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Unsere zuverlässigste Quelle über die Gründung der Stadt ist eine Urkunde aus dem Jahre 1228, die von den Söhnen Heinrichs von Rostock ausgestellt ist 469 ). Ihr wichtigster Teil hat folgenden Wortlaut 470 ): " ... Siquidem cum progenitorum nostrorum tocius hereditatis nostre ac pheodi nostri plena iuridicio ad nos deuenerit hereditaria successione,
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absonum et presumpcio videretur esse, si ea, que a bone memorie Hinrico patre nostro domino de Rozstok racionabiliter facta sunt, studeremus in irritum reuocare. Sciant igitur tam presentes, quam futuri temporis successores, quod nos postulacioni ciuium nostrorum de Guzstrowe grato occurrentes assensu ipsis iura Zuerinensis ciuitatis, secundum que eisdem pater noster indulserat, indulgemus ..." Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß wir es bei dieser Urkunde mit einer Bestätigung des Güstrower Stiftungsbriefes zu tun haben. Zwar wollen manche Forscher in ihr die ursprüngliche Urkunde der Stadtrechtsverleihung an Güstrow erblicken 471 ), weil "eine förmlich verfaßte Urkunde" über die Verleihung des Stadtrechts aus der Zeit vor dem Jahre 1228 "altem Gebrauch gemäß" in der Urkunde von 1228 genannt worden und auf diese Art der Charakter der Urkunde als Konfirmationsurkunde zum Ausdruck gekommen wäre. Aber eine derartige Auffassung widerspricht der Aussage und dem Inhalt der Urkunde von 1228. Denn in ihr berufen sich die Söhne Heinrichs von Rostock, die Aussteller der Urkunde von 1228, auf die Wirksamkeit ihres Vaters und erklären, daß sie den Güstrower Bürgern das Schweriner Recht verleihen, "wie es ihnen unser Vater verliehen hatte". Mit diesen Worten wird also deutlich gesagt, daß Heinrich durch die Verleihung des Schweriner Stadtrechts die Stadt Güstrow gegründet hat. Damit ergibt sich von selbst, daß wir es bei der Urkunde von 1228 nur mit einer Bestätigung der von Heinrich an Güstrow verliehenen Privilegien zu tun haben. Dazu kommt, daß der Stadt im Jahre 1228 bereits eine Feldmark gehörte. Ausdrücklich heißt es im § 26 der Stadtprivilegien, daß der Stadt der Acker verliehen wird, den sie jetzt besitzt 472 ). Danach bestand die Stadt bereits im Jahre 1228, und es wird damit auch die Aussage der Urkunde bestätigt, daß Heinrich der Gründer von Güstrow gewesen ist. Da nun Heinrich von Rostock wahrscheinlich im Jahre 1219 von seinem Vater Heinrich Borwin zum Herrn der Herrschaft Rostock erhoben
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wurde 473 ) und am 4. oder 5. Juni 1226 starb, kann die Stadt nur, wie schon Techen hervorgehoben hat 474 ), zwischen den Jahren 1219 und 1226 (den Regierungsjahren Heinrichs von Rostock) gegründet worden sein. Dieser Datierung widerstreitet auch nicht, daß Güstrow am 3. Juni 1226, als derselbe Fürst hier ein Kollegiatstift gründete, als "locus, qui Guzstrowe nominatur" bezeichnet wird 475 ). Denn dieselbe Bezeichnung findet sich auch in einer urkundlichen Erwähnung des Schweriner Domkapitels. Auch Schwerin wird als Sitz des Domstiftes mit den Worten "locus, qui Zuerin dicitur (nuncupatur)" bezeichnet 476 ), obgleich es bereits seit 1160 zur Stadt erhoben war. Danach darf also die eigentümliche Bezeichnung, die die Gründungsurkunde des Güstrower Kollegiatstiftes über Güstrow enthält, zur Entscheidung der Frage, seit wann die Stadt Güstrow besteht, nicht herangezogen werden. Wohl aber können wir aus der Stiftung eines Güstrower Domherrnkollegiums den Schluß ziehen, daß schon vor dieser Gründung eine Stadt Güstrow existierte. Denn es ist kaum anzunehmen, daß ein solches Kollegium vom Landesherrn an einem unbedeutenden Ort, also einem Dorf, sollte gegründet worden sein. Wir können die Beobachtung machen, daß im 13. Jahrhundert in Mecklenburg nur drei Domherrnstifte bestanden, das eine in Schwerin am Sitz des Bistums, das andere in Bützow, der Residenzstadt des Bischofs, die ihm gehörte, und das dritte eben in Güstrow. Die Zahl solcher Kollegien war also verhältnismäßig gering, und wir können daher annehmen, daß Güstrow, das zum Sitze eines Kollegiums ausersehen wurde, schon ein wichtiger Ort war, als das Stift eingerichtet wurde, besonders weil Güstrow anders wie Schwerin und Bützow, die in unmittelbarer Beziehung zu dem Bistum standen, nicht irgendwie besonders eng mit diesem verbunden war. So ist Güstrow wahrscheinlich vor der Stiftung des Domherrnkollegiums, vor dem 3. Juni 1226, von Heinrich von Rostock gegründet worden.
