thietmar der zweite Abfall der Wagrier und Obotriten stattfand. Diese handgreiflichen und unauflöslichen Widersprüche Adams seinen eigenen chronologischen Bestimmungen scheinen schon den gelehrten Herausgeber seiner Chronik, Herrn Archivar Lappenberg, bestimmt zu haben, zum Schlusse des 40. Capitels die Vermuthung auszusprechen: Adam habe hier die Ereignisse, die sich nach dem Tode Otto's II. 1 ) zugetragen, in die Zeiten nach dem Tode Otto's III. verlegt. Er hätte dies um so zuversichtlicher thun können, da der sächsische Annalist schon den Bericht Adams über die Rebellion der Wenden vollkommen richtig zu dem J. 983 gesetzt hatte.

Der Beweis dafür, daß Adam, wenn er in der angeführten Stelle von der durch Mistuwoi und Mizzidrog veranlaßten Empörung der Wenden rede, bei welcher auch Hamburg zerstört ward und für deren Zeitbestimmung er uns die Wahl zwischen den Jahren 1002, 1012 und 1018 läßt, eben keine andere meine, als die nach Thietmar im J. 983 stattfand und bei welcher Mistuwoi Hamburg verbrannte, - der Beweis hierfür wäre sehr leicht aus Adam selbst geführt, wenn man bestimmt versichert sein könnte, daß die Scholien zu der betreffenden Stelle Adams von seiner eigenen Hand herrührten. Es befinden sich


1) Richtiger: in den letzten Jahren Otto's II.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 169 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nämlich in den verschiedenen Handschriften des Adam 1 ) eine beträchtliche Anzahl von Scholien, von denen es wohl keinem Zweifel unterliegt, daß die meisten von Adam selbst später hinzugefügt sind, wiewohl einzelne auch offenbar aus einer andern Feder geflossen sind (Mon. Germ. IX, 274). Wäre nun als ausgemacht anzunehmen, daß die Scholien, welche bei unserer Stelle sich finden 2 ), von Adam selbst herrühren, so wäre, wie gesagt, jener Beweis sehr leicht geführt.

Das 30. Scholion (nach dem Wolfenbütteler und Soröer Codex) fügt als Veranlassung des Wendenaufstandes Folgendes hinzu: "Es geht die Rede, ein Wendischer Fürst (Ducem Slavanicum, wahrscheinlich der im Text genannte Mistiwoi) habe für seinen Sohn die Nichte des Herzogs Bernhard zur Gemahlin gewünscht und dieser habe sie zugesagt. Darauf schickte der Wendenfürst seinen Sohn mit dem Herzoge nach Italien, nebst 1000 Reitern, die fast alle dort getödtet wurden. Als aber der Sohn des Wendenfürsten die versprochene Gemahlin forderte, hintertrieb Markgraf Dietrich die Sache, indem er erklärte, die Blutsverwandte des Herzogs könne ihm nicht gegeben werden" 3 ), - und die Scholien 31 und 32 fügen nach denselben Handschriften noch hinzu: dieses sei der Markgraf Dietrich gewesen, der durch seine Untüchtigkeit die Wenden zum Abfall getrieben habe, und der, deshalb seines Ehrenamtes und seiner väterlichen Herrschaft entsetzt, zu Magdeburg als Präbendarius gestorben sei. Nun ist dieser Markgraf Dietrich eben kein anderer als der marchio aquilonaris Dietrich, dessen Uebermuth (superbia) nach Thietmar 3, 10 die Wenden im J. 983 zur Rebellion trieb, und der nach dem sächsischen Annalisten (zum J. 983) deshalb die Markgrafschaft verlor und Thietmars Oheim Lothar zum Nachfolger erhielt (cf. Annalista Saxo ad a. 998 u. 1010) und nach den Quedlinburger Annalen (Mon. Germ. V, 67) bereits im J. 985 verstarb. Wären also diese Scholien von Adam selbst geschrieben, so wäre unwiderleglich, daß auch er


