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D er Schweriner Baudirektor und Kammerrat ist in der einschlägigen Literatur wohl bekannt. Gurlitt nennt ihn in seiner Geschichte des Barockstils und Rokokos in Deutschland "den wissenschaftlichen Vertreter der norddeutschen protestantischen Hochrenaissance vor ihrer Befreiung aus spießbürgerlicher Befangenheit durch Schlüter". Seine Verdienste besonders um den protestantischen Kirchenbau sind verschiedentlich gewürdigt, seine Arbeiten über die Grundrißbildung der evangelischen Gotteshäuser als bahnbrechend anerkannt 1 ). Auch seine theologischen Schriften haben schon die Unschuldigen Nachrichten, die erste theologische Zeitschrift, seit 1713 rezensiert, den Streit, den sie hervorriefen, hat bereits 1724 Johann Georg Walch in seiner Einleitung in die Religionsstreitigkeiten außer der ev.-lutherischen Kirche (VI, 190) skizziert. Aber was Walch und die Unschuldigen Nachrichten bieten, gibt doch von der religiösen Eigenart und der theologischen Stellung unseres Mathematikers und Architekten nur ein ganz blasses Bild. Vornehmlich unter Verwertung seiner Briefe an August Hermann Francke, den Vater des hallischen Pietismus, die die Staatsbibliothek Berlin besitzt, wollen wir es in klareren Farben zeichnen.
In Altdorf, wo er am 5. November 1669 als Sohn des Professors der Mathematik und Physik Joh. Christoph Sturm 2 ) geboren ist, stand unser Sturm schon als Kind, dann seit 1683 auch als Student unter dem Einfluß des Freundes seines
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Elternhauses, des Professors der Logik Georg Paul Rötenbeck 3 ), eines tief religiösen Mannes, der, von der herrschenden Kirchlichkeit nicht befriedigt, sich der Mystik zugewandt hatte, dann auch mit Spener und Francke Verbindung suchte, aber auch mit den englischen Enthusiasten, besonders ihrer Prophetin Jane Leade, Beziehungen anknüpfte, für den Chiliasten und Schwärmer Petersen sich erwärmte, mit dem Mystiker Friedrich Breckling in Holland korrespondierte, zu dem Sporergesellen Rosenbach, diesem Propheten und Wanderapostel, sich bekannte, ja schließlich sogar Johann Michaelis sich näherte, diesem schroffsten aller Separatisten, der Pietisten und Orthodoxe in gleicher Weise verdammte, babylonische Hurenchristen schmähte und eine eigene neuapostolische Gemeinde gründen wollte. Die Eindrücke, die Sturm von Rötenbeck, diesem Freunde des radikalen Pietismus, gewann, waren bestimmend für sein Leben. Sie haben ihn, den Mathematiker und Architekten, zu fleißigem Studium der Bibel und steter Beschäftigung mit theologischen Fragen geführt und von vornherein zu einem Gegner des herrschenden Geistes gemacht, zu einem Parteigänger der Stürmer und Dränger, die in der Kirche Babel sahen und bekämpfen zu müssen meinten. Rötenbeck war es auch, der ihn auf Christian Thomasius, den ideenreichen Bannerträger einer neuen Zeit, hinwies. Er ging zu ihm nach Leipzig, besuchte ihn auch in Halle, als 1694 hier die Universität eröffnet wurde. Bei dieser Gelegenheit empfahl ihn der Jurist Stryk einem Wolfenbüttler Minister, der seine Berufung in eine Professur an der dortigen Ritterakademie veranlaßte.
Sein warmes religiöses Interesse führte Sturm zum Besuch nach Quedlinburg, wo, wie man höhnte 4 ), "die Spenerschen Kreaturen jetzt vollbrachten, was einst Christian Hoburg, dem Erzschwärmer, nicht gelungen war". Zwar die Tage waren vorüber, da hier die Magd Magdalene Elrich Verzückungen hatte und täglich von Hunderten aufgesucht und angestaunt wurde und da der Goldschmied Kratzenstein ärgerliche Händel
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verursachte und auf die innere Stimme Gottes sich berief. Aber war auch die schlimmste Schwärmerei überwunden, der enthusiastische Geist war in der alten Stiftsstadt doch noch nicht gebrochen. Noch wirkte hier der Hofdiakonus Sprögel 5 ), der mit allen Neuerern in Verbindung stand, samt seiner Frau mit dem Theosophen Gichtel in Amsterdam korrespondierte, sein Haus zu einer Sammelstätte von Phantasten und Enthusiasten machte, noch lebte hier Gottfried Arnold 6 ), der Mystiker und Kirchenhistoriker, dem die Weltförmigkeit der Kirche, ihre Gebundenheit an den Staat, ein Greuel war, noch schrieb hier ihre erbaulichen Traktate Frau Anna Katharina Scharschmied, die Freundin der Gedankenwelt eines Jakob Böhme und Valentin Weigel, und der Stiftshauptmann Stammer mit seiner Frau, der warmen Verehrerin und Herzensfreundin August Hermann Franckes, hielt seine schützende Hand über Pietisten, Mystiker, Separatisten. Wir verstehen es, daß Sturm, voll von religiösen Fragen, zur Aussprache gern in Quedlinburg einkehrte, hier im Kreise der Erweckten sich so wohl fühlte, aus ihm sich auch die Lebensgefährtin wählte, Ludmilla Katharina, die Tochter des Quedlinburger Rektors Samuel Schmidt. 1700 schrieb und widmete er dem Herzoge Rudolf August "Zehn kurze Betrachtungen über die Offenbarung Johannis"
Mit August Hermann Francke war er bisher noch nicht in Verbindung getreten, da bot sich ihm dazu im Sommer 1701 Gelegenheit. Er hörte, daß der hallische Theologe selbst auf ihn aufmerksam geworden sei und seine Dienste zum Besten seines Waisenhauses wünsche. So schrieb er denn Wolfenbüttel, den 13. Juni, an ihn. Auffälligerweise redet er ihn Doktor an. Er muß also nicht gewußt haben. daß Francke diese akademische Würde verschmäht hat.
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"Nachdem ich herzlich gewünscht, mit meinem H. Doktor bekannt zu werden und bereits lange Zeit nach Gelegenheit dazu getrachtet, hat mir diese H. Legationsrat Alexander gewährt, als er mir zu verstehen gegeben, wie mein H. Doktor Verlangen trüge, daß ich mit meinen wenigen Anschlägen zu der Holzkahrung in dem Waisenhause einigen Beitrag tun möchte. Hierauf habe länger nicht verschieben wollen, zu der längst verlangten Bekanntschaft mir einen Eintritt durch gegenwärtige Zeilen zu machen mit Vermelden, daß es mir eine innige Freude sein wird, mit einigen Diensten, sie seien so gering, als sie wollen, etlicher Maßen die ungefälschte Liebe und Hochachtung an den Tag legen zu können, die ich aus meines H. Doktors christlichen Schriften gegen ihn geschöpft und bisher aufrichtig behalten habe. Nun bin ich willens, gegen den Anfang des Monats Juli nach Gottes Willen mit meiner Ehefrau über Halle eine Reise nach Altdorf zu tun, meinen lieben alten Vater in diesem Leben noch einmal zu sehen. Alsdann werde nicht ermangeln, meinem geehrten H. Doktor persönlich meine Dienste anzutragen und zugleich möglichst zu erweisen, wie ich nach meinen Kräften unter Anrufung göttlicher Hilfe beflissen sei, einen Freund nach den alten Regeln des wahren Christentums abzugeben in der Hoffnung, Sie werden mich dann in Dero werteste Freundschaft aufzunehmen kein Bedenken tragen. Ich will auch gleich itzo erweisen, wie ich zu Ihrer Aufrichtigkeit ein großes Vertrauen habe. Ich eröffne, wie der liebe H. Meier 7 ), ehemaliger Generalsuperintendent, vor drei Tagen mich Unbekannten mit seinem ganz unvermuteten Besuche geehrt und erfreut hat und im Vertrauen gemeldet, daß er von H. Generalsuperintendenten D. Fischer 8 ) aus Halle den Auftrag habe, sich zu erkundigen, ob ich wohl gesonnen wäre, hiesige professionem matheseos mit der zu Halle zu vertauschen. Weil ich nun
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außer diesem keine weiteren particularia von ihm erfahren können, habe ich meinen H. Doktor hiermit dienstlich und im Vertrauen ersuchen wollen, was hiervon etwa wissend sein möchte, mir zu eröffnen. Ich melde aber und bekenne, daß, wenn es Gottes Wille wäre, ich ganz wohl geneigt wäre, solche Veränderung einzugehen. Und dies würde die vornehmste Ursache sein, als mein Gott weiß, über die wahre Theologie und Auslegung der h. Schrift mehr Konversation zu haben, als ich hier finden kann. Denn sonst ist mir bereits die Professur der Mathematik in Frankfurt a. O. angetragen worden, und möchte ich wohl genötigt werden, bald darauf eine endliche Resolution von mir zu geben. Wäre es nun an dem, daß meine wenigen Dienste in Halle verlangt würden und mir eine sichere Besoldung könnte gemacht werden (die ich höchst nötig habe zu meinem Unterhalt, weil ich nichts gesammelt habe, auch inskünftig nicht groß zu sammeln geflissen sein werde, damit ich es mit Auszahlung der Besoldung auf die lange Bank könnte verziehen lassen), so bekenne ich, mehr Neigung zu diesem als zu dem ersteren Orte zu haben. Doch will ich ganz ruhig Gottes Schickung abwarten, dem es gedankt sei, daß ich hier eine schöne Besoldung, vergnügliches Auskommen und eine gnädige Herrschaft habe und mich über nichts mehr zu beklagen habe, als über Mangel gottgefälliger Gesellschaft und Zeitverkürzung in der Konversation."
