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vom
fortgesetzt
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als dem ersten Secretair des Vereins.
Mit angehängten Quartalberichten und der Matrikel von 1835-1885.
Auf Kosten des Vereins.
In Commission der Stillerschen Hofbuchhandlung.
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Gedruckt in der Hofbuchdruckerei von Dr. F. Bärensprung.
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I. | Urkundliche Geschichte der Friedrichs-Universität Bützow. Vom Oberlehrer Dr. U. Hölscher | S. | 1 | |
II. | Stammtafeln des Großherzoglichen Hauses von Meklenburg. Von Dr. F. Wigger | S. | 111 | |
Zwei zusammengehörende Stammtafeln A. und B. sind eingeheftet zu S. 326. | ||||
Anhang: | Verzeichniß der Grabstätten des Großherzoglichen Hauses | S. | 327 | |
III. | Meklenburger auf auswärtigen Universitäten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Vom Geh. Finanzrath Balck. Dritter Beitrag | S. | 343 | |
Personenregister zum dritten Beitrag S. 377. | ||||
IV. | Nachtrag zu den Meklenburgern auf den Universitäten Wittenberg und Erfurt. Von Gymnasial=Director Dr. Krause | S. | 383 |
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:
der
von
Dr. U. Hölscher,
Oberlehrer am Real=Gymnasium zu Bützow.
I. Theil. Die Stiftung der Universität zu Bützow.
1) Die Veranlassung zur Stiftung und das kaiserliche Privilegium.
A ls am 30. Mai 1756 der Herzog Friedrich Meklenburgs Thron bestieg, war der erbitterte Streit der Rostocker Theologen gegen die Darguner Pietisten beendigt; der Geist der alten Ordnung hatte über die Willkür gesiegt. Aber dem zur Orthodoxie zurückkehrenden Pietismus erging es wie dem verlorenen Sohn in der Schrift: "der älteste Sohn" nahm "den wieder lebendig gewordenen" Bruder nicht mit Freuden auf, sondern mißgönnte grollend im Herzen ihm sein Kindesrecht. Schritt für Schritt zurückweichend hatten die allzu eifrigen Jünger Fechts zwar gelernt, in das Unvermeidliche sich zu fügen, und dem Herzog Christian Ludwig im Jahre 1752 sogar eingeräumt, daß er, "da ja doch Alles in seiner Gewalt sei, Subjekte ins Predigtamt einsetzen könnte, welche er wollte; " daß sie aber von ihrer Leidenschaft und fanatischen Verfolgungssucht nichts verloren hatten, war noch im Jahre 1751 in ihrem Angriff auf den Professor Engel deutlich hervorgetreten. Der verhaltene Zorn wirkte in ihnen wie ein fressendes Gift, und die Angst, daß der Herzog auch die Universität, die Burg der alten Orthodoxie, mit dem gräulichen Pietismus beflecken könnte,
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machte sie schaudern! Darin waren die Führer der Facultät, Burgmann, Becker und Quistorp, einig, jedem dahin zielenden Versuch des Landesfürsten mit allen Mitteln Trotz zu bieten. Es war ihr Glück, daß der Herzog Christian Ludwig mit andern, größeren Aufgaben zu sehr beschäftigt war, um dem Erbprinzen die gewünschte Genugtuung zu verschaffen; wir werden bald sehen, daß der Herzog, den Widerstand der Universität zu brechen entschlossen, bereits die eventuelle Auflösung derselben ins Auge gefaßt hatte. Sterbend überließ er diesen letzten Kampf seinem Sohne, dem Herzog Friedrich dem Frommen.
Herzog Friedrich war mit den Verhältnissen der Rostocker Universität sehr vertraut; nicht allein hatte er seit dem Tode seines Oheims Karl Leopold die Ehre des Rektorats für sich in Anspruch genommen, er hatte auch bei seinem Aufenthalt in Rostock persönlich oft genug den empörenden Uebermuth des Raths als Mitpatrons der Akademie erfahren; ihn in die gehörigen Schranken zurückzuweisen glaubte er nicht nur sich, sondern auch dem Lande schuldig zu sein. Dazu besaß er, bei aller echten Herzensfrömmigkeit, eine Seele voll glühendster Leidenschaft, welche hoch aufloderte, wenn in dem, was er als recht und nothwendig erkannte, sich ihm Hindernisse entgegenstellten; mit der unserm Fürstenhause eigenen Energie ruhte er nicht, bis er sein Ziel erreicht hatte. Es war aber nicht die bloße, unter dem Einfluß seiner Großtante Auguste von Dargun gewonnene Vorliebe für den Pietismus 1 ), auch nicht bloß die eigene Bekehrung und sein in der Liebe Gottes selig schweigendes Glaubensleben, dem es Bedürfniß ist, auch Andere zum Frieden zu führen: sondern vor allem war es die Noth seines zertretenen Volkes und die trostlose Lage der Kirche, die ihn bewogen, das Werk der Verbesserung von Kirche und Schule als seine vornehmste Herrscheraufgabe anzusehen. Mit den Dargunern theilte er den Haß gegen die buchstabenstarre, dem Dienst des Herzens entfremdete Orthodoxie; dieser gab er Schuld, daß das kirchliche Leben in den Gemeinden todt war. So stand der Entschluß bei ihm fest, eine
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durchgreifende Reform der theologischen Facultät in Rostock, von welcher lauter Grabesduft über das ganze Land sich verbreitete, nach seinem Willen herbeizuführen.
Der erste Versuch, den bekannten Professor Knapp in Halle für seine Pläne zu gewinnen, mißlang; aber Knapp war es, der auf den Prediger an der Moritzkirche daselbst, den Magister Christian Albrecht Döderlein, als den geeigneten Mann aufmerksam machte.
Döderlein, am 11. December 1714 geboren, war der Sohn des Pfarrers Georg Michael Döderlein zu Seegringen, einem kleinen Dörfchen, in der nordöstlichen Ecke Schwabens gegen Franken hin gelegen. Bis zum 15. Jahre vom Vater unterrichtet, kam er auf das Gymnasium in Oettingen, welches er nach drei Jahren verließ, um dem Wunsch des Vaters entsprechend in Jena Theologie zu studieren. Hier bestimmte ihn der Professor Joh. Georg Walch, der akademischen Laufbahn sich zu widmen und als Dozent der Philosophie in Göttingen sein Glück zu versuchen. Aber der Vater, dem der freie Geist des Sohnes ebenso wenig gefiel als allgemein die philosophischen Spekulationen, zwang ihn durch Verweigerung jeglicher Unterstützung die begonnene Carrière aufzugeben und eine Hauslehrerstelle bei Hrn. v. Molzahn aus Teschow bei Treptow anzunehmen. Diese Familie galt damals für entschieden pietistisch; indessen, wann Döderlein dort "bekehrt" worden ist, weiß ich nicht. Nur aus einer Notiz bei Wilhelmi (Augusta, Prinzessin von Meklenburg=Güstrow, und die Dargunschen Pietisten, S. 177) entnehme ich, daß er im Jahre 1741 in einer bis in die Mitternacht sich hinziehenden Betstunde zwei Seelen in Tützpatz bei Treptow "bekehrte", sowie, daß er eben hier 1745 Pastor wurde. Einige Jahre später begegnen wir ihm im Hause eines Grafen von Promnitz in der Nieder=Lausitz, dessen Sohn er 1751 auf die Universität nach Halle begleitete. Hier schloß er sich eng an den Professor Knapp an, durch dessen Vermittlung er Inspektor des Waisenhauses und 1753 Prediger an der Moritzkirche wurde.
Von da begann Döderleins öffentliche Wirksamkeit, welche ihn in Kurzem mitten in das Gewoge des erbittertsten Streites führte. Denn seine Predigt von der sündigen Menschheit Erlösung durch Christi Opfertod fand weiten Widerhall und wirkte um so mächtiger, als sein begeistertes Wort im schroffsten Gegensatz stand sowohl gegen die in Halle damals vorherrschende scholastische Orthodoxie, als auch gegen den aus Baumgartens Schule hervor wachsenden Rationalismus. Mit großer Kühnheit verwies Döderlein dem in höchstem Ansehen stehenden Professor Semler den Miß=
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brauch mit der Vernunft; von der Wahrheit, die er an sich selbst erfahren hatte, tief durchdrungen, bestritt er mit der ihm natürlichen Leidenschaft der Philosophie das Recht, den blendenden Schein der Vernunft über die Offenbarung zu erheben, und ließ als einzige Quelle der reinen Gotteserkenntniß und eines thätigen Gnadenlebens nur die H. Schrift, das Buch aller Weisheit, gelten. Kein Wunder, daß er seinen Feinden bald als intoleranter Fanatiker erschien!
An diesen Mann nun richtete der Herzog Friedrich von Meklenburg im Jahre 1757 die Anfrage, ob er bereit sei, eine Stelle als Professor und Konsistorialrat in Rostock anzunehmen. Gewiß wurde Döderlein die Entscheidung nicht leicht; denn bei aller Glaubenswärme fehlte ihm doch das Rüstzeug eines ordentlichen Professors, und dazu erforderte die ihm zugemuthete Aufgabe, im Kampfe gegen die auf ihn und seinesgleichen erbitterte theologische Facultät in Rostock eine gründliche Umwandlung der kirchlichen Zustände in einem so zerrütteten Staat wie Meklenburg zu Wege zu bringen, mehr Kraft und Muth, als Sterblichen gewöhnlich verliehen ist. Aber "nach reiflicher Ueberlegung der Sache vor Gott und mit seinen Freunden und in dem Vertrauen, daß die göttliche Vorsehung, welche ihn in das schwere Amt einsetze, durch die überschwängliche Kraft und Beistand des H. Geistes ihn auch tüchtig machen werde, als Gefäß der Barmherzigkeit zum Dienst der Kirche und des gemeinen Wesens den Christfürstlichen Endzweck des Herzogs fördern zu helfen", nahm er am 20. October 1757 den Ruf an.
Der Zorn der Gegner wurde durch diese ehrenvolle Berufung Döderleins aufs Höchste gereizt. Semler selbst benutzte die Gelegenheit, als die theologische Facultät in Halle dem scheidenden Collegen die Doctorwürde ertheilte, in maßlos heftiger Sprache den Kandidaten anzugreifen. Zum letzten Male wurden da die Gegensätze aufs Schärfste hervorgekehrt. Endlich bot Döderlein die Hand zum Frieden; mit tränenerstickten Worten bat er Semler, vor dem der evangelischen Kirche drohenden Verderben die Augen nicht zu verschließen, und beklagte, daß der Name Halle's, wo einst Spener und Francke leuchtende Vorbilder des Glaubens gewesen seien, durch diesen unerhörten Skandal allen guten Christen zum Aergerniß beschimpft würde. Semler hat später sein Unrecht öffentlich bekannt.
Am 16. Januar 1758 zeigte der Herzog die Ernennung Döderleins der Universität an. Die theologische Facultät erwiderte, daß sie dem Herzog zwar das Recht der Berufung nicht bestreiten
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könnte, daß sie aber die Rezeption des neuen Collegen in die Facultät so lange Verweigern müsse, bis derselbe das in den Statuten vorgeschriebene Colloquium über seine Rechtgläubigkeit bestanden habe. Döderlein erkannte sofort die böse Absicht, ihn entweder von seinem Gewissen abzuziehen oder von der Universität zu entfernen, und bat den Herzog um Dispens, indem er statt dessen zu feierlicher Angelobung sich erbot, den symbolischen Büchern zugetan zu sein und zu bleiben. Den Rostockern war aber dies keine genügende Bürgschaft, und der Rath, von der Facultät um Schutz angerufen, erklärte, daß der Herzog kein Recht habe zu dispensieren.
Die Widerspenstigkeit der Rostocker kam dem Herzog nicht unerwartet; war es doch bisher gleichsam selbstredend gewesen, daß Rostock "in dem Hochgefühl einer reichsfreien (?) Stadt, als autonomes Glied der lang verschollenen Hansa und unbekümmert um den Umschwung der Verhältnisse sich in Jedem und Allem gegen die Landeshoheit der Herzöge auflehnte und jeden bei Kaiser und Reich anhängig gemachten Prozeß geschickt von Instanz zu Instanz verschleppte!" Der Herzog dachte daher auch nicht daran, einen neuen Prozeß anhängig zu machen, sondern gab, fest entschlossen, das durchzuführen, was schon "sein in Gott ruhender Höchstseliger Vater gewollt hatte: nämlich die Landeshoheit des Fürsten auch in Hinsicht der Universität gegen die widersetzliche Munizipalstadt zur Geltung zu bringen", seinem Gesandten am Kaiserlichen Hofe in Wien, Geh. Rath v. Ditmar, den Befehl, ehebaldigst das Patent für eine volle Universität von vier Facultäten nach dem Muster der Georgia Augusta in Göttingen zu beschaffen. Dieses für den fast unerschwinglichen Preis von 3036 1/2 Goldgulden erworbene Kaiserliche Patent traf im October 1758 ein 1 ).
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Die Urkunde war nach Form und Inhalt dem Herkommen gemäß, speziell aber nach dem Muster des Diploms der Georgia Augusta (Göttingen) gearbeitet.
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In der Einleitung wird Vorausgeschickt, wie der Kaiser Franz, von der hohen Bedeutung der Wissenschaften und ihrer Pflege erfüllt, dem Wunsche des Herzogs Friedrich von Meklenburg, "zur
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Förderung der Wissenschaften und zur Hebung des in seinem Lande darniederliegenden Handels und Verkehrs eine neue blühende Universität zu errichten", in Betracht seiner besonderen Treue gegen Kaiser und Reich gern und in allen Gnaden willfahre.
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Es solle also dem Herzog Friedrich gestattet sein, in einer seiner Städte, jedoch ohne Präjudiz für die benachbarten Universitäten, eine samt allen daran Lehrenden und Lernenden in gleichen Rechten und Würden mit den übrigen deutschen Hochschulen bestehende Universität von 4 Facultäten zu errichten.
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Es solle den vom Herzog ernannten Professoren und übrigen Lehrern an dieser Universität die übliche Freiheit des Unterrichts erlaubt sein.
Es solle den Professoren freistehen, diejenigen Bewerber, welche sich in einem Examen rigorosum als tüchtig in ihrer Wissenschaft
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und sonst auch würdig bewiesen, zu Baccalaureen, Magistern, Lizentiaten und Doctoren zu ernennen und mit allen Insignien feierlichst zu begaben. Die also Graduierten sollen dann im ganzen Reich als graduiert anerkannt und zu allen ihnen zukommenden Amtshandlungen berechtigt sein.
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Es solle die Universität unter des Kaisers und seiner Nachfolger besonderem Schutz und Schirm stehen, und alle ihre Lehrer, vorausgesetzt, daß sie nichts Anstößiges, den guten Sitten Entgegenlaufendes, den Reichsgesetzen und Ordnungen Widersprechendes weder lehrten noch schrieben, dieselben Ehren und Würden, Freiheiten und Rechte genießen, wie die andern Lehrer an den deutschen Universitäten.
Es solle den Professoren unbenommen Sein, mit Einwilligung des Herzogst oder seiner Nachfolger Statuten und Ordnungen zu geben, einen Kanzler und Rector, resp. wenn der Herzog oder seine Nachfolger diese Würden für sich beanspruchten, einen Pro=Kanzler und Pro=Rektor zu ernennen, und was sonst an Beamten erforderlich sei.
Der Rector resp. Pro=Rektor solle aus besondern Gnaden nicht bloß den Titel und die Würde eines Pfalzgrafen, sondern auch dieselben Rechte, Ehren und Freiheiten wie die andern Reichspfalzgrafen besitzen, nämlich:
1) öffentliche Notare zu ernennen, einzusetzen und zu beeidigen, daß sie treu gegen Kaiser und Reich, dazu in ihren gerichtlichen Handlungen ehrlich, rechtlich und sorgfältig sein wollen; daß sie der Armen und Kranken sich annehmen, auch Brücken und Straßen nach ihrem Vermögen fördern wollen; und endlich, daß sie in Prozeß=
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sachen verschwiegen sein wollen. Nach Ablegung dieses Eides sollen dann die Notare befugt sein, alle notariellen Handlungen innerhalb der zu Recht bestehenden Ordnung vorzunehmen.
2) Poetas laureatos zu ernennen, mit ihren Insignien zu versehen und in alle ihre Rechte einzusetzen;
3) Legitimationes Unehelicher vorzunehmen, soweit es rechtlich gestattet sei;
4) Vormünder und Curatoren zu ernennen, Ehrenverlust aufzuheben, Adoptionen und Arrogationen vorzunehmen, großjährig zu machen, Sklaven in Freiheit zu setzen, geschädigten Kirchen und Gemeinden zu ihrem Rechte zu verhelfen; doch alles dies ebenfalls nur, soweit es nach dem Rechte gestattet sei.
Es sollen auch der Herzog und seine Nachfolger befugt sein, der Universität und den einzelnen Facultäten öffentliche Siegel und was sonst an Abzeichen üblich und gebräuchlich sei, zu verleihen.
Wer diese Kaiserliche Urkunde verachte und die darin ausgesprochenen Rechte breche, solle 50 Mark reines Gold zur einen Hälfte an den Kaiserlichen Fiskus, zur andern an den Herzog oder seine Nachfolger bezahlen.
Unterschrieben und besiegelt am 3. October 1758 in Wien.
Dem Herzog war mit diesem teuer erkauften Diplom wenig gedient; er hatte ein gleichzeitiges kaiserliches Dekret, die Aufhebung der Universität Rostock betreffend, erwartet. Statt dessen enthielt das erwirkte Diplom die, wenn auch gebräuchlichen, so doch dem Widerstande der Rostocker sehr willkommenen Worte: daß die neue Universität ihre Rechte nur habe "sine praejudicio vicinarum Universitätum." Baron v. Ditmar in Wien erhielt daher den erneuten Befehl, mit allem Nachdruck die Aufhebung der Rostocker Akademie bei dem Kaiser zu betreiben; aber sei es nun, daß der Kaiser nicht einwilligen wollte noch konnte, weil die sehr verwickelte Frage, ob Rostock Compatron sei, noch unerledigt war, sei es, daß v. Ditmar die Sache lässig betrieb: der Herzog konnte seinen Willen nicht erreichen. Ditmar antwortete nur, ihm scheine das Aufhören der Akademie in Rostock nach Entziehung des herzoglichen Antheils Selbstfolge zu sein, wogegen der Geh. Rath J. P. Schmidt - früher selbst Professor zu Rostock - aufs Dringendste vor der Concurrenz mit der alten anziehungsvollen Musenstadt warnte. Und nicht mit Unrecht machte Letzterer jenem noch im Jahre 1783 den Vorwurf, schuld an dem unseligen Streit geworden zu sein; denn wenn er dem herzoglichen Befehl gemäß eine Ent=
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scheidung des Kaisers herbeigeführt hätte, so hätte der Streit keine Bedeutung gehabt 1 ).
Die nächste Folge war, daß der Herzog den Besitz des Diploms geheim hielt; dazu mahnte die wachsende Kriegsnoth im Lande zur Vorsicht. Gleichwohl wurde an dem Plan der Einrichtung der neuen Universität mit allem Fleiß gearbeitet. Bereits am 24. September 1758 hatte G. R. Schmidt in einem langen Pro memoria seine Gedanken dargelegt. Die Kosten der ersten Einrichtung berechnet er darin auf etwa 6000 Thlr., die Salaria auf 9000 Thlr., wovon etwa 4000 Thlr. aus Rostock zuflössen; auf äußere Pracht der Gebäude legt er keinen Werth, es reiche hin, wenn für Concil und Anatomie hübsche, zweckentsprechende Räume da seien, und Professoren und Studenten bequeme Wohnungen vorfänden. Viel wichtiger sei es, die Lehrer gut zu besolden, damit brauchbare Männer von weltbekanntem Ruf gewonnen würden; schlecht besoldete legten sich aus Handwerk und böten zur Schande der Universität ihre Gelehrsamkeit feil; für 600 1000 Thlr. seien wohlgeschickte Leute zu haben. Es sei ferner, da nicht die Zahl, sondern die Qualität der Dozenten den Ruhm einer Hochschule ausmache, genug, wenn 3 Theologen, 3 Juristen, 2 Mediziner und 4 Philosophen berufen würden. Von den fürstlichen Professoren empfiehlt er als noch brauchbar: Döderlein, Mantzel, Detharding, Karsten, Aepinus, Carpov. Die Inauguration der neuen Universität müsse möglichst feierlich im Beisein von Gelehrten aus ganz Deutschland stattfinden; allein für diesen Zweck forderte er 2000 Thlr.
Zur Auseinandersetzung mit Rostock schlägt er den gewandten Professor Aepinus vor, dem Professor Mantzel als juristischer Beistand zur Seite stehen könnte. Große Hindernisse ist er sich nicht vermuthen, da ja die Rostocker froh sein würden das lästige Institut zu verlieren; nur Krämer und Handwerker würden es bedauern, die Herren vom Rath aber und die Kaufleute feien schon oft mit ihren Klagen herausgefahren, Erstere, weil es sie kränkte, daß Rektor und Concil bei mancher Gelegenheit ihrem Hochmuth eine Grenze
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gesetzt, Letztere, weil es sie ärgerte, daß die reichen Mädchen lieber Doctoren als Kaufleute zum Manne nähmen.
Dieses vom Herzog günstig ausgenommene Pro memoria wurde der Begutachtung Döderleins unterbreitet. Doch der enthält sich Besseres zu wissen und will nur eine Herabsetzung des Etats dadurch erreichen, daß auch tüchtige außerordentliche Professoren herangezogen würden. Den dadurch erreichten Ueberschuß will er für die ganz unentbehrliche Professor für Oekonomie und Cameralien verwandt wissen. Viel bedeutsamer aber war, was Döderlein über das innere Wesen der neuen Universität gutachtete: "Ohne Zweifel habe der Dchl. Stifter die Hohe Intention, ein recht gesegnetes Muster einer echt christlichen Universität darzustellen und diese durch göttliche Gnade zu einem gesegneten Felde zu machen, woraus ebenso wohl Religion und Tugend als gründliche Gelehrsamkeit fortgepflanzt würde, so daß nicht nur für die Kirche, sondern auch für den Staat Männer erzogen werden, welche gelehrt und geschickt sind, die aber zugleich Religion haben und Gott fürchten; denn daran wird es meistentheils bei den andern protestantischen Universitäten versehen. Man hat nicht gehörig Aufmerksamkeit aus die Pflanzung von Religion und Tugend in die Herzen der studierenden Jugend und setzt solchen Zweck nicht mit hinlänglichen und heilsamen Gesetzen und Anstalten in Sicherheit. Man verweist und verbindet die non theologos nicht mit gehörigem Nachdruck auf diesen letzten großen Endzweck, man läßt Leute zum öffentlichen Lehramt, die ein Skandal der protestantischen Kirche und Religion sind, und die theils durch irreligiöse Diskurse oder wenigstens durch leichtsinnige und anstößige Scherze und Narrheiten im Vortrag oder durch ihr äußerliches Beispiel im Wandel die akademische Jugend verderben, in der unbegründeten Einbildung, als ob es wenigstens für den politischen Staat schon genug sei, wenn die Jugend nur zur Gelehrsamkeit angeführt werde, mit der Religion und Furcht Gottes möge es aussehen, wie es wolle. Daher ist es gekommen, daß die Universitäten zu rechten Satansschulen und Seminariis nequrtiae ausgeartet sind, und der Staat empfindet selbst davon die traurigsten Folgen. Von dieser üblen Verfassung der Universitäten geht die Irreligiosität aus und die corruptio morum. Welch ein gesegnetes Werk werden daher der Dchl. Stifter vor Gott und den Menschen ausrichten, wenn Höchstdieselben mit Gottes Gnadenbeistand eine Universität errichten, wie es die Wohlfahrt der Kirche erfordert, und wo Religion und christliches Leben in der Erkenntniß Gottes ebenso ernstlich gepflanzt und ausgebreitet werden, als nützliche Gelehrsamkeit! Ueberall fängt man an, der offenen Irreligiosität müde zu werden; die Gerichte
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Gottes setzen der Frechheit ein Ziel; man fängt an in der protestantischen Kirche sich zu besinnen und zu erkennen, daß man mehr als bisher aus die Aufrechterhaltung der Religion sehen müsse. Daher ist kein Zweifel, daß eine solche recht christliche Universität durch die ganze protestantische Christenheit großen Beifall und Segen finden werde."
Döderlein wünscht daher vor allem sorgfältig ausgearbeitete Gesetze und Vorschriften sowohl für die Professoren, wodurch sie angehalten würden, in Lehre und Wandel gesegnete Vorbilder der Jugend in lebendiger Gotteserkenntniß und Wandel zu sein, als auch für die Studenten, bei denen ein ordentliches Leben so sehr die Hauptsache sei, daß es besser sei, ein schlechtes Subjekt gleich zu entfernen als durch die beliebten Strafen seine Besserung zu versuchen.
Einige Wünsche schließen das Pro momoria: es möge, weil das ordentliche Leben in dem geordneten Fleiß seinen vornehmsten Grund habe und die allermeisten ihre Studien nicht einzurichten wüßten, für jede Facultät eine Regula studiorum aufgestellt und am Schlusse jedes Semesters von den Dekanen nach angestelltem Examen einem jeden Studierenden ein Zeugniß über seinen Fleiß und seine Fortschritte ausgestellt werden; ferner möge bestimmt werden, daß jeder Studierende mindestens das triennium zu absolvieren habe, damit insonderheit die Theologen aufhörten das Studium als Nebending anzusehen; es sei wünschenswerth, daß jeder Student in jedem Semester ein Colleg über praktische Theologie höre; und endlich sei zur Vermeidung der Kollision der wichtigsten Collegien ein Stundenplan auszustellen.
Wir müssen bekennen, daß Döderlein klar, was er wollte, vor dem Geiste stand: eine Universität, wo unter der Zucht des göttlichen Wortes Lehrende und Lernende in christlicher Gemeinschaft zusammen arbeiten und das wüste Lärmen und Treiben der andern Hochschulen fern bleiben sollte; ganz nach Speners und Franckes Sinn, die auch wiederholt betont hatten, daß höher als alle Wissenschaft die Früchte des Glaubens stünden. Aber wir dürfen uns auch nicht Verhehlen, daß der Gedanke niemals praktisch werden konnte.
Dem Herzog hatte Döderlein aus der Seele gesprochen; unter dem Ausdrucke seines höchsten Wohlgefallens bat er Döderlein auch über die Art, wie dem theologischen Studium am besten aufzuhelfen sei, seine Ansicht auszusprechen; worauf dieser beklagte, daß die meisten Theologen nicht einem Herzensbedürfniß folgten, sondern Brotjäger seien, welche oft schon nach 2-3 Semestern sich um Pfarrämter bewürben, ohne auch nur eine gründlichere Einsicht in die praktische Theologie gewonnen zu haben; die Kunst der Predigt sähen sie für
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das einzig Notwendige an. Wenn dem abgeholfen werden solle, so müsse ein theologisches Seminar nach dem Muster des Tübinger gegründet werden. Er schlug vor, dazu die Zinsen des Convictorienfonds (20,000 Thlr.) zu verwenden.
So wurde der Plan der neuen Herzoglichen Akademie immer greifbarer, der Wunsch des Herzogs ihn zu verwirklichen immer lebendiger; aber bevor nicht die täglich erwartete Kaiserliche Einwilligung zur Schließung der Universität Rostock da war, sollte das Geheimniß streng bewahrt werden; denn je unerwarteter, desto empfindlicher mußte die Demüthigung Rostocks sein.
Da brach, nicht ohne schwere Schuld Döderleins, ein neuer Streit mit Rostock los, der die Leidenschaft des gekränkten Fürsten aufs Höchste reizte. Döderlein nämlich, durch den Trotz seiner Collegen, welche ihm die Aufnahme in die Facultät beharrlich verweigerten, gereizt, kündigte zum 28. August 1759 eine Disputation an: "Ueber die Vorzüge der biblischen vor der scholastischen Theologie." Kein Wunder, daß die ganze Universität über diese Dreistigkeit in Aufregung geriet, und die theologische Facultät, um das öffentliche Aergerniß zu vermeiden, die in ihren Statuten vorgesehene Einsendung des Manuskripts an den Dekan forderte. Aber Döderlein berief sich darauf, daß ihn, da er nicht recipiert sei, die Statuten der Facultät nichts angingen, und erwirkte vom Herzog ein Mandat: "daß die Professoren zur Haltung der bevorstehenden Disputation auf keinerlei Weise entweder Behinderung zu machen oder solche auch nur durch andere Umwege zu veranlassen sich erdreisten sollten, so lieb es ihnen sei, sein A. H. ungnädiges Mißfallen noch stärker zu reizen."
Dieses Mandat veranlaßte die theologische Facultät, die Sache vor das Concilium zu bringen. "So lange diese Universität", schreibt sie, "evangelisch und aller Facultäten Statuta und Verfassungen ein gerichtet gewesen, ist ein solcher Fall noch nicht existent gewesen. Warum wir den Dr. und Prof. Döderlein in unsere Facultät noch bisher nicht recipieren können, ist Ew. Magnifizenz und Rev. Con cilio vorhin wohl bekannt, nämlich weil er unsern heilsamen Statutis zuwider weder sich zu einem Colloquio oder sonstiger Exploration seiner Lehren, die uns billig und in vielen Ursachen verdächtig erscheinen, sistiren, noch den Eid, besonders in dem Punzte, in der Lehre mit uns einig zu sein, prästiren wollen. Er ist so glücklich gewesen, in Absicht beider Stücke favorable Hohe Rescripte von Ihre Herzoglichen Durchlaucht zu erhalten, wiewohl wir mehrmalen in der Nothdurft dagegen Vorstellungen zu machen nicht verabsäumt haben; und als er vorlängst Zensurfreiheit zu begehren geäußert, so ist er
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mit solchem Begehren bei Ihro Herzoglichen Durchlaucht nun eingekommen und hat ein hohes Mahndatum gegen uns extrahirt. Wir haben mit voriger Post abermals dringend dagegen remonstrirt, müssen aber befürchten, daß diese Vorstellung wie alle früheren ohne Effekt sein wird. Gleichwohl werden Ew. Magnifizenz und unsere hochgeehrten Herren Collegen mit uns ohnschwer erkennen, daß es für die reine Lehre und den guten Ruf dieser alten Universität eine gefährliche Sache und von mehreren nach Bewandtniß der Sache und möglichen Vorfallenheiten leicht schwereren Folgen sei, einen unbekannten und verdächtigen Mann ohne alle Erkenntniß und Prüfung seiner Lehren nicht allein in unserer Facultät zu admittiren, sondern auch einem solchen die Zensurfreiheit nachzugeben und damit die Verbreitung allerlei bedenklicher oder auch offenbar irriger Lehren Tür und Tor zu öffnen. Denn was jetzt in causa pietistica sine ullo exemplo nachgegeben würde, könnte künftig auch einmal von einem Landesherrn zum faveur des papsimi calvinismi socinianismi herrenhuthianismi u. a. höchst schädlicher Sekten anbegehrt, und dieser Vorgang als ein schlimmes Praejudicium allegirt werden; wie wir denn eben dieses ohnlängst Serenissimo zu Hohem Ermessen anheim gestellt, davon aber keinen Eindruck, sondern nur die Insistierung aus Höchstdero Mandat erfahren haben. Bei sogestellten Sachen finden wir uns gedrungen, Ew. Magnifizenz und Rev. Concilii Hülfe hierbei gewohnlichermaßen und statutengemäß zu reclamiren; nicht zwar dahin abzielend, daß Ew. Magnifizenz, wie sonst moris ist, den Druck dieser Disputation und den actum disputandi allenfalls mit Schließung des Auditorii inhibieren und verbieten (denn wir begreifen wohl bei eingegangenem Hohen Mandato, [daß] solches als der tiefschuldigsten Devotion gegen Serenissimum zuwider sehr ungnädig möchte angemerkt werden), sondern daß Dieselben mittels gemeinsamer untertänigen zweckfügigen Vorstellung ad Serenissimum die unsrige unterstützen und Höchstdieselben, die Zensursache bei der alten Verfassung in Gnaden zu belassen, demüthigst ersuchen mögen."
Rektor Magnificus war damals der fürstliche Professor Detharding. Dieser ließ, ohne sich zu äußern, das Gesuch der Facultät bei den Nontheologis zirkulieren. Die fürstlichen Professoren votierten einstimmig ablehnend, indem Mantzel zuvor den Beweis, daß Döderlein, "sein Freund", ein Ketzer sei, forderte, Karsten das herzogliche Recht zu dispensieren für unbestreitbar erklärte, Aepinus und Carpov die Eingabe für unnütz erachteten. Dagegen die rätlichen Professoren enthielten sich schriftlich zu votieren und wünschten, "um der Sache willen, da sie gegen Döderlein nichts hätten", mündlich in concilio pleno sich äußern zu dürfen; nur ein einziger hatte den
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Muth offen auszusprechen, er sei durch seinen feierlichen Eid gebunden, gegen Irrlehren, woher sie auch kämen, aufzutreten: er werde, wenn Alles schweige, bei der Disputation Lärm machen. Detharding lehnte die mündliche Verhandlung ab "um des Friedenswillen".
Mantzel hatte den Nagel auf den Kopf getroffen; denn noch hatte die theologische Facultät nicht eine einzige wichtigere Abweichung von der reinen Lehre in Döderleins Schriften oder Worten entdeckt, vielmehr hatte derselbe sich wiederholt erboten, eidlich zu versichern, daß er in keinem Stücke von den symbolischen Büchern abweiche und mit dem sectirerischen Pietismus nichts gemein habe. Es war daher erklärlich, daß die Opposition der Facultät und des dieselbe unterstützenden Raths als unleidlicher Trotz, als Folge des Hasses gegen die Darguner Pietisten erscheinen mußte.
Aber die von Döderlein angekündigte Disputation? Wenn sie wirklich nur das vorgebracht hat, was in der von Döderlein zu seiner Rechtfertigung bald nachher veröffentlichten Schrift: "Von den Vorzügen der biblischen Theologie vor der scholastischen", steht (und das ist anzunehmen, da Döderlein das Manuskript vor der Disputation dem Herzog hatte einsenden müssen), so ist der nie gehörte Lärm und Skandal, womit der Redner unterbrochen und zu Ende zu lesen verhindert wurde, ganz unbegreiflich. Denn die Schrift ist ganz gegen Döderleins Art milde, ohne Schärfe und beleidigende Ausfälle wider die Gegner, ja bedeutungslos, indem sie nur beklagt, daß die Orthodoxie noch immer gegen die von Spener und Francke ausgegangene Erneuerung des kirchlichen Lebens sich feindlich stelle und dadurch Schuld werde, daß der Indifferentismus und, damit nahe verwandt, der Nationalismus immer weiter um sich greife.
Der Herzog, der sich vom Rektor der Universität und von Döderlein über die "ärgerlichen und trotzbietenden" Vorgänge berichten ließ, geriet in gerechten Zorn; er wollte und konnte diese Verletzung seiner A. H. Autorität sich nicht gefallen lassen. Vergebens wies Geh. Rath Schmidt darauf hin, daß Döderlein den Streit provoziert habe; vergebens warnte derselbe, in der ungelegensten Zeit das aussichtslose Werk der Aufhebung der widerspenstigen Akademie zu unternehmen; er erbot sich, dem Herzog jede gewünschte Genugtuung von Rostock zu verschaffen, wenn nur Döderlein fallen gelassen würde 1 ). Alles umsonst; der Herzog, von dem mit Döderlein eng befreundeten Hofprediger Martini noch mehr gereizt, befahl
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bereits am 8. October 1759 seinen Professoren Aepinus und Mantzel, in sorgfältige Erwägung zu ziehen, wie im Falle der Auflösung der Rostocker Universität die Trennung des herzoglichen und städtischen Antheils an dem Vermögen der Universität am fördersamsten zu bewirken sei, und schon drei Tage daraus ward denselben vertraulich mitgetheilt, daß die Universität nach Bützow verlegt werden solle.
Aber erst am 17. April 1760, gleich nachdem Döderlein das Rektorat angetreten hatte, wurden sowohl Rector und Concilium, als auch Bürgermeister und Rath davon in Kenntniß gesetzt, daß der Herzog "aus bewegenden triftigen Ursachen sich A. H. habe bewogen gefühlt, nach deshalb von Ihre Kaiserlichen Majestät Allergnädigst ertheilter Concession in der Stadt Bützow eine Universität zu errichten und die Rostocker Akademie aufzuheben", und daß die Professoren Mantzel und Aepinus zu Commissaren behufs weiterer Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock ernannt worden seien.
2) Der Rechtsstreit mit Rostock 1 ).
Die Aufregung, welche die Allen unerwartete Nachricht von der Aufhebung der Akademie in Rostock hervorrief, war ganz unbeschreiblich; diesen Ausgang des gar nicht für bedeutend angesehenen Streites hatte niemand auch nur geahnt. Die allgemeine Wut richtete sich zuerst gegen den Anstifter Döderlein 2 ), der noch dazu
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"die Stirn hatte", durch sofortige Einziehung aller Pertinenzstücke mit der Aufhebung Ernst zu machen. Er mußte dem Haß weichen; aber sein Nachfolger, Pro=Rektor Prof. Mantzel, war noch viel rücksichtsloser. Am Ende des Semesters wurde das Auditorium geschlossen. Die Universität in Rostock hatte aufgehört.
Der Herzog hatte gehofft, durch dieses schroffe Vorgehen den Rath einzuschüchtern; aber in Rostock kannte man nur zu gut das Prozessieren bei Kaiser und Reich und wußte, daß beim Reichskammergericht in Wetzlar der Rostocker Dukaten seinen guten Klang hatte. Jede Unterhandlung mit den Commissaren verweigernd, hatte der Rath zunächst den Herzog gebeten, doch nicht aus Vorliebe für Döderlein, "den Urheber des Zanks, der niemand unangenehmer sein könne als ihnen, ein unerhörtes Beispiel der Ungerechtigkeit und Härte zu geben." Als daraus keine Antwort erfolgt war, hatten die Hundertmänner, auch sie vergebens, Vorstellungen gemacht; dann war die Sache an den engeren Ausschuß gegangen, der um Gnade für Rostock bat. Als der Herzog sich auch hiergegen verschloß, wurde der Streit beim Kaiser anhängig gemacht und der Landesherr in unehrerbietigster Weise des Friedensbruchs und der Verletzung der Privilegien der Stadt Rostock angeklagt; es wurde so dargestellt, als ob Rachsucht Döderleins die Gerechtigkeit des Herzogs, der einer gütlichen Ausgleichung nicht entgegen sei, unterdrückte. Aber der Kaiser wies die Klage ab, und so ging sie, wohin sie sollte, an das Reichskammergericht in Wetzlar, welches denn auch die "turbata possessio" anhängig machte.
Auf die Anzeige davon ließ der Herzog von Geh. Rath J. P. Schmidt, Canzlei=Rat Faull und Professor Aepinus eine gründliche Rechtsbelehrung ausarbeiten und durch Dr. Ruhland, seinen Advokaten in Wetzlar, überreichen. In dieser Schrift, welche vollständig abgedruckt in den Annalen der Rostocker Akademie Bd. X, p. 265 flgd., vorliegt, heißt es: "daß von Anfang an, seit die Universität von den Herzogen sundiret worden, die Stadt Rostock den Landesfürsten den Besitz derselben streitig gemacht habe; noch zuletzt habe Christian II. Ludwig, um die Händel zu beseitigen, in der "Urkundlichen Bestätigung" von 1754 (Verf. Aepinus) nach den archivarischen Urkunden für jeden Unbefangenen klargelegt, wer der beleidigende und der beleidigte Theil sei. Aber der Rath in Rostock wisse durch alle ersinnlichen Mittel den Frieden zu verlegen; mit der litis exceptio alibi pendentis ob connexitatem causae lege er alle gerechten Beschwerden der Akademie lahm. Ein solcher Zwiespalt sei aber in keinem geordneten Staate zu dulden, - nicht bloß, weil dadurch die Akademie zu keiner rechten Blüte gelangen könne, sondern auch, weil
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die landesherrliche Autorität darunter leide. Deswegen habe die Regierung den einzig übrigen Ausweg, wozu sie nach Cap. X der Urkundlichen Bestätigung . berechtigt sei, gewählt und beschlossen, die Akademie an einen anderen Ort zu verlegen. Nur der zu frühe Tod des letzten Regenten habe die Ausführung dieses Vorsatzes verhindert. Nachdem aber Ge. Durchlaucht der jetzt regierende Herzog unter dem 3. October 1758 von Ihre Kaiserlichen Majestät das Allergnädigste Privilegium zur Anlegung einer neuen Universität erwirkt habe, würden Höchstdieselben sofort Gebrauch davon gemacht haben, wenn nicht die bekannte feindselige Ueberziehung Ihrer Länder einen bedenklichen Aufschub bewirkt hätte. Am 17. April a. c. aber sei der hohe herzogliche Entschluß dem Rath notifiziert worden."
Man hätte billig erwarten sollen, daß gegen diese in den genauesten Schranken des Rechts sich haltende Maßnahme nichts zu erinnern gewesen wäre. Aber der Rath wollte sich nicht beruhigen; er beschwerte sich:
ad 1 "daß Ihre Herzogliche Durchlaucht bei einer Universität, als einem zwischen Höchstihreselben und dem Rathe zu Rostock nach Errichtung der Formula Concordiae von 1563 gemeinschaftlichen Corpori, gegen gemeines Recht und solennen Vertrag einseitig große Veränderungen vornehme." -
"Aber in der Formula Concordiae sei dem Rath nur eingeräumt 9 Professoren zu setzen, Schiedsrichter zu sein in den Händeln zwischen Bürgern und Studenten und bei peinlichen Verbrechen der Universitätsverwandten mitzureden. Es sei demnach bedauerlich, daß der Raths nicht vor der Unwahrheit erröte, als ob die Universität ein zwischen Ihre Herzoglichen Durchlaucht und dem Rath gemeinsames Corpus wäre. Kein Wort davon stehe in der Formula Concordiae. Besondere Beachtung verdiene aber, daß weder der Papst in der Stiftungsurkunde noch Ihro Kaiserliche Majestät in der Bestätigungsurkunde von 1560 den Rath für einen mit den durchlauchtigen Herzogen gemeinschaftlichen Stifter der Akademie erkennen. Es sei nicht allein unwahr, sondern auch unmöglich, daß die durchlauchtigen Herzoge drei Jahre später den Rath zum gemeinsamen Stifter gemacht hätten; denn Höchstdieselben müßten dann das non Faktum pro facto haben erklären, und überdem Privilegien, deren Ertheilung nicht von ihnen abhinge, sondern die sie sich selbst ertheilen lassen müßten, andern Leuten, und zwar solchen, die dazu gar nicht fähig, haben mittheilen wollen. Denn alle Staatslehrer sind darin einig, daß die Ertheilung und Haltung einer Akademie der höchsten Landesherrschaft allein zustehen, und daß diese Freiheit von Sr. Kaiserlichen Majestät niemand als einem Reichs=
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stande ertheilt werde. So sei also diese angemaßte vorgebliche Gemeinschaft des Rechtes an der Akademie bis zu allen Zeiten undenkbar. Dieser Grundsatz entscheide die ganze vorliegende Frage. Sei das Recht der Errichtung und Haltung der Akademie allein bei den durchlauchtigen Herzogen von Meklenburg geblieben, so sei auch die damit Verbundene natürliche Freiheit, die Akademie wieder aufzulösen, ohne irgend einige Gemeinschaft mit jemand anders allein bei gedachten Herzogen. Denn die Aufhebung sei nichts mehr als ein non usus privilegii welcher keinem privilegiato auf der Welt verwehrt sei, da Jeder auf sein Recht verzichten könne."
"Gesetzt nun aber den ganz ungereimten Fall, die Herzoge hätten den Rath zur Gemeinschaft herangezogen und in einem förmlichen Vertrage, der aber nirgends existiere, sich verbunden, die Gemeinschaft beständig zu bewahren, was wäre dem Rath damit genützt? Ein Packt wegen einer ewigen Societät sei nach bürgerlichem und Staatsrecht nichtig, und Jedem erlaubt, wider den Willen des Andern aus der Gesellschaft auszutreten. Wenn aber der Rath einwende, das gemeine Beste erheische die angebliche Gemeinschaft, so sei es gerade diese Rücksicht, welche Ihre Herzogliche Durchlaucht bewege die Akademie aufzuheben."
ad 2 "beschwerte sich der Rat, daß Ihre Herzogliche Durchlaucht alle von HöchstIhnen bestellten Professoren auf einmal ihrer Funktionen enthebe."
