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Dr. phil. Alfred Rütz, Rostock.
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1850 machte der Freienwalder Schiedsspruch der Revolution in Mecklenburg ein Ende. Die altständische Verfassung trat aufs neue in Wirksamkeit, der ständische Landtag nahm seine Tätigkeit wieder auf. Damit war dem ganzen inneren Leben Mecklenburgs eine Signatur aufgeprägt, die es scharf von den andern Staaten des deutschen Bundes unterschied. Die liberalen und nationalen Kreise der Bevölkerung waren in ihrer großen Mehrzahl von jedem Einfluß auf die Politik ihres Landes ausgeschlossen, sie hatten nicht einmal ein verfassungsmäßiges Organ, um ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen. Der ständische Landtag auf der andern Seite, die Vertretung von Landschaft und Ritterschaft, blieb mit seinen Verhandlungen völlig in dem Interessenkreise, der ihm seit Jahrhunderten als Ständetag vorgezeichnet war: es waren Geld- und Steuerfragen aus dem Gebiet der inneren Politik. Die großen gesamtdeutschen politischen Probleme der Zeit hatten als solche, so lange nicht ständische Angelegenheiten in irgendeiner Weise berührt wurden, nichts vor seinem Forum zu suchen. So hat keins der nationalen Ereignisse der Reichsgründungszeit bis 1866 hin einen Niederschlag in den Verhandlungen des mecklenburgischen Landtags gefunden.
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In ihrer Haltung den verschiedenen Bestrebungen zur Einigung Deutschlands gegenüber konnten die mecklenburgischen Regierungen daher sehr selbständig sein: sie wurden durch kein Parlament irgendwie getrieben oder gehemmt. Die ganze deutsche Politik Mecklenburgs von der Neubegründung bis zum Zerfall des alten Bundes war also in ausgeprägtem Maße Herrscher- und Kabinettspolitik. Es waren wenige Männer - die Großherzöge und die leitenden Staatsmänner -, die, nur ihrer Überzeugung folgend, die Stellung Mecklenburgs zur deutschen Frage bestimmten. Somit ist es eine der wichtigsten Aufgaben einer Darstellung der mecklenburgischen Bundespolitik dieser Jahre, die geistige Eigenart der politischen Führer Mecklenburgs möglichst klar herauszuarbeiten.
Führend und richtungweisend 2 ) steht da am Eingang der Epoche die Gestalt Jaspers von Oertzen, der von 1851/58 Bundestagsgesandter, von 1858-1868 Ministerpräsident in Mecklenburg-Schwerin war. Mit seiner ganzen Lebens- und Weltanschauung wurzelte er in der Vergangenheit, er verkörperte in seiner Person die Ideen des doktrinären Legitimismus. Eigenpersönliche ererbte Anlage ward in ihm durch mannigfache Umwelts- und Bildungseinflüsse gefördert, gekräftigt und befestigt. So ward aus dem 1801 geborenen Sproß der alten mecklenburgischen Familie von Oertzen, die Treitschke als ein obotritisches Geheimratsgeschlecht bezeichnet 3 ), der knorrige mecklenburgische Ritter altständischer Art und Lebensführung. Seine politischen Auffassungen wurden während seiner Universitätsjahre vor allem von dem Gedankenkreis der Romantik her beeinflußt. Es waren die Ideen Eichhorns und Savignys, die seinen ererbten Sinn für Recht und Gesetz, seine Verehrung für das geschichtlich Gewordene stärkten und festigten. Maßgebender noch war die Einwirkung, die von Karl Ludwig von Hallers "Restauration der Staatswissenschaften" auf Oertzen ausging. Sie lief ja auch mit den aus dem Elternhaus mitgebrachten Gedanken parallel und stärkte sie daher ganz wesentlich. Und sicher liegt es an dem großen Eindruck, den Hallers System auf den Jüngling machte, daß sich kaum eine Beeinflussung durch die nationalen Ideen der Romantik bei ihm aufweisen läßt. Der in den engen Verhältnissen des Berner Patrizierstaates wurzelnde Haller konnte sich nicht von dem Blick auf die ständische Schichtung der Gesellschaft losmachen. Da er den Staat in eine Reihe einander übergeordneter Machtsphären
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auflöste, so blieb für die Erkenntnis der Notwendigkeit einer einheitlichen nationalen Politik bei ihm kein Raum. "Er haßte das Wort allgemein und sprach mit Verachtung von den 'sogenannten Staatszwecken' ", so sagt Friedrich Meinecke 4 ). In Einzelheiten hat sich Oertzen später gegen Haller gestellt 5 ), die grundsätzliche Beeinflussung durch die Gedanken des Theoretikers der Restauration war aber sicher auch noch in dem späteren Staatsmann wirksam.
In den zwanziger Jahren des Jahrhunderts hat sich seine politische Weltanschauung geformt. Sie verband sich aufs engste mit seiner religiösen. Er war zum einfachen, schlichtgläubigen Luthertum zurückgekehrt und hatte darin die starken Wurzeln eines tiefen Pflichtbewußtseins und sittlicher Kraft gefunden. Sein religiöser Glaube ließ ihn das geschichtlich Gewordene als heilig und unverletzlich ansehen, weil Gott es so hatte werden lassen. Das Festhalten am Bestehenden war ihm also nicht nur eine politische Notwendigkeit, sondern eine religiös-sittliche Pflicht, die Forderungen der deutschen Revolution aber nicht nur eine Torheit, sondern eine Sünde.
Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Justizrat in Güstrow und Rostock übernahm Oertzen 1839 das Gut Leppin in Mecklenburg-Strelitz. Jetzt hatte er Gelegenheit, als Mitglied der Ritterschaft eine Rolle auf den Landtagen zu spielen. Als entschiedener Vorkämpfer der Rechte "des eingeborenen und rezipierten Adels" zeigte er sich in den ständischen Kämpfen der vierziger Jahre 6 ),
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natürliches Klassenbewußtsein mit ideellen Gedankengängen verbindend. Er war jetzt eine in sich geschlossene, klare, einheitliche Persönlichkeit. Schlichte Frömmigkeit, Ernst, Strenge gegen sich selbst, hohes Pflichtgefühl und Rechtsbewußtsein zeichneten diesen im tiefsten Grunde konservativen Mann aus. Das waren Vorzüge, neben denen natürlich auch nicht die Schattenseiten einer solchen Natur fehlten: Mangel an Beweglichkeit und Weite des Blicks, Starrsinn und instinktive Scheu vor dem Neuen. Die gärenden Probleme der Zeit rührten nicht an seine Seele: er hatte den festen Pol seiner Anschauungen gefunden, Über den engen Kreis des Bestehenden, in den seine Ideale eingeschlossen waren, gab es kein Hinausschreiten für ihn. Die neuen umstürzlerischen Ideen der Zeit waren ihm Frevel und Verbrechen. Mit rückgewandtem Antlitz schaute Oertzen, in allem ein starrer Doktrinär, auf die Vergangenheit zurück und suchte ihre Güter der vorwärtsstürmenden Gegenwart zu erhalten.
Das Jahr 1848 brach herein. Es beraubte ihn aller der politischen Rechte, die er bisher besessen hatte. Doch bald raffte er sich, wie alle Konservativen damals, wieder auf und trat mit unerschütterlicher Zähigkeit für die Zurückführung der alten Zustände ein. In dieser Zeit knüpften sich seine engen Beziehungen zum Strelitzer Fürstenhause. Großherzog Georg, der alte patriarchalische Herr seines Landes, gleichfalls ganz im Banne legitimistischer Anschauungen stehend, erschien bald als der Führer der Reaktion in Mecklenburg. Sein Vertrauen berief Oertzen zum Bevollmächtigten von Strelitz im Verwaltungsrat der Union 1849. In dieser Stellung hat er sich bemüht, das Fortbestehen der Union planmäßig zu sabotieren, soweit ihm das als dem Vertreter eines so kleinen Landes möglich war. Er war eben, wie es scheint, auch von den nationalen Ideen der Revolutionsjahre in keiner positiven Weise beeinflußt - sie waren ja auch mit dem Umsturz verbunden. In engster Verbindung stand er dagegen mit den Kreisen der Gerlachs, der Männer der Kamarilla 7 ). Auch zu Bismarck trat er damals in Beziehungen.
Seine sehnlichsten Wünsche gingen schließlich in Erfüllung. Alle Versuche, Neues auf nationalem und liberalem Gebiet zu schaffen, scheiterten, zuletzt noch die Dresdener Konferenzen 1850/51, an denen Oertzen als Vertreter von Strelitz teilnahm, nachdem er schon im Herbst 1850 am "Rumpfbundestag" in Frankfurt gewirkt hatte. Jetzt 1851 wurde der Bundestag allseitig wieder anerkannt und von allen Staaten beschickt, auch von Schwerin, das bis dahin an der preußischen Union festge-
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halten hatte. Jasper von Oertzen wurde zum Bundestagsgesandten beider Mecklenburg ernannt. Die Anschauungen, in denen er aufging, die ihm zum innersten Lebensgut geworden waren, waren jetzt wieder die herrschenden in Deutschland. So konnte er mit innerer Freudigkeit seine Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst der deutschen Politik Mecklenburgs stellen. Sie lenkte er mit ständig wachsendem Einfluß, bis der österreichisch-preußische Konflikt in den sechziger Jahren sein Land zu neuen schweren Entscheidungen zwang. Hier konnte der altgewordene Minister aus seinem engen Gesichtskreis und von seiner gebundenen Weltanschauung aus nicht mehr folgen. Der Führer in den neuen deutschen Staat hinüber ward Großherzog Friedrich Franz II. Die Wurzeln von Oertzens Kraft, sie lagen in der alten Zeit; und der Aufrechterhaltung des Alten, der christlich-konservativen Ideen hat er die Arbeitskraft seiner Mannesjahre, seiner tiefsittlichen, pflichtbewußten Persönlichkeit gewidmet. Ein Staatsmann großen Formates aber, der auch das Neue zu meistern wußte, war er nicht, da lagen seine Schranken.
In seinen konkreten politischen Anschauungen neigte er zu Beginn seiner Tätigkeit am Bundestag sehr stark zu Österreich hin 8 ). Der Grund lag nicht so sehr in einer Vorliebe für Österreich als solches, sondern darin, daß der Kaiserstaat 1850 die am meisten konservative und legitimistische Politik eingeschlagen hatte. Nur bei Durchführung der österreichischen Anschauungen über Wesen und Art des Bundes schien die Aufrechterhaltung der vollen Selbständigkeit der Mittel- und Kleinstaaten möglich zu sein. Preußen dagegen hatte in seinen Unionsbestrebungen verdächtig mit gewissen nationalen Ideen der Revolution geliebäugelt und seine Machtstellung den norddeutschen Nachbarn gar zu eindringlich zum Bewußtsein gebracht. Ein Bündnis der Staaten Deutschlands gegen die Revolution, mochte sie nun national oder liberal auftreten, war nach Oertzens Ansicht der Zweck des Bundes. Nur defensive Wirksamkeit gegen die revolutionären Ideen, nicht so sehr positiv weiterführende Tätigkeit erwünschte er von ihm. Dieser eine Gesichtspunkt des doktrinären Legitimismus hat seine ganze Politik bis zuletzt beherrscht. Es war die Staatskunst der Heiligen Allianz, die er vertrat. Einsicht in entgegenstehende reale Machtverhältnisse konnte ihn wohl zum Nachgeben für den Augenblick, niemals zum Abweichen von seinen Grundanschauungen bringen.
Aus seinem Ziele heraus, das Bestehende zu erhalten, wünschte Oertzen Festigung der Macht und des Ansehens des Bundestags.
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Dazu mußte auf jeden Fall der österreichisch-preußische Dualismus von Bestand bleiben. Am besten war es, wenn beide Großmächte gütlich miteinander auskamen und sich friedlich über alle strittigen Punkte einigten. Denn errang eine von ihnen die Vormachtstellung in Deutschland, so brach automatisch der Bundestag zusammen, die ganze bunte Vielgestaltigkeit deutschen Staatslebens - nach konservativer Auffassung eine der schönsten Blüten deutscher Nation - ging zu Ende. Die Selbständigkeit des eignen Kleinstaates war dann aufs höchste gefährdet, Oertzen wünschte sogar, eine österreichisch-preußische Dyarchie rechtlich festzulegen und ihr in einer Gleichstellung Österreichs mit Preußen im Bundesvorsitz 9 ) verfassungsrechtlichen Ausdruck zu geben. Nur so schien es möglich zu sein, die Gedanken der Heiligen Allianz verwirklichen, den Umsturz durchgreifend bekämpfen zu können.
Fast acht Jahre lang hat Oertzen in diesem Sinne am Bundestage gewirkt. Die Regierungen in Schwerin und Neustrelitz, im wesentlichen einig mit ihm in ihrer ganzen politischen Auffassung, sind seinen Vorschlägen und Anregungen gefolgt, politische Fragen großen Stils standen in dieser Zeit in Frankfurt meist nicht zur Erörterung. In umständlichem Geschäftsgang wurden die Fragen der Tagespolitik mit großer, oft ermüdender Gründlichkeit erörtert. Nur einer allgemein deutschen Frage lag der Bund mit Eifer ob: es war die Ausmerzung der Ideen von 1848 aus den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten. Hier war das Einvernehmen Österreichs und Preußens damals ungestört, so daß sich Oertzen ihnen völlig anschließen konnte. Besonders tätig war er in dem zur Beratung der kurhessischen Verfassungsfrage eingesetzten Ausschuß, dessen Referent er war. Verschiedene in streng legitimistischem Geiste abgefaßte Gutachten sind in dieser Angelegenheit aus seiner Feder hervorgegangen 10 ).
Eins der wichtigsten Ereignisse der fünfziger Jahre war der Krimkrieg. Er ging Mecklenburg insofern offiziell etwas an, als es sich um die Frage handelte, ob der Bund dem österreichisch-preußischen Bündnis vom 20. April 1854, das sich gegen Rußland richtete, beitreten sollte 11 ). Oertzen stand in seiner persönlichen Ansicht ganz auf Seiten Rußlands. Er beklagte es, daß Österreich den Führer der "Revolution", Kaiser Napoleon III., in seinem Kampfe gegen den Hort des Legitimismus, Zar Nikolaus I., unterstützte. So wollte er auch den Bund von jeder Beteiligung an dem nach seiner Ansicht verderblichen Krieg fernhalten. Doch
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stand er mit seiner Auffassung in der Bundesversammlung lange allein. Erst 1855, als in Berlin ein Umschwung eintrat, bildete sich am Bundestag eine von Preußen geführte Mehrheit in Oertzens Sinn, die dagegen auftrat, daß der Bund völlig im Schlepptau der österreichischen Politik segele. In seinem fachlichen Ziel war der mecklenburgische Gesandte jetzt mit seinem preußischen Kollegen, Herrn von Bismarck, einig; wie verschieden waren aber die Beweggründe des Realpolitikers und die des doktrinären Legitimisten 12 )!