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Vor der Stadtgründung bestand auf dem rechten Ufer der Nebel gegenüber der späteren Stadt ein wendisches Dorf, das vermutlich den Namen Güstrow führte, nach der Stadtgründung aber als Alt-Güstrow bezeichnet wurde 477 ). Ob es hier auch eine wendische Burg gegeben hat, die Güstrow genannt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Lisch vermutete allerdings, daß das spätere Schloß der Herren von Werle auf einem "alten heidnischen Burgwall aufgeführt" sei, da "die ganze Lage an einem Ende einer weitgestreckten sumpfigen Wiese rings von sumpfigen Tiefen umgeben und an einer Seite doch dem festen Lande nahe auf den ersten Blick zeige, daß das Schloß eine uralte Anlage sei" 478 ). Aber für diese Behauptung sind bis heute noch keinerlei Beweise beigebracht worden. Eine große Bedeutung wird danach die Burg, wenn sie überhaupt bestanden hat, nicht gehabt haben, da uns jegliche Kunde von ihr fehlt.
Auch das wendische Dorf, das spätere Alt-Güstrow, war wohl nur eine unwichtige Ansiedlung, da eine Kirche in Güstrow erst im Zusammenhang mit der Stadtgründung entstand. Zwar haben Schmaltz und Reifferscheid behauptet, daß der Bau der Kirche im Jahre 1226 im Zusammenhang mit der Stiftung des Domkollegiums erfolgte, aber ihre Argumente sind keineswegs beweiskräftig, da in allen Urkundenstellen, die sie anführen, nie von dem Bau (structura) der Kirche geredet wird. Schmaltz behauptet z. B., daß aus dem Satz: "in loco, qui Guztrowe nominatur, conuentualem ecclesiam canonicorum ad honorem dei ... et ... Marie ... et Cecilie uirginis ordinaui" 479 ) hervorgehe, daß damit "die Errichtung einer konventualen Kirche angeordnet, auch die Heiligen, denen sie geweiht werden soll, erst bestimmt" worden seien. In diesen Worten ist aber über die Erbauung einer Kirche durchaus nichts gesagt, sondern sie bezeichnen lediglich die Stiftung einer Kirche für ein Domherrenkollegium, dem seine besonderen Heiligen bestimmt werden. Wir können denselben Vorgang und fast wörtlich die gleiche Ausdrucksweise dafür bei der Einsetzung des Bützower Domstiftes beobachten. Die betreffende Stelle der Urkunde über diese Stiftung
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lautet 480 ): "Ad laudem ... domini nostri Ihesu Christi ac intemerate virginis matris eius sanctique Johannis ewangeliste et sancte Elizabeth ... ibidem (Bützow) conuentualem ecclesiam canonicorum instituimus ..." Bei Bützow läßt sich nun aber nachweisen, daß mit dem Ausdruck "ecclesiam canonicorum instituimus" nicht der Beschluß zur Erbauung einer konventualen Kirche gemeint sein kann. Denn der Zeitpunkt, in dem der Bau der Domkirche begonnen wurde, liegt bereits mehrere Jahre vor der Stiftung des Domkollegiums 481 ). Es bezeichnen also obige Worte nur die Übernahme einer bereits bestehenden Kirche durch das neu gegründete Kollegiatstift als Domkirche. Danach kann die von Schmaltz zitierte Stelle über