Eine große Anmaßung.
ad 3 "beschwerte sich der Rat, daß die Enthebung der fürstlichen Professoren aus ihrer Funktion die in der Formula Concordiae festgestellte Formam Academiae aufhebe." - "Aber der Herzog wolle nicht die Formam Academiae et Goncilii, sondern nach der Ihreselb competirenden Freiheit die ganze Akademie aufheben."
ad 4 "beschwerte sich der Rat, daß Ihre Herzogliche Durchlaucht durch eine beschwerliche Interpretation der Formuiae Concordiae die Existenz des Falles anführen, daß die Akademie zu Rostock einginge, weil Höchstdieselben Vorhabens wären, eine Universität in der Stadt Bützow zu errichten." -
"Aber Ihro Herzogliche Durchlaucht wollten nicht die Formula Concordiae interpretieren, sondern sich nur der natürlichen Freiheit bedienen, deren Ihro hohe Vorfahren an der Regierung sich nie begeben hätten. Nirgends stehe in den Verfügungen, daß Ihro Herzogliche Durchlaucht deswegen die Universität zu Rostock aufhöben und nach der Formula Concordiae dazu berechtigt zu sein glaubten, weil sie eine neue Universität zu errichten Willens wären. Beide Dinge stünden nur in zufälliger Verbindung. Hätten sich Ihro Her=
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zogliche Durchlaucht der Formula Concordiae bedienen wollen, so hätte es ebenso wenig eines neuen Privilegs bedurft als einer besonderen Interpretation der Formulae Concordiae. Schon die alten Privilegien verstatteten die Verlegung der Akademie an einen andern Ort, und die Formula Concordiae gestatte dieselbe ausdrücklich für den Fall, daß dieselbe von Rath und Gemeine nicht bei ihren Privilegien gelassen würde. Diese in die Augen springenden Kränkungen wage aber der Rath nicht zu leugnen." -
Soviel von der durch den herzoglichen Anwalt beim Reichskammergericht Dr. Ruhland eingereichten Rechtsbelehrung. Wenn es nach dem nosse, und nicht nach dem posse gegangen wäre, so wäre die Rostocker Klage bald abgewiesen gewesen. Siegesgewiß berichtet auch Ruhland, daß trotz aller Ränke der Rostocker, trotz der von ihnen eingereichten "Historisch=diplomatischen Abhandlung von dem Ursprung der Stadt Rostock Gerechtsame" ihre Gravamina für unbedeutend angesehen würden. Aber Ruhland war seinem Gegner, dem Anwalt v. Gondela, lange nicht gewachsen; dieser wußte, vom Rathe reichlich mit Geld versehen, den schon gefaßten Beschluß, daß keine Obligatio perfecta für den Herzog vorliege, die Universität zu sustiniren, dahin zu ändern, daß "bis auf weitere Entscheidung Alles in statu quo ante belassen werden solle; man versehe sich vom Herzog, daß er bis dahin nichts weiter ändern werde."
Beide Parteien deuteten den Spruch zu ihren Gunsten, der Herzog, daß die Akademie ausgehoben, die Rostocker, daß sie von Bestand sei. So lange die herzogliche Miliz in Rostock war, verhinderte der Canzlei=Direktor Taddel leicht die vom Syndikus Burgmann beabsichtigte neue Rektorwahl in der Johanniskirche; als aber im Februar 1761 die Preußen unter dem Prinzen Eugen von Württemberg einzogen, wurde am 17. Februar die Rektorwahl vorgenommen. Gewählt wurde Joh. Christ. Burgmann, Prediger an der Johanniskirche und zugleich Dozent an der Universität. Die rätlichen Professoren, denen der Herzog jegliche Betheiligung an der Wahl bei 1000 Thlrn. Buße verboten hatte, entschuldigten sich mit der eigenen und der Studenten (neun!) Noth.
Der Uebermuth der Rostocker kannte keine Grenzen. Zwar der Versuch, den Prinzen Eugen zu bewegen, daß er der Universität Bützow den Schutz versage, scheiterte an den Vorstellungen des Canzlei=Direktors Taddel; aber sicher unter dem Schutze der Landesfeinde wagten sie es, Taddel aus der Gesellschaft zu stoßen und so lange zu drangsalieren, bis er vom Herzog sich Enthebung von dem Commissorium erbat; sein Nachfolger, Vice=Director von Hanneken, ließ Alles gehen, wie es wollte.
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Erst im Herbst desselben Jahres machte der Herzog nach dem Abzug der preußischen Truppen dem Taumel ein schnelles Ende; das schwarze Brett wurde entfernt, und alle akademischen Handlungen für null und nichtig erklärt.
Zu gleicher Zeit hatte auch in Wetzlar die Sache für Rostock eine ungünstige Wendung genommen; Gondela selbst riet in einem vertraulichen Briefe dem Rat, den Prozeß entweder aufzugeben, da das Recht zu klar für den Herzog spräche, oder aber klingende Münze nicht zu sparen. Daraus hin wurde der Syndikus Burgmann mit 16,000 Thlrn. neugeprägter Rostocker Münze nach Wetzlar geschickt, und es gelang ihm bald, den herzoglichen Anwalt bei Seite zu drängen. Denn bei den völlig erschöpften Kassen des Landes konnte der Herzog nichts bieten als Titel, wonach aber in Wetzlar keine Nachfrage war. zu Anfang 1762 berichtete Burgmann von gewonnener Sache, von bevorstehender Execution, wenn der Herzog fortfahre die Privilegien Rostocks anzutasten.
Bei solcher Lage der Dinge lenkte der Herzog ein und verein=barte mit Rostock die Einsetzung einer Commission zur Untersuchung und Beilegung der obschwebenden Händel. Ohne das Bestehen der Rostocker Universität anzuerkennen (noch 1784 redet Friedrich von den Professoren der vormaligen Akademie Rostock), verwehrte er nicht mehr die Vornahme akademischer Handlungen. Er hatte inzwischen auch die bittere Enttäuschung erfahren, daß seine Universität, welche ein Muster einer recht christlichen Anstalt sein sollte, zu unaufhörlichen Klagen über das wüste Treiben der Studierenden Anlaß gab und in nichts den Erwartungen entsprach.
3) Die Errichtung und Eröffnung der Universität Bützow.
In unsern Tagen, wo auch hinsichtlich der Universitäten eine gewisse Konzentration sich vollzogen hat, möchte man den Plan, in einem kaum 160,000 Seelen zählenden Staat, in einer kleinen kaum über die Grenzen Meklenburgs hinaus bekannten Landstadt eine Universität zu gründen, sonderbar finden und auf den Gedanken kommen, daß bei der Wahl dieses nur 4 Meilen von Rostock entfernten Orts die Schikane gewaltet habe; oder aber, wenn man die Geschichte Bützows berücksichtigt, denken, daß diese Stadt gewählt sei in der Erinnerung, daß hier vor langen Zeiten die Bischöfe residiert hatten, deren durch die Reformation freigewordene Rechte an der Rostocker Universität, zwar nicht ohne Widerspruch Rostocks, aus die Herzoge
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übergegangen waren. Aber Keins von beiden trifft zu; sondern als der Herzog den Plan gefaßt hatte, in der Nachahmung Halles mit der Universität ein Pädagogium und Waisenhaus zu gründen, bewog ihn nur die Rücksicht darauf, daß das große, leerstehende Schloß in Bützow ausreichend zur Aufnahme aller drei Institute sei, gegen das anderweitig vorgeschlagene Güstrow für Bützow sich zu entscheiden.
Die Stadt Bützow zählte damals wohl kaum viel über 1000 Einwohner; ein großer Theil der Stadt lag noch von der großen Feuersbrunst von 1716 her wüst, die Bürger waren verarmt, das Handwerk nahrungslos. Ein anderer Mann als Döderlein, den der Herzog beauftragt hatte mit der Stadt zu verhandeln, hätte sofort erkannt, daß kein ungeeigneterer Ort für eine Universität sich finden ließ. Aber Döderlein, von dem schlauen Bürgermeister Odewahn getäuscht, nahm den guten Willen der freudig erregten Bürgerschaft für die That. Die sofort an den Herzog beschlossene Dankadresse (21. Februar 1760) war bezeichnend für die Lage der Dinge:
"Mit untertänigstem Dank gegen Herzogliche Durchlaucht erkenne es die Bürgerschaft, daß AllerhöchstDdieselben die fast ganz zu Grunde gerichtete erbuntertänige Stiftsstadt Bützow durch Verlegung einer Universität dahin wieder in Aufnahme zu bringen geruhten; es wäre bekannt, daß seit dem Absterben der Höchstselig in Gott ruhenden Frau Herzogin Sophie Charlotte diese arme Stadt von allem Erwerb ganz nahrlos gewesen und die Einwohner außer Stand gesetzt worden ihre Häuser in baulichem Zustande zu erhalten; ja die betrübten und kriegerischen Zeiten hätten fast alle Einwohner zu armen Leuten gemacht, so daß aller Handel und Erwerb danieder gelegen; und wenn Ihre Herzogliche Durchlaucht nicht dieser Stadt Gnade und Erbarmen widerfahren ließen, so würde endlich aller Einwohner Untergang erfolgt sein."
"Die Bürgerschaft glaube aber gewiß, daß einige Hundert Studenten völlig Raum bei ihnen finden könnten, wenn Herzogliche Durchlaucht nur geruhten Holz und Steine auf zwei Jahre Credit zu überlassen; ebenso wenig mangele es an Wohnungen für die Professoren, da schon jetzt viele Bürger sich offerirten, in den Gärten und wüsten Stellen binnen drei Monaten Häuser zu bauen."
Der gewünschte Credit wurde ohne Zögern gewährt, und nach kurzer Zeit stand schon eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen zur Aufnahme der neuen Gäste fertig, während an den neuen Häusern und Etagen noch mit allem Eifer gebaut wurde. Nach langer Noth hoffte Jeder auf großen Verdienst. Aber die erste Enttäuschung begann, als der Herzog den vielen Anerbietungen entgegen erklärte,
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daß er das Kaufen von Häusern den Professoren überlassen müsse, weil in der Staatskasse kein Geld sei. Dazu verlautete von Rostock her, daß die Verlegung der Universität aus Hindernisse stieße. Die Folge davon war allgemeine Muthlosigkeit, so daß der Bürgermeister die Einwohner mit Ernst ermahnen mußte, nicht durch Nachlässigkeit die hohe Gnade zu verscherzen.
Und in der That war die Regierung, besonders aber Excellenz Schmidt, Angesichts des von Rostock entgegengesetzten Widerstandes mit allen Mitteln bemüht, das Vorhaben in letzter Stunde zu vereiteln. Sie wies darauf hin, daß, da nach Döderleins eigener Ansicht das Schloß in Bützow zwar zur Ausnahme des Pädagogiums, aber auch zu nichts weiter ausreichend sei, der Bau eines neuen Universitätsgebäudes sich vernothwendige, der nach dem niedrigsten Anschlage 24,000 Thlr. erfordere. Wie die Noth des Landes diese Last ertragen solle? Die Regierung machte Döderlein den Vorwurf, in seiner Verhandlung mit Bützow nicht vorsichtig gewesen zu sein; denn er habe gleich einsehen müssen, daß Bützow ungeeignet zur Aufnahme einer Universität sei. "Im ganzen Reiche", berichtet der mit der Besichtigung der Gebäude in Bützow betraute Professor Aepinus, "giebt es keine elendere und unpassendere Stadt, wohin versetzt zu werden mir nicht anders als eine Verbannung erscheint."
Diese von allen Seiten her unterstützten Bedenken machten den Herzog zwar stutzig, aber er meinte zu weit engagiert zu sein; auch war er nicht ohne Mißtrauen, ob nicht etwa die Rostocker aus seine Commissare einwirkten. Er beauftragte daher den Professor Mantzel, sein unparteiisches Gutachten nach vorgenommener gründlicher Inspizierung abzugeben. Mantzel war damals 61 Jahre alt und hatte fast nur noch für Guriosa und Antiquitates Sinn und Interesse. Diese Schwäche benutzend, begeisterte der Bürgermeister Odewahn den alten Herrn so für die schönen Kirchen Bützows, daß derselbe seiner eigentlichen Aufgabe uneingedenk dem Herzog von den vielen Reizen der Stadt Bützow ein verlockendes Bild machte.
Damit war die Sache entschieden. Der Herzog befahl unverzüglich für die Zwecke der Universität den Rathhaussaal, "eine wahre alte Rumpelkammer" (Aepinus), und einige Zimmer zu mieten; sobald es die Kassen des Landes erlaubten, sollte mit den erforderlichen Bauten und Einrichtungen begonnen werden. So mangelte es denn bei der Eröffnung der Universität an Allem; kein Auditorium, keine Bibliothek, keine Anatomie, nicht einmal ein Carcer war vorhanden.
Am 27. Juli wurde durch die Meklenburger Anzeigen und überall auswärts der Plan der im Herbst zu eröffnenden neuen
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Universität bekannt gemacht. Es fanden sich auch im Beginn des Semesters mehr als 100 Studenten ein; aber eine große Zahl derselben zog bitter enttäuscht sogleich wieder fort, während die, welche blieben, vergebens auf den Anfang der Vorlesungen warteten. Denn nichts war fertig, weder Privilegien noch Statuten; selbst die meisten Professoren waren noch fern. Um nicht "den Aerger und Spott zu erleben, daß alle Studenten sich verliefen", drang Döderlein mit allem Nachdruck auf die sofortige Inauguration, ohne jedoch damit etwas Weiteres zu erreichen, als daß ihm als Direktor der neuen Akademie am 4. October anheim gegeben wurde, die Inauguration so feierlich, als es die traurige Lage des von den Feinden occupierten Landes erlaube, vorzunehmen. So fand in aller Stille ("minus sollemniter") am 20. October 1760 in Gegenwart der vier Dekane Döderlein, Mantzel, Detharding und Carpov, sowie der Professoren Karsten, Aepinus und Schreber die Feier der Eröffnung der nach dem Herzog benannten "Fridericiana" statt, wobei Döderlein in der Stiftskirche die Weiherede hielt über das Thema: "Cur et quomodo puritas doctrinae evangelicae in ecclesia summo studio sit conservanda."
Das Programm, wodurch zur Eröffnungsfeier eingeladen worden war, lautete:
Q. D. B. V. Initium novae Academiae Fridericianae indicit atque ad orationem publicam d. XX. Oct. h. a. MDCCLX. aperiendis acroasibus tam publicis quam privatis dicatam et in templo oppidano habendam literarum studiosos cunctosque Musarum Patronos atque Fautores humaniter invitat Serenissimi Ducis Regnantis Meklenburgensis ad id negotium et ad dirigendam 1 ) Academiam clementissime delegatus Commissarius Dr. Christianus Albertus Doederlein Consist. Duc. Cons. et S. S. Theologiae Professor publ. ordin. - Das Thema war eine Stelle aus dem Ignatius Martyr.
Der Spott der Rostocker ergoß sich in vollem Maße über diese so sang= und klanglose inauguratio inaugurata.
Trotz der traurigen Verhältnisse betrug die Zahl der im ersten Semester Immatriculierten doch 86, von denen einige 50 aus Rostock gekommen waren. Aber die Zahl minderte sich bald herab; denn was den Studenten in Bützow geboten wurde, war gänzlich unzureichend, um einen strebsamen Jüngling zu befriedigen. Das Schicksal
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der neuen Universität war schon, ehe sie eröffnet wurde, besiegelt: eine Anstalt zu sein niemandem zur Freude, Vielen zum Anstoß. Von den Erwartungen, die man von ihr gehegt hatte, ging keine in Erfüllung.
4) Die Privilegien der Akademie zu Bützow.
Da diese vollständig in den Annalen der Rostocker Akademie Bd. I, p. 258 flgd., abgedruckt vorliegen, so kann ich mich auf die Hauptpuncte derselben beschränken.
Die Privilegien sind nach dem Muster der Rostocker von Professor Aepinus in deutscher Sprache abgefaßt und erst am 10. April 1762 in Lübeck von Herzog Friedrich bestätigt worden. In der Einleitung wird hervorgehoben, daß bei der Errichtung der Universität maßgebend gewesen sei die Rücksicht auf das wahre Wohl und die Glückseligkeit der gesamten Untertanen, damit die reine und lautere Lehre des Evangeliums im Lande erhalten, gute Wissenschaften und Künste verbreitet, Tugend, gesitteter Wandel und Frömmigkeit eingeführt und erweitert würden. Die Wahl der Stadt Bützow sei geschehen aus besonderer Huld und in Betracht, daß daselbst zur Aufnahme der Universität und ihrer Mitglieder theils schon manche zweckdienliche Anstalten vorhanden seien, theils durch fernere Verordnungen der Aufenthalt daselbst noch immer vortheilhafter und bequemer eingerichtet werden könne. Die Zahl der bereits berufenen und mit ansehnlichem Gehalt versehenen Professoren solle bis zu der nahe bevorstehenden feierlichen Inauguration so weit vermehrt werden, daß ein gedeihlicher Fortgang der Akademie zu erwarten stehe.
Im §. 1 wird die Universität für ein besonderes, landesherrlich gestiftetes Corpus und Kommune erklärt und ihr alle Rechte und Privilegien der andern Universitäten Deutschlands zugesprochen.
§. 2. zu dem Corpus Akademiae sollen gehören: alle Dozenten, Graduati und Gelehrten, sofern sie keine bürgerliche Nahrung betreiben; alle Officianten, Sprachlehrer, Stall=, Fecht=, Tanz= und Exercitien=Meister; Buchhändler, Buchbinder, Buchdrucker und was sonst als Künstler oder Handwerker bei der Universität angenommen wird; sämtliche studierende, sofern sie kein bürgerliches Gewerbe betreiben; das Pädagogium und die Realschule mit allen Vorgesetzten, Lehrern, Schülern, Officianten, Bedienten; die Familien, Frauen, Wittwen, Kinder der in diesem §. genannten Personen, sowie endlich die Kostgeber der Universitäts=Verwandten mit ihrem Gesinde.
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§. 3 handelt von Gehalten der Professoren, wozu des fördersamsten ein perpetuirlicher und separater Fonds bestimmt werden soll, von Gnadenquartal und Gnadengehalt.
§. 4. Das Forum academicum soll allein vom Herzog und seinem Regierungs=Colleg unmittelbar dependiren.
§. 5. Die Jurisdiktion desselben über alle Anverwandten soll sowohl in civilibus quoad actiones tam reales quam personales, als auch in criminalibus uneingeschränkt und unabhängig vom Herzoglichen Amt und Stadtmagistrat sein.
§. 6. Die Anverwandten sollen in prima instantia nur vom Judicium academicum belangt werden.
§. 7. Die Verwaltung der Gerichtsbarkeit wird dem Senatus oder Concilium unter Vorsitz des Rektors übertragen.
§. 8. Für gewöhnliche Sachen genügt ein Concilium arctius, welches vom Rector und dem Promotor gebildet wird; aber wenn beide nicht Juristen sind, so soll ein Jureconsultus hinzugefügt werden.
§. 9. Zu den Beratungen über Rechte und Freiheiten der Universität und alle sie angehenden und zu publicirenden Verordnungen, Edicta und Statuta, über Relegationen, die Abstellung etwa eingeschlichener Unordnungen, die Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit, die Anstellung öffentlicher Feierlichkeiten der Universität, und was sonst zum Gedeihen des ganzen Corpus acad. gereichen kann, soll jedes Mal der gesamte Senatus acad. zugezogen und jedes Membri Stimme und Meinung vernommen, sodann aber nach Mehrzahl der Stimmen darin statuiert, und was also beschlossen, von dem jederzeitigen Rector zur Execution gebracht werden. Hingegen das Concilium arctius soll alle Untersuchungen und gerichtlichen Handlungen sowohl in cansis civilibus [quam in disciplinaribus?] 1 ) übernehmen und vollziehen. In peinlichen Fällen, welche eine schwere Leibes= und Lebensstrafe nach sich ziehen, soll das Concilium arctius die Untersuchung anstellen und bis zum Schluß=Urtheil verfahren, sodann die vollständigen Akten der gesamten Juristen=Facultät und hiernach dem gesamten Senat zur Fassung des Urtheils vorlegen; und sollen dann alle Akten nebst der concipirten Sentenz ante publicationem an den Herzog und A. H. dessen Regierung eingesandt und nach Befinden die A. H. Konfirmation oder Milderung eingeholt werden. Im Fall der peinlichen Frage oder der zu vollziehenden Leibes= oder Lebensstrafe soll das Amt zu Bützow unter dem dirigierenden Vorsitz des Concil. arct. die Exekution ohne einige
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Kosten der Universität verrichten. Die von der Universität durch Relegation oder das Consilium abenndi Weggeschafften sollen weder in den Aemtern Bützow und Rühn, noch in der Stadt Bützow geduldet werden, sondern, sofern sie dort betroffen würden, von der Miliz aufgegriffen und gefänglich fortgeführt werden. Die von dem Judicium academicum erkannten Geldstrafen sollen sämtlich ohne Verkürzung der Universität verbleiben und von dem Rector zum Nutzen der Universität verwandt werden. - Zur Unterstützung des Rektors und Senats soll in die Stadt Bützow genügende Miliz gelegt werden unter dem Kommando eines Offiziers, der alles dasjenige schleunig und ohne Weigerung zu vollziehen hat, wozu er vom Rector requiriert wird. Er soll insbesondere allem Unwesen, Tumult und Lärm steuern, die Tumultuanten zur Haft bringen und dem Rector anzeigen; wobei aber ihm und seiner Miliz befohlen wird, gegen die Arretierten sich aller Bescheidenheit zu befleißigen und aller ungebührlichen Ausschweifung und harten Begegnung zu enthalten. Und sollte zur Anzeige kommen, daß in den Häusern Dinge vorgehen, welche den Gesetzen zuwiderlaufen und den Studiosis schädlich sind, so soll ohne vorgängige Requisition des Amts oder Magistrats die Miliz die Häuser visitieren, die verdächtigen Personen in Hast nehmen und ihrem Richter ausliefern.
§. 10. Von dem Rechte Verordnungen, Edicta, Statuta, Leges zu machen und zu promulgiren.
§. 11. Von den Insignien der Jurisdiktion und den Siegeln 1 ).
§. 12. Von dem Rechte Officianten der Universität zu wählen und zu verpflichten.
§. 13. Es sollen eingerichtet werden: ein genugsam geräumiges Auditorium publicum, bequeme Zimmer zu den Zusammenkünsten des Concilii, der Universitäts=Registratur, ein Carcer, eine Bibliothek, ein Theatrum anatomicum, eine Präparaten=Kammer, ein botanischer Garten, Laboratorium chymicum, astronomisches Observatorium, Exercitien=Boden, Reit= und Fechtsaal, und was sonst erforderlich ist.
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§. 14. Von der Bibliothek.
§. 15. Von Immunitäten und Befreiungen von allen oneribus personalibus.
§. 16. Von der Accise= und Steuerfreiheit.
§. 17. Von der Postfreiheit und von Gebühren und Sporteln.
§. 18. Von der Benutzung des gemeinen Kaiserlichen Rechts in Erbfolge= oder andern Reichshändeln.
§. 19. Von den städtischen Lasten.
§. 20. In der Nähe der von Professoren oder Graduatis bewohnten Häuser sollen keine Opitices strepiferi ihre Werkstatt ausschlagen.
§. 21. Die von Universitäts=Verwandten bewohnten Häuser stehen unter der alleinigen Kompetenz des akademischen Gerichts.
§. 22. Von der Benutzung der Stadtweide.
§. 23. Von der stillen Beerdigung der Universitäts=Verwandten.
§. 24. Den Studenten soll die Jagd auf den Pastiner, Horster und Bützower Sandfeldern freigegeben sein.
§. 25. Von der Thorfreiheit.
§. 26. Wer von den Universitäts=Verwandten, außer den in Nr. 12 genannten, nebenher ein bürgerliches Gewerbe betreibt, hat alle Lasten dieses Gewerbes zu tragen, ohne Freiheit zu genießen.
§. 27. Das Corpus Academicorum rangiert gleich nach den landesherrlichen Gerichten und Collegien vor allen übrigen Magistraten des Landes.
§. 28. Die theol. Facultät soll aus drei, die juristische aus drei, die medizinische aus zwei, die philosophische aus sieben ordentlichen Professoren bestehen; sie machen zusammen das Concilium academicum aus. Die außerordentlichen Professoren haben weder in Concilio, noch in Facultatibus Sitz und Stimme; der älteste der Professorum extraordinariorum rückt aber beim Abgang eines Professoris ordinarii in seiner Facultät als jüngster Professor ordinarius ein, wenn nicht aus besonderen Ursachen einmal etwas Anderes für gut befunden werden sollte.
§. 29. Von der amtlichen Thätigkeit der Mitglieder der vier Facultäten. Von den Amtssiegeln.
§. 30. Die Zensur der auf der Universität zum Druck gebrachten Schriften liegt den Dekanen ob, welche verhüten sollen, daß nichts der reinen Lehre, der guten Sitte, den Reichs= und Landesgesetzen Widriges gedruckt werde. Befreit sind die landesherrlichen und die Schriften der ordentlichen Professoren in ihrem Fach.
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§. 31. Die halbjährlich, gleichzeitig mit dem Rektorat angetretenen Dekanate gehen nach der Ordnung der Rezeption in die Facultäten; die Dekane sind zugleich Pro=Cancellarii bei den Promotionen.
§. 32. Die Landesgerichte sollen Belehrungen, Responsa und Urtheilssprüche hinfort nur mehr von der juristischen und medizinischen Facultät in Bützow requirieren.
§. 33. Der Dekan der philosophischen Facultät ertheilt den zuerst auf eine Akademie kommenden Studiosis die gewöhnlichen Signa depositionis.
§. 34. Der Rector ist während der Zeit seines Rektorats für seine Person gerichtlich nicht zu belangen, außer wenn Gefahr im Verzuge ist, worüber die Regierung entscheidet.
§. 35. Die Professoren haben das Recht, gelehrte Gesellschaften, welche zur Aufnahme der Wissenschaften, Sprachen oder Künste gemeinsam arbeiten, zu stiften und zu errichten.
§. 36. Von der Ablieferung der Cadavera puniterum, der Selbstmörder und todt gefundenen Körper Geringer und Unbekannter aus den Aemtern und Städten Rühn, Bützow, Doberan, Güstrow, Sternberg, Schwan, Warin an die Anatomie.
§. 37. Dem Botanik und Chymie lehrenden Prof. med. soll das Laboratorium chymicum nebst dem botanischen Garten, das Observatorium astronomicum dem Professor der Astronomie anvertraut sein.
§. 38. Auch Graduatis, welche durch Proben sich dazu geschickt erwiesen haben, ist gestattet, nach eingeholter Erlaubniß der Facultät zu docieren und zu disputieren.
§. 39. Von den Sprach= und Exercitienmeistern.
§. 40. Die durch Fleiß, Sittsamkeit und tugendhaften Wandel ausgezeichneten Studierenden sollen sich der gnädigsten landesherrlichen Aufmerksamkeit versichert halten, zur Erleichterung ihres Unterhaltes Stipendien bekommen und bei Besetzung der Aemter und Bedienungen nach dem Maß ihrer Geschicklichkeit besonders berücksichtigt werden, wie überhaupt gesorgt werden soll, daß der Aufenthalt auf der Universität billig und bequem sei.
§. 41. Rangliste: Rektor 5. Classe; Professores ordinarii 8. Classe; Professores extraord. 11. Classe; innerhalb der Universitäts=Verwandten: Rector, Reichsgrafen 1 ), Professores ord.,
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extraord., Docteres, Licentiati, Magistui plrilosophiae, Secretärins, Candidati examinati; zu den übrigen Einwohnern: erst nach den Lizentiaten folgen die Amtmänner, der Präpositus, die Prediger, die Advokaten, der Bürgermeister, die Magistri, der Secretarius, der Rector scholae, die Rathsherren, die Candidati examinati, der Stadtsekretär, die Praecepteres der Stadtschule.
5) Die Statuta Academiae generalia.
Da der Abdruck auch dieser Statuten in den Rostocker Annalen, Bd. I, p. 322, erfolgt ist, wird es erlaubt sein, um des Raumersparnisses willen nur einen Ueberblick über dieselben zu geben. Verfaßt sind dieselben in lateinischer Sprache von Prof. Aepinus und im Jahre 1762 vom Herzog Friedrich in Schwerin bestätigt. Die Einleitung enthält dieselben Gedanken, welche in der Einleitung zu den Privilegien ausgesprochen sind.
Cap. I handelt von dem Collegium academicum und seinen Gliedern. Die Universität, hier Fridericiana genannt, soll aus vier gesonderten Facultäten bestehen, welche zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Akademie gemeinsam arbeiten (§. 1); darum sollen vor allem der Kirche feindliche und von der reinen Lehre abweichende Reden oder Schriften nicht geduldet werden (§. 2), und jeder Professor bestrebt sein, durch christlichen Wandel und ernsten Vortrag den Studierenden ein heilsames Vorbild zu sein (§. 3); jeder soll in seinem Fach arbeiten, friedfertig, ohne Neid (§§. 4, 5), alle zusammen aber sollen daraus bedacht sein, die Vorlesungen so zu theilen, daß kein wichtiges Colleg fehle (§. 6). Vier Wochen vor Ostern und vor Michaelis sollen jedes Mal die Vorlesungen für das nächste Semester angeschlagen und gedruckt veröffentlicht werden, auch sollen soviel Stunden für jede angesetzt werden, daß dieselben in einem Semester zu einem Abschluß gelangen können. Die Ferien sollen dauern: Weihnachten, Ostern, Pfingsten nicht über 14 Tage, zur Sommer= oder Erntezeit nicht über 8 Tage (§. 7). Der Stundenplan 1 ) soll so eingerichtet werden, daß die philosophischen Collegien, als die für alle Facultäten fundamentalen, nicht mit anderen wichtigen Collegien zusammenfallen (§. 8). Die Professoren
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sollen es für ihre Pflicht halten, neben den Vorlesungen auch durch Bücher oder andere wissenschaftliche Arbeiten sich und der Akademie einen Namen zu erwerben, auch ihre Zuhörer reizen, durch Disputationen sich bekannt zu machen (§. 9). Besondere Obacht sollen sie aber dem Fleiß der Studierenden zuwenden und dieselben nicht allein zum regelmäßigen Besuch der Collegien anhalten, sondern sie auch nach jedem Halbjahr durch die Dekane der Facultäten einem Examen unterwerfen. Nach Beendigung der Studien hat jeder Student dem Dekan seiner Facultät Rechenschaft über den ganzen Umfang seiner Studien abzulegen, woraus dann die Facultät beschließt, ob ein besonderes Examen noch abzuhalten ist. Wer reif ist, soll darüber ein förmliches, mit dem Siegel der Facultät beglaubigtes Zeugniß empfangen (§. 10). Bei der Besetzung einer erledigten Professur hat die Facultät der Regierung drei oder mehr für tüchtig angesehene Männer vorzuschlagen (§. 11). Vor der Einführung in sein Amt soll jeder Professor durch einen feierlichen Eid sich verbinden, dem Fürstenhause treu und in seinem Amte gewissenhaft zu sein (§. 12). Die Facultäts=Statuten sollen für Jeden bindend sein (§. 13). Die Festprogramme hat der jedesmalige Dekan der theologischen Facultät zu schreiben, doch sollen sie nicht über 16 Seiten lang sein (§. 14). Die juristischen Professoren sollen, außer wenn sie besondere Erlaubniß dazu erhalten, keine Privatpraxis treiben (§ 15).
Cap. II. Von dem Rector der Akademie und seinen Pflichten. Der Rector, dem die Obhut über die Privilegien und Rechte der Universität obliegt, und dem alle akademischen Bürger zu gehorchen haben, wird aus der Zahl der ordentlichen Professoren halbjährlich reiheum nach dem Alter der Rezeption gewählt (§. 1, 2). Kein Professor soll sich, außer wenn besondere Gründe vorliegen, dem Amte entziehen. Der Vertreter des Rektors ist der Prorektor (§. 3). Bei dem Rektoratswechsel werden zugleich die Mitglieder des Con-
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cilii arctioris ernannt (§. 4). Der neue Rector wird mit aller Feierlichkeit nach Ableistung des vorgeschriebenen Eides in sein neues Amt eingeführt (§. 5). Sorge des Rektors ist, das Wohl der Universität nach allen Seiten zu fördern (§. 6). Bei einer Zivilklage gegen einen akademischen Bürger soll der Rector zunächst vermitteln; wenn dies fruchtlos, so soll er die Sache vor das kleine Concil bringen, wo der Streit kurz und mündlich ausgemacht werde; bei einer wichtigeren Sache entscheide nach ordentlichem, schriftlichem Verfahren das Collegium der Rechtsgelehrten, wogegen dann die Berufung an das Gesammt=Concilium und endlich an die Regierung freisteht (§. 17). Bei Disziplinarfällen aber soll der Rector den Uebelthäter festnehmen und auf den Carcer setzen, sodann die Sache dem Concilium arctius übergeben, welches sorgfältig nach den Theilnehmern an dem Vergehen zu forschen hat. Die Strafe richte sich nach den bestehenden Gesetzen; bis zu einem Tage Carcer kann der Rector allein geben. Wer zum zweiten Male frevelt, werde mit schwererer Strafe und der Androhung von der Universität entfernt zu werden belegt. Geldstrafen sollen möglichst vermieden werden und Loskaufung mit Geld verboten sein (§. 8). Der Rector hat auch die Einschreibung der neu aufgenommenen Studenten in die Matrikel zu besorgen (§. 9), er hat die eingehenden Briefe bei den Professoren circulieren zu lassen und die Beantwortung derselben nach Einholung der vota professorum dem Professor der Eloquenz oder bei rechtlichen Sachen dem Syndikus zu übertragen (§. 10). Er hat durch seine Namensunterschrift zu allen amtlichen Anzeigen sein placet zu geben (§. 11); er hat das Vermögen der Akademie zu verwalten und nach Rücksprache mit dem Concilio arctiori Stipendien zu verleihen (§. 13).
Cap. II. Vom Zusammentreten des akademischen Senats.
Unter Hinweis auf §§. 8-11 der Privilegien über die Wahl des Senats (§. 1) werden zunächst die Funktionen des kleinen Senats nochmals auf die richterliche Thätigkeit ausdrücklich beschränkt (§§. 2, 3). Bei allen wichtigeren Angelegenheiten, welche die Universität betreffen, beruft der Rector den Großen Senat (§.4), trägt die Sache vor und läßt nach dem Alter der Rezeption votieren (§. 5); an der Sitzung nimmt nicht Theil, wessen persönliche Angelegenheit berathen wird (§. 6). Die Stimmenmehrheit entscheidet; bei Gleichheit der Stimmen giebt der Rector den Ausschlag (§. 7). Was verhandelt worden ist, und wie Jeder gestimmt hat, ist Amtsgeheimniß (§. 8). Wenn der Rector seine Pflicht versäumt, haben die Assessoren des kleinen Senats das Recht, das akademische Concil zu berufen (§. 9).
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Cap. IV. Ueber die Verwaltung der Einkünfte. Das Amt der Quästoren, von denen der eine die Stipendien= und Freitischgelder unter sich hat, der andere den übrigen Schatz, ist vierjährig (§§. 1, 2). Sie haben jederzeit eine Kassenrevision des Rektors zu gewärtigen (§. 3) und eidlich ihre Treue zu geloben (§. 4). Das Honorar beträgt 20 Thlr. p. a. (§. 5).
Cap. V. Von dem Secretair der Universität. Der vom Senat gewählte Secretair hat sich durch einen Eid zur treuen Geschäftsführung zu verpflichten (§§. 1-4).
Cap. VI. Von den Sprach= und Exercitienmeistern. Sie sollen ehrbar im Wandel und Unterricht sein und die Studierenden zu keinen Narrheiten verführen (§§. 1-3).
Cap. VII. Ueber die Officianten der Universität.
Cap. VIII. Wie das akademische Bürgerrecht erworben wird. Wer von dem Rector in die Matrikel eingetragen zu werden wünscht (§. 1), hat, wenn er schon graduiert ist, vorher durch einen vorgeschriebenen Eid (§. 2), wenn er noch Student ist, durch einen Handschlag an Eides Statt zu geloben, ein der Universität zur Ehre gereichendes Leben zu führen (§. 3); der erst die Universität Beziehende hat sich vor dem Dekan der philosophischen Facultät über seine Vorbildung auszuweisen und erhält von demselben Anweisung, wie er am praktischsten seine Studien einrichte (§. 4). Wer sich um ein Staatsamt bewirbt, muß ein Zeugniß über seine Studien beibringen, welches ihm der Dekan seiner Facultät ausstellt (§. 5). Die Rezeptionsgebühr beträgt 5 Thlr. bei neuen, bei alten Studenten 4 Thlr. (§. 6). Für die Künstler und Handwerker beträgt der Preis des Bürgerrechts 5 Thlr. (§. 7).
Cap. IX. Von den Gesetzen, welchen die Studierenden zu gehorchen haben.
Die Studierenden sollen fromm und nüchtern leben, wie es Christen zukommt (§. 1), die Kirche fleißig besuchen und gern sein, wo Gottes Ehre gepredigt wird; gottlose Buben sollen nicht geduldet werden (§. 2); wer nicht lutherisch ist, soll sich hüten, für seinen Glauben Propaganda zu machen (§. 3). Der Studierende soll durch seinen Wandel beweisen, daß er nicht zu dem niederen Volke und Pöbel gehört (§. 4); er soll nicht mit Schlafrock und Pfeife auf die Straße gehen (§. 5), nicht an Lärm und Skandal, an Prügeleien sich betheiligen (§. 6), nicht Andere beleidigen und mit der Wache anbinden (§. 7); nicht Fenster einwerfen, Türen und Häuser beschädigen (§. 8); nicht mit Hand, Peitsche oder Degen oder sonstiger Waffe andere Studierende verletzen, vor allem, bei Strafe dreijähriger Relegation, sich in kein Duell einlassen (§. 9); nicht Schmähgedichte
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oder andere beleidigende Schriften verfassen oder verbreiten (§. 10); nicht in Kneipen oder Garküchen umherliegen, nicht Hazard spielen (§. 11); nicht uneingeladen zu Hochzeiten oder Gesellschaften gehen (§. 12); nicht Kneipereien veranstalten oder besuchen, Komödie spielen, mit Masken sich verkleiden (§. 13). So soll auch ferner der abscheuliche Pennalismus nicht geduldet werden - Senioris titulnm affectare, signum aliquod distinctivnm in pileo vel veste ostendere, symposia nationalia parare, importunns commessater esse, adventantes exagitare, nummos ab iis exterquere (§. 14); das Jagdrecht soll nicht mißbraucht werden (§. 15); wer länger als 8 Tage seine Anmeldung beim Rector verschiebt, soll die doppelte Rezeptionsgebühr zahlen (§. 16); jeder Studierende soll den Professoren alle Ehrerbietung erweisen (§. 17); auch nicht Andere zum Ungehorsam aufreizen (§. 18); vom Rector vorgeladen zur Stunde erscheinen (§. 19); die öffentlichen Anschläge nicht verletzen (§. 20); auch nicht, so lange er in Untersuchung ist, ohne erlangte Erlaubniß die Stadt verlassen (§. 21), der Strafe sich willig unterziehen (§. 22). Wer seinen Gläubigern durch die Flucht sich entzieht, soll von dem weltlichen Gericht verfolgt werden (§. 23); doch soll auch der Kaufmann nicht über 10 Thlr., der Handwerker, Künstler, Wirth nicht über 5 Thlr., der Hauswirt nicht über ein Semester hinaus creditieren; Geld aus Pfand oder Schuldschein zu leihen soll streng verboten sein (§. 24). Wer ein Zeugniß über guten Wandel nicht beibringt, kann zum Staatsamt nicht zugelassen werden (§. 25). Wer länger als 14 Tage ein Colleg besucht hat, ist schuldig es zu belegen (§. 26). Niemand wage es, in Müßiggang zu leben oder die Vorlesungen irgendwie zu stören oder Kommilitonen einem Professor abspenstig zu machen (§. 27); ganz besonders sind aber die Stipendiaten gehalten, den übrigen Studenten in Ordnung und Sittsamkeit Muster zu sein (§. 28).
6) Der Etat. Die Gebäude. Die Bibliothek.
Die Absicht des Herzogs, seinen Antheil an der Rostocker Akademie auf Bützow zu übertragen, scheiterte, wie wir sahen, an der Weigerung des Raths, mit den herzoglichen Commissaren zu unterhandeln, und an dem Spruch des Reichs=Kammergerichts, nach welchem bis auf Weiteres Alles in statu que belassen werden sollte. In Folge davon war der Herzog gezwungen, dem Lande eine fast unerträgliche Last aufzubürden. Denn hatte die Renterei vorher
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nur 2300 Thlr. nach Rostock abgeführt 1 ), so mußte sie nun jährlich an 9000 Thlr. allein für Gehalte der Professoren beschaffen 2 ). Herzog Friedrich Franz berechnete richtig im Jahre 1790, daß die Universität dem armen Lande nahezu 250,000 Thlr. gekostet habe.
Die Beschaffung der großen Summe machte denn auch in den ersten Jahren während der Kriegsnoth die größte Schwierigkeit. Die Renterei erklärte sich wiederholt außer Stande das Geld zu beschaffen, da die von dem Herzog angewiesenen Einkünfte aus den beiden Aemtern Schwan und Ribnitz insgesamt kaum 9000 Thlr. betrugen. Die Professoren gerieten, da ihnen die Gehalte nur theilweise und unregelmäßig ausgezahlt wurden, in bittere Not; erst die Drohung des Präsidenten Grafen v. Basewitz, seinen Abschied zu nehmen, wenn den Professoren das versprochene Gehalt nicht ausgezahlt würde, bewirkte, daß der Herzog bei seiner höchsten Ungnade der Renterei aufgab, von den Einkünften aus jenen Aemtern nichts zurückzubehalten.
Damit war nach dieser Seite der Noth abgeholfen. Aber erklärlicher Weise geschah außerdem nichts für die Universität. Selbst die gerechte Bitte der Professoren, eine Wittwenkasse für sie einzurichten, wurde wiederholt mit dem Hinweis aus bessere Zeiten abgelehnt. Für den sonstigen Unterhalt der Universität mußte jährlich die lächerlich geringe Summe von 635 Thlrn. ausreichen, welche aus Pachtzinsen (150 Thlr.) und aus Salinegesällen (485 Thlr.) aufkam. Alle Versprechungen, ein Auditorium, Concilzimmer, Laboratorium, ein Theatrum anatemicum einzurichten, blieben unerfüllt, so daß man vergebens in Bützow nach einem Universitätsgebäude suchte, wenn man von dem alten Stall absah, der als Reitsaal und Paukboden diente. Selbst als im Jahre 1780 nach der Aufhebung des Pädagogiums die passendsten Räume im Schloß frei wurden, gab der Herzog erst nach längerem Sträuben vier Zimmer her, das eine für die Akten, das zweite für die mathematischen Instrumente, das dritte für den Secretair, das vierte, ganz unbrauchbare,
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für Concilssitzungen. Die nur mit Lebensgefahr zugängliche Sternwarte (auf dem Turm am Eingang des Schloßplatzes) richtete sich 1773 Professor Karsten auf eigene Kosten ein. - Im Jahre 1770 wurde der Etat um 950 Thlr. erhöht, indem ein sog. Convictorium für 12-18 Studenten (Freitische) gegründet wurde. (Die bez. Gesetze sind abgedruckt in Bd. IX, p. 262, der Rostocker Annalen.)
Vielleicht am nennenswerthesten möchte noch die von Tychsen 1772 erworbene Bibliothek sein. Ueber dieselbe lasse ich Tychsen selbst reden: "Als ich im Jahre 1769 bei Serenissimo in Schwerin war, fiel mir der Gedanke stark auf, die Bibliothek der Bischöfe und früheren Herzoge zu sehen. Allein niemand wußte mir davon Etwas zu sagen, bis endlich ein alter Kammerdiener aussagte, er erinnere sich, daß oben auf der alten Justizkanzlei 1 ) bei der Tortur alte Charteken stünden. Da ich diese Bücher sehen wollte, der Schlüssel aber verloren war, so wurde die Tür aufgediedricht. Erstaunen und Wehmuth bemächtigte sich meiner Sinne in gleichem Grade, als ich eine so große Büchersammlung in der Verwesung liegen sah. Ganze Haufen von Büchern und Handschriften lagen vermodert auf der Erde, unter dickem Staub begraben. Marder, Wiesel und Katzen hatten daselbst, weil die gelenksamen Arme der Schweriner Jugend die Fenster eingeworfen hatten, ihre sichere Wohnung aufgeschlagen. In einigen Folianten fand ich Katzennester mit Jungen. Ganze Säcke gewiß einst werthvoller Handschriften wurden weggetragen. Ich eilte sofort zu Serenissimo, um meinen Fund zu erzählen, Höchstwelche sehr erstaunten und nichts dawider hatten, daß ich den Fund katalogisierte. Endlich bat ich mir in einer Versammlung des ganzen Hofes auf der Bibliothek von Serenissimo den ganzen Schatz für die Universität aus, was mir mit dem Bedinge zugestanden wurde, das Serenissimo noch Brauchbare auszuschießen. Serenissimus und ich brachten nun oft 5-6 Stunden mit kapitulieren über dieses oder jenes Buch zu, wobei Höchstdieselben nicht selten Folianten zu Ihrem Sitze erwählten. Es waren dies in der That für mich selige Stunden."
"Ich hatte nunmehr die Bücher, aber noch keinen Ort dazu ausfindig gemacht. In meiner Angst fiel mir ein, daß auf dem Schlosse ein alter massiver Stall 2 ) Sei, den Serenissimus mir auch einräumten. - Nach 23wöchentlichem Aufenthalt in Schwerin reiste ich nach Bützow zurück und ließ sogleich den Bau anfangen." -
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Soweit Tychsen. Diese von ihm gewonnene Bibliothek stammte von den Herzogen Johann Albrecht I., Adolf Friedrich I. und Christian I. Louis her. 12,000 Bände kamen davon nach Bützow, zum Theil sehr seltene Bücher, nur für die Universität von geringem Werth. Näheres s. b. Nugent 11, S. 154 flgd. Die Gesetze für die Bibliothek sind abgedruckt im Bd. V, S. 318, der Rostocker Annalen. 1789 wurde die Bibliothek, 14,332 Bände stark, nach Rostock geschafft.
Für die Vermehrung der Bibliothek gab der Herzog jährlich 80 Thlr. (sic!) her.
II. Theil. Wissenschaftliche Thätigkeit der Professoren.
A.
1) Geschichte der theologischen Facultät.