Leider hören wir nicht, was Francke ihm für Aussichten hat eröffnen können, vernehmen auch nichts, wie wohl sich Sturm in Halle im Gedankenaustausch mit Francke, Freylinghausen, Wiegleb, Elers u. a. gefühlt hat. Jedenfalls blieb Sturm von nun an in Verbindung mit dem hallischen Waisenvater, sandte ihm auch bald zur Beurteilung seine Gedanken über den Schöpfungsbericht der Bibel, die er niedergeschrieben hatte. Als Francke sie ihm mit einigen anerkennenden Worten zurückschickte, dem Paket auch Arznei, Essentia dulcis, die das Waisenhaus bekanntlich bis nach Rußland hin vertrieb und um die unser Architekt gebeten hatte, beilegte, antwortete er unter dem 6. Mai 1702:
"Was meinem H. Gönner beliebet hat, von meinen wenigen Gedanken zum ersten Kapitel der Genesis zu urteilen, hat mich recht empfindlich ergötzet. Es wird mir zur Aufmunterung dienen, unermüdet in der Furcht Gottes
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solche tentamina zu machen. Ich bedaure aber, daß meine gar vielen Geschäfte, so mir von meiner Profession obliegen, nicht so viel Zeit dazu vergönnen, als erforderlich ist, solche zufälligen Gedanken ordentlich et non tumultuarie zu Papier zu bringen, hernach wohl zu überlesen und mit einigen Zierden äußerlicher Rede zu verbessern. Noch mehr aber schmerzt mich, daß ich noch niemanden erlangen können, der meine Gedanken frei zu beurteilen annehmen möchte. Denn vielen, die es im Besitz reicher geistlicher Gaben tun könnten, auch aus Begierde nach Erbauung gern tun möchten, darf ich es wegen ihrer häufigen wichtigen Amtsgeschäfte nicht zumuten. Anderen fehlt es an der wahren, von Schultheologie unbefleckten Gelehrsamkeit, anderen an dem Willen, mit dergleichen Dingen sich einzulassen, anderen an der Aufrichtigkeit in Entdeckung ihrer Meinung usw. Deswegen laß ich den lieben Gott und sein selbständiges Wort lediglich meinen Lehrmeister sein und erwarte in Geduld, ob und wann es ihm gefallen wird, in diesem Leben mich zu einem recht festen Grund gelangen zu lassen. Ich werde aber meines H. Professors Rat gar gern befolgen und nicht allein diese Arbeit bei mir behalten, sondern auch die, welche nach ihr über die Offenbarung angefangen und horis succisivis nach und nach auszuführen gedenke, wenn mir Gott wie bisher Gnade und Segen dazu verleihen will. Ich nehme mir aber die Freiheit, auch von diesen geringen Gedanken einige Bogen zu übersenden mit der dienstlichen Bitte, wenn es ohne Beschwernis sein kann, sie etwas durchzusehen und mir mit wenigen Worten Ihre Bedenken frei zu entdecken. Ich habe zwei Hypothesen, eine de fundamento inveniendi termini, a quo chronotaxis apocalypticae, die andere de capite apocalypseos primo tum de verbo Dei hypostatico, domino nostro Jesu Christi, tum vero simul de verbo scripto tanquam effigie eius intelligendo, welche den meisten fremd vorkommen möchten, bekenne aber, daß ich noch nichts wichtiges dawider gesehen. Übrigens wünsche ich wohl sehnlich, wenn Gott es mir nützlich befindet und es sein gnädiger Wille wäre, an einem solchen Orte zu leben, da ich eine Gesellschaft haben hönnte, die mit mir in dergleichen Gesprächen einen Zeitvertreib zuweilen haben könnte. An hiesigem Orte ist der Mangel solcher Gesellschaft sehr groß."
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"Für die übersandte Arznei danke dienstlich. Ich habe erst am verschiedenen Sonnabend sie zu gebrauchen anfangen können, weil ich die Beschreibung derselben nicht eher bekommen konnte. Ich kann also von ihrer Wirkung noch nichts zulängliches berichten. Doch versichere ich, daß ich bereits spüre, wie die bisherige Müdigkeit in den Gliedern durch Gottes Segen ziemlich nachgelassen. Damit ich nun mit kontinuieren und sie zugleich nebst meiner Frau gebrauchen könne (welche fast gleiche Krankheit zu bekommen scheinet, weil wir beide einige Jahre her, ehe wir uns in die gütigen Gerichte Gottes ein wenig schicken lernen, große Angst und Traurigkeit über zeitliches Ungemach mit einander ausgestanden haben), so bitte, für mitkommenden Preis mir aufs eheste noch zwei Lot, doch jedes apart in einem Gläschen. damit nicht alle Tage so oft geöffnet werden dürfte, zu übersenden. Das Lot, das ich habe kommen lassen, ist bereits über die Hälfte verbraucht. Wir haben einer Nachbarin, die schon zwei Tage in Kindsnöten laborietet, eine gute Quantität davon abgegeben. Zehn Stunden hernach ist sie auch eines lebenden Kindes durch Gottes Beistand glücklich genesen. Über dieses gebe ich sie noch meinem kleinen Söhnlein, welches, als es auf die Welt kommen, oben an der Nase von der Wehemutter mag zu hart gedrückt sein und von derselben Zeit an immerdar Verstockung an solchem Orte hat."
"Weil ich nun auch weiß und sehe, daß der gütige Gott Armen zum Besten meinem H. Professor viel schöne und rare remedia contra morbos vel desperatos zuweist, ich aber nun in die drei Jahre nebst meiner Profession zu einem unschuldigen Zeitvertreib die Medizin doch nur autodidaxi studiere, doch nur soweit, als einem Hausvater dienlich und sicher sein mag, den Seinigen und Armen in Notfällen vernünftig beispringen zu können, so ersuche dienstlich, wenn mein H. Professor etwa eine oder andere Deskription non inter maxime arcana hat, mir ohne Beschwernis davon etwas zukommen zu lassen. Ich verheiße davor sancte, 1) wenn es begehrt wird, ohne dessen Konsens es niemandem weiter zu eröffnen, 2) weder Ehre noch Geld von den Menschen dadurch zu suchen, sondern 3) alles mit Gebet und Behutsamkeit 4) allein Gott zu Ehren mir, den Meinigen und anderen Notdürftigen ohne alles Entgelt auszuspenden.
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Den gedruckten Bogen vom Gebrauch der Arznei bitte dienstlich mit zuschicken."
Welches Urteil hat Francke über die ihm zugesandte Arbeit über die Offenbarung gefällt, in der Sturm eigene Wege gegangen ist, wie er erklärt, von der Schultheologie sich nicht hat beeinflussen lassen? Gewiß hat er ihrer Veröffentlichung dringend widerraten. Sie mußte neuen Streit entzünden, Widerspruch hervorrufen, und Francke haßte das theologische Gezänk. Sodann hatte er zu befürchten, daß man ihn vielleicht für Sturm und seine Exegese verantwortlich machen, ihm den theologisierenden Mathematiker und Architekten anhängen würde, und seine Rechtgläubigkeit war von orthodoxer Seite, den Wittenbergern, ohnehin bestritten. Noch 1702 nahm Sturm den Ruf nach Frankfurt an, um an der Viadrina die Mathematik zu lehren. Stadt und Universität waren hier von dem neuen religiösen Leben ganz unberührt, noch weniger als in Wolfenbüttel fand Sturm hier einen Kreis, mit dem er religiöse Fragen besprechen konnte. Er fühlte sich fremd, und als Fremdling wurde er auch angesehen. Studenten und Bürgern fiel der Gegensatz bald auf, in dem er zu dem ganzes Lehrkörper und dem Geiste der Hochschule stand. Sie merkten, daß ein Feuer in ihm brannte, von dem die anderen nichts wußten, und mancher fühlte sich gerade zu ihm und in sein Haus gezogen 9 ). Aber was Frankfurt ihm nicht bieten konnte, war in Berlin zu haben, das damals ja mehr und mehr eine pietistische Stadt wurde. Dort suchte er auch seinen Kreis. Hat er noch um Speners Freundschaft geworben und in seinem Hause verkehrt? Ich weiß es nicht. Aber wir sehen ihn bei dem, in dessen Händen damals alle Fäden, die der Pietismus
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in Berlin spann, zusammenliefen, bei dem Freiherrn von Canstein, dem Verehrer Speners, dem Freunde Franckes. Auch mit den mancherlei Schwärmern, die damals in Berlin Boden zu gewinnen suchten, ich denke an Dippel 10 ), Rosenbach, Klein, Nikolai, Sebach, wird er Verbindung gesucht, mit dem Superintendenten Lange in Prenzlau, der um seines Pietismus willen aus Altdorf hatte weichen müssen, alte Bekanntschaft erneuert haben. Freiherr von Canstein meldet unter dem 27. Februar 1706: "H. Professor Sturm von Frankfurt ist hier. Er erbietet sich auf alle Art und Weise mit großer Treue Ihrem Pädagogio zu dienen in Präparierung eines Subjekts, das bei ihm mathesin wollte lernen. Er ist ein sehr fähiger Mann und hat einen guten Grund", d. h. doch, er wurzelt fest im rechtschaffenen Wesen in Christo, wie man sonst in pietistischen Kreisen sagte. Und am 2. Juni 1708 meldet der Freiherr: "H. Sturm hat an H. Elers verschiedentlich geschrieben, daß er nach dem Tode seiner Frau die professionem mathematicam zu Halle mit ebendem wenigen Gehalt annehmen und die jetzige in Frankfurt fahren lassen wollte."