1) Außer in dem Wiener Codex, welcher in den Monumentis Germaniae zu Grunde gelegt ist, in dem jedoch einzelne Scholien in den Text selbst eingeflochten sind.
2) Im 28. Scholion wird erzählt: Mistiwoi habe dem Christenthume nicht entsagen wollen, sei deshalb aus seinem Vaterlande vertrieben worden und habe sich über die Elbe nach Bardowik geflüchtet, wo er als Christ sein Alter zugebracht habe. Diese Angabe hält Hr. Archivar Lappenberg wohl nicht mit Unrecht für eine Verwechselung mit dem, was sich nach Thietmar 8, 4 mit Mistizlav zutrug.
3) Noch beleidigender fiel nach dem Kopenhagener Codex die Erklärung des Markgrafen Dietrich aus: consanguineam ducis non esse dandam cani; diese Version war schon Helmold bekannt, welcher 1, 16 schreibt: Theodoricus marchio intercepit consilium, consanguineam ducis non dandam proclamans cani.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 170 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

keinen andern Aufstand der Wenden meinen könne, als den im J. 983 erfolgten, und nur der Mangel an chronologischen Bestimmungen ihn verleitet habe, diesen Aufstand um einige Jahrzehnte zu spät anzusetzen.

Doch auch aus andern Angaben Adams läßt es sich zeigen, daß er in der Zeitbestimmung des Abfalles der Slaven vom Christenthume durchaus im Irrthume sich befinden müsse. Als die in dem Zeitraume, während dessen die Slaven zum Christenthume sich bekannten, für den aldenburger Sprengel von Erzbischof Adeldag ordinirten Bischöfe hatte er 2, 24 den Egward, Wego und Ezico angegeben; im 44. Capitel zählt er als die von Libentius (988 bis 1013) für Aldenburg ordinirten Bischöfe den Folcward und Reginbert auf, "deren erster, aus dem Slavenlande vertrieben, von dem Erzbischofe nach Schweden und Norwegen gesandt ward". Für Folcward sind mir zwar keine Zeitbestimmungen bekannt; Reginbert war aber nach den Quedlinburger Annalen schon im October des J. 992 Bischof der Slaven. Auch Thietmar erwähnt 6, 30 seiner und erzählt: seine (Thietmars) Großmutter habe den Reginbert, einen Ost=Franken, zum Propste des von ihrem verstorbenen Gemahle gegründeten Klosters Walbeck ernannt; nach dem Tode seiner Großmutter und seines Vaters aber, die beide im J. 990 aus der Welt gingen, sei Reginbert durch Vermittelung von Thietmars Oheim, dem Nordmarkgrafen Lothar, durch Kaiser Otto III. zum Bischofe von Aldenburg ernannt worden. Es ist also klar, daß, wenn schon Reginberts Amtsvorgänger Folcward durch den Abfall der Wenden vom Christenthume aus seiner Diöcese vertrieben ward, dieser Abfall nicht erst nach dem Tode Otto's III. kann stattgehabt haben, also auch Adam eben keine andere Empörung der Wenden meinen könne, als die von Thietmar als im J. 983 geschehen berichtete.

Kürzer kann ich mich über die weiteren Nachrichten Adams fassen. Auf Erzbischof Libentius folgte im Amte Unwan von 1013 bis 1029. Unter diesem ereignete sich der von Thietmar berichtete zweite Abfall der Wagrier und Obotriten vom Christenthume zu Anfange des J. 1018, dessen Ausgang Thietmar nicht mehr erlebte. Adam dagegen erzählt 2, 46: Herzog Bernhard II. habe sich (nach den Hildesheimer Annalen im J. 1019) gegen Kaiser Heinrich erhoben, sei aber durch Unwans Vermittlung wieder mit demselben ausgesöhnt worden; bald darauf habe der Herzog mit Beihülfe Unwans die Slaven wieder dem Tribute unterworfen und dem Lande Nordalbingien und seiner Mutterkirche Hamburg den Frieden wiedergegeben; hierauf habe der Erzbischof Hamburg, Stadt und Kirche, neu aufgebaut;

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 171 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

