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IX.

Das Compositionen=System

und
das Strafrechtsverfahren in Meklenburg
im 16. und im Anfange des 17. Jahrhunderts,
von

A. F. W. Gloeckler.


1. Grundzüge der strafrechtlichen Zustände in Meklenburg, in der Zeit vom J. 1500-1560.

A uch in Meklenburg war dem Strafrechte, noch um das J. 1520 der altdeutsche privatrechtliche Charakter entschieden aufgeprägt. Dem durch das Verbrechen unmittelbar Verletzten oder dessen Erben kommt eine Entschädigung zu, die der Verbrecher in Geld oder in Geldes Werth zu entrichten hat. Dies ist die Buße, "Sune" (=compositio). Wie es scheint, haben in Meklenburg für die Bußen seit Alters Taxen normirt, welche in den Städten, wo lübisches Recht galt, mehr oder minder altstädtischen Mustern dieses Rechtes entnommen, für das platte Land aber aus den Satzungen des Sachsenspiegels hergeleitet waren 1 ). Diese älteren Taxen liegen nicht codificirt vor und eine nur einiger Maßen vollständige Uebersicht derselben dürfte kaum herzustellen sein.

Gewiß ist, daß in Meklenburg noch während des 16. Jahrh. solche Taxen der Bußen galten, welche theils nach dem Stande des Verletzten (Wehrgeld), theils nach der Größe der Verletzung (Wundenmaaß) festgesetzt waren. Wenngleich damals die letztere Norm schon als die hauptsächliche, stets vorwiegende erscheint, so läßt sich doch auch die noch herrschende Rücksicht auf


1) Conf. de Behr, de rebus Meklenburg. Lib. IV, cap. 5. Sachsen=Spiegel, Buch III, Art. 45.
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den Stand des Verletzten nach den drei Lebenskreisen, welche der grundbesitzende Adel, der Bürger= und Bauernstand bildeten, nicht verkennen. Für die Tödtung eines Edlen, eines Lehnmannes, ward damals noch eine ungleich höhere Buße, als für die eines Colonisten in Anspruch genommen; die Vasallen hatten unter den Laien so zu sagen noch das höchste Wehrgeld, indem hinsichtlich fürstlicher Personen, denen sonst ein höheres zukam, die altdeutschen Grundsätze von der Sühne längst antiquirt waren.

In sehr vielen Fällen fiel jedoch bei Bestimmung der Bußen das Meiste der Vertragsmäßigen Uebereinkunft der Parteien anheim. Selbst in den Städten, wo damals fast überall geschriebene, und ziemlich genaue Satzungen über die Bußen vorlagen, pflegten die Parteien zunächst eine Vertragshandlung zu versuchen und häufig begnügten sich die Verletzten mit einer geringeren, als der gesetzlich festgestellten Entschädigung. Ganz dasselbe tritt in den Kreisen des niederen Landvolkes häufig hervor; ohne Zweifel ward es hier wie dort oftmals schon durch die nahe liegende Rücksicht auf das Vermögen des Verbrechers herbeigeführt, wenn nicht noch andere Gründe, wie Furcht und Besorgniß hinsichtlich der Stellung, des Einflusses oder Charakters des Uebelthäters und ähnliche Umstände mitwirkten.

Mit den Sühnegeldern verbunden finden sich in Meklenburg religiöse Gelübde der Büßenden häufig bis um das J. 1520, wo auch bei uns die ersten Wirkungen der Reformation eintreten. Diese Gelübde waren unverkennbar ein Ausfluß der bisher herrschenden kirchlichen Satzungen und der priesterlichen Wirksamkeit. Sie beruheten auf der doppelten Grundansicht, daß das Verbrechen, besonders der Mord, zugleich ein Vergehen gegen die Kirche sei, und sodann, daß die Kirche Macht habe, von den Sünden zu entbinden, wenn der Sündige durch gute Werke sich der Vergebung theilhaftig mache, wie durch Wallfahrten, Messen und Anderes der Art.

Außer der Buße an den unmittelbar Verletzten muß aber der Verbrecher auch das Gesetz sühnen, für den Bruch desselben ein Strafgeld an die Obrigkeit zahlen. Dies ist die "Broke" oder Wedde (= mulcta), welche gleichsam als Ersatz für den Bruch des Friedens, für die Störung der öffentlichen Sicherheit wahrgenommen wird. Diese Strafgelder sind in Meklenburg seit Alters Gegenstand vielfacher urkundlicher Bestimmungen 1 ), indem auch bei uns die Gerichtsbarkeit wenigstens bis zu


1) Die "compositio, pecuniaria satisfactio, datio in sonam" kommt schon in den J. 1221 (Bisthum Schwerin), 1238 und 1290 (Kloster Dargun) vor. Lisch, meklenburg. Urkunden, Bd. III, S. 70, Bd. I, S. 52, 54; Jahrbücher des meklenburg. Vereins, XI, S. 276. Ebenso die Theilungen der Strafgefälle, zB. 1272 und 1275 (Kloster Neukloster), Lisch, a. a. O. II, S. 53, 57, 59.
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einem gewissen Umfange, als ein auf dem Grundbesitze, mag dieser nun dem Landesherrn, den Corporationen oder den Einzelnen zustehen, ruhendes, durch landesherrliche Oberaufsicht beschränktes Hoheitsrecht angesehen ward, so daß die Strafgefälle als Entschädigung für die Last der Rechtspflege nothwendig betrachtet werden mußten. Indessen dürfte für Meklenburg eine allgemein praktische Bedeutung der Patrimonial=Gerichtsbarkeit für die früheren Zeiten des Mittelalters schwerlich zu erweisen sein; jeden Falls hat eine Erwerbung der höheren Criminal=Gerichtsbarkeit, durch die Privat=Grundbesitzer erst später und auch dann nicht allgemein stattgefunden 1 ).

Die Bedeutung der Brüche wird in Meklenburg während des 16. Jahrh. noch öfter ausdrücklich als Strafe des Friedensbruches bezeichnet. Zuweilen wird auch von den Landesherrn bei Bestimmung von Bruchgeldern, wie z. B. im J. 1514, als Johann von Parkentin durch die von Plessen erschlagen war, bemerkt: es habe zu Abschreckung anderer Missethäter füglich ein noch höherer Abtrag von der Obrigkeit gefordert werden können.

Was das Maß dieser Brüche oder Strafgelder anlangt, so wurden dieselben in den meisten Städten nach geschriebenen Taxen erhoben, welche bei manchen Vergehen sowohl die Strafsätze für die Bußen an die Verletzten, wie für die der Obrigkeit zu zahlenden Brüche enthielten. Für manche, namentlich geringere Vergehen findet sich aber überhaupt nur eine Strafsumme angegeben, ohne weitere Bestimmung, ob diese Summe zwischen Obrigkeit und Partei getheilt werden soll oder ob beide dieselbe Summe erhalten sollen. Die letztere Annahme wurde aber, wenn man die genau bestimmten Taxen für schwerere Verbrechen zur Vergleichung heranzieht, anscheinend auf zu hohe Strafgelder hinausgehen. Diese städtischen Taxen weichen zwar hin und wieder im Einzelnen ab, stimmen aber doch hinsichtlich der ungefähren Größe der hauptsächlichsten Strafsätze so wie darin überein, daß sie alle auf den altdeutschen Grundsätzen des Wundenmaßes, des Hausfriedens, des Befriedetseins gewisser öffentlicher Gebäude und Plätze und auf sonstigen verwandten Rücksichten beruhen. Das Bereich der Strafgelder war sehr umfassend, ja es gab nur wenige Ver=


1) Vgl. Jahrbücher des Vereins für meklenb. Gesch. Jahrg. XIV, S. 109, 110. Schon der Revers der Fürsten Heinrich und Johann von Werle vom 12. Novb. 1276 gesteht den Vasallen des Landes Gnoien anscheinend die volle Criminal=Gerichtsbarkeit, über ihre Dienstleute (und Colonisten?) zu. Es heißt hier: wer einen "subditus vasallorum" wegen irgend eines Delicts anklagen will, der soll dies "corum domino suo" thun. Lisch, meklenburg. Urkunden, Bd. I, S. 156.
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gehen, welche von den Reicheren nicht mit Gelde zu sühnen gewesen wären. Die Erhebung der Brüche war demnach in den großeren Städten damals von wesentlicher finanzieller Bedeutung; und da sich eigentlich nur die Seestädte Rostock und Wismar von der Jurisdiction, oder doch der Concurrenz landesherrlicher Vögte in der Gerichtsbarkeit, im Laufe des Mittelalters ganz befreiet hatten, so standen die meisten Landstädte hinsichtlich der gerichtlichen Strafgefälle unter landesherrlicher Controle, wie denn noch ziemlich umfängliche Bruchregister von manchen Städten, schon um die Mitte des 16. Jahrh. beginnend, im großherzogl. Archive zu Schwerin aufbewahrt werden.

Auf dem platten Lande scheinen geschriebene Taxen für die gerichtlichen Strafgefälle weniger gekannt zu sein, obgleich einzelne Fälle aus dem Bereiche der Domanial= und geistlichen Besitzungen auch hier auf genau bestimmte und weit verbreitete Satzungen hindeuten. Vielfach verfuhr man nach überlieferter Ueblichkeit des Bezirkes oder Ortes der That. Gewisse in den Städten geltende Grundzüge der Bruchtaxen, wie der Unterschied der großen Brüche für Tödtung, Gliederbruch und Lähmung, auch für Ehebruch und die meisten Fälle von Unzucht, und der kleinen Brüche für leichtere Wunden, Rauferei, öffentliche Excesse, Schmähung u. s. w., sind auch auf dem platten Lande Meklenburgs mit Sicherheit zu erkennen. Sodann tritt auch darin eine ziemliche Uebereinstimmung des Strafrechts in Stadt und Land hervor, daß hier wie dort die Strafsätze der Bußen denen der Bruchgelder gewöhnlich entsprechen, so daß z. B. der Verbrecher in den meisten Fällen von Tödtung, dieselbe Summe einmal den Erben des Erschlagenen und sodann der Obrigkeit zu zahlen hat, wie dies die unten folgenden Thatsachen darthun. Auch hier giebt es indessen Ausnahmen. Einzelne Verbrechen, wie Raub, Diebstahl, Notzucht, Mordbrand, Sodomie, Landes=Verrath und Zauberei, waren auch in Meklenburg seit Alters der Regel nach von dem Kreise des Compositionen=Systems ausgeschlossen 1 ), indem sie gewöhnlich mit den härtesten Strafen der Landesverweisung oder der Hinrichtung durch Schwert, Feuer oder Strang abgebüßt wurden. Für Diebstahl an Feldfrüchten und an grünem Holze kommt indessen in Meklenburg, während des 16. Jahrh. häufig genug die Buße vor, wie z. B. in den Bruchregistern der Aemter Wittenburg, Gadebusch, Wredenhagen u. A. um das J. 1533.


1) Aus Gnaden ließen die Fürsten auch hier bisweilen die Composition zu und behielten sich bei Verleihungen dies Recht bevor, wie z. B. im J. 1238 beim Kloster Dargun. Lisch, meklenburg. Urkunden, Bd. I, S. 52. 54.
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Die auf dem platten Lande besonders hervortretenden, dem Stande des Verletzten entnommenen Normen der Strafgelder lassen hier in dieser Beziehung einen sehr großen Unterschied in den Brüchen für dasselbe Vergehen gewahren, so daß noch um die Zeit des J. 1530 die Brüche für Tödtung von 7 oder 8 Gulden bis zu 200 Gulden hinaufsteigen, je nachdem die Parteien dem Stande der miethsweise Dienenden, der Colonisten, freien Gewerbsleute, der Beamten oder Vasallen angehören.

Die Erzielung und endliche Beitreibung der Buße und der Brüche war verschieden. Die Bußen wurden der Regel nach auf dem Wege der Klage von Seiten des einzelnen Verletzten oder seiner Erben alsdann beigetrieben, wenn man auf dem Wege des Vertrages nicht zum Ziele hatte gelangen können. Zugleich tritt aber auch noch eine Nachwirkung des Fehderechts unverkennbar darin hervor, daß die verletzte Partei noch öfter zunächst zur Selbsthülfe durch Feuer und Schwert sich geneigt zeigte oder nach dem Mißlingen des ersten Versuches, in Güte die hohe Geldbuße beizutreiben, zu Raub und Plünderung gegen den Verbrecher auszieht. Namentlich war dies unter den kriegsgewohnten, jetzt aber mehr einem schlemmerischen Stillleben anheimgefallenen Lehnleuten der Fall, wie denn sichere Thatsachen in dieser Richtung noch aus der Zeit um das J. 1560 vorliegen.

Die Brüche dagegen wurden von den Obrigkeiten gewöhnlich von Amtswegen beigetrieben, sobald die That als notorisch oder durch Eingeständniß feststand. In den Städten geschah die Vollstreckung hinsichtlich der Strafgelder durch die Rathsdiener oder dazu deputirte Bürger gewöhnlich mit ziemlichem Erfolge, da hier fast niemals Zweifel über die gerichtliche Competenz und keine hemmende Entfernung hinsichtlich des Wohnortes des Verbrechers vorlag, man auch in der Regel die Vermögenskräfte desselben kannte oder doch ziemlich zu übersehen vermochte. Indessen stellt sich auch in den Städten, besonders bei größeren Strafgeldern, ein oft sehr kleinliches Handeln zwischen Obrigkeit und zahlender Partei heraus, indem zuerst an der Hauptsumme gefeilscht, hernach aber auch noch im Laufe der Zahlungsfristen durch Vorstellung von Unvermögen etc. . abermals etwas abgedingt wird. Wo man notorisch wohlhabende Bürger fassen konnte, ließ man freilich selten etwas von der vollen Summe ab. Auf dem platten Lande wurden die Brüche durch die Schulzen und die Amtsunterbedienten beigetrieben, wobei sich jedoch oft eine noch größere Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeit der Verbrecher, als dies in den Städten der Fall war, vernothwendigte. Die Bruchregister verschiedener Aemter aus der

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Zeit um d. J. 1540, bevorworten häufig die anzuführende Bruchsumme mit der Bemerkung: "vt. Gnaden affgedinget." Bisweilen fiel aus dieser Rücksicht alle Strafe weg, in welchem Falle die Amtsregister besagen: "is Armodes willen nahgegeuen." Das Abhandeln der Strafgelder kommt jedoch in Meklenburg auch noch in späterer Zeit und in höheren Kreisen vor, wie z. B. um das J. 1580 und um 1620, wo die Landesherrn die alten Brüche als nunmehrige fiscalische Strafen, namentlich in Beziehung auf Verbrechen von Lehnleuten, sehr bedeutend (bis zu 2000 Thlr.) zu steigern versuchten.

Für unversehentlich zugefügte Todtschläge oder schwere Verletzungen, wurden zuweilen Bußen und Brüche gefordert und wirklich erhoben. Mitunter geschah nur das Eine, oder das Andere und jeden Falls fehlte es in dieser Beziehung an Gleichmäßigkeit des Verfahrens, wie an durchgreifenden Grundsätzen überhaupt.

Auch für mehr polizeiliche Vergehen fast aller Art wurden damals Brüche erlegt und zwar in den Städten, wie auf dem platten Lande. So z. B. in den Städten für Beschädigung der Mauern und Thürme, für eigenmächtige Nutzung von Stadteigenthum, für Beschimpfung der Obrigkeit, Lärmen auf den Straßen u. s. w.; auf dem platten Lande für Verweigerung oder Versäumniß des Herrendienstes, gewaltsame Befreiung von Pfandstücken, unerlaubte Umzäunung, Bier holen aus verbotenen Krügen u. a. m. In der Regel waren hier die Strafen geringe und zu den kleinen Brüchen gehörig. Justiz= und Polizei=Gewalt flossen wesentlich in Eins zusammen; besondere Polizei=Behörden waren noch ebenso unbekannt, wie selbständige Criminal=Gerichte.

Allgemein üblich war um diese Zeit in Meklenburg noch die Landflucht und das Geleitsrecht des Verbrechers, jene aus dem Prinzipe der Geschlechtsrache und der Selbsthülfe hervorgegangen, dieses ein Ausfluß der mit dem Grundbesitze verknüpften Gerichtsbarkeit und ein Gegenstand häufigen Mißbrauches, besonders von Seiten der kleineren Gerichtsherrn, indem oft nach Einflüssen von Geld, Verwandtschaft und Freundschaft, Geleitsbriefe ertheilt wurden.

Es sind nun zunächst diese Andeutungen über Buße, "Broke" und Geleitsrecht durch eine Reihe von Thatsachen in gedrängter Kürze und zu veranschaulichen 1 ).



1) Ueber die bisher angeführten Grundzüge der strafrechtlichen Zustände in Meklenburg während des ersten Reformations=Zeitalters, vgl. Grimms Deutsche Rechtsalterthümer, Buch V, Cap. 1-3. Pohle, Versuch einer Darstellung des mecklenburg=schwerinschen Criminal=Prozesses, S. 69-73.
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2. Die Bußen, vornämlich nach Landrecht, bis um 1560.