Als tüchtige Arbeitskraft und wegen seiner versöhnlichen, vermittelnden Gesinnung erfreute sich Oertzen großer Beliebtheit am Bundestage. Auch Bismarck schätzte ihn, wie mehrere Äußerungen von ihm zeigen 13 ). 1858 ward der mecklenburgische Gesandte von Großherzog Friedrich Franz II. beauftragt, einen Versuch zur Herbeiführung besserer österreichisch-preußischer Beziehungen zu machen. Er veranlaßte denn auch einen Meinungsaustausch zwischen den Gesandten der beiden Staaten, der weitere Kreise nach Wien und Berlin schlug, aber schließlich ergebnislos blieb 14 ). Im Juni desselben Jahres ward Oertzen dann auf den Posten eines Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Schwerin berufen. Auch aus dieser Zeit sind uns zwei Äußerungen Bismarcks über ihn erhalten 15 ). Der Preuße charakterisierte ihn als einen "achtbaren, ruhigen Charakter, etwas pedantisch und juristisch, aber ehrlich und zuverlässig und preußisch, soweit das ein Mecklenburger von der ritterschaftlichen Partei sein könne". In seiner deutschen Politik werde er sich überall soweit es das mecklenburgische Interesse nicht verbiete, an Preußen anschließen. Von seiner 1850 bewiesenen Hinneigung zu Österreich sei er durch siebenjährige Tätigkeit am Bundestage vollständig geheilt.
Diese sehr vorsichtig formulierten Äußerungen Bismarcks sind in der Charakteristik ausgezeichnet, im übrigen aber doch wohl etwas sehr mit preußischen Augen gesehen. Allerdings besaß Oertzen keine Vorliebe für Österreich mehr; eine Hinneigung zu Preußen, die Bismarck zu vermuten scheint, hatte er aber ebensowenig gewonnen. Nie ist er aus Zuneigung Preußen gefolgt, sondern nur unter dem Druck der harten Notwendigkeit der politischen und geographischen Lage Mecklenburgs. Sein
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Grundziel war und blieb: Aufrechterhaltung der Macht des Bundes und unbedingtes Einschreiten gegen die nationale und liberale Revolution 16 ).
In seinem neuen Berufskreis als Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin hat Oertzen weiter in dem dargelegten Sinne gewirkt. Seine beiden Amtsgenossen, die Minister von Schroeter und von Levetzow, in ihrer politischen Auffassung völlig mit ihm einig, überließen ihm die alleinige Leitung der Außenpolitik des Landes, sich ihren Fachkreisen widmend. Von größerer Bedeutung für die Führung der mecklenburgischen Politik waren die in Frankfurt, Wien und Berlin tätigen Gesandten und Geschäftsträger. Zugleich mit dem Ministerwechsel in Schwerin war in der Besetzung dieser diplomatischen Posten ein Wechsel eingetreten. Oertzens Nachfolger in Frankfurt am Main wurde der Freiherr Bernhard von Bülow, ein jüngerer, erst 38jähriger Mann. Ein Universitäts- und Studienfreund Großherzog Friedrich Franz' II., hatte er eine glänzende Laufbahn hinter sich. In Paris, Berlin und Wien hatte er Gelegenheit gehabt, das diplomatische Leben kennen zu lernen. So kam er mit klaren politischen Einsichten auf den Frankfurter Posten. Er ist wohl einer der begabtesten Staatsmänner gewesen, die Mecklenburg hervorgebracht hat. Durchdringender Verstand und leidenschaftlicher politischer Ehrgeiz zeichneten ihn aus. "Fein, kalt und etwas hochmütig" nennt ihn Robert von Mohl in seinen Lebenserinnerungen. In seinem leidenschaftlicheren Temperament unterschied er sich von Oertzen, in seinen fachlichen politischen Anschauungen dagegen glich er ihm völlige Auch er war streng konservativ, auch sein Ziel war Erhaltung des Bestehenden, Festigung der Bundeseinrichtungen. In all dem aber war er schroffer und einseitiger als der ältere, mehr der Vermittlung zugeneigte Minister. Stets zeigte er sich indessen als scharfsinniger, kluger und, soweit nicht sein Doktrinarismus im Weg stand, hinter die Fassade der offiziellen Politik blickender Diplomat von zweifellos großer Staatsmännischer Begabung. Seine Stellung zum österreichisch-preußischen Problem war schärfer akzentuiert als die Oertzens. Gegen die preußische Politik war er sehr mißtrauisch, von ihr erwartete er nichts Gutes. Für das legitimistisch-konservative Österreich da-
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gegen zeigte er größere Zuneigung, während sein Mißtrauen gegen Preußen sich im Laufe seiner Amtstätigkeit allmählich zum Haß steigerte 17 ).
Neben diesem sich klar abhebenden, eigenwilligen, aber gewiß nicht unbedeutenden Staatsmann bleibt das Bild des Gesandten in Wien, eines Herrn von Gamm, verschwommener. Nach seinen Berichten macht er den Eindruck eines pflichttreuen, gewissenhaften, nicht untüchtigen Beamten, der die politischen Vorgänge in ihrem mehr äußerlichen Bild richtig erfaßte und klar darstellte, aber im allgemeinen nicht den Ehrgeiz hatte, selbständige Politik zu treiben. Die Wiener Luft verfehlte ihre Wirkung auf diesen doch recht unselbständigen Mann nicht: das Bild, das er von der österreichischen Politik zeichnete, war sehr stark mit österreichischen Augen gesehen.
Der Geschäftsträger in Berlin endlich, ein General von Hopffgarten, scheint als Politiker ganz unzulänglich gewesen zu sein. Als alter, 61jähriger Herr war er aus der militärischen in die diplomatische Laufbahn hinübergetreten. Seine Berichte blieben gemeinhin rein höfisch, über fürstliche Familienangelegenheiten und vor allem über die Feste der Saison, deren Programm beizulegen er so gut wie nie vergaß, verbreitete dieser merkwürdige Staatsmann sich sehr ausführlich. Die politischen Ereignisse dagegen machte er trocken, knapp, aktenmäßig und oberflächlich ab, soweit er sie überhaupt berührte.
So standen an leitender Stelle in Mecklenburg-Schwerin überall neue Männer, als sich die Periode der Reaktion ihrem Ende näherte. Im Oktober 1858 übernahm Prinz Wilhelm von Preußen an Stelle seines erkrankten Bruders endgültig die Regierung. Nach der Entlassung des Ministeriums Manteuffel begann die Zeit der Neuen Ära. Dieser Umschwung in Preußen war für die deutsche Frage von der allergrößten Wichtigkeit, hatte sich doch jetzt der norddeutsche Großstaat ein für allemal von der Politik der Heiligen Allianz losgesagt und Beziehungen zu den neuen aufstrebenden Kräften des deutschen Volkes angeknüpft. Neues politisches Leben begann jetzt in Deutschland zu blühen. Ebenso wie in unserm Vaterlande rangen damals auch in Italien die nationalen Kräfte um eine Einigung des Landes, und ebenso wie dort war auch hier Österreich der Gegner einer solchen Einigung. Zum Führer der nationalitalienischen Bestrebungen machte
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sich das Königreich Sardinien, und Napoleon III. lieh ihm die Unterstützung Frankreichs. Mit einem Schlage erkannten die deutschen Regierungen und Dynasten den engen Zusammenhang der italienischen und deutschen Frage: Was dort den Kleinstaaten beschieden sein konnte, wenn Österreich unterlag, das drohte auch ihnen, falls sie nicht unbedingt den alten Bund aufrechterhielten. Von ganzem Herzen wünschten sie daher in dem im April ausbrechenden Kriege den Sieg Österreichs. Auch die Hülfe des deutschen Bundes sollte, soweit irgend möglich, für die Donaumonarchie, die Verteidigerin des Legitimitätsprinzips, bereitgestellt werden. Auf Preußen aber sah man von vornherein mit einem gewissen inneren Mißtrauen: konnte es nicht gegebenenfalls in die Versuchung kommen, die Rolle Sardiniens in Deutschland zu spielen?
Eine energische Unterstützung Österreichs durch den Bund war aber nur möglich, wenn Preußen entschlossen dafür eintrat. Diese sehnlichst erwartete preußische Entscheidung blieb jedoch aus. Gegen einzelne Zugeständnisse war Prinzregent Wilhelm durchaus zum Eingreifen an Österreichs Seite bereit, dieses aber zögerte aus Mißtrauen, sie zu gewähren. Sich indessen etwa vom Bunde zum einfachen Bundeskrieg zwingen zu lassen, das lehnte Preußen als europäische Großmacht ab. Langwierige und lange ergebnislose Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Großmächten füllten den Mai und einen Teil des Juni aus 18 ).
Inzwischen hatte der Bundestag versucht, sich über seine Haltung klar zu werden und Schritte zu unternehmen. Auf preußischen Antrag, den Österreich unterstützte, da nicht mehr zu erreichen war, wurde die "Marschbereitschaft" der Bundeskontingente am 23. April beschlossen. Von seinen Regierungen war der mecklenburgische Gesandte, Herr von Bülow, angewiesen worden, übereinstimmenden Anträgen der Großmächte zuzustimmen. In diesem Sinne sprach er sich auch bei der Abstimmung am 23. April aus. Was seine persönliche Ansicht anlangte, so verdammte er den französisch-italienisch-österreichischen Krieg als einen frivolen Bruch des Legitimitätsgrundsatzes. Daher ging ihm der preußische Antrag auf Marschbereitschaft lange nicht weit genug. Er wünschte ein aktives Eingreifen des Bundes an Österreichs Seite. In diesem Sinne sprach er sich in all seinen meist sehr eingehenden Berichten über die Lage aus. Sein Mißtrauen und seine Abneigung gegen Preußen arteten zu Zeiten, wenn die Wogen der Erregung am Bundestag besonders hoch gingen, in heftige Zornesausbrüche aus. Nur ab und an beurteilte er die preußische
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Politik objektiver und suchte ihren Beweggründen gerecht zu werden 19 ).
Seine Regierungen ließen ihm sehr viel freie Hand, nachdem ihm auf seine Darlegungen hin am 1. Mai eine Instruktion dahin erteilt war, für eine bewaffnete Teilnahme des Bundes am Kriege einzutreten. Sie waren wohl mit seinen Ansichten im wesentlichen einverstanden und hatten daher keinen Grund, ihrerseits auf die von ihm vertretene Politik einzuwirken. Durch die geographische Lage waren sie ja auch gezwungen, sich vor allzu scharfem, verletzendem Auftreten gegen Preußen zu hüten 20 ).
Die Ereignisse gingen ihren Gang, Österreich zog sich die Niederlagen bei Magenta und Solferino zu. Da trat im letzten Augenblick Prinzregent Wilhelm als bewaffneter Vermittler auf, er verfügte die Mobilmachung des preußischen Heeres. Am Bundestag waren die Erregung und das Mißtrauen gegen Preußen ständig gewachsen. Man fürchtete jetzt sogar, daß seine Rüstungen zum Angriff auf Österreich bestimmt sein möchten. Trotzdem folgte man, wenn auch zögernd und widerwillig, den preußischen Vorschlägen, die die Mobilmachung von zwei Bundeskorps verlangten. Auch Mecklenburg stimmte zu, doch zeigt ein Brief des Großherzogs Friedrich Franz vom 28. Juni 1859, daß er die zögernde Politik Preußens ganz und gar nicht billigte 21 ). Besonderes Entsetzen erregte es dann am Bundestag, als Preußen Anfang Juli verlangte, die Bundestruppen sollten unter seinen Oberbefehl gestellt werden ohne die einschränkenden Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung. Da schloß Österreich aus Mißtrauen gegen den norddeutschen Rivalen den schnellen Frieden von Villafranca mit seinen Gegnern.
Fast alle mittel- und kleinstaatlichen Politiker gaben die Schuld an diesem ganz unerwünschten Ausgang des Krieges Preußen, darin bestärkt durch eine Zirkulardepesche des kaiserlichen Ministers Grafen Rechberg vom 16. Juli. Auch Herr von Bülow, der mecklenburgische Gesandte, war außer sich vor Zorn gegen Preußen. In langen, haßerfüllten Darlegungen vom 15. Juli suchte er Ziele und Tendenzen der preußischen Politik zu entwickeln. Mit "zynischer Folgerichtigkeit", so meinte er,
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habe es seine Ziele zur Schwächung Österreichs, zur Begründung eigner harmonischer Stellung verfolgt. Damit hatte er mit vom Haß geschärftem Blick die Tendenzen herausgefühlt, denen die Politik Preußens notwendig einmal zustreben mußte, wenn seine Staatsmänner diese Zwangsläufigkeit erkannt hatten. Die Politik des Jahres 1859 hatte er damit allerdings ganz falsch beurteilt. Sie war wirklich nicht "zynisch" folgerichtig, sondern unklar und schwächlich. So war eine Darstellung für die Gegenwart verzerrt ausgefallen, scharfsinnig ahnte sie die Zukunft voraus.
Bessern wollte er die schlimmen Zustände in Deutschland dadurch, daß Preußen unter die Autorität des Bundes zurückgeführt würde. Der Bund sollte der große Oberbau sein, von dem sich auch die Großmächte völlig umschließen lassen, in dem sie unter Hintansetzung ihrer Eigeninteressen aufgehen sollten. Es war ein ehrlicher deutscher Patriotismus, von dem diese Gedanken ausgingen, nur wurde er den harten Tatsächlichkeiten nicht gerecht.
Um den Konservativismus zu stärken, schlug Bülow etwas später in einem Bericht vor, Preußen wegen seiner im italienischen Kriege bewiesenen Undeutschen Gesinnung bei der liberalen Partei zu diskreditieren, ihr damit den Halt und das feste Ziel zu nehmen und durch diese großzügige Propagandatätigkeit konservativen Gedanken überall in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Dem österreichischen Gesandten gegenüber erklärte er, unter dem Eindruck der Rechbergschen Depesche vom 16. Juli stehend, Österreich habe durch den Frieden von Villafranca (der die preußischen Hegemoniepläne vernichtet habe), zugleich Deutschland einen Dienst erwiesen.
Wie man sich in Schwerin und Neustrelitz zu diesen letzten Plänen, Taten und Folgerungen Bülows gestellt hat, ist nicht ersichtlich. Schwerlich wird man ein so scharf antipreußisches Vorgehen, wie es in der Erklärung an den österreichischen Gesandten lag, aus taktischen Gründen ganz gebilligt haben. Mit den sachlichen Leitgedanken Bülows dürfte Herr von Oertzen aber jedenfalls einverstanden gewesen sein, ebenso wie die Strelitzer Regierung 22 ).