für das Wendenland habe er nach Reginberts Tode den Benno zum Bischofe eingesetzt 1 ), welcher durch seine Verkündigung des Christenthumes viel unter den Slaven gewirkt habe; Unwan, fügt er im 58. Capitel noch hinzu, habe oft mit Herzog Bernhard Hamburg besucht und habe Jahre lang sich hier aufgehalten, und hier Zusammenkünfte sowohl mit König Knut von Dänemark, als auch mit den Wendenfürsten Uto und Sederich gehabt. Auch von Unwans Nachfolger Libentius II. (von 1029 bis 1032) berichtet er Cap. 64, daß er Hamburg oft besucht habe, weil damals durch das Verdienst Königs Knut und Herzogs Bernhard der Friede über der Elbe gesichert gewesen und auch der Kaiser (Konrad) die Wenden durch einen Sieg gebändigt habe 2 ); "ihre Fürsten, Gneus und Anatrog, schreibt Adam, waren Heiden, und der dritte, Uto, ein Sohn des Mistiwoi, ein schlechter Christ, weshalb er auch für seine Grausamkeit von einem sächsischen Ueberläufer getödtet ward; er hatte einen Sohn Gottschalk u. s. w." Dieser ist der bekannte Gottschalk, der nachdem er eine Zeit lang unter König Knut 3 ) und dessen Nachfolgern in England Kriegsdienste gethan und darauf König Sueins Schwiegersohn geworden war, das obotritische Königreich aufrichtete, und weil er mit großem Eifer (er trat selbst als Verkündiger des Evangeliums auf) das Christenthum unter den Wenden auszubreiten bemüht war, im J. 1066 zu Lenzen ermordet ward. Nach Adam war also Gottschalk ein Sohn des Uto und ein Enkel des Mistiwoi. Da Adam diese Angaben dem eigenen Schwiegervater Gottschalks, dem Könige Suein, verdankte, so ist nicht wahrscheinlich, daß sie unrichtig sein sollten; doch will ich nicht unterlassen zu bemerken, daß nach dem berühmten Geschichtschreiber Dänemarks, Saxo Grammaticus (Lib. 10), der Vater des Gottschalk Pribignevus 4 ) hieß. Vielleicht, daß Pribignev sein wendischer, Uto oder Otto sein christlicher Taufname war, wie denn solche Doppelnamen auch


1) Auch den Bischof Benno setzt Adam zu spät an, denn wir werden unten sehen, daß er schon vor 1005 von Libentius muß ordinirt worden sein.
2) Nach dem Lebensbeschreiber Kaiser Konrads, Wippo, und dem Sächsischen Annalisten waren die Wenden in den ersten Regierungsjahren des Kaisers friedlich und gehorsam; erst im J. 1032 wurden die Leutizier unruhig und machten einen Feldzug des Kaisers an die Elbe nöthig, und erst im J. 1035 trug der Kaiser einen großen Sieg über sie davon. Was Adam hier also als zu Lebzeiten des Erzbischofs Libentius II. geschehen berichtet, trug sich erst später zu.
3) König Kunt starb am 11. November 1035; Gottschalk kann also nur in seinen letzten Lebensjahren bei ihm in England gewesen sein.
4) Adam nennt neben Uto einen Wendenfürsten Gneus; sollte dieser der Pribignevos des Saxo sein? Der Name Gneus ist sehr verdächtig; es kommt gnev (Groll) häufig in zusammengesetzten Namen vor, wie Jarognev (Starkgroll), Mirognev (Sanftgroll), Gneomir u. s. w., aber für sich allein ist es mir noch niemals begegnet.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 172 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

bei andern Wendenfürsten jener Zeit sich finden, z. B. bei dem letzten Wendenfürsten von Brandenburg, dessen eigentlicher Name Pribislav und dessen christlicher Name Heinrich war 1 ).

Es ist noch übrig, mit den Nachrichten Thietmars und Adams auch die Angaben Helmolds in seiner Slavenchronik zu vergleichen. Zwar ist dieselbe fast hundert Jahre später (um das J. 1170), als Adams Geschichte des Bremer=Hamburger Erzstiftes abgefaßt, und Helmold hält sich in den älteren Zeiten so genau an seinen Vorgänger Adam, daß er meistens dessen eigene Worte wiedergiebt; allein er hat doch auch Manches mit eingeflochten, was er wohl wahrscheinlich aus der Ueberlieferung der Aldenburger Diöcese, welcher er angehörte und deren Bischöfen er nahe stand, geschöpft hat. Dadurch ist freilich in seinem Bericht über die Ereignisse, um die es sich hier handelt, noch mehr chronologische Verwirrung gekommen, als wir schon bei Adam fanden; allein mit Hülfe der Chronologie läßt sich auch hier einiges Licht in der Wirrniß schaffen und Richtiges ausscheiden.