Die Statuten der theologischen Facultät (bisher ungedruckt und als M. S. von der Hand Aepinus' im ersten Theil, im zweiten von Tychsen's Hand geschrieben, unter den Akten vorgefunden) haben die herzogliche Bestätigung nicht erhalten, wie daraus zu ersehen ist, daß die Theologen wiederholt auf den Uebelstand, keine Statuten für ihre Facultät zu besitzen, aufmerksam machten. Sie lauten folgendermaßen:
Cum Doctores atque Professores theologiae academici non minus ac Pastores ecclesiae pertineant ad munera a Christo instituta, quibus praeparentur homines ad salutem aeternam per veram fidem sicque corpus Christi sive vera ecclesia aedificetur Ephes. IV, 11-16, meminerint omnes, quibus docendae Theologiae partes in hac academia Nostra concreditae sunt, non id solum ipsis incumbere, ut literis atque doctrina imbuantur juvenes, sed praecipne, ut vera et viva cognitio Christi in animis eorum plantetur, quo eruditi fiant ad vitam aeternam. Atque id quidem eo majori studio ac diligentia a Theologiae Professoribus agendum est, quod auditores suos non tantum, quod ad ipsos attinet, ad Christum adducere, sed eos simul praeparare et aptos reddere debent, quo et alios rursus ad vitam aeternam instituere possint, quod gravissimum munus olim in apostolica ecclesia ipsi apostoli et apostolici viri subeuntes 2. Tim. II, v. 2, exemplo simul Theologiae Professoribus sunt
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quam sollicita cura et ipsi virtutem divini Spiritus expetere et discipulos ita instituere debeant, ut tales olim evadant ecclesiae Doctores, quales Apostolus Dei servos esse vult, e. c. v. 15-26. Neque tamen obliviscantur magnum et necessarium discrimen, quod inter christianum vulgarem atque theologum intercedit; meminerintque propterea, sibi auditores suos non solum christianos, sed et Theologos reddendos esse, qui erudita et solida cognitione Doctrinae evangelicae variisque bonis artibus, quas ecclesiae praesens status a ministris suis flagitat, imbuti sint. Conjungant igitur sedulo indefessaque opera utrumque studium et Christum glorificandi in animis auditorum et eos simul solidiori Doctrina imbuendi ut ex omni parte fiant quem optatum finem atque scopum ut recte per Dei gratiam atque benedictionem obtineant, sequentibus adstricti sint statutis atque legibus cuncti, quibus Theologiam docendi munus in hac Academia Nostra incumbit.
§. 1. Cum vera agnitio Christi atque ecclesiae aedificatio obtineri haud possit sine puritate doctrinae a Deo revelatae, haec ante omnia singulis Theologiae Professoribus atque Doctoribus curae cordique sit. Nullam vero aliam intelligimus quam eam doctrinam, quae traditur libris propheticis et apostolicis sive in scriptura sacra, cum qua congrnunt Symbola apostolicum, Nicaeanum et Athanasianum itemque reliqui libri ecclesiae evangelico-Lutheranae symbolici, Confessio nimirum Augustana non variata ejusdemque Apologia, Articuli Smalcaldici, uterque Catechismus Lutheri atque Eormula Concordiae. In his igitur tuendis atque unanimi consensu retinendis summam concordiam atque operam collocent, non neglectis ordinationibus ecclesiasticis publice in terris Meklenburgicis receptis. Hanc puram doctrinam evangelicam solliciter foveant auditoribusque instillent, atque caveant, ne sententias cum scripturis sacris et cum symbolis supradictis pugnantes aut semina ejusmodi spargant aut defendant. Si vero quisquam, quod Deus avertat, qui Theologiam publice aut privatim docet, sententiarum pravarum suspectus fiat, cum eo agatur secundum Statuta Academiae Nostrae generalia.
§. 2. Quandoquidem vero, quidquid per doctrinam aedificari debet, per flagitiosam et scandalosam vitam Doctorum plerumque rursus destrui solet; cum contra ad movendos animos, ut purae Doctrinae pie attendant, nihil efncacius sit, quam si auditores in ipsis Doctoribus exempla expressa videant, quo-
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modo doctrina evangelica ad praxin transferri debeat: caveant sibi Professores atque Doctores Theologiae ab ejusmodi scandalis Spirituique sancto obsequantur, quo per ejus gratiam exemplar fiant studiosae juventutis in sanctitate vitae non minus quam in sana doctrina. Imprimis vero ardentibus ad Deum precibus vacent atque pnro castoque animo nihil in cunctis suis studiis intendant nisi gloriam divinam, imbecillitatis suae et quod Deus solus sit, qui nosmet ipsos et alios salvare possit, memores, ut ipsi repleantur virtute Spiritus sancti inque omnem ducantur veritatem, atque laboribus suis benedicat Deus ad veram salutem studiosorum, sicque munus eorum multos fructus ferat ad gloriam Dei.
§. 3. Summam concordiam praeterea singuli Professores theologiae ordinarii in eo adhibeant, ut secundum id, quod in statutis generalibus praescriptum est, singulis semestribus in domo Decani conveniant atque unanimi cura anditoribus tanquam filiis prospiciant salubriaque consilia suppeditent. In his vero consiliis suppeditandis diligenter explorent vires ingeniorum, scopum praefixum, subsidia vivendi aliasque ejusmodi circumstantias, quo pro cujusvis conditione ordinem et viam monstrare possint, qua in studiis suis incedere debeat. Neque minus ad vitam studiosorum attendant salubriaque monita, ubicunque visum fuerit, addant. Nomina singulorum Theologiae studiosorum in pecnliari quodam libro scribant atque singulis semestribus ibi adnotent, quomodo quemque et in literis et in vita invenerint, quam quisque prae ceteris audiverit disciplinam et quid in ea profecerit. Quique in hisce conventibus se sistere detrectaverint, iidem moneantur. Atque ex his fundamentis universis testimonium alicui abituro aut denegetur aut concedatur, ita tamen, si hoc posterius tiat, ut ex optima conscientia agant Professores neque quidquam reticeant, quomodo quemque affectum deprehenderint. Quod tamen, si quis antea malus mores et animum vere emendaverit, non eo extendendum est, quasi memoria pristinae vitae per testimonium ejusmodi renovanda sit. Conficiantur vero testimonia a Decano facultatis, ita tamen, ut et suffragia reliquorum membrorum exqurrantur. Quod quo commodius fieri possit, qui abiturus testimonium tlagitat, ante Michaelis et Paschatos terminum petitum suum ad Decanum deferat, hic vero de singulis ejusmodi Candidatis in proximo consessu rem referat ad integram Eacultatem, ut de testimonio, quale cuique impertiendum sit, aut communi consensu aut per pluralitatem votorum statuatur. Testimonium
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ipsum Decanus sigillo Facultatis et sui nominis subscriptione muniat. Pro signationis opera studiosus quisque Pedello Academiae solvat IV grossos.
§. 4. Quod ad suppeditanda consilia de studiis dirigendis attinet,in eo primum diligeutem curam adhibeant, ut juvenes propaedeumata Theologiae accurate et solide addiscant. Atque cum Scriptura sacra unicus fons et principium sit verae Theologiae, neque ipsa Theologia aliud quid haberi debeat quam doctrina scripturae dextre explicata et apte disposita argumentisque suis munita, nihil profecto, quod operae pretium sit, in theologia is praestabit, qui scripturae sacrae interpretandae plenam facultatem sibi non acquisiverit. Quapropter in his propaedeumatibus primum principemque locum merito occupant linguae originales textus sacri, ut Theologiae studiosi, quoad ejus fieri possit, earum plenam notitiam hauriant una cum reliquis humanioribus artibus, quae ad rite explicandum textum sacrum multum faciant, ut historia et antiquitates tam Judaicae quam exterarum gentium. Indefessa igitur opera admonendi sunt juvenes, qui in Theologiam incumbunt, ut praelectiones ad hunc scopum facientes atque a Professoribus et Doctoribus linguarum institutas omnium primo atque summo studio et applicatione frequentent. Ad hanc vero rem, quomodo quisque in ea se gesserit et quid in his disciplinis profecerit, praecipue attendat Theologica Facultas in testimoniis conferendis, quo juvenes necessitatem ejus sentiant. Ipsi autem Professores Theologiae hermeneuticae sacrae regulas assidue explicent easque in uno aut altero libro biblico exegetice tractando ad usum transferre doceant. Neque tamen ab his propaedeumatibus excludenda, sed potius studiosis recte, et prout res postulat, commendanda est sana philosophia. Etenim quivis Theologus ingenium excolere viresque intelligentiae recte exercere ut discat, gravissimas et maxime necessarias habet causas. Sine philosophia instrumentali, sine Logica igitur, haud temere quidquam solidi in ulla Theologiae parte praestabit. Reliquae vero disciplinae philosophicae, in quibus principia Naturae explicantur, ut Metaphysica, Physica, doctrina morum et juris Naturae, quin et Mathematicae disciplinae in illustrandis atque defendendis sacris doctrinis plane egregium praebent usum. Quare et ut istas addiscant juvenes, prout cujuslibet vires et conditio patiuntur, serio admonendi sunt, ita tamen, ut ipsis tameu assidue praecepta prudentiae in memoriam revocentur, sobriam deliberationem esse instituendam, ut prima quaevrs atque ma-
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xime necessaria, quae ad naturam theologiae proxime pertinent, praecipuam quoque curam plurimumque temporis habeant, reliqua suo quidem loco et ordine ita addantur, quomodo pro cujusvis statu sine dispendio maxime necessariorum fieri possit.
§. 5. Praeter lectiones hermeneuticas et exegeticas supra memoratas ipsi Theologiae Professores Theologiam dogmaticam, polemicam, moralem, symbolicam, catecheticam, homileticam, item historiam ecclesiasticam atque quidquid praeterea theologo necessarium et proficuum esse possit, summe studio ita tractent, ut et solida religionis christianae rerumque sacrarum notitia imbuantur juvenes et simul in cunctis theologiae partibus scopus et centrum totius Theologiae Christus nimirum veraque fides in eum studiose monstretur. Ita enim fiet, ut quodlibet doctrinae christianae caput juvenes non modo eo melius intelligere, sed et recte aestimare ejusque momentum, gravitatem et necessitatem perspicere possint; atque, quod maximum est, hac ipsa via instruentur, quomodo theologia recte uti debeant, ad se ipsos nimirum aliosque excitandos aedificandosque in vera agnitione Christi, qua et justificamur et sanctificamur. Quocirca et, prouti in statutis generalioribus praefinitum est, lectiones asceticas instituant Theologiae Professores, in quibus ad captum cujusvis studiosi, etiam eorum, qui Theologiae operam haud navant, praecipua scripturae et Theologiae capita explicentur et applicentur ad communem aedificationem. Neque negligenda sunt collegia examinatoria et disputatoria, ita tamen, ut in his spiritualem sapientiam adhibeant Professores et Doctores, ne rixandi et altercandi libido ingeneretur juventuti, sed cuncta referantur ad instillandum ejusmodi amorem veritatis, qui cum modestia christiana diligendoque proximo consistere possit. Hos enumeratos labores secundum statuta Academiae generalia collegiali consensu ita inter se distribuant Theologi, ut Theologiae studiosi singulis ad minimum bienniis cuncta audire possint, quae jure ad praeparandos juvenes Theologos requiri queant. Hanc ipsam ob causam singula collegia, quae ullo modo intra semestre spatium absolvi possunt, et in aliis bene ordinatis academiis ita absolvuntur, neque in Academia Nostra protrahi debent ultra istud tempus; reliquorum collegiorum, quae propter copiam tam arcte circumscribi haud possunt, nullum tamen anni spatium excedat. Quod ad honorarium attinet, Professores aequitatis et charitatis christianae memores sunto, ut tenuioribus cuncta gratis concedant collegia, ab iis vero, quibus facultates suppetunt, tantum sumere licebit, quantum et in aliis Academiis usu receptum est.
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§. 6. Decanus Facultatis theologicae singulis semestribus constituatur eo quidem ordine, quo quisque auctoritate publica Professor constitutus et in Facultatem receptus est. Recipiat vero Decanus sigillum Facultatis custodiendum una cum quinque libris, quorum primo statuta Collegii et nomina Collegarum ut et eorum, qui in hac Academia a Facultate Theologica honores Doctoris, Licentiati vel Candidati impetrarunt; secundo nomina studiosorum eorumque profectus in doctrina et vita, ut exinde testimonia confici possint; tertio consilia et responsa, quae a Facultate consulentibus redduntur; quarto disputationum aliorumque scriptorum theologicorum in hac Academia prodeuntium catalogus; quinto rationes pecuniae ex promotionibus aliisque laboribus acceptae comprehendantur. Decanus post novi electionem intra quatuordecim dierum spatium integro Collegio rationes de his cunctis reddat.
§. 7. Scripta ab ipsis Professoribus composita et edenda, sive sint disputationes academicae sive alii libri, ab omni censura libera sunto. Quae vero ab aliis auctoribus proficiscuntur scripta Theologica et in hac urbe typis exscribuntur, sub censuram Collegii Theologici Academici veniant oportet: quae si nomine totius Facultatis Theologicae, ut fiat, expetatur, accurate perlustranda sunt ista scripta a singulis Professoribus, alioquin censeantur a solo Decano.
§. 8. Literas Facultati Theologicae inscriptas recipere et resignare est Decani; has tamen sine mora cum Collegis communicare et, priusquam ad eas respondeatur, sententias eorum exquirere debet. Responsum ipsum conficiat Decanus haud praetermissis rationibus Collegarum, et antequam sigillo roboret, relegi et moneri pro lubitu a singulis patiatur. Si circa responsa sententiae Collegarum in diversum abeant, res conficiatur secundum pluralitatem votorum, quae si contra sententiam Decani cedat, poterit ille Responsum alii ex colloquio conficiendum permittere.
§. 9. Ad promotionem Theologicam admittatur nemo nisi in officio digno constitutus aut literis systaticis sufficientibus instructus et doctrinae et vitae nomine probatus. Candidati specimina edant primum in examine praeliminari seu tentamine de praecipuis capitibus doctrinae Christianae juxta scripturam et libros symbolicos, deinde in lectionibus cursoriis duabus super locum biblicum aut aliam materiem gravem Theologicam habendis; in examine altero, quo, quae ad pleniorem Controversiarum historiae ecclesiasticae ceterarumque rerum
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theologicarum notitiam pertinent, explorentur; denique in disputatione publica, cujus ipse Candidatus sit auctor, sub praesidio Decani habenda, quamque solus censeat Decanus, nisi accurrant in ea difficiliora nonnulla, quae cum collegis communicanda esse Decanus arbitratur. Pro conditione tamen Candidatorum licebit Facultati Theologicae quoad lectiones cursorias et examen alterum, item quoad praesidium Disputationis inauguralis dispensare, sed Candidatus ejusmodi nihilo secius sumptus integros solvat.
Praeter eos enim sumptus, qui in statutis generalibus praefiniti sunt, Facultas Theologica accipiat pro examine quadraginta imperiales aequis partibus inter Professores distribuendos, ita ut Decanus nihil praecipui habeat. Sed pro Praesidio habeat Decanus decem imperiales, item pro Programmate ab ipso conficiendo, in quo vita Candidati recenseatur, ac pro immatriculatione in Album Facultatis Theologicae quinque imperiales; praeterea impressionis sumptus ferat Candidatus. Pro conferendis summis honoribus in Theologia accipere liceat Decano qua Decano decem imperiales, singulis vero Professoribus Theologiae, atque propterea Decano etiam qua Professori quatuor imperiales, Pro-Rectori pro praesentia duos imperiales. Dabit etiam Candidatus librum aliquem bibliothecae academicae inserendum, cujus pretium non sit infra duos imperiales.
§. 10. Priusquam Candidatus ad edenda specimina publica admittatur, in consessu Facultatis Theologicae sequenti formula data dextra, vi juramenti, se obstringat: "Ego N. testor coram Deo et hominibus, me doctrinam in scriptura sacra et libris ecclesiae evangelio-Lutheranae symbolicis comprehensam sincero animo complecti eamque per gratiam DEI tueri et docere, vitam christiano Theologo dignam gerere et salutem hujus Academiae Buetzoviensis data occasione juvare velle."
§. 11. Siquidem in aliis Academiis gradu doctorali ornati huc delati fuerint et suo privato nomine facultatem docendi ac disputandi sibi conoedi postulaverint, non prius admittantur, nisi praecedente colloquio et exploratione Doctrinae cognitisque testimoniis vitae inculpatae. lidem etiam dimidium pecuniae, quam qui in Academia Nostra promoventur, solvere debent, Facultati Theologicae offerant, eamque Decanus juxta rationom §. 9. indicatam distribuat. Quodsi quis vero licentiam gradus Doctoralis alibi consecutus fuerit et in hac Academia Doctor renuntiari desideret, non prius hac dignitate ornandus est, quam Pacultatis illius, ubi licentiam impetravit, consensum se obti-
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nuisse docuerit et colloquio inito Professores Facultatis orthodoxiae Suae certiores reddiderit. Pro colloquio autem et renuntiatione solvat illud dimidium, quod modo indicatum est.
§. 12. Vacante loco in Facultate Theologica, reliquis collegis intra mensis spatium convenire licebit, ut de successore idoneo secundum requisita superius commemorata in timore Domini deliberent.
Nominabunt autem aliquos viros, quos huic muneri aptos ex couscientia sua judicaverint. Horum nomina suumque judicium [Cancellario, Directori] Academiae per literas indicent, qui sine gravissima et manifesta causa non detrectabit nominationem hanc Serenissimo Duci regnanti humillime commendare, ut ex nominatis unum, salva tamen suprema Sua potestate et arbitrio, eligat et sententiam Suam clementissimam Academiae significet. Quicunque vero auctoritate Ducali Professor Theologiae vocatus sit, quamquam vel maxime alibi jam Doctoris gradum consecutus sit, neque sumptus aliquos Facultati Theologicae solvere, neque colloquio se sistere tenetur; sed visat solnmmodo singulos Collegas domi, quorum quivis hac occasione sermonem amicum de variis Theologiae capitibus instituere poterit, litigiis tamen et rixis super opiniones nonnullorum privatas procul remotis, quippe quas confestim deprecari novo Professori licebit.
Quodsi nullus Professorum in novo Collega quidquam deprehenderit, quod doctrinae evangelicae communi consensu ecclesiarum receptae repugnet, convocetur a Decano Facultas Theologica, novusque Professor data dextra eadem Formula in Facultatem recipiatur, quae supra §. 10 candidatis praescripta est. Si vero novus Professor Facultati merito suspectus videatur, res illo modo geratur, qui in statutis generalibus hujusmodi in causa praescriptus est. §. 13. Cum vero cuncta in tam gravi negotio non satis distincte pro varietate casuum obvenientium definiri possint: subinde Decanus ceterique Professores per votorum pluralitatem nova statuta his adjicere poterunt: secundum leges tamen in statutis generalibus praescriptas. -
Von der gewaltigen Bewegung, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts alle Geister wunderbar ergriff und in rascher That eine Umwälzung ohne Gleichen in allen äußeren und inneren Verhältnissen des Lebens hervorrief, blieb auch die Theologie nicht unberührt. Während die aus die Freiheit des Individuums gerichteten Bestrebungen in der katholischen Kirche besonders gegen die Jesuiten
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gerichtet waren, wandten sich dieselben in der evangelischen Kirche zuerst gegen die Dogmenerstarrte scholastische Orthodoxie und nach ihrer Bewältigung in verhängnisvollem Wechsel gegen allen Auctoritätsglauben, gegen Bibel und Offenbarung. Von dem guten Rechte des Christen, die Heilige Schrift zum Gegenstand freier Forschung zu machen, ausgehend, verstieg man sich, Alles, was gegen menschliche Weisheit und Vernunft zu sein schien, für Unsinn oder Pfaffentrug auszuschreien nur Wenige hatten den Muth, mit dieser gewaltsamen Rotte, welche Wissenschaft und Presse beherrschte, anzubinden; es war die Zeit, wo fromme Seelen die Zeichen der baldigen Wiederkunft Christi aus der Bibel prophezeiten.
Und in der That, wenn man das kirchliche Leben betrachtet, so ist kein Zeitalter weder vorher noch nachher tiefer gesunken gewesen als dieses, das auf allen Gassen Toleranz und Nächstenliebe predigte, um unter diesem Deckmantel die heiligsten Gefühle der Menschenbrust zu verhöhnen und dem Spott preiszugeben. Der letzte aus dem Bann der Scholastik gerettete Hauch frischen Lebens ging der Kirche unter dem Schrecken des intoleranten Rationalismus mit seiner Gleichgültigkeit gegen die wichtigsten Heilslehren, gegen Dogma und Glaubensregel verloren; es galt nicht mehr Gottes=, sondern Menschenwort.
Von dieser die Leidenschaften tief erregenden Bewegung war zwar die Kirche in Meklenburg verschont geblieben, ohne aber daß jemand behaupten dürfte, die Lage der Kirche sei darum besser gewesen; vielmehr empfand über der Noth des Landes das arme in Unglauben und Aberglauben versunkene Volk den Untrost der Kirche nicht. Es war das unbestreitbare Verdienst der Prinzessin Augusta und ihrer Prediger, wie man auch sonst von dieser Pietistischen Sekte denken mag, die erste Anregung zu erneutem kirchlichem Leben gegeben zu haben. Was sie in engem Kreise begonnen hatten, wollte Herzog Friedrich im ganzen Lande fortsetzen und durchführen.
Diesem Zwecke vornehmlich sollte, wie wir sahen, die neue Universität Bützow dienen. Ihr Direktor 1 ) war dreißig Jahre lang der Konsistorialrat Dr. Döderlein. Was derselbe für die mecklenburgische Kirche geleistet hat, gehört nicht hierher; ich will mich auch begnügen, hier und Weniges über seine Thätigkeit als Professor zu sagen und lieber den Werth dieses verkannten Mannes in einer eigenen Biographie in das volle Licht stellen. Döderlein ist eben nur zu verstehen, wenn man seine uns hier fern liegenden Bestrebungen als
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Konsistorialrat kennt; davon ist seine ganze wissenschaftliche Arbeit, davon auch sein Verhältniß zur Universität abhängig.
Dreißig Jahre lang war Döderlein die Leuchte der Universität; er war es, der in allem Jammer, worin er wirkte, mit Freudigkeit sein Amt versah und in den von ihm erzogenen Theologen wieder tüchtige Leute auf die Kanzeln brachte, die ihre Ehre darin sahen, ihrem Meister gleich "in der Lehre fest und warm in der Liebe" zu sein. Die Zahl seiner Schüler betrug durchschnittlich 16-20. Der Vorwurf im Munde seiner Feinde, daß er durch die "Hochschule des Pietismus" Meklenburg zu einer "Hochburg des Pietismus" gemacht habe, ist in meinen Augen seine größte Ehre. Denn auch Wilhelmi hat in seiner trefflichen Arbeit über Augusta von Dargun aufs Neue bewiesen, daß dieser unter Herzog Friedrich zur Macht erhobene Pietismus mit dem Sectirerischen, fanatischen Pietismus, von dem er ausgegangen war, nichts mehr gemein hatte; der von Döderlein auf die Kanzeln gebrachte Pietismus war so gut lutherisch, daß alle seine Feinde vergebens eine Ketzerei darin zu entdecken suchten; er war das feste Fundament und die Stütze unserer evangelischen Landeskirche, ohne welche sie den Angriffen der Feinde von außen bald erlegen wäre; er war der Grund, auf dem die Kirche unserer Zeit neu erbaut worden ist; ihm verdanken wir, wenn ich es recht verstehe, den neuen, aus dem rechten Glauben erwachsenen Gottesdienst des Herzens.
Neben Döderlein wirkte der wissenschaftlich höher stehende Professor Gotthilf Traugott Zachariä 1 ), ein Sohn des Vornehmsten unter den Darguner Predigern, und dem Pietismus damals noch von Herzen zugetan. Die Milde seiner Gesinnung machte ihn bei den Studenten beliebter als den heftigen und strengen Döderlein. Von seinen Collegien, welche neben Dogmatik und Kirchengeschichte besonders Exegese betrafen, fand das über Jesaias den meisten Beifall. Im Wesentlichen schloß er sich an Baumgarten an, wodurch
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er später von der reinen Lehre abgeführt wurde. Bedeutendere Werke schrieb er in Bützow noch nicht. Die von ihm verfaßten Fest=Programme:
1) Christum πρωτότοκον considerandum. Weihn. 1761. Ostern 1762.
2) Commentatio de Christo, hominum fratre. Weihn. 1762.
3) Recensio fatorum praedictorum Christi de instanti resurrectione sua. Ostern 1763.
4) Meditatio de insigni Jacobi, fratris Domini, inter veteres christianos auctoritate. Weihn. 1763.
5) Meditatio de Christo, altero Adamo. Weihn. 1764.
6) Vindiciae Gloriae Christi se ipsum a mortuis excitantis
contra impngnationes recentissimas. Ostern 1765. sowie auch die andern in Bützow verfaßten Schriften:
1) De peccato originali. 1761. (Inaugurationsschrift.)
2) Von dem rechten Gebrauch und Mißbrauch des kleinen Katechismus. 1763.
3) De salute infantum non baptizatorum. 1763.
4) Disputatio contra Humium demonstrans odium religiosum ex doctrina de unico Deo non oriri. 1764. hatten mit denen Döderleins das gemeinsam, daß sie sich gegen alle Verwässerung des Christenthums und besonders gegen alle Antitrinitarier wandten; aber die Methode beider war grundverschieden. Denn während Ersterer mit allem Nachdruck die praktische Seite, die Bekehrung des Menschen zu Gott und das Heil der Kirche, hervorhob, suchte Zachariä durch Interpretation und Exegese den Gegner zu widerlegen. Diese glückliche Ergänzung beider trat auch in ihrer kollegialischen Thätigkeit hervor. Denn obgleich Zachariä immer bescheiden hinter Döderlein zurücktrat, so hatte doch seine Friedensliebe und Duldsamkeit einen heilsamen Einfluß auf den gegen alle Abweichung von der reinen Lehre und dem Wege der Tugend schroff vorgehenden Collegen; und bei den Studenten ließ er gelten, daß Jugend ohne Tugend. Der Herzog schätzte seine Thätigkeit sehr hoch und war sehr bestürzt, als er, nach Göttingen berufen, durch nichts sich halten ließ, dem ehrenvollen Rufe zu folgen. Der Geh. Rath Schmidt sah in ihm "die letzte Hoffnung Bützows" scheiden. In der That folgten viele Studenten dem beliebten Lehrer nach Göttingen. (Ostern 1765.)
Seine Stelle blieb vier Jahre lang unbesetzt, während welcher Döderlein der einzige Professor der Theologie in Bützow war. Alle Versuche, tüchtige Kräfte zu gewinnen, scheiterten. Ostern 1769 trat
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als Professor und Consistorialrath Friedrich Maximilian Mauritii 1 ) in die Facultät ein. Bei seiner Berufung bezweckte der Herzog vornehmlich, einen tüchtigen Leiter des Pädagogiums in Bützow zu gewinnen, worin er sich aber gründlich täuschte. Denn Mauritii hatte weder Lust noch Energie zu jenem Posten, so daß er bald wegen "Kränklichkeit" dessen enthoben wurde. Allein auch als Professor war er, obwohl ein frommer und gerader Mann, und daher der Liebling der Studierenden, doch nicht zu gebrauchen; mochte er auch wissenschaftlich hinreichend gebildet sein, so verhinderte ihn doch seine Körperschwäche und Kränklichkeit, auch nur ein Colleg zu Ende zu lesen oder ein irgend bedeutenderes theologisches Werk zu schreiben. Die von ihm angekündigten Collegien betrafen Kirchengeschichte und Dogmatik; am beliebtesten war seine Vorlesung über die zuerst von v. Mosheim für Akademien empfohlene populäre Theologie. In den von ihm verfaßten Festprogrammen:
1) De Filii Dei incarnatione. Weihn. 1769. Weihn. 1770. Weihn. 1772.
2) Quantum ad nostram salutem intersit Jesum resurrexisse idque nos exploratum habere. Ostern 1770.
3) De inhabitatione Dei et peculiariter Scti. Spiritus in iis, qui fide Christenthum amplectuntur. Pfingsten 1771. Pfingsten 1775.
4) Quodnam pretium doctrinae evangelicae de satisfactione Christi statuendum sit et num illa etiam ad popularem Christianorum institutionem pertineat. Ostern 1774.
5) Commentatio, qua via et ratio doctrinae evangelicae de satisfactione vicaria justitiae divinae a Christo pro hominibus praestita recte probandae breviter delineatur, part. I - VIII; in lateinischer, und von Pfingsten 1781 an in deutscher Sprache (Weihnachten 1788 abgebrochen).
folgte Mauritii der von Christ. vonWolff eingeführten und von Baumgarten gepflegten streng logisch=mathematischen Demonstrations=Methode, welche allen lebendigen Odem tötet. Der von Mauritii bekämpfte Feind ist ebenfalls der moderne Pelagianismus der Socinianer und Arminianer.
Neues Leben, aber nicht zum Heil der Universität, brachte der im Jan. 1773 in die Facultät neu eintretende Consistorialrath und
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Professor Ferdinand Ambrosius Fidler 1 ), einer von den schuftigen Männern, welche, Wölfe in Schafskleidern, durch Heuchelei und Frömmelei sich das blinde Vertrauen des Herzogs erwarben und dasselbe in der frechsten Weise mißbrauchten. Gleich von seinem ersten Eintritt an betrug Fidler sich gegen alle Professoren, außer Döderlein, welchen er merkwürdiger Weise ganz für sich einzunehmen und über seine Verlogenheit und Hohlheit zu täuschen wußte, mit dem unerträglichsten Uebermuth. Mit hochtrabenden Worten kündigte er neue, nie gehörte nova et inaudita - Collegien an, ohne in den drei Semestern seines akademischen Lehramts auch nur ein einziges zu lesen, außer der mit den unflätigsten Schimpfereien und den gröbsten Lügen erfüllten Geschichte der Zeremonien der katholischen Kirche, welche er bald nachher in Doberan "zum höchsten Schimpf der mecklenburgischen Gelehrtenrepublik" und zum bittersten Spott der Feinde durch den Druck veröffentlichte. Seine einzige in Bützow verfaßte wissenschaftliche Arbeit, drei Festprogramme über das Thema:
"Argumentum divinitatis domini nostri Jesu Christi datum ex ejus ab inferis glorioso reditu." Ostern 1773 Pfingsten 1773. Weihnachten 1773.
spottet jeder Kritik; wohl nie hat ein Professor Kläglicheres geschrieben. Allerdings anmaßend genug ist der Professor, der sich rühmt: ,esse δεόλογος, qualem ecclesia antiqua simpliciter et quidem principaliter dicere soleret", und dabei lauter dummes Zeug bunt zusammenschmiert. Es ist mir daher durchaus nicht unglaublich, was Tychsen schreibt: "Dieser Professor? Verstehe so wenig Hebräisch, daß er es weder schreiben noch lesen könne." Und dieser "Hohlkopf und ausgeblasene Narr", "der Proselyt und Katholiken=Fresser", hatte den Muth, Alle, welche nicht bis aus den letzten Buchstaben sich zu der Lehre des Crusius bekannten, mit Koth zu bewerfen. "Mit großem Eifer", sagt Tychsen einmal in einem Briefe an den Mundschenk Cornelius in Ludwigslust, "affectirt er Hitze für die reine Lehre, ohne Etwas von dem eigentlichen Wesen des Christenthums und seiner Heilslehren, der Buße, des Glaubens und der Rechtfertigung, zu verstehen; wenigstens in praxi trifft man davon nichts bei ihm an. Er macht sich mit seiner Geisterseherei und der Voranstellung der Offenbarung Johannis nur lächerlich und ent=
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behrt in seiner maßlosen Eitelkeit aller Selbsterkenntnis, ist wie die Pest, voll Bosheit, Neid und Selbstsucht." "Er ist auf der Kanzel ein gewaltiger Redner, aber draußen ein Gotteslästerer, mit dem nur Lasterhafte verkehren mögen."
Aber dem hochstrebenden Mann war die Stellung als Consistorialrath und Professor noch lange nicht dem Ziel der Hoffnungen entsprechend. Am 12. Januar 1774 wandte er sich an den Herzog: "Ew. Herzogliche Durchlaucht haben mich als einen armen und verlassenen Proselyten aus dem Staube und der Verfluchung meiner ehemaligen Glaubensbrüder zu erheben, die Tränen abzuwischen, meine Seufzer zu ersticken und die Verachtung, in der ich. lag, von mir zu nehmen gnädigste geruht; Ew. Herzogliche Durchlaucht haben mich sogar in den Stand wieder versetzt, in welchem ich ehedem in dem kaiserlichen Hofkloster war. Aber Ruhe habe ich nicht gefunden, und ich wage es, Ew. Herzogliche Durchlaucht als Fürst, als Christ, und ich setze hinzu, als meinen gnädigen Vater, meinen nach Gott besten und einzigen Beschützer mit einer neuen Bitte anzugehen."
In dem Folgenden setzt er nun aus einander, daß der fortwährende Aerger seine schwache Gesundheit vollständig ruiniert habe: Skandal in der Familie, Haß der Collegen, Verleumdung der Prediger - das sei mehr, als sein heißes Temperament vertrage; er wolle Gott danken, wenn er nur eine Pfarre hätte; denn tausendmal lieber Pastor als dieses trostlose Amt eines Professors! Es biete sich aber, wenn die herzogliche Gnade ihn noch einmal anblicken wolle, eine passende Verwendung für ihn; da nämlich der Consistorial=Direktor v. Hahnnecken abginge, und ein Consistorialrath nahe bei Rostock wohnen müsse, so möge der Herzog geruhen, ihn als Superintendenten in die vacante Pfarre zu Doberan einzusetzen.
Seiner Bitte wurde willfahrt; schon Ostern (1774) verließ Fidler die Universität zur großen Freude der Professoren. Wenige Jahre später hatte er ausgespielt: als Bankerottirer und gemeiner Betrüger entfloh er 1778 nach Altona, wo er am 26. Juni 1780 starb.
Seine Stelle an der Universität blieb bis 1780 unbesetzt. Sein Nachfolger als Consistorialrath und Professor war Peter Andreas Müller, der schon 1777 von Halle her, wo er sich als eifriger Crusianer einen gewissen Namen erworben hatte, nach Bützow berufen worden war, um Logik und Metaphysik zu lesen. Als er "mit der von Tetens in Mißkredit gebrachten Metaphysik" (sic!) Fiasko gemacht, hatte er sich der Theologie zugewandt. Von Charakter war er nicht viel besser als Fidler; besonders der gemeinste
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Neid war es, welcher ihn verleitete, die Collegen Döderlein und Mauritii, deren Vorlesungen gern gehört wurden, während bei ihm kein Student hören wollte, beim Herzog zu verdächtigen, als ob sie ihm die Zuhörer abspenstig machten. In der That aber machte das Heuchlerische und Unwahre seines ganzen Wesens bei Allen ihn so verhaßt, daß die Studenten sogar dem Professor Hecker eines Tages drohten, sein Colleg zu verlassen, wenn er den Umgang mit Müller nicht aufgäbe; mehr als einmal zog er sich wegen seiner Verleumdungen den ernstesten Tadel des Herzogs zu. Sein erbitterter Feind war aber Tychsen, welcher ihm die Stelle im Contstorium, auf welche er sich selbst Hoffnung gemacht hatte, nicht gönnte, andererseits auch sich tief gekränkt fühlte, weil Müller öffentlich die Orientalia für unnütze und das Ansehen der Bibel herabsetzende Wissenschaft erklärt hatte; wofür Tychsen sich boshaft rächte, indem er überall die neueste Interpretation von Luc. X, 42, welche man dem großen Gottesgelehrten Müller verdanke, zum Besten gab: "Maria habe sich aus der Schüssel das beste Stück gelangt; warum Martha sie darum beneide?" Und in einem Briefe an den Mundschenk Cornelius, in welchem er nicht hart genug das gotteslästerliche Leben seines mit gleichgesinnten Kumpanen auf Bierbänken und in Spelunken herumlungernden Collegen zu beurtheilen weiß, fügt er jener Anekdote die Worte hinzu: "Dieser ausgeblasene Mensch weiß vom Christenthum nichts; er ist ein rechter étourdi, der von der Theologie so viel versteht als der Esel vom Zitherspiel."
Wie viel Wahres an diesem Urtheil Tychsens, eines, wie wir bald sehen werden, sehr zweifelhaften Gewährsmannes, ist, lasse ich dahingestellt; daß es wahrheitswidrig in gewissem Maße gewesen, ist aus der Thatsache ersichtlich, daß die theologische Facultät in Tübingen Müller 1777 wegen seiner Verdienste um die Theologie zum Ehrendoktor ernannte, sowie auch, daß ein Zeitgenosse ihn einen Mann von Kenntnissen nennt, aber auch mit dem Zusatz: mit Charakter, Kopf und Herz, wie sie Rezensent nicht haben möchte. (Deutsche Allg. Bibl. z. Jg. XXIV, Anh. p.1407.)
Ein größeres Werk von Bedeutung oder Namen hat Müller nicht geschrieben, sondern mit Vorliebe seine Muße zu bittern Kritiken der von Crusius abweichenden Bücher verwandt. Wie wenig Geschick er zur Polemik hatte, beweist die Thatsache, daß er nach Professor Reinhards Abgang von der Universität vergebens alle Anstrengung machte, die weit verbreiteten und keines geringen Ansehens sich erfreuenden "Kritischen Sammlungen zur Geschichte der neuesten Gelehrsamkeit" aufrecht zu erhalten.
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Als die Universität Bützow im Jahre 1789 aufgehoben wurde, mußte Müller es sich gefallen lassen, daß er unter wenig schmeichelhaften Ausdrücken für unfähig erklärt wurde, das Amt eines Consistorialrats und Professors noch weiter zu bekleiden. Er starb als General=Superintendent in Ostfriesland, wohin er 1790 berufen worden war 1 ).
Fassen wir zum Schluß das Resultat zusammen, so leuchtet ein, daß die theologische Facultät der Universität Bützow der Wissenschaft keinen Gewinn gebracht hat. Ihre Mitglieder waren außer Döderlein, welcher seine Aufgabe einzig in der Heranbildung einer neuen Generation tüchtiger Prediger sah und dadurch unermeßlichen Segen für die Kirche Meklenburgs brachte, sowie Zachariä, der aber zu kurze Zeit thätig war, ganz ungeeignet zu Professoren; Leute wie Fidler und Müller konnten nur dazu beitragen, die Universität in Mißkredit zu bringen. Man würde aber Unrecht tun, darum die Bedeutung Bützows gering zu achten; denn, hat sie auch der Wissenschaft nichts genutzt, so ist sie doch durch das von ihr ausgehende Kirchenregiment und die furchtlos kräftige Abwehr des von außen eindringenden Rationalismus und Atheismus die Widerbringerin einer gesegneten Friedenszeit der mecklenburgischen Kirche geworden und hat dem Herzog in seinem Bestreben, das praktische Christenthum einer durch den Pietismus geläuterten Orthodoxie zur Herrschaft zu bringen, im Ganzen redlich gedient.
Doch diese Wirksamkeit werde ich, so Gott will, in einer andern Arbeit über das Kirchenregiment Herzog Friedrichs beleuchten.
2) Geschichte der juristischen Facultät in Bützow.
Statuta Ordinis Jurisconsultorum in Accademia Buetzoviensi.
Da dieselben in den Annalen der Rostocker Akademie Bd. II, p. 201 flgd., bereits abgedruckt vorliegen, so beschränke ich mich auf eine Inhaltsangabe derselben.
§. 1. Die Facultät wird gebildet von drei ordentlichen Professoren; die außerordentlichen Professoren gehören nicht zur Facultät.
§. 2. Unterrichtsgegenstände: 1) das jus in allen seinen Theilen; 2) Rechtsgeschichte; 3) praktischer Prozeß; 4) Natur= und Völker=
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recht; 5) Geschichte des Heiligen Römischen Reichs, Rechtsaltertümer, Rechtsphilologie, Oekonomie und Cameralia, Diplomatik, Numismatik, Heraldik. Die unter 4) und 5) aufgezählten Disciplinen gehören auch der Philosophie an.
Kein Professor soll eins von den Fächern als sein Monopol betrachten, außer wenn ihm vom Herzog ein besonderes Gebiet angewiesen worden ist. Wichtig sind für die Studierenden namentlich die praktischen Uebungen.
Die Collegien sind täglich, außer Sonntags, einstündig zu lesen, die Pandekten aber zweistündig. Das Honorar beträgt für jene 5 Thlr., für diese 10 Thlr.
§. 3. Die Aufnahme in den Ordo JC torum erfolgt durch den Decan ohne erneuertes Examen, Tentamen oder Colloquium; die Verpflichtung geschieht durch Handschlag an Eides Statt. Wer außer den ordentlichen Professoren Einsicht in die Akten und Arbeiten des O. JC torum zu nehmen Erlaubniß erhalten hat, muß den vorgeschriebenen förmlichen Eid leisten. Desgleichen wird auch der Secretair vereidigt.
§. 4. Senior des O. JC torum ist der jedesmalige älteste Professor juris, nach der Rezeption gerechnet.
§. 5. Vorsitzender ist der jedesmalige Decan.
§. 6. Der Decan hat für das Beste seiner Facultät zu sorgen; den Dawiderhandelnden freundlich, aber mit Nachdruck zur Pflicht zurückzurufen; die Briefe zu empfangen und gemäß dem Beschluß der Facultät zu beantworten; die Einschreibung der Studierenden zu besorgen, das Protokoll über die Verhandlungen in den Sitzungen zu bewahren; für die juridischen Bücher und Schriften aufzukommen, Sitzungen anzuberaumen und die mündlichen oder schriftlichen Verhandlungen zu leiten.
§. 7. Der Decan besorgt die Promotionen.
§. 8. Der Promovend hat ein Examen zu bestehen, von welchem nur der Herzog dispensieren kann. Die Lizentiaten=Würde kostet 95 Thlr., die Doctor=Würde 118 Thlr.
§. 9. Der Lizentiaten= und Doctoren=Eid.
§. 10. Von der Vertheilung des von den Promovierten bezahlten Geldes unter die Promotoren.
§. 11. Wer nicht zum O. JC torum gehört, aber doch zu Vorlesungen die Berechtigung hat, bedarf der Zustimmung des Decans zu den von ihm gewählten Collegien; derselbe soll auch ohne vorhergehende Censur des Decans nichts durch den Druck veröffentlichen.
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§. 12. Die auf der Fridericiana Graduierten dürfen nach prästirter öffentlicher Disputation, wenn sie von dem O. JC torum für würdig erachtet werden, ohne besondere Kosten Vorlesungen halten; für anderswo Graduierte kostet die Erlaubniß 20 Thlr., für diejenigen aber, welche von Bützow fortgegangen und anderswo promoviert worden sind, 40 Thlr. Die vom Herzog Berechtigten zahlen nichts.
§. 13. Die nicht Graduierten (Examinati) können, wenn sie ihr Examen mit Ehren bestanden haben und für tüchtig erachtet werden, auch Vorlesungen halten, haben aber nicht das Recht, dieselben anzuschlagen.
§. 14. Die Censur kostet 2 Thlr.
§. 15. Von den juristischen Gutachten, welche von den Mitgliedern des O. JC torum nach der Reihe abzufassen sind.
§. 16. Die Zeugnisse der Studierenden.
§. 17. Diese Statuten können erweitert werden.
Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatte das römische Recht zwar noch allein Geltung; aber man hatte doch bereits angefangen einzusehen, daß die alten Volksrechte sich nicht mehr als Grillen einzelner Gelehrten abtun ließen. Vom nationalen Geiste beseelt, begann man mit emsigem Fleiß Alles, was noch von germanischem Recht und Partikularrecht durch Tradition oder auf vergilbtem Papier vorhanden war, zu sammeln und das System zu rekonstruieren.
Wie sehr das Bedürfniß eines mecklenburgischen Landrechts empfunden, und wie wenig andererseits die Schwierigkeiten eines solchen erkannt wurden, geht daraus hervor, daß im LGGEV. von 1755 die Fertigstellung desselben binnen zwei Jahren in Aussicht genommen wurde, was erklärlich ein unerfülltes Versprechen blieb. Erst 1805 erschien die erste gründliche Gesamtdarstellung des mecklenburgischen Zivilrechts von K. A. v. Kamptz, und 1824 das Handbuch de mecklenburgischen Zivilrechts von demselben Verfasser. Beide Bücher sind die Quelle und Grundlage aller nachherigen Arbeiten. Neuerdings hat Prof. Böhlau ein "meckl. Landrecht" zu schreiben unternommen und auch fast zu Ende geführt.
Nicht minder wurde das Bedürfniß eines verbesserten Criminal=Rechtes anerkannt; aber abgesehen von der Aufhebung der Tortur und der Abmilderung der barbarischen Härte in den Strafen begnügte man sich noch, die Grundsätze des allgemeinen deutschen peinlichen Rechts, an welche das mecklenburgische sich ausschloß, zu kritisieren und zu beleuchten. Erst im 19. Jahrh. erschienen zusammen=
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fassende Bearbeitungen des mecklenburgischen Criminalprozesses von Müller, Pohle und Böhlau.
Von der größten Bedeutung war für Meklenburg auch das Lehnrecht, dessen Grundsätze in Folge der Kriege, die das Recht des Besitzes an dem verlassenen Grundbesitz zweifelhaft gemacht hatten, im so bedenkliches Schwanken gerathen waren, daß der Herzog Friedrich im Jahre 1757 den vom Prof. Mantzel ausgearbeiteten Entwurf eines allgemeinen Lehnrechts für Meklenburg den Ständen zur Beachtung empfahl, ohne aber Anderes damit zu erreichen, als daß auch diesem Zweig des Rechts größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Erst 1858 erschien eine Darstellung des mecklenburgischen Lehnrechts von Roth.