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Durch den italienischen Krieg und die Beschäftigung mit den ihn berührenden Problemen hatte das politische Leben in Gesamtdeutschland starke Antriebe bekommen. Kräftig begannen jetzt die alten Kleindeutschen von 1848 sich zu regen. Eine große Versammlung zu Eisenach rief dann am 14. August den deutschen Nationalverein ins Leben, der einige Wochen später endgültig begründet wurde 23 ). Sein Ziel war, für den einigen, freiheitlich eingerichteten, von Preußen geführten kleindeutschen Bundesstaat einzutreten. So wurden jetzt die Gedanken der Paulskirche, denen vor einem Jahrzehnt das ganze Deutschland zugejubelt hatte, wieder ins Volk getragen und entfalteten sich mit der Macht der siegenden Idee. Sehr groß war der Einfluß, den der Nationalverein bald in Deutschland gewann. Die Regierungen, vor allem Österreich und der Bundestag, sahen aber den Verein mit sehr mißtrauischen Augen an und hätten seine Tätigkeit am liebsten so schnell als möglich völlig unterbunden. Indessen einer großzügigen Verfolgung der Mitglieder des Nationalvereins von Bundes wegen widersetzte sich Preußen, wenn auch der Prinzregent keineswegs mit allen ihren Bestrebungen übereinstimmte. Ihre Bekämpfung blieb also den Einzelstaaten überlassen. Die mecklenburgischen Regierungsmänner mußten, getreu ihren legitimistisch-konservativen Anschauungen, aufs schärfste den Tendenzen entgegentreten, die letzten Endes auf eine Sprengung des Deutschen Bundes, Beschränkung der Hoheitsrechte der Einzelstaaten und der fürstlichen Macht überhaupt hinausliefen, also offenkundig "revolutionär" waren. So wurde der Beitritt zum Nationalverein in beiden Mecklenburg streng verboten. Wer es trotzdem wagte, Mitglied zu werden, setzte sich harter gerichtlicher Verfolgung aus 24 ). Einmal dieses Verbot, dann aber auch andere Grunde haben es verursacht, daß der Nationalverein in Mecklenburg nur eine sehr geringe Wirksamkeit entfaltet hat. Das politische Leben des Landes war überhaupt nicht sehr intensiv, und alles, was seine Kräfte in den Dienst der Tagespolitik und Publizistik stellte, richtete sein Augenmerk auf das nächstliegende und den mecklenburgischen Liberalen am wichtigsten erscheinende Ziel: die Schaffung einer konstitutionellen mecklenburgischen Verfassung. So blieb für die großen deutschen Probleme nicht soviel übrig wie in andern Bundesstaaten. Es nimmt also nicht weiter Wunder, daß der Einfluß des Nationalvereins in Mecklenburg
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sehr gering blieb. Eine Petition einer Anzahl Rostocker Bürger im Februar 1861 um Aufhebung des Beitrittsverbots wurde natürlich abschlägig beschieden. Der Nationalverein seinerseits beschäftigte sich auf seiner dritten Generalversammlung 1862 mit der mecklenburgischen Verfassungsfrage. Vor allem Moritz Wiggers trat dafür ein, daß sie als gesamtnationale Angelegenheit behandelt werde. Ein Antrag auf Wiederherstellung der Verfassung von 1849 wurde einstimmig angenommen. Daß dies Vorgehen nicht gerade dazu beitrug, den Verein den mecklenburgischen Regierungen sympathischer zu machen, versteht sich von selbst 25 ).
Besonders groß war in den Kreisen der mecklenburgischen Staatsmänner die Abneigung gegen den liberalen Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha, der das Programm des Nationalvereins billigte und ihm in Gotha ein Heim gewährt hatte. Man empfand die Gefahr, die darin lag, daß selbst ein Fürst offenkundig "revolutionären" Tendenzen anhing. Auch der Großherzog Friedrich Franz muß diese Meinung geteilt haben, sonst hatte der Gesandte von Hopffgarten in einem persönlich an ihn gesandten Bericht nicht einen so gereizten Ton gegen den Koburger angeschlagen und ihm ganz unehrerbietig einfach als "der Herr" bezeichnen können 26 ). Am Strelitzer Hofe, wo der blinde Friedrich Wilhelm 1860 seinem Vater Georg, dem er in seinen legitimistisch-konservativen Anschauungen völlig glich, gefolgt war, war Herzog Ernst ganz besonders persona ingrata. Eine ergötzliche Episode aus der Zeit des Frankfurter Fürstentages berichtet der hessische Minister von Dalwigk in seinem Tagebuch 27 ). Der blinde Großherzog fragte bei einer Gesellschaft seinen einen Tischnachbarn, den Prinzen Alexander von Hessen, wer denn auf der andern Seite neben ihm säße. Auf die Antwort: "Der Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha", sagte er ganz laut: "Da bin ich ja in ganz schlechte Gesellschaft geraten."
Die Staatsmänner der Mittel- und Kleinstaaten erkannten eben ganz deutlich die ungeheure Gefahr, die ihrer eigenen inner-politischen Stellung und der Selbständigkeit ihrer Länder bei der Verwirklichung der nationalen und liberalen Ideen drohte. Sehr richtig charakterisierte der preußische Gesandte in Hamburg und Schwerin, ein Herr von Richthofen, die innere Einstellung der kleinstaatlichen Politiker in einer Denkschrift an den Minister
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von Schleinitz über die Stimmungen und Strömungen im deutschen Norden 28 ). Ihr angeerbter Ideengang, aus dem heraus sie die deutsche Frage beurteilten, müsse notwendig dem Zuge der Zeit nach einheitlicher nationaler Kraft widerstreben. Sie fühlten es ganz richtig heraus, daß die Bewegung gegen ihre Existenz gerichtet sei, denn das liberale Element sei der Tod ihrer Souveränität. Das sind treffende Worte, denen kaum etwas hinzuzufügen ist.
"In dem Vereinswesen," so schrieb Richthofen ein andermal, "sehe der Minister von Oertzen eine Folge der Lockerung und Lösung der Bundesgewalt. Für das Entstehen der Vereine in dieser Richtung und die Gefahr, die sich hierdurch für die Regierungen ergebe, mache er insbesondere die Periode der Neuen Ära in Preußen verantwortlich. Nach seiner Meinung könne das Übel nur da beseitigt werden, wo es seine Wurzel habe, auf diese müsse man zurückgehen. Preußen müsse die von ihm gelockerte Kraft des Bundes wieder zu stärken suchen; nur in dem gänzlichen Verlassen der bisherigen Bahn und in der vollständigen Rückkehr Preußens unter die Bundesautorität und ihre Plenarbeschlüsse sei gegen jene Tendenzen wieder eine feste Basis zu gewinnen. Die Maßnahmen einzelner Regierungen nützten wenig. In Mecklenburg habe man alle derartigen Vereine mit Erfolg verboten, der böse Stoff komme aber von außen her doch herein. Nur im Bunde allein liege die Macht zu Gesamtmaßregeln und nur diese könnten helfen."
Das ist wieder der alte Oertzen mit seinen alten politischen Zielen, deren Hauptprogrammpunkt die Aufrechterhaltung und Stärkung der Bundesmacht war. Freilich hatte er recht, wenn er die Bedeutung der Auflösung der Bundesgewalt für die Ausbreitung des politischen Vereinswesens betonte, aber er blickte nicht tiefer. Er sah nicht oder wollte nicht sehen, daß diese Auflösung und innere Zersetzung nur ein Symptom war. Er erkannte nicht, daß der Bund innerlich hohl und nicht lebensfähig war, weil er auf einer inneren Unwahrhaftigkeit, der Vorgabe von dem Vorhandensein einer unparteiischen, wirklich über den beiden Großmächten stehenden Bundesgewalt beruhte. Freilich war es denkbar, daß Preußen wenigstens für kürzere Zeit das eigene Großmachtstreben aufgab, wie Oertzen es ersehnte. Möglich war es, daß es ihm gelang, in Gemeinschaft mit Österreich, einlenkend in die Bahnen der Heiligen Allianz, der Metternichschen Staatskunst, noch einmal die nationalen und liberalen Bestrebun-
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gen der deutschen Nation zu knebeln. Aber das hätte nur eine Galgenfrist sein können, denn der Verfall des Morschen und Zusammenbrechenden läßt sich wohl aufhalten, aber nicht gänzlich hemmen. Oertzen war eben der Konservative im extremsten Sinn des Wortes. Selbst Stürzendes wollte er noch erhalten und lieber die Trümmer des baufälligen Hauses über sich zusammenbrechen lassen, als die ihm lieb gewordenen, aber nicht mehr tragfähigen Grundpfeiler durch neue ersetzen.
Zu dem Einschreiten gegen den Nationalverein von Bundes wegen hatte sich schon im Januar 1861 eine Gelegenheit geboten, die aber unbenutzt vorübergelassen war. Das Großherzogtum Hessen stellte einen Antrag auf Interpretation des § 1 des Bundesbeschlusses vom 13. Juli 1854 über die Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen. Der Antrag zielte darauf hin, ein Verbot des Nationalvereins von Bundes wegen zu erreichen. Die mecklenburgischen Regierungen billigten diese Tendenz selbstverständlich durchaus 29 ), an dem preußischen Widerstande scheiterten aber auch jetzt alle Verfolgungsabsichten.
Im Gegensatz zu den Kleindeutschen regten sich im Zusammenhang mit den mittelstaatlichen und österreichischen Reformplänen seit 1862 auch die Großdeutschen. Aber getreu ihrem einmal politischen Vereinen gegenüber eingenommenen Standpunkt unterstützte Mecklenburg auch diese Bestrebungen nicht, wenn man natürlich auch nicht mit so scharfen Mitteln wie gegen den Nationalverein gegen sie einschritt 30 ).
Während sich im Nationalverein die Wünsche der liberalen Bevölkerungskreise kundtaten, waren auch die Regierungen nicht untätig geblieben. Von verschiedenen Seiten traten Bundesreformvorschläge an die Öffentlichkeit. Die Mobilmachung 1859 hatte die Mängel der Bundeskriegsverfassung in ein besonders
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grelles Licht gerückt. Der Hauptschaden war das Fehlen einer einheitlichen, zielbewußten Leitung und das Hineinreden zu vieler Instanzen in die militärischen Fragen. Daher richtete sich das Augenmerk des Prinzregenten Wilhelm, der eingesehen hatte, daß eine allgemeine politische Bundesreform an dem Widerspruch Österreichs und der Mittelstaaten scheitern müsse, auf dies Gebiet, auf dem er, der alte Soldat, ja wirklich Fachmann war 31 ). Sein Plan war eine Zweiteilung im militärischen Oberbefehls die Bundeskontingente nördlich des Mains sollten unter preußische, die süddeutschen unter österreichische Oberleitung gestellt werden. Es ist klar, daß dieser preußische Plan nicht nur rein militärische sondern zugleich hochpolitische Wirkungen gehabt hätte, wäre er zur Durchführung gekommen. Willigte Osterreich ein, so hätte es die volle Gleichberechtigung Preußens in Deutschland zugestanden, zugleich wären aber die einzelstaatlichen Hoheitsrechte beschränkt worden. Damit waren weder Österreich noch die mittelstaatlichen Politiker einverstanden. Aus dem Lager dieser kam denn auch eine besonders kräftige Gegenbewegung: dem Gedanken des österreichisch-preußischen Dualismus stellten sie die alte Triasidee gegenüber, wie sie in der ersten Zeit nach 1815 der württembergische Freiherr von Wangenheim vertreten hatte 32 ). Manche Fäden leiten von diesem Gedanken zurück zu dem alten "Reichspatriotismus" der Stände des 17. und 18. Jahrhunderts. Neben Österreich und Preußen sollte der übrige Bund als gleichberechtigter dritter Faktor treten. Dies "dritte Deutschland", das in seiner Hauptsache die altdeutschen Gebietsteile umfaßte, sollte seine politische Macht dem auf ostdeutschem Kolonialboden erwachsenen Preußen und dem östlich und südlich orientierten Österreich gegenüber in die Wagschale werfen. Solche ideellen Gedankengänge fanden ihre Stütze an der Tatsache, daß so die Hoheitsrechte der Einzelstaaten am besten zu schützen waren.
Als Wortführer in dem jetzt entbrennenden Kampf traten vor allem der sächsische Minister von Beust, die Bayern von der Pfordten und von Schrenck und der Hesse von Dalwigk auf 33 ).
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Sie sahen ein, daß es täglich unmöglicher wurde, dem immer dringender geäußerten Verlangen der deutschen Nation nach einer Bundesreform mit rein negativen Mitteln entgegenzutreten, daß sie selber eigene positive Vorschläge machen mußten. Um die mittel- und kleinstaatlichen Politiker zu gemeinsamem Handeln zu veranlassen, erließ Herr von Schrenck, der damals bayrischer Minister war, eine Einladung zu einer Konferenz nach Würzburg für Ende November 1859, die auch an Mecklenburg erging. In den Vordergrund wurde auch hier eine Abstellung der Mängel der Bundeskriegsverfassung geschoben. Es sollte aber unbedingt an der alten Bundesverfassung als Grundlage festgehalten werden, da ihre Bestimmungen, richtig angewandt, vollkommen ausreichend seien. Es konnte sich also nur um Reformen auf ihrem Boden handeln 34 ). Daß diese konservative Ansicht den mecklenburgischen Politikern, namentlich Herrn von Oertzen, sehr sympathisch war, läßt sich denken. Auch der Großherzog Friedrich Franz, beunruhigt über die Ereignisse des Jahres 1859, war damit einverstanden, daß Mecklenburg die Einladung annahm. Als Vertreter sowohl des Schweriner als auch des Strelitzer Landes ging Oertzen nach Würzburg. Die Verhandlungen fanden vom 24. bis 27. November statt. Vertreten waren außer den beiden Mecklenburg die vier Königreiche, beide Hessen, Nassau und Sachsen-Meiningen. Der Grundgedanke, der die ganze Ministerkonferenz beherrschte, war der eines Ausbaus der Bundeskompetenz, einer Stärkung der Bundesmacht. Es sind die mittelstaatlichen Reformpläne, deren Seele Herr von Beust war und blieb. Diese Männer wollten größtenteils dem Streben der deutschen Nation nach größerer Einigung durchaus entgegenkommen und dies auf der Basis des alten Bundes verwirklichen. Sie haben später den Preußenfreunden gegenüber, die ihnen alle Schuld an der Uneinigkeit und Machtlosigkeit Deutschlands beimaßen, mit Recht betont, daß auch sie deutsch empfunden und für Stärkung der deutschen Macht hätten sorgen wollen, daß vielmehr ihre Ziele durch Preußen-Österreich vereitelt worden seien. Ihre gute Absicht ist anzuerkennen, zugleich muß aber gesagt werden, daß ihre Pläne schon im Augenblick, wo sie ausgesprochen wurden, zum Scheitern verdammt waren. Einmal konnten sie unmöglich dem Wunsch des deutschen Volkes, aus einer Kulturnation eine wirklich geschlossene Staatsnation zu werden, Erfüllung bringen, dann aber unterschätzten sie die Bedeutung des österreichisch-preußischen Dualismus. So blieb alles, was die "Würzburger" taten, schließlich erfolglos, ebenso
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wie das sie einende Band, die alte Triasidee, im geistigen Kampfe unterlag.