Helmold berichtet Cap. 12 die Stiftung des Bisthumes zu Aldenburg, welchem das Wendenland bis zur Peene und Demmin hin unterworfen ward, und setzt sie gleichzeitig mit der Stiftung des schleswiger Bisthumes, die anerkanntermaßen im J. 948 stattfand (Monum. Germ. IX, 307. 392). Cap. 13 erzählt er, wie Bischof Wago von Aldenburg, der noch vom Erzbischofe Adeldag († 988) ordinirt war, mit dem Fürsten (regulus) der Obotriten Billug sich verschwägert habe, indem er ihm auf wiederholtes Begehren seine Schwester zur Gemahlin gab; eine aus dieser Ehe entsprossene Tochter Hodica machte ihr Oheim, noch ehe sie erwachsen war, zur Aebtissin der Klosterfrauen zu Meklenburg. Dieses verdroß ihren Bruder Missizla (wahrscheinlich nur ein Stiefbruder, von einer früheren wendischen Gemahlin Billugs), welcher den Vater der Untreue an den väterlichen Sitten zieh, indem er eine Deutsche zur Frau genommen und seine Tochter in ein Kloster gesperrt habe. Im folgenden 14. Cap. berichtet er, wie Billug den Bischof überredet habe, seine Natural=Hebungen im Obotritenlande seiner Nichte zu überlassen und Landgüter dafür zum Tausche zu nehmen, und, nachdem dieses geschehen, er diese Güter des Bischofs habe plündern und verwüsten lassen, ja endlich die Schwester des Bischofs wieder verstoßen habe. Ausdrücklich sagt Helmold an


1) Auch war es Sitte, bei der Confirmation den Namen zu ändern. So hatte Bischof Adelbert von Böhmen in der Taufe den slavischen Namen Woitech, bei der Confirmation dafür den deutschen Namen Adelbert erhalten, Thietmar 4, 19.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 173 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

zwei Stellen (Cap. 13 zu Anfang und Cap. 14 §. 9), daß diese Geschichten zwischen Bischof Wago und dem Obotritenfürsten Billug unter Kaiser Otto II. und Otto III. sich zugetragen hätten; er kann also unter Billug nicht füglich einen andern Obotritenfürsten verstehen, als den bei Thietmar unter diesen Kaisern namhaft gemachten Obotritenfürsten Mistuwoi, dessen Taufname Billug gewesen sein mag.

Nachdem Helmold dieses, wie ich muthmaße, aus der Tradition der Aldenburger Diöcese erzählt, geht er Cap. 14, 11 wieder zu Adam 2, 24 über, und berichtet Cap. 15, 2 ebenfalls nach dieser Stelle Adams, wie zu diesen Zeiten über die Wenden Misizla, Nacco und Sederich geboten hätten, und identificirt sofort §. 3 diesen Misizla Adams mit dem Sohne Billugs Misizlaus, und setzt hinzu, daß dieser, nunmehr nach dem Tode des Vaters selbst über die Obotriten gebietend, seine Schwester Hodica aus dem Kloster zu Meklenburg genommen und mit einem gewissen Bolislav verheirathet habe. Nun erst, im folg. Cap., kommt Helmold auf den allgemeinen Slavenaufstand vom J. 983, verwickelt sich aber, indem er Adams Angaben folgt, auch in dieselben chronologischen Widersprüche. Auch er nennt die Wendenfürsten Mistiwoi und Mizzudrag die Führer der Rebellion, welche er noch ausdrücklicher, als Adam, als auf die Empörung Herzogs Bernhard II. gegen Kaiser Heinrich im J. 1019 folgend setzt (Cap. 16, 3. 4), also offenbar wohl mit dem zweiten Aufstande der Obotriten unter Micizlav im J. 1018 verwechselt, dabei aber den Markgrafen Dietrich, der im J. 985 starb, zum Genossen Herzogs Bernhard II. macht, und am Schlusse (16, 10) behauptet: alles dieses habe sich zugetragen in den letzten Zeiten des Bischofes Libentius I., der im J. 1013 starb. Im 17. Capitel erzählt er weiter, wie zu den Zeiten dieses allgemeinen Wendenaufstandes der Bischof Volkward, aus seinem Bisthume Aldenburg vertrieben, nach Norwegen gegangen sei, und nach seinem Tode Erzbischof Libentius den Reginbert für Aldenburg ordinirt habe, von dem ich oben gezeigt habe, daß er schon im J. 992 Bischof von Aldenburg war. Dann kommt er im folgenden 18. Cap. auf Reginberts Nachfolger, den Bischof Benno, zu sprechen, und folgt nun wieder nicht Adam, sondern wahrscheinlich der Aldenburger Tradition. Er erzählt, wie Benno mit Hülfe Herzogs Bernhard 1 ) in seiner Diöcese wieder festen Fuß zu fassen gesucht habe, aber kaum habe erreichen können, daß, statt der bedeutenden Hebungen, wie sie zu den