Also hatte er seine Frau verloren. Nach nur dreizehnjähriger Ehe hatte sie ihre Augen geschlossen. Schon nach zwei
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Monaten ging er eine neue Verbindung ein mit der jüngsten Tochter seines Lehrers Rötenbeck. Natürlich erregte diese schnelle Heirat großes Aufsehen und starken Anstoß, und auch wir finden es heut befremdlich, selbst wenn wir seine Vereinsamung in Frankfurt, die ihn nach dem Tode seiner frommen Frau aus dem Quedlinburger Pietistenkreis doppelt drückte, berücksichtigen, erwägen, daß er in seines frommen Lehrers frommen Tochter einen vollen Ersatz für seinen Verlust zu finden hoffte. Um noch einen religiös angeregten, theologisch gebildeten Hausgenossen zu haben, der zugleich seine Kinder zum rechtschaffenen Wesen in Christo führe, schrieb er zugleich an Francke wegen eines Kandidaten der Theologie. Am 1. Juli 1709 stattete er ihm seinen Dank ab, daß er ihm einen solchen geschickt:
"Nachdem ich nunmehr meine, den Herr Cäsar sattsam erkannt zu haben, und er verhoffentlich mein und meines Hauses Wesen auch genugsam wird angesehen haben, kann ich nicht umhin, meinem H. Professor herzlichen Dank für die mit Sendung dieses lieben und erwünschten Menschen erwiesene Liebe abzustatten. Der grundgütige Gott hat gewißlich seine Hand in dieser Sache mit gehabt, indem dieser liebe Mensch sich sehr gut schickt, meine beiden Kinder zu Gott zu führen. Derselbe wolle meinem Herrn Professor davor wiederum hundertfältige Liebe und reichen Segen widerfahren lassen, mir und meinem Hause aber die Gnade gewähren, daß wir den werten Mann zu seiner selbsteigenen Vergnügung lange bei uns behalten. Ich werde ihm nicht nur die versprochene Station nebst jährlich 10 Taler bar Geld leisten, sondern auch außerordentlich nach meinem geringen Vermögen gutes tun. Zur Abzahlung dessen, was ich der Apotheke des Waisenhauses schuldig bin, habe ich sichere Anstalt gemacht."
Von seinen Bemühungen, auch in Frankfurt das zur Geltung zu bringen, was ihm innerste Herzenssache war, lesen wir in seinem Briefe an Francke vom nächsten 22. November. Da er ihm wieder eine religiöse Schrift zur Beurteilung übersendet, schreibt er nämlich:
"Ich nehme mir die Freiheit, hierbei die primitias meiner Erklärung von dem allein guten Weg zum wahren Christentum zuzuschicken und mir eine geneigte, aber frei-
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mütige Zensur darüber auszubitten. Wenn meine Hauptabsicht damit auf den öffentlichen Nutzen an anderen Orten wäre gerichtet gewesen, möchten vielleicht alle meine Entschuldigungen in der Vorrede nicht statt genug finden, dadurch ich mein redliches und von der Eigenheit befreites Absehen zu behaupten bemühet bin. Ich kann aber wohl versichern, daß meine Begierde überaus groß ist, einigen sensum pietatis in hiesige Stadt zu bringen, hingegen der Widerstand noch viel größer sich bezeiget, nichts Gutes hereinzulassen, daß nicht nur jedermann sich fleißig hütet, Speners, Franckes, Schades, Freylinghausens und dergleichen Bücher ja nicht zu lesen, sondern auch die Buchführer, sie ja nicht an sich zu handeln und einzuführen. Darum habe vor der Hand kein besseres Mittel gefunden, als mit dergleichen Schrift, die einen Titel von der Sache führet, davon jetzt so viel Redens und Deliberierens ist, die hier ganz unbekannte, obschon sonst im Christentume zuvorderst stehende Vermahnung zur wahren Buße ein wenig unter die Leute zu bringen. Wenn ich nun ansehe, wie viel ein so gar geringes Werkzeug bereits hier an einigen Seelen gewirket und was für große Bewegung eine einige Predigt von dem lieben H. Lange 11 ) angerichtet, so werde ich gänzlich überzeugt, daß der liebe Gott auch hier noch einen guten Acker verborgen hat, und bete deswegen mit den Meinigen immerdar, daß uns Gott doch, der gütige Vater, einen Lehrer nach seinem Herzen, sonderlich aber einen redlichen Inspektor verleihen wolle. Gewißlich hoffte ich sodann, weil hier der ganz rohen Sünder eine viel größere Menge als an anderen mir bekannten Orten, daß auch die Bekehrung hernach desto stärker werden möchte. Denn gemeiniglich sind solche Leute noch eher zu bekehren als die Werkheiligen. Kann demnach mein geehrter Herr Professor samt anderen lieben Männern Gottes in Berlin 12 ) etwas ausrichten, unserem in der Seelenpest fast geistlich ausgestorbenen Frankfurt einen oder mehrere gute Seelenärzte zu bringen, so wollen Sie gewiß glauben, daß Ihre Mühe von Gott sehr gesegnet sein wird. Meine und der Meinigen Seelen würden dadurch sonderlich gute
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Hilfe finden, weil es uns fast unerträglich fällt und fast unmöglich, in dieser allgemeinen Not unangesteckt zu verbleiben. Mein geehrter Herr Professor wolle mir zu gut halten, daß ich mich so frei äußere. Die übrigen beikommenden Exemplare bitte H. Porst 13 ) und nach Belieben anderen Freunden Gottes zu geben und Ihre Urteile mir zu eröffnen. Dem Herrn Hofprediger Porst bitte ich auch mich bestens zu empfehlen."
Seine Bemühungen, dem Pietismus in Frankfurt Boden zu gewinnen, seine herbe und scharfe Kritik der Predigten, die er hörte. und der kirchlichen Einrichtungen, sein Fernbleiben von Beichte und Abendmahl brachte ihn in Zerwürfnis mit der Geistlichkeit der Stadt. Schalt er die Pastoren unbekehrt, meinte er aus ihrer Hand das Abendmahl nicht nehmen zu dürfen, löste er sich also von der Gemeinde, so verhingen sie über ihn den Kirchenbann. Darauf beschloß er, sich hinfort zu den Reformierten zu halten. Ist seine jetzt radikalere Stellung zur lutherischen Kirche und ihren Pastoren durch seine Frau, die Rötenbecksche Tochter, beeinflußt? Oder erklärt sie sich durch seine Verbindung mit Dippel oder anderen Schwärmern, die den Ausgang aus Babel predigten? Am 2. Februar 1711 setzt er Francke von seinem Konfessionswechsel in Kenntnis:
"Seit dem Tage, da ich Sie das erstemal gesehen und predigen hören, habe ein so wunderbares Vertrauen zu Ihnen als einem von dem Herrn recht freigemachten Mann gefaßt und habe mich darin nach genauer Konversation nicht betrogen gefunden. Weil ich nun versichert bin, daß zwischen denen kein Hauptdissidium sein kann, die von einem Geist der Liebe und der Wahrheit getrieben werden, und ich mich versichert halte, daß mein jetziges Tun aus demselben Trieb geht, so habe für gut befunden, meinem geehrten Herrn Professor ein höchst wichtiges, aber noch bis dato in meinem Herzen verborgenes Vorhaben zu entdecken des festen Vertrauens, wenn ich darin durch die Tücke meines Herzens sollte auf unrechte Wege geführet sein, daß durch Ihre liebreiche und gründliche Gegenvorstellung ich auf die rechten Wege wieder geführet werde. Ja in alle Wege recht behut-
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sam zu gehen, habe eben dieses Schreiben noch an einen gottseligen Theologen, zu dem ich großes Vertrauen habe, ergehen lassen 14 ). Ich muß aber die Sache, wie man redet, von vorn anfangen. Wie ich hier über die Artikel von der Exorcismo, Beichtstuhl und Abendmahl mit den Predigern der lutherischen Gemeinde in Streit geraten und wie sie mich darüber quasi als extorrem ab ecclesia gnesios lutherana erkläret haben, wird aus beikommendem Manuskript zu ersehen sein. Ich habe aber seitdem nicht nur diese Artikel hiesigen reformierten Theologen überreicht, sondern auch ihnen eröffnet, wie ich nebst dem erstlich wirkenden und suffizienten allgemeinen Gnadenberuf aller Menschen auch den darauf bei denen, die solchen nicht annehmen, teils und partikulariter nach der freien Wahl Gottes erfolgenden Beruf erkenne, der nach 1. Kor. 1, 16 nicht viel Weisen nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltigen, nicht viel Edlen widerfährt. Dieselben aber haben sich mit mir in diesem allen zu konsentieren erklärt. Da ich nun vermerket, wie meine Absonderung von der hiesigen lutherischen Kommunion (dabei ich bei so bekannten Sachen ohne grobe beiderseitige Heuchelei nicht habe bleiben können) Irrung an meiner Person gemacht, anbei erwogen, daß ich als ein civis imperii Romani doch verbunden bin, mich zu einer öffentlichen Gemeine zu bekennen und ratione doctrinae mich unvermerkt der reformierten näher als der lutherischen, an dieser aber ratione praxeos christianismi keine mehreren scandala als an jener gefunden, habe ich nicht nur Neigung bekommen, mich zu dieser zu bekennen, sondern sie auch nach langem herzlichem Gebet und bei stetem Wachsen des inneren Menschen eine lange Zeit her beständig behalten. Die eine Sorge hat mich noch immer zurückgehalten, daß manche glauben möchten, ich hätte zeitliche Absichten dabei. Anitzo aber kann ich diesen Gedanken leicht begegnen, halte auch, es werde mein Herr Jesus bald durch das Kreuz zu erkennen geben, daß ich in dieser Sache nach der Überzeugung und Aufrichtigkeit meines Herzens gehandelt habe. Dennoch ehe ich losbreche, will ich erst erwarten, ob mein
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hochgeehrter Herr Professor mir nicht etwa kräftige Ursachen dagegen einzuwenden habe, die ich als ein redlicher Mann beachten und als vor Gottes Angesicht zur Leitung meines Gewissens prüfen werde 15 )."