Verschiedene praktisch-politische Anträge wurden in der Novemberkonferenz besprochen und später von den vereinigten Regierungen in der Bundesversammlung eingebracht. Über einen, der gerade den wichtigsten Punkt, die Reform der Bundeskriegsverfassung, betraf, kam es später zu Meinungsverschiedenheiten unter den Antragstellern selbst, so daß er fallen gelassen wurde.
Zweifellos stand Herr von Oertzen mit seinen Sympathien ganz auf der Seite der Würzburger, zu deren konservativstem Flügel er seiner Anlage und politischen Anschauung nach gehörte. Anderseits verkannte er aber auch nicht, wie sehr Mecklenburg in der preußischen Machtsphäre lag und darauf angewiesen war, sich gut mit ihm zu stellen. Er ließ daher, um das gerade damals sehr rege preußische Mißtrauen zu beschwichtigen, in Berlin von dem offiziellen Ergebnis der Verhandlungen Mitteilung machen 35 ).
Das preußische Reformprojekt wurde dem Militärausschuß des Bundestages zur Begutachtung überwiesen. Der Ausschuß sprach sich im Mai 1860 mit allen gegen die eine preußische Stimme für seine Verwerfung aus. Damit war der preußische Versuch, auf dem Wege einer Reform der Kriegsverfassung auch zu politischen Ergebnissen zu kommen, gescheitert.
Die Würzburger Vereinigung hielt auch in den folgenden Jahren noch zusammen. Mecklenburg zog sich aber von allen offiziellen Zusammenkünften und Schritten aus Rücksicht auf Preußen sehr zurück. Schon auf der zweiten Konferenz 1860 war es nicht mehr vertreten. Inoffiziell und persönlich scheint sich aber die Verbindung zwischen Herrn von Oertzen und den Würzburgern zunächst noch nicht gelöst zu haben. Der preußische Gesandte von Richthofen wußte wenigstens öfter von "Würzburger Beziehungen und Neigungen" des Ministers zu erzählen 36 ). Erst 1861 hat sich eine weitere Abkehr der mecklenburgischen Regierungen von der mittelstaatlichen Politik vollzogen. Sie ist, neben der täglich klarer werdenden Einsicht in die aus der geographisch-militärischen Lage hervorgehende Abhängigkeit von Preußen durch unmittelbare preußische Beeinflussung verursacht worden. Da diese Einwirkung größtenteils auf mündlichem Wege stattgefunden zu haben scheint, so sind das einzige Zeugnis dafür zwei Berichte Richthofens aus den Jahren 1861 und 1862 37 ). Sie er-
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zählen von dem geglückten Versuche des Gesandten, Mecklenburg von der Würzburger Koalition zu trennen, und geben zugleich ein fesselndes Bild von den einander widerstreitenden Kräften am Schweriner Hofe. Großherzog Friedrich Franz war preußischen Einflüsterungen am leichtesten zugänglich - er neigte überhaupt zu Preußen 38 ). Der schroffste Vertreter einer antipreußischen, mittelstaatlich orientierten mecklenburgischen Politik dagegen war der Frankfurter Gesandte von Bülow. Sehr hübsch kennzeichnete Richthofen sein heftiges politisches Temperament, wenn er schrieb, Bülow "schäume" über den Abfall seines Herrn von den Würzburgern und möchte ihn auf den früheren Weg zurückleiten. Herr von Oertzen scheint mehr eine Ausgleichsstellung eingenommen zu haben. Er suchte wohl eine selbständige Bundespolitik Mecklenburgs mit gutem Einvernehmen mit Preußen zu vereinigen. Daß er mit dem Herzen nicht auf Preußens Seite stand, ist ganz sicher.
Die neue Stellung, die Mecklenburg seit dem Jahre 1862 in der Bundespolitik einnahm, die Abkehr von den Würzburgern, kam zum ersten Male gelegentlich der sogenannten "identischen Noten" im Februar 1862 klar zum Ausdruck. Der stets rührige Herr von Beust war Ende 1861 mit einem von ihm ausgearbeiteten Reformprojekt hervorgetreten, das die Grundgedanken der alten Triasidee enthielt. Die Exekutive sollte in der Hand des Kaisers von Österreich, des Königs von Preußen und eines dritten, von den übrigen Regierungen zu wählenden Bundesfürsten liegen. Die Bundesversammlung sollte nur noch zweimal im Jahr für je vier Wochen tagen, einmal in Regensburg unter österreichischem, das andere Mal in Hamburg unter preußischem Vorsitz. So oft es nötig sei, sollte dazu eine Delegiertenversammlung der einzelnen deutschen Landtage zusammentreten. Weiter wurde die Begründung eines Bundesgerichtes zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Einzelstaaten gefordert. Das war ein in der Praxis ganz undurchführbarer Plan, und Beust erntete mit ihm fast nirgends Anerkennung. Von mecklenburgischen Staatsmännern bezeichnete Bülow das Projekt mehrfach als ganz unpraktisch 39 ). Eine besonders entschiedene Ablehnung aus allgemeinem Gesichtspunkten kam natürlich aus Berlin. Dort leitete seit Mitte 1861 Graf Bernstorff die preußische Politik, ein Mann, der bereite 1849 warm für die norddeutsche Union gewirkt hatte und auch jetzt ein entschieden kleindeutsches Programm vertrat. In seiner Antwort an Beust vom 20. Dezember 1861 benutzte er die Gelegen-
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heit, seine Reformpläne darzulegen. Es war das alte Unionsprojekt des durch freie Vereinbarung zu schaffenden kleindeutschen Bundesstaats im großdeutschen Staatenbund. Diese Bernstorffsche Note rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Österreich vereinigte sich mit den Würzburgern zu einer gemeinsamen Protestaktion. Sie ließen am 2. Februar 1862 gleichlautende "identische Noten" in Berlin überreichen, in denen sie in scharfer Form gegen die Bernstorffschen Pläne auftraten.
Es war nun die Frage, wie sich Mecklenburg stellen werde. Wenn die öffentlichen Blätter meinten, beide Mecklenburg würden sich den identischen Noten anschließen, schrieb Herr von Richthofen am 8. Februar 40 ), so glaube er selber nicht an einen solchen Beitritt. Einmal, so meinte er, habe sich Mecklenburg überhaupt seit dem Vorjahr von den Würzburgern getrennt, dann aber sei der am Schluß der identischen Noten gemachte Vorschlag einer Delegiertenversammlung am Bunde den mecklenburgischen Regierungen sehr unsympathisch, namentlich dem "hierin maßgebenden Herrn von Oertzen". Man sehe in Mecklenburg die jetzige Verfassung des Bundes als durchaus zweckmäßig und keiner Reform bedürftig an. Vor allem aber werde der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin bei seinen persönlichen Gefühlen für seinen Oheim, den preußischen König, nicht so weit gehen wollen, wie es die gemeinsam protestierenden Staaten getan hätten. Der Strelitzer Großherzog endlich werde, ohne Gemeinschaft mit Schwerin, keinen so wichtigen Schritt tun. An und für sich werde man aber, so bemerkte Richthofen zum Schluß, durchaus von dem Schritt der andern befriedigt sein, wenn man ihm auch nicht folgen wolle.
Es sollte sich zeigen, daß der preußische Gesandte die mecklenburgische Haltung ganz richtig beurteilt hatte. Gleich am 2. Februar hatte der österreichische Minister Graf Rechberg den Gesandten von Gamm in einer besonderen Audienz 41 ) empfangen. Er teilte ihm den Wortlaut der identischen Noten mit und sprach dann den Wunsch aus, auch Mecklenburg möge sich diese Note aneignen. Gamm erwiderte sehr vorsichtig, die Absichten seiner Regierungen seien ihm nicht bekannt. Die Lage Mecklenburgs bedinge manche Rücksichten gegen Preußen. Man vermeide gern, was einen Schein von Demonstration annehme, jedoch zweifle er nicht, daß die Grundzüge des Schriftstücks den Ansichten der Großherzoglichen Regierung entsprächen. Oertzen sandte hierauf am 8. Februar eine Depesche an Gamm mit dem Auftrag, sie dem Grafen
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Rechberg zu überreichen. Um sich aber bei Preußen nicht verdächtig zu machen, ließ er ihren Inhalt vertraulich am gleichen Tage Herrn von Richthofen mitteilen.
Sehr scharf wurde in der Note die Einrichtung eines Bundesstaates im (völkerrechtlich gefaßten) Staatenbund verworfen, da ein solcher Plan nicht nur den Bundesgrundgesetzen zuwiderlaufe, sondern für Gesamtdeutschland zur Lockerung der nationalen Bande führe. Jede Bundesreform, so fuhr die Denkschrift fort, müsse auf dem Prinzip der organischen Entwicklung der bestehenden, das ganze Deutschland umschließenden Bundesverfassung beruhen. - Waren diese Sätze gegen die Bernstorffsche Note vom 20. Dezember gerichtet, so wurde nunmehr auch der Reformplan Beusts abgelehnt, weil er den Verhältnissen derjenigen Staaten nicht gerecht werde, die auch außerdeutsche Gebietsteile besaßen. Aber, und hier schritt die Denkschrift zu einer allgemeineren Formulierung fort, dieselben Bedenken, die schon dem Beustschen Projekt entgegenstanden, täten dasselbe natürlich in erhöhtem Maße auch bei jedem Plan einer bundesstaatlichen Einigung eines Teiles von Deutschland, wenn außerdeutsche Gebietsteile aufgenommen werden sollten. In dieser Sachlage liege der Grund, weshalb man zwar viele Mängel der Bundesverfassung erkannt habe, aber keinen wirklich praktischen Weg zu einer befriedigenden Reform finden könne. Die einzige Möglichkeit zur Auffindung dieses richtigen Weges sei wohl die Einigung der beiden zur Führung berufenen deutschen Großmächte über einen positiven Reformvorschlag. Alle bisherigen Projekte könne man nur als vorläufige Erörterungen ansehen. Mit diesem Gedanken hatte die Mecklenburg-Schwerinsche Regierung das Mittel gefunden, einen Anschluß an die identischen Noten abzulehnen. Denn, so fuhr sie fort, auch der Bernstorffsche Plan erscheine nicht als ein endgültiger preußischer Vorschlag - sie hoffe, daß er auch niemals in dieser Gestalt ans Licht treten werde - und daher sehe sie keinen Grund, sich dem Proteste anzuschließen.
An diesen soeben analysierten Gedankengängen ist zweierlei besonders wichtig, einmal die Kritik an den gemachten Reformvorschlägen, sodann der zur Abstellung der Mängel empfohlene Weg. Die Kritik benutzte zwei Argumente aus dem konservativen Ideenkreis - das Prinzip der organischen Entwicklung und den Gedanken der großdeutschen Kulturnation, deren nationale Bedeutung ebenso wie der politische Zusammenhalt durch die Begründung einer kleindeutschen Staatsnation schließlich nur geschädigt würde. Es war dieselbe Auffassung, wie sie einst in den Plänen der Großdeutschen 1848 lebendig gewesen war. Mitbe-
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stimmend war damals die Überzeugung gewesen, daß Deutschland mit Österreich deutsche Kulturaufgaben im slawischen Osten zu erfüllen hatte, was nur bei engstem Zusammenschluß aller Glieder des Bundes möglich wäre 42 ). Weiter zog die Kritik ein Argument der praktischen Erfahrung der Jahre 1848/50 heran, das Problem der Stellung der außerdeutschen Gebietsteile der Großmächte im gesamtdeutschen Bundesstaat. Der praktische Vorschlag schließlich zeigte den alten mecklenburgischen Gedankengang der Einigung der Großmächte als der Vorbedingung wie zu jeder gedeihlichen Wirksamkeit des Bundes, so auch zu einer Bundesreform. Daß eine solche Einigung zu einer wirklich durchgreifenden Reform niemals erzielt werden würde, wußte Herr von Oertzen wohl nur zu gut!
Graf Rechberg zeigte sich außerordentlich befriedigt über den Inhalt der mecklenburgischen Denkschrift. Aber auch in Berlin war man darüber erfreut, daß Mecklenburg eine selbständige Stellung im Gegensatz zu den Österreichfreunden eingenommen hatte. Dem gab eine Note Ausdruck, die Herr von Richthofen zugleich mit der identischen Antwort auf die identischen Noten am 14. Februar überreichte 43 ).
Auf Strelitzer Seite hatte man wesentlich länger gezögert, eine bestimmte Stellung zu den identischen Noten einzunehmen. Die Depesche, die man endlich am 15. Februar an Herrn von Gamm absandte, enthielt sachlich ähnliche Gesichtspunkte wie die Schweriner vom 8. Februar, trat in der Form aber etwas schärfer und entschiedener gegen Preußen auf. Im höchsten Zorn über diese Note, ihren Inhalt und ihre Form schrieb Herr von Richthofen nach Berlin: "Es ist immerhin bemerkenswert, daß selbst eine Duodezregierung, deren Territorium unmittelbar vor den Toren Berlins liegt, es wagt, sich in dieser Sprache gegen uns zu äußern; es ergibt sich hieraus, wie gering die Furcht und die Besorgnis ist, uns zu verletzen, und wie wenig Neigung seitens der Regierungen vorhanden ist, sich an dem von uns beabsichtigten engeren Bund zu beteiligen."
Damit hatte er zweifellos recht: gutwillig und ohne preußischen Zwang war auf einen Anschluß Mecklenburgs an den preußischen Bundesstaat nicht zu rechnen, so lange die leitenden
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Männer am Ruder blieben. Man vermied es gewiß gern, sich an antipreußischen Schritten geradeheraus zu beteiligen, aber nicht aus Zuneigung zu Preußen oder seinen Plänen, sondern aus kluger, der militärisch-geographischen Lage angepaßter Vorsicht.
Aber alles Nachgeben der mecklenburgischen Regierungen hatte seine Grenze da, wo die konservativ-legitimistische Doktrin selbst angegriffen schien. Das zeigte sich ganz deutlich bei den Verwicklungen, die in diesen Jahren aus dem kurhessischen Verfassungskonflikt am Bundestage erwuchsen. Eine Einigung zwischen dem Kurfürsten und seinem Volke über die Verfassung war nicht erzielt worden. Seit 1852 beschäftigten daher dauernd Reklamationen und Beschwerden den Bundestag. 1859 mit dem Beginn der Neuen Ära trat Preußen für die kurhessischen Stände ein. Es wirkte energisch für die Wiedereinführung der vom Bundestag 1852 aufgehobenen kurhessischen Verfassung von 1831/49 und verweigerte der vom Kurfürsten geplanten neuen Verfassung die Bundesgarantie. Am Bundestag kam es wiederholt zu scharfen Zwistigkeiten, Mecklenburg stand bei all diesen Verwicklungen unbedingt gegen Preußen, handelte es sich doch um die Vertretung der legitimistischen Interessen! Alle Versuche des Herrn von Richthofen, die mecklenburgische Abstimmung im preußischen Sinne zu beeinflussen, waren zum Scheitern verdammt. Um die Mitte des Jahres 1861 nahm sich dann Baden, wo mit dem Ministerium Roggenbach eine ausgesprochen liberale Regierung ans Ruder gekommen war, der kurhessischen Sache an. Doch wurde ein badischer Antrag auf Wiedereinführung der Verfassung von 1831 für ein halbes Jahr unter den Aktenstößen des Bundestagsausschusses begraben. Erst im Januar 1862 erinnerte eine badische Note mit ausführlicher Denkschrift die deutschen Regierungen an diesen ihren Antrag. Die mecklenburgische Antwort auf die Denkschrift - die Strelitzer war nur sehr kurz, die Schweriner wesentlich länger - legte aufs deutlichste die legitimistischen Grundsätze dar, wie sie für die Politik des Landes bestimmend waren. Da war es nicht verwunderlich, daß dieser Inhalt der Note, den Herr von Gamm offiziell in Wien mitteilte, die ungeteilte Befriedigung des Grafen Rechberg wie seines Referenten, des sehr einflußreichen Ministerialrats Biegeleben, erregte.