die Stiftung des Güstrower Doms für die Baugeschichte dieser Kirche nicht als beweiskräftig herangezogen werden. Aber auch die Argumente, die Reifferscheid für dieselbe Ansicht, daß eine "völlige Neugründung der Kirche im Jahre 1226" erfolgte, anführt, sind keineswegs über allem Zweifel erhaben 482 ). Denn die Stellen, die er zum Beweis seiner Behauptung aus den Urkunden anführt, zeigen lediglich, daß Heinrich von Rostock der Begründer des Domkollegiums und seiner Kirche gewesen ist, eine Tatsache, die nach der Urkunde vom 3 Juni 1226 ja auch keiner bezweifeln wird; aber es bleibt auch nach den von Reifferscheid zitierten Stellen eine offene Frage, ob das Gebäude des Güstrower Doms erst seit der Stiftung des Domkollegiums, seit dem 3. Juni 1226, errichtet wurde. Es läßt sich daher urkundlich nicht nachweisen, daß der Bau des Güstrower Doms zugleich mit der Stiftung des Domkollegiums erfolgte. Es besteht auch die Möglichkeit, daß die Kirche des Güstrower Domkollegiums bereits vor der Gründung dieser Korporation in ihren ersten Anfängen bestand.
Die Gründung der Stadt erfolgte durch den Landesherrn, der an Güstrow das Schweriner Stadtrecht verlieh 483 ). Die technische Anlage der Stadt und die Herbeiführung der Ansiedler besorgten anscheinend Lokatoren, aus denen der Rat
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gebildet wurde und denen zur Entschädigung für ihre Mühe Rechte zugestanden wurden, die im ursprünglichen Schweriner Stadtrecht der Gesamtheit der Bürgerschaft bzw. dem magister civium zukamen.
Eine Untersuchung über das Schweriner Stadtrecht, wie es vor dem 4. oder 5. Juni 1226, dem Todestage des Fürsten Heinrich von Rostock, an Güstrow verliehen wurde und uns aus einer Urkunde vom 1. November 1228, in der die vier Söhne Heinrichs von Rostock dieses Stadtrecht bestätigten, bekannt ist 484 ), soll die eben geäußerte Annahme beweisen.
Das Recht, das der Stadt Schwerin bei ihrer Gründung durch Heinrich den Löwen im Jahre 1160 oder einige Jahre später verliehen wurde, ist uns nicht mehr erhalten. Zwar behauptet das Schwerin-Güstrower Stadtrecht mit den Worten: "Sunt autem hec iura ciuitatis Zverin", daß seine Bestimmungen das Recht der Stadt Schwerin darstellten, aber mit diesen Worten wird ja keineswegs behauptet, daß das Schweriner Recht in der an Güstrow verliehenen Fassung das in Schwerin am frühesten gebrauchte ursprüngliche Recht gewesen ist. Vielmehr ist im Schwerin-Güstrower Stadtrecht, wie schon von anderen betont ist 485 ), nicht die ursprüngliche Fassung des Schweriner Stadtrechts erhalten. Wir werden zu beweisen versuchen, daß wesentliche Bestimmungen des Schwerin-Güstrower Stadtrechts über die Ratsverfassung erst bei der Stadtgründung von Güstrow infolge der Beteiligung von Lokatoren an ihr in das Schwerin-Güstrower Stadtrecht aufgenommen wurden. Damit wäre dann zugleich auch der Beweis dafür erbracht, daß Güstrow unter Beteiligung von Lokatoren gegründet wurde.