Im J. 1507 erschlug Michael Teller am Hofe des Herzogs Heinrich z. M. den Hans Moller. Beide gehörten vermuthlich der Classe der niederen Hofdiener an. Jener sühnte den Mord durch Zahlung von 10 Goldgulden an des Erschlagenen Freundschaft; überdies verpflichtete er sich zu drei Wallfahrten und gelobte das Land auf ewig zu meiden. Als gleichzeitig der Vasall Achim Lützow seinen Standesgenossen Hans Pentz getödtet hatte, ließ Herzog Heinrich einen Vertrag zwischen jenem und den Erben des Andern dahin vermitteln, daß ihnen der Mörder 300 Gulden rheinisch zahlte, 50 Frauen und Jungfrauen von Adel zum Leichenbegängniß stellte, auch 30 Pfd. Wachs und 30 Paar Schuhe nebst 2 Stück Tuch den Armen gab und endlich eine Wallfahrt nach Einsiedeln für das Seelenheil des Erschlagenen ausrichtete. Fast ganz dieselbe Buße übernahm um diese Zeit Heinrich Preen, der seinen Vetter erschlagen hatte, nur daß er neben 25 adelichen Frauen eben so viel "gude Manne" zum Leichenpompe verschrieb und sogar drei Wallfahrten gelobte, nach Einsiedeln, Wilsnack und Sternberg. Ebenso gelobten im J. 1514 Volrath und Sievert v. Plessen wegen Ermordung des Johann Parkentin, dessen Angehörigen 300 rhein. Gulden nach meklenburgischer Währung; 3 Wallfahrten, 50 Seelenmessen, 100 Männer und Frauen von Adel, um die dem Todten abgelöste Hand zu Grabe zu tragen und mehrfache Gaben an die Armen. Im J. 1525 erboten sich die Gevettern v. Plessen auf Bruel, die damals den Vasallen Raven Barnekow auf Gustävel getödtet hatten, zu einer Buße von 200 Gulden (meklenburgischer Währung) an dessen Familie, und behaupteten dabei, daß dies seit undenklichen Zeiten die höchste landübliche Buße in solchen Fällen gewesen sei. Zu derselben Zeit erließ Herzog Heinrich zu Meklenburg ein Rescript an den Lehnmann Jaspar Fineke wegen geschehener Tödtung eines seiner Angehörigen des Inhalts: weil Hans Mundt nicht Willens ist, wieder unter Dach zu ziehen und erbötig, sich mit Dir nach seinem Vermögen zu vertragen, so wollest Du einen ziemlichen Abtrag, der ihm leidlich und erreichbar ist, von ihm empfangen, damit er nicht landflüchtig zu werden brauche. — Nach der Berechnung eines Klosterprobstes über das Blutgeld des Colonisten Jacob Lorenz, der damals den N. Kroger erschlagen hatte, zahlte Jener den Kindern des Ermordeten 12 Gulden und 1 Ort und zwar in Kühen, Pferden, Schafen, Kesseln und Grapen. Im J. 1536 tödtete Achim Voß zu Lupelow den Lehnmann Achim Kamptz auf Dratow in einem Gefechte auf der

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Landstraße und zahlte an dessen Verwandte "zu einer Sune" 200 Gld. Münze. Georg Bischwang auf Körchow mußte sich um diese Zeit wegen Tödtung des Buchmachers Meister Hans zu Crivitz sogar zu einer Sühne von 300 Gld. Münze an dessen Freundschaft verpflichten. Um das J. 1544 hatte Achim Stralendorf zu Karstorf "auf einem Kindelbier" bei Hermann Kardorf zu Granzow den Hans Lowtzow im Zweikampf erstochen, da beide vom Weine erhitzt waren. Der Mörder vertrug sich unter Vermittelung der Landesherrn mit den Erben des Getödteten dahin: 25 Gulden zu milden Sachen und 450 Gulden zum "Sonegelde" in zwei Terminen zahlbar, zu entrichten. Valentin Speckin zu Kaemerich erschoß im J. 1561 zu Güstrow unvorsätzlich den anscheinend aus einem Vasallen=Geschlechte stammenden Bürger Hans Schütze daselbst und mußte dessen Erben 550 Mk. lübisch als Abtrag entrichten. Als Jven Below 1569 seinen Unterthan Busse Wolter im Dorfe Kl.=Niendorf tödtlich verwundete, fand er sich mit diesem durch Zahlung von 7 Gulden ab.


3. Die Brüche, vornämlich nach Landrecht, bis um 1560.

Der Herzog Heinrich zu Meklenburg erklärte im J. 1514 dem Bischofe von Schleswig, der sich für seinen Diener Volrath von Plessen wegen der demselben auferlegten Geldbuße verwandt hatte: die Ermordung des v. Parkentin durch den v. Plessen, sei nicht aus Notwehr geschehen und die Buße "in Ansehung seines Unvermögens, auch vmb seines Herkommens vnd seiner Freunde Bethe willen aufs geringste gnediglich gemäßiget wurden."

Im J. 1525 beschweren sich die v. Plessen auf Brüel bei den meklenburgischen Ständen wider die Landesherrn darüber, daß diese von ihnen für die Tödtung des Vasallen Raven Barnekow ein Bruchgeld von 2000 Mk. begehren, "da es doch zu allen Zeiten der Gebrauch vnd Gewohnheit gewest, das man aufs allerhöchst dem Landsfursten II C Gulden (lübisch) pflegt zu geben vnd darmit Genad zu erlangen." Jacob Lorentz, ein Colonist, zahlt 1527 als Broke für einen an einem andern Colonisten verübten Todtschlag dem Klosterprobste 13 Gulden, welche er, wie den Betrag der Buße, großen Theils durch Hergabe von Vieh und Hausgeräth aufbringt.

Claus Below auf Below, der um das J. 1525 einen reisigen Knecht erschlagen hatte, zahlte dieserhalb an Broke 15 Gld.; eben so viel Peter Marin in einem ähnlichen Falle. Im J.

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1533 zahlten im Amte Wittenburg der Bauer Achim Rodebart, der einem andern Colonisten ein Auge ausgeschlagen hatte, 15 Mk.; Jacob Jancke, der den Achim Wulf verwundete, und ihm 2 Zähne auswarf, 1 Gld. und eben so viel der Schulze zu Karft für ein "Blutloß, an deme Papen tho Zygelmarckhe gedan". Für ein Durchstechen der Schulter mußte ein Bauer 15 Mk. erlegen. Dagegen mußte sich der Vasall Georg Bischwang auf Körchow im J. 1534 wegen Tödtung des Tuchmachers Meister Hans zu Crivitz zu einer Broke von 400 Gulden Münze "vmb Fristung seines Lebens" an den Landesherrn verpflichten.

Im J. 1535 forderten die Landesherrn als "Broke" für die Tödtung eines Vasallen durch einen Nichtedlen 200 Gulden. Dagegen erstrecken sich nach gleichzeitigen Amtsregistern (z. B. von den Aemtern Wittenburg, Gadebusch, Goldberg, Lübz u. A.) die in der Masse des niedern Landvolkes damals üblichen Bruchgelder für leichtere Wunden, Raufereien mit "Erdtfall" u. s. w. gewöhnlich nur von 6 und 8 ßl. bis zu 2 Fl.; so "braun und blau" 6 bis 9 ßl. lub.; "blutloß" eben so viel; "fulbotene Wunden" 1 bis 2 Gld.; "Feldgewalt vnd ringeste Gewalt" 1 Gld. bis 30 ßl. lüb. Im Amte Gadebusch ward 1533 ein armer Einwohner wegen Todtschlags in 12 Mark lüb. verurtheilt, von denen er jährlich 1 Mark auf Lichtmessen abtragen sollte. Herzog Heinrich z. M. bemerkte in seinem Memorialbuche beim Jahre 1535: "Jtem Meister Hans Brandt, Balbirer, szo zu Parchim in der Newenstadt gewant, hat Jacob Belowen erschlagen; zu fordern von ime den Bruche, als der einen Edelmann erschlagen." Joachim Voß, der Achim Kamptze erschlug, zahlte 1536 den Landesherrn nahe an 200 Gulden Bruchgeld, indem ihm etwas an der vollen Summe nachgelassen war.

Hans Dechow, ein Bauer zu Bandenitz und Unterthan des Domcapitels zu Schwerin, hatte 1537 durch eineUnvorsichtigkeit sein eigenes Kind getödtet. Nach Vermittelung guter Freunde vertrug er sich Pfingsten 1538 mit dem Capitel, indem er sich in drei Terminen 30 Mk. lübisch als Broke zu zahlen verpflichtete. Als dagegen Valentin Speckin im J. 1561 unversehens den Hans Schulze zu Güstrow getödtet hatte, ward, allem Anschein nach, gar kein Bruchgeld obrigkeitlich von ihm gefordert, obgleich er die Buße an die Verwandte erlegte. Als einige Zeit hernach in Meklenburg, unfern der lauenburgischen Grenze von einem umherstreifenden Schwachsinnigen, dessen Eltern in Braunschweig angesessen waren, ein Todtschlag verübt ward, konnte die bei dem jenseitigen Landesherrn intercedirenden meklenburgischen Fürsten weder ein Sühngeld noch eine Broke erwirken, weil, wie es hieß, der Thäter nicht zurechnungsfähig sei.

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Um das J. 1530 kosteten auf dem platten Lande ziemlich gleichmäßig Lähmung, Glieder=Zerstörung und schwere Wunden 15 Mk.; Hausgewalt ward mit 60 ßl. lüb. geweddet. Außer der eigentlichen Broke wird in einzelnen Aemtern bei manchen Vergehen der "Fagedes=Gulden" erlegt, wie z. B. im Amte Gadebusch um des J. 1530.

Ueber die Unthaten, welche man "Gewalt" nannte, kommt in einigen Aemtern des platten Landes um 1530 anscheinend als eine Strafskala vor: "sydesteWalt, rynsche Walt, hogeste Walt." Eine genaue Abgrenzung der Begriffe liegt nicht vor; für "hogeste Gewalt" wird auf 60 Mk. lüb. erkannt; Hausgewalt wird hier gewöhnlich nur mit 15 Mk. lub. gebüßt.

Im J. 1571 geriethen die Kruse auf Varchentin in Streit mit dem Amte Stavenhagen über die Erhebung von Bruchgeldern hinsichtlich einer Schlägerei im Dorfe Varchentin, wo eine getheilte Gerichtsbarkeit herrschte. Hier behaupteten die Kruse unter Andern: bei der Rauferei seien wederTodtschlag noch Lähmung vorgekommen, so daß sich die zu erhebenden Bruchgelder jeden Falls nicht über 18 Schilling Lübisch erstrecken könnten.


4. Das Geleitsrecht des Verbrechers.

Auch in Meklenburg galt das Recht des "Geleites" durch das ganze 16. und 17. Jahrhundert hindurch. Der Verbrecher wird nämlich bei schweren Vergehen, zumal aber in Fällen der Tödtung, zunächst landflüchtig — ganz wie in den ältern Zeiten Griechenlands und Skandinaviens — um nicht der Verfolgung und Rache der "Freundschaft" des Erschlagenen oder der Obrigkeit zu verfallen. Um mit beiden sich ungefährdet verständigen oder um seine Unschuld darthun zu können, sucht er einen Geleitsbrief von der Obrigkeit nach. Der Regel nach muß ihm auch, wenn er sich zu Recht erbietet, das Geleite zu Theil werden. Außerdem wurden auf Gesuch der Angeschuldigten nicht ganz selten noch nach dem J. 1550 herzogliche Mandate an die Blutsfreunde der Erschlagenen dahin erlassen: sich "in wehrendem Handel" an dem vermeinten Mörder oder dessen Familie nicht zu vergreifen.

Ein Erlaß des Herzogs Heinrich z. M. an den Stadtvogt zu Neubrandenburg vom J. 1512 giebt diesem auf: er solle dem Hans von der Osten, "der sein ehelich Hausfraw entleibt, das Geleit so er von vns durch vngegrunt Angeben ausbracht, vffsagen." Als die meklenburgischen Landesherrn im J. 1525

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die Plessen zu Brüel wegen des, durch Todtung Raven Barnekows, gebrochenen Landfriedens verfolgten und ihnen das freie Geleite verweigerten, stellten dieselben am 20. Mai d. J. unter Andern folgenden Frageartikel für ein Zeugenverhör in ihrer Sache: "Ob der Zeuge nicht wisse, das im Land zu Meckelburg sey eine alte hergebrachte Gewonheyt vber hundert Jar gehalten, wenn Ener, sy eddel oder vneddel, vor eynen Dothschlag sick siner Genaden (den Landesherrn) vele vnd hoch verbuth, so hier geschehen, kan mit Geleyde beholden werden vnd by dat Sine widerkomen." Heinrich Levetzow auf Markow, der den Bruder des Berthold Sandow entleibt hatte, bittet im J. 1532 den Herzog Heinrich um eine kleine Geduld, indem dieser ihm jüngst auferlegt hatte, nunmehr Abtrag zu thun "von den Broke," sonst werde ihm das Geleite entzogen werden. Die meklenburgische Polizei= und Landordnung vom J. 1562 schreibt im Titel: "Von Todtschlag" vor: "Da aber vber vleissig Aufsehen vnb Nacheilen die Thetter entkemen vnd fluchtig wurden, fallen dieselbigen durch keine Obrigkeit in Jar vnd Tage auch volgends ohne vnser Vorwissen vnd des Entleibten Freunde Bewilligung vorgleitet vnd die Sachen burglich gemacht werden." Valentin Speckin, der doch nur einen unvorsätzlichen Mord begangen hatte, ward 1565 landflüchtig und weist später nach, daß er "bei den Fursten viel Fodderung vmb die Vergleitung gethan" und viele Reisekosten deshalb habe aufwenden müssen. Lüder Barse zu Stieten wandte sich 1567 wegen der ihm angeschuldigten Ermordung des Peter Bützow zu Poppendorf durch zwei Freunde direct an die Blutsverwandten des Erschlagenen mit dem Gesuche um sicheres Geleite zum Gerichte. Da er kein Geleite bekam, hielt er sich nirgends sicher im Lande und entwich von seinen Gütern. Erst am 20. Sept. d. J. ertheilte ihm Herzog Johann Albrecht auf Ansuchen einiger Herrn und Freunde "ein frei vhelich Gleitt vnd Sicherheit zu Recht vor vnrechmessiger Gewalt vff vier Monat von dato an zu erbottener Ausführung seiner angezeigten vnd gerumbten Unschuld", unter der Bedingung, daß er seiner Seits "sich gegen Menniglich vnuorgreifflich gleidtlich halten vnd erzeigen soll." Jven Below war noch im J. 1569 so besorgt vor der Rache der Familie seines von ihm erschlagenen Unterthanen, daß er bei dem Herzoge Johann Albrecht I. um ein beständiges Geleite gegen jene nachsuchte.

In Folge jener Bestimmung der Polizei=Ordnung vom J. 1562, so wie der sich nun mehr und mehr entscheidenden Geltung der kaiserl. peinlichen Halsgerichts=Ordnung in den meklenburgischen Hofcanzleien kamen strengere Grundsätze über die straf=

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gerichtliche Rechtspflege zur Anwendung. Aus Anlaß häufig vorkommender und landrüchtig werdender Mordtaten 1 ) ward um das J. 1570 das Geleite der Todtschläger Gegenstand landtägiger Verhandlungen, namentlich auf den beiden Landtagen zu Güstrow im Januar und März 1572.

Die Stände hielten nämlich zwar für billig, daß vorsätzliche Mörder "in Jahr vnd Tag" nicht geleitet würden, und daß nur denen, so "aus Ungeschick vnd Unfall oder aus rechter Nothwehr" Todtschläger geworden, das Geleite zu verstatten sei. Indessen hofften sie zugleich, daß wenn Todtschläger (aller Art) sich "nach Langheit der Zeit" mit des Erschlagenen Blutsfreunden ausgesöhnt hätten und sich sodann auch mit den competirenden Gerichtsherren — hier die Ritterschaft und die Städte — vertragen wollten, die Landesherren "solche Gerechtigkeit vnd Freiheit" Jedermann ferner vergönnen würden 2 ).

Die Landesherren gestanden im März 1572 den Ständen zwar das Geleitsrecht in Fällen des Unfalls und der Nothwehr für "jede Herrschaft des Ortes, so über das Blut zu richten vnd mit der hohen Bothmäßigkeil belehnet oder selbige von Alters unstreitig hergebracht" habe, zu, wenn die berichteten Umstände für glaubwürdig zu halten seien. Dagegen erklärten sich die Landesfürsten gegen jede "Vergleitung vnd Aussöhnung muthwilliger vorsetzlicher Morder nach Jahr vnd Tag". Sie verboten ein solches Geleite bei Verlust der Jurisdiction, und gestatteten nur denen, die ohne Vorsatz oder aus Notwehr Mordthaten begangen, ihre Unschuld darzuthun und sich Aussöhnung zu erwirken. Zugleich untersagten sie den Mißbrauch, nach welchem einzelne Gerichtsherren um des Geldes willen auch solchen Todtschlägern, welche in fremder Gerichtsbarkeit gefrevelt hatten, Geleite ertheilt oder ihnen sonstigen Schutz und Schirm hatten angedeihen lassen 3 ).


5. Bußen und Brüche in den Städten um die Mitte des 16. Jahrhunderts.

Aus vielen meklenburgischen Städten liegen bestimmte Statute so wie Bruchregister vor, welche eine ziemliche Ueberein=


1) Vgl. Jahrbücher des Vereins für meklenb. Gesch. Jahrg., VIII, S. 99, wo ich die Bemühungen des damaligen Canzlers H. Husan für die Hebung der Rechtspflege in Meklenbung berührt habe.
2) Vgl. Spalding's meklenburg. öffentl. Landesverhandlungen, Bd. I, S. 43 (unter 8 a.).
3) Vgl. Spalding's meklenburg. öffentl. Landesverhandlungen, Bd. I, S. 58.
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stimmung in den strafrechtlichen Satzungen unzweifelhaft darthun. Um die Mitte des 16. Jahrh. wird der Werth der Verletzungen noch sorgfältig nach den Gliedern und nach der Größe der Wunde bemessen.

So galten Parchim als Maaß der Bußen und Brüche um 1550 nach lübischer Münze: braun und blau 12 ßl.; eine Blutung 21 ßl.; leichte Wunde 40 ßl.; Lähmung 15 Mk.; Beinbruch 15 Mk.; Todtschlag 30 Mk. und der Obrigkeit eben so viel.

Zu Rostock um dieselbe Zeit nach sundischer Münze an den Kläger: Rauferei mit Erdfall 20 ßl.; Beinbruch 21 Mk.; Lähmung 30 Mk.; schwere Wunde 30 Mk.

Zu Schwerin nach lübischer Münze: braun und blau 12 ßl. der Obrigkeit; Haarzug 12 ßl.; Rauferei mit Erdfall 3 Mk.; Backenstreich 4 ßl. und eben so viel dem Kläger; Beinbruch 10 Mk. der Obrigkeit, 5 Mk. dem Kläger; Lähmung 15 Mk., 10 der Obrigkeit und 5 dem Beschädigten; schwere Wunde, "dar Knochen auskommen", 15 Mk.; Ausschlagen eines Zahns und "Schampfirung des Angesichts 15 Mk.; Wunde eines Nagels tief und eines Gliedes lang 60 ßl. der Obrigkeit, dem Kläger 24 ßl.

In dem Städtchen Schwaan nach lübischer Münze: Lähmung 30 Mk.; Beinbruch 30 Mk., die Hälfte der Summe in beiden Fällen der Obrigkeit; braun und blau 1 Mk. 8 ßl.; Rauferei mit Erdfall eben so; Hausgewalt 60 Mk.; Feldgewalt 15 Mk.

Aehnliche Bestimmungen gelten in den meisten meklenburgischen Städten und erhielten sich guten Theils bis in die Zeiten des 30jährigen Kriegs. Hiebei sind nicht zu übersehen die Einwirkung der verschiedenen Münzsorten und des Wechsels im Geldwerthe, ferner die von den Magistraten einseitig oder mit Zuziehung der Bürgerschaft zeitweise vorgenommenen Aenderungen in den Statuten und endlich für bestimmte einzelne Fälle in den Bruchregistern das Handeln zwischen Obrigkeit und Parteien, wie zwischen diesen unter sich.