Bald darauf aber gelang es Preußen, Österreich davon zu überzeugen, daß eine wirkliche Beruhigung des kurhessischen Landes doch nur durch die Rückkehr zu der Verfassung von 1831 zu erzielen sei. Österreich gab daher seine frühere Ansicht auf
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und trat auf Preußens Seite. Damit war die ganze Angelegenheit so gut wie entschieden, wenn auch der Kurfürst von Hessen im März und April 1862 noch verzweifelte Anstrengungen machte, das ihm drohende Verhängnis zu beschwören. Mecklenburg wich auch in diesen letzten Phasen der kurhessischen Krise keinen Fingerbreit von dem seit zehn Jahren eingenommenen Standpunkt ab, es blieb prinzipientreu bis zuletzt. Der Gesandte von Bülow gab seinem heftigen Zorn über den Umfall Österreichs wiederholten Ausdruck in seinen Berichten. Im Einverständnis mit seinen Regierungen reiste er Ende März nach Cassel und bot dort dem Minister von Goeddaeus die unbedingte Hilfeleistung Mecklenburgs an, soweit noch etwas zu retten sei. Da Goeddaeus damals noch auf anderm Wege zum Ziele zu kommen hoffte, so machte er allerdings von dem mecklenburgischen Anerbieten keinen Gebrauch. Mitte Mai 1862 fand dann die kurhessische Krise nach dramatischer Zuspitzung ihre endliche Erledigung durch Annahme des österreichisch-preußischen Antrages auf Wiederherstellung der Verfassung von 1831. Natürlich hatte Mecklenburg auch jetzt gegen den Antrag gestimmt. Wohl hatte es die Niederlage des Legitimismus erleben müssen, doch war der Haß der regierenden Männer gegen die liberalen Ideen durch dies Unterliegen nur verschärft worden 44 ).
Bei der Abkehr Mecklenburgs von der mittelstaatlichen Politik der Würzburger Koalition wurde der Person des Großherzogs Friedrich Franz II. Erwähnung getan und auf seine von den Anschauungen seiner Ratgeber etwas abweichenden bundespolitischen Ansichten hingedeutet. Im Anfang der Sechziger Jahre ist nun überhaupt ein stärkeres Eingreifen des Fürsten in die Außenpolitik seines Landes zu verspüren. Sicher beweisende Belege dafür gibt es allerdings nicht, aber manche Anzeichen - der in vielem geringer werdende Einfluß des Frankfurter Gesandten von Bülow, die stärkere Rücksichtnahme auf Preußen - lassen darauf schließen. Gelegenheit zu eigner persönlicher Betätigung hat dem Großherzog dann der Frankfurter Fürstentag gegeben, und folgerichtig geht aus seinem dort betätigten Eintreten für Preußen der Bruch mit dem Alten hervor, wie er sich im Anschluß an den norddeutschen Nachbarstaat 1866 zeigte. Das war ein
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Schritt, der nicht mehr in der legitimistisch-konservativen Bahn lag, auf der Oertzen die mecklenburgische Politik festhalten wollte. Im Anfang der sechziger Jahre liegt nun der Beginn dieser allmählichen Abbiegung in der Stellung Mecklenburgs zur deutschen Frage, die schon neue Möglichkeiten in der Ferne erscheinen läßt. Es sind erst keimhafte Ansätze - von einer wirklichen Wendung läßt sich noch jahrelang nicht sprechen -, diese Ansätze sind aber in der Person des Herrschers begründet. So kann man wohl die Zeit bis etwa 1861/62 hin als die des überwiegenden Einflusses des Ministerpräsidenten von Oertzen bezeichnen, die Folgezeit als die der größeren Selbständigkeit Friedrich Franz II. in der Bundespolitik. Dieser Umstand gibt das Recht, die Darstellung der Persönlichkeit und der politischen Anschauungen des Großherzogs, der doch schon seit zwanzig Jahren an der Spitze Mecklenburgs stand, erst an dieser Stelle einzufügen.
Mit neunzehn Jahren 1842 zur Regierung gekommen, hatte der junge Fürst 1848 die deutsche Revolution erlebt. Wenn auch seine Charakterentwicklung damals im wesentlichen schon abgeschlossen war, so besaß er doch noch soviel jugendliche Frische und Eindrucksfähigkeit, daß manche der neuen Ideen gestaltende Kraft auf seine Seele ausüben konnten. Einfach, nüchtern, praktisch und verständig seiner ganzen Anlage nach, ähnelte er in vielem, namentlich in der Klarheit seines Blicks und in seiner ganzen militärisch-entschiedenen Art seinem Oheim, dem späteren König Wilhelm von Preußen. Nichts hat er von dem sprühenden Geist eines Friedrich Wilhelm IV., dafür aber auch nichts von dessen romantischen Phantastereien, seiner inneren Zerbrochenheit und Willensschwäche. Sein Geist trug ihn nicht soweit hinaus, war nicht so schillernd und lebhaft wie der dieses andern Oheims. Wohl aber besaß er in reichem Maße die einfacheren, stilleren Regententugenden: treffende Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis, zähen Fleiß und hohes Pflichtbewußtsein. So war er keine großangelegte Natur, dafür aber ein Geist, der in nüchterner Tatwirklichkeit wurzelte und aus ihr seine Kräfte zog zu einfach-schlichtem Tun, zu schaffender Arbeit für sein Volk und Land.
In seinen politischen Anschauungen war Friedrich Franz ein grundsätzlich konservativer Mann. Ihm, dem als Fürstensohn Geborenen, erschien die altständisch-monarchische Verfassung als das Gegebene, von Gott Eingesetzte. Von seiner hohen Stellung aus hatte er reichlich Gelegenheit, die guten Seiten dieser altererbten mecklenburgischen Verfassung zu sehen, während ihre Schattenseiten ihm naturgemäß mehr entgingen. Dem neuen, stürmisch geforderten konstitutionellen System stand er mit innerem Mißtrauen
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gegenüber. Doch fehlte seiner konservativen Einstellung der romantisch-schwärmerische Zug, wie er Friedrich Wilhelm IV. beseelte, oder der starre Doktrinarismus der Kamarillamänner und der meisten altständischen mecklenburgischen Politiker. Seine nüchterne, auf die praktische Tat des Augenblicks gerichtete Natur war wohl überhaupt der Einspannung aller seiner Gedanken in ein festes unabänderliches System abgeneigt. Dies Fehlen des Doktrinarismus hauptsächlich unterschied ihn von Männern wie Oertzen oder dem Bundestagsgesandten von Bülow. Da er so frei war von einem geistigen Systemzwang, wurde es ihm möglich, der auch in Mecklenburg ausgebrochenen Revolution nachzugeben. Leicht ist ihm das sicherlich nicht geworden 45 ), denn nach wie vor hielt er den Konstitutionalismus für verderblich. Durch die Macht der Ereignisse aber sah er sich zum Einlenken gezwungen. Mitbestimmend war für ihn auch wohl, daß sich sein von ihm hochgeschätzter Minister von Lützow, der bereits seinem Vater gedient hatte, den Märzforderungen anschloß. Nach dem Verfassungsversprechen vom 23. März 1848 hat er dann unerschütterlich an seinem einmal gegebenen Wort festgehalten, wenn er auch davon überzeugt war, daß der eingeschlagene Weg falsch sei 46 ). Dies treufeste Beharren ist bezeichnend für seinen Charakter. Erst der Freienwalder Schiedsspruch erlöste ihn dann von der Last des gegebenen Versprechens und gab ihm die Möglichkeit, dem Konstitutionalismus für immer Lebewohl zu sagen. Auch später stand er den liberalen Forderungen durchaus ablehnend gegenüber. Er glaubte nun, die Fehlerhaftigkeit ihrer Voraussetzungen praktisch bei seinen eignen Verfassungsversuchen erprobt zu haben. Bei der Beurteilung der deutschen Wünsche verwarf er gleichfalls vor allem das Liberale, Revolutionäre, daher seine schroffe Ablehnung des Nationalvereins.
Anders seine Stellung zum eigentlich Nationalen, zu dem Ziele größerer deutscher Macht und Geltung! Innige Liebe zum gesamtdeutschen Vaterland hat ihn immer ausgezeichnet. Bewußt hat er sich wohl stets nicht nur als mecklenburgischer Großherzog, sondern als deutscher Fürst gefühlt. Der warme patriotische Ton der 48er Bewegung scheint den jungen, begeisterungsfähigen Mann innerlich ergriffen zu haben. Er hat damals eine wirkliche, verfassungsmäßige, bundesstaatliche Einigung Deutschlands gewünscht. Das hebt ihn über die Mehrzahl seiner Fürstengenossen hinaus, deren deutschem Bewußtsein mit einem rein defensiven Schutz des Vaterlandes vor Angriffen, vor allem von Westen her, durchaus
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Genüge getan war. Den Gedanken einer eigenen deutschen Staatsindividualität hat Friedrich Franz kaum bewußt durchdacht - das war überhaupt nicht seine Art. Aber die aus diesem Gedanken heraus geborenen Forderungen nach größerer, kräftigerer Machtentfaltung Deutschlands nach außen hin fanden Anklang in verwandten Stimmungen seiner Seele. Vor allem für die militärische Macht und Schlagfertigkeit des Gesamtvaterlandes schlug sein Herz, wie er überhaupt für Militärfragen, ähnlich seinem Oheim, König Wilhelm, großes Verständnis zeigte. Geistesgeschichtlich steht er auf der Mitte zwischen jenem altkonservativen deutschen Gefühl dem der Gedanke der gegen äußere Angriffe geschützten deutschen Kulturnation vollauf genügte, und den Vertretern des Neuen, der nach innen wie außen sich auswirkenden deutschen Staatspersönlichkeit. Er nahm das, was seinem Wesen gemäß war, die außenpolitische Seite der neuen Staatsauffassung, bereitwillig, aber mehr instinktiv auf, während er die Wichtigkeit des innerstaatlichen politischen Lebens noch nicht erkannt hatte. So war er auch in seiner ideellen Auffassung der gegebene Hinüberleiter zu einer jungen Generation bewußter, allseitig tätiger deutscher Staatsgesinnung.
In seiner Stellung zu den konkreten Fragen der deutschen Einigung, die für Ihn, den praktisch tätigen Politiker, die wichtigsten sein mußten, erschien er in den Revolutionsjahren als Anhänger des kleindeutschen, von Preußen geführten Bundesstaates, dem er sich freiwillig anschließen wollte 47 ). Nach dem Zusammenbruch aller nationalen Hoffnungen 1850 ist er aber auch an der Durchführbarkeit seiner deutschen Ideale irre geworden. Lieber wollte er jetzt der alten Bundesverfassung treu bleiben als neuen, schließlich doch zu nichts führenden Plänen folgen Daß dabei der Geist der Reaktionsperiode, der wieder die guten Seiten des Alten, Bestehenden ins helle Licht zu rücken sich bemühte, auch auf sein konservativ gestimmtes Gemüt seinen Einfluß nicht verfehlte, daß schließlich auch sein dynastisches Gefühl sich gegen eine zu weitgehende Beschränkung seiner Rechte in einem Bundesstaate auflehnte, alles das erklärt seine streng am Bundesrecht festhaltende Stellung bis 1866. Dabei ist auch der Einfluß seiner Ratgeber, vor allem Oertzens und Bülows, nicht zu gering einzuschätzen.
Erst ganz allmählich trat nach 1861/62 seine alte preußenfreundliche Stimmung wieder mehr hervor, genährt durch die starke Anhänglichkeit an seinen Oheim, den König Wilhelm. Sie machte es ihm möglich, den Weg zu dem Auftreten gegen Österreich
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auf dem Fürstentage und zum Anschluß an Preußen 1866 zu finden. Daß die Stimmung der Reaktionsjahre so überaus lange bei dem Großherzog anhielt, dazu trug übrigens auch der ungünstige Eindruck bei, den die liberale Richtung der Neuen Ära und der darauf folgende Militärkonflikt auf ihn machte. Es ist klar, daß ihm der Anschluß an ein Preußen, in dem anscheinend die liberale Partei von Sieg zu Sieg schritt und die Grundlagen des Königtums immer mehr untergraben zu werden drohten, bei seiner Abneigung gegen den Liberalismus als unmöglich erscheinen mußte. Besonders heftiges Mißtrauen erweckte ihm die preußische Haltung anläßlich des österreichisch-italienischen Krieges und der Versuch einer Reform der Bundeskriegsverfassung, eine Stimmung, die ihn sogar ganz ins mittelstaatliche Lager hinübertrieb, aber nicht lange angehalten zu haben scheint. Über den Fortgang der Ereignisse in Preußen ließ er sich durch eingehende Berichte seines dortigen Geschäftsträgers aufklären. Herr von Hopffgarten starb im Januar 1862; nach interimistischer Vertretung sandte Friedrich Franz im September den General von Sell, der einst sein militärischer Erzieher gewesen war, nach Berlin. Sells Berichte geben ein sehr eingehendes Bild davon, wie der Konflikt, wie das Auftreten Bismarcks sich in den Augen eines Mannes der äußersten Rechten spiegelte. Die durch die Lage in Berlin hervorgerufenen Besorgnisse Friedrich Franz' vor der Revolution, vor dem "inneren Feind", wurden durch Unheilsrufe Bülows aus Frankfurt nur noch verstärkt 48 ). Indessen bewahrte er den allzu einseitigen und grau in grau gezeichneten Bildern seines Gesandten gegenüber seinen gesunden kritischen Sinn. Doch stellte sich ihm Ende 1862 die Lage so dar, daß er in einer über die Grenzen der Einzelstaaten hinausschreitenden und ihren Bestand bedrohenden, überall sich rüstenden und eben in Kurhessen zu einer Art von Sieg gelangten revolutionären Bewegung den zu bekämpfenden Hauptfeind erblickte. Von Preußen als solchem erwartete er keine Gefahr; schon 1860 hatte er geschrieben, der "Prinzregent sei kein Viktor Emanuel". In der deutschen Frage waren alle Reformvorschläge gescheitert, ein Ausweg aus der verworrenen Lage schien unauffindbar zu sein. In diesem Sinne schrieb der Großherzog Ende 1862 an den Bundestagsgesandten, Deutschland könne in einen Einheitsstaat wohl nur durch eine Revolution oder einen großen Krieg umgeschaffen werden. Das würde aber nur die richtige Konsequenz eines so falschen Zieles sein. - Diese Revolution, die er also für notwendig zur Begründung des geeinten deutschen
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Staates hielt, wenn er sie auch nicht wünschte, kam in der Tat, freilich von oben her. Der Mann, der sie vorbereitete, stand seit dem 22. September 1862 an der Spitze des preußischen Staats. In der Geschichte der deutschen Einigung war ein Wendepunkt eingetreten!