Was riet ihm Francke? Er schwieg. Nach einem halben Jahre unter dem 7. September 1711 schrieb ihm darauf Sturm:
"Wenn ich auf allerhand Umstände genau sehen wollte, müßte ich fast in Sorge geraten, daß die Entdeckung meines Gewissens und die wichtige Frage, die ich an meinem geehrten Herrn Professor getan, dessen Vertrauen und Liebe gegen mich cito nicht aufgehoben, doch gemindert habe. Wie ich mir aber einer ganz ungefälschten und ungeänderten Liebe gegen ihn bewußt bin und nach derselben stets das Beste hoffe, so schlage ich mir auch obige Gedanken wieder aus dem Sinn. Zu gegenwärtigem Schreiben aber gibt mir dieses Anlaß, daß H. Cäsar mich auch verlassen will und ganz unvermutet in beikommendem Schreiben seine Entlassung von mir verlangt. Meist den ganzen Sommer her bis auf wenige Tage war ich willens, nach seinem mir eröffneten Verlangen ihn mit meinem Sohne diese Michaelis nach Halle zu schicken, da er nichts von alledem gedacht, was er nun in diesem Schreiben vorbringt. Kurz aber vorher, ehe er dieses an mich geschrieben, hatte ich ihm eröffnet, daß nach langer und reifer Überlegung ich bis dato noch nicht für praktikabel finden könne, meinen Sohn nach Halle zu schicken. Ich wollte aber nach aller Möglichkeit, diesen Winter über es einzurichten suchen, daß es, so Gott uns Leben und Vermögen verleihe, auf künftige Ostern vor sich gehen könnte. Es hat mir zwar dieser gute Mensch neulich einmal gesagt, daß er sich hier fast nicht mehr tauglich finde, meinem Sohne mit der Information länger vorzustehen, weil der Knabe in den Sprachen und in der Erkenntnis der
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Lehre Christi so weit komme, daß er scheine, einen in den Sprachen, sonderlich in der lateinischen und auch in der Theologie gelahrteren Informator nötig zu haben. Da mir aber dieser Mensch gar lieb ist wegen seiner sonderbaren Aufrichtigkeit gegen Gott, habe ich lieber meinen Sohn etwas versäumt wissen und bloß bei der Wiederholung des bisher Gelernten bleiben lassen wollen, als jenen entlassen. Nachdem er aber nun seine Dimission so inständig fordert, kann ich sie ihm nicht versagen, bin aber wegen meiner armen Kinder und auch wegen meines Gesindes sehr verlegen, die er alle willig unterwiesen und sie auch alle in Liebe gern Unterweisung von ihm angenommen. Demnach würde mein geehrter Herr Professor mir eine sehr große Liebe erweisen, wenn Sie mir an Ihrem Orte wieder einen gottesfürchtigen, in der hebräischen und griechischen Sprache, wie auch in elegantia stili latini wohl geübten Menschen ausmachen und sobald als möglich hieher senden wollten 16 ). Ich will ihm neben der freien Station das Jahr noch 24 T. und noch 6 T. an Weihnachts- und dergleichen Geschenken geben, so lange mir Gott die Mittel lässet, die er mir bisher gegeben."
Der Grund, weshalb Hauslehrer Cäsar Sturms Haus verlassen wollte, war wohl dessen Übertritt zur reformierten Kirche und der Anstoß, den sein Hausherr damit weiten Kreisen gegeben hatte. Auf Grund von Verhandlungen, die Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg seit dem November 1710 mit Sturm gepflogen, und nach seiner Ernennung zum Oberbaudirektor am 27. März 1711 war er nach Schwerin übergesiedelt 17 ). Den mißlichen Verhältnissen in Frankfurt und
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dem bösen Streite mit den dortigen Geistlichen war er damit entrückt, er hätte abwarten können, wie in Schwerin sich die Pastoren zu ihm stellen würden. Der erste Geistliche Schumann war ja hier auch nichts weniger als ein Eiferer für die reine Lehre und gegen den Pietismus. In dem Briefe vom 7. September 1711, der schon aus Schwerin geschrieben ist, bemerkt denn Sturm auch: "Der neue Präzeptor findet hier an dem H. Superintendenten Schumann einen genuinen Schüler Speners und bei den übrigen Predigern zum wenigsten gute äußerliche Gaben." Aber in seinem radikalen Pietismus seit Jahren gewöhnt, in der offiziellen Kirche mehr oder minder Babel zu sehen, zum Indifferentismus geneigt, durch das Entgegenkommen der Frankfurter Reformierten gelockt, ratione praxeos christianismi, wie er oben schrieb, keine mehreren scandala bei den Reformierten findend als bei den Lutheranern, hatte er doch den entscheidenden Schritt getan, war er zur reformierten Kirche übergetreten und hatte seine Gründe in einer kleinen Schrift zu rechtfertigen gesucht. Natürlich hatte er damit auch in seinem neuen Wohnort die Geistlichen wider sich aufgebracht. Den 7. April 1712 schrieb Hermann Kütemeyer an den Dresdener Superintendenten Löscher, einen der Führer der Orthodoxie und Herausgeber ihrer Zeitschrift, "der Unschuldigen Nachrichten":
"Ein vornehmer Mann hiesiger Stadt, der vor diesem Professor der Mathematik zu Frankfurt gewesen, nun aber hier Oberbaudirektor worden, hat eine schändliche Schrift bei hiesigem Buchdrucker drucken lassen, die ich Ew. Hochw. hiermit übersende. Ich habe mir vorgenommen, tecto nomine sie zu widerlegen, auch schon verschiedene Dinge zusammengetragen. Wollten Ew. Hochw. Ihre Gedanken und Anmerkungen mir auch davon mitteilen, wird es mir sehr lieb sein."
Doch stammt wohl nicht aus seiner Feder die Widerlegung, die wir in den Unschuldigen Nachrichten 1713 S. 82-96 finden unter dem Titel: "Eines zu den Calvinisch-Reformierten Abgefallenen ausgebreitete Skrupel nebst kurzer Beantwortung derselben" 18 ). Nach dem Beiwort hat die Skrupel eine Gemeinde,
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doch wahrscheinlich Sturm selbst unter fingiertem Namen zur Widerlegung eingereicht 19 ). "Dieser Mann setzt uns täglich sehr zu und machet viele irre, weil wir des Disputierens unerfahren sind und an einem geringen Orte leben, da wir keine mächtigen Theologos an der Hand haben. Er spricht uns immer vor, wie er nichts in der Theologie leiden könne, als was nervös, kurz und doch einfältig ohne intrikate Schulwörter gesetzt sei. Alles weitausschweifige Wesen, sonderlich wenn viel scholastische Distinktionen vorkämen, seien gewisse Anzeigen von Lügen und der falsch berühmten Kunst." Die lutherischen Pastoren hatten bald auch weiteren Grund, über Sturm zu klagen. Um ihn, auch in seinem Hause, scheinen sich gesammelt zu haben die Separatisten, Chiliasten, die hie und da zerstreut sich auch in Mecklenburg fanden. Die orthodoxe Landesuniversität mit ihrem Haupte Johann Fecht 20 ), die ortho-
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doxe Geistlichkeit des Herzogtums hatte doch vereinzeltes Einströmen der neuen religiösen Welle nicht hindern können 21 ). Rötenbeck hatte 1708, kurz bevor er seine Tochter unserem Baudirektor zur Frau gab, an den Babelstürmer Michaelis nach Altona geschrieben: "Ich wünschte, ich hätte das Glück, Sie in Person auf etliche Wochen zu sprechen, aber mein Alter, Amt und die Ferne des Weges wollen es nicht leiden." Sollte jetzt nicht Sturm, mit seinem Schwiegervater in der religiösen Überzeugung ganz eins, hinübergeflogen sein nach dem nahen Altona, eine seiner vielen Dienstreisen dorthin ausgedehnt haben, um dort den fast 80jährigen Greis kennen zu lernen, der seit dreißig Jahren Babel den Kampf angesagt hatte und ein "apostolisches Christentum" predigte? Sollte er nicht die Freunde des Schwärmers in Mecklenburg aufgesucht und den Verkehr mit ihnen gepflegt haben, bei denen der hochbetagte Separatist seinen Lebensabend zubringen zu können gemeint hat? 22 ) Jedenfalls sehen wir den herzoglichen Baudirektor in Verbindung mit einem der bekanntesten Vertreter des Radikalismus, mit Johann Konrad Dippel, dem Christianus Demokritus. Als dieser aus Altona flüchten mußte, nahm er ihn in sein Haus auf 23 ). Doch wohnte er damals schon nicht mehr in Schwerin, sondern in Rostock.