Es sind demnach für das Wundenmaaß in Meklenburg, und vornämlich in den Städten, drei größere Abstufungen wahrzunehmen:

1) "Vlethe, Lemnuß, Beenbroke," d. h. schwere, hohen Bußen unterliegende Verletzungen, (= kampfbare Wunden,) die entweder eine gewisse Tiefe und Breite haben und an gefährlichen Leibestheilen zugefügt sind, oder welche die Knochen. des Körpers wesentlich verletzen, oder endlich, welche ganze Glieder des Körpers zerstören oder doch lähmen.

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2) "Fahrwunden, vollbohten Wunden," welche ziemlich erheblich sein können, aber doch die Knochen nicht verletzen; Wunden, welche an sich weder Todesgefahr noch Lähmung herbeiführen.

3) "Braun vnd blau, blutlos, Haarzug, Erdfall" u. s. w.

Hinsichtlich der an leblosen Gegenständen geschehenen Gewalt waren nach dem Obigen alle am Hause verübten Gewaltthaten ungleich höher verpönt, als die im freien Felde geschahen. Für Haus= und Feldgewalt galten in manchen Städten höhere Strafsätze, als auf dem platten Lande.

Wenn im Allgemeinen ein Hauptmangel des altdeutschen Strafrechts darin gefunden wird, daß es dem Richter in vielen Fällen die schreiendste Willkühr gestattet, so tritt dies vorzugsweise in den Städten hervor, wo Diebstahl, Unzucht und andere Vergehen, für welche genauer bestimmte Strafen in den meisten Statuten nicht festgesetzt waren, nothwendig sehr häufig vorkommen mußten 1 ). Besonders gilt dies von den Seestädten, welche frei von fürstlichen Stadtvögten waren und in denen der Einfluß der Rathsgeschlechter vorherrschte. Daher findet man denn auch, wie dies z. B. die in ziemlich reichem Umfange erhaltenen Proscriptions=Bücher von Stralsund, Rostock, Wismar, Lübeck u. A. in auffallender Uebereinstimmung nachweisen, die Strafe der Verweisung aus der Stadt (Verfestung = proscriptio) für die schwersten wie für ganz geringe Verbrechen im Laufe des Mittelalters gleichmäßig angewandt. Eben so klar weisen die Urkunden, Acten und Chroniken mancher norddeutschen Städte auch noch für diese späteren Zeiten die nicht seltenen Fälle nach, in denen der reiche Verbrecher, der mit Rathsgliedern nahe verwandte oder sonst in Gunst des Rathes stehende Uebelthäter straflos oder mit gelinden Opfern an Geld und Bequemlichkeit davon kommt. Fälle dieser Art treten auch in Meklenburg in einzelnen größeren Städten, wie besonders in den beiden Seestädten, in Parchim und in Neubrandenburg noch im Laufe des 16. Jahrh. öfter hervor.



1) Vgl. S. F. Fabricius, die Einführung der Kirchen=Verbesserung in Stralsund (1835. 8.) S. 37, wo er die strafrechtlichen Zustände in den pommerschen Städten um d. J. 1520 schildert; ein Bild, welches auch noch für die Mitte dieses Jahrhunderts ziemlich zutrifft. Mit Recht hebt er hervor die Härte der Strafen für Diebstahl und Gewalt oder Selbsthülfe, das zahllose Aufhängen und Verfesten, die leichtfertige Willkühr in Anwendung der Folter, das entsetzliche Gewicht des Ergreifens auf frischer That und die große Bevorzugung des reichen Verbrechers, dem man gewöhnlich die Sühne durch Geld gestattete.
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6. Die Uebergangszeit.

Die Umwandlung des Strafrechts und des strafrechtlichen Verfahrens in Meklenburg ward um die Mitte des 16. Jahrh. durch den Einfluß der kirchlichen Reformation und die staatsmännische Wirksamkeit solcher Männer vermittelt, die nach römischem und kaiserlichem Rechte, so wie durch die reichsgerichtliche Praxis gebildet waren.

Schon um das J. 1520 scheint in so ferne eine Einwirkung der kirchlichen Bewegung erkennbar zu werden, als die bei den Bußen bisher üblichen religiösen Gelübde, die Wallfahrten, die Seelenmessen und die feierliche Ausstattung der Leichenbegängnisse der Erschlagenen nun aufhören 1 ). Entschiedener tritt aber dieser Einfluß hervor, nachdem die neue Lehre einen tieferen Halt in der Gesinnung und Bildung des Volkes gewonnen hat. So wendet sich z. B. im J. 1557 ein Bürger zu Güstrow, Joachim Voisan, dessen Bruder daselbst von Jost vom Stein erschlagen war, an die gerade dort anwesenden Kirchenvisitatoren mit der Bitte um Belehrung, um Lösung seiner Gewissenszweifel. Man hatte ihn bereden wollen, die peinliche Klage fallen zu lassen, um nicht blutgierig zu erscheinen; selbst die herzoglichen Räthe hatten in diesem Sinne gesprochen. Aber es war sein "hertliche schwere Bedenkent : dwil Godt ewich is, so is sein Gebot ock ewig; wer Minschen Blot vorgut, sin Blot soll wedder vorgaten werden; wen die Ouericheit szodane boße Daet nicht straffet, straffet Godt gewiß; szo ich durch mein Nhagenent worde vorhindern Gottes Ordel vnd Beuhel, so muste ich de Straffe von Gott gewarten." Diese Ansicht trat bald immer entschiedener auch in den Hofcanzleien und bei dem Hof= und Landgerichte hervor. Namentlich dadurch, daß in Fällen vorsätzlichen Mordes nunmehr die Geldbuße nicht mehr zugelassen ward, zumal bei Uebelthätern aus dem geringen Volke. Als im J. 1568 ein Knecht des v. d. Lühe zu Buschmühlen einen Mühlenknecht des nahen herzoglichen Amtes erschlug, zahlte er an die Verwandte des Getödteten eine Büße und glaubte sich sicher. Allein auf Anzeige des Amtes ließ die Landesherrschaft diese Sühne auf ihren "Werd vnd Unwerd beruhen", wandte sich, da der Thäter ent=


1) "Von Wallfahrten, so eines Todtschlages wegen geschehen" vgl. Schröder's Wismarsche Erstlinge, beim J. 1508; unter den fürstlichen Zeitgenossen war der im J. 1507 verstorbene Herzog Balthasar "ein Liebhaber der Wissenschaften, des Gottesdienstes und der Reisen nach heiligen Oertern; daher er den besten Theil von Europa gesehen hatte." Franck, A. u. N. Meklenburg, Buch IX, Cap. 3, S. 23.
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floh, an den v. d. Lühe und befahl ihm bei 1000 Thlr. Strafe, den Knecht binnen Monatsfrist zu peinlichem Rechte zu stellen. Zu derselben Zeit hatte Hans Bolle, eines Bauern Sohn zu Holthusen, den Colonisten Heinrich Wend erschlagen und war landflüchtig geworden. Der Vater handelte nun mit den Freunden des Getödteten und vergnügte sie durch eine Geldbuße, so daß sie erklärten, wenn der Herzog dem Mörder das Leben schenken würde, so wollten sie seines Blutes auch nicht begehren. Der Vater bat alsdann, da der Sohn inmittelst wieder heimgekehrt war, den Herzog Johann Albrecht um Begnadigung des Sohnes und wollte das landübliche Bruchgeld für ihn erlegen. Als aber der nun verhaftete Thäter den Mord mit erschwerenden Nebenumständen eingestand, ließ ihn der Landesherr am Orte der That mit dem Schwerte hinrichten und Haupt und Körper auf ein Rad heften.

Bei den Untergerichten behielten die alten strafrechtlichen Ansichten noch längere Zeit eine gewisse Geltung. Als 1572 Achim Reinecke aus Spornitz einen Bauern aus dem Amte Neustadt beim Zechgelage in der Heuwerbung erschlug, ließ ihn das Amt Neustadt gefänglich einziehen. Das Amt forderte die "Freundschaft" vor und fragte sie, ob sie den Mörder wollten richten lassen oder was sie mit ihm vorzunehmen gedächten. Die Verwandten erklärten: es wäre ihnen mit seinem Blute nicht gedient, denn der Andere wäre doch todt; auch hätten sie nicht das Vermögen, ihn richten zu lassen; sie begehrten aber, daß er möge verwiesen werden, "das sie in nicht mehr segen". Das Amt schlug nun (1572) bei der Hofcanzlei vor, den Mörder auf einige Zeit nach Dömitz zur Zwangsarbeit bei dem dortigen Festungsbau zu senden und ihm dann das Leben zu schenken. Allein der Herzog Johann Albrecht befahl, den Thäter, "der aus lauterm boshaftigen Vorsatz den ytzigen Todtschlagk begangen", vom Leben zum Tode mit dem Schwerte richten zu lassen.

Auch in Beziehung auf manche andere Verbrechen ward von den Hofcanzleien damals schon nach den Grundsätzen der Carolina erkannt. Im Februar 1569 hatte eine Magd zu Pieverstorf im Amte Gadebusch nach verheimlichter Schwangerschaft ihr neugebornes uneheliches Kind ausgesetzt und dadurch getödtet, nachdem von der Mutter der Magd eine Austreibung der Leibesfrucht durch gesottenes Kraut vom "Sadebaum" versucht war. Das Amt erholte sich Raths bei der schweriner Hofcanzlei, welche dasselbe anwies, zunächst ein vollständiges Bekenntniß, allenfalls durch Anwendung der scharfen Frage, zu erzielen. Die Delinquenten bekannten vollständig. Die Hofcanzlei verurtheilte so=

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dann — mit Beziehung auf Cap. 131 der Carolina — die Magd zur Ersäufung; die Mutter aber sollte lebendig begraben und ihr ein Pfahl durch den Leib geschlagen werden.

Fast in allen diesen Fällen waren es vom Auslande stammende und dort gebildete Gelehrte, wie Heinrich Husan, Hubertus Sieben und Andere, welche als nunmehrige Räthe der Hofcanzlei die oben angeführten Entscheidungen beschlossen und gewöhnlich selbst, mit Bezugnahme auf die meklenburgische Polizeiordnung vom J. 1562 (und hernach von 1572), Titel: von Todtschlag, der in seinem Schlusse auf die Carolina hinweist, abfaßten.


7. Die Reception der Carolina in Meklenburg.

In den meklenburgischen Reichstagsacten, namentlich aus den J. 1521, 1530 und 1532, finden sich weder corrigirte Entwürfe noch einfache Abschriften der Carolina. Eben so wenig deuten diese Acten auf irgend ein selbstständiges demnächstiges Aufgreifen der neuen Strafgesetzgebung in Meklenburg hin.

Meklenburg hat sich vielmehr, wie viele andere Reichsstände, hinsichtlich des neuen Strafrechts in Gemäßheit der "salvatorischen Clausel" verhalten, welche von den auf die kaiserliche Macht eifersüchtigen und für ihre Sonderinteressen besorgten Reichsfürsten dem Regensburger Reichstagsabschiede 1 ) vom 27. Juli 1532 eingefügt ward und welche demgemäß in die kaiserliche Publication der Carolina aufgenommen werden mußte. Die Reception der Carolina in Meklenburg läßt sich genau nachweisen. Sie geschah allmälig und gleichsam stückweise.

Die erste offizielle Bezugnahme auf die Carolina geschah bei uns in der, im J. 1549 zwischen Kurbrandenburg, Meklenburg und Pommern, in Maßgabe des kaiserlichen Landfriedens geschlossenen Einigung gegen Befehder, Räuber und Mordbrenner. Dieses norddeutsche Landfriedensgesetz ward auch in Meklenburg im Laufe des J. 1550 publicirt 2 ). Im Eingange heißt es:


1) Abschied des Reichstags zu Regensburg vom 27. Juli 1532, Titel: Halsgerichtsordnung: Man einigt sich nunmehr zu dem Beschlusse: "das gedachte Ordenung in Druck geben vnd in das Reich publicirt vnd vorkundt werde, — doch Fursten vnd Stenden an ihren alten wohlhergebrachten, billigen Gepreuchen nichts benommen."
2) Schreiben des Herzogs Heinrich zu Meklenburg an den Herzog Philipp von Pommern vom 8. Januar 1550: — er sei mit dem Entwurfe des Gesetzes zufrieden "vnd nochmals des Erbietens, das wir, wils Got, noch vor Lichtmeß uns mit dem Drucke fertigen wollen."
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"Vnd sie — Kurfürst Joachim und die Herzoge von Pommern — sich wiederum mit uns vorglichen, abermhalen den Keyserl. Landtfrieden vnd was von den Vorbrechern desselbigen — inn dem Landtfrieden, der Keyserl. peinlichen Halsgerichts= auch Cammergerichts=Ordnunge gesetzt, zu publiciren vnd im Druck ausgehen zu lassen."

Weiterhin führt dieses Gesetz die Art. 34-41, 51, 128, 129 und 132 der Carolina über die Bestrafung der Räuber, Mörder und Befehder ausführlich mit auf.

In der meklenburgischen Polizei= und Landordnung v. J. 1562 wird nur an einer einzigen Stelle auf die Carolina verwiesen, nämlich in dem Titel: von Todtschlag, Ehebruch, Copplerei vnd Hurerey", wo gegen das Ende gesagt wird:

"Gleicher Gestalt wollen wir, das die lose leichtfertige Personen, so die Leute zusamen beruffen, coppeln, oder in ihren Heusern solliche Vnzucht zu treiben auffenthalten, mit Verweisung oder aber nach Gestalt der Verhandlung vermuge der Keyserl. peinlichen Halsgerichtsordnung an dem Leibe ernstlich sollen gestraffet werden."

Außerdem ist noch die in eben diesem Titel enthaltene Bestimmung, welche die ohne Concurrenz der Obrigkeit geschlossenen Sühne=Verträge in Fällen absichtlicher Tödtung ("Todtschleger") für nichtig erklärt, sehr wichtig für das Strafrecht, weil hiemit das alte Compositionen=System, wenn nicht aufgehoben, so doch gesetzlich wesentlich eingeschränkt ward. Die Bestimmung lautet:

"Da sich auch gleich vber das der Thetter mit des Entleibten Freunden ohne vnser vorwissen vertrüge, so soll er doch nichts desto minder, wo er bekommen, vermuge der Rechte, am Leben gestraffet werden."

Auch in die Polizei=Ordnung vom J. 1572 ist die vorliegende Fassung des Titels: vom Todtschlag etc. . mit Ausdehnung der obrigkeitlichen Concurrenz auf die Obrigkeiten insgesammt, übergegangen.

Daß schon um diese Zeit in den meklenburgischen Hofcanzleien zu Schwerin und Güstrow und bei dem damals noch ambulirenden (höchsten) Hof= und Landgerichte die Grundsätze der Carolina durch einzelne gelehrte Beamte halbwegs Eingang gefunden hatten, wird durch actenmäßige Verhandlungen, namentlich aus den J. 1560-1568, außer Zweifel gesetzt, wie dies bereits im vorigen Abschnitte durch einzelne Thatsachen dargethan ist.

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Die von dem Canzler Johann v. Lucka verfaßte (erste) meklenburgische Landgerichts=Ordnung v. J. 1558 (Rostock, bei Ludwig Dietz. 4.) erwähnt der Carolina, wie überhaupt des Verfahrens in peinlichen Sachen nicht.

Dagegen ist in der von dem Rathe und nachherigen Canzler Heinrich Husan — der in Frankreich und Italien als Romanist und zu Speier für das kaiserliche Recht gebildet war — redigirten Hofgerichtsordnung v. J. 1568 (Rostock, durch Jacob Siebenbürger. 4.) die erste förmliche und umfassende Reception der Carolina ausgesprochen. Dies Gesetz enthält am Schlusse einen eigenen Titel: "Von peinlichen Fellen vnd wie es damit gehalten werden soll", in welchem, weil damals in Strafsachen "allerhands Verordnung vnd Vnrichtigkeit gebraucht" wurde, bestimmt wird:

"das hinfuro der publicierten Keyserl. peinlichen Halsgerichtsordnung vnd derselbigen Prozessen an vnsern Vntergerichten in allen zutragenden peinlichen Sachen nachgegangen werde bey Verlierung der Gerichte vnd anderer Pene. — Da auch einiger Zweifel bey den Untergerichten in solchen Fellen entstehen würde, sollen die Gerichtshalter daruon vndertheniglich berichten 1 ) vnd sich Bescheids bey uns darüber zu erholen haben."

Die meklenburgische Hofgerichtsordnung v. J. 1570 wiederholt diese Bestimmungen wörtlich, ebenso die Polizeiordnung vom J. 1572 in dem Titel: "Von Todtschlag, Ehebruch" die oben angeführte Hinweisung auf die Carolina. Hinsichtlich der schon im J. 1562 ausgesprochenen Nichtigkeit der einseitig, ohne Vorwissen der Obrigkeit abgeschlossenen Sühneverträge heißt es hier im Titel: von Todtschlag:

"Da sich auch gleich über das der Thäter (der nach Art. 150 der Carolina etwa Geleit von der Obrigkeit erhalten) mit des Entleibten Freunden ohne unser in unsern Aembtern, oder einer jeden andern Obrigkeit, darunder solches geschehen, Vorwissen vertrüge, so soll er doch nichts desto minder, wo er bekommen, vermöge der Rechte, am Leben gestrafft werden."

Seit dieserZeit ist die Carolina 2 ) bis auf den heutigen Tag die Grundlage des meklenburgischen Strafrechts und Strafprozesses geblieben, wenngleich durch stückweise neuere Gesetzgebung


1) Diese Bestimmung ward später oftmals vor großer Bedeutung, namentlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh., wo die Untergerichte in zahllosen Hexenprozessen an die Justizkanzleien recurrirten und hier fast immer im Sinne eines sehr schroffen Inquisitions=Verfahrens beschieden wurden.
2) Ueber deren Reception vgl. Pohle, a. a. O. S. 73, 74.
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mehr oder minder modificirt; auch ist die Carolina noch später mehrfach recipirt worden, wie in der zweiten Schweriner Justiz=Canzleiordnung vom 25. Aug. 1637 und in der Güstrower vom 2. März 1669.


8. Fortbestand der Bußen und Brüche, besonders der letztern und deren Steigerung nach der Reception der Carolina; (1562-1630).