Für das mecklenburgische Hypothesenrecht geschah im vergangenen Jahrhundert noch nichts; die Ordnung desselben im modernen Sinne datiert vom Jahre 1826.
So waren also der juristischen Facultät in Bützow große Aufgaben gestellt. -
An die Spitze der Facultät stellte der Herzog den von Rostock berufenen Professor, Canzlei= und Consistorialrath Ernst Johann Friedrich Mantzel 1 ), einen in der wissenschaftlichen Welt Hochangesehenen Mann von unstreitig großem Verdienst um das mecklenburgische Recht. Aber Mantzel hatte sich schon ausgearbeitet, als er nach Bützow übersiedelte. Anfangs zog sein Ruf noch eine Anzahl Rechtsbeflissener an, und seine Vorlesung über mecklenb. Feudal=recht, worin er Autorität war, wurde gut besucht. Nach dem Urtheil des Geh. Rathes J. P. Schmidt, welcher 1764 die Universität visitierte, entbehrte aber sein Vortrag der Wärme und Frische, welche der Jugend das Jus interessant machen müssen; und seine Facultäts=Gutachten, welche mehr "raisonnements als rationes" enthielten, waren ein sehr schlechtes Vorbild für die jungen Professoren. Wenn demnach der große Name Mantzels für Bützow ganz bedeutungslos war, so darf doch nicht unerwähnt bleiben, daß die bekannten "Bützowischen Ruhestunden" 2 ) ihre Entstehung der von Mantzel begründeten "Meklenburgischen Gelehrten Gesellschaft" verdanken, an der Studenten aller Facultäten, so viele sich für Antiquitäten und
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Kuriositäten interessierten, betheiligten. Leider hörte diese Gesellschaft nach Mantzels Tode auf.
Kurz vor seinem Ableben schrieb Mantzel noch ein Schriftchen: De JC tis in jure Meklenburgico errantibus, ein mahnendes Vermächtniß für die folgende Generation, das heimische Recht zu Ehren zu bringen. (S. Böhlau, Mekl. Landrecht I, p. 241.)
Neben Mantzel wirkte, im Herbst 1761 (auf die Empfehlung des Professors Beckmann in Göttingen, welchen der Herzog vergebens durch große Versprechungen für Bützow zu gewinnen suchte) von Helmstedt her berufen, Professor Adolf Friedrich Trendelenburg 1 ), der Stammvater der ausgebreiteten Professorenfamilie. In den ersten Jahren zog er sich wegen grober Pflichtvernachlässigung wiederholt den herben Tadel des Herzogs zu; er war nicht allein zu faul Collegien auszuarbeiten, sondern auch seine Facultätsgutachten waren so flüchtig, stillos und unklar, daß die Regierung jährlich Einsendung aller seiner Facultäts=Arbeiten forderte, und der Herzog ihm mit ungnädiger Entlassung drohte. Nur Geh. Rath Schmidt erkannte in ihm den tüchtigen Juristen und wußte seinen Ehrgeiz anzufachen, indem er ihm 1767 wider sein eigenes Erwarten und Verdienst die Mantzelsche Stelle und 1768 das Seniorat verschaffte. Dazu kam Trendelenburg die Einsicht, daß er mit seiner großen Familie bei dem spärlichen Gehalt in Hunger und Kummer verderben würde, wenn es ihm nicht gelänge eine bessere Stelle zu bekommen. Er begann also zu arbeiten, und bald fanden nicht bloß seine Vorlesungen über Pandekten und Institutionen, bei welchen er Böhmer, Hellfeldt und Heineccius zu Grunde legte, sondern auch seine Gutachten den ungetheilten Beifall der Regierung; auch wissenschaftliche Arbeiten, wie besonders seine. "Beiträge zum meckl. Erb= und Lehnrecht" und die Abhandlung "vom alten Schwerinschen Recht", erwarben ihm bedeutenden Ruf. So erreichte er, daß er Ostern 1774 als Assessor an das Tribunal nach Wismar, und bald darauf als Etatsrath und Professor nach Kiel Fortberufen wurde, wo er noch lange in gesegneter Thätigkeit wirkte.
Das Criminalrecht war seit Ostern 1762 durch Professor Hermann Becker 2 ) vertreten. Der Herzog hatte ihn Anfangs in Rostock zurücklassen wollen, stellte ihn aber, als er wegen seiner
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Treue gegen seinen Landesherrn vom Rath aus Rostock vertrieben worden, in Bützow an. Auch er lehrte, wie Trendelenburg, wegen der traurigen Lage der Universität und der geringen Anzahl von Hörern nur mit großer Unlust, war aber in der Ausarbeitung der Gutachten fleißig und tüchtig. wissenschaftliche Arbeiten werden von ihm nicht genannt. Froh dem trostlosen Berufe enthoben zu werden, verließ er Ostern 1768 Bützow, einem ehrenvollen Ruf nach Greifswald folgend.
Die Professur für mecklenburgisches Partikularrecht erhielt nach Mantzels Tode Johann Matthias Martini 1 ), der schon 1763 nach seiner Promotion in Bützow ("De conditione atque statu hominum propriorum in Megalopoli tam antiquo tam hodierno") eine Anwartschaft bekommen, inzwischen aber als Advocat in Rostock gelebt hatte; nach Beckers Abgang ward er ordentlicher Professor. Auch von ihm gilt das Leidige, daß er an anderer Stelle Bedeutendes geleistet hätte. Seine allerdings nur kleinen Arbeiten, theils historischen Inhalts ("Ueber die Veränderungen im Bisthum, jetzt Fürstenthum Schwerin in den letzten Zeiten vor dem westfälischen Frieden." 1778. 1781.), theils juristische (vergl. v. Kamptz, Handbuch, p. 29, 694; Roth, Lehnrecht, p. 20), fanden ihrer Zeit Beifall; auch bearbeitete er im herzoglichen Auftrage das Chemnitzsche Chroniken, wofür zum Dank er 1772 Hofrath wurde; 1774 wurde er Justizrath. Seine meiste Zeit aber widmete Martini der Advocatur, da er nicht gewillt war, für ein halbes Dutzend Studenten, die kein Honorar zahlten, fleißige Collegienhefte mit hungrigem Magen auszuarbeiten; er ließ seine Collegen über diese der Facultät schimpfliche Nebenarbeit schelten, soviel sie wollten, und erst als ihm 1782 eine bedeutende Gehaltsaufbesserung angeboten wurde, willigte er ein, der Advocatenpraxis zu entsagen. An seinen Facultätsgutachten fand selbst die hämische Feder Reinhards nichts auszusetzen.
Man würde aber sehr irren, wenn man meinte, der Herzog und seine Räthe hätten die trostlose Lage der Universität und ihrer Professoren nicht erkannt oder nicht zu helfen gewünscht. Im Gegentheil, es wurde wiederholt, aber immer vergebens, der Versuch gemacht, namhafte Gelehrte zu gewinnen; einmal war Bützows Ruf zu tief gesunken, dann aber erhielten die Rostocker geflissentlich die Welt in dem Glauben, daß die noch nicht einmal inaugurirte Fridericiana nur eine Interims=Universität sei. Nur junge Meklen=
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burger folgten dem Rufe, in der Hoffnung, dort in Muße für einen weiteren Wirkungskreis sich vorbereiten zu können.
Zu diesen gehörte der Professor Wilhelm August Rudloff 1 ), Sohn des Regierungsrats Ernst August R. 2 ) (1712-1775), bei seiner Berufung 1769 erst 21 Jahre alt. Er sollte Becker ersetzen, fand aber keine Zuhörer. Seine Jugend machte ihn dünkelhaft, weshalb er oft, wenn er im Concil den Juristen herausbeißen wollte, von Martini verspottet und gestriegelt wurde. Seine Facultäts=Arbeiten waren Anfangs noch unreif, erwarben ihm aber bald den Namen eines tüchtigen Juristen. Ostern 1772 wurde Rudloff Wirklicher Hof= und Canzleirath in Hannover.
An seine Stelle trat Johann Christian Quistorp 3 ), der vorher als Privatmann in Rostock nur seiner Wissenschaft gelebt und sich bereits durch Arbeiten, besonders über peinliches Recht, einen hervorragenden Ruf erworben hatte; seine in Rostock und Leipzig zuerst 1770 erschienenen "Grundsätze des peinlichen Rechts" hatten in rascher Folge neuer Auflagen weite Verbreitung gefunden und veranlaßt, daß der Herzog ihm 1772 die Professur in Bützow übertrug. Aber dieses Amt gewährte dem Arbeitsdrange Quistorps keine Befriedigung. Es kam ihm sehr gelegen (wenn er nicht etwa selbst der Urheber des Gedankens war), daß eben damals die Regierung, um nicht die großen Kosten mehr oder minder nutzlos für wenige Studierende zu vergeuden, den Plan faßte, die Kräfte der Universität für allgemeine Zwecke sich dienstbar zu machen. Die erste Folge davon war die landesherrliche Verordnung vom 23. Aug. 1774, wonach "die Stadt= und Amtsgerichte ihre Urtheilssprüche nur noch von Bützow zu holen hätten." Aber die Allerhöchsten Absichten gingen weiter. Wie die Professoren der theologischen Facultät als Consistorialräthe seit 1772 einen weiteren Arbeitskreis bekamen, so sollten Martini und Quistorp, sowie auch Toze, Mitglieder eines in Bützow neu zu errichtenden Criminal=Collegs für Meklenburg werden. Zu diesem Zwecke wurden alle drei 1774 zu Wirklichen Justizräten ernannt, und Quistorp beauftragt, ein Gesetzbuch für peinliche und Strafsachen abzufassen. Dieses 1777 vollendete Werk fand weit über Meklenburgs Grenzen hinaus allgemeinen Beifall und hatte zur Folge, daß seinem Verfasser die glänzendsten Anerbietungen von auswärts gemacht wurden. Aber
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Quistorp wollte sich nicht von seinem Vaterlande trennen und zog die erhoffte praktische Thätigkeit an dem neuen Criminal=Collegium vor. Ich weiß nicht was die Ausführung dieses erst lange nach der Aufhebung der Universität unter Herzog Friedrich Franz 1. verwirklichten Planes verhindert hat, vermuthe aber, daß es namentlich der Einfluß des beim Herzog Friedrich in höchster Gunst stehenden Consistorial=Direktors und Professors Reinhard verschuldet hat, der Quistorp nicht nur wegen seiner freisinnigen Richtung leidenschaftlich in Wort und Schrift angriff, sondern auch durch unausgesetzte Klagen über die liederlichen Facultätsarbeiten seines Collegen das Vertrauen des Herzogs erschütterte 1 ). Es war für Reinhards Heftigkeit bezeichnend, daß er selbst die allgemein anerkannte wissenschaftliche Tüchtigkeit Quistorps so weit herabsetzte, daß er immer nur von dessen "elenden Büchern" sprach, "die nur darum bekannt geworden seien, weil sie zuerst das peinliche Recht in deutscher Sprache dargestellt hätten", deren Verfasser von der Jurisprudenz aber nicht mehr verstünde, als ein fleißiger Student nach zweijährigem Studium! "Was es denn für eine Kunst sei, aus Büchern und Akten ohne selbständiges Urtheil zu kompilieren?"
Mag nun dieses, mag Anderes der Grund gewesen sein, genug, das Criminal=Collegium wurde nicht eingerichtet, und Quistorp entschloß sich, der Arbeit und des Aergers an der Universität überdrüssig 1780 als Assessor an das Ober=Appellgericht in Wismar überzugehen, wo er 1792 mit dem Charakter eines Ritters und Edlen Herrn in den Adelstand erhoben wurde und 1795 starb. Sein Name wird noch heute mit Ehren genannt; denn er ist es gewesen, der am meisten zur Beseitigung der Tortur in Meklenburg beigetragen hat.
Für Bützow war Quistorps Abgang ein unersetzlicher Verlust. Seine Stelle blieb unbesetzt. Der Herzog hatte das letzte Vertrauen, die Universität emporblühen zu sehen, verloren.
Mit Quistorp zugleich schied auch von der Universität der Consistorial=Direktor und Professor Reinhard, ein Mann, der, obwohl den bedeutendsten Kräften der Universität beizuzählen, doch um sein Amt als Professor sich wenig oder gar nicht bekümmerte. Reinhard trat Ostern 1774 in die juristische Facultät ein, war aber, obgleich er "um der Collegen willen" alle Semester Vorlesungen
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ankündigen mußte, wegen seiner literarischen Thätigkeit von der Verpflichtung zu lesen dispensiert; Facultätsarbeiten machten ihn "krank vor Aerger über seine Collegen"; von den Concilssitzungen blieb er fern. "Denn soll ich mich", schrieb er an den Herzog, "in rebus facultatis immer von Quistorp und Martini überstimmen lassen? Soll ich im Concil sitzen, wo Döderlein mit seinem Gefolge den Ton angiebt? Ich habe wie die Herren keine unnütze Zeit zu verschwenden und kann sonst besser zur Ehre der Akademie arbeiten." Er erreichte zum großen Verdruß aller Professoren, daß der Herzog, der allen seinen Wünschen nachgab, weil er die ganze Kraft des Mannes für seine Zwecke benutzen wollte, dem Dr. juris Bernhard v. Löwenstern 1 ) den Rang eines a. o. Professors verlieh und die Bearbeitung der Facultätssachen auftrug.
Löwenstern war nach dem Urtheil des Geh. Raths J. P. Schmidt ein außerordentlich befähigter Jurist und wurde wiederholt von der Regierung, aber ohne Erfolg, zu anderweitiger Verwendung dem Herzog warm empfohlen: er starb schon 1779 in Hunger und Noth.
Nicht minder traurig war das Loos des der juristischen Facultät seit 1779 adjungirten Dr. juris Jacob Johann Lange 2 ); "der Herzog wollte keine Advocaten mehr zu Professoren machen". Der tiefere Grund lag aber wohl darin, daß Lange Mitarbeiter an der "Berliner Allgemeinen Deutschen Bibliothek" war. Er lebte, obwohl ihm das Zeugniß "eines verdienstvollen Arbeiters" ausgestellt wurde, in großem Elend und starb 1785.
Erwähnt zu werden verdient noch der durch seine literarische Thätigkeit später so bekannt gewordene Dr. juris E. Biester, welcher von 1774-75 als Lehrer am Pädagogiums in Bützow angestellt, zugleich Collegien über Rechtsgeschichte ankündigte 3 ).
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In zwei Lektionsanzeigen, Michaelis 1777 u. Ostern 1778, tritt uns noch der Name eines gewissen königl. dänischen und herzogl. mecklenburgischen Hofrats Prof. Johann Friedrich Vetter entgegen, welcher seine alten Tage in Bützow als Privatmann verlebte. -
Seit Reinhards Abgang im Jahre 1780 wurde die Universität nur noch als lästiges, theures Institut betrachtet, das der Herzog am liebsten aufgehoben hätte, wenn es ihm nicht als Schimpf vor Rostock erschienen wäre; nur sehr ungern gab er den Vorstellungen Reinhards nach, daß zur Abfassung der Facultätsgutachten ein neuer Professor eintreten müsse, da Martini, als einziger Vertreter zurückbleibend, wegen seiner ausgebreiteten Advocatur der Sache nicht vorkommen könnte. So wurde Ostern 1780 als ordentlicher Professor der Dr. juris Johann Jacob Prehn 1 ) aus Rostock berufen, der aber sein Amt als ein dulce otium zur Betreibung anderweitiger Liebhabereien betrachtete, und seitdem er 1782 ins Consistorium berufen worden, um die Universität sich möglichst wenig kümmerte. Er wurde 1789 an die Schweriner Justiz=Canzlei versetzt.
Fassen wir nun das gewonnene Resultat zusammen, so dürfen wir behaupten, daß trotz dem Uebelstande, daß kein bewährter Jurist von auswärtigen Universitäten für eine Professur in Bützow zu gewinnen war, es doch an tüchtigen Kräften nicht gefehlt hat. Aber die nothwendige Folge der trübseligen Lage der Universität ohne Studierende war, daß die jungen Meklenburger, welche eine Professur annahmen, den Aufenthalt in Bützow nur als ein refugium otiosum et odiosum ansahen, aus dem sie sobald als möglich zu entfliehen trachteten, während die älteren Männer, wie Reinhard, Quistorp und Martini, sich der Arbeit für die Universität möglichst zu entziehen suchten. Gleichwohl ist aber das, was die Bützower Juristen für ihre Wissenschaft geleistet haben, nicht ganz unbedeutend gewesen; die Namen Trendelenburgs, Martinis, Quistorps haben einen guten Klang behalten. Welches Ansehen die Gutachten der Facultät gehabt haben, entzieht sich meiner Beurtheilung. Wenn ich auf die bestän=
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digen Klagen über dieselben sehe, so kann das Urtheil nicht zum Lobe ausfallen, was auch noch dadurch bestätigt wird, daß von auswärts die juristisch Facultät in Bützow nur selten angegangen wurde.
3) Geschichte der medizinischen Facultät in Bützow.
Die Statuten der medizinischen Facultät, nach dem Muster der Statuten für die juristische Facultät gearbeitet, liegen nur noch in einem von Prof. Graumann 1786 (?) verfertigten flüchtigen Entwurf bei den Akten; es genügt, da dieselben bedeutungslos, auch dem Herzog zur Bestätigung nicht vorgelegt worden sind, ihren Inhalt zu kennen:
§. 1. Der Decan ist das Haupt der Facultät.
§. 2. Das Amt des Decans ist halbjährig.
§. 3. Wer nicht den medizinischen Doctorgrad erlangt hat, kann nicht in die Facultät recipiert werden.
§. 4. Der Decan hat für die medizinischen Instrumente, ebenso auch für die Akten der Facultät aufzukommen.
§. 5. Dem Decan liegt der schriftliche Verkehr und die Ausarbeitung der etwa gewünschten Facultätsgutachten ob: doch hat er vorher die Ansicht seiner Collegen einzuholen.
§. 6. Der Decan zensiert die auf der Universität herauskommenden med. Bücher und Schriften.
§. 7. In den Facultätssitzungen führt der Decan den Vorsitz, und seine Stimme giebt bei Stimmengleichheit den Ausschlag.
§. 8. Die Rezeptionsgebühr beträgt für Auswärtige 20 Thlr., für Bützower 5 Thlr.
§. 9. Die Gebühr für das Examen zwecks Ernennung zum Baccalaureus, Lizentiaten oder Doctor med. beträgt 40 Thlr. -
Von der medizinischen Facultät könnte ich ganz schweigen, wenn es mir nicht nothwendig erschiene, wenigstens die Namen der Professoren zu nennen. Denn außer der Ertheilung der zweifelhaften Doctorwürde an zahlreiche auswärtige Petenten, besonders Chirurgen in Hamburg und Dänemark, ist die Facultät niemals thätig geworden. Die Professoren beschäftigten sich lieber mit der gewinnbringenden Praxis als mit dem Lesen vor leeren Bänken. Die Durchschnittszahl der Medizin Studierenden war etwa drei.
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Der ständige Decan der Facultät von 1760-1784 war der Hofrath Georg Christian Dethardingi 1 ) in seinen jüngeren Jahren ein fruchtbarer Gelehrter von nicht unbedeutendem Namen, im Jahre 1760 aber bereits so vollständig abgelebt, daß der Geh. Rath J. p. Schmidt Bedenken trug, seine Berufung nach Bützow zu empfehlen.
Als Anatom wirkte der Professor August Schaarschmidt 2 ), von welchem Schmidt urtheilte, daß er zwar Etwas leisten könnte, wie seine guten Handbücher bewiesen, daß er aber in seinen praktischen Arbeiten viel zu flüchtig sei, um als Lehrer der Jugend brauchbar zu sein. Dem Konzil gehörte er nicht an, weil er kein Latein verstand.
An Dethardings stelle wurde 1784 Peter Benedict Christian Graumann 3 ) berufen. Er hatte bereits von 1774 bis 1778, wo er als Arzt in Bützow thätig war, nebenher philosophische Vorlesungen gehalten, danach aber in Rostock praktiziert.
Als letzten nennen wir Peter Ludolf Spangenberg 4 ), der 1774 plötzlich aus seiner Stellung als Leibarzt der Herzogin in Ludwigslust entlassen, als ordentlicher Professor in Bützow, jedoch unter ausdrücklicher Dispensation von allen Facultäts= und Konzilsarbeiten, angestellt wurde. Er ging 1787 mit der verwittweten Herzogin nach Rostock, wo er 1789 Professor an der wieder hergestellten Akademie und zugleich Geh. Canzleirath wurde. -
Besonders beachtenswerth ist noch, daß der Herzog um dieselbe Zeit, wo er die Professoren der theologischen und juristischen Facultät zu allgemeinerem Landesnutzen zu beschäftigen trachtete, unter der Aussicht und Leitung des Professors Schaarschmidt eine Hebammen=Schule in Bützow eröffnete (1776).
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4) Geschichte der philosophischen Facultät in Bützow.
Die Statuten der philosophischen Facultät zu Bützow, bereits in den Annalen der Rostocker Akademie III, p. 146 flgd., abgedruckt, von Aepinus in lateinischer Sprache versaßt, sind im Auszuge folgende:
§. 1. Das Collegium der philosophischen Facultät umfaßt alle vom Herzog nach Bützow berufenen ordentlichen Professoren, welche Philosophie und schöne Künste und Wissenschaften lehren.
§. 2. Von den neun ordentlichen Professoren lehrt einer theoretische Philosophie, d. i. Logik, Metaphysik und "natürliche" Theologie; der zweite praktische Philosophie, d. i. Naturrecht, Ethik, Politik und Oekonomie; der dritte Mathematik; der vierte Physik; der fünfte Geschichte; der sechste die Geschichte der Bildung und Wissenschaften (zugleich Bibliothekar); der siebente Naturgeschichte und praktische Oekonomie; der achte Orientalia, besonders Hebräisch und Griechisch; der neunte Humaniora, d. i. Aesthetik, Rhetorik, Poetik, Latinität und deutsche Sprache. - von diesen neun sollen zwei außerordentliche Professoren sein, welche weder zum Konzil noch zur Facultät gehören.
§. 3. Jeder Prof. ordin. hat vor seiner Aufnahme in die Facultät sich durch feierlichen Handschlag zur treuen und kollegialischen Amtsführung und zum Gehorsam gegen die Statuten zu verpflichten.
§. 4. In die Facultät kann nur recipiert werden, wer Doctor oder Magister philos. ist.
§. 5. Senior der Facultät ist der älteste Professor, nach der Rezeption gerechnet; nach dem Alter der Rezeption wird auch votiert.
§. 6. Das Decanat wechselt ebenfalls nach dem Rezeptions=Alter halbjährlich.
§. 7. Der Decan tragt die Namen aller die Universität beziehenden Studierenden in das Album ein; er leitet die Prüfungen der um einen philosophischen Grad sich bewerbenden Kandidaten; er sorgt auch für eine würdige Promotionsfeier; er verwaltet die Einkünfte der Facultät; er führt die Beschlüsse der Facultät aus; er nimmt die Promovierten in die Facultät auf; er übt mit dem jedesmaligen Fachprofessor die Censur; er giebt das placet zu den von den Magistern der Philosophie etwa beabsichtigten Vorlesungen; er unterschreibt und bekräftigt mit dem Facultätssiegel Alles, was im Namen der Facultät veröffentlicht wird.
§. 8. Die um den Titel Baccalaureus, Doctor oder Magister der Philosophie sich Bewerbenden haben sich in einem mündlichen Examen auszuweisen. Verdienstvollen Männern der Wissenschaft
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kann das Examen erlassen, ev. auch schriftliche Beantwortung einiger vorgelegten Fragen gefordert werden.
§. 9. Erwünscht ist, daß Promovend eine Inaugural - Disputation unter dem Vorsitz des Decans hält.
§. 10. Der Decan ist daher auch Pro=Cancellarius und hat sich den vorgeschriebenen Eid leisten zu lassen.
§. 11. Der Doctorgrad kostet 40 Thlr.
§. 12. Die Professorensöhne sind von den Promotionskosten befreiet.
§. 13. Wer in die Facultät aufgenommen zu werden wünscht, hat als Präses eine akademische Disputation zu "ventilieren".
§. 14. Andere als Promovierte dürfen keine Vorlesungen halten, es sei denn, daß ein Candidat nach bestandenem Examen oder ein alter Student höflich darum bitte, so soll ihm die Erlaubniß dazu nicht verweigert werden; angeschlagen aber sollen diese Vorlesungen nicht werden.
§. 15. Bei den Empfehlungszeugnissen für Studierende soll die Facultät sehr vorsichtig sein.
§. 16. Diese Statuten können bei eintretendem Bedarf vermehrt werden.
Während die Aufgaben, welche der theologischen und juristischen Facultät in Bützow bei der Begründung der Universität oblagen, in ihrer speziellen Beziehung aus Meklenburg im Allgemeinen sich leicht nachweisen ließen, möchte dies für die Philosophische Facultät schier unmöglich sein. Denn um die Mitte des vorigen Jahrhunderts bewegte sich die Gelehrsamkeit, welche hier in Betracht kommt, in abgetragenem Prunkgewande auf dem alten, breit getretenen Pfade, unfähig der Wissenschaft neuen Gewinn zu bringen. Noch hatte Kants Genie in der Philosophie kein neues Licht angezündet, noch war die historische Methode etwas Unbekanntes, noch gab es weder Philologen, Germanisten, noch Physiker, Chemiker und wie die modernen Spezialisten alle sich nennen; selbst in der Mathematik blieb man bei Leibniz stehen. Von der Theilung der Arbeit, welcher die neuere Wissenschaft ihre glänzenden Erfolge verdankt, war man damals noch so weit fern, daß das höchste Ziel des Studiums darin gesehen wurde, Polyhistor zu werden, d. i. das gesamte Wissen der Zeit zu umfassen. Besonders aber erschien, was in der philosophischen Facultät gelehrt wurde, in der Praxis nur als Hilfswissenschaft; denn der Staat hatte außer an der Universität keine besondere Verwendung dafür. Es darf uns also auch nicht wundern, wenn wir im Folgenden sehen werden, wie in der philosophischen Facultät fast
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kein Professor sich ans ein Spezialfach beschränkte. Es kam vielmehr der Gedanke der Einheit aller Facultäten darin zum Ausdruck, daß das Hinübergreifen aus der einen in die andere allgemein war.
Den Ruf eines großen Gelehrten genoß vor alten der 1760 von Rostock nach Bützow versetzte Professor Angelius Johann David Aepinus 1 ), als Theologe, Jurist und Philosoph gleich ausgezeichnet 2 ). Wegen seiner genauen Kenntniß des Universitätswesens und um seiner praktischen Brauchbarkeit willen hatte er das volle Vertrauen der Regierung; er leitete die Verhandlungen mit auswärtigen Professoren, welche für Bützow gewonnen werden sollten, von ihm aber abgeschreckt wurden; er war der Verfasser der Allgemeinen und Besonderen Statuten: er berichtete an die Curatoren. Es war namentlich sein trauriges Verdienst, mit seinem ganzen Einfluß das Emporblühen der neuen Universität verhindert zu haben, nicht bloß, weil er für sich den Aufenthalt in Bützow als eine Strafe ansah, sondern auch, weil er Döderleins Plänen entschieden abhold war. Um sein Amt kümmerte er sich nicht, weil er "wegen der vielen sonstigen ihm von der Regierung aufgetragene Geschäfte außer Stande sei, zu lesen"; und ich bezweifle, obwohl er stets Collegien über Logik, Metaphysik und Reichshistorie ankündigte, daß er jemals in Bützow gelesen hat. Kurz vor Ostern 1763 erwirkte er, daß der Herzog ihn zum Hofrath und Mitglied der Commission zur Untersuchung der Streitigkeiten zwischen dem Fürsten und der Stadt Rostock ernannte; er fiedelte wieder nach Rostock über und überließ die Universität ihrem Schicksal, welches besonders er ihr bereitet hatte. Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten erwähne ich nur die von ihm besorgten "Bützower Gelehrten Nachrichten" (1760-1762), eine Fortsetzung der "Rostocker Gelehrten Nachrichten". Wegen der Klarheit des Urtheils standen sie in hohem Ansehen. Zehn Jahre später nahm Reinhard, allerdings in anderer Tendenz das Unternehmen in den "Kritischen Sammlungen" wieder auf.
Als Lehrer der Geschichte wurde Michaelis 1762 Eobald Toze 3 ) berufen, welcher bis an sein Lebensende (1789) trotz meh=
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rerer ehrenvollen Rufe an andere Hochschulen der Universität treu blieb. Er war ein bescheidener, liebenswürdiger Mann von großer Gelehrsamkeit, dessen historische Werke in fast alle Sprachen Europas übersetzt wurden. Seine Vorlesungen behandelten namentlich "Europäische Staatenkunde" und "Allgemeine Verfassungsgeschichte". Das Resultat derselben veröffentlichte er in dem viele Auflagen erlebenden Werke: "Einleitung zur allgemeinen und besonderen Europäischen Staatenkunde". Der bekannte englische Reisende Nugent übersetzte ein anderes Buch Tozes: "Ueber den gegenwärtigen Zustand Europas" ins Englische.
Neben diesen Vorlesungen über Geschichte kündigte Toze auch noch ein Colleg über das öffentliche Recht (Jus publicum Imp. Roman. Germ. sec. institutiones Pütteri) an: ob er aber Zuhörer gehabt hat, weiß ich nicht. In Anerkennung seiner Leistungen in der Jurisprudenz erhob ihn der Herzog 1772 zum Hofrath und Mitglied der juristischen Facultät, und 1774 zum Wirklichen Instizrath.
Die philosophischen Collegien übernahm nach Aepinus' Abgang der Professor Johann Nicolaus Tetens 1 ), ohne Zweifel einer der tüchtigsten Lehrer an der Universität. Seit 1760 als Magister legens in Bützow thätig, ward er 1763 "um seiner Treue und Eifers willen" ordentlicher Professor. Er behandelte mit Vorliebe die Metaphysik, daneben Logik, Naturphilosophie und Aesthetik nach Segner, Feder, Baumgarten und Batteux. Sein Buch, 2 Bände Metaphysik, in dem er seine Diktate veröffentlichte, fand vielen Beifall. Professor Schwab führt ihn in seiner Preisschrift: "Ueber die Metaphysiker der Periode von 1760-1780" als den vorzüglichsten an. Da er sich aber an Leibniz anschloß, dessen Fatalismus Döderlein und dem Pietismus ein Gräuel war, hatte er einen schweren Stand, und ein Anderer von minderer Energie und Klarheit wäre damit in Bützow nicht ausgekommen; aber vor Tetens' scharfer Feder hatten Alle Respekt, und persönlich war ihm nichts anzuhängen. Dazu genoß Tetens den Ruf eines vorzüglichen Physikers, der mehr als 20 Zuhörer hatte. Seine Arbeiten über Physik haben noch heute Werth. (S. Poggendorfs Handwörterbuch s. o. Tetens.)
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Ueber die Gründe, weshalb er Bützow verließ, vergl. meine Programm=Arbeit: "Geschichte des Herzoglichen Pädagogiums in Bützow." 1881.
Nicht minder bedeutend als Tetens war der Prof. mathem. Wenzeslaus Johann Gustav Karsten 1 ), der bereits 1755 im Alter von 20 Jahren sich in Rostock habilitiert hatte und 1760 als ordentlicher Professor nach Bützow berufen wurde. Nugent beschreibt ihn als einen Mann von mittlerer Statur, als mager und finster dreinsehend. In den ersten Jahren las er vorwiegend über Philosophie, vereinzelt auch juristische Collegien (Institutiones jurisprudentiae universae nach Darjes 1762/63). Aber bald wandte sich sein ganzes Interesse der Mathematik zu und Dank seiner mit Riesenfleiß verbundenen Begabung gelang es ihm, weit über das Maß des Durchschnitts hinauszukommen. Wenn auch sein berühmtes Buch: "Lehrbegriff der gesamten Mathematik" in 8 Bänden (1767 bis 1777), dieser Wissenschaft keinen besondern Gewinn brachte, vielmehr bei eben demselben, was Chr. Wolff und A. G. Kästner anstrebten, stehen blieb, nämlich die von Leibniz gemachten Entdeckungen in systematische Ordnung zu bringen, so war doch der Ruf, welchen Karsten damit erlangte, so groß, daß er 1777 für würdig befunden wurde, Segners Nachfolger in Halle zu werden. Aber der Herzog wollte den als Menschen und Gelehrten gleich hoch geschätzten Professor nicht entlassen; er befahl dem Geh. Rath J. P. Schmidt, Karstens Schwager, Alles aufzubieten, daß diese bedeutende Kraft dem Lande erhalten bliebe; er erhob ihn zum Hofrat, bot ihm die Stelle eines Geh. Kammerrats und Ober=Direktors aller Land= und Wasserstraßen Meklenburgs mit 1800 Thlrn. Gehalt an; er lud ihn persönlich zu sich - Alles vergebens: Karsten lehnte alle Anerbietungen mit Dank ab und schied Ostern 1778 aus Bützow.
Nach dem Fortgang der beiden Gelehrten Tetens und Karsten sank auch der gute Name der philosophischen Facultät in Bützow dahin.
Denn der an Karstens Stelle berufene Professor Johann Hecker 2 ) war nicht der Mann, ihn zu ersetzen: er hatte mehr Eifer und guten Willen zu seinem Amte als wissenschaftliche Tüchtigkeit und verdankte seine Professur hauptsächlich dem Aufhören des Pä=
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dagogiums, an welchem er Lehrer gewesen war. Seine Hauptarbeit widmete er der Sternkunde und Wetterbeobachtungen. -
Der unbedeutendste von den Professoren war Simon Samuel Witte 1 ), seit 1766 ordentlicher Professor. Er war wegen seiner Nachsicht der Liebling der zuchtlosen Studenten, aber in seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik war nichts zu lernen; seine Wissenschaftlichkeit charakterisierte genügend, daß er in breiter Schrift mit allem Ernst die Pyramiden Aegyptens für natürliche Basalt=Felsen und ihre Inschriften für bedeutungslose Floskeln ausgab. Nebenher gehörte Witte auch der juristischen Facultät an: als solcher las er über Natur= und öffentliches Recht.
Wenden wir uns nun dem Gebiete der Orientalia, d. i. dem Hebräischen, zu, so tritt uns, um von Paul Theodor Carpov 2 ), dem Trunkenbold, zu Schweigen (er starb 1765 am Delirium, ohne Etwas für die Universität gewirkt zu haben), der weltbekannte Name des Professors Tychsen entgegen.
Olaus Gerhard Tychsen, geb. 1734 in Tondern, Sohn eines armen Schneiders, war vor seiner Berufung nach Bützow Judenmissionar 3 ). Vom Callenbergschen Institut in Halle nach Meklenburg geschickt, lernte er Döderlein kennen, dem er mit seiner Wichtigtuerei so imponierte, daß dieser ihn dem Herzog warm empfahl. So wurde er Lehrer des Hebräischen an der neuen Universität. Aber gar bald stellte sich seine völlige Unfähigkeit heraus, er war zu nichts zu gebrauchen; nur Döderleins mächtiger Schutz rettete ihn vor der
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Schmach entlassen zu werden. Erst etwa 1770, wo Tychsen an dem Mundschenk Cornelius in Ludwigslust einen einflußreichen Freund erwarb, begann sein Stern aufzugehen. Er hatte sich inzwischen mit dem Hebräischen eingehendst beschäftigt und war klug genug, einzusehen, daß er, um beim Herzog wieder in Ansehen zu kommen, vor allem sich gegen die modernen, die Schrift nach Gutdünken emendirenden Theologen wenden müssen und man muß, mag man von der Gesinnung Tychsens halten, was man will, es ihm lassen, daß er nicht ohne Geschick diese Polemik geführt hat. Denn wenn auch seine Ansicht über das Alter der Punctation im hebräischen Bibeltext verkehrt war: sein hartnäckiger Trotz gegen das von dem Variantenjäger Kennikot und dessen Sippe beliebte hyperkritische Verfahren hatte alle Berechtigung und verschaffte ihm einen um so bedeutenderen Namen, als seine Gegner an Kenntniß des Hebräischen ihm nicht überlegen waren. Wer die maßlos eitle Art Tychsens kennt, dem die Welt nicht groß genug für seinen Ruhm war, wird zwar nur ein Lächeln haben für seine Ueberhebung, "die aufgeklärten Theologen, besonders Semler, Spalding und Teller, mundtodt gemacht zu haben."
Mit Tychsens Namen ist der Ruhm Bützows eng verbunden; ist doch die Anekdote (oder wahre Geschichte?) bekannt, daß ein Brief aus Asien mit der Adresse: "An den berühmten Professor Tychsen in Europa" ihn richtig erreicht habe; es klingt allerdings ganz nach Tychsen.
An der Universität beschränkte er seine Collegien auf das hebräische; sein Wunsch, der theologischen Facultät adjungirt und Consistorialrath zu werden, blieb unerfüllt. Von allen Professoren hatte er die meisten Zuhörer, zwischen 20-30, und bei seinem treuen zusammenstehen mit Döderlein hatte er ein nicht geringes Verdienst um die Ausbildung der jungen Thologen.
Zuletzt haben wir noch von zwei Professoren zu sprechen, welche die Oekonomie und Cameralwissenschaft vertraten. Der erstere war Johann Christian Daniel Schreber 1 ), zugleich Direktor des Pädagogiums in Bützow. Er gehörte zu dem Kreise der Haller Pietisten, welchen er auch seine Berufung (am 15. April 1760) verdankte. Wenn Einer, so hätte er der Universität vielen Nutzen bringen können, aber er fiel den schlechten Zeiten und der Mißgunst zum Opfer. Mit Recht heißt es von ihm: "vir, dum adhuc viveret, aeque sollers ac doctus, qui multis in rebus patriae nostrae
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usui futurus erat, nisi plures malevoli contra eum fecissent coitionem."(Rost. Annalen II, p. 170.) Denn da er die Hoffnung des Herzogs und der Regierung, das Pädagogiums zur Blüte gelangen zu sehen, nicht verwirklichte und nicht verwirklichen konnte, wurden ihm auch seine 800 Thlr. Gehalt mißgönnt; er mußte 1764 seinen Abschied nehmen und wurde in Ungnaden entlassen. Er folgte einem ehrenvollen Rufe an die Universität Leipzig, wo er am 22. Mai 1777 starb. Seine Werthe (s. Mensel s. v. Schreber) erfreuten sich in ganz Deutschland eines großen Beifalls.
Schrebers Stelle blieb unbesetzt bis zum Jahre 1780, wo Franz Christian Lorenz Karsten 1 ), seit 1773 Lehrer am Pädagogium und Privatdozent an der Universität, als ordentlicher Professor der Cameralien und der Oekonomie berufen wurde. Er hatte sich durch sein unter Mitwirkung des oben erwähnten Professors Karsten (seines Bruders) verfaßtes Rechenbuch: "Die Rechenkunst" bekannt gemacht. Da er für die ihm zugewiesenen Fächer seine Zuhörer fand, versuchte er es mit der Mathematik, doch auch ohne Erfolg. Erst später, als er in Rostock angestellt war, machte er sich durch Schriften über Oekonomie einen Namen.
Es hat seinen Werth, von den Privatdozenten zu reden, welche, ohne Anstellung und Zuhörer zu finden, sich in Bützow habilitierten: es waren lauter namenlose Lehrer, meist zugleich am Pädagogiums angestellte Kandidaten, wie Neumann, Walter, Sengebusch, Stavenhagen; auch der Direktor Pastor Möller kündigte von Ostern 1775 bis Ostern 1778 theologische Collegien an. Treu blieb der Universität allein ein gewisser Cremer, welcher als Lektor der neueren Sprachen sich kümmerlich durchschlug.
So ist denn auch bei der philosophischen Facultät das schließlich Resultat wenig befriedigend; es waren zwar zeitweilig tüchtige Professoren da, welche trotz der Schwierigkeiten, in denen sie arbeiteten, auf der Höhe der Wissenschaft sich behaupteten und auswärts eines gewissen Namens sich erfreuten. Aber gerade diese Männer, wie Schreber, Tetens, Karsten, die von Bützow Fortberufen bald zu den ersten Namen in der Gelehrtenwelt gerechnet wurden, müssen zum deutlichsten Beweis dienen, daß in der traurigen Lage Bützows auch das größte Genie sich nicht entwickelt hätte.
So hat, wenn wir das gesamte Gebiet der Wissenschaft noch einmal überschauen, die Universität Bützow nichts Bedeutendes geleistet; sie hat kann an einer der großen Aufgaben, welche damals den Wissenschaften gestellt waren, erfolgreich mitgearbeitet. Die
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Schuld lag nicht an dem Mangel tüchtiger Kräfte, sondern einzig an den unglücklichen äußeren Verhältnißen. Denn eine Anzahl von guten Professoren macht noch keine Universität aus; sondern, wenn eine Universität blühen soll, muß sie erstens so besetzt sein, daß Alles, was anderswo vorgetragen, auch an ihr gelehrt wird; zweitens darf es den Lehrern nicht an Aufmunterung und Unterstützung mangeln; drittens müssen alle Hilfsmittel da sein, deren die Lehrer bedürfen, um sich und Andere fortzubilden, und endlich muß auch ein hinreichender Fonds nicht bloß zu den Salarien der Professoren, sondern auch zu den erforderlichen Einrichtungen und Bauten vorhanden wein. Wo diese Bedingungen, wie in Bützow, fehlen, wird man Vergebens auf die Blüte einer Universität hoffen.
Indessen, es liegt im Wesen des Pietismus, daß er die Früchte der Wissenschaft gering schätzt; und so möchte Einer leicht auf den Gedanken kommen, daß wir den Werth der Universität gar nicht hier, sondern vielmehr in ihrer praktischen Wirksamkeit zu suchen hätten; wird doch diese Vermuthung noch dadurch bestärkt, daß ohne Zweifel der hohe Stifter der Universität Bützow nur auf letztere, die Früchte des Glaubens, Werth legte! Wir haben ja gesehen, mit welcher Wärme der Landesherr Döderleins Plan gut hieß, nach dem die neue Universität eine wahrhaft christliche Gemeinde darstellen sollte.
So erübrigt sich für uns die Ausgabe, nachzuweisen, ob und in wie weit diese schöne Hoffnung des Herzogs sich erfüllt hat.
B.
Von der praktischen Wirksamkeit der Universität Bützow.
Wer die Geschichte unserer Landeskirche kennt, weiß, daß mit dem Regierungsantritt des Herzogs Friedrich eine neue Epoche beginnt; die alte, kalte Orthodoxie tritt zurück, und der von seinen bösen Auswüchsen gereinigte Pietismus beherrscht die Kanzeln, der unbeugsame Wille des Herzogs bezwingt Alles. Im Consistorium regiert Döderlein, im Lande die Superintendenten Martini, Zachariä, Friedrich, Keßler, lauter Männer, die mit ihrem Landesherrn in dem Ziel ihres Strebens, das kirchliche Leben in den Gemeinden zu erneuern, einig, rücksichtslos jeden Widerstand beseitigten. Demselben Zweck diente auch die Universität Bützow, soweit sie von Döderleins Willen und Geist abhängig war. Das Erste aber, was dieser durchsetzte,
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war, daß Keiner mehr zur Pfarre kommen konnte vor beendigtem dreijährigem Studium. Dem entsprach der dreijährige Kursus seiner Vorlesungen; in drei Stunden täglich behandelte er in der ersten die jedes Mal in einem Jahre beendigte Dogmatik, in der zweiten die Einleitung in die ganze Heilige Schrift, die polemische und Moral=Theologie, sowie die Kirchengeschichte des Alten und Neuen Testaments, in der dritten die Exegese, abwechselnd aus dem Alten und Neuen Testament, so daß in den drei Jahren des Neue Testament ganz und aus dem Alten Testament die schwersten und wichtigsten Bücher durchgegangen wurden. Mit seiner andern Forderung, die erst vollends die Theologen von ihm abhängig gemacht hätte, daß nämlich das Examen nicht mehr vor den Superintendenten, sondern vor dem ad hoc verstärkten Consistorio abzulegen sei, drang Döderlein nicht durch. Aber auch ohne dies war es den Theologie Studierenden klar und einleuchtend, daß sie, in einem andern Geist auf andern Universitäten erzogen, wenig Aussicht hatten, in Meklenburg zu bestehen. so war es denn auch bald, nachdem Anfangs noch viele dem orthodoxen Professoren Quistorp von Rostock nach Greifswald gefolgt waren, selbstredend, daß die jungen mecklenburgischen Theologen für ein oder mehrere Jahre bei Döderlein hörten. Ihre Zahl belief sich durchschnittlich etwa auf 20-30. Wie weit das in den "Meklenb. Nachrichten" am 27. August 1760 veröffentlichte Versprechen des Herzogs, die in Bützow gebildeten Theologen bevorzugen zu wollen, nachher gehalten worden ist, kann ich nicht beurtheilen.
Für die Juristen lag die Sache anders. Denn wenn auch des Herzogs Wunsch dahin ging, seine zukünftigen Beamten unter recht christlicher Zucht auf der Universität gehalten zu sehen, so erkannte derselbe doch bald, daß von Bützow nichts zu hoffen war, da die juristische Facultät von Anfang an gegen Döderlein entschiedene Opposition machte und darin von den Döderlein nicht gewogenen Ministern bestärkt wurde. Sowohl Graf Bassewitz als auch Schmidt wiesen wiederholt darauf hin, daß in erster Linie wissenschaftliche Tüchtigkeit gefordert werden müsse, zu der aber überall eher der Grund gelegt werde als in Bützow, wo die Professoren zu faul seien, sorgfältige Collegien auszuarbeiten. In der Folge wurden die Juristen, welche in Bützow studiert hatten, sogar zurückgesetzt, und die Zahl derselben sank auf durchschnittlich 12-20 herunter.