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Im Jahre 1714 erschien "Leonhard Christoph Sturms, mecklenburgischen Kammerrats und Baudirektors mathematischer Beweis von dem h. Abendmahl, daß 1) die Worte der Einsetzung nie recht aus dem Griechischen übersetzt worden, 2) an der Art, wie es von den Lutheranern gehalten wird, viele Punkte nicht so indifferent, als man bisher angegeben, sondern höchst schädlich und gefährlich sein". Nicht "das ist mein Leib", sondern "dergleichen ist mein Leib" müßten die Einsetzungsworte übersetzt werden, die Beichte vor dem Mahl zeige zehn Mißstände, die Darreichung des Sakraments selbst zwei, das Brot würde nicht gebrochen, Hostien, Oblaten wie von dem römischen Antichristen gebraucht. Wie ein Kampfruf wirkte in der theologischen Welt die Schrift, die die reformierte Abendmahlslehre und -zeremonien rechtfertigen wollte. Allenthalben erhoben sich sofort Streiter, um den Mecklenburger Baurat zurückzuweisen. In Hamburg tat's der berühmte Polyhistor Johann Albrecht Fabricius und der Pastor an der Michaeliskirche Ernst Mushardt. Als Philologe untersuchte jener vornehmlich die Sturmsche Exegese: "Mathematische Remonstration, daß Sturm seine neue Erklärung der Worte der Einsetzung nicht bündig demonstriert hat", als Pastor verteidigte dieser die abgelehnten Ordnungen und Zeremonien: "Etwas wider Sturms in seinem prätendierten Beweise von dem hl. Abendmahl angeführte Gründe". Beiden antwortete der Baurat 24 ) und beide auch wieder ihm. Auch der immer
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auf dem Posten stehende Hamburger Zionswächter Sebastian Edzardi, der unermüdliche Streiter für die Orthodoxie, den Wernsdorf gern als Professor neben sich in Wittenberg gehabt hätte, spitzte seine Feder, diesmal fast noch schärfer als sonst. Unter dem Decknamen Pragemann veröffentlichte er: "Brandmale des Sturmschen Gewissens nebst beigefügtem Beweis, daß die Sturmsche Verdrehung der Worte der Einsetzung von Laien und Gelehrten allerdings zu verwerfen ist." Als der scharf Angegriffene drauf eine "Abfertigung der Lästerschrift" schrieb, griff ihn Edzardi von neuem an: "Das ungöttliche Wesen im Sturmschen Unwesen". Der Pastor in Siebenbäumen bei Lübeck, Kaspar Heinrich Stark, als Historiker wohl bekannt, wurde zum Polemiker. Er warf in den Streit hinein: "Die gottlob vergeblich bestürmte ev.-lutherische Kirche in dem Punkte vom h. Abendmahl und begegnete dann dem "Herostraten" noch einmal: "Abgedrungene Ehrenrettung wider den unnützen calvinischen Lästerer Sturm". Der Husumer Rektor Heinrich Bockemeier prüfte ähnlich wie Fabricius Sturms Exegese nach und kam zu ihrer völligen Ablehnung: "Das völlig entwaffnete Toiuto oder Beweis, daß Sturms neue Dolmetschung nicht bestehen könne, sondern einen höchst ungereimten Verstand gebe." In Breslau verteidigte den lutherischen Standpunkt der erste Geistliche der Stadt, Inspektor oder Superintendent Kaspar Neumann: "Kleine Anmerkungen über Sturms großsprecherische Schrift von dem Abendmahl des Herrn." Den 27. Januar 1715 starb Neumann, aber Freunde gaben die kleine Schrift heraus, die Sturm in zwei Entgegnungen zu entkräften suchte 25 ). Auch Henning Huthmann ließ den mathematischen Beweis nicht gelten: "Grammatikalische Gedanken über Sturms mathematischen Beweis vom h. Abendmahl", ebensowenig in Berlin der Propst Joh. Gustav Reinbeck,
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der bekannte Verehrer und Anhänger des Philosophen Christian Wolf: "Vorstellung an H. Sturm, daß sein unwidersprechlicher Beweis nicht allein widersprechlich, sondern auch offenbar falsch ist". Am 2. Mai 1716 schrieb ihm Sturm 26 ): "Durch einen guten Freund in Hamburg habe ich Ihre Schrift wider mich bekommen, ist sie auch in ziemlichem Eifer, sodoch in christlicher contenance und moderation geschrieben". Reinbeck hat den Brief liebenswürdig beantwortet, dann Sturms Entgegnung auf seine Schrift mit Anmerkungen herausgegeben 27 ), in einem Schlußwort unter Hinweis auf die Apin und Senstius angebotene Wette, von der wir gleich hören werden, den Baudirektor auch aufgefordert, die gewechselten Schriften einer juristischen und theologischen Fakultät zur Beurteilung und Entscheidung des Streites einzureichen. "Die Unkosten bei der theologischen Fakultät will ich tragen, die bei der juristischen mag H. Sturm über sich nehmen. So kommt H. Sturm zu seinem Zweck, und ich will dabei beruhen". Natürlich durften auch die Rostocker Theologen nicht schweigen. Johann Fecht lag auf den Tod darnieder 28 ), so griffen die anderen zur Feder.
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Franz Albert Apin wehrte dem Angriff in einer Dissertation "de privata confessione", und als ihm Sturm darauf eine Wette von tausend Talern" anbot, er wolle die Theologen der Landesuniversität entweder zum Schweigen oder zur Selbstprostitution bringen, eine juristische Fakultät könne Richterin sein, zeigte er das Törichte, einen Glaubensstreit in dieser Weise austragen zu wollen: "Bedenken wider Sturms Vorschlag einer Wette, dadurch er vermeinet, seine Kontroverse mit den Rostocker Theologen am besten auszumachen". Joh. Joachim Weidner hatte vom Herzoge die zehn Punkte erhalten, die Sturm diesem am 31. März 1714 überreicht und darin er kurz zusammengefaßt hatte, was sein mathematischer Beweis bot. Er beantwortete sie, Sturm replizierte am 11. Mai, als er darauf am 12. entgegnete, noch einmal am 14., worauf Weidner mit seiner Endantwort am 15. Mai die Kontroverse abschloß, dann auch den Briefwechsel herausgab: "Korrespondenz mit Sturm über einige Punkte vom h. Abendmahl". Auch Professor Johann Senstius hat mit Sturm die Klingen gekreuzt. Er schrieb: "Toiutismus, verbis institutionis sacrae, coenae insidiosus, a Sturmio invectus, theologica ast veritate reiectus", und als der Baudirektor hierauf geantwortet, "Abgenötigte Antwort auf Sturms abgelassenes Schreiben". Auch von pietistischer Seite flog ein Pfeil wider den mathematischen Beweis. Joh. Franz Buddeus in Jena, ein Freund und Verehrer Franckes, dazu ein hervorragender Theologe, stellte 1715 in der "Sylloge recentissimarum de sacra coena controversiarum" fest, daß Sturms Auslegung den alten Kirchenvätern widerstreite. Auch diesem Gelehrten gegenüber konnte der Baudirektor nicht schweigen, 1717 ließ er ausgehen: "Anzeige aus alten Stellen der ersten Kirchenväter, daß die Worte der Einsetzung von der ganzen Kirche in jenen Zeiten so verstanden worden: "Vergleichen ist mein Leib". So hoch die Wogen des Streites gingen, den Sturm entfacht hatte, in seinen Briefwechsel mit Halle schlugen sie vorläufig noch in keiner Weise hinein. Am 30. Mai 1713, als seine Skrupel längst
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gedruckt umliefen, von ihm wohl bereits auch an Löscher nach Dresden gesandt waren, schrieb er aus Schwerin an Francke:
"Bei meinem Sohne will die Privatinformation nicht mehr ausreichen. Der gute Domke von Elbing, den der H. Professor mir vorgeschlagen, hat in der Theologie und den Sprachen eine gründliche gute Wissenschaft, ist auch sonst in seinem Leben untadelig. Doch während der liebe Cäsar, den ich vor ihm gehabt, mit gar großem Eifer die Übung der Gottseligkeit in meinem Hause so getrieben, daß es Kinder und Gesinde zuweilen geschreckt, ist H. Domke allzu zaghaft und sanft. Er hat auch kein donum proponendi und fehlet ihm sonderlich die Gabe, sich vor Kindern und Gesinde Autorität zu machen. Doch habe ich dies in Liebe getragen, weil ich ihn sonst treu erfunden habe. Anitzo aber, da der Knabe soweit vorgeschritten, daß ich fürchten muß, es möchte die Achtung gegen den Präzeptor bei ihm gar wegfallen, muß ich auf eine Änderung bedacht sein. Habe deshalb abermal den Entschluß gefaßt, ihn nach Halle zu bringen künftige Michaelis. Denn mit dem Bedenken gegen D. Heineccii 29 ) hat es jetzt weniger zu bedeuten, weil er sich offenbar als ein Feind gegen mich aufführt, womit der gute Mann mir unwissend Gutes tut. Könnte ich den Knaben zu einem alten gottesfürchtigen Studenten auf die Stube bringen, daß er ihn zu gottseligem Leben, Reinlichkeit und anständigen Sitten aufmuntere, und wie viel würde ich ihm loco honorarii dafür zu geben haben? Weiter, könnte ich nicht meiner Kinder mütterliches Erbe, ein Kapital von zwei- bis dreitausend T. zu Halle gegen gerichtliche Hypothek auf liegende sichere Gründe unterbringen, damit die gewöhnlichen Zinsen zu meines Sohnes Unterhalt gegenwärtig wären?"
Indessen verschlechterte sich Sturms wirtschaftliche Lage im Laufe des Sommers so stark, daß er nicht daran denken konnte, seinen Sohn nach Halle zu bringen, auch froh war, daß sein Hauslehrer, dem ein Amt in Koburg angeboten war, von ihm ging. Da dieser über Halle reiste, gab er ihm am 9. Oktober folgende Zeilen für Francke mit:
"In meiner hiesigen Station sind meine Einnahmen von Zeit zu Zeit schlechter geworden und cessieren öfters gar,
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obwohl ich von dem neuen Herzoge nicht entlassen, sondern in meinem Amte bestätigt worden. Da bei dem jetzigen elenden Zustande der mecklenburgischen Sachen das Bauen fast gar darnieder lieget, habe ich diesen Winter Zeit, meine Kinder selbst zu unterrichten."
Als im nächsten Frühjahr die Bautätigkeit sich etwas belebte, Sturm mehr zu tun hatte, schickte er seinen Sohn dann noch nach Halle. Unter dem 30. April 1714 eröffnete er Francke seine Gedanken über ihn:
"Mein Vater, der des Knaben Taufpate zugleich gewesen, ist vordem in dem Predigtamte gewesen, hat es aber hernach mit der professione mathematica vertauscht. Ob er sich nachdem ein Gewissen darüber gemacht, weiß ich nicht. Mich unterrichtete er zwar in der Mathematik, drang aber stets darauf, ich sollte nur ein Nebenwerk daraus machen, alles dahin richten, daß ich einmal ins Predigtamt käme. Als dieses anders geraten, hat er mich kurz vor seinem Tode fast genötigt, ihm gleichsam ein Gelübde zu tun, alles zu schaffen, daß der Zweck, den er an mir gehoffet, an diesem erhalten werde, welches ich ihm auch verheißen. Nachher habe ich den Unfug solchen Gelübdes erkannt, weil es bloß auf göttlichen Beruf in solchen Dingen ankommen muß. Doch habe ich die ganze Information des Knaben also angestellt, daß er bloß in der Theologie und in den drei Sprachen unterwiesen wurde, in Geographie nur etwas weniger lernte, zur Mathesi habe ich ihn gar nicht geführt. Nur vor etlichen Wochen habe ich angefangen, die Elemente Euklids ihm ein wenig zu zeigen., worin sich solche junge Leute nicht leicht verlieben. Doch hat er aus eigenem Trieb hier und da etwas aufgeschnappt. Jetzt wollte ich, daß er im Pädagogio nebst der notitia theologica die drei Sprachen triebe, dabei aber das einig Nötige hauptsächlich lernte, die Kreuzschule unseres Herrn lieben, und mehr und mehr geübt wurde, seinen Fußstapfen nachzufolgen. Sollte ich mit den Jahren etwa eine Hoffnung äußern, daß ihm Gott wolle die Gabe der Keuschheit und Enthaltung verleihen, würde ich auch daraus das erste Omen nehmen, daß ihn der Herr zu seinem Dienst, seinen Willen zu verkündigen, ausgesondert habe. Dem Informator bitte anzubefehlen, daß er fleißig mit mir korrespondiere und aufrichtig von des Knaben Verhalten berichte."