Das Compositionen=System ist in Meklenburg nicht mit einem Schlage, wie etwa durch die förmliche gesetzliche Aufnahme der kaiserlichen Halsgerichtsordnung im J. 1568, aufgehoben worden. Vielmehr sind "Sune vnd Broke" in vielen Fällen noch lange bei Bestand geblieben. Die privatrechtliche Abfindung durch eine Geldbuße an den Verletzten wird zwar in Fällen schwerer Verbrechen, wie namentlich der vorsätzlichen Tödtung, seit dieser Zeit in der Regel nicht mehr zugelassen, besonders bei dem niedern Volke; in manchen anderen Fällen jedoch, wie bei Verwundungen, Unzuchts=Vergehen, Injurien etc. ., dauern die Bußen in der früheren Weise fort. Noch viel auffallender tritt aber die fortwährende Geltung der "Broke" hervor, welche jedoch nun in vielen Fällen die Form der fiskalischen Strafe annimmt. An die Obrigkeit werden nach wie vor für Vergehen fast aller Art, nur etwa den vorsätzlichen Mord, so wie Raub und Diebstahl, Nothzucht und Zauberei der Regel nach ausgenommen, übrigens unter den verschiedensten Umständen, Strafgelder von Missetätern erlegt, und zwar beim Sinken des Geldwertes einer, und der formell anerkannten gesetzlichen Schärfung der peinlichen Strafen andrer Seits, oftmals zu einem bisher unerhört hohem Betrage. In dem abgelegenen stillen Lande hielt es, wie in den meisten hergebrachten Dingen, so auch in Strafsachen ungemein schwer, die "landübliche Gewohnheit" plötzlich und in allen Fällen zu verlassen. Die Rechtslehrer der hohen Schule zu Rostock erkannten noch vorherrschend die altdeutschen und landesüblichen Grundsätze in peinlichen Sachen an, wie dies aus mehreren Erachten der dortigen Juristen=Facultät aus dem J. 1581 über Fälle von Tödtung klar erhellt, indem diese Erachten die Gültigkeit von "Broke und Sühne" entschieden ausdrucken 1 ). Hiezu kam ein dringendes finanzielles Bedürfniß der Landesherrn, die überschuldet waren und von den Ständen stets nur langsame und noth=


1) Selecta juridica Rostochiens. fasc. I, spec. 7, quaest. 1; spec. 22, quaest. 1.
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dürftige Hülfe und auch diese nur gegen große Opfer erlangen konnten, indem der Staat noch aus einem Gemisch von verschiedenen Privatmächten bestand und der Grundsatz der Verpflichtung Aller zu Staatszwecken noch unbekannt war; sodann kamen hinzu der Eifer der nun stehend auftretenden, aber schwach besoldeten Fiskäle und die Kostbarkeit des nun schriftlich und weitläuftig werdenden Prozesses; endlich die der Carolina eigene Unbestimmtheit hinsichtlich des Strafmaßes für manche Verbrechen und die in verschiedenen Artikeln derselben, wie in den Art. 104 und 105, enthaltene Hinweisung auf die "gute Gewohnheit eines jeden Landes, das Rathspflegen der Richter und Urtheiler, die Erkenntniß und Ermäßigung verständiger Richter."

Zunächst treten die den Lehnleuten, den "Standespersonen" und Reichen seit dieser Zeit auferlegten hohen Geldstrafen für Vergehen auch solcher Art, die man heut zu Tage gemeine Verbrechen nennt, stark hervor, welche Strafen nun der Regel nach nicht mehr direkt von den Landesherrn erkannt und beigetrieben werden, sondern gewöhnlich auf Antrag der Fiskäle durch gerichtliche Erkenntnisse ergehen. Sehr kläglich bittet im J. 1572 der Vasall Adam Preen zu Nutteln, der um das J. 1566 eine ledige Magd geschwängert hatte, um Erlaß oder Ermäßigung der ihm dieserhalb landesherrlich abgeforderten Strafe von 200 Thlr. Henning Holstein zu Zahren, der im J. 1565 einen v. Peckatel erstochen hatte, ward 1569 von seinem Halbbruder Philip Holstein während des Landtages zu Güstrow getödtet. In diesen Sachen ward ein Strafgeld von 3000 Thlr. begehrt; fast gleichzeitig von Wigand Maltzan wegen gebrochenen Landfriedens die Summe von 6000 Thlr., wobei jedoch landesherrlicher Seits im Voraus ein etwaiger bedeutender Erlaß dieser Summen den Räthen und Fiskälen anheim gestellt ward. Christoph Maltzan auf Grubenhagen ward 1572 wegen Unzucht mit Margaretha v. d. Osten und wegen versuchter Abtreibung ihrer Leibesfrucht angegeben und zur Haft gebracht. Er bot 1573 der Geschwächten 500 Gulden als Buße an, welche diese jedoch nicht annahm; jedem der Landesherrn mußte er 1000 Gulden Strafgeld erlegen, für dessen vollständige Auskehrung seine Frau Katharina v. d. Schulenburg mit ihrem Vermögen sich verbürgte 1 ). Dieterich von Plessen auf Zülow ward 1596 wegen Tödtung des Vogtes Achim Schmidt fiskalisch angeklagt. Im Laufe des Prozesses brachte der Fiskal beweislich vor, daß


1) Christoph Maltzan mußte überdies Urfehde schwören, ebenso die Geschwächte, welche des Landes verwiesen werden sollte, wogegen jedoch deren vier Brüder sich beschwerend und anscheinend mit Erfolg, an den Herzog Johann Albrecht wanden.
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die Freunde des Mörders der Frau des Vogtes 300 Gulden geboten hatten: "das sie nicht klagen, sondern sagen solte, das der Junker iren Man nicht gestochen, sondern daß derselbe in den Spieß gefallen." Im J. 1601 ward der Angeklagte "wegen begangenen Excessus" zu einer Geldstrafe von 300 Thlr. verurtheilt, wie in Erstattung aller fiskalischen Kosten. Siegfried v. Oertzen verwundete im J. 1618 den Nicolaus von Peckatel tödtlich mit einem Dolche. Er ward zur Erlegung einer Geldbuße von 600 Thlr. und in sämmtliche Kosten verurtheilt. Gegen den v. Stralendorf auf Möderitz ward gleichzeitig wegen verübter landfriedensbrüchiger Gewalt gegen die Stadt Ribnitz, eine fiskalische Strafe von 1000 Thlr. und eventuell Landesverweisung erkannt. Im J. 1621 hatte sich Hans v. Plessen zu Dönkendorf mit des Adam Lützow zu Lützow Tochter "zue nahe ins Gebluete vnd Freundschaft befreiet." Der v. Plessen ward dieserhalb von den Landesherrn, anscheinend ohne gerichtliche Cognition, in eine Geldstrafe von 2000 Thlr., der Vater Adam Lützow zur Erlegung von 1000 Gulden verurtheilt. Diese Strafgelder wurden wirklich erlegt und die Landesherrn theilten sich in deren Genuß, indem die Ritterschaft beiden Landesherrn gemeinsam verpflichtet galt.

Auch die Bruchgelder für Vergehen im Bürger= und Bauernstande werden in der Zeit von 1570 bis um 1620, welche Epoche durch den Segen des Friedens und die ruhige Entwickelung mancher staatlichen Einrichtungen bei noch vorherrschendem Wohlstande in der Mehrzahl des Volkes beglückt war, oftmals zu einer bisher unbekannten Höhe hinaufgetrieben. Namentlich in den Städten von größerer bürgerlicher Wohlhabenheit war die Erhebung der Bruchgelder für Unzucht, Verwundungen, Tumulte und viele andere Vergehen noch sehr beträchtlich. Die Bruchregister gerade aus dieser Zeit sind in manchen Städten sowohl hinsichtlich der Mannigfaltigkeit der Vergehen, wie der finanziellen Erheblichkeit von besonderem Interesse. Dabei werden in den meisten Städten die Brüche noch ohneVermittelung von Fiskälen und gewöhnlich ohne weitschichtigen schriftlichen Prozeß von den städtischen Gerichten und Obrigkeiten selbst erkannt nnd beigetrieben. Fast durchweg geht hier noch der Unterschied zwischen großen Brüchen für Todschlag, Ehebruch, schwere Wunden etc. ., von 10 bis zu 30 Gld., aber auch bis zu 200 Thlr. und darüber, und kleinen Brüchen für geringe Wunden, Injurien und kleine Polizei=Vergehen, gewöhnlich nur bis zu 2 Gld. hinaufsteigend. Ein Bemessen der Brüche nach dem Vermögen des Zahlenden tritt jedoch dabei in vielen Fällen unzweifelhaft hervor.

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Herrmann Muchow, ein wohlhabender Bürger und Ehemann zu Parchim, schwängerte im J. 1572 seine Magd, Anna Rosin, welche ihr heimlich geborenes Kind tödtete. Auf Vorbitten seiner Ehefrau wird er vom Herzog Johann Albrecht mit einer Buße von 200 Thlr. "begnadiget", in 4 Terminen zahlbar, so daß er am 13. Juni d. J. die erste Rate mit 33 Gld. 8 ßl. auszahlt. Der Schmid Thomas Gödke zu Friedland wird 1580 wegen Unzucht mit einem Weibe flüchtig; 1584 wird er auf Ansuchen seiner Frau landesherrlich geleitet und mit einer Buße von 25 Gld. begnadiget. Der Bürger Balthasar Wüstenberg zu Friedland erschoß 1584 unvorsätzlich einen Tuchmacher aus Treptow. Er vertrug sich mit des Entleibten Freunden um eine leidliche Sunnne; zugleich zahlte er dem Herzoge Ulrich 7 Gld. 12 ßl. Bruchgeld.

Der Bauer Paul Riebestall aus Koblank bringt 1584 dem Bauern Chim Adler aus Zierzow in einer Schlägerei zwei schwere Wunden bei; er zahlt jedoch nur 4 Gld. als "Broke." Andere aus dem Landvolke dieser Gegend zahlen damals für eine mäßige Kopfwunde 2 Gld.; für eine Armwunde 1 Gld. 8 ßl.

Um das J. 1580 war ein Bauer auf der Dorfstraße zu Marin von einem benachbarten Colonisten erschlagen, welcher 15 Gld. als Strafgeld bei dem ältesten Schulzen des getheilten Dorfes niederlegte. Im J. 1588 treten bei Gelegenheit der Tödtung einer Magd zu Raddenfört im Amte Dömitz durch einen Knaben ganz die altüblichen Ansichten und Satzungen von der Buße und Sühne, der Beschreiung des Entleibten, dem Anklage=Verfahren und dem "Vorstand=Machen" durch den Kläger, wie von der Kostbarkeit des "Richten lassen" und der gütlichen Abfindung der Parteien hervor.

Im J. 1594 muß Joachim Schulz, der Sohn des Burgemeisters zu Parchim, der den Ulrich Meidtmann bei Nachtzeit auf der Heerstraße schwer verwundet hat, den Bruch mit 15 Gld. gutmachen; Lucas Rohrdanz, Bürger zu Parchim, verwundet 1598 den Burger Curd Feuerborn daselbst und muß 30 Gld. Bruchgeld entrichten. Jacob Kluth daselbst, der einen Jungen in das Haupt sticht, zahlt nur 5 Gld. Der Schweinschneider Christoph Warneborch zu Parchim muß 1602 für seinen 10jährigen Sohn, der kürzlich zur Winterszeit die als Hexe anrüchige "Schefe=Eva" niedergeschlagen hatte, so daß sie auf der Straße erfroren war, 20 Gld. Bruchgeld entrichten. Im J. 1599 zahlt der Bäcker Joachim Ulrich daselbst wegen zu klein gebackenen Brotes und Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit, 50 Glg.; bald darauf ein Anderer, der "in den heiligen Weihnachten ein Parlament angerichtet 2 Gld. Strafe an die Obrigkeit. Uebrigens

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kommen noch sehr spät im 17. Jahrb. einzelne Fälle vor, die ganz dem alten Compositionen= System entsprechen, wie denn z. B. Hans Dietze (zu Parchim? im J. 1639 einen Todschlag an dem Bauern Chim Jacobs aus Granzin begeht, der mit einem Bruchgelde von 50 Gld. an die Landesherrn gesühnt wird, nachdem der Thäter sich mit der "Freundschaft" des Erschlagenen durch eine Buße abgefunden hat.

Ueber die Theilung der Sühnegelder unter den nächsten Verwandten sind die damals geltenden Hauptgrundsätze nachzuweisen. In der Regel erhielten, wo Descendenten und Ascendenten concurrirten, nur die ersteren das Sühngeld; die Kinder des Erschlagenen hatten auf dasselbe immer das nächste Anrecht. Ebenso schloß die Ehefrau in den meisten Fällen die Concurrenz der Blutsverwandten auf das Sühngeld aus 1 ). Wo Geschwister und Ascendenten concurrirten, ward bisweilen nach Kopfzahl oder nach sonst vereinbarten Portionen getheilt; 2 ) die halbbürtigen Geschwister wurden dabei, wie es scheint, ausgeschlossen 3 ).

Daß in den meisten Nachbarländern Meklenburgs den hier dargelegten ganz ähnliche strafrechtliche Zustände bestanden, wird durch vielfache uns vorliegende Verhandlungen außer Zweifel gestellt. So finden sich in den Correspondenzen mit Pommern während des 16. Jahrh. wiederholt Gesuche der dortigen Landesherrn zu Gunsten einzelner ihrer Unterthanen, welche an Meklenburger wegen erlittener Tödtung oder schwerer Beschädigung von Angehörigen Ansprüche machen. Gewöhnlich lauten die Gesuche dahin, daß der Uebelthäter angehalten werde: "der Fruntschop Lik vnde Wandel tho don, dat se wegen eres unuorschuldet afgemordetn Fruntes neuen Unwillen mer myt en hebben darf." Mit Brandenburg fand ein ähnliches nachbarliches Verhältniß statt. Im J. 1540 vertrug sich der Bürger Achim Wardenberg zu Pritzwalk mit dem meklenburgischen Vasallen Achim Barnekow zu Gustävel, der einen nahen Blutsverwandten des Erstern getödtet hatte, dahin, daß dieser ihm 40 Gld. Münze und außerdem 5 Mk. lübisch "zur Bestettigung des Entleibten Handt" zahlte. Charakteristisch ist der folgende Fall. Im J. 1554 klagt Heinrich Broylam, Bürger zu Stralsund, bei dem Herzoge Johann Albrecht von Meklenburg: sein Bruder Hans Broylam sei von dem liefländischen


1) Selecta jurid. Rostochiens. Fasc. I, spec. 22, qu. 1. (additament. de 22. Oct. 1585.)
2) Ibidem, Fasc. I, spec. 22, qu. 1. "so seid ihr mit des Entleibten Vattern vnd Brudern euch zu vorgleichen — schuldigk; — ad hanc pecuniam concurrebant pater, fratres et ex fratre nepotes."
3) Ibidem, Fasc. I, spec. 7, qu. 1.
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Edelmanne Waldemar Uxkull erschlagen; der Stadtschreiber Erasmus Schröder zu Malchin sei zur Beitreibung der Buße bevollmächtigt. Dieser habe einen armen Malchiner Bürger, Jürgen Videler, nach Reval geschickt, wo derselbe ein Sühngeld von 150 Thlr. von W. Uxkull wirklich erhoben habe. Nach seiner Rückkehr habe nun dieser Videler das Sühngeld mit der Wittwe des inzwischen verstorbenen Stadtschreibers Schröder getheilt, und sie, die Broylam, seien leer ausgegangen. Der Barbier und Burgemeister Martin Ruche zu Damgarten erschoß daselbst im J. 1588 vorsätzlich und hinterlistig, da er sich zu einem redlichen Zweikampf besprochen hatte, den Barbier Levi Zimmermann. Dessen Bruder Valerius ließ sich bereden, den peinlichen Prozeß gegen den Mörder fallen und ihn zu einer Sühne auf 100 Thlr. kommen zu lassen. Zwei Schwestern des Erschlagenen concurrirten bei Erhebung dieses Blutgeldes zu gleichen Theilen mit dem genannten Valerius. Im J. 1574 hatte ein Bauvogt des Herzogs Johann Albrecht aus Unvorsichtigkeit das Kind eines lauenburgischen Bauern erschossen. Er vertrug sich mit den Eltern um eine mäßige Geldbuße, ward aber außerdem von dem lauenburgischen Amte mit der Forderung eines Bruchgeldes (Wedde) von 40 Mk. heimgesucht, so daß er seinen Landesherrn kläglich um Vertretung bat. In den Lübecker Hospitalgütern konnten noch um 1550 Mord und Todtschlag durch Erlegung des Blutgeldes von 60 Mk. an die klagenden Verwandten und von anderen 60 Mk. an die Grundherrschaft (Obrigkeit) gesühnt werden 1 ).


9. Gerichtliches Verfahren in Strafsachen. Gerichtspersonal. Anklage=Prozeß. Oeffentlichkeit und Mündlichkeit. Peinliches Halsgericht. Fahrgericht. Blutgericht mit der Beschreiung.

Das in Meklenburg so lange vorherrschende Compositionen=System mußte notwendig auf den Umfang und die Ausbildung des gerichtlichen Verfahrens in Strafsachen einwirken, indem da, wo Buße und Wedde zugelassen wurden, ein solches Verfahren gar nicht oder der Regel nach nur in einer Beziehung — als "Fahrgericht" — stattfand. Es hat zwar an oft schmachvollen Hinrichtungen, wie zu allen Zeiten des Mittelalters, so auch im 16. Jahrh. uns nie ganz gefehlt. Ein weitläuf=


1) Vgl. Dittmer, das heilige Geist=Hospital und der St. Clemens Kaland zu Lübeck, (das. 1838. 8.) S. 292.
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tiges, vorsichtiges, im heutigen Sinne des Wortes gründliches Verfahren in Strafsachen war aber in jenen Zeiten unbekannt. Außerdem läßt der Mangel an genauen Aufzeichnungen über Vorgänge des strafrechtlichen Verfahrens in der ersten Hälfte des 16. .Jahrh. nur eine beschränkte Erkenntniß der damals herrschenden Normen zu.

Es steht indessen so viel fest, daß auch in Meklenburg damals noch der Strafprozeß den Grundsätzen des altdeutschen gerichtlichen Verfahrens im Wesentlichen entsprochen hat. Denn derselbe beruhte noch auf einer Theilnahme des Volkes am Gerichte durch freie, selbstständige Männer, so wie auf einer Trennung und Theilung der gerichtlichen Thätigkeit zwischen dem Richter, der da leitet und vollstreckt, und dem Urtheiler, (Schöffen, Findesleute), der die Rechtsweisung findet und einbringt. Das Verfahren ist der Regel nach noch ein mündliches und öffentliches.

Das Gerichtspersonal bei dem herzogl. Landgerichte bestand um das J. 1520 aus dem vorsitzenden Richter und aus "beisitzenden Räthen". Das Richteramt ward hier altem Herkommen gemäß noch vorherrschend von den Landesherrn persönlich geführt, welche jedoch auch die Befugniß übten, Stellvertreter zu ernennen. Die beisitzenden Räthe waren keine stehenden gelehrten Richter, sondern theils Lehnleute, zu deren Pflichten seit Alters die Raths= und Schöffen=Dienstpflicht gehörte, theils Mitglieder der städtischen Magistrate, besonders der Seestädte. Das herzogl. Landgericht war damals noch ein wandelndes. Ziemlich oft ward es der Zeit zu Wismar gehegt, wo der Regel nach Rathsmitglieder unter den Beisitzern fungirten. Auch zu der im J. 1521 gegen die ausschweifenden Vasallen berufenen "Ritterbank" verschrieb Herzog Albrecht z. M. Leute aus dem Rathe der beiden Seestädte, um als Beisitzer das Urtheil finden zu helfen.