Mit der Berufung Bismarcks hatte sich König Wilhelm entschlossen, seinem Parlament bis zum Äußersten Widerstand zu leisten.. Alle konservativen Kreise begrüßten dies Ereignis mit Jubel, nur an der Person des neuen preußischen Ministerpräsidenten vermochten Sie keine reine Freude zu haben. Man kannte Bismarcks Österreichfeindlichkeit und fürchtete von ihm eine energische preußische Machtpolitik. Auch Friedrich Franz teilte manche dieser Bedanken, wenn er sich auch nicht so scharf äußerte wie Bülow, der meinte, Bismarck habe sich nur einen konservativen Mantel umgehängt, den er nach Belieben abwerfen werde. Falsch ist jedenfalls die von L. v. Hirschfeld vertretene Ansicht 49 ), der Großherzog habe mit Vertrauen auf den neuen Minister geblickt.
Seit dem Amtsantritt Bismarcks zeigte sich übrigens die Machtlosigkeit des Bundestages immer deutlicher. Noch einmal versuchte Österreich, mit Hilfe seiner Würzburger Gefolgschaft Schritte zu einer Art Bundesreform zu unternehmen. Im Juli 1862 hatte Graf Rechberg eine Konferenz der Mittelstaaten in Wien zusammengebracht. Auch an Mecklenburg war eine Einladung ergangen, doch hatte Herr v. Oertzen sie mit der Begründung abgelehnt, der Großherzog sei auf einer Reise in England, der Gesandte v. Gamm auf Urlaub, so daß es unmöglich sei, einen Bevollmächtigten rechtzeitig zu entsenden 50 ). Mit diesen bequemen und unanfechtbaren Gründen war es ihm gelungen, die Beteiligung an einer antipreußischen Konferenz abzulehnen, ohne anderweitig Anstoß zu erregen. Das Ergebnis der Wiener Beratungen war ein gemeinsamer Bundesantrag von acht Staaten, eine Delegiertenversammlung der Einzellandtage zusammenzurufen zur Beratung von Gesetzen über eine einheitliche Regelung des Zivilprozesses und des Obligationenrechtes. Es war ein Versuch, durch die Einrichtung der Delegiertenversammlungen den liberalen deutschen Neigungen in vorsichtiger Weise entgegenzukommen und Preußen Wind aus den Segeln zu nehmen. Um so selbstverständlicher war der scharfe preußische Widerstand gegen diesen Plan.
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In Mecklenburg lehnte man das Projekt ab; man fürchtete, sich damit auf die schiefe Bahn zu begeben, auf der man bald zu einem gesamtdeutschen Parlament kommen würde. Verschiedene österreichische Versuche, Mecklenburg doch noch zur Zustimmung zu bewegen, scheiterten. So war es gar nicht nötig, daß der preußische Gesandte v. Richthofen kurz vor der Abstimmung am Bundestag in Schwerin erschien, um gegen den Delegiertenplan zu wirken. Am 23. Januar 1863 wurde er in Frankfurt mit 9 : 7 Stimmen abgelehnt. Ein Konflikt mit Preußen, das für den Fall der Annahme mit Sprengung des Bundes gedroht hatte, war noch einmal vermieden.
Dort spitzte sich inzwischen die innere Lage im Laufe des Jahres 1863 immer mehr zu, so daß von Preußen keine neuen Schritte in der Bundesreformfrage unternommen wurden. Aber gerade diese innerpreußischen Verwicklungen gaben wohl Kaiser Franz Joseph die Veranlassung, jetzt seinerseits mit einem Reformplan hervorzutreten. Das geschah mit seiner Einladung zum Fürstentag 51 ) die allgemein überraschend kam. König Wilhelm hatte sich bereits bei einer Unterredung mit dem Kaiser in Gaffeln am 2. August gegen den geplanten Kongreß ausgesprochen. Von Bismarck aufs stärkste beeinflußt, blieb er auch weiterhin bei seiner Weigerung, an den Beratungen teilzunehmen. Die beiden mecklenburgischen Großherzöge nahmen indessen die Einladung an. Aber nur Friedrich Franz hat eine selbständige Rolle auf dem Fürstentag gespielt. Der blinde Friedrich Wilhelm schloß sich in allem der österreichisch gesinnten Mehrheit an, wie es sich bei seinen legitimistisch-doktrinären Anschauungen und seiner entsprechenden Preußenfeindlichkeit fast von selbst verstand. In seiner ganzen Geistesrichtung läßt sich keine Spur einer Beeinflussung durch die neuen nationalen Ideen aufweisen. Sonst pflegte Mecklenburg-Strelitz im allgemeinen, entsprechend der Kleinheit seines Territoriums, bei fast allen bundespolitischen Handlungen sehr hinter Schwerin zurückzutreten. Man schloß sich fast immer, soweit es irgend möglich war, der Schweriner Stellungnahme an. Jetzt auf dem Fürstentag aber, wo es sich um die persönlichen Ansichten der Monarchen handelte, trennten sich die Wege beider Fürsten.
Der Reformplan Kaiser Franz Josephs lief im wesentlichen darauf hinaus, daß in Zukunft ein fünfköpfiges Direktorium an
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der Spitze des Bundes stehen solle und neben ihm ein aus Delegierten der Einzellandtage zusammengesetztes Parlament mit begrenzter Kompetenz. Weiter waren periodisch wiederkehrende Fürstenkongresse zur Beratung aller wichtigeren Fragen und die Errichtung eines Bundesschiedsgerichts vorgesehen. Bevor man aber in die Verhandlungen über diesen Entwurf eintrat, beschäftigte man sich mit dem Verhältnis zum preußischen Könige. Friedrich Franz beantragte, ihn nochmals schriftlich zur Teilnahme an den Beratungen aufzufordern 52 ); als Bote des Fürstentages ging Johann von Sachten nach Baden-Baden, wo König Wilhelm weilte. Als dieser aufs neue und endgültig ablehnte, nach Frankfurt zu kommen, stellte sich der Großherzog auf den Standpunkt, daß jetzt die ganzen Verhandlungen nur den Wert von Meinungsäußerungen haben könnten, wenn nicht eine nachträgliche Einigung mit Preußen folge. Um einen möglichst freien Standpunkt zu gewinnen, beantragte er, daß eine vorläufige Zustimmung zu einzelnen Punkten des Entwurfes, dessen Durchberatung am 22. August begann, nicht unbedingt verbindlich sein dürfe. Erst die endgültige Annahme oder Ablehnung des ganzen Projektes könne entscheidend sein. Im übrigen arbeitete er fleißig bei der Erörterung mit. In der dritten Sitzung brachte er fünf Abänderungsanträge zu einzelnen Punkten ein, über die er sich vorher mit Herrn von Oertzen, der ihn begleitete, geeinigt hatte. Durch die befriedigende Erledigung dieser Anträge, so sprach er sich unzweideutig aus, sei seine schließliche Zustimmung bedingt.
Die geplante Bundesexekutive wollte Friedrich Franz nach außen hin möglichst stark machen, er beantragte daher statt der fünfköpfigen eine dreiköpfige Zusammensetzung des Direktoriums, ein Gedanke, mit dem er sich der alten Triasidee näherte, wenn ihm dieser Zusammenhang auch kaum gegenwärtig gewesen ist. Die Befugnisse der ausführenden wie auch der gesetzgebenden Gewalt den Einzelstaaten gegenüber wollte er dagegen möglichst beschränkt wissen. Sonst lag ja die Gefahr vor, daß Mecklenburg von Bundes wegen zu einer Änderung seiner Verfassung gezwungen werden konnte. Ebenso wollte der Großherzog als Gegner des Liberalismus die Rechte der Bundesdelegiertenversammlung so weit möglich einengen, vor allem ihre Mitwirkung in Steuerfragen, bei der Festsetzung der Matrikularverträge verhindern. In der Frage des Bundesvorsitzes endlich gab er, als die
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Gelegenheit sich bot, seinem Wunsche nach einem Wechsel zwischen Osterreich und Preußen Ausdruck.
Daß er mit diesen Ansichten der Mehrheit des Fürstentages als übler Störenfried erschien, versteht sich von selbst. Nur ein Teil seiner Anträge wurde berücksichtigt. Im übrigen rechnete man ihn mit Friedrich von Baden zu den Führern der kleinen "preußischen" Minderheit auf dem Kongresse. Auch bei der Formulierung der Schlußfragen, die der Versammlung vorgelegt werden sollten, hatte Friedrich Franz noch seine Hand im Spiele. Als dann die Abstimmung stattfand, sprach er sich mit fünf andern Fürsten gegen die Annahme des ganzen durchberatenen Entwurfes aus, während Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Strelitz zu den vierundzwanzig zustimmenden Monarchen gehörte.
Preußen war von dem Ergebnis der Verhandlungen Mitteilung gemacht worden. In seiner Antwort verlangte es Wechsel des Vorsitzes zwischen Österreich und Preußen, Vetorecht der Großmächte gegen jeden Bundeskrieg und die Berufung eines unmittelbar vom Volke gewählten deutschen Parlamentes. Die dritte dieser Forderungen, vom Ministerium Bismarck aus gestellt!, erregte allgemeines Entsetzen. Man wollte sie, wie Herr von Sell schrieb, kaum für ernstgemeint halten. Diese preußische Erklärung, weiter eine österreichische Anfrage über die Gründe der ablehnenden Haltung auf dem Fürstentage veranlaßten die Schweriner Regierung, ihre Stellung zu dem ganzen Fragenkomplex in zwei großherzoglichen Handschreiben klarzulegen, die vom 13. Oktober datiert und an Kaiser Franz Joseph und König Wilhelm gerichtet waren. Jedem von ihnen war die Abschrift des andern beigelegt.
Während sich das Schriftstück an Kaiser Franz. Joseph auf kurze formelle Mitteilungen beschränkte, enthielt das an den König ausführliche Darlegungen zu den drei preußischen Forderungen. Es setzte sich aus langen, von Oertzen stilisierten Schachtelsätzen zusammen, aus denen nicht immer deutlich hervorging, was die Schweriner Regierung denn nun eigentlich wollte. Rückhaltlos wurde die preußische Forderung des Vetorechtes gegen jeden Bundeskrieg gebilligt, ebenso rückhaltlos auf der ändern Seite der Gedanke eines vom Volke unmittelbar gewählten deutschen Parlamentes verworfen. Unklar dagegen blieb das Handschreiben in der Frage des Bundesvorsitzes. Eine lange Reihe von Darlegungen versuchte die österreichischen und preußischen Ansichten auszugleichen und gab gute Ratschläge über die Notwendigkeit der Einigung der Großmächte. Alles in allem kamen diese Ausführungen einer verblümten Ablehnung der preußischen Forde-
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rung gleich, überall begegneten hier Jasper von Oertzens Gedankengänge. Schließlich wurde aber doch gesagt, der Großherzog sei der Ansicht, daß beiden Großmächten gleiche Präsidialbefugnisse gebührten. So ist der Gesamteindruck der eines nicht zum Ausgleich gekommenen Gemisches von Ansichten des Fürsten und seines Ministerpräsidenten. Der Schluß der Denkschrift endlich erging sich in langen Darlegungen über die Notwendigkeit einer gemeinsamen konservativ-legitimistischen Front gegen den nationalen und liberalen Umsturz 53 ).
Nach dem Scheitern eines Ausgleichs mit Preußen über seine Reformvorschläge versuchte Österreich, Spezialverträge mit den Staaten seiner Gefolgschaft abzuschließen, also eine Art österreichischer Union zu begründen. Als es dabei Schiffbruch erlitt, vollzog es eine Schwenkung in seiner politischen Einstellung: es suchte ein Einvernehmen mit Preußen. Die Frucht dieser Verständigung, einer Episode in der fortlaufenden Geschichte des österreichisch-preußischen Dualismus, war die Rückgewinnung Schleswig-Holsteins aus den dänischen Händen.
Schon seit mehr als einem Jahrzehnt hatte die Stellung der Erbherzogtümer zu Dänemark einerseits, zum deutschen Bunde anderseits den Bund und die deutschen Mächte beschäftigt. König Friedrich VII. hatte sich 1852 verpflichtet, die alten ständischen Rechte Holstein-Lauenburgs, das zum deutschen Bund gehörte, zu achten. Schleswig aber war durch uralte Privilegien für immer mit Holstein verbunden, so daß der Versuch, den Dänemark mit jedem Tage unverhohlener machte, es in den Gesamtstaat einzuverleiben, ein Rechtsbruch war. Es kam zu immer schärferen Zusammenstößen zwischen dem deutschen Bund und dem dänischen König. Am Bundestag herrschte in dieser Frage nahezu völliges Einvernehmen; Mecklenburg konnte sich rückhaltlos der übergroßen, von Osterreich und Preußen geführten Mehrheit anschließen. 1863 führte Dänemark eine neue Sonderverfassung für Holstein-Lauenburg ein und machte aufs frische Miene, Schleswig einzuverleiben. Der Bund drohte mit, Exekution, die am 1. Oktober fast einstimmig zum Beschluß erhoben wurde. Sachsen und Hannover wurden mit der Vollstreckung beauftragt. Während noch Verhandlungen im Gange waren, starb der dänische König Friedrich VII. am 15. November 1863. Damit wurde die ganze
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Frage, die bisher rechtlich eine rein deutsche Bundesangelegenheit gewesen war, zu einer verwickelten europäischen. Friedrich VII. war der letzte Sproß der Glückstädter Linie des oldenburgischen Hauses, des dänischen Königsgeschlechts, gewesen. In Dänemark galt nun seit den Tagen des Absolutismus die weibliche Thronfolgeordnung, in den Elbherzogtümern war sie ausgeschlossen. Daher hatte schon seit Jahren beim Aussterben der Königslinie eine Loslösung Schleswig-Holsteins von Dänemark gedroht. Man hatte sich daher bemüht, eine Thronfolgeordnung für den dänischen Gesamtstaat zu schaffen. 1852 war es Dänemark gelungen, von dem Chef des augustenburgischen Hauses, dem Herzog Christian, der in den Elbherzogtümern erbberechtigt war, die Erklärung zu erlangen, er wolle der beabsichtigten Regelung der Thronfolge keine Hindernisse in den Weg legen. Darauf wurde der nächste aus weiblicher Verwandtschaft sein Erbrecht herleitende Agnat, Herzog Christian von Glücksburg, zum Thronfolger proklamiert und im Londoner Protokoll von den Mächten, aber nicht vom deutschen Bunde, dessen Zustimmung man nicht einholte, als solcher anerkannt.