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Als der Baudirektor diesen Brief schrieb, brannte der durch ihn entfachte Abendmahlsstreit lichterloh, doch gedachte er seiner in seinem Schreiben mit keinem Worte. Als er aber ein Jahr später (1715) wieder eine kleine Streitschrift ausgehen lassen wollte und für sie nirgends einen Verleger finden konnte, war er so naiv, sich aus Rostock 30 ), wohin er übergesiedelt war, sich an Breithaupt, Francke und Lange, die Professoren der hallischen theologischen Fakultät, zu wenden und sie zu bitten, seine Schrift zu approbieren und durch die Druckerei des Waisenhauses zu veröffentlichen. Er meinte wirklich, mit seinem Kampfe gegen die lutherische Abendmahlslehre der Pietät zu dienen und deshalb der Unterstützung Halles sicher zu sein. Was Breithaupt, der Senior der Fakultät, und Francke ihm geantwortet, wissen wir nicht. Aber Lange wies ihn kurz und nachdrücklich zurück, nicht ohne seinen Schmerz zu bekunden über den Streit, den Sturm entfacht habe. Dieser hat dann eine Erklärung seiner Meinung von dem h. Abendmahl gegen die Herren Professoren der Theologie zu Halle ausgehen lassen und ihr seine Briefe an die drei Professoren, auch Langes Antwort, beigegeben. Francke hat ihm deshalb nicht gezürnt. Vielleicht war es ihm sogar ganz lieb, daß Sturm selbst vor aller Welt bekundete, daß er in Halle keine Sympathien besitze, man dort gut lutherisch sei, durch Pflege der Pietät sich doch nicht zum Indifferentismus verleiten lasse.
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Im Jahre 1716 überraschte unser theologisierender Baumeister die wissenschaftliche Welt mit einer neuen Schrift "Auflösung des größten Problems aus der arithmetica sacra von der apokalyptischen Zahl 666". Was ist nicht alles über diese Kennzahl des Tieres, des Antichristen, in der Offenbarung geschrieben worden? Wer zählt die Deutungen, die die Zahl im Laufe der Zeiten gefunden hat? Sturm meinte, in ihr die Päpste Bonifaz III., Gregor VII., Leo X. angezeigt zu finden und trug seine Ansicht wieder als unantastbare Wahrheit vor. Dies Anspruchsvolle, Rechthaberische mußte auch die wider ihn einnehmen, welche sonst aus konfessionellem Gegensatze sich seine Erklärung hätten gefallen lassen. Dazu wirkte noch die Erbitterung über seinen Abfall zur reformierten Kirche und seine Streitschriften wider die lutherische Abendmahlslehre nach. Erdmann Neumeister, der streitbare Hauptpastor in Hamburg, der gern eine scharfe Klinge schlug, auch darin einig mit seinem Herzensfreunde, dem oben genannten Edzardi, tat ihn beißend ab. In seiner Gegenschrift " Eilfertiges Sendschreiben an Herrn Sturm" fand er in der Zahl des apokalyptischen Tieres einen Hinweis auf den Mecklenburger Baudirektor selbst, brachte aus der Zahl auf dreizehn verschiedene Weisen Sturms Namen und Titel heraus. Schärfer konnte er ihn nicht treffen, gründlicher und boshafter zugleich ihn nicht abführen 31 ).
Als ausgesprochener Pietist zeigte sich unser Mathematiker und Architekt in dem Traktat "Zufällige Gedanken von weltlichen Ergötzlichkeiten", den er 1716 veröffentlichte. Jedes Spiel, jede Freude, die müßige Stunden ausfüllt, vor allem das Tanzen erklärte er als sündhaft, hier den schroffsten und engherzigsten Vertretern der neuen Frömmigkeit nicht nachstehend. Pietistische Kreise schätzten dies Schriftchen, aber sonst wurde es nach-
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drücklich abgelehnt. Dagegen fand seine "Verständliche Erklärung etlicher Stellen heiliger Schrift" die 1719 in Frankfurt herauskam, da er die Bibel gegen manche Einwendungen der Kritik verteidigte, auch auf orthodoxer Seite Beifall. Hier tadelte man es nur, daß er, in seiner Schwärmerei befangen, in jeder Schriftstelle einen dreifachen Sinn finden wollte, einen buchstäblichen, typischen und mystischen. Eine Exegese, die von dieser Anschauung sich leiten läßt, kann ja auch alles aus der Bibel herauslesen. Noch einmal betrat Sturm das Gebiet der Polemik und erregte vielfachen Anstoß. Gleichfalls 1719 gab er heraus: "Auszug der bedenklichen Stellen in der Formula Concordiae". Die Unschuldigen Nachrichten, die das Buch erst nach dem Tode des Verfassers anzeigten, schrieben von ihm: "Das ist das letzte Buch des unruhigen Sturm, mit dem er seinen Lauf, den er in den letzten Jahren zum Schaden der Kirche gerichtet, vollendet. Er gibt vor, aus Notzwang des Gewissens geschrieben zu haben, tut auch sonst gar fromm und zuweilen wider seine Art liebreich, allein die Ismaelsart waltet doch überall vor."
Auch an einer Evangelienharmonie hat Sturm gearbeitet. Rostock, den 2. September 1718, schrieb er an Francke:
"Meine besten Freunde, die Gott redlich lieben, haben gehalten, daß beide beikommenden Manuskripte gewissen Nutzen haben würden, wenn sie durch den Druck gemein würden. Dies hat mich bewogen, das von der Harmonia. evangeliorum bei der hiesigen Fakultät zur Censur einzureichen, wohl wissend, daß darin nichts den symbolischen Büchern oder auch anderen placitis der lutherischen Kirche zuwider sein könne. Als es aber eine gar lange Zeit daselbst gelegen und ich von einem gewissen Studenten der Theologie versichert wurde gleichsam im Vertrauen, daß es von H. D. Krackewitz der Fakultät nicht vorgetragen sei, dessen Ursache ich etwa erraten könne, habe ich es wieder abgefordert und um so mehr Bedenken getragen, noch das andere Scriptum dahin zu geben, ob ich schon wußte, daß darin ebensowenig etwas wider die lutherische Konfession wäre. Denn die Hoffnung verging mir, daß an diesem Ort mir würde nach der Liebe begegnet werden. An andere auswärtige Fakultäten sie zu schicken, mußte ich mich wegen der Unkosten scheuen, weil mich der liebe Gott in gnädiger und väterlicher Absicht in solche Armut geraten lassen, daß ich
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solche Unkosten wahrhaftig den Meinen an ihrem höchst nötigen Unterhalte abziehen müßte. Indessen begreife ich wohl, daß ohne eine solche Approbation ich keinen Verleger zu diesem Werkchen finden werde. Da habe ich endlich die Zuversicht gefasset, in der ich von anderen christlichen Herzen bekräftiget worden bin, daß die hällische theologische Fakultät mir ihre Zensur und Approbation ohne oder mit wenigen Kosten widerfahren lassen werde. Daher ich mir die Freiheit genommen, meinem hochverehrten Herrn Professor diese beiden Manuskripte zuzusenden und um die sonderliche Liebe zu bitten, sie der theologischen Fakultät vorzulegen und zur Zensur und Approbation bestens zu empfehlen. Ich zweifle nicht, daß Gott mir auch in diesem Stück ein gewisses Pfündlein verliehen habe, welches ich nicht vergraben soll. Sollte ich auch meinem Herrn niemanden dadurch sammeln, werde ich doch auch nichts dadurch zerstreuen. Hoffe demnach eine gewährige Antwort darauf zu erlangen, die mit Gelegenheit nach Hamburg an H. Matth. Maaß, Bürger und reitenden Diener des Magistrats, adressiert werden kann, weil Sie hierher nicht leicht gute Gelegenheit finden möchten. Könnten diese Traktätchen zu Halle gedruckt werden, würde es mich sehr erfreuen. Ich verlange von dem Verleger nichts dafür, als was ich für das Abschreiben habe geben müssen, welches bei dem einen Traktat 2 1/2, bei dem anderen einen Reichstaler austrägt. So genau zu menagieren, treibt mich nicht der Geiz, sondern die liebe Not. Daneben verlange nur noch etwa nach seiner Diskretion ein oder ein paar Dutzend Exemplare. Aus Hamburg ist mir vor kurzem H. D. Heineccius als ein zu fürchtender hällischer Antichrist 32 ), der noch schlimmer als D. Mayer wäre, beschrieben worden. Wenn es wahr wäre, wiewohl mir keine particularia wissend worden, müßte ich die Gerichte Gottes billig bewundern."
Aus der tiefen Not, in die er in Rostock geraten, da die herzogliche Kasse ihm kein Gehalt zahlte, erlöste ihn Ostern 1719 die Berufung zum Baudirektor nach Blankenburg. Noch erinnert er aus Rostock unter dem 1. April Francke an die
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beiden Manuskripte und seine Bitte um ihre Zensur: "Weil ich bis dato keine Antwort noch Nachricht erhalten habe und im Willen habe, nach der Fügung Gottes noch vor Pfingsten Rostock zu verlassen und zu dem braunschweigischen Herzog zu Blankenburg in Dienst mich zu begeben, so ersuche durch diese Zeilen meinen hochgeehrten Herrn Professor um eine Nachricht." Es ist sein letztes Schreiben, denn schon am folgenden 6. Juni hat ihn der Tod allen weiteren Enttäuschungen und Kämpfen entrückt. Lägen die Briefe noch vor, die Sturm an Rötenbeck, DippeIl Rosenbach, Joh. Michaelis gerichtet, sie würden das Bild, das seine Schreiben an Francke von ihm geben, wesentlich ergänzen und abrunden. Aber auch so ist es klar und deutlich. Voll warmer, tiefer Frömmigkeit wünschte unser Mathematiker eine innerlichere, ernstere, entschiedenere Auffassung des Christentums, als er um sich zu sehen meinte, voll regen Interesses für theologische Fragen, beschäftigte er sich gern mit ihrer Lösung und ging hier eigene Wege. Daß diese ihn der reformierten Lehre entgegenfiihrten, bewahrte ihn vor Separatismus. Er löste alte Bande doch nur, um alsbald neue zu knüpfen, im ganzen eine beachtenswerte Erscheinung in jener Zeit gärenden, quellenden neuen religiösen Lebens 33 ).