Eine Anzahl qualifizirter Beisitzer war bei dem herzogl. Landgerichte seit Alters namentlich auch in peinlichen Sachen erforderlich. So bringt in einem beim Landgerichte wegen Todtschlags geführten Prozesse des Reimar v. Plessen wider Joachim v. Stralendorf der Procurator des Erstern am 3. Juli 1561 unter Andern eine Verwahrung für den Fall vor: "wenn das peinliche Gerichte etwa nicht nach beschriebenen Rechte vnd Landesgewohnheit besetzt sein sollte." So läßt auch Herzog Ulrich z. M. seinem Bruder, dem Herzog Johann Albrecht am 9. Juli 1563 in Beziehung auf die Untersuchung und Bestrafung eines von Lüder Lützow verübten Todtschlags unter Andern schreiben: "Wir kommen in glaubwürdige Erfahrung, welcher Gestalt E. L.

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das Gerichte zu Schwerin durch die Schoppen widder vnsern Lehnmann Lüder Lutzowen sollen haben bestellet, vnd sich die Jurisdiction allein unternehmen", und schließlich hiergegen Verwahrung einlegen.

Bei den Niedergerichten in den Städten und Aemtern bestand das Gerichtspersonal in peinlichen Sachen ebenfalls der Regel nach aus einem Richter, dem Stadtvogte oder dem Gerichthsherrn, und aus Beisitzern, Findesleuten, Schöffen. So heißt es in den Bruchregistern der Städte Fürstenberg, Friedland, Strelitz und anderer aus der Zeit um das J. 1533 mehrmals ausdrücklich: "gerechtuerdiget dorch den Stadtuoget vnd borch de Schepen; dorch Richter vnde Schepen; dorch de swaren Schepen". Ganz bestimmt tritt das Finden des Urteils durch Schöffen aus der Mitte der Bürger z. B. in Güstrow im J. 1557 bei Verhandlung einer Klage wegen Todtschlages hervor. Die geringeren Strafsachen wurden gewöhnlich noch in den Stapelgerichten verhandelt und die Brüche von den Bürgern erkannt.

Ebenso werden hinsichtlich des platten Landes in Bruchregistern und sonstigen Acten der Aemter Crivitz, Gadebusch, Meklenburg, Wittenburg u. m. a. um 1530 neben dem Vogte oder dem als Richter fungirenden Beamten namentlich die Dorfschulzen öfter als Dingleute oder Schöffen bezeichnet, sowohl bei ordentlicher Verhandlung peinlicher Fälle, als bei Fahrgerichten und peinlichen Halsgerichten. Bisweilen wurden auch die Dingleute damals noch schlechtweg aus der Mitte des Volkes erwählt oder vom Richter berufen. Am längsten erhielt sich die Mitwirkung der Schulzen und Bauern bei den Gerichten in den geistlichen Besitzungen, namentlich den Bistümern.

Außerdem treten sogenannte "Fürsprachen" bei fast allen Niedergerichten auf. Zunächst waren dies gleichsam öffentliche Personen, die vom Gerichtsherrn oder in dessen Namen bestellt waren, um das Gericht hegen zu helfen. Diese erhielten eine Art Besoldung, damals gewöhnlich in Naturalien, je nach ihren Leistungen, aus den Mitteln der Gerichtsherren. Außerdem kommen aber auch bisweilen Fürsprachen der Parteien vor, von denen sie als rechts= und lebenskundige Männer zum Beistande mit in das Gericht gebracht wurden.

Früher wurden auch die peinlichen Sachen des Landvolkes der Regel nach vor die allgemeinen ungebetenen Gerichte, die Landdinge der einzelnen Gebietstheile, gebracht. Ueberreste dieser Landdinge kommen noch um das J. 1550 actenmäßig vor, wie in den Aemtern Crivitz, Grevismühlen, Rehna und Wreden=

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hagen 1 ). Der Regel nach wurden aber um diese Zeit die Criminal=Sachen des platten Landes vor den Amts= und sonstigen grundherrlichen Gerichten mit dem angedeuteten Personal verhandelt. In solchen Bruchsachen, in denen bloß die Feststellung und Erhebung einer der Amtsobrigkeit zu zahlenden Geldstrafe ohne Partei=Verhandlung vorlag, mögen häufig die Küchenmeister und Amtsschreiber oder die sonstigen Obrigkeiten allein das richterliche Personal gebildet haben.

Die gerichtlichen Verhandlungen wurden in Meklenburg bis um die Mitte des 16. Jahrh. in bürgerlichen wie peinlichen Sachen bei allen Gerichten im Wesentlichen noch mündlich geführt. Aus vereinzelten Actenstücken peinlicher Prozesse, so wie aus dem reicher vorhandenen Material über Civilsachen, welche um das J. 1520 beim herzoglichen Landgerichte geführt wurden, geht hervor, daß zwar damals schon das Verfahren bei diesem höchsten Gerichte in so ferne ein gemischtes war, als Schriftsätze neben mündlicher Verhandlung zugelassen wurden. Die Zahl solcher vorhandener Schriftsätze aus dieser Zeit ist aber selbst in Civil= und Lehnsachen sehr geringe, während die der noch vorliegenden gleichzeitigen Erkenntnisse sehr groß ist. Auch aus dem Grunde können Schriftsätze noch nicht die Regel gebildet haben, weil es noch einzelne Protocolle aus der angedeuteten Zeit giebt, welche eine summarische Aufzeichnung der Partei=Anträge durch einen Gerichtsschreiber, bisweilen noch durch den Kanzler, enthalten und die dem Erkenntniß zu Grunde liegende Uebersicht des Prozesses bilden, — welche Protocolle ohne Zweifel das altherkömmliche Verfahren dieses Gerichtes anzeigen.

Noch bestimmter wird in den Protocollen einzelner vor dem J. 1550 beim herzoglichen Land= und Hofgerichte erhobener und bis um das J. 1580 fortgeführter Prozesse in Beziehung auf die Unvollständigkeit der älteren in dieser Sache vorliegenden Acten bemerkt: in der Zeit der Entstehung des Prozesses sei noch Vieles bloß mündlich bei dem Landgerichte verhandelt. Daß das mündliche Verfahren beim Landgerichte in peinlichen Sachen noch um 1550 zulässig, wenn auch nicht mehr eigentlich üblich war, geht endlich mit Sicherheit unter Andern aus dem Prozesse des Reimar v. Plessen auf Bruel, Klägers, wider den Joachim v. Stralendorf auf Trams, Beklagten, wegen Tödtung des Helmuth v. Plessen im J. 1559, hervor. Hier ließ nämlich der Kläger am 3. Juli 1561 seine Klage durch einen Procurator vor dem Landgerichte


1) Vgl. Jahrbücher a. a. O. XIV, S. 111, 121.
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auf dem Rathhause zu Güstrow mündlich vortragen. Als der Beklagte die Einlassung deshalb verweigern will, weil die Klage nicht schriftlich übergeben, sondern nur vom Gerichtsnotar protocollirt sei, wird er hiermit durch einen gerichtlichen Bescheid vom 5. Juli 1561 vollständig abgewiesen und zur Einlassung angehalten.

Wenn sonach bei dem höchsten Gerichte, welches schon dem Einflusse der Reichs=Kammergerichts=Ordnung und dem auf schriftliche Verhandlung hinstrebenden Wirken der gelehrten Räthe der Hofcanzleien zugänglich geworden war, das mündliche Verfahren um das J. 1550 noch zugelassen wurde, so mußte dies noch entschiedener bei den Niedergerichten der Fall sein, welche dem Volke näher standen und ihre alte volkstümliche Verfassung in Beziehung auf die Mündlichkeit schon deshalb länger erhielten, weil die Schriftlichkeit in der Regel die Verhandlungen nothwendig kostbarer und langwieriger machen mußte. Dem entsprechend sind auch fast gar keine in Partei=Schriftsätzen verhandelte peinliche Prozesse aus dem Bereiche der Städte vor der Mitte des 16. Jahrh. nachzuweisen. Bestimmt wird aber auch noch in der Rostocker Gerichtsordnung v. J. 1574 das mündliche Verfahren als das in der Regel statt findende bezeichnet; ganz allgemein endlich wird den meklenburgischen Untergerichten noch in den Landgerichts=Ordnungen der J. 1558 und 1568 ein in der Hauptsache mündliches Verfahren ausdrücklich vorgeschrieben, wie weiter unten auszuführen sein wird.

Daß dem meklenburgischen Strafprozesse dieser Zeit das altdeutsche Anklage=Verfahren zum Grunde liegen mußte, geht schon aus den Nachweisungen über das Compositionen=System und aus einzelnen weiter angeführten Thatsachen hervor. Das Inquistions=Verfahren hat auch in Meklenburg bei den geistlichen Gerichten frühzeitig Anwendung gefunden und sich in Hexensachen bereits gegen das Ende des 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. auch auf die weltlichen Gerichte übertragen, so daß es uns leider an Beispielen der Tortur und des Feuertodes aus dieser Zeit schon nicht fehlt. Allein als die Regel in peinlichen Sachen ist das Inquisitions=Verfahren erst viel später, nämlich gegen die Mitte des 17. Jahrh. bei uns ausgebildet. Alle noch vorhandenen Actenstücke in peinlichen Sachen aus dem Bereiche des herzoglichen Landgerichts aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh. weisen auf das Anklage=Verfahren hin, wie z. B. ein Zwischen=Erkenntniß in Sachen des (Bauern?) Jacob Snokel, Klägers, wider Joh. v. Bülow, Beklagten, wegen eines angeblich an des Klägers Bruder auf dem Hofe zu Basse verübten Todtschlags. Der angeführte Prozeß des von Plessen wider den von Stralen=

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dorf, wegen Tödtung des Helmuth von Plessen, begann im J. 1561 und beruhte lediglich auf der Anklage des Verletzten. Dieser Prozeß zeigt auch das dem Anklage=Verfahren, in Gemäßheit alten Herkommens und der Bestimmungen der Carolina, noch eigenthümliche Cautions= und Haftsystem, indem der oben erwähnte gerichtliche Bescheid vom 5. Juli 1561 am Schlusse sagt:

"Beclagter soll auch schuldig sein, mittler Weile vnd hinfurther in getaner Verpflichtung vnd Hafftung szowoll als der Ankleger zu bleiben."

Nach anderweitigen, fast gleichzeitigen peinlichen Fällen war die Stellung der Bürgschaften beim herzoglichen Landgerichte zulässig und gewöhnlich. Ein Gleiches wird z. B. in der Rostocker Gerichtsordnung vom J. 1574 vorgeschrieben; bei den Amtsgerichten kommen die Bürgschaften sowohl zur Abwehr der Haft des Beklagten, wie zur Sicherung für erkannte Strafen vor, häufig mit der Formel: "dat he van Herrn vnd Richte scheden wil; — vom Richte tho scheden". Daß auch bei den Niedergerichten durchweg, namentlich den Stapel=Gerichten in den Städten das Verfahren in peinlichen Sachen damals noch regelmäßig von der Anklage des Verletzten ausging, geht, abgesehen von den Hof= und Landgerichts=Ordnungen, aus actenmäßigen Fällen, z. B. aus den Städten Neubrandenburg, Güstrow, Parchim und Rostock, der Zeit von 1550-1570 angehörend, mit Sicherheit hervor.

Zu weiterer Erläuterung möge hier zunächst noch das Verfahren eines gleichzeitigen außerordentlichen Gerichtes angeführt werden.

Im J. 1521 bestellte Herzog Albrecht z. M. wegen der "vnerhorten bosen vbermessigen Untaten und geschwinden geuerlichen Handlungen", besonders von Seiten der Lehnleute, zur Hegung einer (in Meklenburg sonst nicht üblichen) Ritterbank die Beisitzer aus dem Stande derLehnleute und aus den Magistraten zu Rostock und Wismar mit der Formel: "Du wollest mit vns neben anderen vnseren Reihen solch Ritterbank vnd Recht helffen zu hegen vnd zu besitzen." Das Gericht ward zu Wismar öffentlich gehalten und Jedermann aufgefordert, der Beschwerden über Gewalt und Unrecht vorzubringen habe, daselbst als Kläger "mit notturfftigem Furpringen — zu Sterckung vnd Handthabung der Gerechtigkeit" zu erscheinen. Der Herzog sandte seinen Amtmann zu Lübz, der statt seiner als öffentlicher peinlicher Kläger auftrat und mündlich klagte; die Erkenntnisse ergingen sofort am Orte des gehegten Gerichtes von "Richter vnd Beisitzern."

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Das in den meisten Städten Meklenburg's um die Mitte des 16. Jahrh. in Strafsachen, besonders in Fällen des Todtschlags, übliche gerichtliche Verfahren wird in einem Berichte des Joachim Voisan, Bürgers zu Güstrow, dessen Bruder von Jost vom Stein erschlagen war, im J. 1557 dahin beschrieben 1 ): Der Kläger überbringt den von ihm ergriffenen Mörder dem Gerichte zur Haft und bittet um einen Rechtstag; bei Hegung des Gerichts wird die Bank geschlossen; die Richter und Schöffen schwören, gewissenhaft zu richten; der Mörder, der entwichen ist, wird dreimal beschrieen; der Richter schilt den Theilsmann zu den als Schöffen berufenen Bürgern, um das Urteil von ihnen einzuholen, welches er dann einbringt und worüber schließlich eine Urkunde ergeht.

In den größern Städten, wie zu Rostock, Wismar, Parchim, Schwerin, ward nachweislich während des 16. Jahrh. das Gericht in peinlichen Sachen entweder in der Halle (" Laube") des Rathhauses, sonst "in offener Rathsbode" gehalten, so daß Richter und Urtheiler durch eine Schranke oder Bank von den Parteien und dem zuschauenden Volke geschieden waren, oder es fand als peinliches Halsgericht oder Fahrgericht unter freiem Hunmel auf öffentlichen Plätzen und Straßen statt. So heißt es z. B. von Rostock:

"Den 6. Dezember 1565 wardt ein Bürger mydt Namen Joachim Gylow, eyn von den 60, vpt Market gestellet vor dat Maleuidzt=Recht vnd verordelt" 2 ).

In einzelnen Städten, wie zu Neubrandenburg, ward das Gericht in peinlichen Sachen "Hegeding" genannt. Als im J. 1573 ein Bürger daselbst von einem Mitbürger des Diebstahls bezüchtigt war, kündigte er dem Injurianten "drey peinliche Gewaltklagen" an und forderte ihn vor "Hegeding". Auch die gleichzeitige Bürgersprache von Neubrandenburg unterscheidet: "für Gerichte oder Hegedinge" 3 ).

Das Verhör der Sache, die Verhandlung der Klage geschah in den großen Landstädten bei wichtigeren Fällen der Regel nach vor zwei Gerichtsherrn und dem Stadtvogte, bisweilen schon gleich Anfangs unter Zuziehung von einigen Bürgern, als Beisitzern, welche letztere jeden Falls bei Fällung des Urtheils, zumal in Sachen auf Hals und Hand, zugezogen wurden. Nach


1) Ist wörtlich mitgeteilt bei Pohle, a. a. O. S. 79, Note 19; Jahrbücher des Vereins für meklenb. Geschichte, Jahrg. XIV, S. 160.
2) Handschriftl. Chronik der Stadt Rostock auf der Regierungs=Bibliothek zu Schwerin, auf Papier in 4., beim I. 1565.
3) Vgl. v. Kamptz, Civilrecht der Herzogth. Meklenburg, Codex dipl. S. 287.
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der rostocker Gerichtsordnung v. J. 1574 gab es dort beim Untergerichte "neben zween des Radts" (Richteherrn) vier vom Rathe "verordnete Personen", qualificirte vnd erfahrene Bürger, welche die Urtheilsfinder, die Beisitzer oder Dingleute waren und "auf der Richthern vleissige Erinnerung all der Partheien Fürbringen vleissig erwegen vnd bei ihren Eidten vnd Pflichten ein rechtmessiges Vrtheil darauff verfassen vnd dasselbe im Gerichte absagen" sollen. Dabei war ferner bestimmt: "Vor dem Vndergericht sollen erörttert werden alle peinliche vnd Injurien=Sachen, so nicht bürgerlich geklaget; keine Appellation soll verstattet vnd zugelassen werden in peinlichen Sachen; vnd würde Jemand den Andern peinlich anklagen vnd Ankleger dem Gericht Bürgen stellen, — so soll der Angeklagte in Gefenknis gelegt vnd daselbst bis zu der Sachen Außtrage verhalten werden".

Im Allgemeinen hat sich das altübliche Verfahren in peinlichen Sachen in den Seestädten und in den stargardischen Städten später und unverfälschter als in den übrigen Landstädten Meklenburgs schon deshalb erhalten, weil jene von der fürstlichen Vogteigewalt befreiet, durch eigene gewählte Richter die Rechtspflege handhabten. In diesen ist die volksthümliche Gerichtsverfassung schon in der Zeit vom J. 1580 bis 1640 ganz zu Grunde gegangen.

Das mündliche Verfahren wird übrigens den Untergerichten des ganzen Landes in den drei ältesten gedruckten Landgerichtsordnungen aus den J. 1558, 1568 und 1570 gleichmäßig dahin vorgeschrieben:

"der Kleger soll seine Klage müntlich vor Gericht einbringen; die Richter sollen allen Vleis furwenden, daß die Sachen auffs schleunigste ihre Entschafft erreichen; alle, so den Gerichten vorstehen, sollen verfügen, daß in allen Sachen vber zehen Gülden belangd Klage, Antwort, Beweisung, Ein= vnd Gegenrede vnd alle Handlung mit VIeis auffgeschrieben vnd in allen Gerichten ein Schreiber gehalten vnd mit Eide eingenommen werde; in Sachen aber zehen Gülden oder weniger betreffend, soll auff das wenigst Klage, Antwort vnd Beweisung auffgeschrieben vnd das ander Fürbringen summarie verzeichnet werden."

Ebenso wird in der rostocker Gerichtsordnung v. J. 1574 ausdrücklich gesagt:

"wir achten es dafür, daß keiner einen schriftlichen Prozeß begeren wirt; da aber je so wich=

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tige Sachen fürfallen, in welchen die Parteien in Schrifften gegen einander verfahren wollten, wollen wir nach Befindung der Sachen Wichtigkeit vnd aller Vmbstende auff der Partheien Ansuchen den schriftlichen Prozeß derogestalt zulassen" etc. .