Eine Betrachtung der Paragraphen des Schwerin-Güstrower Rechtes, die von den consules und dem magister civium handeln, soll die Grundlage für die folgenden Ausführungen bilden. Diese Paragraphen haben folgenden Wortlaut: "§ 11. Omnis solidus pacis consulibus deputatur; § 12. Si decreuerint consules super officia ciuitatis magistrum ciuium ordinare et excedant subditi, due partes consulibus, tercia potestati, nil magistro ciuium deputetur; § 13. Ciuium est eligere magistrum talem." Es fragt sich, welche Bedeutung und welche Stellung auf Grund dieser Be-
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stimmungen dem magister civium und dem Stadtrat zukommen. Die Würde eines Bürgermeisters (proconsul) als Präsident des Ratskollegiums kann der magister civium nicht bekleidet haben, da uns ein Bürgermeister in diesem Sinne erst im 14. Jahrhundert in Güstrvw unter dem Titel eines proconsul bekannt wird 486 ) und außerdem die rechtliche Stellung des proconsul eine andere wie die des magister civium war. Denn während der spätere Bürgermeister vom Rat als dessen präsidierendes Mitglied gewählt wird, ist der magister civium des Schwerin-Güstrower Rechts der Erwählte der ganzen Gemeinde. Als die Aufgabe des magister civium wird die Aufsicht über die Ämter bzw. Innungen der Stadt (officia civitatis) bezeichnet 487 ). Als Konkurrent des magister civium erscheint im Schwerin-Güstrower Recht der Stadtrat. Von seiner Genehmigung ist es abhängig, ob ein magister civium von der Stadtgemeinde über die Innungen gesetzt werden soll. Der Stadtrat bildet so in dem Schwerin-Güstrower Recht die dem magister civium übergeordnete Instanz, von der über die Existenz eines magister civium überhaupt erst entschieden wird. Auf Grund dieser Bestimmung konnte die Tätigkeit des magister civium vom Stadtrat vollkommen außer Kraft gesetzt und so zugleich der Einfluß der Gesamtbürgerschaft, als deren Organ ja der Magister erscheint, in der Verwaltung der Stadt zur Bedeutungslosigkeit verurteilt werden.
Diese eigentümlichen rechtlichen Beziehungen zwischen dem Rat und magister civium im Schwerin-Güstrower Recht legen die Frage nahe, ob das Verhältnis dieser beiden Institutionen zu einander schon früher in der Weise geregelt war, wie es uns aus der Urkunde von 1228 entgegentritt. Anscheinend ist dies nicht der Fall gewesen, sondern der magister civium hatte vor dem Jahre 1228 gegenüber dem Stadtrat eine selbständige Stellung inne. Dafür spricht zunächst der Inhalt der
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Bestimmungen über den Stadtrat und den magister civium im Schwerin-Güstrower Recht. Denn der § 12, der das Genehmigungsrecht des Rats zur Einsetzung eines magister civium enthält, glaubt mit der Möglichkeit rechnen zu müssen, daß die Bürger sich gegen dies Recht empören, und setzt für diesen Fall Strafen fest, von denen dem magister civium bezeichnenderweise nichts zukommt, da der § 12 ja die Bußen für ein Vergehen gegen ein Ratsprivileg festsetzt, die naturgemäß nur den Inhabern dieses Privilegs, den Ratmännern zufallen können 488 ). Wäre dies Recht des Rates dem sonst als Schweriner bekannten Recht nicht widersprechend gewesen, hätte man die Möglichkeit einer Empörung dagegen wohl kaum vorgesehen und die Strafbestimmungen würden nicht erfolgt sein. Anscheinend handelt es sich bei diesem Recht des Rates um eine Festsetzung, die den Einfluß des Magister und damit der Gesamtgemeinde zurückdrängen sollte. Wenn man diese Bestimmung mit anderen dem Schweriner Recht nahestehenden Stadtrechten vergleicht, läßt sich deutlich erkennen, daß das Amt des magister civium eine dem Stadtrat gegenüber selbständige Institution gewesen ist und der letztere zum Teil in die Funktionen des ersteren eingetreten ist. Das Schweriner Recht hat, abgesehen von dem lübischen, besonders starke Berührungspunkte mit dem braunschweigischen Hagenrecht. Dieses Stadtrecht, das in seiner uns überlieferten Form im Jahre 1226 abgeschlossen und besiegelt wurde, geht ebenso wie das Schweriner in seinem Kern auf einen Rechtsbrief Heinrichs des Löwen zurück, den dieser um 1150 dem neu angelegten sog. Braunschweiger Hagen verliehen hat 489 ). Die Paragraphen aus dem Hagenrecht, die zur Erklärung der Entwicklung der Schwerin-Güstrower Stadtverfassung herangezogen werden müssen, haben folgenden Wortlaut: "§ 4. Item burgenses aduocatum unum de suis conciuibus eligant; et quicquidille per iudicia conquisierit, eius tercia pars curie presentabitur, dve partes ad usus et necessitates ciuitatis con-