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Als Anhang gebe ich Mecklenburger Briefe an A. H. Francke bei, die ebenfalls die Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt.
Hochehrwürdiger und hochgelahrter, hoch geehrter Herr Pastor! Wenn ich vor einigen Jahren, da von dem hochsel. Herrn H. Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg nach Ranstädt zu Ihro Kön. Maj. von Schweden geschickt ward, im Durchreisen zu Halle die Ehre gehabt, mit Ew. Hochehrw. mich bekannt zu machen und die ruhmwürdigen Anstalten des dort angelegten Waisenhauses unter Dero Aufführung in Augenschein zu nehmen, so habe um so viel lieber auf gnädigsten Befehl meines gnädigsten Herrn, jetzo regierenden H. Herzogen Carl Leopold, mit Vermeldung dero gnädigsten Grußes vernehmen wollen, ob Sie nicht Ihren anderen Geschäften sich so lange entziehen und eine Reise ins Mecklenburgische fördersamst tun und sich etwa zu Rostock einfinden wollten. Ihre Maj. 1 ), die
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Königin von Preußen, verlangen gar sehr Ew. Hochehrw. einmal zu sehen 2 ), und mein gnädigster Herr hätten auch ein und anderes mit Ihnen zu reden. Ich erwarte hierauf Dero beliebige Erklärung und verharre mit Ergebung göttlichen Schutzes
Ew. Hochehrw., ganz ergebener
Diener Groworth,
fürstl.
mecklenburger Geh. Rat.
Rostock, den 9. Oktober 1713.
Meine Briefe gehen alle auf Schwerin, von da ich sie sicher empfange.
Unseren gunstgnädigsten Gruß zuvor! Wohlwürdiger und Hochgelahrter, lieber Andächtiger und besonders Lieber! Als Wir von dessen riihmlicher Gelahrtheit und ernstlicher Liebe zur wahren Gottesfurcht, auch anderen christwürdigen Wissenschaften uns viel Gutes vermelden lassen und auch teils aus dessen Schriften davon versichert sind, daher gerne sehen, daß Wir von ihm ein quali-fiziertes Subiektum erhalten könnten, welches von dessen Umgange profitiert hätte, so haben Wir in solchem gnädigsten Vertrauen gegenwärtigen Kandidaten der Theologie Johann Schröder ihm hiermit zur Aufsicht empfehlen wollen mit dem gnädigsten Ansinnen, er wolle demselben mit guter Anleitung ferner assistieren und absonderlich ihn fleißig zu einer wahren Gottesfurcht und dem rechtschaffenen Wesen in Christo führen helfen, damit Wir hiernächst Uns auf dessen conduite verlassen können. Wie nun dies eine Gelegenheit sein wird, unsere längst erwünschte Intention zu erreichen, uns durch einige Korrespondenz dessen aufrichtig gemeinten theologischen Rats zu bedienen, also zweifeln wir nicht, er werde Uns hierunter bestmöglich willfahren. Welches Wir jederzeit mit besonderen. deren Gnaden zu erkennen geneigt sein werden. Geben auf unserer Festung Dömitz unterm hochfürstlichen Handzeichen und beigedrucktem Insiegel Anno 1721, den 6. September. Ew. Ehrw. sehr affektionierter Carl Leopold.
Ew. Hochw. kann nicht unbewußt sein der siebenjährigen von dem Allerhöchsten harten Heimsuchung meiner Herzogtümer und Lande. Wie nun bei meinem ins fünfte Jahr allhier in Danzig Aufenthalte wir Dero Predigten über die Evangelien gebrauchet, so sind anno 1723 mit besonderen merkwürdigen Umständen mir zwei Bücher als von dem Neuen Menschen und Theologische Send- schreiben von A. v. Franckenberg 3 ) nebst besonderen Kupfern überliefert worden, wie denn auch noch vor wenigen Monaten bei einem evangelischen Bürger, wo ich im Hause, ein ganz aus der Art ge-
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lassenes Buch gefunden, genommen ans Tauleri Schriften, als finde ich bei mir eine besondere Überzeugung vor der Wichtigkeit dieser Sache, und wie der Allerhöchste vor 19 Jahren mir hiervon etwas zu erkennen gegeben, welches denn niemalen aus meinem Herzen kommen können, als bin um so mehr dadurch angefrischet, Ew. Hochw. zwei Exemplare im Vertrauen zuzuschicken, um Dero Approbation und Rat darüber zu vernehmen nebst dem Ersuchen, Ew. Hochw. wollen ein Subiektum, wozu Sie ein völliges Vertrauen setzen können und den Sie vor einen Wiedergeborenen halten, im ganz Geheimen mir zuschicken, damit ich mit selbigem reden und mit Ew. Hochw. koncertieren könne, was zu Gottes Ehren und Lob in meinem Lande in dieser wichtigsten Sache könnte befördert werden, weil bis dato in Kirchensachen die freie Hand behalten und die vielen Pfarren, so jährlich besetzt werden, bei diesen Umständen einen großen Skrupel machen. Ich zweifIe nicht, Ew. Hochw. werden dieses in aller Stille bei sich behalten und mein Vertrauen zu Ihnen nicht anders als wohl aufnehmen. Denn wie dergleichen Sachen von den meisten unserer Theologen mit vorzeitigen Urteln angesehen werden, haben Ihro Hochw. in Deren Predigten zur Genüge dargetan, indem der natürliche Mensch nichts begreifet, was des rechten Geistes ist. Der ich hingegen vor Gott versichere, daß es treulich meine, auch so wenig Überbringer dieses als einige andere Seelen hiervon wissen, und bei Gelegenheit bezeigen werde, wie ich ganz unverändert bin Ew. Hochw. ganz freundwilliger Carl Leopold. Danzig, den 9. Januar 1726.
Sollte jemand überkommen, hat er nur einen versiegelten Zettel in des Regierungsrat Wolffen Haus in der Brotbänkengasse zu senden mit der Aufschrift: an den Kammerdiener Fister, und soll die Reise zu Dank bezahlt werden.
Unter dem 19. Januar antwortete Francke, daß er die über-sandten Bücher "Herzenspiegel und Abbildung des verborgenen Menschen" (dessen Autor ein Schweizer Nik. Tscheer 4 ) sei, der sich sonst im Witgensteinschen aufgehalten habe) nicht empfehlen könne. Der Vortrag gehe von den in der Schrift üblichen Redensarten manchmal weit ab, auch würden die Gemüter durch fremde mystische Figuren und hohe Spekulationen von der lauteren, einfältigen Schrifterkenntnis auf falsche Höhen und Phantasien geführt. "Auf der Universität Rostock haben Ew. Hochfürstl. Durchl. drei wackere Männer D. Sibrand, professorem iuris, D. Detharding, medicum (der auch ein schönes Büchlein von dem Kennzeichen eines Wiedergeborenen geschrieben), und den Professor und Prediger Becker 5 ),
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der auch einen feinen Bruder zu Grabow hat. Diese drei Männer liebe ich und glaube gewiß, daß sie sich über Ew. Durchl. gute Intention sehr erfreuen und sie, soweit sie des Landes geistliche Besserung betrifft, mit guten consiliis und sonst aufs möglichste unterstützen werden. Wenn Ew. Durchl. die Universität Rostock mit recht christlichen und tapferen Professoren und Predigern besetzen würden, wird das die gesegnete Quelle sein, dadurch Dero ganzes Land mit Wasser des Lebens gewässert und gebessert werde. Ich weiß wohl, wie verhaßt ich der Orten bin. Daher ists gut, daß
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meiner wenigstens zu Anfang nicht dabei gedacht werde. Was ich aber beitragen kann in der Stille und im Verborgenen, das werde ich gewiß nicht unterlassen. Es wird durch Briefe vieles geschehen können, da ganz unmaßgeblich raten wollte, Dero gnädigste Handschreiben unter einem Kuvert und gemeinen Siegel an mich zu schicken und auf das Kuvert schreiben zu lassen: H. Heinr. Julius Elers im Buchladen des Waisenhauses in Glauche abzugeben. Halle.
Dero Antwort ist mir nebst dem Überschickten wohlbewahrt eingekommen. Ich danke gar sehr vor die überschickten Sachen, gütige Vorsorge und Antwort, sehe mit Verlangen nach dem Versprochenen aus, auch ist mir lieb in Ew. Hochw. Antwort zu vernehmen, daß nebst den übrigen Anmerkungen Wahrheiten in den beiden übersandten Büchern sind. Finde auch eine große Konfirmation in Arndts Schriften, wovon mir noch ein besonderes Traktätlein über gleiche Materie hier zu Händen gekommen, wovon, geliebt es Gott, als dann wie auch allem übrigen ein mehreres. Ich ergebe Dieselben dem göttlichen kräftigsten Schutze zur Beförderung seines aller-heiligsten Wesens Ehre. Verbleibe mit aller Aufrichtigkeit Ew. Hochw. ganz freundwilliger Carl Leopold. Danzig, den 29. Januar 1726.