Daß bei den verschiedenen Niedergerichten des platten Landes gegen Ende des 16.Jahrh. noch das altübliche volksthümliche Verfahren sich in einzelnen Grundzügen erhalten hatte und auch in peinlichen Sachen beobachtet ward, geht aus bestimmten Thatsachen hervor. Noch im J. 1570 berichtet der herzogliche Küchenmeister zu Crivitz über ein in Strafsachen zu Raduhn von ihm gehaltenes Gericht, welches öffentlich gehegt ward, in welchem die Bauern als Dingleute erkennen und wo Ankläger und Beklagter gleichmäßig in Sicherheits=Haft kommen 1 ). Noch in den J. 1583 und 1585 hielt der Hofmeister des Klosters Reinfelden in den Dörfern Uelitz und Wittenförden in peinlichen Fällen öffentliche Rechtstage, entbot dazu alle betreffenden Insassen, gebrauchte bei der Hegung den Fürsprachen und ließ die aus dem Volke genommenen Beisitzer in die Findung gehen 2 ). Auch selbst in den Patrimonial=Gerichten der Lehnleute ward noch ähnlich verfahren. Christoph Raven zu Stück hielt um das J. 1570 mehrere "Rechtstage in Kegenwart etzlicher von Adell vnd sonst der Pastoren auch Stadtvogts, vnd ander guter Leute, auch des Caspels, wie gebreuchlich". Eben so ließ Achim Halberstadt zu Brütz im J. 1573 wegen eines böslich erstochenen Pferdes "einen Rechtsdag binnen der Klinken holden", wo das Erkenntniß den Parteien durch "ein gantzes Caspel thogefunden" ward.

Bestimmt ausgebildet und stets öffentlich war in Meklenburg seit Alters das feierliche Schlußverfahren mit dem todeswürdigen Verbrecher, das peinlicheHalsgericht, der einzige Theil unseres Strafverfahrens, der bis in die neuesten Zeiten öffentlich geblieben ist. Der Hinrichtung des Verbrechers ging ein feierlich gehegtes Gericht vorauf, gehalten am hohen Tage und der Regel nach unter freiem Hinimel, unter Zuziehung von Schöffen oder Beisitzern. Die dabei üblichen Formen wurden nicht bloß in den Städten nach jeden Ortes Herkommen sorgsam beachtet, wie denn z. B. in Parchim um das J. 1580 "das Blutgerichte zum Thodte von einem Richter vnd einem Fursprachen bei Sonnenschein geheget vnd gefellet" ward; auch auf dem platten Lande mußte das peinliche Halsericht von den


1) Jahrbücher des Vereins für meklenb. Gesch. Jahrg. XIV, S. 132.
2) Jahrbücher, a. a. O. S. 136, 137.
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Patrimonialrichtern 1 ) mit herkömmlicher strenger Förmlichkeit gehalten werden. So beschweren sich im J. 1551 die Flotow auf Stuer im Namen eines ihrer Hintersassen, dessen Vater die Linstow auf Gaarz hatten hinrichten lassen, über das Unförmliche und Nichtige der dabei stattgefundenen Prozedur. Die Handlung, sagen sie, sei nämlich geschehen: "im versperrten Hoffe zu Gartz frue Morgendes, als die Sonne nun hatt auffgehen wollen, durch unverständige darzu gedrungene Leutte, ohne gehegetes Recht vnd ohne Vorlesunge des Bekenntnisses, widder Recht, Pillicheit vnd Ordnung."

Zu Rostock wird im Laufe des 17. Jahrh. die Hegung des peinlichen Halsgerichts durch den Fiskal geleitet, der bei den Theilsleuten die Entfesselung des Uebelthäters und die Verlesung der Urgicht desselben, und sodann, nach erfolgtem öffentlichen Geständniß, das Erkennen einer Klage und eines Urtheils gegen ihn beantragt, welches der älteste Theilsmann verkündet. Darauf wird der Thäter neuerdings durch den Fronen gebunden und endlich dem Scharfrichter übergeben, der das schließliche Erkenntniß publicirt und vollzieht [ 2 ). Bei den Patrimonial=Gerichten ward das peinliche Halsgericht in diesen Zeiten gewöhnlich schon durch die gelehrten Gerichtshalter der Gutsherrn, bisweilen unter deren Vorsitz, gehalten. Noch um das J. 1700 haben sich z. B. in Neuenkirchen bei Neubrandenburg die alten Formen des Verfahrens im Ganzen erhalten, nur daß die Theilsleute schon verschwunden sind und der Scharfrichter die Rolle des Fiskals oder öffentlichen Anklägers durchführen muß 3 ).

Als besondere Theile der Strafgerichtsbarkeit erscheinen in Meklenburg 1. das Fahr= oder Nothrecht, welches vornämlich in Fällen der Tödtung durch Selbstmord, Unfall oder blinde Naturgewalt gehalten ward, hauptsächlich um die Thatsache amtlich festzustellen und um das Jurisdictions=Recht des Grundherrn zu wahren; 2. das Blutgericht mit der Beschreiung, welches in solchen Fällen des Todtschlags und Mordes, wo der Thäter entkommen war, zu dem Ende stattfand, daß der Thäter friedlos gemacht und den Verwandten des Erschlagenen das Recht, die


1) Wie oft und in welchem Grade namentlich Vasallen die Gerichtsbarkeit zu Zeiten mißbrauchten, und wie andrer Seits ein Recht der Oberaufsicht und der Bestätigung von den Landesherrn stets dabei ausgeübt ward, wird durch Angaben, wie die folgende, ins Licht gesetzt. In einem Memorial=Buche des Herzogs Heinrich zu Meklenburg heißt es beim J. 1535 unter Anderm: "Jtem Achim Leuetzouen zu Lunow zu schreiben: Abetracht zu thuen, das er seinen eigen Vettern ane der Fursten Willen vnd Befelich hat richten lassen. — Jtem ein Vrtheil holen zu lassen vff die zwe Bauren, ßo die Blankenborge vmb drey Stucke Holzes haben richten lassen."
2) Neue wöchentliche RostockscheNachrichtenund Anzeigen, Jahrg. 1839, Nr. 10.
3) Jahrbücher des Vereins für meklenburg. Gesch. Jahrg. IX, S. 490 flgd.
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Buße oder Strafe des Verbrechens zu erwirken, durch eine gerichtliche Handlung gesichert werde. Die Beschreiung ward bisweilen, zumal auf dem platten Lande, mit dem Fahrgerichte verbunden, wenn man nämlich sichere Zeichen des Mordes an dem Körper des Todten gewahrte. In solchen Fällen wird noch nach dem J. 1650 bisweilen in den Acten ausdrücklich von einem "gehaltenen Fahrgerichte vndt Beschreyung" gesprochen. Das Fahrrecht ward da gehegt, wo die That begangen oder wo der Körper des Entleibten gefunden war, immer unter freiem Himmel und so, daß der todte Leib gesehen ward. Dieser ward geprüft, "der Fall kürzlich untersucht und schließlich Recht gesprochen."

Im J. 1520 erschlug der Bauer Chim Ahrensdorf den Heinrich Walter am See des Dorfes Chemnitz. Der Schulze daselbst hielt mit 4 andern Schulzen aus benachbarten Dörfern das Blutgericht vor dem Schulzenhofe zu Chemnitz bei der hohen Linde; dem Erschlagenen ward die Hand abgelöset, der flüchtige Mörder aber aus dem Dorfe Chemnitz verfestet.

Als um das J. 1540 ein Kind in dem Bache bei der Wokrenter Mühle, unferne von Wismar, ertrunken war, mußte Herrmann Facklam, Schulze zu Karow, im Namen des Herzogs Heinrich zu Meklenburg das Fahrgericht "darüber sitzen." In dem Wismarschen Gerichtsbuche heißt es beim J. 1541: "Jtem Jochim Brandt iß dot gesteken buten dem roden Dohre vp dem Damme vnd man weth nicht, wer idt gedahn hefft. Vnd ist dat Recht darauer geseten vnd de Handt affgeledet, wo Recht iß; vnd de ersamen Herren Her Jürgen Grotekorth vnd Her Otto Tancke, beide Richtevogede, seten dat Gerichte vp dem Damme, dar de Dode lach." Ferner beim J. 1556: "Jtem Hinrich Marqwart tho Zesendorp iß beschriet vnnd fredelos gelecht, darumme, dat he Pagell Wildenn tho Weitkow hefft alhier by dem Damme ein bludt ein blaw ein Behenbrock vnd ein Fahrwunde des Leuendes geslagen, darauer he vom Leuende thom Dode kamen; vnd dat Recht darauer geseten vnd de Handt affgeledet; de Richteheren Her Barthelt Sandow vnd Her Gorries Juhlle." — Und endlich beim J. 1562: "Vmme Petri vnd Pauli iß ein Man sehr verwundet dot gefunden buten dem roden Dohre an dem Stadtgrauen. Auerst des Doden Nhame, ock deß Dederß Nhame vnbewnßt; vnd de Richteheren Her Frantz vom Haue vnd Her Brandt Hoppenacke aldar von wegen eines Erbaren Radeß datt Vahrrecht auer den doden Corpus tho hegende gekamen — vnd hebben dohn dat Recht darauer geseten vnd hefft Ordel vnd Recht gegeuen: so man kan den Deder befragen vnd anerkamen, so schall man Lubsch Recht mit

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ehme brukenn." Als im J. 1567 der Sohn des Schulzen zu Rosenthal auf der Brücke bei Wokrent mit einem Beile tödtlich verwundet und drei Tage hernach gestorben war, "ist also der Tode wiederumb vff die Brucken gebracht wurden, darselbst Peter Tunnich, Kuchmeister zu Mekelborgk, mit den eldesten Schultzen des Ampts gekommen, das Gerichte darüber sitzen zu lassen." Genau bekannt ist das Verfahren, welches zu Rostock in Fällen des Mordes, da der Thäter entflohen war, bei Beschreiung der Entleibten im 16. und 17. Jahrh. stattfand 1 ). Der Körper des Todten wird nämlich vor das öffentlich gehegte peinliche Noth= und Halsgericht gebracht. Daselbst bittet der Fiskal den Sarg zu öffnen, damit Jeder sehe, daß ein todter Körper darin vorhanden. Dann bittet er ferner, die Gichtung, d. h. die Beschreibung der Wunden, zu verlesen und die Beerdigung des Körpers zu gestatten, welches "durch die Theiler des Rechtens erkannt wird", und darauf, daß dem Thäter eine Klage gesprochen werde: "es solle ihm seit und weit, in Rusch und Busch, in Kirchen und Häusern nachgetrachtet werden", damit er zur Haft und Strafe gebracht werden möge. Nachdem dies erkannt, tritt einer der Theilsleute mit bloßem Schwerte zu Füßen des Leichnams und thut dreimal das Zetergeschrei über den Mörder und berührt jedesmal, den Körper mit der Spitze des Schwertes. Dann stellt der Fiskal die Klage an, heischet zu dreien Malen den Uebelthäter aus dem Frieden in den Unfrieden "und legt damit die Verfestung zu." Ostern 1653 ward zwischen Metelsdorf und Schulenbrook im Amte Meklenburg ein erschlagener Bürger aus Wismar gefunden. Auf Ansuchen der Wittwe lieferte das Amt gegen einen Revers des Rathes zu Wismar über die unverletzte herzogliche Gerichtsbarkeit den Leichnam aus, doch erst "nach gehaltenem Fahrgerichte, wobei nach altem Gebrauche das Zetergeschrey von dem Henker verrichtet worden." Noch im J. 1717 berichtet das Amt Grevismühlen: am 19. Jan. seien drei russische Soldaten und eine Bauersfrau auf dem Warnower See ertrunken; die Leichen seien Tags darauf unter dem Eise hervorgesucht, auch gefunden "und folglich das gewöhnliche Fahrrecht darüber gehalten worden." Die "Formula, wie das Fahrgericht zu Wismar zu halten" 2 ), vom J. 1686, sagt in der Einleitung: es kämen viele Selbstmorde und Todt=


1) Neue wöchentl. Rostocksche Nachrichten und Anzeigen vom J. 1839, Nr. 10.
2) Liegt in einem gleichzeitigen Abdruck in 4. vor. Pohle, a. a. O. S. 77, verweist irrthümlich auf die Neuen wöchentl. Rostockschen Nachrichten vom J. 1839, Nr. 10, wo sich nur der oben erwähnte: "Kurze Prozeß, so zu Rostock bei Beschreiung der Entleibten gehalten wird", mitgetheilt findet.
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schläge vor, wobei nach altem Herkommen ein Fahrgericht und nach Befinden die Beschreiung zu halten sei, und bestimmt in §. 4 und 5: wenn der Tod ohne Schuld und Vorwitz des Gestorbenen erfolgt sei, solle sofort das Fahrgericht gehalten werden; und in §. 8 und 9: bei Anzeigen des Todtschlags solle das Gericht vor öffentlichem Stapel die Beschreiung halten und die Verdächtigen bei der Leiche inquiriren; bei allen Fahrgerichten führe der älteste Gerichtsherr den Vorsitz, zeige den Fall und die Ursache an und fordere Procuratoren und Ankläger zur Rede auf.


10. Uebergang zum amtlichen Untersuchungs=Verfahren. Einfluß der Hexen=Prozesse. Bestellung und Wirksamkeit der Fiskäle. Frühzeitige Inquisitions=Fälle.

Das altdeutsche Privat=Anklage=Verfahren in peinlichen Sachen erlosch in Meklenburg gegen Ende des 16. und in der ersten Hälfte des folgenden Jahrhunderts, nicht eigentlich gesetzlich, aber doch factisch. Es ward allmälig durch das amtliche Anklage= und Untersuchungs=Verfahren verdrängt. Nächst den allgemeinen, auch hier einwirkenden Zeitumständen sind die Verbreitung des Hexen=Prozesses und das Institut der Fiskäle hier zumeist in Betracht zu ziehen.

Schon gegen Ende des 15. Jahrh. wirkten die Erfindung der Presse und die Verallgemeinerung der Schreibekunst, das Sinken der kaiserl. Macht und die Entwickelung der Landeshoheit, endlich die Vermehrung der Hochschulen und die Verbreitung des römischen Rechts auf den gesammten deutschen Rechtszustand wesentlich ein. Ganz klar tritt dies bei dem höchsten Reichsgerichte selbst hervor. Als das Reichs=Kammergericht 1495 zu Wetzlar ständig ward, gestattete es zuerst in seiner damals erlassenen neuen Gerichtsordnung die Zulassung des schriftlichen Prozesses, wenn eine oder beide Parteien ihn wünschten. Seine verbesserte Gerichts=Ordnung v. J. 1500 setzt schon das schriftliche Verfahren als das bekannte und regelmäßige voraus und die neue Gerichtsordnung desselben v. J. 1507 schreibt bloß schriftliche Verhandlung vor. Der Einfluß dieses Vorganges auf die deutschen Territorien konnte um so weniger ausbleiben, als sehr viele Rechtsgelehrte damals und später zu Wetzlar sich praktisch ausbildeten. Die Ansicht von der Nothwendigkeit

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ständiger höherer Gerichte, gelehrter Beisitzer und schriftlicher Verhandlung ward nun bald allgemein verbreitet.

Nicht geringer aber ist die Bedeutung, welche in dieser Beziehung dem kanonischen Rechte, dem geistlichen Gerichtsverfahren und insbesondere der im 16. Jahrh. stattgefundenen Verbreitung des Hexen=Prozesses zuzuschreiben ist. Die Satzungen der christlichen Kirche und des römisch=deutschen Kaiserrechts nahmen frühzeitig gewisse Verbrechen, wie Entheiligung des Festtages und Ketzerei, Majestäts=Beleidigung und Landes=Verrath von jeder Composition aus. Bei den geistlichen Gerichten herrschte ferner seit Alters das schriftliche Verfahren vor, da es ihnen nie an schreibkundigen Leuten fehlte. Die geistlichen Gerichte bedienten sich auch frühzeitig — der damaligen Rohheit des Eifers für Ausbreitung des Christenthums und Erhaltung der Rechtgläubigkeit entsprechend, — des inquisitorischen Verfahrens in Glaubenssachen, besonders in Fällen der Ketzerei und fügten diesem Verfahren, bei dem häufigen Mangel im Beweise, die Anwendung von Mitteln der Bedrohung und des Zwanges (Tortur) hinzu.

Bei der allgemeinen Verbreitung des Glaubens an überirdische Wesen guter und böser Art — außer einem höchsten Wesen — erhielt sich der in dem geistlichen Ketzer=Verfahren des Mittelalters als eine Hauptgattung ausgebildete Hexen=Prozeß fast überall in Europa, auch nach Erfindung der Presse und nach der Reformation, ja derselbe ist seitdem in manchen protestantischen Ländern häufiger und mißbräuchlicher vorgekommen, als in einzelnen altkatholischen. Die Reformatoren und die sonst gelehrtesten Zeitgenossen waren selbst noch befangen im Teufels= und Hexen=Glauben. Viele Gebildete gaben sich in noch späterer Zeit den magischen und astrologischen Künsten hin. Die uralte, auf Unwissenheit oder doch auf mangelhafter Erkenntniß beruhende Neigung der germanischen Stämme, manche Naturerscheinungen als Teufels= und Hexen=Werk zu betrachten, so wie die Ansicht, nach welcher die Frauen, das schwächere Geschlecht, der Verführung böser Geister besonders zugänglich seien, mögen diese an sich sehr merkwürdige Thatsache erklären.

Auch in Meklenburg kommen schon im Laufe des Mittelalters Ketzer= und Hexen=Prozesse vor; frühzeitig sehen wir solche in der Nähe von Klöstern, wie z. B. Doberan im J. 1336 1 ), dann in Form von Verfolgungen der Juden, wie zu Güstrow 1330 und Sternberg 1492 2 ), im 15. Jahrh. schon häufiger


1) Jahrbücher des Vereine für meklenb. Gesch. VII, S. 41, 42.
2) Jahrbücher XII, S. 208, 211 flg.
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als eigentliche Hexen=Prozesse in den beiden Seestädten Rostock und Wismar (1403, 1417, 1496) 1 ). Auf der hohen Schule zu Rostock gab es unter den Lehrern der Theologie besondere Wächter der Rechtgläubigkeit ("inquisitores hereticae pravitatis"). Entschieden überhand nahmen aber die Hexen=Prozesse in Meklenburg, zuerst in der zweiten Hälfte des 16.Jahrh. Die hierüber ziemlich zahlreich und umfänglich vorliegenden Acten ergeben, daß diese Prozesse häufig aus üblen Nachreden und Pöbel=Gerüchten entstanden, in den Städten öfter auch aus besondern böswilligen Anklagen durch Einzelne, und daß sie im letzten Grunde theils auf dem schändlichsten und abgeschmacktesten Aberglauben, theils auf Neid, Habsucht und Unzucht beruheten, ferner daß in ihnen schon mehr oder minder entschieden inquisitorisch und oft mit leichtfertiger und grausamer Tortur, besonders in der Zeit von 1560-1590 zumal bei den Niedergerichten verfahren ward, und endlich, daß die Entrüstung und der Eifer edler und gebildeter Staatsmänner, wie der Räthe Bouke, Husan, Krause, Stelbag, Sieben und Anderer gegen dieses Unwesen von nur geringem Erfolge war. Besonders einige kleine Landstädte, wie z. B. Sternberg und Crivitz, zeigten ihr sonstiges Elend auch in der schmutzigsten Hexen=Verfolgung, gewöhnlich unter Sorge und Streit über die Hinrichtungs=Kosten. In der Regel waren Weiber die Angeber und Weiber die Beklagten; der Feuertod war die gewöhnliche Strafe; zu Rostock wurden im Aug. und Sept. 1584 siebenzehn Hexen und nur ein Zauberer verbrannt. 2 ) Eine Nachwirkung des auf solche Weise immer häufiger werdenden "peinlichen Verhörens" und der Anwendung der Tortur konnte in Meklenburg nicht ausbleiben. Dieselben Richter der Hexen=Prozesse leiteten ja auch das Verfahren in andern peinlichen Fällen; überdies spielten Aberglaube und irgend eine Abart von Hexerei fast in jedem größern Criminal=Prozesse der Zeit eine Rolle mit.