Bei der medizinischen Facultät war manches Semester gar kein Student immatrikuliert; was hätte da auch Einer lernen können!
Studenten, die nur der philosophischen Facultät zugehört hätten, gab es damals nicht.
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So belief sich also die Zahl der in Bützow Studierenden etwa auf 50; eine Uebersicht gewährt folgende Tabelle
Michaelis 1760 wurden 86 Studenten immatrikuliert, davon waren 53 aus Rostock übergesiedelt;
Aus dem Vorangegangenen ist zunächst völlig ersichtlich, daß man sehr mit Unrecht Bützow eine deutsche Hochschule des Pietismus genannt hat; denn von auswärts kamen nur ganz vereinzelt Studenten und meist nur solche, welche anderswo wegen ihres wüsten Lebenswandels nicht mehr geduldet wurden. Und selbst für Meklenburg möchte der Name kaum zutreffen; denn wenn auch Bützow das theologische Studium daselbst in gewissem Maße beherrschte, so war doch das Leben der Studenten so weit von dem Geiste des Pietismus entfernt, daß vielmehr kaum anderswo eine gleiche Zuchtlosigkeit unter Professoren und Studenten geherrscht haben kann. Wir müssen davon etwas weitläufiger reden.
Die Klage über den tiefen Verfall der Universitäten war in jenen Zeiten allgemein. Denn seitdem man begonnen hatte, die den Gelehrten so nothwendige, für die Wissenschaft Neigung und Geschmack einflößende Basis der alten Literatur zu verlassen, dem Studium eine andere Richtung zu geben und den Unterricht in ein leichtes Gewand zu kleiden; seitdem man das Spielende der Pädagogen aus den Philauthropinen und merkantilen Lehrinstituten auf die Akademien verpflanzte und Alles, was einen gelehrten Anstrich hatte, verächtlich aussah und behandelte, die gelehrte Sprache für Pedanterie ausgab: seitdem nahm die Zahl der wirklich Gelehrten sehr ab und ein sichtbarer Mangel trat ein.
Viel schlimmer stand es aber um die Studenten. Auf den Schulen nicht genügend vorgebildet und zur Sittsamkeit erzogen,
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kamen sie charakterlos, an Geist und Herz arm, zur Universität und wurden eine leichte Beute der Veteranen in der Verführungskunst. Von dem Ton unter den Studierenden läßt sich keine Beschreibung geben; es war eine "Mischung von Rohheit und Hasenhaftigkeit, slkavischem Schülergeist und Renommisterei." Mit dem Degen an der Seite, in Kollett und Reiterstiefeln mit klingenden Sporen, mit dem bänder= oder federgezierten Hut und der Hetzpeitsche dünkten sich die Faule als Herren der Erde. Einer der geschicktesten und tüchtigsten Schulmänner jener Zeit, der Consistorialrats Struensee, urtheilte, wie Döderlein, der Satan selbst konnte keine schlimmeren Anstalten erfinden, als die Universitäten damals waren mit ihrer Sittenlosigkeit und unerhörten Tumulten: alle Laster, Schlägereien, Fenstereinwerfen, Pereatrufen, Saufen, Raufen, Duellieren, Schulden=Machen, Haufen in den Tabagien und Kneipen, Spielen und alle Lüderlichkeit walteten frei unter dem Deckmantel der akademischen Freiheit. Die vornehmste Schuld trugen die sog. Orden, von denen die von Jena ausgehenden Constantisten und Unitisten die berüchtigtsten waren. So lange aber die Studenten diese wilde Freiheit liebten, halfen alle Gesetze nichts. Erst in unserm Jahrhundert ist ein neuer Geist in die Universitäten eingezogen; der Student hat gelernt, daß es ihm besser ansteht, in gebildeter Gesellschaft zu verkehren, als in Saufen, Raufen und närrischer Kleidung seinen Ruhm zu suchen.
Diese Verhältnisse muß man vor Augen haben, wenn man das Nächstfolgende verstehen will. Leicht möchte man sonst glauben, das Bild des studentischen Lebens in Bützow, das ich nun entwerfen werde, sei zu schwarz gemalt.
Bereits im ersten Entstehen der Universität erkannte Döderlein, daß er bei der Opposition der Regierung und der Mehrzahl seiner Collegen ohnmächtig war, mit christlicher Zucht die Geister zu bändigen; er sah mit tiefer Trauer, daß bei der Unzulänglichkeit aller Anstalten die Studierenden entweder von Bützow fortgingen oder in lauter Thorheiten verfielen. Statt Collegien zu besuchen lagen die Studenten im Rathauskeller oder im Lustgarten zu Rühn und soffen sich voll und toll, um dann in der Dunkelheit der Nacht hervorzubrechen und die Bürger mit ihrem Schreien, Toben und Peitschenknallen zu erschrecken. Prügeleien mit der Miliz, mit Handwerksburschen waren etwas Gewöhnliches. Wäre es nicht ekelhaft, wie viel Beispiele gemeinster Rohheit müßte ich erzählen! Es genüge von zwei Verbindungen, die den Ton angaben, zu reden. Die eine war der sog. "Faßbinder=Orden", der seine geheimen Statuten hatte, aus denen Prof. Detharding folgende Paragraphen erlauschte:
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§. 1. Die Aufnahme eines Mitgliedes wird durch einen feierlichen Antrittsschmaus gefeiert. Nach der Aufnahme gilt der Jüngste ebenso viel als der Aelteste.
§. 2. Alle Abende findet von 7 Uhr an "Kneipe" statt.
§. 3. Wer gegen die Statuten fehlt zahlt 1 Dukaten Strafe ("Versaufgeld").
§. 4. Anderen, nicht zu einem Orden gehörigen Studenten ist es nicht erlaubt, Abends aus dem offenen Fenster auf die Gasse zu sehen.
§. 5. Wer nicht einem Orden beitritt, ist für einen "Kloß" zu halten und in jeder Weise verächtlich zu behandeln.
Mehr erfahren wir leider nicht von diesem sauberen Orden. Der andere, der sogar seinen Namen zu verheimlichen wußte, war aber noch viel ärger. Alle versuche, diese Verbindungen zu beseitigen, mißlangen, bei jedem Unfug tauchten sie wieder auf, hier als Landsmannschaften, dort als gesellige Vereine. Um ihretwillen verbot der Herzog wiederholt jede öffentliche Feier, da sie doch nur zu Schwärmereien und unnützem, gottlosem Lärm Anlaß gäbe, und wollte weder seinen Geburtstag noch den Rektoratswechsel gefeiert haben; daß alle öffentlichen Aufzüge, Concerte und Theatervorstellungen verpönt waren, verstand sich von selbst. Bemerkenswerth war, daß im Jahre 1774 die Verbindungen, angeblich zur Erinnerung an den Besuch des Prinzen Ludwig, wo die Studenten breite, weiße Schärpen mit der Aufschrift: Vivat Ludovicus! getragen hatten, weiße Schleifen am Hut zu führen begannen und, als dieses vom Herzog verboten ward, statt ihrer grüne Federn nahmen. Als auch dies untersagt wurde, entstand eine förmliche Revolte.
An dem energischen Willen, dieses Unwesen nicht aufkommen zu lassen, hatte es Döderlein im Anfang nicht gefehlt, aber, obwohl vom Herzog kräftig unterstützt, "da Allerhöchst derselbe nicht eine Schule der Verwilderung, sondern der Wissenschaften und guten Sitten und eines gottesfürchtigen Wandels gegründet haben wollte", vermochte er doch nicht durchzudringen. Die Zahl der schlechten Subjekte, die sich angefunden hatten, war zu groß. Die gottlose Rotte hohnlachte und antwortete auf alle Ermahnungen, Vorstellungen und Drohungen mit den ruchlosesten Pasquillen. Der Herzog mußte sogar, weil wiederholt Studenten durch einen Meineid der Strafe sich entzogen hatten, verbieten, den Schwur eines Studenten anzunehmen. Die geläufige Strafe war, da ein Carcer fehlte, Geldbuße; aber damit wurden nicht die Studenten, sondern ihre Eltern bestraft. Man erkennt den ganzen Jammer aus einem Zirkular Döderleins im Jahre 1767, in dem er klagt, "daß die Disciplin völlig ver=
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fallen, die Universität bei dem Publikum stinkend und verächtlich geworden sei, so daß honnete Leute ihre Kinder nicht mehr in das wüste Leben zu schicken wagten. Die zügellose Freiheit sei zum Verderben ausgeschlagen, die Universität eine wahre Mördergrube geworden, wo gesittete junge Leute nach einem halben Jahre verdorben wären. Er halte für seine Pflicht, da der Hof sich nicht um die Universität kümmere und Alles in dem erbärmlichsten Zustand lasse, die Professoren aufzufordern mit Hand anzulegen, damit die Wolfshöhle gereinigt werde." Alle erkennen die Klage als gerecht an, aber niemand weiß Hülfe, da die Regierung den Bau eines Carcers verweigert; um doch Etwas zu tun, wird in einem Wirtshause (!) vorn nach der Straße hinaus (!) eine Stube gemietet, die als Arreststube dienen sollte! Erst einige Jahre später wurde ein Carcer eingerichtet.
Mit dieser kläglichen Lage, worin die Universität von der Regierung gelassen wurde, wirkte zum Verfall der Sitten die Armuth der Bürger zusammen. Schon im Frühjahr 1761 schreibt Aepinus: "Auf dem Fuß, worauf die Universität jetzt steht, kommt sie nicht fort; die meisten Studenten halten sich mit Verdruß hier auf, denn der Ort ist schlecht, das Leben theuer, die Quartiere zu mangelhaft und die Wirte arm. Es ist ein schlechter Trost zu hoffen, daß das bald werde besser werden." In der That waren die Preise für die Wohnungen und die nothwendigsten Lebensmittel ganz ungeheuerlich, so daß der Herzog einmal drohte, den Bürgern Normalpreise setzen zu wollen. Etwas, wenn auch nicht viel, half das Creditedict von 1762 den Schamlosen, die aus dem Leichtsinn der Jugend Nutzen zogen, das Handwerk erschweren. Wenn nur das profitliche Creditiren und Pfandleihen nicht ein gar zu einträgliches Geschäft wäre! Und wie die Bürger gegen die Studenten, so verhielt sich der Magistrat gegen das Konzil: die Universität als Segenbringerin für Handel und Gewerbe, als reiche Quelle immer fließenden Geldes war ihm ganz willkommen, aber zur Verbesserung mithelfen das hielt er für ein der herzoglichen Gnade Vorgreifen; er mußte ja wohl oder übel die großen Vorrechte dieses wunderlichen Staates im Staate anerkennen, wachte darum aber auch um so eifriger darüber, daß seine Rechte respektiert würden. So lehnte er zu seinem eigenen Schaden die mit großem Fleiß von Schreber und Aepinus ausgearbeitete Marktordnung ab (1761), weil eine solche zu bestimmen Sache des Raths sei.
Die nothwendige Folge war, daß diese traurige Lage der Universität auch auf die Professoren zurückwirkte; denn da sie nicht genügend beschäftigt waren, so entstanden bald im Collegium Reibereien,
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die weit über das Maß des Gewöhnlichen hinausgingen und die Aufrechterhaltung der Disciplin unmöglich machten. Den ersten Anlaß zur Spaltung in zwei Parteien bot Döderlein, indem er dem bei seiner Gemeinde sehr beliebten und mit den Professoren freundschaftlich verkehrenden Pastor Luger die nachgesuchte theologische Doctorwürde verweigerte, weil derselbe über die Rechtfertigungslehre nicht im Klaren sei. Als die Professoren, selbst Zachariä, einmüthig "um der Ehre des Mannes willen" für Luger eintraten, erklärte ihnen Döderlein, die Zeit sei vorüber, wo Leute geehrt würden, die nicht echt seien. Von da an bestand auf der Universität eine geschlossene Opposition, die ihre Aufgabe darin sah, eine Diktatur Döderleins zu verhindern. Die Führer derselben waren Aepinus, Trendelenburg, Tetens, Karsten, Reinhard, Prehn.
Der treueste Anhänger Döderleins war der Prof. Tychsen, in den ersten Jahren ein rechtes enfant terrible, das durch seine abenteuerlichen Lügengeschichten die Universität in steter Aufregung erhielt. Nicht allein, daß er seine Lust daran hatte, die Professoren gegen einander zu hetzen und mit der Leichtgläubigkeit Döderleins manchen unwürdigen Scherz sich zu erlauben, er erdreistete sich sogar, mit einem Schelmenstück die Regierung zu versuchen. Denn als etwas Anderes fasse ich das Folgende nicht auf. Tychsen schickte nämlich "einen in portugiesischer Schrift" geschriebenen Brief, "den nur er allein in Meklenburg entziffern könnte", und in welchem er aufgefordert wurde, die schlau ausgekundschafteten Geheimnisse der Regierung nach Berlin zu melden, wofür zum Dank er eine gute Professur erhalten solle, zur Warnung! an die Regierung, die ihreseits die Sache sofort höchsten Ortes meldete. Der Herzog nahm die Angelegenheit ernst und forderte Aepinus auf, sofort über Tychsen zu berichten. "Der Professor Tychsen", antwortete Aepinus, "ist ein abenteuerlicher Mensch, aus dem niemand klug wird; er ist ein eitler Lügner und Prahler. Er erzählt fortwährend Allen, die es hören wollen (und leider finden sich immer noch Gläubige), von Berufungen, die an ihn ergehen, bald, daß er Professor in Kiel, bald daß er Rector in Altona geworden sei, u. A.; er sprengt aber solche Gerüchte aus, weil er dadurch eine Professur zu bekommen hofft; denn ordentlicher Professor will der Mann werden, der auch nicht das geringste Zeug dazu hat. Ja neulich streute er aus, Ew. Herzogliche Durchlaucht wollten ihn nach Frankreich und Italien schicken. Das Schlimmste ist, er hält durch seine Lügenmärchen die Universität in fortwährendem Atem. Zu seiner Charakteristik diene sein letztes Märchen: er geht spazieren auf der Landstraße, plötzlich sprengt ein preußischer Husar auf ihn los; tapfer fällt er dem Pferde in die
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Zügel und reißt den Feind zu Boden. Als er ihn mit seinem Degen erstechen will, - Wunder! da erkennt er in ihm einen Hallischen Bekannten." -
Nach diesem Bericht und auf Döderleins Fürsprache, der Tychsen für einen harmlosen Mann ausgiebt, ließ der Herzog die Sache auf sich beruhen. Aber "von dem Tixen hält er nichts mehr."
Die zunehmenden Klagen über den traurigen Verfall der Universität veranlaßten den Herzog, im Jahre 1764 den Curator derselben, Geh. Rath J. P. Schmidt, mit einer eingehenden Prüfung der Lage zu betrauen. Schmidt konnte nicht umhin, alle Klagen der Professoren als berechtigt zu erklären; aber er wußte auch keinen andern Rath als die Universität von Bützow wegzunehmen, wo ein ganz unleidlicher Unfug unter den Studenten eingerissen wäre.
Die Folge dieses sehr eingehenden Berichts war, daß der Herzog zwar die Professoren auf die bessere Zeit vertröstete, wo mit den versprochenen Bauten vorgegangen werden sollte, insgeheim aber seinen Räthen befahl, den Etat der Universität wie nur immer möglich einzuschränken, da er entschlossen sei, mit Rostock sich auszusöhnen und die Akademie wieder herzustellen. Er konnte nicht anders verfahren, wenn er der eigenen Sache und der Universität nicht schaden wollte. So kam es, daß Zachariäs stelle unbesetzt blieb, Schreber entfernt, Aepinus nach Rostock versetzt wurde; Becker, Mantzel, Carpov blieben ohne Nachfolger; Tetens wurde Direktor des Pädagogiums. Die Universität war verwaist. Aber die Rostocker waren nicht gewillt, die Verlegenheit des Herzogs unbenutzt zu lassen; nicht allein prahlten sie vor aller Welt, daß Bützow vor der Konkurrenz Rostocks erliege, sondern sie zogen auch durch tausenderlei Machinationen und Kniffe die Verhandlungen so in die Länge, daß der Herzog, da unterdessen auch die Kassen des Landes wieder mehr gefüllt waren, mit allem Ernst die Wiederbelebung der tief gesunkenen Fridericiana, wo nur mehr 30 Studenten waren, anfaßte (1769). Das Erste war, daß die Gehalte der jüngeren, bereits in großer Noth lebenden Professoren aufgebessert, auch die Einrichtung eines Carcers befohlen wurde. Darnach wurde versucht, tüchtige Lehrer von auswärts durch große Versprechungen zu gewinnen. Aber dieser Versuch mißlang; alle, Schulz in Königsberg, Galzert in Gießen, Klaproth in Göttingen, Eisenhart in Helmstedt, die Gebrüder Beckmann in Göttingen wiesen die Zumuthung mit Entrüstung ab. Der Ruf Bützows war zu traurig. So mußte denn zunächst eine Besserung der Universitätsverhältnisse herbeigeführt werden.
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Zu diesem Zweck befahl der Herzog, indem er zugleich ein Convictorium für 12 Studenten errichtete, in welchen er einen soliden Stamm fleißiger und gesitteter junger Leute zu bekommen hoffte, ein scharfes Disciplinargesetz gegen die Ausschreitungen der studierenden Jugend auszuarbeiten. Aber die Professoren konnten sich nicht einigen: die eine Partei, Döderlein, Tychsen, Mauritii und Martini, forderte äußerste Strenge zur Reinigung der "verpesteten Mordgrube"; die andere, Karsten, Tetens und Trendelenburg, hielt eine Revision der bestehenden Gesetze für ausreichend. Die Bitterkeit, womit dieser Streit geführt wurde, war so groß, daß der Herzog wiederholt ermahnen mußte, "unter Vermeidung aller Empfindlichkeiten und Mißdeutungen, aller Vorausnehmungen und unschicklichen, der theologischen und christlichen Sanftmuth und Mäßigung widerstreitenden Poltereien" das aufgetragene Werk unverzüglich in Angriff zu nehmen. Als auch dies fruchtlos war, gab er den vier Decanen Döderlein, Rudloff, Detharding und Tetens auf, Entwürfe für das Konzilium integrum auszuarbeiten. Von diesen Entwürfen gelangte endlich nach vielen Aenderungen und Bemängelungen der von dem praktischen und leidenschaftslosen Tetens eingelieferte zur Annahme, worüber aber Döderlein, der von Nachsicht nichts wissen wollte, in solche Erregung geriet, daß er jede Verantwortung ablehnte und mit dem Herzog persönlich zu sprechen drohte, damit dieser den Ruin der Universität abwende. "Wie kann man nur die Vergehungen der Studenten als Kinderstreiche und Bagatelle betrachten! Wie kann die Universität nur sich aufnehmen, wenn dieses Cliquenwesen unter den Professoren auch in die wichtigsten Lebensfragen der Universität hineingetragen wird!" Aber er fand beim Herzog kein Gehör; am 18. Juni 1770 erfolgte die Bestätigung und der Befehl zum Druck des neuen Reglements. Es lautet (vergl. Rost. Ann. II, p. 2; das Supplement vom 26. Ang. 1778 das. p. 114):
Entwurf eines Disciplinar= und Straf=Reglements für die Friedrichs=Universität Bützow.
1) Wer den öffentlichen Gottesdienst auf eine grobe Weise stört, empfängt das Consilium abeundi oder die Relegation.
2) Auf jedes Verbrechen in der Kirche während des Gottesdienstes wird die sonstige Strafe verdoppelt.
3) Wer die öffentliche oder Privatandacht durch geringere Vergehen, z. B. Plaudern, Herumlaufen in den Gängen der Kirche . stört oder hindert, erhält das erste Mal vom Rector einen Verweis und wird zum zweiten Mal mit eintägiger Carcerstrafe belegt.
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4) Urheber eines Tumults oder Auflaufs werden relegiert. Theilnehmer desselben, welche auch Andere excitirt haben, werden mit einer Carcerstrafe von 8-14 Tagen, und allenfalls mit dem Consilio abeundi, die Uebrigen mit 4-8 Tagen belegt.
5) Wer Etwas an dem schwarzen Brett Angeschlagenes abreißt, zerschneidet, durchstreicht, oder sonst auf eine gewaltsame Weise dasselbe oder andere öffentliche Gebäude verletzt, wird mit 2-3wöchigem Carcer bestraft.
6) Persönliche Gewaltthätigkeiten gegen die Bediente des Concilii in ihren Amtsverrichtungen werden mit 8-14 Tagen Carcer bestraft; wenn aber durch solche Gewaltthätigkeiten die Bediente der Akademie an ihren Gliedern verstümmelt werden, hat der Täter die unabbittliche Relegation zu gewärtigen. Wörtliche Injurien gegen dieselben werden in diesem Falle mit 4-8 Tagen Carcer bestraft.
7) Die Violatio arresti hat, wenn der Entwichene freiwillig, noch ehe der Rector ihn vorfordern läßt, sich wieder einstellt, eine Carcerstrafe von 4 Tagen zur Folge; stellt er sich erst wieder nach geschehener Vorforderung ein, so ist die Strafe 8 Tage Carcer. Erscheint er aber auf die an ihn ergangene Vorforderung nicht, so wird er relegiert.
8) Wer sich der ihm zuerkannten Strafe widersetzt, macht sich solche um den vierten Theil schwerer. Wer sich im Carcer nicht vorschriftsmäßig aufführt, dem wird diese Strafe um einen Tag verlängert.
9) Wer einem Professori, oder einem andern Lehrer, oder sonst einer Person von Stande eine körperliche Beleidigung zufügt, empfängt das Consilium abeundi oder die Relegation.
10) Gewaltthätigkeiten an den Häusern eben dieser Personen werden mit den auf solche Vergehungen unten gesetzten Strafen gedoppelt belegt.
11) Verbrechen, die mit Perturbationen der Actuum in dem öffentlichen Auditorio, oder des Lehrers in den Privat=Auditoriis begleitet sind, werden gedoppelt stark bestraft.
12) Wer den Fleiß Anderer in Besuchung der Collegien oder die Aufmerksamkeit bei Anhörung derselben hindert, erhält das erste Mal einen Verweis, und wird zum zweiten Mal mit 1 Tag Carcer bestraft. Wer in den Collegien die Tische und Bänke, auch andere Mobilien, beschädigt oder verdirbt, wird das erste Mal darüber erinnert, zum zweiten Mal aber und auf geführte Klage mit einem bis zwei Tagen Carcer bestraft. Eben dieses ist die Bestrafung dessen, der dem Rectori, den Professoribus und andern Lehrern die ge=
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ziemende Achtung nicht erweist. Wer vor Gericht sich frech und ungebührlich bezeigt, wird sogleich auf 1 Tag in den Carcer geführt.
13) Wer jemandem mit Worten zu nahe tritt, die man für beleidigend halten kann, der muß ihm eine Ehrenerklärung geben und wird mit 1-2tägigem Carcer bestraft. Ist der Beleidigte ein Studiosus oder eine Person von Stande, so wird die letzte Strafe verdoppelt. Wer Pasquille auf Personen von Stande macht, empfangt das Consilium abeundi oder die Relegation; wer sie ausbreitet, eine Carcerstrafe von 4-8 Tagen; in den übrigen Fällen ist die Strafe gedoppelt, und nach Befinden dreimal so groß als diejenige, welche auf eine wörtliche Beleidigung gesetzt ist.
14) Wer die Häuser oder Wohnungen der Bürger oder Einwohner gewaltthätig beschädigt, soll den Schaden und die dem Kläger verursachten Kosten ersetzen, und überdem mit einer Carcerstrafe von 2-4 Tagen, wenn der Schade unter einem Taler ist, belegt werden; ist er größer, so wird die öffentliche Strafe ein 4-8tägiger Carcer sein.
15) Wer jemanden an seinem Körper beleidigt ohne Verwundung, wird mit einer Carcerstrafe von 2-4 Tagen belegt. Leichte Verwundungen sind mit 8-14tägigem Carcer, schwere mit 2-3=wöchigem, wirkliche Mutilationes und Beraubung der Gliedmaßen mit dem Consilio abeundi zu bestrafen.
16) Wer die herzogliche Wache mit Worten oder tätlich insultiert, wird dafür mit 4-8tägigem Carcer bestraft.
17) Ein Rencontre, das ohne alle Verwundung abgegangen, wird für den angreifenden Theil mit 8tägigem Carcer bestraft; ist eine Verwundung geschehen, so wird nach Nr. 15 verfahren. Der angegriffene Theil wird um die Hälfte gelinder als der angreifende bestraft. Wer einen Andern zum Duell provoziert, ohne daß es. wirklich dazu kommt, hat 6-8 Tage Carcerstrafe, und wer die Provokation annimmt, imgleichen wer Zwischenträger ist, 2-4 Tage zu gewarten. Ist das Duell wirklich geschehen, so wird der Provokans mit dem Consilio abeundi und die Sekundanten mit 14 Tagen Carcer bestraft.
18) Wer den Novitiis des Geld abzuzwacken sucht, wird mit 4-14tägigem Carcer, nach Befinden der Umstände, bestraft. Wer dieselben aufzieht oder sonst beleidigt, bekommt das erste Mal einen Verweis und das zweite Mal eine Strafe von einem Tage Carcer. Die Errichtung der Landsmannschaften, Seniorate, Orden, angemaßte Vorzüge der Studenten werden, wenn darüber zum ersten Mal Erinnerung geschehen, mit 2-3 Tagen Carcer bestraft.
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19) Wer jemanden mit Gewalt oder durch starkes Zureden zur Theilnahme an irgend einer Gesellschaft oder Verbindung zwingt, wozu dieser nicht verpflichtet ist, wird mit 8-14 Tagen Carcer bestraft.
20) Wer bei Hochzeiten und andern großen Versammlungen der Bürger und Einwohner der Stadt sich zudrängt, empfängt das erste Mal einen Verweis und zum zweiten Mal eine Carcerstrafe von 1 Tage. Wer solche Versammlungen turbirt, wird mit 2-3 Tagen Carcer belegt, und jede andere Beleidigung in dergleichen Gesellschaften wird um die Hälfte schärfer bestraft als sonst.
21) Wer durch Schreien und Lärmen auf den Straßen, durch Wetzen mit dem Degen, Verkleidungen, Anklopfen an Fenster und Türen und dergleichen Unfug die öffentliche Ruhe stört, soll mit einer Carcerstrafe von 2-3 Tagen belegt werden.
22) Wer auf den Straßen und in öffentlichen Häusern singt, es sei, was es wolle, imgleichen wer auf den Zimmern so singt, daß es die Nachbarn beschwert, soll mit einer Carcerstrafe von 2 bis 3 Tagen belegt werden.
23) Wer im Schlafrock vor Untergang der Sonne durch die Straße geht, bekommt das erste Mal einen Verweis und das zweite Mal eine Carcerstrafe von einem Tage. Ebenso soll es bei allen solchen Benehmungen gehalten werden, die den guten äußerlichen Sitten und Anständigkeiten entgegen sind. Am wenigsten soll sich auch jemand unterstehen, auf öffentlicher Straße oder sonsten verbotener Weise Tabak zu rauchen, als in welchem Falle der Uebertreter nach der Schärfe der emanierten Patentverordnung in eine 8tägige Carcerstrafe soll genommen werden.
24) Wer an solchen Orten mit einem Gewehr oder einer Pistole schießet, oder sonsten Feuer macht, wo dergleichen verboten ist, wird mit 1-2 Tagen Carcer bestraft.
25) Wer Hasard=Spiele spielt, wird nach dem herzoglichen dawider publizierten Edict bestraft.
26) Spieler, Säufer, Müßiggänger empfangen Anfangs Verweise und werden zum zweiten Mal mit 2-4 Tagen Carcer bestraft. Auf Betrug, Hurerei, Schwängerung steht außer der Privat=Satisfaktion die poena publica von 8-20 Tagen. Noch gröbere Laster werden mit dem Consilio abeundi oder Relegation, allenfalls cum infamia, bestraft.
27) Wer Schulden macht, die er nach dem Credit=Edict nicht bezahlen kann, wird auf Verlangen seiner Creditoren so lange incarcerirt, bis er bezahlt hat, in welchem Falle jedoch die Creditores
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6 Schillinge täglich zu seinem Unterhalt geben müssen, wofern er selbst nicht soviel, um denselben zu beschaffen, übrig hat.
28) Wer eine Musik ohne Vorwissen des Rectoris veranstaltet, wird mit 1-2tägigem Carcer bestraft. Wer andere Arten öffentlicher Belustigungen, als Bälle, theatralische Uebungen, veranstaltet, wird dafür 2-4 Tage in den Carcer gesetzt.
29) Wenn jemand schon einmal an ihm bestrafte Verbrechen von Neuem begeht, so wird die erlittene Strafe verdoppelt.
30) Wer mehrere Verbrechen auf einmal begeht, dessen Strafe wird so groß sein als die Summen der Strafen der einzelnen Vergehungen zusammengenommen.
31) Wenn die zuerkannte Carcerstrafe sich über 4 Wochen erstreckt, so wird das Consilium abeundi auf 1 Jahr ertheilt.
32) Wenn derjenige, dem das Consilium abeundi zuerkannt ist, noch ein neues Verbrechen begeht, so wird jenes in die Relegation verwandelt, und diese letztere wird mit einer Notifikation an das Herzogliche Amtsgericht zu Rühn und Bützow und an das Stadtgericht zu Bützow verbunden.
Rector et Konzilium Academiae Fridericianae Buetzoviensis civibus hujus Universitatis litterariae.
In omni societate recte constituta summopere providendum, ut quisque intra fines, quos leges praescribunt, se contineat, ut neminem laedat, nemini injurias inferat, nihil audeat, quo tranquillitas publica vel securitas turbari possit. Quanto magis igitur haec rationis et religionis praecepta iis servanda sunt, quibus contigit in Universitate litteraria vivere, in qua liberalibus disciplinis erudiuntur et ad munera in republica vel sacra vel civili rite obeunda praeparantur. Et tamen non sine ingenti animi moerere meminimus, multa apud nos et talia facinora esse patrata, quae nemo non, qui honestati vitae bonisque moribus studet, aversatur, et bonarum litterarum Studiosus plus quam quisquam aversari debet. Rerum tam male gestarum fama non solum longe lateque percrebuit, sed in ipsam etiam aulam optimi principis, Fundatoris et Nutritoris hujus Academiae munificentissimi perpe[ne]travit. Juste iis commotus, quo tantis medela malis adferretur, leges ei fini adcommodatas immutabiliter et perpetuo observandas praescripsit, quas sapientissime sancitas jussu et auctoritate Ducis et Domini nostri indulgentissimi hac tabula promulgamus.
I. Si quis Studiosorum negare non potuerit, se in consortio quodam nocturno cantu vel strepitu debacchatum esse, et
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tamen nomina sociorum edere recusaverit, exceptione vel obtentu, quod casu tantum fortuito tali consociationi immixtus fuerit, neque reliquos in tenebris noctis agnoverit, se tutum ratus: hic statim carceri includendus, neque prius dimittendus, quam se ad confessionem ingenuam paratum esse declarabit. Quodsi talis Studiosus e numero commensalium communium sit, hoc beneficio durante tempore, quo carcere detentus est, et usque ad cognitionem caussae plene finitam carebit.
II. Si Studiosus gravibus indiciis vel suspicionibus tanquam auctor facti cujusdam illiciti oneratus sit, contra hunc, quo juramentum, quod purgatorium vocant, quantum fieri poterit, evitetur, decernendum erit, ut probabili ratione, se tempore commissi talis facti illieiti vel in proprio museo, vel apud familiarem quendam vel in alio plane loco fuisse demonstret. Quodsi neque hoc neque alium subdere reum potuerit, ipse pro reo et convicto habebitur et poena legibus statuta adficietur.
III. In grassatores nocturnos, qui crebris fenestras ictibus quatere et petulanter diffringere non verentur, vel in domibus ant prope domos rixas, turbas, tumultus cient, vel alius generis nefas in offensionem inquilinorum perpetrant, ut violatores pacis domesticae, severius animadvertetur; hique, post breve examen, et facti, cujus arguuntur, convicti, ex hac civitate litteraria consilio abeundi illis dato discedere jubebuntur.
IV. Qui cantitantes vel vociferantes per plateas vagantur, vel in diversoriis publicis, immo et in tricliniis privatis aera concentibus implent, prima quidem vice noxam octo dierum carcere, et commensalis communis insuper unius mensis carentia luent. Quodsi post hanc correctionem incorrigibiles se prodant, consilio abeundi, quod vocant, necessitas emigrandi eis imponetur.
V. Fadem poena obnoxii erunt, qui novitios vel directe cogunt vel per ambages artificiales pelliciunt ad convivium veteranis parandum, quo advenae non modo pecunia emunguntur, sed pravis quoque sodalitiis irretiuntur. Reliqui vero hospites, qui sumptu novitii epulati sunt, trium dierum carcere coercebuntur, iis qui mensa communi fruuntur, per octo dies insuper ab isto beneficio excludendis; et talia advenarum convivia, quo inebriationes et inde oriundae contentiones et rixae tanto efficacius impediantur, abhinc plane prohibita sunto.
VI. Poenae legum transgressoribus judicialiter decretae a Rectore et Concilio nec minuendae noc mutuandae nec omnino
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remittendae, sed ad tenorem sententiae sine ulla deprecatione executioni mandandae erunt.
VII. Nocturnos strepitus, turbas, tumultus et alia, quibus incolarum personae vel res laeduntur, facinora, immo et clamores inconditos vel cantiones, uti jam severae leges inhibuerunt, ita earum violatores ab excubitoribus, quibus cura securitatis nocturnae et tranquillitatis demandata est, deprehensi custodiae militari tradentur, in eaque manebunt, usque dum Rector Academiae vel de eorum dimissione vel in carcerem academicum abductione statuerit. Quilibet vero eorum, qui hoc modo deprehensi et detenti fuerint, uno imperiali militibus, antequam dimittatur, solvendo se redimere necesse habebit.
Hae sanctiones, Cives, forma hac sollenni, ne quis inscitiam obtendat, vobis publicandae fuerunt. Et sicuti caeterum poenae hic statutae illos, qui eas merebuntur, certe manebunt, ita et iis, qui observantia legnm, bonis moribus, pietate, assiduitate in litterarum studiis praestantiores se exhibebunt, digna virtutum praemia haud deerunt.
P. P. Buetzovii die 26. Augusti A. O. R. MDCCLXXVIII.
Daß aber mit diesem Strafreglement wenig Nutzen geschaffen wurde, lag weniger an den Mängeln desselben und dem guten Willen der Professoren es durchzuführen, auch nicht daran, daß die Rohheit zu tief eingedrungen war, als vielmehr an der trostlosen Lage, in welcher sich damals fast ohne Ausnahme alle Universitäten befanden; nur mußte der Schatten in Bützow nach der Lage der dortigen Verhältnisse dunkler und größer sein. Auch die größte Strenge hätte nichts genützt. Und dennoch hatte Tetens Recht, wenn er gegen Döderlein energisch für die akademische Freiheit der Jugend eintrat. Selten ist so klar und überzeugend die Nothwendigkeit derselben nachgewiesen, als es in den Motiven zu seinem Entwurf geschieht. Er erkennt an, daß unter der heiligenden Rubrik der akademischen Freiheit allerhand elende Bubenstreiche verübt werden, daß rohe Barbarei und Sittenlosigkeit unter den Studierenden herrschen; aber er erkennt auch klar den Geist seiner Zeit, den Kampf zwischen Licht und Finsternis, Vernunft und Unvernunft; er sieht schon in der Ferne den Tag dämmern, wo die Bildung über die Barbarei der Sitten triumphieren, die Freiheit über die Knechtschaft siegen werde. Daher erscheint ihm auch die Erhaltung des Gefühls für Freiheit und Freimüthigkeit in der studierenden Jugend als Pflicht des Staats, der bald solche Leute als Richter und Lehrer nöthig haben werde. Das Jugendfeuer in den Jünglingen müsse ungehemmt auflodern, im Gefühl der reifenden Kraft müßten sie sich glücklich fühlen und die süße
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Frucht vom Baume der Freiheit schmecken. Die Zeit dieser schönen Unabhängigkeit sei nur kurz, aber es sei der reizende Traum, dessen Schatten sich über das ganze künftige Geschäftsleben verbreite und hinwerfe. Nur zu bald lernten sie, sich in die Schranken und Formen der bürgerlichen Gesellschaft zu schmiegen und Alltagsmenschen zu werden; aber sie würden Sklaven der Zeit sein, wenn sie schon auf der Akademie bloße Maschinen sein sollten. Grade der Genuß vormaliger Freiheit gebe ihnen die Energie, alle Schikanen des Berufs, alle Leiden und Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen, und den Muth, für Vernunft und Wahrheit einzutreten; ihr Enthusiasmus mache sie zu festen Säulen deutscher Freiheit und Größe. Die Aufgabe des Staates aber sei es, zu verhindern, daß die Freiheit mißbraucht und die öffentliche Ordnung gefährdet werde: wer Alles in schwarzem Lichte ansehe, müsse dahin kommen, die Universitäten überhaupt für verderblich zu halten.
Diese Deduktion mußte natürlich Döderlein, der darin Etwas von dem verhaßten modernen Geiste fand und die Spreu vom Weizen nicht sonderte, im höchsten Grade mißfallen; er verfolgte fortan Tetens mit seinem Zorn und ruhte nicht, bis er ihm den Aufenthalt in Bützow verleidet hatte.
Die Hoffnung des Herzogs, durch das neue Strafreglement Besserung der sittlichen Verhältnisse unter den Studierenden in Bützow herbeizuführen, schlug also fehl; aber auch die Erwartung, welche er auf die Beneficianten des Convictoriums gesetzt hatte, erfüllte sich nicht. Denn die Freitisch=Bewerber waren meist mittellose "Brot=Jäger, welche sich auf den kommenden Tag nicht freuen, weil er ihnen nur neue Sorge und Hunger bringt"; solche Elemente bringen der Universität keine Ehre, denn in der Regel bewahren sie weder Charakter noch Würde, Frohsinn und Kampfesmuth fürs Leben. Die böse Wirkung blieb auch nicht aus: die Professoren beklagten sich über den Zuzug von mittellosen Leuten, welche in der Hoffnung, auf herzogliche Kosten leben zu können, nach Bützow kämen, um Winkel=Advocatur zu studieren. Wenn nicht schleunigst Remedur geschaffen würde, müßte bald das Land mit dieser Plage überschwemmt sein. Der Herzog befahl daher, hinfort keine mittellosen Leute mehr zu berücksichtigen, sondern "die Schuster bei ihrem Leisten zu lassen."
Ueber das nächste Jahrzehnt von 1770-80 giebt uns neben den Akten auch ein höchst interessanter Briefwechsel 1 ) zwischen Tychsen und dem herzogl. Mundschenken Cornelius den anschaulichsten Bericht. Die Feindschaft zwischen Tychsen und Fidler, "dem berüchtigten Pro=
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selyten und Lügenapostel", hatte sich angesonnen um Bücher der Bibliothek zu Ludwigslust, welche Tychsen für Bützow sich erbeten hatte, die aber Fidler ihm mißgönnte. Persönliche Reibereien, namentlich eine boshafte Kritik der Rede, womit Tychsen die Bibliothek in Bützow eröffnen wollte, hatten beide bereits zu geschworenen Feinden gemacht, ehe noch von der Ernennung des Hofpredigers zum Professor in Bützow geredet wurde. Wer malt daher das Entsetzen Tychsens, als Cornelius ihm zuerst vertraulich die Neuigkeit mittheilte und ihn vor dem einflußreichen Feinde warnte! Ostern 1772 kam Fidler an, und schon nach kurzer Zeit war das Komplott gegen Tychsen fertig: Trendelenburg und der Direktor des Pädagogiums, Pastor Möller, verbanden sich mit Fidler gegen den gemeinsamen Feind. Wenn sich nicht die Charaktere der handelnden Personen als gar zu gemein darstellten, so wäre das Intrigenspiel lustig anzusehen: wie Tychsen hinter dem Mundschenken Cornelius steckte, um dem Herzog Trendelenburg als hinterlistigen Projektenmacher, Möller als überspannten Narren und Comödianten, der die Welt mit albernen Gaukeleien blenden wolle, und endlich Fidler als den gottlosesten und verworfensten Intriganten darzustellen; hinwieder die Gegner den Oberkammerjunker v. Oertzen in Rühn bewogen, dem Herzog ein möglichst schwarzes Bild von den Sitten der Studenten zu entwerfen und Tychsens Schwäche als Rector dafür verantwortlich zu machen. Dem graden Sinn des Herzogs war dieses abscheuliche Widerspiel ein Gräuel: "er droht den Professoren, deren Unfriede an allem Unheil schuld sei, mit schärfster Ahndung, wenn sie nicht bald den elenden Bübereien der Studenten ein Ende machten, die als Tumultuanten nichts Anderes verdienten, als nach Dömitz oder aufs Zuchthaus geschickt zu werden. Wie bald würde ein anderer Geist herrschen, wenn die Professoren nur, statt sich gegenseitig zu insultieren, ihr Augenmerk darauf richteten, durch gesellige Vergnügungen die Studenten edler zu beschäftigen!! Wie denn die Jugend gebildet werden sollte, wenn sie Jahre lang sich selbst überlassen würde und mit den Professoren nicht anders als in den Collegien zusammen käme! Ob sie denn nicht wüßten, wie segensreich auf andern Universitäten der Umgang der Lehrer und Schüler auf die Sitten einwirke?"
Damit hatte Fidler erreicht, was er wollte: der Herzog war gereizt; nun noch eine zweite Bresche, so war Tychsen verloren. Aber derjenige, der diese legte, war ungeschickt und plump. Pastor Möller nämlich verklagte Tychsen beim Herzog, daß er als Rector es ruhig mit angesehen habe, wie die Studenten den Abendgottesdienst in der Pädagogienkirche gestört und zu einer gottlosen De=
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monstration benutzt hätten. Die Sache wurde zum großen Skandal; denn Tychsen, dem die Klage zur Rechtfertigung zugeschickt wurde, brachte die Sache vors Konzil und forderte das Zeugniß der Professoren, daß der Pastor die Sache absichtlich falsch dargestellt und mit seinen despectirlichen Reden über den Rector die Universität beleidigt habe. Keiner, selbst Fidler und Trendelenburg, wagte den Verleumder in Schutz zu nehmen, und es wäre demselben schlecht ergangen, wenn nicht Fidler hinterrücks den Herzog zu bestimmen gewußt hätte, zur Untersuchung der Händel eine Commission zu ernennen.
Wir lassen die von dem Canzleirath Faull und dem Hofrath Sibeth geführte Untersuchung gegen die Studenten außer Acht, obwohl sie ein grelles Licht auf die heillose Sittenverderbtheit derselben, "die sich wie Kinder und rohe Gesellen benahmen", warf. Interessanter ist es, zu sehen, wie die Professoren Stellung zu der Klage nahmen. Döderlein voran zeigte sich höchst gereizt durch diese ihm als höchste Beschimpfung der Universität und ihrer Lehrer erscheinende Commission und weigerte sich, ihr Rede zu stehen. Er beklagt sich bitter beim Herzog, "daß seine besten Absichten an der Bosheit der Feinde zu Schanden würden; von Anfang an sei sein von einsichtigen Leuten gebilligter Plan verlassen und die Leitung der unter den besten Auspizien eröffneten Universität solchen anvertraut worden, welche es offenbar mit der Universität nicht wohl gemeint und nur auf ihren Niedergang ihr Absehen gehabt hätten. zu diesem Zweck habe man nicht aufgehört, ihn zu verdächtigen und zu verleumden, und die Universität in alle Welt als eine Anstalt von Pietisten verschrien, wo die Studenten gar keine Freiheit haben sollten. An dem Nothwendigsten habe es immer gefehlt, und die noch nicht einmal rite eingeweihte Universität sei stinkend geworden, aber nicht durch seine Schuld. Er tue seine Pflicht, und Gott segne seine Thätigkeit an der Kirche und unter der Studierenden Jugend. Es möge ihm also nicht zugemuthet werden, wegen seiner Wirksamkeit sich zu vertheidigen; übrigens wisse er auch keinen Weg, wie der Universität aufgeholfen werden könne."
Die übrigen Professoren stellten sich ähnlich zu der Klage: sie waren entrüstet, daß ihnen die Verantwortung wegen der Zuchtlosigkeit der Jugend zugeschoben wurde; sie hätten es an Bitten und Vorstellungen bei den Curatoren der Universität nicht fehlen lassen, aber es sei nichts geschehen. Nur Fidler beharrte bei seinem Vorwurf, daß der böse Wille der Professoren an Allem schuld sei; er vermaß sich sogar, den Beweis dessen aus den Akten führen zu wollen, und es fehlte nicht viel, daß der Herzog ihn nach seinem
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Abgang mit der jährlichen Revision der Universität betraut hätte. Nur dem entschiedenen Parteiergreifen der Commissare für die beleidigten Professoren war es zu verdanken, daß diese Schmach der Universität erspart blieb. Die gerechte Genugtuung aber von Seiten des Pastors Möller wurde ihnen nicht zu Theil: die Sache wurde niedergeschlagen.
Nach Fidlers Abgang wäre wohl, da Trendelendurg ausschied und Möller nicht der Mann war, allein den Kampf fortzuführen, Ruhe und Friede an die Stelle der tief erregten Leidenschaft getreten, wenn nicht in dem neu berufenen Consistorialdirektor und Professor juris Reinhard ein, wenn auch viel lauterer und bedeutenderer, so doch nicht minder streitsüchtiger Mann aufgetreten wäre.
Als Reinhard in Bützow ankam, hatte er bereits durch seine Angriffe auf Nicolai, Lessing, Wieland und alle neumodischen Dichter und Dichterlinge sich bekannt gemacht. seine ihm vom Herzog aufgetragene Arbeit in Bützow war, neben der Leitung des Consistoriums, die Kräfte der Universität zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen den von allen Seiten her vordringenden Rationalismus und Atheismus zu vereinigen.