Es ist der Kandidat Callenberg 6 ) den 22. d. M. hier wohl angekommen und hat Ew. Hochw. Schreiben nebst übrigen mir wohl überbracht. Ich danke denn zuförderst nochmals gar sehr vor die gütige Bezeigung und Vorsorge. Wie ich nun ersehe. daß Ew. Hochw. die Person in wichtigen Sachen gebrauchen, als habe so viel möglich ihn bald abfertigen und Ihnen wieder zuschicken sollen. Beziehe mich auf den an den Kandidaten Callenberg getanen Vortrag, welcher hoffentlich getreulich berichten wird. Meine Überzeugung und Absicht gehet hauptsächlich auf den Hauptpunkt. Denn wenn wir das A und 0 von einer Verklärung in die andere zu bringen trachten bis zur vollkommenen Mannheit in uns, ist wohl der einzige Weg und alles in allem. Dieses ist so überzeugend, daß, wenn es recht fleißig gelehrt wird, ohne großen Zuwachs nicht bleiben kann, und wem Gott die Erkenntnis gibt und schon vor anderen den schweren KIeinodskampf vollendet, auch mit der Krone in allem gekrönet, achte ich, schuldig zu sein, seinen Nächsten mit zu erbauen, denn sonsten den Spruch 1. Joh. 3, 17 man sich zuziehen möchte, jedoch mit Aufsicht, die seinigen zu prüfen. Ew. Hochw. Gutfinden über den Generalvortrag der jetzigen Situation und Umstände des Kandidaten Callenberg werde erwarten, in meinem Schwersten äußerlichen Zustand mit dem Psalmisten: "Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte und wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge?", mich trösten und sehen, wie es der Höchste schicken
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wird. Die Reisekosten kommen hierbei wieder über nebst einem kleinen Andenken für die schönen übersandten Bücher, wie es hiesigen Orts ist zu bekommen gewesen, welches Ew. Hochw. in Güte aufnehmen werden, der ich Dieselben zum kräftigsten Schutze des großen Gottes zur beständigsten Beförderung seines heiligsten Wesens befehle und aufrichtig verbleibe Ew. Hochw. freund- und gutwilliger Carl Leopold. Danzig, den 27. März 1726.
Hochwürdiger Herr Francke! Desselben Antwort vom 6. und 13. dieses habe wohl erhalten. Ersehe daraus, daß der Kandidat Callenberg umständlich referiert und was Ew. Hochw. desfalls führende Intention. Ich werde in allem es der Direktion des Höchsten überlassen. Wenn also Ew. Hochw. wollen von der Güte sein, mit ein paar Intimen, denen Sie sicher alles anvertrauen können, in höchster Verschwiegenheit (worum ich Ursache habe sehr zu ersuchen) wegen der Person es abgeführter Maßen zu veranstalten und auszufinden. Vor allem aber müßte es einer, worinnen Ew. Hochw. ein völliges Vertrauen setzen, und in unserem Hauptvorhaben christlich gegründeter Mann sein, welcher denn in aller Stille nebst noch einem tüchtigen Subjekte in der Theologie anhero kommen und gleich wie der Callenberg seine Adresse hier einschicken müßte, so könnte er alsdann alles vernehmen und seine conditiones machen, wozu denn die Reisekosten wieder erstattet werden sollen. Und finde ich für gut, daß bis dahin alles in statu quo verbleibe. Denn die Landesumstände mir so bekannt, daß auch die aller-unschuldigste Sache, wo sie nicht vorher wohl überlegt und präkaviert, viele Verdrießlichkeiten nach sich ziehen kann. Danzig, den 27. April 1726.
Wie ich Ew. Hochfürstl. Durchl. am 13. April geschrieben, daß in dem Punkte, einen klugen und recht christlichen ministrum zu empfehlen, ich mich zwar, weil diese Sache außer meiner Sphäre sei, nicht kapabel finde, jedoch vielleicht darin reussieren möchte, wenn E. H. D. mir die Freiheit geben wollten, mit ein paar gottseligen und mir intim bekannten Grafen davon zu konferieren, also habe ich von dem einen. da hierüber Dero gnädigste Willens-meinung vom 27. April gelesen (daß ich in höchster Verschwiegenheit mit ein paar Intimen wohl darüber konferieren möchte), gesuchet. solches mündlich zu tun indem es schriftlich. wegen vieler Umstände allzu bedenklich gewesen) sie aber nicht eher als itzo finden können, da der H. Graf Reuß Heinrich XXIV. 7 ) aus dem Voigtlande und der H. Graf Henckel 8 ) aus dem Altenburgischen, auf welche ich in meinem Schreiben gezielet, sich nun untereinander auf meine Ver-
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anlassung verglichen, zu mir anhero zu kommen. Ich habe Ihnen dann Ew. Hochfürstl. Durchl. christliches Verlangen im Vertrauen eröffnet, worauf sie sich sofort im allgemeinen erklärten, alles, was Ihnen diesfalls nur möglich sein möchte, zu Ew. Hochfürstl. Durchl. Vergnügen in aller Stille und Verschwiegenheit zu kontribuieren, auch nach ihrer nicht geringen Kenntnis von geschickten Leuten weit umher gedacht, aber auf keinen solchen Mann, zu dem man ein vollkommenes Vertrauen haben und ihn auch erlangen könnte, gekommen, als auf einen namens Cellarius, der bei ihnen als Vormündern der gräflichen Herrschaft Greiz eine Kanzleiratsstelle bis anhero noch bedient, den sie wohl Ew. Hochfürstl. Durchl. auf ein, zwei, auch wohl drei Monate überlassen wollten, so er nur nach deren Verfließung seine getreuen und ihnen nötigen und nützlichen Dienste ungehindert kontinuieren könnte. Sie versicherten mir anbei seiner ungezweifelten Gottesfurcht, guten Verstandes und gründlicher Gelehrsamkeit auch guten Übung in negotiis publicis. Sobald nun Ew. Hochfürstl. Durchl. Dero gnädigsten Willen mir hiervon würden eröffnet haben, sollte der H. Kanzleirat Cellarius sich zu E. D. begeben. Den zur Reife nötigen Vorschuß wollte ich schon tun. Und sodann hoffe ich auch ein zum Predigtamt taugliches Subjektum mitzusenden, worin sich gleichfalls die erwähnten Herren Grafen anheischig gemacht, die Hand zu bieten, ob ich zwar selbst Sorge tragen werde, daß man was Rechtschaffenes kriegte. Nur muß das Subjektum sich weder von mir, noch von Halle herschreiben, sondern von den Herren Grafen aus Jena angenommen werden, indem ich wohl weiß und in öffentlichen Schriften zur Genüge bekannt ist, wie sehr die Gemüter, sonderlich der Geistlichen in Dero Landen gegen mich und gegen Halle voreingenommen sind...Halle, den 27. Juni 1726.
Dero Antwort vom 27. des verwichenen Monats Juni habe den Posttag darauf, wie das Avertissementschreiben an den lieben Callenberg abgegangen, erhalten. Ich ersehe daraus die Mühe, so Ew. Hochw. in der bewußten Sache sich gegeben, wovor denn auch vielen Dank sage. Mein hauptsächliches Absehen ist gewesen, nachdem Dieselben durch den H. Callenberg von den Umständen völlig informiert, jemanden mir zu acquirieren, womit wegen der bewußten Umstände und Überzeugung mich nicht allein zu beraten, sondern auch wovon ich versichert wäre von Ew. Hochw., daß er in der Hauptsache wohl gegründet und Sie ein völliges Vertrauen in ihn setzten, zumal ich vermeine, gewiß zu sein des Spruchs Matth. 6, 33. Da ich aber vernehme, daß er noch anderwärts in Pflichten stehet und auf einige Monate nur Erlaubnis, habe Ew. Hochw. ersuchen wollen, mir bei der Überkunft durch einige Zeilen zu vernehmen zu geben, ob man völlig in der Hauptsache sich gegen ihn expektorieren und ob Dieselben von ihm und seiner Verschwiegenheit wie auch dessen Gefährten sich völlig versichert halten. Erwarte also versprochener Maßen die beiden sobald möglich, und werden die Reisekosten zu allem Dank wieder ersetzet werden. Die Verschwiegenheit wird ferner in Ew. Hochw. erleuchtetem Schreiben nötig sein. Nur bitte ich mir
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aus, daß die Subjekta Ihnen bekannt und Sie ein völliges Vertrauen der Hauptsache halber in sie setzen. Die beiden Herren würden mir ein Vergnügen sein, sie kennen zu lernen und ihnen hin wieder Gefälligkeiten erweisen zu können, wozu mit Gott vielleicht Gelegenheit nach diesem sich finden wird. Danzig, den 31. Juli 1726.
Dero an mich Abgelassenes vom 14. 9 ) und folglich vom 26. August ist mir wohl eingehändiget. Ich danke abermals vor die angewandte Mühewaltung vielmals. Es hat aber bis dato den erwünschten Effekt nicht haben können, indem der Magister Zimmermann 10 ) sich, bis er mit seinen Eltern und übrigen Geschäften in Richtigkeit, zu nichts engagieren wollen. Der Rat Cellarius ist seinem Versprechen nach damit einig, wenn Ew. Hochw. bei den beiden Herren es dahin vermögen, daß sie darin konsentieren. Es wird also der H. Cellarius mir das Zeugnis geben, daß nichts habe ermangeln lassen, das Werk nach Möglichkeit zu befördern. Da er aber ebenfalls unumgänglich vor nötig hält, noch vorher seine ihm obliegende Sachen in Richtigkeit zu bringen, habe ich nebst ihm vor gut befunden, daß er jetzo eher, als nachmals, wenn einige Sachen in Aktivität kommen, zu entbehren, auch desto eher seine Sachen in Richtigkeit zu bringen, als stelle Ew. Hochw. lediglich anheim, wie Sie unter göttlicher Führung die Sachen weiter dirigieren werden, wie ich denn noch nochmals die Verschwiegenheit aufs nachgründlichste will empfohlen haben. Danzig, den 7. September 1726.
Die vorgeschossenen 60 T. sind nebst den anderen Reisekosten bezahlet.
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Ew. Hochw. Bericht vom 17. dieses habe erhalten und daraus vernommen, daß die beiden Personen wohl wieder angekommen. Man muß also die göttliche Führung erwarten und gebe ich es zu Ew. Hochw. fernerer Besorgung über, auch sähe ich so viel möglich die Beschleunigung gern, welche Dieselben bei den Herren Grafen werden vorzunehmen haben, wovon zu meiner Verhaltung mir die Nachricht ausbitte. Wenn ich nur erst jemanden zu Seite, der gegründet, womit mich beraten, meine Intention und Wille ist nun einmal, wie Ew. Hochw. anfänglich berichtet, daß es treulich rneine 11 ). Der Höchste wird durch seine Gnade und Kraft es weiter führen. Es könnten auch Ew. Hochw. nachgehends öffentlicher mit den Subjektis sich herauslassen und der Name desjenigen, so bei mir, erstlich gebraucht werden, bis man sähe, wozu sie resolvierten. Danzig, den 28. September 1726.