Als nun Friedrich VII. starb, erklärte Prinz Friedrich von Augustenburg, der Sohn Herzog Christians, an dessen Verzicht von 1852 nicht beteiligt zu sein, und trat die Thronfolge in Schleswig-Holstein an. Die öffentliche Meinung in ganz Deutschland fragte nun nicht nach der Begründetheit seiner Ansprüche, sondern jauchzte ihm zu, da sich die Möglichkeit bot, ein freies Schleswig-Holstein zu gewinnen. Zudem zeigte der Prinz liberale Neigungen und umgab sich mit fortschrittlich gesinnten Ratgebern. Auch die Mittel- und die meisten Kleinstaaten traten für ihn ein; ihnen mußte ja die Begründung eines neuen selbständigen Mittelstaates sehr sympathisch sein. Anders war die Lage für die Großmächte: sie waren an das Londoner Protokoll gebunden und durch die offen zur Schau getragene liberale Gesinnung des Erbprinzen verstimmt. Sie wollten daher, wenigstens zunächst, am Londoner Protokoll festhalten und die schon beschlossene Exekution durchführen, da der eben auf den Thron gekommene dänische König Christian IX. eine neue Verfassung unterzeichnet hatte, durch die Schleswig einverleibt wurde. Was schließlich weiter aus dem Streitfall herauszuholen sein würde, mußte die Zukunft lehren. Die Mittelstaaten wollten sich diesmal aber nicht den Großmächten anschließen, sondern im Gegensatz zu ihnen mit dem Bunde eigene europäische Politik treiben.
Für Mecklenburg kam es darauf an, eine klare Stellung zu gewinnen. Nach kurzem Schwanken im Anfang entschieden sich beide Regierungen dafür, auf die Seite der Großmächte zu treten.
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Übereinstimmendem Vorgehen Österreichs und Preußens hatten Sie sich von jeher gerne angeschlossen. Jetzt schienen sie auch durch konservative Gesichtspunkte dazu gezwungen zu sein, denn die Mittelstaaten unterstützten den liberalen Augustenburger und suchten mit der öffentlichen Meinung in Einklang zu kommen, so daß man im Zweifel sein konnte, wer von dem andern mehr abhängig war. Durch alle Verwicklungen der schleswig-holsteinischen Krise hindurch hat Mecklenburg an dem einmal eingenommenen Standpunkt festgehalten und das Vorgehen der Großmächte auch da unterstützt, als sie im Januar in offenen Konflikt mit der Mehrheit des Bundestages gerieten und von sich aus die Besetzung Schleswigs und den Krieg mit Dänemark durchführen mußten. Der Bundestagsgesandte von Bülow, der immer eine mittelstaatlich orientierte Politik vertreten hatte und auch jetzt nicht unbedingt mit den Großmächten gehen wollte, erkrankte im Dezember 1863 so schwer, daß er einen längeren Urlaub nehmen mußte. In Mentone, wo er vergeblich Heilung suchte, starb er im März 1864. Sein Nachfolger war im Januar, zunächst vertretungsweise, der Legationsrat Otto von Wickede geworden. Er war ein lebhafter, leicht zu beeinflussender Mann, der Typ eines Sanguinikers. Auch neuen, modernen Einflüssen stand er nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Nicht seiner Anlage nach wie Oertzen und Bülow, deren konservative Anschauungen als natürlicher Ausfluß ihres Wesens erscheinen, sondern nur durch Erziehung und Beeinflussung war er konservativ. Solche konservative Gesinnung war ja selbstverständlich für einen höheren Beamten der damaligen Zeit. Seinem Charakter ging die starre Geschlossenheit ab, die seinen Vorgänger am Bundestag auszeichnete und doch, trotz aller Einseitigkeit, oder gerade in ihrer Einseitigkeit, eine gewisse Größe einschloß. Statt dessen aber befaß er größere Beweglichkeit, Lebhaftigkeit und Aufnahmefähigkeit für das Neue. Er hat Mecklenburg bis zum Zerfall des alten Bundes 1866 vertreten, aber keine so selbständige Rolle gespielt wie Bernhard von Bülow.
An dem Kriege, der im Januar 1864 zwischen Dänemark und den Großmächten ausgebrochen war, war Mecklenburg an sich nicht beteiligt, da der deutsche Bund als solcher neutral geblieben war. Aus militärischer Neigung brachte Großherzog Friedrich Franz einige Wochen im preußischen Hauptquartier zu und nahm an den ersten entscheidenden Operationen teil. Ein ihm von König Wilhelm angebotenes selbständiges Kommando mußte er wegen der Neutralität Mecklenburgs ausschlagen. Die Waffenbrüderschaft, in der er sich jetzt mit den preußischen Offizieren fühlte, hat aber sicher seine Hinneigung zu Preußen verstärkt, die bis-
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her mehr eine rein persönliche zu König Wilhelm gewesen war. Insofern hat sie die Entscheidung des Jahres 1866 vorbereitet.
Nach gewiegtem und gewagtem Diplomatenspiel, nach dem Scheitern des Londoner Kongresses gelang es Bismarck, die Elbherzogtümer den dänischen Händen zu entreißen. Im Frieden zu Wien mußte Dänemark sie an Österreich und Preußen gemeinsam abtreten. Bis zuletzt hat Mecklenburg die Politik der Großmächte unterstützt, nach wie vor davon überzeugt, so am besten wahrhaft konservative Politik zu treiben. Aber das österreichisch-preußische Einvernehmen, dem es sich so gerne angeschlossen hatte, war schließlich doch nur eine Episode: an der endgültigen Entscheidung über Schleswig-Holstein sollte ihre Freundschaft zerbrechen. Die Erledigung der holsteinischen Frage ging in das allgemeindeutsche Reformproblem über. Mit dem in aller Schärfe wieder hervortretenden österreichisch-preußischen Dualismus beginnt die letzte Phase in der Geschichte der deutschen Einigung. Auch Mecklenburg mußte eine neue, die endgültige Entscheidung treffen 54 ).
Seit dem Juni 1864 waren preußische Annektionsabsichten gegen Schleswig-Holstein offener hervorgetreten, auch der österreichische Verbündete begann allmählich mißtrauisch zu werden. Als Bismarck einsah, daß es ihm niemals gelingen werde, Österreich zur Anerkennung einer offenen oder verschleierten Angliederung der Elbherzogtümer an Preußen zu bringen, arbeitete er zielbewußt auf die unvermeidliche, geschichtlich tief begründete bewaffnete Auseinandersetzung mit Österreich hin. Der Kaiserstaat seinerseits ahnte die Gefahr, die ihm drohte. Die Rechbergsche Politik des Zusammengehens mit Preußen, einst aus der Enttäuschung über das Scheitern der Reformpläne des Fürstentages geboren, brach zusammen. Der Minister selbst stürzte, und allmählich lenkte jetzt Österreich in seine alte Politik des Anschlusses an die Mittelstaaten zurück.
Die Machtlosigkeit des Bundestages trat in dieser Zeit immer greller ins Licht. Alles Interesse, auch in Mecklenburg, richtete sich daher auf Berlin. Mit Angst und Spannung beobachtete man jeden Schritt Bismarcks, wußte man doch, daß von ihm einmal die Entscheidung ausgehen mußte. Man suchte dabei so weit als
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möglich allen preußischen Wünschen entgegenzukommen, so daß das Verhältnis der mecklenburgischen Regierungen wie auch des Gesandten von Sell zu Bismarck ein fortdauernd gutes war. Auch diesem lag daran, Mecklenburg in möglichst engem Anschluß an Preußen zu erhalten. In verschiedenen vertraulichen Gesprächen mit Sell äußerte er seine tiefe Verstimmung gegen Osterreich 55 ). Er wollte wohl den Gesandten davon überzeugen, daß Preußen ein Recht habe, zornig auf die Donaumonarchie zu sein. Diese wiederum bemühte sich eifrig, die Mittel- und Kleinstaaten insgesamt für sich zu gewinnen. Offiziell und vertraulich wurde ihnen mitgeteilt, daß der Kaiserstaat ihre Interessen schützen wolle. Besonders auch auf die norddeutschen Staaten suchte Österreich einzuwirken.
Mecklenburg indessen lehnte sich, soweit es möglich war, bei den Abstimmungen am Bundestag im Jahre 1865 an Preußen an. Bismarck konnte mit der Haltung des kleinen norddeutschen Nachbarstaates durchaus zufrieden sein. Alle Besorgnisse vor Preußen, die dort etwa bestehen könnten, suchte er in einer vertraulichen Unterredung mit Sell am 10. April zu beseitigen. Die Äußerungen, die er hier machte, muß man, wenn man seine wahren Absichten kennt, als geradezu ungeheuerlich bezeichnen. Sie waren wohl nur dazu bestimmt, mecklenburgisches Mißtrauen einzuschläfern. Bismarck behauptete beispielsweise, der König sei viel mehr für Annektion, als er, der Minister, es je gewesen sei. Er würde nur den Kieler Hafen, den Kanalbau, Aushebungen für die preußische Flotte und den Großherzog von Oldenburg als Landesherrn verlangen. Auf alle weitergehenden Forderungen könne Preußen unbedenklich verzichten. Die Beziehungen zu Österreich seien ganz unverändert; man werde alles tun, um nicht mit ihm zum Bruche zu kommen.
Wirklich scheint der alte ehrliche Soldat soll diese Darlegungen, wenigstens zuerst, für bare Münze genommen zu haben. Er bezeichnete Sie jedenfalls "als in großer Offenheit gemacht". Auch über sein Verhalten hatte Bismarck allen Grund befriedigt zu sein. So bekam denn Mecklenburg in einem vertraulichen Erlaß, den er an den Botschafter in Petersburg über die Zustände in Deutschland richtete und der zur Mitteilung an den russischen Minister Gortschakoff bestimmt war, eine besonders gute Note 56 ). Es bilde eine rühmliche Ausnahme unter den Mittelstaaten, so schrieb er. Der partikulare Ehrgeiz sei dort, in richtiger Würdi-
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gung der preußischen, dem gesamten Deutschland heilsamen Ziele in anerkennenswerter Weise zurückgetreten. -
In der Konvention von Gastein vom August 1865 wurde die bewaffnete Austragung des österreichisch-preußischen Konfliktes noch einmal vertagt. Das "Kondominium" über Schleswig-Holstein wurde aufgegeben, Schleswig in preußische, Holstein in österreichische Verwaltung genommen. Aber in allen politischen Kreisen Deutschlands fühlte man, daß dies Auskunftsmittel den Krieg nicht beseitige, sondern nur hinausschiebe, so daß eine unerträglich schwüle und drückende Atmosphäre auf den Gemütern lastete.
Schon in den ersten Monaten des neuen Jahres verschärfte sich der Konflikt über die Elbherzogtümer. Auf beiden Seiten entschloß man sich, auch vor dem Äußersten nicht zurückzuschrecken. Für Preußen brachte der Kronrat vom 28. Februar die Entscheidung 57 ). Bismarck erhielt die Ermächtigung, Vorbereitungen für den Krieg mit Österreich zu treffen, den man "nicht erstreben, aber auch nicht unbedingt vermeiden" wollte. Die allgemeine Stimmung in Berlin ging dahin, daß der Krieg unvermeidlich sei. In diesem Sinne lauteten auch alle Berichte des Herrn von Sell seit Mitte Februar. Über den Kronrat vom 28. Februar konnte er am 7. März ziemlich genaue Mitteilungen nach Schwerin und Neustrelitz machen. So mußte man dort zu der Erkenntnis kommen, daß alles auf die Entscheidung hindränge. Bisher hatte man in den mecklenburgischen Regierungskreisen eine abwartende Haltung eingenommen, jedenfalls das Richtigste, was man tun konnte. Jetzt war es aber klar, daß man nicht mehr lange um eine endgültige Stellungnahme herumkommen werde. Daher reiste Großherzog Friedrich Franz Mitte März nach Berlin, um sich dort an Ort und Stelle über die politische Lage zu unterrichten. Die Tage, die er jetzt in der preußischen Hauptstadt zubrachte, sind bereits für seine Haltung bei Kriegsausbruch entscheidend geworden. Bisher hatte die Politik des Großherzogs und seiner Ratgeber darauf abgezielt, zwischen Österreich und Preußen zu vermitteln, das bestehende Bundesrecht zu erhalten und eine Bundesreform nur zuzugeben, wenn sie auf legalem Wege vor sich ging und konservativen Grundsätzen Rechnung trug. Daß es ihm nicht gelingen werde, beim Ausbruch eines österreichisch-preußischen Krieges diesen korrekten Standpunkt zu bewahren, das hatte Friedrich Franz bei seinem klaren Blick sicher längst eingesehen. Es mußte eine Entscheidung getroffen werden zwischen Öster-
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reich oder Preußen, ein Drittes gab es nicht! Daß sich der Großherzog diese Alternative klar vor Augen stellte und frühzeitig nach ihr handelte, im Gegensatz zu seinen Ratgebern, ist sein großes geschichtliches Verdienst. Herr von Oertzen und verschiedene andere mecklenburgische Diplomaten wollten bis zuletzt eine Stellung zwischen den kämpfenden Rivalen einnehmen und bedachten nicht, daß sie dabei unbedingt unter die Räder kommen mußten. Mußte aber zwischen den beiden Großmächten eine Entscheidung getroffen werden, so gab es für Mecklenburg nach seiner ganzen geographischen Lage nur eine Möglichkeit: den Anschluß an Preußen. Erleichtert wurde Friedrich Franz dieser sicherlich auch für seine konservative Natur schwere Entschluß durch seine engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum preußischen Königshause und sein deutsches Ideal eines starken Machtstaates, das schließlich doch nur durch Preußen der Verwirklichung entgegengeführt werden konnte.
Über die Verhandlungen, die der Großherzog in diesen Märztagen in Berlin führte, läßt sich aus den leider nur sehr knappen Notizen seines Tagebuches 58 ), das er seit dem Tode seiner zweiten Gattin im April 1865 wieder regelmäßig schrieb, ungefähr ein Bild gewinnen. Nachdem er bereits am 21. März eine politische Besprechung mit dem König gehabt hatte, erschien am Morgen des 23. Bismarck bei ihm und entwickelte ihm die ganze politische Lage. Dabei scheint er ihm ziemlich reinen Wein eingeschenkt zu haben. Einmal stellte er ihm wohl die Unvermeidbarkeit des Krieges, dann aber die günstigen Aussichten für Preußen vor Augen. Am nächsten Tage verließ Friedrich Franz Berlin; in sein Tagebuch schrieb er: "Abschied vom König, herzlich; bestimmte Position genommen." Das kann nach allem, was folgte nur so gedeutet werden, daß der mecklenburgische Großherzog bereits an diesem Tage König Wilhelm gegenüber erklärte, daß er bei einem österreichisch-preußischen Kriege auf preußischer Seite stehen, mindestens nichts Feindseliges gegen Preußen unternehmen werde.