1) Es ist, wie wir sogleich sehen werden, der erste dieses Namens, sonst auch Benno genannt, zu verstehen.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 174 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Zeiten des Kaisers Otto d. Gr. verordnet gewesen, von jedem Hause im ganzen Obotritenlande 2 Pfennige ihm gesteuert und daß die Landgüter in Wagrien ihm zurückgegeben würden. Als nun Kaiser Heinrich zu Werben an der Elbe eine Zusammenkunft mit den Wendenfürsten gehalten, hätten diese auf des Bischofs Beschwerde zwar versprochen, die von Kaiser Otto vorgeschriebenen Hebungen ihm zu entrichten; aber, nachdem der Hof zu Werben vorbei gegangen, sei nicht mehr die Rede davon gewesen. Endlich sei Benno der Plackerei müde geworden und habe sich zu Bischof Berenward von Hildesheim begeben, der ihm eine Freistätte gewährt habe; hier sei Benno, bei Gelegenheit der Einweihung der Michaeliskirche beinahe im Gedränge erstickt, bald nachher gestorben.

Hier lassen sich wieder chronologische Haltpunkte gewinnen. Die Zusammenkunft Kaisers Heinrich mit den Wendenfürsten zu Werben fand nach Thietmar 6, 21 im September oder October des J. 1005 statt. Im J. 1014 scheint Bischof Benno oder Bernhard, wie ihn Thietmar 7, 4 nennt, bereits außerhalb seiner Diöcese gewesen zu sein. Denn in der angezogenen Stelle erzählt Thietmar, daß Bischof Bernhard von Aldenburg die zu Gernrode verstorbene Wittwe des Grafen Siegfried daselbst inmitten der Kirche zur Erde bestattet habe; das Kloster Gernrode ober lag in dem an den hildesheimer Sprengel stoßenden Theil der Mainzer Diöcese. Auch bei Gelegenheit des im J. 1018 auf Betrieb der Leutizier erfolgten Abfalles der Obotriten und Wagrier vom Christenthume redet Thietmar von dem aldenburger Bischofe so, daß man annehmen muß, er sei von seiner Diöcese fern gewesen 1 ). Seiner Anwesenheit bei Einweihung der hildesheimer Klosterkirche gedenken auch die Hildesheimer Annalen zum J. 1022, welche nebst den Quedlinburger Annalen 2 ) seinen Tod in das folgende Jahr setzen.

Weiter folgt nun wieder Helmold dem Adam, und dem Helmold sind wieder unsere ältesten Historiker und Genealogen gefolgt. Marschalk in seinen Annalen der Heruler und Wandalen (bei Westphalen Tom. 1.) läßt auf Billug dessen Sohn Misizlav, auf diesen seinen Sohn Mistiwoi, und auf diesen seine Söhne Anatrog und Udo folgen. Seit Frank hat man bis in die neuesten Zeiten die Obotritenfürsten so geordnet: Mistivoi I.,


1) Thietmar 8, 4: Bernhardus, - apostatae istius gentis tunc episcopus, id ut primo comperit, non secularis suimet dampni, sed potius spiritualis immenso dolore commotus, imperatori nostro id nunciare non destitit.
2) Noch bemerke ich, daß der gleichzeitige Ouedlinburger Annalist sowohl zum J. 1023 den Bernhard, als zum J. 992 den Reginbert "Bischof von Meklenburg" nennt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 175 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Billug - dessen Sohn Misizlav - dessen Sohn Mistivoi II. - dessen Sohn Udo u. s. w. Nach den voraufgehenden Untersuchungen hat ein Mistuvoi II. niemals existirt, und sind die Obotritenfürsten vielmehr so zu ordnen: Mistuwoi, bei Helmold Billug, von vor 967 bis nach 1000, - sein Sohn Misizlav bis 1018 - dessen jüngerer Bruder Udo bis um 1032. Vater und Söhnen eine so lange Regierungszeit zuzuweisen, braucht man nicht bedenklich zu sein, da mit ihnen gleichzeitig die Sachsenherzöge Bernhard I. und sein Sohn Bernhard II. von 973 bis 1059 regiert haben.

 

Vignette