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uertantur; § 14. Item burgenses suos consules habeant, sicut habere consueuerunt, quorum consilio ciuitas regatur". In Braunschweig besteht danach ebenso wie in Schwerin ein Recht der Gemeinde, sich selbst einen Beamten zu wählen. Er führt zwar nicht den Titel eines magister civium, wie in Schwerin, sondern den eines advocatus, er ist jedoch als Gemeindebeamter in der Urkunde von dem herzoglichen Vogt dadurch deutlich unterschieden, daß dieser mit dem Worte iudex bezeichnet wird. Nach der Braunschweiger Urkunde hat der Gemeindebeamte richterliche Befugnisse. Frensdorff meint, daß es sich dabei um eine Gerichtsbarkeit handelte, "wie sie der Bauermeister des Sachsenspiegels übte, "over unrechte mate und unrechte wage, over valschen kop" und kleinen Diebstahl" 490 ). Es besteht danach zwischen dem Amt des Schweriner magister civium und dem Braunschweiger advocatus eine starke Verwandtschaft. Nur darin, daß im Braunschweiger Hagenrecht im Unterschied vom Schweriner Recht eine Abhängigkeit des Beamten der Gesamtgemeinde vom Stadtrat nicht vorhanden ist, beruht der grundlegende Unterschied zwischen der Institution in beiden Städten. Es ergibt sich nun aus der Urkunde des Braunschweiger Hagenrechts, daß die selbständige Stellung des advocatus gegenüber dem Rat in diesem Recht immer bestanden hat; denn der Stadtrat scheint in Braunschweig überhaupt erst eine jüngere Institution gewesen zu sein, deren Ursprung noch nicht in dem Rechtsbrief Heinrichs des Löwen zu suchen ist 491 ). Jedenfalls beweisen die Worte "sicut habere consueuerunt" , die die Tätigkeit des Rates erläutern sollen, zur Genüge, daß "eine allmähliche Entwicklung der Ratsverfassung in Braunschweig" stattgefunden hat 492 ), und deshalb kann der § 14 des Braunschweiger Rechtes in der uns bekannten Fassung erst aus dem Jahre 1226 stammen, als Herzog Otto das Kind das Hagenrecht bestätigte. Während sich also in Braunschweig die Ratsverfassung als das Produkt einer allmählichen Entwicklung des Braunschweiger Hagenrechts erweist, ist uns die Institution
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eines von der Gesamtbürgerschaft gewählten Beamten im Braunschweiger Hagenrecht schon für das Jahr 1196 urkundlich bezeugt 493 ). Denn in einer Hildesheimer Urkunde aus diesem Jahre finden sich folgende Bestimmungen, die für eine Ansiedlung von Flandern getroffen werden: "Idem advocatus semel tantum in anno presidebit iuditio, nisi aliud elegerint, et secundarium advocatum eis non constituet, sed magistrum civilem habebunt, quem elegerint ... In hiis et aliis, que longum est enumerare, ius aliorum Flandrensium, qui morantur Brunswi[c] vel circa Albim, prorsus sequi decreverunt advocati accedente consensu" 494 ). Es ist danach wahrscheinlich, daß das Recht der Gesamtbürgerschaft auf Wahl eines Beamten schon von Heinrich dem Löwen den Ansiedlern des Braunschweiger Hagens verliehen wurde, die diese Einrichtung der Landgemeinde, wie aus der Hildesheimer Urkunde hervorgeht, aus ihrer Heimat Flandern kannten, während die Bestimmungen über den Rat in dem von Heinrich dem Löwen erteilten Rechtsbrief in der uns aus dem Jahre 1226 bekannten Form noch nicht vorhanden gewesen sein kann. Jedenfalls war in Braunschweig der advocatus noch im Jahre 1226 völlig unabhängig vom Stadtrat. Weil nun auch das Schweriner ebenso wie das Braunschweiger Hagenrecht auf Heinrich den Löwen zurückgeht, so ergibt sich auch mit einiger Wahrscheinlichkeit für das Schweriner Recht, was wir für das Braunschweiger urkundlich nachweisen können, daß der. magister civium als Beamter der Gesamtbürgerschaft einstmals unabhängig vom Willen des Rats gewesen ist.