Ein besonderer Umstand wirkte hier noch ein; dieses war die Mangelhaftigkeit der Beweisführung des altdeutschen Strafverfahrens. Fast Alles beruhte hier auf dem Ergreifen auf handhafter That und auf Zeugen=Aussagen. Bei den meisten Verbrechen aber waren beide Beweise nicht zu führen. Den Ankläger traf aber Strafe, wenn er nicht beweisen konnte; gewöhnlich mußte er auch eben so wie der Beklagte sich in Haft begeben. Auch die Carolina, welche noch vom Anklage=Verfah=


1) Vgl. Krey, Beiträge, Bd. I, S. 339, Bd. II, S. 21; Bd. III, S. 3; v. Rudloff, meklenb. Geschichte, Bd. II, S. 704; Schröders Beschreibung von Wismar, S. 240, 242.
2) Rostocker Nachrichten und Anzeigen v. J. 1840, Nr. 52.
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ren ausgeht, kannte als regelmäßige Beweismittel nur Geständniß und Zeugen=Aussagen. Daher kam es, daß bei den Richtern der Hexen=Prozesse, in welchen sie durch Inquisition und Tortur oftmals rasch zum Ziele — dem Geständnisse des Angeklagten — gelangten, die Neigung, ein solches Verfahren in peinlichen Fällen überhaupt anzuwenden, sich sehr verbreiten mußte.

Daß damals bei den geistlichen Gerichten in Meklenburg ein schriftliches und inquisitionsmäßiges Verfahren auch in manchen peinlichen Fällen, welche nicht Glaubens=Sachen betrafen, vorkam, geht aus bestimmten Nachrichten hervor. So fordert der Bischof Peter von Schwerin im J. 1511 Rostocker Wächter wegen Verwundung von Studenten durch eine förmliche Citation zur Untersuchung nach Bützow 1 ); so wird im J. 1541 in demselben Bisthum gegen den Magister und Canonicus Dethlev Danqvardi "aus vielerlei wichtigen vnd nothwendigen Ursachen, in Sachen inquisitionis", unter gefänglicher Einziehung, verfahren.

Nächstdem hat das Institut der Fiskäle 2 ) zu der Herbeiführung des Inquisitions=Verfahrens in peinlichen Dingen wesentlich beigetragen. Das Amt der Anwalte zur Vertretung des Fiskus vor Gericht ist schon im römischen Kaiserrechte ausgebildet. Mit den Grundsätzen über den Fiskus ging auch das Amt des Fiskals allmälig in das deutsche Gerichtswesen über. Im Laufe des 16. Jahrh. erweiterte es sich zu der Stellung eines wichtigen öffentlichen Beamten, der fast alle Hoheitsrechte und Finanzansprüche des Staats vor Gericht zu vertreten hatte. Mit der Entwickelung der Landeshoheit nämlich und der monarchischen Gewalt in dieser Zeit trat ein ungleich größeres Bedürfniß der öffentlichen Sicherheit und einer überall eingreifenden Strafgewalt ein, als bisher; die Verbreitung der neuen religiösen Ansichten und kirchlichen Satzungen, die Errichtung neuer Staatsbehörden, die rasch wachsende Ausdehnung der Handels= und gewerblichen Thätigkeit, die beginnende allgemeine Gesetzgebung und Besteuerung: — Alles das mußte auch zu einer größeren Bethätigung der Strafgewalt des Staates hinwirken. Da sich nun in Deutschland damals noch der Anklage=Prozeß erhielt, so fiel auch die wichtige Pflicht des öffentlichen Anklägers wesentlich den Fiskälen zu und ward besonders dadurch bedeutungsvoller, daß sich in den meisten Territorien auch nach dem Falle des Compositionen=Systems für manche Verbrechen die altherkömmlichen, der Obrigkeit zu zahlenden Strafgelder unter dem Namen der


1) Vgl. Pohle, a. a. O. S. 82.
2) Vgl. hierüber Buddeus in der Encyclopädie von Ersch und Gruber, Sect. I, Th. 24, S. 372 flg. — Pohle, a. a. O. S. 81.
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fiskalischen Strafen erhielten. Ja diese letztern wurden bei dem Fallen des Geldwertes durch die Vermehrung der edlen Metalle und bei der Erweiterung der Begriffe von der landesherrlichen Gewalt in Beziehung auf Begnadigung und Abolition in peinlichen Fällen oft zu sehr hohen Summen gesteigert. Auch durch die vielfachen Geldbedürfnisse, welche das neue staatliche Leben so wie die politischen Zeithändel den meisten deutschen Landesherrn zu Wege brachten, wurden diese zu einer strengen Anweisung und Ueberwachung der Fiskäle hinsichtlich der Verfolgung der Verbrechen und der Beitreibung von irgend bedeutenden Strafgeldern veranlaßt; nicht minder galt dies in soferne auch von den Fiskälen selbst, als diese häufig, ja in der Regel für ihre eigenen Einnahmen auf einen Antheil an den Strafgefällen und auf die von den peinlich Angeklagten im Falle der Ueberweisung zu zahlenden Kosten und Entschädigungen angewiesen waren. So erhielt sich denn ein gewisser Eifer der Fiskäle, öffentliche Verbrechen und Vergehen bei den Gerichten anzuzeigen, eine Untersuchung auf dem Wege der Klage einzuleiten und über die Vollstreckung der Strafe zu wachen. Durch eine solche Stellung und Wirksamkeit der Fiskäle, die als öffentliche Beamte und Vertreter des landesherrlichen Interesses in Verfolgung der Verbrechen oftmals Haß und Anfeindung erfuhren, aber auch immer den Schutz und die Beihülfe der Staatsbehörden ansprechen konnten und im Laufe der Zeit als eigentliche Beamte der höchsten Landesgerichte auftraten, ist in Verbindung mit dem Einflusse der Hexen=Prozesse eine Annäherung, ein Uebergang zu dem officiellen Unteruchungs=Verfahren in Strafsachen herbeigeführt worden.

Auch in Meklenburg hat eine solche Entwickelung der Dinge stattgefunden, welche hier durch geschichtliche Nachweisungen über die Bestellungen und die Wirksamkeit der Fiskäle in dem entscheidenden Zeitraume von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrh. näher zu begründen ist.

Ständige Fiskäle der weltlichen Landesherrn kommen in Meklenburg während der ersten Hälfte des 16. Jahrh. nicht vor; im Bisthume Schwerin scheint nach einzelnen Erlassen um d. J. 1540 eine und dieselbe Person als "bischofflicher Fiskal" in mehreren peinlichen Sachen thätig gewesen zu sein. Die weltlichen Landesherrn verwandten um d. J. 1564 einzelne ihrer gelehrten Hofräthe oder Räthe von Haus aus, wie den Dr. Erasmus Behm, nach Zeit und Umständen auch zur Betreibung von fiskalischen Sachen. Dieses Verhältniß leuchtet noch aus den ältesten vorhandenen Bestallungen der Fiskäle hervor. Zuerst nämlich war es der Herzog Johann Albrecht I. von Meklen=

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burg=Schwerin, der, bei Gelegenheit seiner Fahrt nach Speier und vermuthlich durch ähnliche Vorgänge in andern deutschen Ländern angeregt, Pfingsten 1568 den Dr. Sebastian Stelbage zum Hofrath auf 5 Jahre und insonderheit zum "Fiskal=Prokurator in allen fiskalischen Sachen" verordnete. Unter diesen zählt die Bestallung namentlich auf: "die Einbringung der verwirkten Bußen vnd Geldtstraffen", die Handhabung und Verfolgung der Amtsgrenzen und aller Regalrechte, der einschlagenden Lehnsfälle, der herrenlosen Güter, der betrügerischen Beamten, und fährt dann fort: "Und da sich auch Todtschläge, Ehebruch, Diebstal, Raub, oder ander dergleichen peinliche Felle zutragen, soll er mit allem Vleiße daran sein, daß dieselbigen gerechtfertiget, auch die Theter in den Embtern zu Hafften vnd geburlichen Straffen durch seine Ansuchung, Befurderung vnd rechtliche Verfolgung gebracht werden vnd zu der behuff dem peinlichen Procuratori oder Bluetschreier, den wir zu solchen Fellen zu bestellen willens, seine Anklage vnd fernere rechtliche Notturfft stellen und ime dazu als der Advocat vnd Ratgeber informiren" 1 ). Stelbage erhielt an Besoldung 250 Thlr. Gehalt, freie Wohnung, Kleidung und Unterhalt für 2 Personen bei Hofe, Holzgeld und nach 5 Jahren ein Gnadengeschenk von 1000 Thlr. Bald darauf, im J. 1572, bestellten beide Landesherrn Joh. Albrecht I. und Ulrich den Dr. Michael Graß zu Rostock als Fiskal beim Consistorium und beim Hof= und Landgericht und überwiesen ihm "alle Sachen, daran vnser vnd vnsers Fisci Interesse gelegen, vnd wir ihme befehlen oder die ihme sonstig aus gemeinem Gerucht vnd glaubwürdiger Nachricht furkommen mochten." Er erhielt 200 Thlr. Besoldung aus den fiskalischen Aufkünften und klagte übrigens 1587 dem Herzoge Ulrich: sein Amt sei "bei Menniglichen sehr verhaßt vnd mit nicht geringer Ungelegenheit verbunden". Weiter bestellten die genannten Landesherrn im J. 1573 den Dr. und Professor der Rechte Johannes Albinus zu Rostock zum "Procurator Fiscalis", namentlich beim "Landt= vnd Lehn=Gerichte", in der Art, wie den Michael Graß. Er erhielt anfänglich nur 100 Thlr. Besoldung, erst seit 1588 das Doppelte und zwar immer aus dem Ertrage der Strafgefälle, so wie 30 Gld. statt gewisser Naturalien. Für ihn scheinen zuerst eigene landesherrliche Schutzbriefe gegen "allerhandt Ungunst, Widerwärtigkeit vnd thetliches Fürnehmen", so wie Fuhr= und Ausrichtungs=Briefe an die Aemter ausgefertigt zu sein. Er erhielt nämlich freie Ausrichtung zum Besuche der Rechtstage und sonst


1) Der "Bluetschreier", welcher nun eigentlich nur ein Figurant war, kommt seitdem bei uns in Acten nur selten vor.
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so oft er erschien, freien Aufenthalt am Hoflager. Zugleich ward damals bestimmt, daß die fiskalischen Sachen auf den Rechtstagen immer zuerst vorzunehmen seien und daß der Fiskal nach Beendigung seiner Geschäfte als Beisitzer des Hof= und Landgerichts mit zu fungiren habe. Allen bisherigen Fiskälen war auch der Betrieb von privaten Partei=Sachen verboten, doch anscheinend nicht ganz erfolgreich.

Im J. 1602 bestellten die Landesherrn (Herzog Ulrich für sich und als meklenburg=schwerinscher Vormund) den Dr. Nicolaus Weselin als Fiskal mit 200 Thlr. Besoldung "aus dem Kasten der fiskalischen Gefälle", 30 Gld. statt Naturalien und mit freier Fuhr und Zehrung auf Reisen. Auch ertheilten sie ihm gleich Anfangs einen Geleits= und Schirmbrief. In der Bestallung des Weselin fallen zuerst die beiden frühern Bestimmungen hinweg: 1. daß der Fiskal nach Beendigung seiner Official=Sachen beim Hof= und Landgericht auch als Beisitzer fungiren soll; 2. das Verbot, außer den fiskalischen Sachen keinerlei Partei=Sachen und Privat=Procuraturen zu übernehmen. Wesentlich in derselben Weise ward im J. 1622 der jüngere Dr. Albinus und nach dessen Tode im J. 1626 der Dr. Nicolaus Wasmund als Fiskal bestellt. Besoldung, Geleitsbriefe u. s. w. sind die früheren. Die vorliegenden Dienstreverse dieser Fiskäle gehen wesentlich dahin: unpartheiisch gegen Jedermann die Dienstpflicht zu üben, von Niemandem Geschenke zu nehmen, alle Amts=Geheimnisse bis an die Grube zu bewahren. Der genannte Wasmundt scheint übrigens zuerst durch den Präsidenten des Hof= und Land=Gerichts im Namen der Landesherrn an sein Amt gewiesen und beeidigt zu sein; auch lautete seine Bestallung wie damals bei den Gerichts=Subalternen üblich war, auf 6 Jahre.

Wallenstein stellte (1630) den Licentiaten Kaspar Koch als Fiskal an und verwies ihn in der Bestallung ausdrücklich auf die neue Hof= und Landgerichts=Ordnung vom 2. Juli 1622, welche zuerst einen eigenen Titel: "Von des Fiskalis Ambte" enthält. Koch erhielt auch zuerst eine reine Besoldung von 400 Gld. aus der herzogl. Renterei, so daß alle übrigen Emolumente wegfielen 1 ). Dasselbe wiederholt sich im J. 1635 bei Bestellung des Dr. Theodor von Ose und bis über die Grenze unsers Zeitraums hinaus. Es bleibt nur übrig zu bemerken, daß beim Consistorium und später bei den Justiz=Canzleien ganz ähnliche Verhältnisse hinsichtlich der Fiskäle sich gestaltet haben.


1) Wallenstein hatte auch im Juli 1629 der herzoglichen Kammer befohlen, aus Mitteln des Amtes Sorge zu tragen, "nachdeme vnderweilen Gefangene ex officio eingebracht werden", diese zu beköstigen.
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Entsprechend den oben im allgemeinen und dann durch die Bestallungen der Fiskäle gegebenen Andeutungen zeigt sich in gleichzeitigen Acten die praktische Stellung und Wirksamkeit der Fiskäle in Meklenburg.

In den J. 1563 und 1565 wird in Schriften, welche von Lüder Lützow und Jürgen v. Bülow verübte Todtschläge betreffen, eines Fiskals überall nicht gedacht, sondern über Geleite, Erlassung von Strafgeldern, Begnadigung anf Fürbitten von Potentaten und peinliche Anklage durch eine der Parteien verhandelt; ja Herzog Ulrich selbst fordert in dem Falle des H. v. Bülow die Familie des Getödteten zur peinlichen Anklage auf.

Aber schon nach einigen Jahren, im Oct. 1568, tritt auf dem Rechtstage zu Wismar der Dr. Behm als herzoglicher Fiskal auf und sagt beschwerend: "das Morden will fast eine unstrafbare Gewohnheit werden; Todtschläge und Ehebrüche bleiben der Geschenke und der Privatpersonen Einmischung wegen ungestraft." Im J. 1568 beantragt auch schon der Fiskal gegen den flüchtigen Totschläger Levin Morin eine Art von Contumacial=Verfahren und verlangt insbesondere "annotationem bonorum". Hiergegen beschweren sich aber die Angehörigen des Morin als "des Furstenthumb Meckelnburg Gewonheit zuwidern". Gleichzeitig führen noch die Barsse mit den Bützow beim Hof= und Landgericht einen Diffamations=Prozeß wegen Todtschlags durch alle Stadien des damals bei den Obergerichten üblichen artikulirten schriftlichen Prozesses bis zum J. 1571 ohne Einmischung des Fiskals hindurch. Aus dem J. 1575 liegt ein "Vortzeichnus der newen fiscalischen Sachen jegen den Rechtstag den 4. October 1575" vor, welches der Herzog Joh. Albrecht, wie es scheint, auf dem Rechtstage mit eigener Hand fortgeführt und erweitert hat. Die meisten Schuldigen sind Lehnleute und bei Vielen ist als Vergehen der Todtschlag ("puncto homicidii") oder "vnbefugte Jagd" bezeichnet, gewöhnlich auch, ausgenommen bei manchen flüchtigen Todtschlägern, die Strafsumme, welche der Fiskal beitreiben soll, angegeben. Die meisten Fälle lauten so:

"Heidenreich Bibow in pto. 200 Thlr. verwirkter Peen; Reimar von Plessen in pto. 200 Thlr. Peen; Chim Hanen zu Baszdow von wegen unbefugter Jagd vnd 200 Thlr. Peen; Joachim Finecke in causa homicidii, wird persönlich citiret in contumaciam; Andreas von Kalen in pto. homicidii, fiscalis petit annotationem bonorum; Merten Ror vff 400 Thlr. Peen; Christoph Vierecke in pto. 600 Thlr. Peen."

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Es werden auch viele Partei=Sachen angeführt, bei denen sich wahrscheinlich durch Ungehorsam gegen den Richter oder Uebertretung landespolizeilicher Vorschriften, ein fiskalisches Interesse ergeben hat, z. B.

"Die Bibow ctra. die Bülow zur Siemen, 200 Thlr. poena, halff dem Part, halff dem Fiskal; Hans Brockhorst ctra. Cristoph Vierecke halff dem Part, halff dem Fisco."

Das Hervortreten der Fiskäle in den einzelnen Fällen scheint damals seltener aus eigener Bewegung, als auf landesherrliche Erlasse hin, welche gewöhnlich noch aus den Hofkanzleien auf Beschluß und unter Gegenzeichnung des Canzlers ergingen, erfolgt zu sein, wie denn solche Erlasse ziemlich häufig vorkommen.