Anfangs gelang es Reinhard auch, fast alle Professoren zu gewinnen: sein liebenswürdiges, freundliches Wesen, das Bestechende seiner ganzen Persönlichkeit, der hohe Zweck wirkten zusammen, daß alle gern ihre Mitarbeit zusagten. Der erste Angriff Reinhards richtete sich gegen Göttingen, dessen Professoren sich darin gefielen, die Freigeister zu loben, die Philosophie lächerlich zu machen, die Heilige Schrift zu entstellen.
Aber die angegriffene Universität ließ sich die Beleidigung nicht gefallen, sondern bewirkte, daß die kurfürstlich=königliche Regierung Genugtuung forderte, der sich aber Reinhard mit großem Geschick entzog. Der Nächste, der gestriegelt wurde, war Nicolai mit seinem ganzen Anhang. Der Beifall, den dieser bald mit aller Heftigkeit geführte Streit in ganz Deutschland fand, veranlaßte Reinhard, ein eigenes Journal zu gründen: "Die kritischen Sammlungen zur neuesten Geschichte der Gelehrsamkeit" (1775), welche bald kurzweg "Bützower Blätter" hießen und mit Recht so genannt wurden, weil fast alle Professoren daran mitarbeiteten.
Der eifrigste von allen war Tychsen, dem damit Gelegenheit gegeben war, nach Herzenslust auf seine Gegner zu schimpfen. Entzückt schreibt er an Cornelius: "Reinhard hat uns gelehrt, wie wir den Feinden die Zähne zeigen müssen! Was wir schreiben, wer in Deutschland liest es nicht? Wo in aller Welt ist die Freimüthigkeit
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unserer Universität gegen die Modescribenten unbekannt? Vor diesem Zeugniß verstummen die Stimmen der Lästerer, sie verkriechen sich vor unserem Zorngericht! Die Zahl unserer Freunde ist in stetem Wachsen, unsere Feinde bersten vor Neid und Bosheit! Wie Wittenberg, so hat Gott Bützow begnadet, daß aus dem Dunkel dieses Orts ein Licht aufgehen soll, welches die ganze Welt erleuchtet!"
Und als die Angriffe bald mit gleicher Leidenschaft von allen Seiten her erwidert wurden, rechnete es sich Tychsen zur höchsten Ehre, den Feinden der reinen Lehre zum Aergerniß zu gereichen.
Aber dieses glückliche Zusammenwirken der Professoren dauerte nicht lange: die einen mißbilligten vor allem die scharfe Polemik, die andern wiederum ärgerten sich über die Gunst, welche Reinhard bei Hofe genoß, und die Bevorzugung, daß er von allen Arbeiten für die Universität dispensiert war. Reinhard war aber nicht der Mann, die Anzapfungen, die bald immer offener hervortraten, ruhig zu ertragen: mit der größten Schonungslosigkeit deckte er die Schwächen seiner Gegner bloß, und man muß, wenn man auch seine grobe Art weder loben noch rechtfertigen kann, ihm darin beistimmen, daß das unleidliche Cliquenwesen unter den Professoren am meisten zum Verfall Bützows beitrug. War es doch damit bereits soweit gekommen, daß der Herzog 1776 ein scharfes Edict erlassen mußte gegen die Faktionen der Studenten, welche sich beikommen ließen, die in Ungunst stehenden Professoren im Gericht zu perhorresciren und den Besuch ihrer Collegien schimpflich zu machen! Nannte doch der Zorn des Herzogs einmal die Reinhard verklagenden Gegner böswillige Verleumder und Lügner und drohte ihnen mit den schärfsten Strafen, wenn sie ihrer kollegialischen Eintracht nicht mehr eingedenk seien!
Genug, diese immer heftiger werdende Leidenschaft gegen Reinhard wirkte auf die gemeinsame literarische Thätigkeit zurück; allmählich trennten sich die Meisten, so daß nur Döderlein, Martini und Tychsen übrig blieben.
Aber auch diese Freundschaft löste sich, als Tychsen erkannte, daß Reinhard nicht gewillt war, dem Herzog ihn als Consistorialrath zu empfehlen, vielmehr den neu berufenen Crustaner Professor Müller in jeder Weise begünstigte. Derselbe Mann, von dessen Lob vor Kurzem Tychsens Mund noch überfloß, erscheint ihm plötzlich als unerträglich "stolz und hochfahrend, obwohl er doch nichts Anderes versteht, als durch gemeines Schimpfen sich bei Hofe beliebt zu machen; warum er denn, da er doch als anerkannt tüchtiger Jurist der Universität so viel nützen könnte, sich mit theologischen Arbeiten beschäftige und Bücher und Artikel schreibe, die doch außer seiner Clique niemand lobe? Wenn es nicht um der Ehre des Her=
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zogs und der Universität willen wäre, so zöge er sich am liebsten von der Mitarbeit zurück."
Zuletzt löste auch Döderlein, der Reinhards Herrschsucht in Consistorialsachen nicht vertrug und besonders darüber aufgebracht war, daß jener für die Universität nichts tun wollte, das Verhältniß. In solcher Lage bat Reinhard den Herzog um anderweitige Verwendung, da ihm das Leben unter lauter neid= und haßerfüllten Collegen unerträglich war. Der Herzog ernannte ihn 1780 zum mecklenburgischen Commissar beim Reichskammergericht in Wetzlar, wo er schon 1783 starb 1 ).
Mit Reinhards Fortgang fiel die Universität in das frühere Dunkel zurück; denn es blieb Keiner, der an seiner Stelle dem geistigen Leben in Bützow einen höheren Schwung verliehen hätte.
Die Jahre 1780-1785 können wir kurz abtun. Der letzte Lebensfunke war im Verglühen, nur noch Döderlein und Tychsen arbeiteten für ihre Zuhörer, von den Andern kümmerte sich keiner mehr um die Universität. Der letzte Versuch des Herzogs Friedrich 1783, die Professoren zum Lesen der wichtigsten Collegien dadurch zu zwingen, daß sie ihm jährlich das Verzeichniß der wirklich gelesenen Collegien einsendeten, mißlang völlig. Sonst herrschte in dieser Zeit, außer zwischen Döderlein und Prehn, Friede unter den Professoren, und die Studenten thaten auch, was sie sollten oder wollten. Das Recht der Relegation war dem akademischen Gericht 1780 genommen. -
III Theil. Aufhebung der Akademie zu Bützow.
Am 24. April 1785 starb Herzog Friedrich im 69. Lebensjahr, nach einer höchst gesegneten Regierung von 29 Jahren. Das ganze Land trauerte um den Heimgegangenen, der unter den Fürsten seiner Zeit nicht seinesgleichen gehabt hatte: in seiner Würde voll Hoheit war er herablassend, mildthätig und von seltener Herzensgüte; seine Frömmigkeit war lauter und rein; bei aller Schonung und Gerechtigkeitsliebe war er doch, wo es die Ehre Gottes, des Thrones Glanz und des Landes Wohlfahrt galt, energisch und bis zum Eigensinn konsequent; wir dürfen sagen, zum Glück des Landes. Denn
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nur ein solcher Regent vermochte das zertretene, unglückliche Meklenburg aus dem sichern Untergang zu erretten und seinem Volke trotz aller Hindernisse von Natur und Menschen den Frieden und Wohlstand wiederzubringen. Als er die Regierung antrat, war das kirchliche Leben todt, das Ansehen des Thrones und der Gesetze erschüttert, Handel und Gewerbe ohne Nahrung, Wissenschaft und Kunst vernachlässigt, die Schulen in der traurigsten Verfassung; als er starb, hinterließ er seinem Neffen eine geordnete Regierung in einem glücklichen Lande.
Für die Universität Bützow war aber der Tod des Herzogs Friedrich, ihres Stifters, von besonderer Bedeutung; sie verlor damit ihre letzte Stütze, da sie von dem Thronfolger nichts zu erwarten hatte. Daher war denn auch die Trauerkunde niederschmetternd. "Wir gehen", schreibt Tychsen an den Mundschenken Cornelius, "wie in einem Traume; Alles ist wüste um uns her, Keiner findet ein Wort des Trostes. Wir haben unsern Vater, und der uns mehr war als ein Vater den Kindern, verloren; wir sind verlassen und können nicht begreifen, daß es wahr ist, daß der beste Fürst seinem Volke entrissen ist!"
Derselbe Tychsen 1 ) aber, der diese Worte schreibt und "damit seinen Schmerz tötet, das er das Leben und die Verdienste des unvergeßlichen Fürsten darzustellen versucht", wußte schon nach wenigen Tagen, da er als Rector die feierliche Gedächtnisrede halten sollte, keinen Ton der echten Trauer und wahren Klage zu finden; mit seiner gewohnten Prahlerei und Selbstverherrlichung wagte er es, "von den Beisetzungsfeierlichkeiten der Juden" zu reden. Wie traurig mußte es um eine Universität stehen, die nichts Besseres von ihrem größten Wohltäter zu sagen wußte! Die Sitte der Zeit entschuldigt sie nicht; mit Tychsen trifft der volle Vorwurf der Undankbarkeit und Herzlosigkeit die ganze Universität um so füglicher, als das Konzil diese Rede für des Druckes werth, dagegen die Rede Döderleins: "Wahre Gottseligkeit ist die erhabenste Tugend eines guten Fürsten" zur Veröffentlichung für ungeeignet erklärte. Denn wie Tychsen, so hatte die Mehrzahl der Professoren dem aufgehenden Stern sich zugewandt und sich beeilt, "die äußere Scheinheiligkeit abzulegen, um das Versäumte in Lustbarkeiten aller Art nachzuholen." Döderlein stand allein, seinem unausbleiblichen Schicksal preisgegeben.
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Der neue Herzog war bald Tychsens "Augenstern"; er wird nicht müde, alle Vorzüge desselben, das klare Urtheil, das kluge Benehmen, die Leutseligkeit überschwänglich zu loben; er schwelgt in der vollen Gnade des Fürsten, der endlich seinen Verdiensten gerecht wird, ihm Wild schickt, ihm die goldene Medaille verleiht, die er viel früher als Reinhard verdient habe, seinen Ruhm durch die "Meklenburgischen Anzeigen" der Welt bekannt macht und am liebsten ihn immer um sich behielte. Die maßlose Eitelkeit läßt ihn gar nicht merken, daß der Herzog von seinem Charakter gering denkt; das Wort in seinem Munde, daß sein Onkel ihn als brauchbaren Zwischenträger zwischen der Regierung und der Universität benutzt habe, rechnet er sich zur Ehre an. Nur in Einem wünscht er, daß der Herzog nicht nachgeben möchte, in dem Streit mit der Stadt Rostock um die Universität: "Er solle dem Rath ordentlich einheizen." Als er aber merkt, daß die Aufhebung der Fridericiana bei dem Herzog beschlossene Sache ist, findet er sich auch leicht in diesen Gedanken.
Wir sahen, das der Herzog Friedrich bereits im Jahre 1764 die bestimmte Absicht hatte, das allzu theure Institut der Bützower Akademie, das ihm noch dazu nichts als Aerger bereitete, wieder eingehen zu lassen, daß diese Absicht aber an der Hartnäckigkeit Rostocks scheiterte. Die widerspenstige Stadt litt zwar sehr darunter, und besonders der Nährstand wünschte nichts sehnlicher als Wiederherstellung der völlig gesunkenen Universität 1 ); denn war der Herzog auch ohnmächtig die Rostocker Akademie aufzuheben, so hatte er doch als Landesherr und Kanzler Gewalt genug das Aufblühen derselben zu verhindern. Aber der Rath wollte in keinem Puncte weichen und vereitelte alle Bemühungen der Regierung, den Streit zu schlichten; er behielt seine 9 Professoren, zumeist Bürgermeister und Prediger der Stadt, aus den zum Theil verkümmerten Fonds bei und überließ es ihnen, den Namen der Universität in partibus infidelium, ohne Insignien, ohne Promotionsbefugnis, ohne die Comitiva palatina fortzupflanzen.
Erst nach Herzog Friedrichs Tode zeigte sich die Stadt willfähriger. Bereits im Winter 1787 war die Ausgleichung der Streitpuncte soweit gediehen, daß die herzoglichen Räthe dem Prof. Hecker die nahe bevorstehende Aufhebung der Universität in Bützow als
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gewiß bezeichneten. Auf diese Kunde riet Döderlein den Collegen, nicht ruhig zu sitzen, sondern mannhaft für die statutengemäßen Rechte der Universität und ihrer Lehrer einzutreten; aber die Mehrzahl, froh in der Hoffnung, bald nach Rostock versetzt zu werden, wollte nichts damit zu tun haben. Am 13. Mai 1788 wurde der Neue Grundgesetzliche Erbvertrag mit Rostock abgeschlossen, und im §. 184 desselben die Translokation der Universität von Bützow nach Rostock auf den Herbst desselben Jahres festgesetzt. Bereits am 4. April hatte der Herzog den um ihre Anstellung besorgten Professoren auf ihre Bitte, sie bei ihren Rechten und in ihrem Amte zu lassen, geantwortet: daß nur die "fleißigen und kräftigen" Docenten, nicht aber die "faulen und kranken" berufen werden würden. Döderlein vor allen berief sich im Konzil auf "seinen Fleiß und guten Namen im Lande; Gott werde ihm das Feld anweisen, wo er zu arbeiten habe." Er ahnte, daß er entgelten würde, was Andere verschuldet hatten. Noch einmal baten die Professoren, als ihnen der Herzog den Erbvertrag zuschickte, um Schutz ihrer in dem Vergleich unberücksichtigt gebliebenen Rechte; umsonst! Der Herzog antwortete am 30. August, daß Graumann, Hecker, Martini, Karsten, Toze, Witte im Amte bleiben, die Consistorialrate Döderlein, Mauritii, Müller, sowie auch Schaarschmidt, "wegen ihres hohen Alters und anderer ihnen anklebenden Schwächen" pensioniert werden sollten; für Prehn sei eine anderweitige Anstellung in Aussicht genommen.
Einen solchen Schimpf hatte Döderlein nicht erwartet. Er erbat sich eine Erklärung, wodurch er diese Ungnade verdient habe (16. Februar 1789). Die Antwort lautete:
Wir haben Uns eure unterthänige Vorstellung vom 16. d. M., betreffend die gänzliche Entlassung eures Amts, gehörig vortragen lassen und geben euch darauf hiermit zu erkennen, daß Wir bei der sonstigen Nicht=Verkennung eurer Gelehrsamkeit und des Werths eurer herausgegebenen Schriften, es dennoch auf keine Weise haben wagen können, euch von Neuem zum Professor in Rostock zu bestellen, als welche Unsere Entschließung an Seiten der zu restaurierenden Akademie nur Furcht und Bekümmerniß für neue, von euch dabevor schon erlebte Verdrießlichkeiten verursachen würde, und die auch nach eurem vormaligen Haß gegen die Akademie Rostock selbst eurerseits euch mehr zur Unlust als zum Vergnügen möchte gereicht haben. Denn so werdet bei euerem unparteiischen Nachdenken ihr euch dessen erinnern, welchergestalt ihr sofort beim ersten Antritt eures bevorigen Professorats in Rostock euch mit dem äußersten Steifsinn den Statutis der dortigen theologischen Facultät, zur Unter=
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gehung des allgewöhnlichen freundlichen Colloquii mit den Membris Solther Facultät, vor eurer Rezeption in facultatem opponieret und bei solcher Gelegenheit viel Uneinigkeit und Zwietracht gestiftet, auch bei Unsers verewigten Herrn Oncles Gnaden glorwürdigen Andenkens die übrigen unbescholtenen, nicht unberühmten Rostockschen Professores Theologiae, statt des von euch zu befördernden Christenthums, beinahe als Unchristen und Heiden geschildert und nicht eher geruht habt, als bis ihr eures Zweckes, nämlich der Verlegung der Universität Rostock nach einem andern Ort, seid theilhaftig geworden. Hiervon und daß ihr auch dazu der Mitwirkung des jetzigen vornehmsten Geistlichen in Sverin und mancher nicht unbekannter In sinuationum euch bedient habt, finden sich redende Zeugnisse, so daß, ohne in die Betrachtung hineinzugehen, ob nicht vielerlei dabei mit vorgefallen sei. welches mit dem wahren Christenthum nicht vertraglich zu sein scheint, wir nicht Umgang nehmen mögen, euch geradezu nicht zu verhehlen, daß eben ihr das Triebrad seid, wodurch die Universität Rostock gelegt und Bützow wieder errichtet worden, und wodurch das Land und die Herzogliche Kasse einen wesentlichen Verlust von vielen Tonnen Goldes gelitten haben, gleich auch die traurige Erfahrung es lehret, daß die fremden Studenten aus so manchen Reichen und Staaten, wie auch aus den Reichs=Städten, da sie von der alten Universität Rostock gleichsam vertrieben worden, keinen Reiz bei ihren Vorgesetzten oder Eltern gefunden haben, selbige nach Bützow zu recommandiren oder zu schicken, und also die alte und neue einheimische Akademie beide in den gänzlichen Verfall gerathen sind."
"Sobald ihr nun Obiges alles in unparteiische, gewissenhafte Beherzigung bei euch ziehet, dabei auch die Erwägung der mancherlei Unvertraglichkeiten nicht vergesset, die nachher auch selber noch in Bützow mit euch vorgekommen sind, so werdet ihr ohnfehlbar die Empfindung bei euch fühlen müssen, daß eure für Unser höchstes Interesse und für das ganze Land so verderblich ausgefallenen Einleitungen und Handlungen Uns unmöglich zum Wohlgefallen gereichen können; gleichwohl ihr mit Wahrheit über rächende Ungnade euch nicht zu beschweren habt, indem Wir noch gnädigste gemeint haben, euch auf Zeit Lebens eine jährliche Gnaden=Pension von 600 Thlrn. auszuwerfen, welche ihr ohne Störung durch herrschaftliche Geschäfte in voller Ruhe mit Verwendung eurer Zeit bloß auf Bücher=Schreiben genießen und womit ihr die Kosten zur Führung eurer kleinen Haushaltung zulänglich werdet bestreiten können. Habens euch hiermit anfügen wollen und verbleiben
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Darauf erwiderte Döderlein am 2. April etwa Folgendes:
"Ich bin nie ein Feind Rostocks gewesen, ich habe auch nie die dortigen Professoren als Heiden und Unchristen gescholten, wie Leute, die mich hassen, es Ew. Herzogl. Durchlaucht vormalen. Es ist aber bekannt genug, wie feindselig man mir in Rostock begegnet ist Ich verehre die Lehrer an der Rostocker Universität, einen Paul Tarnow und Heinrich Müller, auch jetzt noch in der Asche als rechtschaffene Knechte Gottes und meine Brüder. Aber mit den Leuten, welche gegen den großen Spener und andere Theologen sich als Orthodoxe brüsten, kann ich keinen Verkehr haben. Dieser sog. Pietistenstreit hat in der Kirche viel Aerger erzeugt, so daß Irrreligion und Unchristliches die heilige Lehre verbannten. Gegen diese sog. Orthodoxie habe ich, ohne sie zu nennen, immer gekämpft. Denn nur offenbare Feinde des Christenthums sind Feinde Speners, die Socinianer, Freigeister, wie Friedrich Nicolai und seine Kameradschaft. Schon der Selige Fecht hat angefangen gegen Spener als einen Schwärmer zu eifern und dadurch dem Protestantismus viel geschadet. Als ich ins Land kam, war der Streit gegen einige rechtschaffene Prediger, welche die gottselige Prinzeß Augusta ins Land gerufen, im vollen Schwange. Die Rostocker waren gegen sie bitter und wollten die ehrlichen Leute aus dem Lande haben, aber sie blieben und mit ihnen die Bitterkeit. Diese Darguner Geistlichen gehörten nie zu den Heuchlern, an denen es unter der Regierung der Höchstseligen Herzoglichen Durchlaucht nicht gefehlt hat. Gegen diese Pietisten waren die Rostocker Statuten eigenmächtig errichtet, sowie auch das freundliche Colloquium. Daß ich mich denselben fügen sollte, hatte nur den Zweck, entweder wider mein Gewissen auf ihre Seite mich zu ziehen, oder Lärm und Zank zu beginnen. Dr. Burgmann, der Decan der theologischen Facultät, weigerte sich sogar in empörendem Hochmuth, die Statuten, worauf ich mich verpflichten sollte, auch nur zu zeigen. Die verständigen Leute warnten die Eiferer, der Herzog dispensierte mich, aber umsonst! Ich sollte erst nachgeben."
"Ein protestantischer Fürst hat vermöge der Grundgesetze des deutschen Reichs das oberste jus circa sacra und hat nicht nöthig, noch ist er verbunden, bei Besetzung kirchlicher und theologischer Aemter auf etwas Anderes zu sehen, als daß der Candidatus heilig, allenfalls auch eidlich versichere, er sei den symbolischen Büchern unserer Kirche zugetan und wolle sich in der Lehre aufrichtig und gewissenhaft darnach richten. Auch nicht einmal bloß aus Ursache der Religion, sondern auch aus bürgerlichen Umständen, wenn der Candidat für sich im bürgerlichen Leben es unanständig und
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schimpflich hält, sich einem solchen Colloquio oder Examini seiner Collegen zu unterwerfen, ist der Landesherr schuldig, ihm dergleichen aufzuerlegen. In Meklenburg ist der selige Dr. Rönnberg, nachmals Superintendent in Güstrow, ein Exempel davon. Er wollte bloß aus jenen bürgerlichen und politischen Gründen sich solchen Statutis und Forderungen der Rostocker theologischen Facultät nicht unterwerfen, um fürstlicher Professor daselbst zu werden, und der damals regierende Durchlauchtige Landesherr nahm solches so wenig ungnädig, daß Höchstdieselben vielmehr diesem Manne eine anderweitige wichtige Stellung anvertrauten, um ihn aus dem Verdruß und den Händen der Rostocker zu befreien."
"Dies mochten auch meine Gegner wollen, daß der Herzog mich wenigstens von Rostock fortnehmen möchte. Dies wollte der Hochselige Herzog Friedrich nicht, sondern Hochdero Absicht war unveränderlich, weil Hochdieselben wußten und überzeugt waren, ich sei dem echten lutherischen Lehrsystem zugetan, daß ich bloß hiernach und nach den symbolischen Büchern unserer Kirche die Theologie dociren solle, und Hochdieselben befahlen daher der Facultät, wie es die Grundgesetze des protestantischen Kirchenrechts mit sich bringen, von mir weiter nichts zu fordern als eine aufrichtige Angelobung, den symbolischen Büchern zugetan zu sein und zu bleiben, wie es das beiliegende Reskript beweist."
Unsern . Nachdem wir aus Euerem unterthänigen Bericht vom 6. h. vernommen, welche Bewandtniß es mit den Statutis der theologischen Facultät und der Formula juramenti, wonach ein recipiendus zu schwören schuldig sein soll, im Grunde habe, so ist hiermit Unser Landesfürstlicher Wille und Befehl, daß in Ansehung der auf Unsern Ruf und Befehl zu recipirenden Doctorum dasjenige Euch pro lege et formula hiermit vorgeschrieben sein soll, was folgt:
Lex VI. Si cui in alia Academia sunt collata insignia Doctorum, non debet recipi nisi praestito prius quod sequitur juramento:
Ego N. N. juro, quod doctrinam in scriptis propheticis et apostolicis comprehensam eidemque conformia Augustanae Confessionis et Librorum Symbolicorum dogmata constanter profiteri, tueri et servare et omnia scandala, quae nomen Domini et dignitatem officii mei deforment, cavere velim. Sic me Deus juvet!
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Wir befehlen Euch hiermit also gnädigst, unsern Consistorial=Rat Doctoren Döderlein, wenn er den hiermit vorgeschriebenen Eid geleistet haben wird, ohneinstellig in facultatem gewöhnlicherweise zu recdipieren, und wie solches geschehen, fördersamst ad acta zu berichten. Lübeck, den 26. Juni 1758."
"Aber die Rostocker erwiesen eine unleugsame halsstarrige Widerspenstigkeit und dadurch nicht allein einen gegen alle vernünftigen protestantischen Grundmaximen anstoßenden Gewissenszwang und Intoleranz, daß sie schlechterdings die Leute zwingen wollten, sich ihren unausgemachten Privatmeinungen und Hypothesen zu unterwerfen, sondern begingen auch dadurch groben und sträflichen Eingriff in das oberste jus circa sacra eines protestantischen Landesfürsten."
"Der Höchstselige Fürst und das ganze protestantische Publikum waren durch meine öffentlich gedruckten Bücher und Schriften überzeugt, daß meine Grundsätze echt protestantisch und lutherisch waren, und noch viel mehr offenbarten dies meine nachfolgenden Schriften. Dies bezeugen auch alle echt protestantischen Theologen und nennen mich einen lebendigen Zeugen der Wahrheit. Nur heimliche oder offenbare Feinde des Christenthums suchten sich an mir zu reiben, fanden aber keine Ursache. Wie hätte also der Höchstselige Herzog den Rostockern nachgeben sollen! Ich will keinen Ruhm durch meine Schriften, sondern nur Christhum verherrlichen und seine Lehre der Welt ans Herz legen. Dies Zeugniß werde ich nie ablassen demüthig und unerschrocken abzulegen, es möge mir in der Welt gehen, wie es wolle."
"Was die Einrichtung der neuen Universität betrifft, so hätte ich den ersten Anschlag und Rath dazu gegeben? Wollte Gott, es wäre so! Es ist keine ungewöhnliche Sache, daß ein erhabener Fürst dem Gott die Kraft dazu verliehen hat, eine neue Universität anlegt, wenn die Schon vorhandene zu seinen Zwecken nicht schicklich und hinreichend zu sein scheint. Es war aber offenbar und der Höchstselige Herzog sahen es mit Augen, daß die Rostocker Theologen mit dem größten Theil ihrer Collegen sich allen guten Absichten und christlichen Bestrebungen des frommen Fürsten, das echte praktische Christenthum in Meklenburg auszubreiten, durch alle möglichen Künste widersetzten; und jeder wahre und echte Christ sah ein, daß der Herzog durch die Rostocker Universität bei ihrer damaligen fortdauernden Verfassung niemals zu Hochdero Zweck kommen werde. Wenn nun ein redlicher und treuer Bedienter, der eben dazu berufen war und dessen ganzes Geschäft nach dem Willen des frommen Fürsten es sein sollte, das wahre praktische Christenthum nach den
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echten und protestantischen und lutherischen Grundsätzen auszubreiten, auch den ersten Anschlag gegeben hätte, zur Erreichung der guten Absichten eine neue Universität anzulegen und solche nach dem Höchstihnen von Gott gegebenen Vermögen einzurichten: so könnte er ja doch nicht beschuldigt werden, daß er den Fürsten zu unnützen und verderblichen Ausgaben verleitet habe, wenn auch gleich ohne seine Schuld durch Verschuldung widriggesinnter Leute die hohe Absicht hätte nicht völlig erreicht werden können, und es also scheinen möchte, als ob der Aufwand vergeblich gemacht und also vieles ganz vergeblich und zum Schaden der landesherrlichen Finanzen wäre ausgegeben worden. Ein solcher Vorwurf wäre jesuitisch."
"Aber, gnädigster Herzog und Herr! ich war nicht einmal derjenige, der die ersten Anschläge zu einer neuen Universität gegeben hat. Die Hohen Archive werden es zeigen, wer es gewesen und die ersten Projekte gemacht hat. Beweis dessen ist auch beiliegender Brief:
"23. October 1759.
Gestern ward mir von Serenissimo Befehl, das beigeschlossene Project wegen einer neuen Akademie Ew. Hochwürden zuzusenden. Serenissimus sind der Meinung, daß darin viel Unnöthiges, und möchten, daß Ew. Hochwürden Ihre Gedanken äußern, sich aber NB. mit keinem einzigen Menschen davon etwas merken lassen. Es wird wohl ein Project bleiben, denn es fehlt an Geld, Geld!
Martini."
"Und obgleich die guten Absichten des frommen Fürsten vereitelt wurden, und die Universität nicht das Aufsehen in der Welt, wie ich erwartet, machte, so war sie doch nicht ohne Segen und Nutzen. Gott richtet nicht nach dem schein, er siehet das Herz an; und viele haben den Grund zur wahren Gottesbekenntniß hier gelegt. Das Feuer, welches von hier ausgeht, wird meine Feinde verzehren. Daß die Universität zu großen Aufwand erfordert habe, möchte auch nicht zutreffen, da doch Herzogliche Durchlaucht die Domänen und Finanzen in blühendstem Zustande hinterlassen haben."
"Der Grund, weshalb die Universität nicht zur Blüte gelangt ist, liegt in der Bosheit der Feinde, die durch ganz Deutschland Bützow in den Ruf einer pietistischen Universität brachten, liegt in der Untüchtigkeit mancher ihrer Lehrer, liegt besonders aber in der zu lax gehandhabten Disciplin. Ich habe viel gekämpft und gelitten, um es zu ändern."
"Den Geistlichen in Schwerin, dessen Ew. Herzogliche Durchlaucht zu gedenken geruhen, habe ich nicht zu gebrauchen gesucht,
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sondern er hat mich gebraucht. Ich habe den Mann, als ich ins Land kam, nicht gekannt, mit ihm weder Bekanntschaft noch Correspondenz gesucht, sondern er hat mir in Serenissimi Auftrag zu schreiben angefangen. Ich habe mit ihm auch niemals anders als amtlich verkehrt und würde nicht scheuen, diese Correspondenz zu veröffentlichen."
"So habe ich also nicht mit fremdem Kalbe gepflügt, sondern nur befolgt, wozu ich verpflichtet war. Was jener Geistliche damals für innere Gesinnung hegte, möge der Schluß eines Briefes vom 29. November 1758 beweisen:
""Die Hauptsache aber bei unserm Vornehmen soll sein, daß wir uns dem Gnadenstuhl Jesu Christi darstellen und ihn inbrünstig anflehen, die Brüche Zions zu heilen, die Stadt Gottes zu befestigen und zu erweitern und sich, wie er verheißen, um sie her wie eine feurige Mauer zu lagern, dagegen alle Pfeile des Bösewichts und seiner Werkzeuge nichts auszurichten vermögen. Er segne Ew. Hochwürden reichlich und laß uns glauben im Glauben, aus Kraft in eine neue Kraft gehen und erfüllt werden mit Früchten der Gerechtigkeit zum Leben seiner Herrlichkeit!""
"Was jener Geistliche jetzt für Gesinnungen hat, begehre ich nicht zu beurtheilen. Der Herr wird seiner Zeit selbst ans Licht bringen, was jetzt im Finstern verborgen ist, und den Rath des Herzens offenbaren."
"Uebrigens hoffe ich, daß die Feinde fortan schweigen werden, sonst werde ich dem Publikum die Sache vortragen "
Der Herzog ließ sich auf eine weitere Auseinandersetzung nicht ein: "Serenissimus haben sich nicht geirrt", antwortete das Ministerium; "doch, obgleich der Schade unersetzlich, wollen Höchstdieselben das traurige Gedächtniß daran vergessen."
Es gehört nicht hierher, von den abscheulichen Verleumdungen, denen der Gottesmann preisgegeben war, weiter zu reden. Der Tod erlöste ihn am 4. November 1789, ehe er noch vor dem Publikum sich gerechtfertigt hatte. Der Gram über Alles, was er erlebte, brach ihm das Herz. Mußte er doch sehen, daß an seine Stelle im Consistorium der Professor Belthusen berufen wurde!
Die Bützower Universität erhielt durch nachfolgendes Patent vom 27. April 1789 ihr förmliches Ende:
"Demnach auf ausdrücklichen gnädigsten Befehl des Durchlauchtigen Herzogs und Herrn Friedrich Franz. Re=
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gierenden Herzogs zu Meklenburg u. s. w., die im Jahre 1760 gestiftete Friedrichs=Universität hierselbst nunmehr aufgehoben worden ist, mithin alle akademischen Handlungen derselben ihre Endschaft erreicht haben, folglich nicht allein auch mein bis hierher geführtes Rektorat hiermit aufhört, sondern auch von den an gedachter Universität gestandenen Lehrern ihre bis jetzt ihnen gnädigst anvertrauten Funktionen niedergelegt worden sind, so wird, daß solches geschehen, auf Höchst besonderen Befehl von mir, dem bisherigen Rector
der Weltweisheit Doctor, der freien Künste Magister und bisherigem öffentlichen Lehrer der Oekonomie, hiermit feierlichst öffentlich angezeigt und bekannt gemacht."
Angeschlagen unter dem bisherigen größeren Siegel.
Bützow, den 27. April 1789.
Es möge mir am Schluß gestattet sein, meine Ansicht über die Gründe, weshalb Bützow nicht zur Blüte gelangt ist, kurz zusammenzufassen:
Der erste und vorwiegendste Grund lag in der ganz unzulänglichen Besetzung der Facultäten. Denn die 13 Professoren, auf welche das Collegium beschränkt sein sollte, 3 Theologen, 3 Juristen, 2 Mediziner, 5 Philosophen, waren, auch wenn sie die größte Vielseitigkeit, den angestrengtesten Fleiß bewiesen hätten, außer Stande, Alles zu lehren, was Studierende lernen wollen und müssen. Aber weder traf jene Voraussetzung zu, da brauchbare Lehrer von Ruf sich nicht finden ließen, noch war auch nur immer die vorgesehene Zahl vorhanden; es fand der größte Wechsel statt. In der theologischen Facultät waren nur während 12 Jahre 3 Professoren, in der juristischen nur während 16 Jahre 3 Professoren, in der medizinischen dagegen während 13 Jahre 3 Professoren statt 2, in der philosophischen endlich wurde die Durchschnittszahl von 5 Professoren ziemlich regelmäßig innegehalten. Das Bedenklichste aber war, daß der Etat Besoldungen tragen mußte von Professoren, welche gar nicht lasen, so von Aepinus, Reinhard und Spangenberg. Wer also auf die Zahl und Güte der Lehrer sah, konnte, wenn ihn nicht etwa Nebenabsichten leiteten, kaum auf den Gedanken kommen, seinen Sohn nach Bützow zu schicken.
Als zweiten Grund sehe ich an, daß der Fonds von 8000 bis 9000 Thlrn. für die Erhaltung der Universität unzulänglich war. Der ursprüngliche Anschlag war gewesen, daß 12 Professoren durch=
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schnittlich je 600, der Secretair 200 Thlr., der Pedell 100 Thlr. haben sollte. (Sm. 7500 Thlr.) Der Rest sollte zum sonstigen Unterhalt der Universität dienen. Aber bald stellte sich bei der Theuerung des Lebens in Bützow heraus, daß der ganze Fonds, wenn die Professoren nicht in Hunger und Kummer umkommen sollten, allein für die Gehalte verwandt werden mußte.
Der dritte Grund lag darin, daß bei dem Mangel auch an den nothwendigsten akademischen Einrichtungen weder Professoren noch Studenten mit Erfolg und Freudigkeit arbeiteten, in Folge dessen eine Zuchtlosigkeit ohne Maßen einriß.
Als letzten und nicht leichtest wiegenden Grund führe ich das Uebelwollen der Regierung gegen die Universität an; der Geh. Rath J. P. Schmidt war selbst vordem Rostocker Professor gewesen und wünschte nichts mehr, als Wiederherstellung der allberühmten Alma Mater in Rostock; ihm war Döderlein verhaßt und mit Döderlein die ganze Universität in Bützow. Durch Aepinus hatte er das Aufblühen der neuen Hochschule verhindert; durch eben denselben sorgte er dafür, daß die kommissarischen Verhandlungen mit Rostock nicht abgebrochen wurden, so daß das Bestehen der Fridericiana eine stete Frage bloß der Zeit blieb. Mit dem Hinweis auf die üble Lage des Landes und die noch übleren, hoffnungslosen Verhältnisse der neuen Universität hintertrieb er als Curator leicht, daß irgend Etwas für Bützow geschah, und alle Klagen und Bitten der Professoren ungehört blieben. Er erlebte noch das Ziel seines Wunsches, die Wiedervereinigung der getrennten Akademien; 83 Jahre alt starb er am 6. November 1790.
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Anhang.
~~~~~~~~Die Stadt Bützow.
Die Stadt Bützow liegt in der Mitte zwischen den vier größten Städten Meklenburgs, Schwerin, Rostock, Wismar, Güstrow, in der Niederung, wo die Warnow mit der Nebel sich vereinigt. Die im Mittelalter als Residenz der Schweriner Bischöfe blühende Stadt war im 16. Jahrhundert bereits tief gesunken und besonders durch eine gräuliche Pest im Jahre 1581 verödet; im Jahre 1632 waren nur mehr 1000 Bewohner da, von denen dann der verheerende Krieg wenige zurückließ. Die nach dem 30jährigen Kriege vornehmlich unter dem Einfluß der dort sich ansiedelnden Emigranten aus Frankreich wieder neu erstehende Stadt wurde im Jahre 1716 die Beute einer Alles verzehrenden Feuersbrunst. In dieser traurigen Verwüstung blieb Bützow bis zur Errichtung der Universität daselbst. Wir haben oben von dem Elend der Bürger genug gesprochen; sehen wir, welchen Einfluß die Universität auf die Entwickelung der Stadt hatte!
Im Jahre 1788 hatte Bützow, außer den Schloßgebäuden und den 3 Kirchen, 284 Häuser mit einer Einwohnerzahl von 1800 Seelen. Die Straßen waren breit und regelmäßig die Häuser zum größeren Theil gut gebaut und geräumig, viele zweistöckig und in guter Farbe gehalten; zwei große Marktplätze waren eine Zierde der Stadt. Der Stadtwall war planiert und zu einer schönen Promenade umgeschaffen.
Die Leitung der Stadt führten zwei Bürgermeister und ein Ausschuß von 20 Bürgern; die Kämmerei=Einkünfte betrugen
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2000 Thaler, wovon 26 Gebäude und viele Dämme und Brücken zu unterhalten waren. Die Schuldenlast betrug nur noch 10,000 Thaler.
Was Bützow mit der Aufhebung der Akademie verlor, erzählt uns ein Zeitgenosse: "Der Wohlstand unserer Stadt ist dahin; schon stehen acht der vorzüglichsten Wohnungen leer, und wenn auch einige oder alle mit Familien wieder besetzt werden sollten, was indes nicht wahrscheinlich, wo ist unsere Akademie? 8000 Thaler mehr oder weniger erhoben Bützow aus einem Dorfe und stürzen es wahrscheinlich in seinen vorigen Zustand zurück. Denn Bützow hat keine Nahrungsquelle als den Ackerbau, und dieser reicht nicht hin, unsere durch angewöhnten Luxus zur Nothwendigkeit gewordenen Bedürfnisse zu bestreiten. Bützow ist von jeher ein Gegenstand landesherrlicher Vorsorge gewesen, und daraus allein gründet die Bürgerschaft gegenwärtig ihre zuversichtliche Hoffnung. Die Sitten sind verfeinert, verwöhnt, der Bedürfnisse viele geworden, unsere ländlichen Wohnungen sind zu gut ausgebauten Häusern geworden, erfordern mehr zum Unterhalt und tragen nichts mehr ein. Zum landwirtschaftlichen Gebrauch sind sie nicht mehr tauglich. Viele Bürger drückt noch die Schuldenlast, die sie zur Ausbauung ihrer Häuser anzuwenden gedrungen wurden, um die Akademie aufzunehmen, und wo sollen sie das Geld hernehmen, um den zu hohem Preis verpfändeten Acker, den sie dafür hergaben, wieder einzulösen? Die sehr zahlreichen Handwerker werden sich verlieren; wer soll sie noch beschäftigen? Viele sind ruiniert!
Denn die Einwohner singen gerade an sich zu erholen, gleichwohl sind sie im Ganzen nicht wohlhabend. Ihr Reichthum besteht in den nun werthlosen Häusern. Von den 1200 Morgen Acker sind auf Pfand fortbegeben 732 Morgen, nur 468 sind noch Eigenthum der Bürger. Der Verkehr der Einwohner läßt sich am sichersten nach der Consumptions= und Nahrungssteuer beurtheilen. Der fünfte Pfennig brachte im Jahre 1787: 727 Thlr. 17 Schill. Hiernach hatte die Steuer 2909 Thlr. 20 Schill. eingetragen, während der Accise=Ertrag z. B. der Stadt Grabow zwischen 6000-7000 Thlr. stehet."
Die Sorge der Bürger war unnütz; denn die vielen bequem eingerichteten Professorenwohnungen, sowie das rege geistige Leben, das sich in Bützow um die Universität gesammelt hatte, veranlaßten nach der Aufhebung der Akademie viele adlige oder bürgerliche Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere u. A., nach Bützow von der Arbeit sich zurückzuziehen. Dazu kam, daß im Beginn des 19. Jahrhunderts
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Herzog Friedrich Franz das Criminalgericht in Bützow begründete, woraus der Stadt unermeßlicher Nutzen erwuchs.
Aus dieser kurzen Darstellung ist hinreichend ersichtlich, daß die Stadt Bützow ihre vor den übrigen kleineren Orten des Landes hervorragende Bedeutung namentlich von der Gnadenbezeugung des Herzogs Friedrich im Jahre 1760 herzuleiten hat.
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:
des
von Meklenburg
von
Dr. F. Wigger,
Geh. Archivrat.
Einleitung.
E s ist bereits ein halbes Jahrtausend verflossen, seitdem man den ersten Versuch machte die Genealogie unsers Regentenhauses darzustellen, und kaum ist seitdem ein Jahrhundert vorübergegangen, das nicht einige immer fortgesetzte Stammbäume desselben aufzuweisen hätte. Aber seitdem Rudloff seinem auch jetzt noch unentbehrlichen Handbuche der mecklenburgischen Geschichte vollständige Stammtafeln über die Entwicklung des Fürstenhauses im Mittelalter hinzugefügt hatte und zum Staatskalender wenigstens die Abfolge der Regenten aus der blühenden mecklenburgischen Linie zu geben pflegte, standen eine Weile Lisch mit seinen zahlreichen Einzelforschungen und Beyer mit seiner scharfsinnigen Abhandlung über Kruto und sein Geschlecht so ziemlich allein da auf dem Gebiete der mecklenburgischen Fürstengenealogie, und eine umfassende Revision der fürstlichen Stammtafel haben auch sie nicht unternommen. Ihre Ergebnisse sind sorgfältig verwerthet in den trefflichen genealogischen Tabellen von Camill v. Behr und Cohn 1 ); allein Werke, welche alle deutschen oder gar alle europäischen Regenhäuser umfassen sollen, erfüllen vollständig ihren Zweck, wenn sie den jedesmaligen Stand der Forschung wieder
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geben, und müssen den Spezialhistorikern die Ausgabe überlassen, die Stammtafeln der einzelnen Fürstenhäuser immer aufs Neue nach den Quellen zu revidieren und zu den einzelnen Daten die Beweise zu liefern.
Eine solche Arbeit in ähnlicher Weise, wie ich im 34. Jahrbuche die Stammtafel der erloschenen Grafen von Schwerin behandelt hatte, auch für unser Großherzogliches Haus zu unternehmen, gab mir die Redaction des Meklenburgischen Urkundenbuches vielfach Anreiz; und wenngleich das urkundliche Material erst bis zum Jahre 1400 gesammelt ist, mir also die Gefahr drohet, daß ich noch hier und da Urkunden des 15. Jahrhunderts, welche genealogische Daten enthalten, übersehen habe, glaube ich doch bei einer so erfreulichen Veranlassung, wie mir die bevorstehende Jubiläumsfeier unsers Vereins bietet, den Versuch schon wagen zu dürfen, meiner Vorgänger und meine eigenen Ergebnisse in der Genealogie unsers Regentenhauses zu einer Stammtafel zusammenzufassen. Es wird mich sehr erfreuen, wenn andere Forscher meinem Versuche die Beachtung schenken, meine Resultate zu prüfen, zu berichtigen und zu erweitern.
Das Hauptgewicht lege ich ans die Rechtfertigung der gegebenen Daten, und damit auf die Behandlung der ersten 15 Generationen. Denn über die meisten Daten der letzten 10 fehlt es nicht an amtlichen Kundgebungen über die in den Stammtafeln zur Darstellung gelangenden Ereignisse in dem Fürstenhause und an gleichzeitigen Druckschriften, welche die Datierungen erleichtern; es wird daher hier in der Regel genügen, einfach auf das Großherzogliche Geh. und Haupt=Archiv zu verweisen.
Anders steht es um die Generationen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Auch für diese bleiben selbstverständlich die Urkunden unsere vornehmsten Quellen, und sie reichen in der Regel auch dazu aus, den genealogischen Zusammenhang vollständig und sicher zu erweisen. Indessen enthalten sie selten bestimmte Angaben über Jahre und Jahrestage, welche für die Stammtafel gewünscht werden, sondern gewähren meistentheils nur annähernde Zeitbestimmungen, und damit allerdings doch die Möglichkeit, die Daten der Annalisten und Genealogen alter Zeit aus ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen und gebotenen Falles zu berichtigen.
Denn wer zeichnete im Mittelalter die Geburtstage der fürstlichen Kinder auf? und wie selten lassen sich auch nur die Geburtsjahre aus den gelegentlichen Angaben in den Urkunden berechnen! Für die Daten der Vermählungen geben vielfach die Ehepakten
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wenigstens einigen Anhalt. Ueber die Todestage, und auch wohl über manches Todesjahr, das wir jetzt mühsam zu ermitteln suchen müssen, würden wir sicher unterrichtet sein, wenn nicht der protestantische Eifer des 16. Jahrhunderts sämtliche Todtenbücher der katholischen Stifter und Kirchen in Meklenburg, und Kriegsverwüstungen, Mangel an Pietät und selbst "Restaurationen" die meisten Grabschriften aus dem Mittelalter vernichtet hätten. Als den empfindlichsten Verlust beklagen wir den Untergang des Nekrologiums des Klosters Doberan, welches schon Marschalck zutreffend als das commune conditorium unsers Fürstenhauses bezeichnet hat. Dafür giebt uns das in 2 Abschriften erhaltene Fürstennekrologium aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, welches vormals ein Kreuzgangsfenster zu Doberan schmückte 1 ), doch nur geringen Ersatz.