Nach dieser Feststellung, daß der magister civium zunächst selbständig dem Stadtrat gegenüber gestanden hat, bleibt die Frage zu beantworten, wie und bei welcher Gelegenheit sich das Verhältnis zwischen beiden Institutionen zu ungunsten des magister civium verschoben hat.
Es erscheint auffällig, daß nur im Schwerin-Güstrower Recht der Rat das Vorrecht hatte, den Friedensschilling einzunehmen und den magister civium einzusetzen, der die Aufsicht über die Innungen übte, während in Lübeck und Braunschweig
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der Rat diese Privilegien zur selben Zeit anscheinend noch nicht besitzt. Im Braunschweiger Hagenrecht heißt es von den Ratmännern lediglich, daß nach ihrem Rat die Stadt regiert werden solle, und auch der advocatus hat seine Stellung noch insofern bewahrt, als seine Einsetzung nicht vom Rat abhängig ist. Ferner findet sich im Barbarossa-Privileg Lübecks keine von diesen Schweriner Ratsbestimmungen wieder 495 ). Es ist auffällig, daß der Friedensschilling in Lübeck nicht dem Rat, sondern zur Hälfte den Bürgern (civibus) und zur Hälfte dem Vogt (iudici) zufällt 496 ). Wir sehen also, daß sowohl im Braunschweiger Hagen wie auch in Lübeck die Rechte der Gesamtbürgerschaft sich dauernder erhalten haben als in Güstrow, das Schweriner Recht erhielt. Angesichts dieser Tatsache, daß in den Lübecker und Braunschweiger Rechtsbestimmungen, die dem Schweriner Recht nach ihrer gleichen Herkunft und Stiftung durch Heinrich den Löwen eigentlich am ähnlichsten sein sollten, die Schweriner Ratsbefugnisse fehlen, bemerkt man mit einiger Überraschung, daß dieselben Rechte im Parchimer Lokationsvertrag den Lokatoren Parchims zugebilligt werden 497 ). Der betreffende Paragraph der Parchimer Urkunde hat folgenden Wortlaut: "§ 2. Huius" eciam ciuitatis cultoribus 498 ) dedimus omnem prouentum., qui vulgo sonat inninge, et solidum vriedescillinc, et ad emeudacionem et structuram ciuitatis." Um den Bau der Stadt zu betreiben, erhalten danach die Parchimer cultores den Friedensschilling und die Einkunft von den Innungen 499 ). In Güstrow sind es die consules, die den Friedensschilling (solidum pacis) erhalten. Außerdem haben diese sich ein Mitbestimmungsrecht in den Innungen in der Weise gesichert, daß sie sich das Einsetzungsrecht eines magister civium, der in den Innungen die Aufsicht führt, vorbehalten. Dieser Kompromiß im Schwerin-Güstrower Recht war offenbar dadurch nötig geworden, daß im ursprünglichen Schweriner Recht das Aufsichtsrecht über die Innungen dem magister civium allein
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zustand, während bei der Abfassung des Parchimer Lokationsvertrages auf ein bestehendes Recht keinerlei Rücksicht genommen zu werden brauchte 500 ). Abgesehen von dieser Verschiedenheit in der Form stimmen die Privilegien, die einerseits den Parchimer cultores, anderersets den Güstrower consules verliehen werden, vollkommen mit einander überein. Der Schluß liegt nahe, daß, wie in Parchim der Friedensschilling und das Recht an den Innungen den Lokatoren zugebilligt wurden, die dann auch, wie wir früher nachzuweisen versuchten, zu Ratmännern eingesetzt wurden, so auch in Güstrow dieselben Vorrechte den Ratmännern auf Grund ihrer Lokatorentätigkeit bei der Gründung Güstrows verliehen wurden. Da in Güstrow alle Ratmänner an der Lokatorenentschädigung beteiligt werden, so ist anzunehmen, daß auch alle als Lokatoren bei der Gründung Güstrows mitwirkten, und es ergibt sich, daß das Güstrower Ratskollegium