Diese Abmachung war jedoch zunächst nur eine persönliche Verpflichtung zwischen den beiden Monarchen für einen etwa in Zukunft eintretenden Fall. Einstweilen ging die offizielle mecklenburgische Politik in den bisherigen Bahnen des vorsichtigen Abwartens weiter. Am 26. März traf Herr von Richthofen mit dem preußischen Rundschreiben vom 24. in Schwerin ein, das sich über die österreichischen Rüstungen wie über die Unzulänglichkeit der Bundesverfassung ausließ. Es betonte die Notwendigkeit einer
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großzügigen Bundesreform und stellte zum Schluß die Frage, wie weit Preußen bei einem möglichen Konflikt und bei der geplanten Reform auf Unterstützung rechnen könne 59 ). Herr von Oertzen erklärte, nachdem Richthofen ihm diese Depesche vorgelesen hatte, er werde dem Großherzog baldmöglichst Vortrag darüber halten, fürs erste wolle er amtlich folgendes mitteilen: "Mecklenburg sei bekanntlich von der Notwendigkeit einer Bundesreform durchdrungen und habe dieser Überzeugung bei jeder Gelegenheit Ausdruck gegeben. Preußen könne daher sicher sein, bei seinen Schritten zur Erlangung dieser Reform Mecklenburg auf seiner Seite zu haben. Alle Schritte, welche darauf hinausliefen, diese Reform in einer haltbaren und allgemein anerkannten Weise zustande zu bringen, werde Mecklenburg unterstützen. Bis dahin, daß dies Ergebnis erzielt sei, werde es freilich an dem bisherigen Bunde festhalten."
Viel zurückhaltender war Oertzens Antwort auf die zweite ihm gestellte Frage, ob Mecklenburg Preußen in einem Konflikt mit Österreich unterstützen werde. Er wies nur nachdrücklich auf die Anhänglichkeit des Großherzogs an die Person König Wilhelms hin; weitere Bindungen erlaube das gegenwärtige Stadium der Sache nicht. Ganz richtig faßte der preußische Gesandte in seinem Bericht das Ergebnis seiner Unterredung mit Oertzen dahin zusammen, daß man sich "in Schwerin so lange wie nur möglich die bisherige Passivität und die Freiheit des Entschlusses bewahren möchte". Die Art, wie Oertzen sich geäußert habe, könne man aber mehr in zustimmendem Sinne auffassen. Was die Haltung des Großherzogs anbeträfe, so sei er persönlich überzeugt, daß Friedrich Franz "aufrichtig und fest zu Preußen halten werde".
Von seiner Abmachung mit König Wilhelm hat der Großherzog anscheinend seinem Minister zunächst noch keine Mitteilung gemacht. Er wollte wohl, wie es seine Art war, erst in sich selber ganz klar und zielsicher werden. Am 3. April scheint er dann Oertzen seine Absichten bei Gelegenheit der Besprechung eines vertraulichen Richthofenschen Schreibens mitgeteilt zu haben 60 ). Am nächsten Tage betonte er nochmals seinen Standpunkt, worauf der Minister erklärte, dann werde er gegebenenfalls seinen Rücktritt nehmen. So war es in dieser Frage zu einem Zwiespalt beider Männer gekommen; Oertzen mußte von der starren Enge seiner Weltanschauung aus eine Politik verdammen, die sich an das Bismarckische Preußen auch dann anschließen wollte, wenn es die
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alte geheiligte Ordnung in Deutschland zertrümmerte und einen verderblichen Bruderkrieg mit Österreich begann. Er hat sicherlich geglaubt, daß letzten Endes nur Unheil und Verwirrung aus dieser Stellungnahme hervorgehen könne, wenn sie auch für den Augenblick als die ungefährlichere erscheinen mochte. Unbedingtes Festhalten am Bundesrechte hat er wohl als die einzige Möglichkeit mecklenburgischer Politik auch jetzt angesehen.
So wie Oertzen dachten die meisten mecklenburgischen Staatsmänner. Auch das Strelitzer Fürstenhaus wollte auf keinen Fall mit Preußen gegen Osterreich gehen. Richthofen hatte dem Strelitzer Minister Bülow am 27. März auf einer Konferenz in Neubrandenburg dieselben Eröffnungen gemacht wie am Tage vorher Herrn von Oertzen gegenüber. Bülow lehnte jede irgendwie bindende Antwort für den Augenblick ab. Jedenfalls werde der Großherzog einen Bruch zwischen den Großmächten, auf deren Einvernehmen bisher die Selbständigkeit der Kleinstaaten beruht habe, aufs tiefste beklagen. Nur in der Frage einer Reform der Militär-Verfassung des Bundes glaubte der Minister die unbedingte Unterstützung Strelitz' in Aussicht stellen zu können.
Anfang April weilte Herzog Georg, der Bruder des Großherzogs Friedrich Wilhelm, in Berlin. Er hatte eine Unterredung mit König Wilhelm, über deren Ergebnisse er Herrn von Sell ebenso wie über seine eignen Ansichten unterrichtete 61 ). Der König hatte sich bemüht, ihn zu beruhigen: wenn Österreich seine Rüstungen nicht ausdehne, werde es Preußen ebensowenig tun. Der Herzog hatte den Eindruck gewonnen, daß Preußen noch den Frieden erhalten würde gegen die Annektion der Herzogtümer; hätte es aber erst zu den Waffen gegriffen, so gehe Bismarcks Absicht auf Umgestaltung der Bundesverfassung, die Preußen an die Spitze bringen solle. Sein persönlicher Wunsch wie der seines Bruders, des Großherzogs, so schloß Georg seine Mitteilungen an Sell, sei der, "daß Mecklenburg fest auf dem Boden des Bundesrechts beharren und nur der Gewalt weichen möge". - Friedrich Franz hatte also einen Entschluß gefaßt, der ihn nicht nur von den Ansichten seines Ministers, sondern auch von denen des befreundeten Strelitzer Fürstenhauses weit entfernt hatte.
Bismarck wollte jetzt die holsteinische Frage, an der der Zwist mit Österreich sich entzündet hatte, mit der allgemeinen Bundesreformfrage verknüpfen. Am 9. April ließ er der Bundesversammlung durch den Gesandten von Savigny ein Reformprojekt vorlegen, das ein deutsches, aus allgemeinen, gleichen und direkten
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Wahlen hervorgehendes Parlament forderte 62 ). Dieser neuen preußischen Forderung gegenüber war ein Einlenken Österreichs nicht zu erwarten. So konnte Bismarck hoffen, baldigst zu seinem Ziel, dem Ausbruch des Krieges, zu kommen.
In Frankfurt herrschte allgemeines Entsetzen über diesen "ungeheuerlichen" Antrag, wie Herr von Wickede schrieb. In seinem Bericht fand er die schärfsten Ausdrücke gegen Preußen, den Friedensstörer, gegen das er aufs höchste erbittert war. Zugleich liefen jetzt Mitte April Berichte Gamms aus Wien ein, die sich bemühten, Österreichs Friedensliebe zu beweisen, Sell dagegen hatte Gelegenheit, zu betonen, daß Bismarck zum Kriege treibe. Unter all diesen Eindrücken scheint Friedrich Franz, der ja ganz einsam und allein stand, innerlich geschwankt zu haben, ob der von ihm gewählte Weg auch der richtige sei 63 ). Der entscheidende Augenblick war ja noch nicht gekommen, und so konnte Mecklenburg zunächst noch die Oertzensche Politik des vorsichtigen Abwartens fortsetzen. Erst am 20. April, als bekannt geworden war, daß die meisten Staaten für die Einsetzung eines neungliedrigen Ausschusses zur Beratung des preußischen Antrages eintreten wollten, wurde Wickede instruiert, gleichfalls dafür zu stimmen. Noch zögernder und unklarer war die Strelitzer Regierung in ihrer Haltung. Der Bundestag sprach sich dann einstimmig für die Einsetzung des Ausschusses aus 64 ).
Auf einer Konferenz in Augsburg am 22. April einigten sich die mittel- und süddeutschen Staaten über die Zusammensetzung dieses Ausschusses. Das norddeutsche Mecklenburg hatte man nicht eingeladen, wohl weil man davon überzeugt war, daß es faktisch ganz von Preußen abhängig sei. Nach dem in Augsburg angenommenen Plan wurde der Ausschuß dann auch wirklich zusammengesetzt. Wickede wurde nicht gewählt. Er war, wie es scheint, in seiner temperamentvollen Art zu extrem österreichfreundlich aufgetreten, als daß seine Wahl von der Mehrzahl der deutschen Bundesstaaten, die noch immer möglichst ausgleichen und vermitteln wollten, gewünscht worden wäre. Weil er damals nicht durchschaut habe, daß Preußen unbedingt den Bruch wolle, so schrieb er später durchaus glaubwürdig 65 ), sei er der Ansicht gewesen, daß eine große antipreußische Majorität es zum Einlenken bringen könne, und habe deshalb gegen Preußen gewirkt. Daß
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im Falle eines Krieges Mecklenburg nur auf der Seite des benachbarten Großstaates stehen könne, sei ihm immer klar gewesen.
Am 30. April weilte Wickede zur Rücksprache über das weitere Verhalten in Frankfurt in Schwerin. Man machte jetzt den Versuch, sich mit einzelnen norddeutschen Höfen über ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen. Es geschah auf Oertzens Anregung hin. Wickede wurde nach Hannover und Cassel gesandt, mit Oldenburg trat man brieflich in Verbindung, schließlich verlief die ganze Sache aber doch im Sande 66 ).
Ende April schien es noch einmal, als ob es gelingen wurde, den Frieden zu. erhalten. Doch auch diese Hoffnung zerschlug sich. Der Mai verlief dann mit Intrigen und Gegenintrigen und Vorschlägen zu einer europäischen Konferenz, die über den Streitfall entscheiden Sollte. Der Versuch scheiterte. Anfang Juni stand der Ausbruch des Krieges unmittelbar bevor. In Schleswig-Holstein begann der Zwist, der Vertrag von Gastein wurde für gebrochen erklärt 67 ). Preußen ließ seine Truppen in Holstein einrücken, da jetzt wieder die "Kondomination" aus der Zeit vor Abschluß des Vertrages Platz greife. Da stellte Österreich am 11. Juni den Bundesantrag, das Vorgehen Preußens in Holstein als Bundesbruch zu erklären und alle nichtpreußischen Bundestruppen zu mobilisieren. Preußen ließ erklären, es werde die Annahme dieses Antrages als Kriegserklärung ansehen.
Am 14. Juni fand die entscheidende Abstimmung statt. Ein bayrischer Antrag, der den österreichischen sehr gemildert hatte und der Bundesmobilmachung, die auf die außerösterreichischen Kontingente beschränkt bleiben sollte, den Charakter einer bewaffneten Vermittlung verleihen wollte, wurde mit 9 :6 Stimmen angenommen. Darauf erklärte der preußische Gesandte von Savigny den Bund für gebrochen und lud diejenigen Staaten, die mit Preußen gestimmt hatten, zum Abschluß eines neuen Bundes ein auf der Grundlage von am 10. Juni veröffentlichten preußischen Reformvorschlägen. Der Konflikt war ausgebrochen.
Mecklenburg-Schwerin - von Strelitz war keine rechtzeitige Instruktion eingetroffen - hatte sich gegen den bayrischen Antrag
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erklärt mit einer ausführlichen Begründung, die geschickt den bundesrechtlichen Standpunkt wahrte 68 ). Theoretisch standen ihm auch jetzt noch alle Wege offen. Daß es praktisch nicht der Fall war, zeigte die wenige Tage später eintreffende dringende Aufforderung Preußens zur aktiven Beteiligung am Kriege. Friedrich Franz entschied sich sofort dafür, entsprechend seinem Entschluß vom März. Ganz anders Mecklenburg-Strelitz! Da bedurfte es erst harter preußischer Drohungen, den streng legitimistischen Friedrich Wilhelm zum Bündnis zu zwingen 69 ).
Auch Jasper von Oertzen konnte den freilich durch die Not, wie er einsehen mußte, gebotenen Entschluß seines Großherzogs nicht mitmachen. Er bat um seine Entlassung und blieb nur auf die dringende Bitte seines Herrn im Amte. Alle Gefühlsmomente in dem alten, geraden, rechtlichen Mann bäumten sich gegen die Teilnahme an diesem Kriege auf, der die Grundlagen der legitimistisch-konservativen Ordnung in Deutschland vernichten mußte. Seine innere Kraft war gebrochen. Das harte Jahr 1866 hatte dem Greise seine Ideale zerstört, an denen er jahrzehntelang mit der Zielfestigkeit des echten Norddeutschen gehangen hatte.
Friedrich Franz war es, der Mecklenburg zuerst noch mit Sorgen, dann mit innerer Freude in die neuen Bahnen hineinlenkte, die es als Bundesstaat in den Norddeutschen Bund und dann in das Deutsche Reich führten. Schon im Juli stand er an der Spitze eines Reservekorps in Süddeutschland, in dem sich auch seine Mecklenburger befanden. So nahm er als selbständiger Heerführer an den Kämpfen gegen die Bundestruppen teil.
Die Schranken der Vergangenheit waren gefallen, das alte Bundesrecht war zertrümmert. Nach dem Scheitern aller nationalen Einigungsversuche der Jahre 1848/50 als letztes Auskunftsmittel neu begründet, hatte dieser Bund es nicht vermocht, das Einheitssehnen des deutschen Volkes zu befriedigen. Nur langsam hatte sich die Hoffnung auf endliche Erfüllung dieser Sehnsucht aus dem Schutt der Reaktionsjahre erhoben. Die Verwirklichung brachte ihr den Genius eines Bismarck: er verband die hohe Idee von deutscher Einheit und Größe mit der politischen Macht des preußischen Staates. Auch die Vertreter des Alten hatten im System des gottgeheiligten Legitimismus ihre Ideale gehabt, freilich alle jugendliche Frische hatte ihnen gefehlt, mußte ihnen fehlen.
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Mecklenburgs Staatsmänner hatten an die Erhaltung des Bestehenden ihre Kraft gesetzt - sie waren gescheitert. Sie hatten es sich zuletzt selbst nicht mehr verhehlen können, daß das Alte morsch geworden war, doch schien es für sie keinen Übergang über die furchtbare Kluft zur nationalen Revolution zu geben. Bismarck zeigte die Brücke, aber der Weg zu ihr führte über Trümmer und blutige Schlachtfelder. Es war zu verstehen, daß viele sich scheuten, diesen Weg zu gehen. Ein Oertzen konnte es nicht! Großherzog Friedrich Franz, durch seine Weltanschauung weniger gebunden und den Idealen deutscher Machtentfaltung von Herzen zugetan, führte sein Land hinüber in den deutschen Nationalstaat.