Gewiß gaben auch die Fürstengräber und die Einzeichnungen des Todtenbuches, sowie andere chronistische Aufzeichnungen über das Fürstenhaus zu Doberan die erste Anregung dazu, daß eben hier die genealogischen Arbeiten über unser Regentenhaus ihren Anfang nahmen. Die erste - uns erhaltene! - Frucht derselben ist die 1364 abgeschlossene Genealogia Doberanensis, von welcher dann sofort eine Abschrift genommen, mit unwesentlichen Erweiterungen versehen und zu Parchim (Genealogia Parchimensis) ins Stadtbuch eingeheftet ward 2 ). Der uns dem Namen nach unbekannte
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Doberaner Genealoge setzt erst dort ein, wo die Urkunden des Klosters beginnen, und wenngleich er Chronika Saxonum et Slauorum erwähnt, beruhen doch seine Angaben ersichtlich vorzugsweise aus urkundlichen Nachrichten, die er mit größter Gewissenhaftigkeit verwerthet.
Der Zeit nach mag auf die Genealogie zunächst das erwähnte Nekrologium folgen, wenn anders dasselbe (nach den Abschriften zu schließen) in Minuskeln geschrieben war. Etwa gleichzeitig mit demselben begann aber auch Kirchberg im Jahre 1378 auf Herzog Albrechts II. Anregung seine Reimchronik, deren genealogische Daten über das mecklenburgische Fürstenhaus, wie man schon aus der Uebereinstimmung mit dem Nekrologium in gemeinsamen Fehlern schließen muß, größtentheils aus Doberaner Quellen geflossen sein werden. Die hohe Bedeutung dieser Reimchronik für unser Thema wird sich weiterhin ergeben, wo wir jede Angabe einzeln mittheilen und an den Urkunden prüfen werden, soweit solche es nur zulassen. Kirchberg als Historiker überhaupt zu würdigen, ist hier nicht der Ort; viele seiner Irrtümer fallen aber gewiß schon seinen Quellen und Gewährsmännern zur Last, im Allgemeinen wird man seiner Umsicht und seiner Gewissenhaftigkeit die geziemende Anerkennung nicht versagen dürfen 1 ).
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Noch einmal regte sich, zu Anfang des 15. Jahrhunderts, in Doberan die Lust zur Geschichtsschreibung; die Doberaner Genealogie empfing zwischen den Jahren 1404 und 1412 1 ) eine Fortsetzung in der ursprünglichen Weise. Auch zu Parchim nahm man etwa um das Jahr 1460 2 ) wieder einen kleinen Anlauf; es entstand damals die Stammtafel zu der Parchimschen Genealogie und (wohl von demselben Verfasser) eine kurze Aufzeichnung über den Abgang der Fürsten von Wenden (Werle). In beiden fehlt die Nachkommenschaft Bernhards von Werle=Waren, und die Genealogie der Rostockschen Linie ist in der Stammtafel aus unbekannter Quelle ganz fehlerhaft dargestellt.
Damit aber, wenn wir noch die Chronik über die Rostocker Domhändel hinzurechnen, erschöpft sich auch der Rest von unserm Schatz einheimischer Geschichtsschreibung im 15. Jahrhundert, nachdem die große lateinische Chronik in 2 Bänden, welche der Bischof Nicolaus Böddeker († 1459) hatte schreiben lassen und welche der Wismarsche Rath leider an den Lübischen Prediger und Chronikenschreiber Reimarus Kock verliehen hat, damit anscheinend auf immer für uns verloren gegangen ist. Immerhin ist es aber für uns ein Glück, daß die Fortsetzer des Detmar, dem wir so manche Daten aus unserer Fürstengeschichte verdanken, Korner und Andere,
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auch im 15. Jahrhundert Meklenburg ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben.
An der Spitze der Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts steht dann freilich ein Mann von hervorragender Bedeutung, Albert Krantz, der durch seine Wandalia und seine Metropolis sich um unsere Fürsten= und Landesgeschichte große Verdienste erworben hat; allein die Genealogie läßt dieser Schriftsteller sehr zurücktreten. Seine Stammtafeln über die Meklenburgische und über die Werlesche Linie (Wand. VII, 16 und 42) haben uns keinen einzigen Beitrag geliefert. Seinem Plan gemäß beschränkt er sich darauf die Abfolge der Regenten zu verzeichnen; er übergeht aber dabei Herzog Albrecht V. von Meklenburg=Schwerin und Albrecht II. von Meklenburg=Stargard, dagegen nennt er einen in Urkunden und auch sonst völlig unbekannten Johann als einen Sohn des Fürsten Nicolaus V. von Werle=Waren.
Uebrigens scheint Krantz - gewiß sehr wider seine Absicht - durch rhetorischen Schmuck in seiner Gedächtnisrede auf Herzog Magnus II. (Wand. XIV, 33) ein großes Unheil in der mecklenburgischen Geschichtsschreibung angerichtet zu haben. Er findet nämlich dort, daß das hohe Alter des mecklenburgischen Fürstenhauses noch viel zu wenig gewürdigt werde; denn schon in der vorchristlichen Zeit, als die Fabier und Cornelier blüheten, habe es mit den Dänen gekämpft; die Römer hätten nie gewagt die Elbe zu überschreiten; Karl der Große habe die Freundschaft der mecklenburgischen Fürsten gesucht u. s. w. Kurz, Krantz geht aus von der Voraussetzung, daß zwischen Niklots Haus und den allerältesten, vorslavischen Fürsten Meklenburg ein verwandtschaftliches Verhältniß bestehe. Diesen Gedanken griff dann aber Nicolaus Marschalck (Marescalcus Thurius) auf und erdichtete, wie man dergleichen zu seiner Zeit liebte, vermöge ausgebreitetster Belesenheit und mit historischer Leichtfertigkeit in seinen 1521 gedruckten Annalium Herulorum ac Vandalorum libri septem nicht weniger als 38 Stammverwandte Vorgänger Niklots in der Königswürde, deren ältester Ahn, Anthyrius, bis in die Zeit Alexanders des Großen hinausragt!
Dies ist jedoch nur der erste Theil seines Werkes, welches Marschalck bis auf seine eigene Zeit fortsetzte. Als die zweite Abtheilung läßt sich der Abschnitt bezeichnen, wo er Kirchberg folgt, und als die dritte derjenige Zeitraum, für welchen er auf andere Quellen angewiesen war. Natürlich ist diese letzte Partie für uns die wichtigste; allein, wenn man in der zweiten Abtheilung steht,
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mit welcher Flüchtigkeit Marschalck den Kirchberg stellenweise gelesen und excerpirt, wie arg er denselben nicht selten mißverstanden, wie er mitunter einen pragmatischen Zusammenhang hergestellt hat, wo sein Vorgänger solchen gar nicht andeutet, und dann dessen Worte in sein wunderliches Latein hineinzwängt: so kann man nicht umhin, die späteren Angaben Marschalcks, deren Fundstätte wir nicht kennen, nur mit größter Vorsicht aufzunehmen und, soweit es die Urkunden irgend gestatten, einer scharfen Prüfung zu unterwerfen. Andererseits darf man freilich auch nicht außer Acht lassen, daß Marschalck nachweislich zu Doberan in engeren Beziehungen stand, und daß zu seiner Zeit die Necrologien der mecklenburgischen Stifter und Kirchen noch vorhanden waren, und solche neben dem Todestage auch noch Einzeichnungen über Schenkungen an das betreffende Stift . zu enthalten pflegten, - daß ferner damals unzweifelhaft noch viele Todesjahre und Todestage nachgewiesen wurden durch Inschriften auf Grabsteinen, die jetzt längst vertreten oder beim Abbruch von Klöstern bei Seite geworfen oder auf andere Weise untergegangen sind. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen wir, statt Beispiele anzuführen, einfach auf unsere späteren Abschnitte, in welchen wir alle Angaben Marschalcks einzeln anführen und würdigen werden.
Kaum hatte Marschalck seine Annales veröffentlicht, als sie auch schon in dem stillen St.=Klaren=Kloster zu Ribnitz von einem Annalisten benutzt wurden. Bruder Lambrecht Slagghert von Stralsund, der Michaelis 1522 aus Hamburg in jenes Kloster als Beichtiger kam, ließ sich bald von den Nonnen bewegen, aus weltlichen Chroniken und aus Büchern über den St. Klarenorden, sowie aus den Quellen, welche das Kloster Ribnitz besaß - er selbst nennt dat dodenbo e ck, breue und die cronik - eine Chronik des Klosters zu verfassen. Schon am 22. Novbr. 1523 widmete er diese der Aebtissin Dorothea und den Nonnen. Da das Kloster von Heinrich II. von Meklenburg gestiftet war, und von den früheren sieben Aebtissinnen vier, sowie eine Vicaria und eine Nonne dem herzoglichen Hause angehört hatten, desgleichen die dermalige Aebtissin Dorothea eine Schwester, und ihre Vicaria Ursula eine Tochter des Herzogs Heinrich V. war: so gestaltete sich die Klosterchronik so zu sagen von selbst auch zu einer Chronik der Aebtissinnen, über welche sich im Kloster Auszeichnungen vorfanden, und indem auch über deren Verwandte Angaben eingeschaltet wurden, zugleich zu einer Chronik des herzoglichen Hauses seit Heinrich II. Es war für Slagghert ein glücklicher Umstand, daß seine Aebtissin Dorothea schon 1480 geboren war, ihre persönlichen Erinnerungen also fast
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40 Jahre zurückreichten, und daß er auch aus der Zeit, die er selbst nun im Kloster verlebte, von dieser Herzogin, die in stetem brieflichem Verkehr mit ihren Verwandten stand, alle wichtigeren Ereignisse aus dem herzogl. Hause zuverlässig erfuhr. Er hat seine aus den speziellsten Vorfällen im Kloster und aus Nachrichten über das Fürstenhaus gemischten Einzeichnungen nur bis Michaelis 1532 fortgesetzt, aber doch in das Verzeichniß der verstorbenen Klosterschwestern auch noch den Tod der Elisabeth Jork von Lätare 1533 und ihr Begräbniß am Abend Annunciacionis Marie (24. März) eingetragen. - Slagghert zeichnet sich weder durch einen weiten und freien Blick noch durch Kunst der Komposition aus; er erzählt schlicht und treuherzig in gemütlicher Breite, zu welcher der niederdeutsche Dialekt sich so gut eignet, wiederholt sich auch mitunter. Seine Register des Klosterpersonals, der Hebungen, Schenkungen . sind sehr fleißig zusammengetragen, die Schenkungen aus dem Todtenbuche zusammengestellt, dabei jedoch leider nicht die Todestage der Geber genannt, bei welchen sie eingetragen zu werden pflegten. Kritik ist nicht Slaggherts Stärke: doch findet er sich veranlaßt, sich bei einer Wundergeschichte durch Berufung auf die Erzählung der oltsustern zu decken.
Einen Fortsetzer hat Slagghert erst etwa 40 Jahre später in dem Prediger Jakob Isermann gefunden, der 1569 ans Kloster berufen ward und bis zum Jahre 1578 mancherlei Einzeichnungen hinzugefügt hat 1 ).
Am Hofe zu Schwerin scheint man damals wenig genealogische Aufzeichnungen gemacht zu haben; das Großherzogliche Archiv besitzt aus jener Zeit nur ein einziges Quartblatt, auf welchem 9 Todestage und 2 Geburtstage fürstlicher Personen aus der Zeit von 1477-1524 (nach der Handschrift zu schließen, 1524 oder doch bald danach in einem Zuge niedergeschrieben). Wir bezeichnen dieses Blatt als "Daten von 1477-1524."
An diese Aufzeichnung schließt eine von uns als "Daten von 1525-64" citirte, welche 13 Geburts=, Hochzeits= und Todestage aus dem mecklenburgischen Fürstenhause von 1525-57, dahinter
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aber noch 13 solcher Daten aus dem dänischen Königshause bis 1564 enthält. Das Ganze ist von einer Hand geschrieben, und zwar nicht vor 1566, gewiß aber auch nicht viel später, und höchst wahrscheinlich am Hofe Herzog Ulrichs zu Güstrow. Denn es ist die Bemerkung eingeschaltet: "Hertzog Caroln zu Mekelenburgk ., Desgleichen Fraw Annen geboren zu Mekelenburgk, Herzoginnen zu Churlandt" [seit 1566], "Geburtstage seindt s. f. g. Hertzogk Vlrichenn zu Mekelenburgk . unbewust." Dieser Herzog und seine erste Gemahlin, Elisabeth von Dänemark, beschäftigten sich beide eifrig mit Genealogie und Heraldik, und haben von dem Erfolg ihrer Studien in dem großartigen heraldisch=genealogischen Denkmal im Dom zu Güstrow, welches ihre Ahnentafeln über ihren Statuen zeigt, der Nachwelt einen glänzenden Beweis hinterlassen.
Ein Auftrag dieser Herzogin gab auch dem Rath des Herzogs Johann Albrecht, Andreas Mylius, 1571 die Veranlassung, seine Genealogie des herzoglichen Hauses Meklenburg zu verfassen. Es ist diesem Schriftsteller immerhin anzurechnen, daß er über die von Marschalck erfundenen Ahnen "jedem seine Meinung gern gönnen" wollte, sich selbst aber von dieser Phantasterei frei hielt und erst dort beginnen mochte, wo Chroniken und Urkunden sicheren Anhalt böten; allein selbständige Forschungen hat auch er nicht gemacht, er schreibt vielmehr die Jahreszahlen Marschalcks ohne Kritik nach. Seine Genealogie ist für uns von geringem Werth. Viel bedeutender sind seine Annales, welche mit der Geburt Herzog Johann Albrechts I. beginnen und bis zum Jahre 1592, bis zu dem Tode der Herzoge Christoph und Johann VII., reichen. Denn von 1548 an lebte Mylius als Vertrauter Johann Albrechts I. fast in steter Umgebung dieses ausgezeichneten Regenten und kannte den ganzen Verlauf seiner Regierung wie kein anderer Zeitgenosse. Da der Herzog Ulrich die Veröffentlichung dieser Annalen nicht wünschte, sind sie bekanntlich erst 1737 in Gerdes' Sammlungen zugleich mit der Genealogie gedruckt (obwohl die letztere schon seit 1599 aus dem Plagiat Calovs bekannt geworden war); benutzt sind aber beide Werke schon, wenn nicht von Simon Pauli, so doch von Chemnitz.
Ueber Simon Pauli wissen wir leider sehr wenig. Von Herzog Adolf Friedrich I. ward er Antoni 1610 als Secretair bei der Regierungs=Canzlei bestellt, am 1. Januar 1616 aber zum Archivar und Lehnssekretär ernannt, und als Solcher empfing er am 2. Febr. 1622 seine letzte Besoldung für das jüngst verflossene Jahr: doch war er noch im October 1622 in fürstlichen Ange=
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legenheiten thätig. Sein Archivamt hat ihm entweder die erste Anregung gegeben eine Genealogie des herzoglichen Hauses zu verfassen, oder doch Gelegenheit dies Werk zu vervollständigen. Leider kennen wir dasselbe aber nur aus den vielfachen Zitaten bei Chemnitz; der Text selbst ist nicht mehr aufzufinden. Es liegt die Vermuthung nahe, daß diese Genealogie das prachtvoll ausgestattete genealogische Werk über das mecklenburgische Fürstengeschlecht war, welches die Herzogin Isabelle Angelique bei ihrem Abzuge aus Meklenburg im Mai 1673 ohne Vorwissen ihres Gemahls, Herzog Christians I. Louis, und zum größten Verdruß seiner Beamten nach Frankreich entführte, wo es noch irgendwo in der Verborgenheit ruhen mag.
Wir führen hier schließlich nur noch das großartige Werk des Johann Friedrich Chemnitz an, der Johannis 1642 vom Herzog Adolf Friedrich I. zu seinem Archivar bestellt ward, Michaelis 1648 aber in den Dienst der Herzogin Magdalene Sibylle von Meklenburg=Güstrow überging. In jenem kurzen Zeitraum von nur 6 Jahren hat Chemnitz Erstaunliches geleistet, indem er den gesamten Urkundenschatz, welchen damals das herzogliche Archiv enthielt, zu einer mecklenburgischen Chronik in der Weise verarbeitete, daß er alle Urkunden, in welchen jeder Fürst auftritt, excerpirte und diese Auszüge mit Einflechtung der ihm bekannten chronistischen Nachrichten in chronologischer Folge zu einer Lebensbeschreibung an einander reihte, am Schlusse aber kurze Nachrichten über die Gemahlinnen und Töchter (leider meistens ohne Angabe der Urkunden, denen sie entnommen sind) hinzufügte. Die saubere Reinschrift seines Werkes, welches mit dem Jahre 1600 abschließt, füllt 6 Foliobände. Gedruckt ist diese Chronik freilich niemals ihrem vollen Wortlaute nach, der Inhalt derselben ist aber bekannt genug, da sie neben dem ausführlichen handschriftlichen Diplomatar, welches E. A. Rudloff gesammelt hatte, dem Sohne des Letzteren, Regierungsrat F. A. Rudloff, als Hauptfundgrube für sein treffliches pragmatisches Handbuch der mecklenburgischen Geschichte gedient hat. Dürftige Auszüge aus dem weitläufigen Werke von Chemnitz sind mehrfach gemacht; eine "Fortsetzung des Johann Friedrich v. Chemnitz Historisch=Genealogischen Nachrichten aller Meklenburgischen Regenten bis aufs Jahr 1722", von J. v. Klein, dem bekannten meckl. Geh. Rath, Kanzler und Hof= und Landgerichts=Präsidenten, entworfen, hat J. E. Michelsen 1749 herausgegeben. Dies Buch, welches nur 88 Quartseiten zählt, ist für die Landesgeschichte unter den Herzogen Friedrich Wilhelm und Karl Leopold, da v. Klein selbst an den Regierungsgeschäften theil=
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nahm, von erheblichem Werthe; dagegen finden sich in den genealogischen Daten manche Fehler, da sie vielfach nur Hübner und andern Genealogen entnommen sind.
Der Stammvater des Großherzlichen Hauses.
Der sicher nachweisbare Stammvater des mecklenburgischen Fürstenhauses ist der im Jahre 1160 im Kampfe gegen die Sachsen getötete Obotriten=Fürst Niklot 1 ). Allein es hat nicht an Versuchen gefehlt, auch noch dessen Ahnen zu ermitteln. Schon E. v. Kirchberg suchte das mecklenburgische Regentenhaus an den Wendenfürsten Gottschalk anzuknüpfen, indem er Niklot für einen Enkel desselben, für einen Sohn von Gottschalks ältestem Sohn Butue, ausgab 2 ), obwohl er für diese Annahme bei Helmold nicht den geringsten Grund fand. Natürlich ist auch für Marschalck Niklot ein Sohn Butues, und er beschenkt ihn freigebig auch mit einer Mutter, einer Ruyanerin Namens Ida, und, wie schon oben bemerkt ward, mit einer Ahnenreihe, die bis auf die Zeit Alexanders des Großen hinaufreicht. Man muß sich fast wundern, daß seine so fruchtbare Erfindungsgabe nicht auch für Niklots Gemahlin Namen und Herkunft erdichtet hat.
Mit solchen Phantastereien brauchen wir uns nun freilich nicht weiter abzufinden 3 ). Dagegen können wir nicht umhin zu
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einer neuen Hypothese, nach welcher Niklot nicht Butues, sondern seines Gegners, Krutos, Enkel war, hier Stellung zu nehmen. Nämlich mein verewigter, sehr lieber College G. Beyer hat 1848 in einer überaus scharfsinnigen und gelehrten Abhandlung (in Jahrb. XIII, S. 1 flgd.) zu erweisen gesucht, daß Niklot aus dem ruyanischen Königshause stammte (wie schon Marschalck vermuthete) und ein Sohn des Wendenkönigs Burislav und Enkel jenes "Cruto, filius Grin", gewesen sei.
Deutsche Geschichtsquellen kennen nun allerdings keinen Wendenkönig Burislav in unsern Gegenden. Aber in der Knytlinga=Saga (aus dem 13. Jahrhundert) wird erzählt 1 ), daß Rikissa, eine Tochter des Wendenkönigs Burislav, zuerst mit dem dänischen Prinzen Magnus, dem Mörder Knut Lawards, später mit dem Schwedenkönig Sörkver Kolson vermählt gewesen sei, und daß Knut, ihr Sohn erster Ehe, nach erlittener Niederlage bei Viborg (1151) zu seinem Stiefvater nach Schweden, dann weiter nach Rußland gegangen, von hier aber südwärts nach Rostock zu seiner Mutter Brüdern gesegelt, von diesen jedoch abgewiesen sei aus Furcht, daß er (der Flüchtling!) ihr Reich an sich reißen wolle, und daß er sich darum alsbald nach Bremen zum Erzbischof Hartwig und mit diesem nach Braunschweig zu Herzog Heinrich (dem Löwen) begeben habe. In diesen furchtsamen Oheimen Knuts zu Rostock erkennt nun Beyer den Fürsten Niklot und dessen bei Helmold I, 93, einmal genannten Bruder Lubemar, und in Burislav jenen von Helmold nicht mit Namen genannten Mann, der 1193 von den heidnisch gesinnten Wenden dem Fürsten Heinrich, Gottschalks Sohn, Krutos Nachfolger in der Ehe mit der Slavina 2 ) und in seiner
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Herrschaft, entgegengestellt war 1 ), bei Schmilau dann aber geschlagen ward und dadurch Heinrich den Weg zum Königthum über die Wenden bahnte. Hulte schon Krantz 2 ) in diesem Manne einen Verwandten Krutos vermuthet, so erklärt nun Beyer denselben geradezu für den Sohn Krutos und beide für Könige von Rügen, weil Dänemarks Küsten gegenüber es keine anderen Wendenkönige gab als die von Rügen. Er gewinnt damit folgende Stammtafel:
Für Enkel von Kruto erklärt er dann noch Race, der um 1138 Lübeck zerstörte, und dessen Söhne Rochel, um 1150 Fürsten in Wagrien, Pribislav, 1156 Fürsten in Wagrien, und den 1162 erschlagenen Nicolaus, Statthalter von Schleswig 3 ).
Diese ganze Hypothese Beyers hat wegen ihrer seinen Durchführung vielfachen Beifall gefunden; allein wir müssen nach wiederholter Prüfung, wenn auch widerstrebend, gestehen, daß wir uns von der Annehmbarkeit derselben nicht haben überzeugen können.
Denn 1) steht die isländische Knytlinga=Saga mit ihren Angaben ganz allein da; die dänischen Quellen dagegen bezeichnen die
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Rikissa als eine Tochter des Polenherzogs Bogislav oder richtiger Boleslav III. Dies geschieht insonderheit von Saxo Grammaticus (XIII, 235), nach dessen Erzählung auch Polenherzoge später Rikissas Sohn Knut aus Furcht, er möchte wegen seiner Mutter Ansprüche auf eine Theilung des Reiches erheben, den Eintritt in ihre Städte versagten und ihm nur die Durchreise zum Herzog Heinrich von Sachsen und zum Erzbischof Hartwig gestatteten. Beyer entscheidet sich freilich (S. 37) gegen diese Erzählung Saxos und für die Knytlinga=Saga, weil letztere in den Namen bestimmter sei, weil auch Helmold von einem Umwege Knuts über Polen nichts sage 1 ), weil ein Sohn der Rikissa aus der Ehe mit König Swerker von Schweden und ein Sohn des Ruyanerfürsten Boris (Borislav) hießen, weil Magnus sich nach 1121 gar nicht habe mit einer polnischen Prinzessin vermählen können wegen des Krieges der Dänen und Polen an den Odermündungen, endlich weil Boleslav III. nur eine Tochter gehabt habe, die wenigstens in Frage kommen könne, die Svantoslava (geb. 12. April 1106).
Der letzte Grund ist nun aber, obwohl auf polnischen Angaben beruhend 2 ), entschieden irrig; denn nach ganz unverdächtigen deutschen Nachrichten war eine zweite Tochter Boleslavs III. (Judith) mit dem Markgrafen Otto I. von Brandenburg vermählt 3 ), eine dritte (Dobergana = Lukardis) mit dem Marchio orientalis Dietrich 4 ); er konnte also immerhin auch eine vierte haben. Die andern Gründe Beyers geben aber gar keinen Ausschlag, zumal 2) König Waldemars I. vertrauter Freund und Rathgeber von Jugend auf, der berühmte Erzbischof von Lund und Bischof von Roeskilde, Absalon, in einem Briefe an den Papst Coelestin III. von 1194 die Großmutter der Ingeburg (der Verstoßenen Gemahlin König Philipps von Frankreich und Tochter Waldemars I. von Dänemark), also die
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Rikissa, als eine Tochter des Polenherzogs Boleslav III. bezeichnet 1 ), und zwar in einem Zusammenhange, wo gar nichts darauf ankam, ob Rikissa polnischer oder mecklenburgischer Herkunft war. Jene Angabe Absalons hat dann auch der Abt Wilhelm von Ebelholt in seine Genealogie der dänischen Könige, welche er (1194 oder 1195) in der Scheidungsahngelegenheit der Königin Ingeburg verfaßte, aufgenommen 2 ) Man wird aber keinen Anstand nehmen, dem Zeugnisse dieser dem dänischen Königshause so nahe stehenden Personen den Vorzug zu geben vor der ein halbes Jahrhundert später auf Island geschriebenen Knytlinga=Saga, und annehmen müssen, daß Knut seiner Zeit seine Seefahrt nicht nach der Mündung der Warnow, sondern nach den Odermündungen richtete. Damit aber verschwindet dann der König Burislav aus Meklenburg.
Indem wir aber die Knytlinga=Saga ausgeben müssen, verlieren wir nicht nur den Namen von Niklots vermuthetem Vater, sondern auch den ganzen Zusammenhang zwischen Niklot und dem ruyanischen Königshause. Wenn wir an Helmold zurückverwiesen werden, so ist dieser der Beyerschen Kombination in keiner Weise günstig. Allerdings berichtet dieser Schriftsteller (I, 36), daß vor allen andern
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wendischen Völkerschaften an der Ostsee die nie unterjochten Ruyaner einen Vorrang hätten durch den Zwantewitstempel, und daß allein ihre Fürsten, obwohl im Ansehen dem Oberpriester nachstehend, den Königstitel führten 1 ) und von unterworfenen Nationen einen Tempelzins eintrieben. Aber Helmold weiß nichts davon, daß Kruto, wie Beyer annimmt, König von Rügen gewesen sei; er bezeichnet ihn überhaupt nicht als König, sondern nur einfach als Wendenfürsten (I, 26, 34), der von den gegen Gottschalk ausgestandenen heidnisch gesinnten Wenden an ihre Spitze berufen wird (I, 25). Und wenn nach seiner Darstellung Kruto über das ganze Wendenland geherrscht hat (obtinuitque dominium in nniversa terra Sclavorum), so kann man - wie wir sogleich an einem ähnlichen Beispiele nachweisen werden - aus diesem unbestimmten Ausdruck nicht schließen, er müsse also auch König von Rügen gewesen sein. Der Sitz seiner Macht war jedenfalls Wagrien; auf der Grenze zwischen Wagrien und Polabien, da, wo jetzt Lübeck liegt, auf dem Hügel Buku, hat er sich eine sehr feste Burg erbaut 2 ), und dorthin sollte der König von Rügen seine beständige Residenz verlegt haben? Das hätten die Zwantewits=Priester zugegeben, deren Ansehen und Macht über die des Königs ging, deren Tempelsteuern der König einzutreiben hatte? Wenn seine Enkel später, und nicht ohne Erfolg, von Rügen aus Erbtheile in Wagrien zu erkämpfen suchten, so kann das entweder wegen verwandtschaftlicher Verhältnisse zu dem Königshause geschehen sein, oder sie waren auch nach Krutos Ermordung gerade nach Rügen geflüchtet, weil der Wendenkönig Heinrich und sein Geschlecht ihre und Rügens gemeinschaftliche Feinde waren. Anscheinend hatte Kruto seinen Sohn - oder seine Söhne - Verloren, und nur Enkel überlebten ihn. Denn kein Sohn tritt nach seiner Ermordung als sein Rächer und Nachfolger auf, sondern "die gesamten Wendenvölker" vereinigen sich zum Kampfe gegen den christen= und sachsenfreundlichen Heinrich, Gottschalks Sohn, und stellen gegen diesen "einen Mann auf, der allzeit der Christen Gegner war" (et statuerunt in locum eius [Heinrici], qui erat cristicolis oppositus omni tempore). Dieser Ausdruck Helmolds verbietet
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aber geradezu, an einen Sohn Krutos zu denken, der nicht erst aufgestellt zu werden brauchte, und für "filium Crutonis" wären diese Worte doch eine sonderbare Umschreibung. Wer aber dieser Gegenkönig Heinrichs gewesen sein mag, ist schier nicht weiter zu ermitteln. Herzog Magnus von Sachsen Schlägt ihn 1093 1 ) bei Schmilau, erobert noch 14 feste Plätze im Wendenlande und erhebt Heinrich, der, wie sein Vorgänger in Wagrien, im neubefestigten Alt=Lübeck seinen Sitz hat, zum Herrn über die Wenden in der Sächsischen Mark; alle jene ostwärts wohnenden Wendenstämme sind ihm seit jenem Tage untertan und zahlen ihm Tribut (servieruntque a die illa omnes ille orientalium Sclavorum nationes Heinrico sub tributo), wie sich Helmold wieder sehr allgemein ausdrückt.
Aber in diesem unbestimmten Ausdruck sind abermals wenigstens die Ruyaner sicher nicht enthalten. Vielmehr eröffnen diese nun den Kampf um den Principat im Wendenlande (dominationis libidine provocati) gegen Heinrich; sie kommen über die See, die Trave hinauf, um diesen aus Wagrien zu vertreiben. Doch mit Hülfe der Holsteiner gelingt es Heinrich dieses Heer zu vernichten 2 ), und erst damit ist seine Herrschaft über die Wenden bis zur Oder befestigt. Er selbst begehrt und empfängt nun erst den Königstitel, den bisher die ruyanischen Fürsten geführt hatten (I, 36). Die Völkerschaften zahlen ihm Tribut und leisten ihm Heeresfolge auf zwei Zügen, die er doch noch mit den holsteinschen Sachsen, und den einen unter persönlicher Theilnahme des Sachsenherzogs Lothar, unternehmen muß (I, 38). Erst sein nicht lange hernach erfolgter Tod macht seinem Streit mit den Rujanern ein Ende: sie bleiben unabhängig. Unter seinem Sohne Zventepolch stehen dann auch die Obotriten auf und werden von diesem und vom Grasen Adolf von Holstein - und zwar, setzen wir hinzu, unter Führung des Herzogs Lothar selbst - 1121 3 ) durch die Eroberung der Burgen Werle und Kessin zur Gestellung von Geißeln und zu einer Geldbuße genöthigt. Nachdem König Heinrichs Nachkommenschaft erloschen ist,
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tritt sein Neffe, Butues Sohn Pribislav, ins Erbe ein, aber nur in Wagrien und Polabien; denn in Obotritien tritt jetzt bald als Herrscher Niklot hervor. Die wendische Königswürde aber giebt der 1125 zum König des deutschen Reiches erwählte Lothar, der soeben selbst noch einen erfolglosen Zug gegen die Wenden unternommen hatte 1 ), als Lehn dem Dänen Knut Laward, der dann Pribislav und den major terrae Obotritorum Niklot zum Gehorsam zwingt (I, 41). Pribislav verliert später auch Polabien, wo ein deutscher Graf zu Ratzeburg eingesetzt wird; und in Wagrien erzwingt ein Nachkomme Krutos, Race, durch die Zerstörung Alt=Lübecks von Pribislav Wohnsitze; wir finden dort noch nach 1150 Krutos Nachkommen (s. o.). - So etwa dürfen wir kurz Helmolds Erzählung zusammenfassen.
Den Niklot nennt er (c. 49), wo er uns zuerst bei ihm begegnet, "majorem terre Obotritorum Niclotum", dann spricht er (c. 52) von seinem "principatu", hernach heißt er bei ihm "princeps terre Obotritorum" (z. B. I, 57, 71, 84), auch wohl "Niclotus regulus Obotritorum" (I, 83). Aber für die Abstammung Niklots von dem Fürsten Kruto, oder aus dem ruyanischen Königshause, oder aus dem Hause König Gotschalks spricht bei Helmold keine einzige Andeutung 2 ).
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Daß übrigens Niklot nicht etwa durch Tüchtigkeit und Glück aus einem Adelsgeschlecht zur Fürstenwürde erhoben ward, sondern aus einem Fürstengeschlechte stammte, ergiebt sich nicht nur daraus, daß sein Sohn Prislav vom König Waldemar I. gewürdigt ward sein Schwager zu werden, sondern auch daraus, daß Prislav von sich rühmen durfte: "Eo enim sanguine oriundus sum, quem nulli Slavorum attemptandi unquam ausus incessit" (Saxo XIV, p. 294); denn eben die Fürsten waren bei den Wenden sacrosanct. (Vgl. das. p. 362.) Eben dasselbe aber will auch Helmold mit dem unbestimmten Ausdruck "major terre" sagen; dieser ist wie "princeps" und "regulus" eine Uebersetzung des wendischen Titels, welcher in Meklenburg noch im 13. und im 14. Jahrhundert üblich war, indem man den "Herrn" (dominus) Johann I. von Meklenburg und später Johann IV. von Werle "knese Janeke" nannte 1 ).
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Ueber diesen Fürsten (Knesen) standen dem Range nach nur die "Könige" (reges) der Rujaner, der König Heinrich der Wenden und Knut Laward.
Solche Knesen der einzelnen Stämme finden wir in früherer Zeit bei Adam von Bremen öfters neben einander genannt, z. B. II, 24: "Missizla, Naccon et Sederich" (von denen Naccon, Nacun 973 von Ibrahim als "König in dem westlichen Theil der Slavenländer" bezeichnet wird 1 ). Ferner II, 40: "Principes Winulorum erant Mystiwoi et Mizzidrog, quorum ductu sedicio (983) infiammata est". - II, 58 (ca. 1025): "Sclavorum satrapas Utonem et Sedericum". - II, 64 (ca. 1030): "Principes eorum (sc. Winulorum) Gneus et Anatrog =, tercius vero Uto (bei Saxo: Pribignev), filius Mistiwoi" - II, 69 (1036 f.): "Principes Sclavorum Anatrog et Gneus et Ratibor." Uto war damals wohl schon ermordet; Ratibor und später auch seine acht Söhne fielen gegen die Dänen. Utos Sohn Gottschalk erhebt sich hernach zum Herrscher über die Ostsee=Wenden bis zur Peene und drängt damit die andern Fürstengeschlechter völlig in den Hintergrund; Nachkommen von Anatrog und Gneus hat Helmold gar nicht genannt. Noch weniger erfahren wir von ihm, wo jene beiden Fürsten ihre Sitze gehabt hatten; auch nicht, welches Wendengebiet ursprünglich Utos und Gottschalks Stammland war. Helmold (I, 21) betitelt Letzteren "principem Obotritornm"; wenn aber das eigentliche Obotritenland im engeren Sinne (ohne Polabien), das Land der Rereger (Adam II, 18), sein Stammland gewesen wäre, so hätte ohne Zweifel sein Enkel Pribislav hernach gerade auf dieses Anspruch gemacht; er nahm jedoch nur Besitz von Wagrien und Polabien (von der Elde und Elbe bis Boizenburg, Wittenburg, Ratzeburg und Gadebusch), während Niklot in dem Obotritenlande im engeren Sinne unangefochten von jenem Pribislav regierte.
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Im Obotritenlande haben wir also Niklots fürstliche Vorfahren zu suchen, dieses ist sein Stammland. Leider wissen wir nun gerade von diesem Lande recht wenig aus jener Zeit; aber auch diese anscheinend so unbedeutenden Spuren müssen wir doch verfolgen, um vielleicht noch Namen von den nächsten Vorfahren Niklots aufzufinden, oder uns doch ihre Verhältnisse klar zu machen.
Soviel dünkt uns wahrscheinlich, daß schon die Obotritenfürsten vor Niklot (oder doch spätestens er selbst) ihr ursprüngliches Gebiet nach zwei Seiten hin erweitert hatten. Wenigstens 1160 war Niklot schon im Besitz der Burg Schwerin (Helm. I, 87); das Burgward Schwerin gehörte aber zum Polabenlande 1 ). Daß er selbst es erst dem Grafen von Ratzeburg abgewonnen hätte, ist nicht anzunehmen, denn Herzog Heinrich hätte eine solche Störung des Landfriedens sicherlich nicht geduldet; vielmehr hat entweder Niklot selbst das Ländchen Schwerin erst Gottschalks Enkel Pribislav entzogen, oder es war bereits seit längerer Zeit von Polabien an Obotritien übergegangen.
Auf der andern Seite ward Niklot im Besitz seiner Herrschaft über die Kessiner und Circipaner (1150) sogar von den Sachsen geschützt, als ihm jene den herkömmlichen Tribut zu entziehen versuchten 2 ). Wie lange diese Gebiete schon mit Obotritien verbunden waren, erfahren wir nicht; wahrscheinlich bestand dieses Verhältniß aber schon 1121. Denn als damals Herzog Lothar und Zventepolch den schon erwähnten Zug gegen die Obotriten unternahmen, ward der Krieg erst damit zu Ende geführt, daß man auch die nicht im Obotritenlande, sondern im Osten der Warnow, im Lande der Circipaner und in dem der Kessiner belegenen Burgen einnahm 3 ). Ein Fürst der Obotriten wird leider auch bei dieser Gelegenheit nicht namhaft gemacht.
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Es bleibt uns aber noch übrig, auf die Berichte über Herzog Lothars Feldzug vom Jahre 1114 einen Blick zu werfen. Helmold tut (I, 38) diese, nach seiner Darstellung zweite Expedition nach Rügen freilich auffallend kurz ab; er beschränkt seine Mittheilung daraus, daß der Herzog Lothar und der Wendenkönig Heinrich vereint nach der Insel Rügen ziehen, aber, weil Tauwetter eintritt, schon nach drei Tagen über das Eis nach dem Festlande zurückkehren und unverrichteter Sache heimziehen. - Dieser Bericht ist jedoch glücklicher Weise nicht der einzige. In den Corveyer Annalen 1 ) wird uns wenigstens eine interessante Episode aus diesem Feldzug erzählt, wie nämlich der Herzog im Lande der Circipaner aus jedem ihrer drei Burgwarde 100 Reiter ausheben läßt, wie er erfährt, welche Tempelsteuer sie an den "St. Vit", d. h. an den Tempel Swantewits auf Rügen, zu entrichten haben, obwohl sie sehr gut wissen, daß sie dem Herzoge als ihrem Markgrafen untertan seien u. s. w. Ein Fürst dieser Völkerschaft wird bei dieser Gelegenheit nicht erwähnt; vielleicht standen sie, da sie ihre Tempelsteuer nach Arkonah sandten, damals noch direkt unter dem König von Rügen. Immerhin erfahren wir aber aus dieser Stelle, welche Richtung der Herzog und der Wendenkönig Heinrich auf dem Marsche nach Rügen einschlugen; denn wenn sie Circipanien passierten, müssen sie durch Obotritien und Circipanien ins Festland Rügen gezogen sein, welches letztgenannte Gebiet anscheinend längst von der Insel Rügen aus beherrscht ward, da Adam von Bremen schon (1075) Rujaner bei Demmin und dem Ausfluß der Peene kannte 2 ). Die Kenntniß von der Marschroute ist aber für uns nicht ohne Werth wegen eines dritten Berichts, welchen wir beim Annalista Saxo finden. Dieser erzählt uns nämlich zum Jahre 1114 3 ): "Lüder, der Herzog von Sachsen, unternimmt einen Kriegszug gegen den Wenden Dumar und dessen Sohn, und er zwang sie sich zu ergeben. Auch den Fürsten der Rujaner, der sich ihm zum Kampfe gegenüber stellte, umging er durch List und Geschwindigkeit. Wie dieser sich umgangen sah, richtete er an den Herzog die Bitte um Frieden und um eine persönliche Unter=
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redung mit demselben. Er gab seinen leiblichen Bruder als Geisel, gelobte eine ansehnliche Menge Geldes zu zahlen und leistete für seine Treue auch noch einen Eid".
Wir gehen hier nicht weiter darauf ein, wie weit dieser Annalist von Helmolds Nachrichten abweicht; vielmehr fassen wir den Wenden Dumar näher ins Auge. Offenbar werden hier zwei Feinde unterschieden. Der zweite ist der Rujanerfürst, der nicht einmal mit Namen genannt wird. Wer ist nun aber der erste, Dumar, dessen Namen der Annalist der Erwähnung werth hält? Beyer erkennt in ihm einen "Slawischen Häuptling" (S. 14). Aber damit will er ihn doch wohl nicht als einen beliebigen Burgherrn, einen castellanus, bezeichnen? Denn um einen solchen Besitzer einer Burg hätten doch der Herzog und der Wendenkönig wohl keinen Feldzug unternommen? (expeditionem movet!) Allem Ansehen nach ist dieser so bedeutend hervorgehobene "Wende Dumar" ein Wendenfürst; und erwägen wir die soeben erörterte Richtung des Zuges, so liegt es am nächsten, in Dumar den damaligen Obotritenfürsten zu sehen, in seinem Sohne aber den, der etwa ein Jahrzehnt später an seiner statt regierte - den Niklot.
Da indessen die ausdrückliche Bezeichnung Dumars 1 ) als eines Obotritenfürsten in unserm Berichte fehlt, und leider auch des Sohnes Name nicht beigefügt ist, so wagen wir nicht, unserer Vermuthung in der Stammtafel Ausdruck zu geben, sondern stellen nach wie vor den Fürsten Niklot an die Spitze derselben.
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Zu Tafel I.
I. Generation.
a. Niklot. Die Rechtfertigung der Daten unserer Stammtafel ist in unsern Erörterungen über den Stammvater gegeben. Niklots Todesjahr. ist zweifellos das Jahr 1160 (nicht, wie Beyer meinte, 1161); darin Stimmen die Pegauer, Pöhlder, Magdeb. Annalen u. a. Quellen überein. - Der Todestag des Fürsten ist nicht zu ermitteln. Herzog Heinrich ließ die Seinen sich zu dem Zuge "zur Erntezeit" (tempore messis, Helm. I, 86) bereit halten: er selbst war am 26. Juli (VII. kal. Augusti) noch zu Erfurt (Ann S. Petri Erphesf. 1160): Niklots Söhne beunruhigten von Werle aus zunächst die bei (prope) Meklenburg gelagerten Sachsen. Dann aber zieht Niklot selbst gegen diese Feinde und legt ihnen einen Hinterhalt, von dem aus er dieselben beim Fouragieren überfällt. Dabei findet er selbst - wohl noch im August - seinen Tod, wahrscheinlich also in der Nähe von Meklenburg, jedenfalls zwischen diesem Orte und Werle. - Vergl. meine Bemerkungen in Jahrb. XXVIII, S. 113 f.
b. Lubemar. Helmold erzählt I, 92 (Frühling 1163), nachdem Wertislav, Niklots Sohn, die Burg Werle hatte dem Herzog Heinrich dem Löwen übergeben müssen, von dem Herzoge weiter:
"Porro castrum et vulgus ignobile fecit servari et praeposuit eis Lubemarum quendam veteranum, fratrem Nicloti, ut presset terrae et sentiret ea, que subjecta sunt." Dies ist die einzige Stelle, wo Lubemar uns sicher vor Angen kommt. - In den Urkunden des Stifts Ratzeburg von 1158 [Mekl. Urk.=Buch I, U. 65], 1171 [U 101], 1174 [U. 113, auch in U. 284] findet sich unter den drei Dörfern im Lande Bresen (etwa Amt Grevesmühlen), die Heinrich der Löwe dem Bischof von Ratzeburg verlieh, eine Lubimari villa. Ob dieses Dorf (dessen Lage nicht mehr nachzuweisen ist) seinen Namen von Niklots Bruder empfing, bleibt ungewiß; wir sehen aber auch aus diesem Dorfnamen, daß der Personenname, den Helmold nennt, hier zu Lande üblich war.