wahrscheinlich aus einem Unternehmerkonsortium gebildet wurde 501 ). Vielleicht sind uns die Namen dieser ersten Güstrower Ratsherren in der Zeugenreihe der Bestätigungsurkunde des Schwerin-Güstrower Stadtrechts vom Jahre 1228 erhalten, wo uns sechs Namen Güstrower Bürger genannt werden: Bruno, Hinricus Advocatus, Johannes Cocus, Arnoldus Sagittarius, Fre., Daniel Institor, ciues in Guzstrowe. Bedenkt man ferner, daß die Parchimer, wie auch die Güstrower Urkunde von demselben Fürsten Heinrich von Rostock ausgestellt wurde, so erklärt sich die inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Parchimer und Güstrower Urkunde sehr natürlich, ja es wäre sogar merkwürdig, wenn sie nicht bestände, und es wird auf diese Weise wahrscheinlich, daß die Schwerin-Güstrower Ratsverfassung in der Form, wie sie uns überliefert ist, unter dem Einfluß von Lokatoren, denen die Anlage Güstrows übertragen war, entstanden ist.
Nur die Anlage von Güstrow durch Lokatoren, die für sich eine Entschädigung auf Kosten der Institution des magister
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civium verlangten, konnte eine solche Veränderung des Schweriner Rechts zu ungunsten des magister civium herbeiführen. Aus einer bloßen "allmählichen Entwicklung der Ratsverfassung" läßt sich eine derartige Neugestaltung und Umgruppierung der Kräfte, wie sie das Schwerin-Güstrower Stadtrecht zum Ausdruck bringt, nicht erklären. "In dem Augenblick, in dem Güstrow mit ihm bewidmet wurde," wird das Schweriner Recht auf den "Grad der Ausbildung" gebracht, in dem es uns aus der Güstrower Urkunde bekannt ist 502 ).
Die Gründung Güstrows erfolgte aus wirtschaftlichen Interessen. Scheinbar spielten Rücksichten auf den Handelsverkehr bei der Auswahl des Platzes eine erhebliche Rolle. Denn anders wäre es wohl kaum zu erklären, daß die älteste Stadt der Herrschaft Werle nicht bei der Burg Werle, die in der Wendenzeit der Mittelpunkt dieses Landes war, sondern in einer größeren Entfernung von ihr bei dem in der Wendenzeit unbedeutenden Ort Güstrow gegründet wurde. Güstrow hatte eine für den Verkehr bei weitem günstigere Lage wie Werle. Denn Güstrow liegt im Tal der Nebel an einer Stelle, von wo natürliche Straßen nach allen Seiten ausgehen. So wird wohl der geübte Blick der kaufmännischen Unternehmer die Gunst der Lage dieses Platzes erkannt haben. Denn um eine Kaufmannssiedlung scheint es sich bei der ersten Anlage in der Tat gehandelt zu haben. Von den sechs Bürgern, die im Jahre 1228 als Zeugen der Güstrower Bestätigungsurkunde aufgeführt werden, ist einer nach seinem Gewerbe (Krämer) genannt 503 ). Ferner kann man auch aus einer landesherrlichen Bestimmung vom Jahre 1248 504 ), daß der Marktplatz nur mit Zustimmung der consules von seiner bisherigen Stelle verlegt werden könne, erkennen, wie sehr die consules am Marktleben interessiert waren, so daß sie eine Verlegung des Platzes ausschließlich von ihrer Genehmigung abhängig machten. Es kommt hinzu, daß auch der Landesherr seine tätige Mithilfe zur Förderung der Stadt nicht versagte, wie es aus der Gründung eines Domherrnstiftes im Jahre 1226 durch landesherrliche Mittel zu erkennen ist. Durch diese Stiftung des Landesherrn sollte anscheinend der örtliche Verbraucherkreis des Güstrower
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Marktes erweitert werden 505 ). Auch scheint eine Burg seit der Gründung der Stadt in Güstrow bestanden zu haben. Ihre Besatzung wird uns bei der Stiftung des Domkollegiums im Jahre 1226 zuerst genannt 506 ).