Das Verfahren der Fiskäle, besonders in schweren peinlichen Sachen, geht aus einzelnen größeren Prozessen ziemlich klar hervor. So geschah in Sachen der Tödtung des Valentin Voß auf Rumpshagen, welche angeblich durch einen Wildschützen auf Anstiften des Pastors Elias Aderpful zu Flotow, des Buhlen der Engel Drake, des Ermordeten Ehefrau, geschehen war, die erste Anzeige durch die Verwandten des Getödteten im Oct. 1575. Herzog Ulrich erließ sogleich Steckbriefe gegen die Angeschuldigten und erwirkte deren Verhaftung. Sie wurden zuerst durch einen Notar über eine Reihe von Anzeigen, in General= und Spezial=Artikeln, verhört. Sodann trat der Fiskal ein, erklärte die Indicien für genügend zur peinlichen Belangung, klagte beim Hof= und Landgericht, übergab Peremtorial=Artikel über die Anzeigen, dann eigentliche Beweis=Artikel u. s. w. Gegen flüchtige Verbrecher stellten die Fiskäle ein Contumacial=Verfahren an. So klagte um 1578 der Dr. Michael Graß den flüchtigen Christoph Halberstadt wegen Todtschlags beim Hof= und Landgerichte an, ließ ihn mehrmals öffentlich citiren, führte den förmlichen Beweis, namentlich durch Zeugen=Aussagen, gegen ihn und erwirkte endlich im J. 1580 die gerichtliche Erkennung der Mordacht, welche in Patent=Form gedruckt und öffentlich angeschlagen ward.

Im Allgemeinen erscheint übrigens dieses Anklage=Verfahren der Fiskäle als sehr langwierig und mißlich; oftmals blieb es ganz unfruchtbar. Durch geschickte Advokaten der peinlich Beklagten, ferner bei dem noch herrschenden Quatember=System des höchsten Gerichts, (welches nur vierteljährlich 2 Rechtstage hielt), und bei der häufigen Schwierigkeit der dem Fiskal obliegenden Beweis=Last wurden manche wichtige Sachen furchtbar verschleppt und endlich ganz vergessen. So war eine ziem=

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lich klare Anklage=Sache des Fiskals wider Busse Pentz wegen Todtschlags v. J. 1589 bis zum J. 1614, also 25 Jahre, beim Hof= und Landgerichte anhängig. Zuerst nämlich blieb der Angeklagte aus, begab sich nach Holstein und verhehlte seine Güter. Der Fiskal hat im Juli 1590 die Mordacht gegen ihn purificirt. Als endlich die Verwandten des Erschlagenen ein Mandat an den Fiskal erwirken, die Execution in die Güter des Geächteten zu vollziehen und als nach neuer Zögerung hierzu endlich Anstalt gemacht wird, erscheint im J. 1605 der Angeschuldigte in Person, erklärt sich zur Prozeß=Führung bereit und weiß sich in Freiheit zu erhalten. Nun beginnt das eigentliche Verfahren im Wechsel von Satzschriften von Neuem und dauert fort bis zum J. 1614, wo Busse Pentz stirbt; — so daß es schließlich im Protocolle heißt: "mors". Ebenso ward eine Klage des Fiskals wider Dietrich v. Plessen auf Zülow wegen Tödtung des Vogtes Achim Schmides durch Fristgesuche, artikulirte Satzschriften ("libellus articul., responsiones singul., defensionales artic., respons. singul. ad defensionales, commissio et rotulus testium , articuli additional. et nova commissio, exceptio et reprobatio, conclusio Fiscalis et petitio, conclusio des Angeklagten") so wie durch Acten=Versendung und Rechtsbelehrungen von Fakultäten vom J. 1596 bis zum J. 1601 hingehalten, wo der Angeklagte in eine fiskalische Pön von 300 Thlr. und in Erstattung aller Kosten des Fiskals (44 Gld. 20 ßl.) verurtheilt wird. Gleichmäßig verlief vom J. 1597 bis zum J. 1602 die Klagesache des Fiskals wider Hans Valentin Vieregge auf Barentin wegen Tödtung eines Knechts beim Bankette, in welcher Sache der Angeklagte schließlich (durch Belehrung der Fakultät zu Helmstadt) wegen begangenen "excessus" in 100 Gld., an die Armen oder an den Bruder des Entleibten zu zahlen, condemnirt ward.

Ueblich war bei diesem Verfahren damals noch die Ertheilung von herzoglichen Geleitsbriefen ("fur Unrecht vnd Gewalt zum Rechten vnd nicht weiter") an den regelmäßig persönlich citirten Angeklagten, so wie persönliche Haft desselben, von welcher er sich durch Caution oder Bürgschaft, auch wohl eidlichen Revers befreien konnte. Dagegen fällt begreiflich die frühere Gegenhaft des Anklägers bis zu erwiesener Sache hier in Hinsicht auf den anklagenden Fiskal schon gänzlich weg.

Wo Privat=Aussöhnung und verdeckte Composition der Parteien in Todtschlags=Sachen noch vorkommt, läßt sich doch auch gewöhnlich — zumal bei wohlhabenden Parteien — der Fiskal mit vernehmen. So hatte David Hahn 1589 in der Trunkenheit den Andreas Marin erschlagen und war landflüchtig

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geworden. Er that später an der märkischen Grenze dem Henning und der Catharina Marin Abbitte, verhieß ihnen 800 Thlr. "ad pios usus" und außerdem "auch den Fiskum auf ferneres Anhalten zu vergnügen." Ebenso mußte Christoph Vieregge auf Wustrow am 26. Juni 1615 zu Schwerin wegen schwerer Verwundung des fürstlichen Küchenschreibers zu Bukow sich zu einer Zahlung von 500 Gld. ad fiscum reversiren, unter Verpfändung aller Güter.

Jm Laufe der Zeit erweiterte sich der Betrieb der Fiskäle und dehnte sich auch auf mehr geringfügige Sachen aus. Manche Verzeichnisse "der straffwürdigen Personen, so wider J. F. G. Mandata vnd Citationes gesündiget" weisen nur unerhebliche Strafsummen auf, wie z. B. ein solches Verzeichnis aus dem J. 1585 an 18 Fälle aufführt, von denen keiner über 25 Thlr. beträgt, so daß die gesammte Summe nur 226 Thlr. ausmacht. Oefter wurden auch erkannte Strafen für Ausbleiben vom Termine, Nichtachtung von Erkenntnissen, so wie für Gewaltthaten bei Grenzirrungen, Pfändungen u. s. w., hinterher wesentlich ermäßigt, bisweilen ganz erlassen.

Um das J. 1620 waren wieder viele bedeutende Prozesse der Fiskäle beim höchsten Gerichte anhängig, namentlich wegen Totschlags, Landfriedensbruchs, Jagdfrevel u. s. w., so daß der jüngere Albinus wie auch der Dr. Jacob Heine überreichlich beschäftiget waren. Die meist von Vasallen, wie den v. Bassevitz, Hahn, Holstein, Kamptz, Lützow, Maltzan, Moltke u. A., beizutreibenden Strafgelder erreichten einen sehr hohen Betrag. Gleichzeitige Klagen der Fiskle über erfahrene Bedrohung und über die mit ihrem Amte verbundene vielfache Anfeindung, sind bezeichnend für diesen Zeitraum.

Inmittelst waren aus den Hofcanzleien abgezweigte und mehr selbstständige Justiz=Canzleien erwachsen, bei denen die Landesherrn nun gleichfalls eigene Fiskäle ernannten, deren Stellung indeß in Beihalt der Bestimmungen des Titel 5, Th. I. der Hof= und Landgerichts=Ordnung v. J. 1622 ("Von des Fiscalis Ambte") theils minder bedeutend, theils mit mehr Schwierigkeit und Mühe verbunden sein mochte, als die des Fiskals beim höchsten Gerichte. Gewiß ist, daß die Landesherren an dem Betriebe der Canzlei=Fiskäle, zumal sich die Justiz=Canzleien an Ort und Stelle der herzoglichen Hoflager befanden, besondern Antheil nahmen. Dies tritt merkwürdig um das J. 1634 hervor, wo mitten in der unheilvollen Kriegszeit und kurz nach der Befreiung vom Wallensteinschen Regimente sehr wenig Thätigkeit im fiskalischen Betriebe herrschte. Am 17. Oct. 1634 erließ Herzog Adolph Friedrich ein sehr ernstes Mandat an den Schweriner Canzlei=Fiskal Joh. Ludeking wegen seiner amtlichen großen

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Versäumniß: "solcher eur Vnfleiß — sagt der Herzog — gereicht Vns zu merklichem Schaden, indeme keine Straffgelder einkommen, zumaln auch die schleunige administratio justitiae dadurch gehindert wird." Eine regelmäßige Einreichung von Verzeichnissen aller laufenden fiskalischen Sachen ward um diese Zeit den Fiskälen von den Landesherrn zuerst aufgegeben oder doch besonders eingeschärft. Aufklärend endlich ist noch ein Rescript des Herzogs Adolph Friedrich an die Justiz=Canzlei zu Schwerin vom 28. Dec. 1636, die Beförderung des Betriebs der fiskalischen Sachen betreffend, welches dahin geht: es wurden den fiskalisch Beklagten zu "viele vnd lange dilationes zu Einbringung ihrer Notturfft eingereumet, fortan sollten "vnnötige dilationes nicht verhenget, auch den Beklagten keine so gar weite terminos" verstattet werden. Die Canzellisten sollten die fiskalischen Sachen, als des Herzogs eigene Sachen, fleißiger, als bisher, schreiben; der Amts=Notar solle für die armen Parteien die Zeugen unentgeldlich abhören; der Fiskal solle zu Haltung eines tüchtigen Schreibers 100 Gld. Zulage erhalten und zwar von den einkommenden fiskalischen Strafgeldern; der Botenmeister solle in den fiskalischen Sachen eigene Boten zur Insinuation der Mandate abschicken und den Botenlohn aus den Strafgeldern nehmen. Dann folgt eine spezielle Anweisung über das weitere Verfahren des Gerichts in einer Reihe genau bezeichneter fiskalischer Prozesse.

Schließlich mögen hier noch einige Nachweisungen über die frühzeitige Anwendung des Inquisitions=Verfahrens in Meklenburg Platz finden. Dasselbe fand nämlich seit der Mitte des 16. Jahrb., abgesehen von den Hexen=Prozessen, besonders in solchen Fällen statt, welche unter den Begriff der Majestäts=Verbrechen fielen, wobei zu bemerken, daß dieser Begriff damals in einem ziemlich weiten und unbestimmten Umfange genommen ward. Gegen den bekannten Urkunden=Fälscher, Notar Wilhelm Ulenoge, der auch manche landesfürstliche Siegel und Schriften nachgeahmt hatte, ward im Dec. 1569 der Prozeß mit gefänglicher Einziehung und geheimer Abhörung durch den Canzler Husan und einige fürstliche Räthe, auf vorher entworfene peinliche Fragen, begonnen. Auch das weitere Verfahren gegen ihn war durchaus inquisitionsmäßig, ohne Zuziehung des Fiskals, mit Anwendung der Folter. Gegen seine Mitangeschuldigte, die Wittwe des Vasallen Carin Moltke auf Tützen, ward anfangs auch mit Verhaftung und Abhörung durch die fürstlichen Räthe begonnen, hernach aber der Fiskal Dr. Stelbage, mit Führung des Anklage=Prozesses beauftragt. Aehnlich wie gegen Ulenoge ward in den J. 1615, 1616 gegen den zu

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Schwerin gefangenen Emanuel Phocas verfahren, der sich für einen Abkömmling der griechischen Paläologen und für ein Opfer des türkischen Fanatismus ausgab, als welcher er längere Zeit Bettelei und Glücksritterei in den meklenburgischen Landen betrieben hatte. Auch der seit dem J. 1620 gegen Anna von Cramon, des Joachim v. Bülow auf Karcheez Wittwe, wegen angeschuldigter Lebens=Nachstellung und insbesondere versuchten zauberischen Giftmordes gegen den dänischen Prinzen Ulrich, Administrator des Stifts Schwerin, geführte peinliche Prozeß ist in dieser Beziehung lehrreich. Anfänglich geschah die Verfolgung nur durch den Fiskal des Stiftes, hernach ward auch hier inquisitorisch von einer Untersuchungs=Commission zu Rostock verfahren. Solche und ähnliche Fälle betreffend, heißt es in Gutachten, welche aus der Zeit um 1620 vorliegen, wörtlich: "Erstlich, weil die furgenommene inquisition nunmehr anstadt der accusation gelten vnd gebrauchet werden soll, so wird zu betrachten sein, ob sichs nicht geburet, daß dem Angeklagten copia articulorum wehre zugeschicket" etc. .

Das inquisitorische Verfahren kam ferner nachweislich, außer in Fällen von sogenannter Hexerei und Majestäts=Verbrechen, in Meklenburg auch noch sonstig in dem Zeiträume von der Reception der Carolina bis um d. J. 1650 vor. Es geschah dies sowohl bei den herzoglichen Aemtern, wie besonders in den Städten. Die Grundlagen zu einem amtlichen Untersuchungs=Verfahren, auch durch die Niedergerichte, waren in der Carolina selbst gegeben: zunächst in Art. 8, der da nachweist, wie bei offenbar vorliegenden schweren Verbrechen zur peinlichen Frage geschritten werden soll; sodann in Art. 219, welcher die Richter zur Raths=Erholung anweist in dem Falle, "wo die Obrigkeit ex officio wider einen Mißhendler mit peinlicher Anklage oder Handlung vollenführe"; und besonders in Art. 214, welcher bestimmt, daß Niemand, der in Fällen von Raub oder Diebstahl auf gütlichem Wege seine Habe wieder erlangt, zum Klagen soll genöthiget werden, und so schließt: "Und wo der Beschädigte nicht peinlich klagen wollte, so soll dennoch die Obrigkeit den Thäter nichts desto weniger von Amtswegen rechtfertigen und nach Gelegenheit straffen lassen".

Auch die meklenburgische Gesetzgebung wies schon in der Polizei= und Land=Ordnung (1562, 1572) Titel: "Von Todtschlag", so wie in der Hof= und Land=Gerichts=Ordnung vom J. 1570, Titel: "Von Peinlichen Sachen" auf die Strafen und das Verfahren der Carolina hin. Nicht minder ward wohl auf das amtliche Untersuchungs=Verfahren durch eine Bestimmung der

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neuen Hof= und Landgerichts=Ordnung vom J. 1622, Titel:"Von des Fiscalis Ambte" hingewirkt, welche so lautet:

"sondern der Fiskal soll auch insgemein embsiglich dahin trachten, daß alle maleficia vnd Mißhandlungen, darin vns auch ohne einigen Ankleger vnsers landesfurstlichen Ambts zu gebrauchen oblieget, zur gerichtlichen Cognition vnd Bestraffung mugen gezogen werden. Und soll er in solchen Fällen zu einem jeden actu von vns keinen sondern Befehl gewarten, sondern die dazu gehörige nothwendige inquisitiones vnd andere process auf vorgehende gnugsame indicia vnd erlangten glaubhafften Bericht fürnehmen vnd fortsetzen."

Unmittelbar darauf ergeht dann die Weisung an alle Niedergerichte, dem Fiskal alle die Gerichtsbarkeit des höchsten Gerichts angehende Verbrechen von Amtswegen "nebenst einer darüber von ihnen aufgenommenen genugsahmenKundschafft" zu vermelden.

Gemäß dieser gesetzlich eingeschlagenen Richtung, wie überhaupt der damaligen Entwickelung des Staatslebens finden sich schon um das J. 1570 hin und wieder Verhandlungen bei den Amtsgerichten über ein ex officio eingeleitetes peinliches Verfahren, namentlich gegen offenbare Diebe und Räuber, oder Personen, welche dieser Verbrechen dringend verdächtig waren. Die Gefangenen wurden gewöhnlich in Beisein des Hauptmanns und Küchenmeisters, auch wohl des "Richtehern vnd Stadvogedes" vom Amtsnotar über Artikel abgehört; oder es wird ihr Geständniß, wenn sie "alsfort vngepeinigt guttlich bekennet", zu Protokoll genommen. Ausdrücklich wird zuweilen bemerkt, daß solchen "Jnquistten" gleich anfänglich "der Scharffrichter furgestellet" sei. Gewöhnlich ward dann eine Belehrung aus der Hofcanzlei eingeholt und nach deren Eintreffen rasch mit der Execution vorgegangen.

Noch entschiedener machte sich in den größeren, verkehrreichen Städten Meklenburgs 1 ) seit der Mitte des 16. Jahrh. das allgemeine Interesse an der Sicherheit von Person und Eigenthum auch in Beziehung auf das peinliche Verfahren geltend. Es kam das Streben der Obrigkeit hinzu, die bei der Ungunst der Zeiten gefährdeten Stadteinkünfte durch eifrige Beitreibung von Strafgefällen (Bruchgelder) zu verbessern. Deshalb stand man in Fällen offenbarer Verbrechen, besonders wo Todtschlag, Raub und Diebstahl vorlagen, nicht an, auch ohne Ankläger ein amt=


1) Vgl. Pohle, a. a. O. S. 82, 83.
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liches Verfahren der "Untersuchung des Casus" zu beginnen, wie denn dies auch bei andern Vergehen geschah wenn sie durch die Stadt=Statuten besonders verpönt waren oder die Sicherheit der ganzen Stadt zu bedrohen schienen. Im Wesentlichen bestand das Verfahren dabei in einer inquisitorischen Voruntersuchung, welche aber eigentlich die Sache schon erschöpfte, und sodann in einem schließlichen, das heißt, vor der Hinrichtung stattfindendem öffentlichem und mündlichen Anklag=Verfahren, bei welchem, namentlich in den Seestädten, Fiskal, Frohn, Scharfrichter mitwirkten und welches jedenfalls mehr den altüblichen Formen ein Genüge thun, als dem Interesse des Angeschuldigten dienen sollte.

Uebrigens liefen in Meklenburg das inquisitorische und das fiskalische Verfahren bis in ganz neue Zeiten neben einander fort, ohne daß eine scharfe Scheidung und Begrenzung derselben stattgefunden hätte, so jedoch, daß das hergebrachte fiskalische Verfahren als der ordentliche peinliche Prozeß betrachtet ward; — ein Verhältnis, welches eine gedeihliche Entwickelung der peinlichen Rechtspflege wesentlich gehemmt hat. So wird in der Verordnung des Hz. Gustav Adolph vom 6. Juni 1663 zur Verhütung von Meineiden bestimmt, daß künftig in Criminal=Fällen mit den "Beschuldigten und Inquirendis keine eidliche responsiones" vorzunehmen seien. So berichtet die Güstrower Justiz=Canzlei in einer fiskalischen Sache wider den Rittmeister von Zülow, wegen tödtlicher Verwundung des v. Restorff auf Pritz, unter dem 20. Juli 1747 an die Regierung: daß "in hoc casu wohl nicht inquisitorie, doch aber per processum fiscalis accusatorium, hinc ordinarium verfahren" sei. Am 16. Nov. 1710 fragt die Schweriner Justiz =Canzlei bei dem Hz. Carl Leopold an, wie sie sich bei den jetzigen Zeiten, namentlich bei den vielen Exzessen der Edelleute "in der Handhabung der Criminal=Jurisdiction zu verhalten habe"? und weist dabei auf die üblen Folgen hin: "wann eclatiren sollte, daß wir weder Leute, noch Gefängnisse, noch Mittel zu den Unkosten in Criminal=Sachen haben".

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