Eine andere Frage ist die nach der Herkunft der Bevölkerung der Stadt. Anscheinend bestand das Unternehmerkonsortium aus deutschen Männern; denn die Namen der sechs Bürger, die uns im Jahre 1228 genannt werden, gehören der deutschen Sprache an 507 ). Auch die neun Ratmänner, die uns im Jahre 1248 bezeugt werden, sind vermutlich deutscher Herkunft 508 ). Es führt wenigstens keiner von diesen einen slawischen Namen. Danach gewinnt man den Eindruck, daß die ersten Güstrower Bürger deutscher Abstammung gewesen sind. Daß die ersten Güstrower Ansiedler, wie aus der Verleihung des Schweriner Rechts sich zu ergeben scheint, aus Schwerin gekommen bzw. durch Vermittlung Schweriner Bürger herangezogen sind, erscheint als sehr wohl möglich, besonders weil Schwerin ja auch in der ersten Zeit seines Bestehens eine ausgesprochene Handelsstadt gewesen ist. Bedenkt man auch, daß Parchim von Heinrich von Rostock in gleicher Weise wie Güstrow durch Lokatoren, die auch dieselben Vorrechte wie die Güstrower erhielten, gegründet ist, aber Parchim nicht das Schweriner Recht wie Güstrow empfing, so liegt es nahe, diese Abhängigkeit Güstrows von Schwerin sich in persönlichen Beziehungen der Lokatoren zu Schwerin begründet zu denken.
Neben der von Heinrich von Rostock gegründeten Stadt entstand vor dem Jahre 1248 eine neue. Man hatte jedoch mit der Anlage dieser Neustadt die Gunst der Lage Güstrows und die Entwicklungsmöglichkeiten an dieser Stelle überschätzt, denn im Jahre 1248 wird den Bürgern der Altstadt gestattet, diese neue Stadt wieder abzubrechen und dafür lieber erst die Altstadt mit ansehnlichen Gebäuden auszubauen 509 ). Anscheinend wurde vor dem Abbruch der Neustadt ein Kompromiß zwischen den Bürgern der Alt- und Neustadt abgeschlossen, dessen einzelne Bestimmungen uns urkundlich nicht erhalten sind,
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dessen Vorhandensein wir aber daraus erschließen können, daß noch im 14. Jahrhundert der Güstrower Rat als der Rat der alten und neuen Stadt bezeichnet wird 510 ). Danach haben sich die beiden Ratskollegien beim Abbruch der Neustadt zu einer Körperschaft vereinigt. An welcher Stelle diese Neustadt neben der Altstadt 511 ) gelegen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls hat die Altstadt sich immer auf dem linken Ufer der Nebel befunden. Wenn Lisch meint 512 ), daß die Altstadt auf dem rechten Ufer der Nebel gelegen habe und heute vom Erdboden verschwunden sei, so verwechselt er dabei "Alt-Güstrow" (Wendisch-Güstrow) mit der "alten Stadt Güstrow" 513 ), deren Pfarrkirche, die Kirche der "alten Stadt Güstrow", auch die "Marktkirche" genannt 514 ), noch heute mitten in der Stadt liegt. Auch die Möglichkeit, daß etwa die "Neustadt" in dem heute von uns als Altstadt von Güstrow bezeichneten Stadtteil mitenthalten sein sollte, ist nicht anzunehmen, weil der Plan. dieser Altstadt von Güstrow einen so geschlossenen Eindruck macht, daß man ihn als den ursprünglichen Grundriß der Altstadt Güstrow ansprechen muß. Der Plan ist der einer Stadt aus frischer Wurzel 515 ). Ein großer rechteckiger, fast quadratischer Marktplatz liegt beherrschend im Zentrum der kreisförmig angelegten Stadt. Von seinen vier Ecken führen rechtwinklig die Straßen nach allen Seiten hin. Neben unseren urkundlichen Zeugnissen bildet also auch der Stadtplan der Altstadt Güstrow ein lebendiges Zeugnis für die Vorgänge bei der Gründung, als gegenüber dem slawischen Dorf deutsche Unternehmer die Anlage einer Stadt begannen.