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II. Generation.
a. Pribislav wird von Helmold als Niklots älterer Sohn bezeichnet [I, 92: Pribizlavus senior natu, - Pribizlavus senior natu et acris ingenii], Wertislav als der jüngere. Prislav, den Helmold nicht kennt, ist gewiß nicht älter gewesen als Pribislav; sonst hätte der König Waldemar von Dänemark für diesen (seinen Schwager!) sicher 1160 die Succession in Meklenburg verlangt, wahrscheinlich auch König Kanut für Prislavs Söhne, als er (Arn. Lub. III, 4) Pribislavs und Wertislavs Söhne in Hast hatte. - Ueber Pribislavs Besitz von Kessin und Circipanien in Gemeinschaft mit Wertislav S. Helm. I, 87, 92. - Ueber die Wiedergewinnung des Obotritenlandes (wohl im Jahre 1167) berichtet Helmold II, c. 7: Communicato quoque fidelium suorum consilio (Herzog Heinrich der Löwe) Pribizlavum principem Sclavorum, quem multis, ut supra dictum est, preliis expulerat provincia, admisit in gratiam et reddidit ei omnem hereditatem patris sui, terram scilicet Obotritorum, preter Zverin et attinentia eius. Et fecit Pribizlavus duci et amicis eius securitatem fidelitatis - stare scilicet ad mandatum ipsius et observare oculos amicorum eius absque omni infensione. - Ueber Pribislavs Aufnahme unter die Fürsten des deutschen Reichs, 1170, Anf. Jan., s. M. U.=B. I, U. 91. - In Heinrichs des Löwen Stiftungs=Urkunde für das Bisthum Schwerin vom 9. Septbr. 1171 [M. U.=B. I, S. 100] steht er unter den Zeugen als Pribizlauus de Kizin, unter des Herzogs Urkunde vom 19. Septbr. 1171 [M. U.=B. I, U. 101]: Cazemarus de Dymyn, Pribezlavs de Mikelenburg, principes Slauorum, unter desselben Herzogs Urkunde von 1174, Artlenburg [M. U.=B. I, U. 113 , steht als Zeuge: Pribizlavus de Mikelenburg. - In der Urk. 91 wird gesagt: Berno - ad insigne et nobile castrum Dimin - vsque peruenit, vbi a principibus terre illius: Bugezlauo, Casemaro, Pribezlauo, qui eius predicatione compnncti et labori patienter compassi sunt -. Aber in der Doberaner Genealogie (Jahrb. XI, S. 10) heißt es: sciendum, quod a. d. MCLXIIII., tercio kalendas Maij (April 29), dominus Pribizlawus - sacrum baptisma suscepit et ad fidem Christi perfecte conuersus est. Damals konnte auch nach Helmolds Bericht (II, 3, 4) Pribislav schon Demmin erreicht haben. In Demmin wird also Pribislav durch Berno die Taufe empfangen haben.
Sicher starb Pribislav vor 1179, weil von diesem Jahre die älteste Urkunde seines Sohnes und Nachfolgers Heinrich Burwy I.
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datiert ist [M. U.=B. I, U. 127] . In der Urkunde vom 1. Febr. 1177 [das. U. 122], wo Berno von des Fürsten Bewidmung des Klosters Doberan handelt, nennt er ihn: Pribizlaus, deuotus princeps Slauorum, ohne ihn als einen Verstorbenen zu bezeichnen. Auch nennt Papst Alexander III. in der Konfirmation des Bisthums Schwerin vom März 1178, welche Berno aus Rom holte [M. U.=B. I, U. 124], noch nicht die "villas in Kixin, que pertinere solebant ad Werle, quas idem quondam dux [sc. Henricus] consensu Pribeslai contulit Botissi[u] die 1181 Kaiser Friedrich I. besonders bestätigte [M. U.=B. I, U. 134], die also Berno nach seiner Rückkehr aus Rom (nach 1. Juni 1178, M. U.=B. IV, Nr. 2654) von Pribislav empfing. - Da nun nach dem Necrol. mon. s. Michaelis Lunebg. Pribislav III. kal. Jan. (Decbr. 30) gestorben war, so ist der 30. Decbr. 1178 als sein Todestag anzunehmen. Die Geneal. Doberan. (p. 10) berichtet: - dominus Pribizlavus - Luneborgh proficiscitur, vbi tunc principes curiam sollempuem habuerunt, ibique in torneamento lesus heu obiit et in castro apnd Benedietinos sepelitur. - 1219 [M. U.=B. I, U. 260] schenkte Borwin I.: pro remedio anime nostre et parentum nostrorum et precipue domini Pribislai, patris nostri, ecclesie beati Michahelis archangeli in Luneburg, vbi corpus dicti patris nostri quiescit, - villam Cesemone (Michaelisberg). Danach irrt im Jahre die Doberaner Genealogie (S. 12): ex vehementi ipsius conuentus desiderio et conamine dicti domini Hinrici Burwi principis ossa patris sui domini Pribizlaui anno domini MCCXV., kalendis Octobris, de Luneborgh asportantur et in Doberan, vbi nunc est claustrum, honorifice reconduntur. - Die Begräbnisstätte Pribislavs glaubt Lisch vor dem Hochaltar der Doberaner Kirche gefunden zu haben (s. Jahrb. XIX, S. 342 flgd.; XXII, S. 206 flgd.).
Woislava, Pribislavs Gemahlin. Diese wird in den Urkunden ihrer Nachkommen nie erwähnt. Wir lernen sie erst aus der Doberaner Ueberlieferung des 14. Jahrhunderts kennen, theils aus der Ziegelinschrift von ihrem Grabe in der Kapelle zu Althof (Lisch in Jahrb. II, S. 2 flgd.: XX1, S. 172 flgd.), welche aus diesem Jahrhundert stammt, theils aus der von Kirchberg aufgezeichneten Tradition, welche ich in Jahrb. XXVIII, S. 128 flgd., ausführlich besprochen habe. Der Name wird aus dem Nekrologium des Klosters entnommen sein. Daß die Fürstin mit dem Wendischen Namen als eine norwegische Prinzessin bezeichnet wird, spricht eher für als gegen die Tradition. Wahr=
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scheinlich dünkt mich auch jetzt noch die Lösung dieses Widerspruchs, daß sie warägischen Ursprungs war. - Gestorben mag Woislava immerhin, wie Kirchberg (Cap. 113) berichtet, sein, während ihr Gemahl mit dem Herzog Heinrich dem Löwen auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem begriffen war, also 1172, aber sicher nicht in Folge ihrer Entbindung von ihrem Sohne Heinrich Burwy; denn dieser zählte damals gewiß schon mindestens 20 Jahre. (S. unten S. 141.)
b. Wertislav. - Helmold sagt II, 4 (1164): Wertielavus, Nicloti filius junior. Daselbst: Dux vero (Heinrich der Löwe), ubi transiit Albiam et attigit terminos Sclavorum, fecit Wertizlavum principem Sclavorum suspendio interfici prope urbem Malacowe, eo quod pessundaverit eum frater ejus Pribizlavus et prevaricatus fuerit promissiones pacis, quas pactus fuerat. - Vgl. Ann. Palidens. z. J. 1164: Hinricus dux - urbem Dimin captam destruxit et filium Nicloti christianum, quem apud se habebat, infausto consilio suspendi iussit. Die Reihenfolge der Ereignisse ist hier umgekehrt. In Demmin rückte der Herzog erst am 7. Juli ein (Helm. II, 4); auf dem Wege dorthin traf er Malchow. Am 16. Febr. hatte Pribislav Meklenburg erstürmt (Helm. II, 1), dann Ilow, post non multum vero tempus - venit Malacowe et Cuscin. Nun erst rüstet der Herzog, bei Malchow trifft er mit dem Grafen Adolf v. Holstein zusammen und läßt diesen dann nach Demmin vorausziehen. Der Tod Wertislavs wird in den Mai oder Juni zu sehen sein.
Name und Herkunft seiner Gemahlin sind unbekannt. sie lebte noch 1182 in der Burg Ilow. Vgl. Arnold. Lub. III, 4: Herzog Bernhards Gegner, die Grafen von Holstein, Ratzeburg und Schwerin, congregato exercitu - occulto quodam aditu noctu occupaverunt castrum Ylowe, et clanculo illud intrantes matrem Nycloti, qui Wertizlavi filius fuerat, inde ejecerunt 1 ).
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c. Prislav. - Während Helmold und die andern deutschen Quellenschriftsteller nur zwei Söhne Niklots kennen (Pribislav und Wertislav), lernen wir aus Saxo Grammaticus und der Knytlinga=Saga einen dritten Sohn, Prislav, kennen. Saxo XIV, p. 753, z. J. 1159: Prislavus olime Slavia profugus, - p. 759: Quod (das abgeschlagene Haupt Niklots) cum filio eius Priszlavo, qui ad Danos et christiani ritus amore et paganae superstitionis odio patria pulsus transierat - -. Pag. 760: Priszlavus quoque, potentissimi Sclavorum principis Nucleti filius, quem, quod Waldemari sororem in matrimonio haberet christianaeque disciplinae sacris initiatus esset, pater iam pridem perinde ac insidias sibi nectentem conspectu suo submoverat - -. Huic siquidem tum rex (Waldemar) ob bonae fidei experientiam tum ob connubii affinitatem magnam nobilium insularum partem fruendam concesserat. - Ueber Pribislavs Führung der Dänen im Jahre 1160 gegen seinen Vater und seine Brüder s. Saxo, p. 760-763, auch Knytl., c. 119: Rex Valdemar iterum in Vindlandiam profectus est, - rex vero amni Gudracae (Warnow) subvectus proelium cum principe Vendorum Mjuklato commisit. Cuius filius Fridlevus (sic!) superiori expeditione a Danis captus, jam christianus factus cum rege (Waldemar) versabatur. Confiixerunt ad oppidum Urcam (Burg Werle): rex Valdemarus victoria potitus est, Mjuklatus fugit et deinde cecidit - -.
Durch seine Ehe mit der Schwester Waldemars, der seit dem Siege über König Svein bei Wiborg am 23. Octbr. 1157 König von Dänemark war, ward also Prislav der Schwiegersohn des weiland Obotritenkönigs Knut Laward. Die Knytlinga=Saga berichtet c. 93: Sanctus Knutus Lavardus et Ingibjarga tres filias procrearunt, Margaretam, Kristinam, Katarinam: haec in terras orientales nuptum collocata est; Kristinam Magnus Caecus, filius Sigurdi Hierosolvmipetae, Norvegie rex, in matrimonio habuit, Margaretam Stigus Albipellis Skaniensis, quorum liberi erant Nicolaus et Kristina, quam Karl Sorkveris filius, rex Svionum, in matrimonio habuit. - Der dem Verfasser unbekannt gebliebene Gemahl der Katharina kann also nur Prislav sein. - Der Uebertritt Prislavs zum Christenthum und seine Vermählung fällt allem Ansehen nach in die Jahre 1158 oder 1159.
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Prislav wird wohl zuletzt 1164 genannt; Saxo berichtet p. 800 über König Waldemars Vertrag mit den Wendenfürsten (1164): - pactum cum hostibus habuit, ut, Walogosti (Wolgast) dominio trifariam diviso, pars una Tetizlavo (von Rügen), reliqua Cazimaro (von Pommern), tertia Nucleti filio Priszlavo vindicaretur. - 1176 im Novbr. lebte Prislav sicher nicht mehr, weil damals schon sein Sohn im Besitz des Lehns war.
III. Generation.
A. Pribislavs Sohn. Heinrich Burwy 1 ), Pribislavs Nachfolger (schon 1179, M. U.=B. I, U. 127), gedenkt 1192 [daselbst U. 152] Pribizlavi patris nostri. Er war nach der Geneal. Dob. dni. Pribizlai filius et heres vnicus; es werden auch in Urkunden nie Geschwister Heinrichs erwähnt. - Er selbst nennt sich 1192 [Nr. 152]: Heinricus Buriinus Magnopolitanorum et Kyzzenorum princeps, obgleich er 1183 (s. S. 139, Anm. 1) nur unter der Bedingung von König Kanut aus der Gefangenschaft entlassen war: ut a rege Danorum terram suam (er und sein Vetter Niklot) susciperent et obsides, quos habere voluisset, darent. Dederunt ergo obsides viginti quatuor, inter quos Burvinus filium suum dedit; et recessit a castro Rostoch, tradens illud nepoti (Niklot); ipse vero Ylowe et Michelenburg in possessionem sortitus est, rege sic disponente. - Die Herrschaft Rostock fiel ihm erst durch des Vetters Tod im Jahre 1200 wieder zu.
Heinrich Burwy kann nicht, wie Kirchberg Sp. 757 erzählt, erst 1171-72 geboren sein, da er 1183 schon einen Sohn als Geisel stellen konnte, 1192 [U.=B. I, Nr. 152] de consensu filiorum nostrorum Henrici et Nycolai an Doberan Güter verlieh, und dem älteren Sohne sicher schon um 1212 Kinder geboren wurden. Seine Geburt wird eher vor, als nach 1150 anzusetzen sein. Den Namen Burwi oder Buriwoi wird er als Heide (aber freilich nicht, wie Marschalck II, 41, behauptet, ab auo ma=
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terno, rege Noricorum) geführt, und den Namen Heinrich in der Taufe (wohl 1164) empfangen haben.
Burwys letzte erhaltene Urkunde [U. 331] ist vom 10. Aug. 1226 datiert; am 28. Aug. 1227 gaben schon seine Enkel als Landesherren eine Bestätigung [U. 343]. Als seinen Todestag bezeichnet das Necrol. Dob. den 28. Jan. (V. klas Febru.) 1227, denselben Monatstag auch das Necrol. s. Michaelis zu Lüneburg; den 29. Jan. giebt nur das Necrol. Amelungesb. [U.=B. I, 336]. Wenn die Ann. Stad. 1226 als das Todesjahr nennen, so ist dort das Jahr vermuthlich bis zum dies incarnationis (25. März) gerechnet. - Sein Grab fand er in der Kirche zu Doberan. (Kirchberg Sp. 765.)
Gemahlinnen. 1) Burwy spricht am 29. Decbr. 1223 [U.=B. I, 299] von Mecthilde, clare memorie nostra vxore. Sie war nicht, wie Kirchberg Sp. 764 angiebt, die Tochter eines polnischen Herzogs (Marschalck nennt sie II, 41, Matildim, filiam regis Sarmatarum), sondern nach dem Berichte des Zeitgenossen Arnoldus Lub. eine Tochter Herzog Heinrichs des Löwen (III, 4: Burvinus vero, filius Pribizlavi, qui filiam Heinrici ducis habebat, Mechthildam dictam; V, 7: Burwinus, gener ducis, nämlich Heinrichs des Löwen). - Vgl. auch Ann. Stad. ad a. 1164; Albericus Triumfontium monachus (Rertz, Scr. XXIII), p. 851, 870. - Diese Ehe wird frühestens bei der Aussöhnung zwischen Pribislav und Herzog Heinrich (1167) geschlossen sein, jedenfalls noch bei Pribislavs Lebzeiten, da ein Sohn Mechthilds schon 1183 als Geisel gegeben ward (S. 139, Anm. 1), beide Söhne 1192 schon den Consens zu einer Veräußerung gaben. Gestorben ist Mechthild sicher vor 1219; denn in der Stiftungs=Urkunde für das Kloster Sonnenkamp (Neukloster) von diesem Jahre erscheint schon
2) Adelheid als Heinrich Burwys I. Gemahlin: ego Heinricus Burwinus dei gra. princeps Slavorum cum filiis meis Heinrico et Nicolao et voluntate vxoris mee Adeleidis eligentes patrocinivm beate dei genitricis Marie - [U.=B. I, 254]. Desgl. heißt es im Stiftungsbriefe für das Antonius=Hospital Tempzin vom 7. Juni 1222 [U.=B. I, 282]: Ego Borewinus diuino favore Magnipolensis dominus -, quod ego vna cum vxore mea Adelheyde filiisque meis Hinrico et Nicolao -. Der Fürst sagt an beiden Stellen nicht (wie man im 15. Jahrh. [s. Anm. zu der Urk. im U.=B.] Verstand) filiis nostris, sondern filiis meis, weil die beiden Söhne nicht Adelheids, sondern Mechthildens Söhne waren, was auch die Ann. Stad. z. J. 1164 aus=
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drücklich berichten. Aus der ersten Ehe stammte (nach den Altersverhältnissen) gewiß auch noch die 1222 erwähnte Tochter (s. u. Generation IV, c). - Was Adelheids Herkunft betrifft, so möchte ich annehmen, daß sie eine Tochter des Markgrafen Otto I. von Brandenburg († 1184) und seiner zweiten Gemahlin Ada (Adelheid, Tochter des Grafen Florenz III. von Holland) gewesen ist, die noch 1205 lebte (Riedel, Cod. Brand. II, 1, S. 3). Unter dieser Voraussetzung allein kann ich mir nämlich erklären, warum die Aebtissin Elisabeth zu Wienhausen (U.=B. 1, 521 [vor 1248]): Agnes dei gra. ducissa, fundatrix ecclesie in Winhusen, Elizabeth abbatissa =), die noch am 3. Jan. 1265 lebte [U.=B. II, 1031) und ins Nekrologium von Wienhausen zum 10. Febr. als religiosa domina Elyzabeth de Wenden, quarta abbatissa hujus monasterii Wynhusen, eingetragen ist, von der Herzogin Mechthild von Braunschweig als ihre Blutsverwandte bezeichnet werden konnte. [U.=B. 11, 712: Dei gra. M. ducissa de Brunswich ac domina in Luneburg consanguinee sue abbatisse totique conuentui in Winhusen salutem.] Ihre Verwandtschaft war dann folgende:
B. Wertislavs Sohn: Niklot II. - Arn. Lub. III, 4: Nycloti, qui Wertizlavi filius fuerat; VI, 13: Heinricus, qui et Borvinus, et Nicolaus, nepos ipsius, qui et Niclotus. - In seinen beiden Urkunden für Doberan [M. U.=B. I, 147, 148] führt er den Titel: Nicolaus dei gratia Slauorum princeps, auf seinem Siegel: Nicolaus de Roztoc; er spricht von patruus meus Pribizlaus, nepote meo Burowone. - Seine Urkunden datiert er, obwohl er bei der Erwerbung von Rostock 1183 (Arn. Lub. III, 4) dänischer Unfall geworden sein soll, regnante Friderico imperatore. - Doch fiel er auf dem Zuge, den er auf König Kanuts Veranlassung mit Heinrich
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Burwy gegen den Grafen Adolf v. Dassel (zu Ratzeburg) unternahm, bei Waschow (Warsikowe, Arn. Lub. VI, 13); er ist nach dem Doberaner Necrol.: anno dni. MCC., octauo kalendas Junii interfectus in Warcho, also am 25. Mai 1200. Kirchberg, der den historischen Zusammenhang nicht kennt, erzählt Sp. 762, Nicolaus sei bei "Watschowe" gegen aufständische, heidnisch gesinnte Wenden gefallen:
Vermuthlich will Kirchberg aber den 26. Mai als den Todestag verstanden wissen, nicht als den Begräbnistag; denn sonst müßte er, oder vielleicht eher sein Gewährsmann, das fürstliche Grabgefolge hinzugedichtet haben, da, wenn Nicolaus erst am 25. Mai gefallen war, die Fürsten aus Pommern nicht schon am nächsten Tage zu Doberan erscheinen konnten. - Marcshalck (II, 40) versteht irrtümlich den Wendenausstand von 1179, läßt Nicolaus in diesem Jahre octauo kalendas Junii gefallen und (weil damals das Kloster noch nicht nach Doberan verlegt war) zu Althof begraben sein (in curia illa antiqua, ubi et Voisclaua - in sacello)!
C. Prislavs Söhne. a. Kanut - ohne Zweifel Prislavs älterer Sohn, weil er schon ein Lehn hatte - erscheint zuerst im Novbr. 1176 bei Saxo XIV, p. 869, wo er eine Abtheilung der dänischen Flotte nach Rügen führen soll: Kanutus Prizlavi filius a rege (Waldemar) praeesse jussus, deformiter imperio repugnavit, praefatus se nihil praeter augustos Lalandiae fines in Dania possidere eosque tanti non. esse, ut pro iis tuendis se ipsum indubitato periculo objicere cupiat. - Tam imÎudenti juvenis - er wird um 1160 geboren sein (s. oben II, c.) - responso percitus, Waldemarus, exigua illum beneficia, quod exignis dignus sit, accepisse respondit. - Doch muß Kanut auch auf Fünen Besitz gehabt haben. Denn Saxo
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berichtet p. 871: Quorum incautior pars, dum australia Foeniae latera praetervehitur, apud urbem a Kanuto Priszlavi filio conditam (Nyborg) piratis obviis - -. - 1183, Novbr. 30 [M. U.=B. I, U. 137] vermachte Kanutus, Prizlaui principis filius, dem Kloster zu Odensee für die Verleihung der Brüderschaft und Bewilligung eines Begräbnisses in St. Knuts=Kirche alle seine Besitzungen auf Alfen. Wahrscheinlich tat er es in Erwartung seines nahen Todes, da er sonst (s. unten) des Geizes beschuldigt wird. - Daß er vermählt gewesen sei, wird nicht berichtet.
b. Waldemar. - Abt Stephan zu St. Genovefa in Paris meldet Kanuto nobili viro de Dacia (Prislavs Sohn) in einem undatierten Briefe [M U.=B. I, Nr. 139]: Frater vester carnalis, bonae indolis iuuenis, Waldemarus, - regio generi vestro condigna virtute respondens, et apud nos spiritum reddidit deo et inter nos corpus commendauit sepulcro. Orationum ac beneficiorum spiritualium sicut unus ex nobis particeps est =, und bittet zugleich um einen Beitrag zur Wiederherstellung seines Klosters. - In einem andern Briefe, welchen derselbe Bote überbrachte [M. U.=B. I, Nr. 140], bittet derselbe Abt den König Kanut von Dänemark: vt misericorditer consanguineum vestrum, nobilem virum Canutum (Prislavs Sohn) moneatis, ne omnino sit immemor fratris sui Waldemari, qui in beato fine suo canonicus noster factus, in celebri claustri loco sepultus - -, nec in vita partem aliquam, vt dicitur, seu funiculum hereditatis suae possedit, nec post mortem siue ipse siue ecclesia pro eo aliquid inde percepit. Rogamus =, vt vos, qui tociens armis idolatras et iugo subjicitis christiano, nobilis illius viri pectus, licet ferreum, precibus expugnetis, vt mortuo fratri suo gratiam non neget et in tanta necessitate ecclesiae, in qua frater eius et diem clausit vltimum et diem expectat extremum, pro tota hereditate, quam possidet, aliquid mittat =. Dieser Brief kann nicht vor 1182, in welchem Jahre (am 12. Mai) Kanut erst König ward, geschrieben sein, aber, da ein anderer ähnlicher an Bischof Waldemar von Schleswig gerichtet war (der 1191 oder 1192 Erzbischof von Bremen ward), auch nicht nach 1192. - Da Waldemar, Prislavs Sohn, hier als "juvenis" bezeichnet ist, der noch kein Erbe gehabt, er auch vor seinem Bruder starb, so ist sein Tod wahrscheinlich nicht später als 1182 zu setzen, vielleicht aber schon früher.
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IV. Generation.
Kinder Heinrich Burwys I. - a. b. Nach der Geneal. Dob. hatte Heinrich Burwy zwei Söhne, Hinricum et Nicolaum; und damit stimmen die Urkunden, auch in Betreff der Reihenfolge, überein. Aber in der Zeit irrt die Genealogie, wenn sie hinzufügt: qui post mortem patris diuiserunt principatum siue dominium, ita quod Hinricus in Rostock et Nicolaus in Magnopoli, id est in Mychelenborgh, tenuit dominium et principatum. (Deshalb setzt Kirchberg p. 765 ihre Landestheilung ins Jahr 1228, obwohl er hernach (p. 766) gesteht, daß er die Todesjahre der beiden Brüder nicht finden könne). Heinrich erscheint in Urkunden seit 1219 [U.=B. I, U. 258] meistens als Herr zu Rostock [z. B. I, 278, 396 u. s. w., Heinricus Burwinus dei gra. dominus in Rozstoc nur in U. 319], bisweilen auch als Herr zu Werle [U. 283 (1222): Hinricus de Werla, Burwini filius; U. 298 (1223): dns. Hinricus de Werle junior, vgl. 317]; Nicolaus dagegen heißt regelmäßig Herr zu Meklenburg [nur U. 298 (1223): dns. Nicolaus de Gadebusk, nach seiner Residenz]. Beide werden als des Vaters Mitregenten genannt. Nicolaus kommt als consentirend zuletzt 1225 vor [U. 315], sein Tod ward - nach dem Annivers. Amelungesb. am IV. kal. Oct. 28. Septbr. - durch einen Sturz in der Burg zu Gadebusch (Gen. Dob., Necrol. Dob.) herbeigeführt (viel sich da zu Godebus zu Tode mit dem lugenhus, Kirchberg p. 765; cadens moritur in castro Godebuz van deme loghenhuse, Parchimsche Stammtafel). Dies muß am 28. Septbr. 1225 geschehen sein. Denn sein Bruder Heinrich († 5. Juni 1226) hat noch "vor seines Brudern Nicolai seele" (zum Gute des Klosters Dobbertin) "gegeben das Dorf Lomene" [U.=B. I, 343]: auch spricht Kaiser Friedrich II. im Juni 1226 [U.=B. I, 322] nur noch de tota terra Buruwini et ejus filii (nicht filiorum). - Uebrigens starb auch Heinrich schon um diese Zeit, nämlich 1226, am 5. Juni (non. Jun., Amelungsb. Anniversarium; in die Bonifacii, M. U.=B. II, 1438; dagegen II. non. - 4. Juni im Necrol. Lunebg.); nachdem er am 3. Juni zu Güstrow in Anwesenheit seines Vaters die Stiftungsurkunde der Collegiatkirche St. Cäcilien gegeben hatte [U.=B. I, 324]. Richtig wird in den Ann. Stad. (z. J. 1226) bemerkt, daß dem (am 28. Jan. 1227 verstorbenen) Fürsten Heinrich Burwy I. die 4 Söhne Heinrich Burwys II. succedierten.
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Von den Brüdern Heinrich Burwy II. und Nicolaus bemerkt Kirchberg p. 766: sy sint doch zu Doberan beyde begrabin sundir wan. - Daneben kann Marschalcks Bericht (II, 42) von Heinrich Burwy II.: templum cum uiris ordinis canonici in urbe Gustroina in honorem diuae Ceciliae incoepit, in cuius olim die festo tota Vandalornm regio fidem agnonit christianam (?), in quo templo et tumulatus est anno millesimo ducentesimo duodeuigesimo (!), der vielleicht auf Güstrowscher Tradition beruhet, keine Beachtung finden. Dennoch mag er dazu Veranlassung gegeben haben, daß Herzog Ulrich das schöne Kenotaph für Heinrich Burwy II. im Güstrowschen Dom herstellen ließ.
Nicolaus mag unvermählt gestorben sein; Nachkommen desselben werden nie erwähnt, und nach Kirchbergs Zeugniß (p. 765) hinterließ er keine Erben.
Den Namen von Heinrich Burwys II. Gemahlin nennt zuerst Kirchberg (p. 766): "Sophia, von Sweden eins koniges kint, als man in der croniken vint. Dyselbe frow gebar im so vier sone vnd schonre tochter czwo." - Diese "Chronik" ist mir unbekannt; übrigens hat dieselbe Nachricht auch Krantz (Wand. VII, 16), und auf einer Tafel im Chor der Franziskaner zu Wismar las man die (wohl erst dem 16. Jahrh. angehörende) Inschrift: "Anno 1252 Johannes Theologus (!), eyn hertogk (!) tho Mekelnborch van der linie der koninge Obotritorum vnd eyn ßone hern Hinrici Burewini, syn mutter Sophia, des koninges to Sweden dochter, nam de barfoter in tor Wißmar Vnd gaff ehn de kerke des hilligen Cruces" - Diese Angabe ist falsch; wahrscheinlich beruhet sie auf einer Verwechselung mit Sophie, der Gemahlin Burwys III., oder sonst war Sophie die erste Gemahlin Heinrich Burwys II. und Mutter Johanns, während die andern drei Söhne aus einer zweiten Ehe stammten. Denn Nicolaus, Heinrich Burwys zweiter Sohn, nennt seine Mutter Christine. Er bezeugt [M. U.=B. I, 396, um 1232]: "protestor, quod bone niemorie dns. Heinricus de Werle, pater meus, consensu meo, sicut decuit, accedente, mansos duos in Wildeshusen sitos pro remedio sue et matris mee domine Christine anime, necnon pie memorie domini Burwini, aui mei, et patrui mei Nicolai - - deo et sanctis eius obtulit in perpetuum, arbitrio sororis Cristine, recluse de Satowia, relinquens, ut singulis septimanis missa vna pro uiuis et altera pro defunctis pro jam dictis fidelibus persolnatur in loco, ubi eidem visum fuerit ordinare." Daß die (geistliche) Schwester Christine, die Reclusa zu Satow (bei Doberan), dem von Conversen [U.=B. I, Nr. 557]
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bewohnten Hofe des Klosters Amelungsborn, mit der verwittweten Fürstin Christine, der Mutter des Nicolaus, identisch war, geht aus dem obigen Zusammenhange mit Wahrscheinlichkeit hervor. Daß letztere auch 1248 noch in der Nähe von Doberan wohnte, ergiebt sich aus dem Privilegium, welches ihr Papst Innozenz IV. am 20. Mai 1248 (pontif. anno V.) ertheilte: Innocentius eps. etc. dilecte filie, nobili mulieri . . sorori carissimi in Cristo filii nostri . . . illustris regis Scotie salutem. - - nos tue nobilitatis precibus annuentes, ut cum sex matronis honestis monasterium Doberan, Cisterciensis ordinis, Zverinensis diocesis, cuius nobilis vir B[orwinus] de Rozstoc, maritus tuus, fundator existit, bis vel ter in anno causa devotionis intrare valeas, eiusdem ordinis statuto contrario non obstante tibi auctoritate presencium conferimus facultatem (Jahrb. XLI, 151). Die Gemahlin Burwys III. von Rostock kann nicht gemeint sein, da dieselbe keine Schottin war; auch konnte dieser unmöglich noch als Stifter des Klosters Doberan bezeichnet werden, eher aber sein Vater, der schon 1192 zum Privilegium Nr. 152 für Doberan seinen Consens ertheilt hatte. - Hiernach lebte also Christine, die Wittwe Heinrich Burwys II. und Schwester des Schottischen Königs Alexander II. (reg. 1214-49), mithin Tochter König Wilhelms I. des Löwen von Schottland, sicher bis 1248 und wahrscheinlich immer noch zu Satow. Nach Kirchberg, p. 772, starb frow Sophya, - des jungen Hinrich Burwinis wib, 1252, und wart mit ungehabin zu Doberan begrabin.
c. Die Genealogen erwähnen keine Töchter Burwys I., wohl aber er selbst in einer Urkunde vom 8. Juli 1222 [U.=B. 1, 284] eine Tochter mit ihrem Sohne Johann: tocius prouincie Dartzowe medietatem decime mee filie et suo filio in feudo [sc. episcopus Raceb.] concessit - -; concessit insuper episcopus Nicholao meo filio et filie mee filio Johanni silue, que nocatur Clutze, postquam culta fuerit, duas partes decimarum. Den Namen der Tochter erfahren wir leider nicht, und die Angabe neuerer Genealogen, daß ein Graf von Oldenburg jener Zeit mit einer mecklenburgischen Prinzessin Katharine vermählt gewesen sei, stützt sich auf kein altes Zeugnis. Wahrscheinlich war diese Tochter Burwys I. 1222 schon Wittwe und lebte darum mit ihrem Sohne Johann in Meklenburg. Nach den Altersverhältnissen muß sie aus der ersten Ehe Burwys I. stammen. Uebrigens ersehen wir aus dem Ratzeburgischen Zehnten=Register [U.=B. I, p. 371, 372], daß zur Zeit seiner Entstehung, 1231, der Bischof im Lande Dassow schon theilweise den halben Zehnten, im Walde Klüz
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(p. 375) z. Thl. nur noch 1/3 inne hatte, das Uebrige aber im Besitz des Landesherrn (domini terre) war; vielleicht lebten also Burwys I. Tochter und ihr Sohn Johann damals nicht mehr. Ein zweiter Sohn dieser Prinzessin war vielleicht der von dem Fursten Johann I. von Meklenburg im Jahre 1229 [U.=B. I, 362] in der Verleihungs=Urkunde über Besitz (zu Krukow) bei Wismar an diese Stadt genannte Pribislav: cum noster cognatus Pribizlaus eosdem terminos multis presentibus resignauerit. Denn daß Johann seinen eigenen Bruder Pribislav als cognatus, nicht als frater bezeichnet haben sollte, halte ich für unannehmbar, bis man diesen Sprachgebrauch anderweitig, selbst wenn die Brüder aus verschiedenen Ehen ihres Vaters stammten, nachweist.
d. Als eine Tochter Burwys I. und seiner zweiten Gemahlin Adelheid betrachten wir die Elisabeth von Wenden, Aebtissin zu Wienhausen; s. oben S. 143.
V. Generation.
Heinrich Burwys II. Kinder. - Von den vier Söhnen Heinrich Burwys II. ertheilten drei: Johannes, Nycolaus, Heinricus fratres, domini de Rozstoch, - unter ihres Vaters Siegel - am 15. Febr. 1226 [U. 321] apud Lubeke den Lübeckern Zollfreiheit; am 3. Juni 1226 [U. 323] bewidmete Heinrich Burwy II. das Domkapitel zu Güstrow: accedente - consensu - filiorum meorum Johannis, Nicolai, Heinrici, Pribizlaui. - Alle vier Brüder succedierten am 28. Jan. 1227 ihrem Großvater gemeinschaftlich (1227, 3. Decbr. [U.344]: quia vero tota iurisdictio ac hereditas progenitorum nostrorum ad nos deuenit). Der zweite Bruder, Nicolaus, berichtet 1261 [U. 913], daß er mit seinen Brüdern zuerst unter Vormundschaft gestanden habe (quod nos vna cum fratribus in iuuenil[i] etate sub tutoribus constituti -). Vgl. über diese Vormundschaft Lisch in Jahrb. X, 1 flgd. - Wenn wir von Johanns Privilegienbestätigung für Parchim [U. 337] absehen, weil in der Copie derselben die Jahreszahl 1226 ersichtlich verschrieben ist, so sind die ersten von Johann allein ausgestellten Urkunden [U. 362 und 370] im Jahre 1229 gegeben (vgl. auch U. 363 [1229]: Johannes vnd desselbin brudere). Hiernach ist Johann - den Eintritt der Mündigkeit mit vollendetem 18. Jahr angenommen - spätestens 1211 geboren. - Eine Landestheilung unter die vier Brüder war ohne Zweifel vom
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Großvater angeordnet und ward 1227 zunächst so ausgeführt, wie schon in der Geneal. Dob. angegeben ist, daß nämlich Pribislav, der jüngste Bruder, später von dem ältesten Bruder Johann, der die Herrschaft Meklenburg empfing, der dritte Bruder Heinrich (Burwy) aber von dem zweiten Bruder, Nicolaus, dem Rostock und Werle zufielen, abgetheilt werden sollte. Ein Privilegium für Dobbertin vom 28. Aug. 1227 [U. 343] gaben Johannes vnd Nicolaus, gebrudere, hern zu Mechelnburg, allein; vgl. 1230, 30. Octbr. [U. 381]: dominum Johannem Magnopolensem, dominum Nicolaum de Rozstoch et fratres eorum (mit zweimal angehängtem Siegel der fratrum Magnopolensium). Sonst wurden Urkunden über allgemeine Landesahngelegenheiten von allen vier Brüdern nach der Reihenfolge des Alters [U. 344, 359, 427], oder von ihnen paarweise (Johannes et Pribizlaus de Magnopoli, Nicolaus et Hinricus de Roztoc, fratres, U. 391 von 1231), über Angelegenheiten, welche nur einen der beiden Landestheile berührten, von dem betreffenden Brüderpaar gegeben (von Johann und Pribislav U. 376, 385; von Nicolaus und Heinrich U. 369, 371, 398). - Die erste bekannte Urkunde, welche Nicolaus allein ausstellte [U. 410], ist datiert vom 30. Decbr. 1232 (vgl. U. 414, 415), die erste selbständige seines Bruders Heinrich vom 15. Febr. 1237 [U. 463]. Ueber Plau (in Pribislavs Antheil) verfügten 1235 [U. 427] noch alle vier Brüder: die erste Urkunde, welche Pribislav allein gegeben hat, ist vom Jahre 1238 [U. 476]. - Dieser jüngste Bruder mag also 8 - 9 Jahre nach dem ältesten, 1219-20, geboren sein.
a. Johann I. - Titel in Urkunden: dei gratia dominus Magnopolensis, einmal [U. 792] 1257, 25. März: Johannes dei gracia Magnopolensis et dominus in Wysmaria. Knese Janeke heißt er zuerst in der Geneal. Dob. und in der Gen. Parch. - Der Beiname Theologus findet sich zuerst bei Kirchberg, p. 767, und in dem Necrol. Doberan. - Johann schloß noch am 6. Decbr. 1263 einen Vertrag [U. 999]. sein Todestag war nach dem Necrol. Dob. 1264, 1. Aug. (MCCLXIIII., kal. Aug.). - Der Irrthum Kirchbergs p. 774, 1260 sei Johanns Todesjahr, mag auf einen Lesefehler zurückzuführen sein, indem man die IIII. der Jahreszahl mit kal. Aug. verband. - Sein Grab fand er zu Doberan nach der gleich anzuführenden Urkunde [1123] von 1267 und auch nach Kirchberg; erst Marschalck sagt (V, 1): in Gadebuso sepultus! Er verwechselt ihn mit Johann II.
Gemahlin. An Johanns I. Urkunde über Fährdorf auf Pöl von 1257 [11. 791] hängt das Siegel der in der Urkunde
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nicht genannten [Lu]tgardis domine Magnopolensis (wahrscheinlich, weil Pöl ihr Leibgedinge war); in der Rechten hält die Fürstin den hennebergischen, in der Linken den mecklenburgischen Schild. Auch Kirchberg, 767, bezeichnet Luitgard als Schwester des (Grafen) v. Henneberg, die Johann "alsbalt" (p. 786) nach der Landestheilung geehelicht. Wenn Marschalck (V, 1) Von Johann sagt: Hermanni principis Hennobergii filiam Lutgardim accepit in uxorem a. fere - 1231, so wird er die Zeit der Vermählung ungefähr errathen haben, wenn anders Kirchbergs Erzählung (p. 786), daß Johann seiner Gemahlin zu Liebe zu Neuburg ein Schloß erbaut habe, richtig ist; denn 1231, am 9. Juli, stellte er in Nouo Castro eine Urkunde aus [U. 386]. Der Vater Luitgards aber hieß Graf Poppo († 1245), nach welchem ein Sohn von ihr benannt ward. - 1267, 14. Juni [U. 1123], schenkte Heinrich I. dem Kloster Doberan pro salutari remedio animarum - patris nostri, videlicet Johannis de Wismaria, et matris nostre domine Luthgardis fratrisque nostri domini Alberti Renten aus Lüneburg zur Unterhaltung einer ewigen Wachskerze circa predictorum defunctorum sepulchra. Luitgard ruhete also schon in Doberan; wahrscheinlich schon mindestens seit etwa 1259, da auch ihrer Schwiegertochter Anastasia Pöl zum Leibgedinge verschrieben war.
b. Nicolaus, s. unten Tafel IV, Linie Werle.
c. Heinrich Burwy III., s. unten Tafel V, Linie Rostock.
d. Pribislav, s. unten Tafel VI., Linie Parchim=Richenberg.
Johanns I. Schwestern. - Nach der bei Kirchberg aufgezeichneten Sage hatte Johann zwei Schwestern, welche er, während er in Paris Theologie studierte, verlobte; die eine ward Königin in Marsilien, die andere Königin von Neapel und Zypern. Ueber diese Sage, welche sich ganz aus den Erzählungen über Heinrichs I. Wallfahrt nach dem heil. Lande entsponnen zu haben scheint, vgl. meine Anm. zu Jahrb. XL, S 55 flgd. - Uebrigens aber scheint Johann I. in der Tath zwei Schwestern gehabt zu haben. Denn
e. Johanns Schwester Margarete ward am 30. October 1230 dem jungen Grafen Gunzel III. Von Schwerin verlobt. Sollte sich ein zu naher Verwandtschaftsgrad herausstellen, so sollte Gunzel Dispensation erwirken [U. 381]. Uebrigens ist uns zwischen beiden keine so nahe Verwandtschaft, die ein Ehehinderniß hätte abgeben können, bekannt. Denn die von mir in Jahrb. XXXIV, S. 72-77, besprochene Kombination ist nicht mehr haltbar, seitdem wir wissen, daß die Mutter Margaretens, Christine, nicht aus Dänemark stammte, sondern eine schottische Prinzessin war. =
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Gunzels Gemahlin (und einmal ist er nur vermählt gewesen, U. 2350 vom 10. Aug. 1295: Guncelini et uxoris sue, nicht uxorum suarum) lebte sicher noch am 18. Aug. 1267 [U. 1128] und auch in seiner letzten Urkunde [U. 1344] vom 23.Oct. 1274, durch welche er - wohl im Angesichte des Todes - eine Vicarei in der H. Bluts=Kapelle zu Schwerin gründete, gedenkt er unter den Verstorbenen seiner Familie nicht seiner Gemahlin. Man muß danach annehmen, daß sie ihn überlebt hat.
f. Für eine Tochter Heinrich Burwys II. erklärt Quandt (Balt. Stud. 26, H. 2, S. 67) Mechthild, die Gemahlin Sambors II., Herzogs zu Lübschau († 13. Novbr. 1278), welche eine Urkunde ihres Gemahls vom 10. Juli 1258 [U. 828] mitbesiegelte. Meine Bedenken gegen diese Vermuthung habe ich in der Note zum M. U.=B. IV, Nr. 2667, ausgesprochen; allein ich kann doch jetzt nicht umhin, mich Quandt anzuschließen, weil ich mir sonst nicht erklären kann, warum der König Christoph I. von Dänemark den Fürsten Johann I. von Meklenburg in der Urkunde vom 15. April 1253 [U. 716] seinen Schwager nennt (dilecti soceri nostri domini Johannis Magnopolensis). Ihre Verwandtschaft war demnach diese:
Den Zamburius dux Pomeranie finden wir beim Fürsten Nicolaus von Werle am 6. März 1237 [U. 464]; seine Vermählung wird aber vielleicht schon um das Jahr 1230 anzusetzen sein, weil ihre Tochter Margarete bereits 1248 Christophs Gemahlin ward.
VI. Generation.
Die Reihenfolge der Söhne Johanns I. wird von den Historikern verschieden angegeben. Gen. Dob. [et Parch.]: habuit [genuit] sex filios, videlicet Hinricum, Nicolaum, Hermannum, Popponem, Albertum et Johannem; ebenso
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Kischberg 767; dagegen zählt Krantz (VII, 16) auf: Nicolaus, Hermannus, Poppo, Albertus, Johannes, Hinricus; Marschalck (V, 1) schließt sich Kirchberg an, überschlägt aber Hermann. - In den Urkunden kommen Heinrich und Albrecht (und immer in dieser Folge) seit dem 25. April 1247 [U. 592] sehr oft zusammen in ihres Vaters Briefen vor; 1257, 25. Mai [U. 792]: milites: Heinricus dei gracia iunior dominus Magnopolensis et noster filius (der mitsiegelt), hernach: Albertus noster filius, adhuc seruus; 1255, 2. März, in einer Urkunde Bischof Friedrichs von Ratzeburg [U. 744]: Testes dns. Hinricus junior Magnopolensis, dns. Albertus frater suus, Nicolaus et ceteri fratres eorum; 1260, 7. März [U. 859]: Ego Johannes dns. Magnopolensis et Heinricus et Albertus filii mei et eorum fratres; 1262, 13. Decbr. [U. 969]: Johannes d. gr. dns. Magnop. et dns. Heinricus filius suus - cum consensu et voluntate Alberti domicelli, qui presens aderat; als Regenten erscheinen am 17. März 1265 [U. 1040]: Hinricus et Albertus domini Magnop. - Wir ordnen hiernach: Heinrich I., Albrecht I., Nicolaus. Poppo wird in den Urkunden nie genannt; wir lassen ihn also an vierter Stelle stehen, ordnen aber die beiden letzten Brüder so: Johann und Hermann, weil sie in U. 1088 (von 1266) zweimal so auf einander folgen: Johannes et Hermannus dei gra. domini Magnopolenses; Johannes et frater meus Hermannus (die cum fratre nostro dno. Heinrico Magnop. im Erbstreit waren).
a. Heinrich I. mag um 1230 geboren sein, da ihn von 1247 an sein Vater in seinen Urkunden zunächst als Zeugen, später als Mitaussteller nennt. Er succedirte mit seinem Bruder Albrecht I. zugleich dem Vater († 1. Aug. 1264). - Ueber seine Pilgerfahrt s. meine Abh. in Jahrb. XL, S. 39 - 86. - Todestag: 1302, 4 to nonas Jannarii - 2. Jan. (Necrol. Dob. und Inschrift der Franziskaner=Kirche zu Wismar, s. U.=B. VI, 2773. - Bestattet ist er zu Doberan [U. 2779], am 10. Jan. (den vierden idus des mandes Januarii, Kirchberg 779).
Gemahlin: Anastasia wird urkundlich zuerst genannt 1273, 29. Aug. [U. 1294]; aber ihre Hochzeit wird wohl spätestens ins Jahr 1259 fallen, da ihre Tochter schon 1273 vermählt ward (s. u.). In ihrem Siegel [zu U. 1353 abgebildet] weist sie sich durch den Greisenschild in der Linken als eine geborene Herzogin von Pommern aus; se was heren Barnemes dochter, des hertoghen van Stetyn, meldet schon Albrechts v. Bardewik Chronik, Grautoff I, 417(auch Detmar z. J. 1274, Kirchberg p. 774 .).
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- Landesregentin für ihren gefangenen Gemahl [U. 1353] war sie von 1272 - 1287, als Vormünderin ihrer beiden Söhne, 1275 bis 1283 mit Johann und Nicolaus, ihren Schwägern [tutores ipsius domine et filiorum eins, U. 1382, 1385]. - Ihr Leibgedinge war Pöl [dotalieinm, U. 2297, 3080 ]. - Ihr Todestag ist wohl der 15. März 1317. (S. meine Note zu U.=B. VI, Nr. 3887.) - Ihre Grabstätte hat sie in der Franziskaner=Kirche zu Wismar ("by ehren szon Johannem im kor int norden", Tafel vom Chor der Barfüßer in Wismar) gefunden.
b. Albrecht I. succedirte dem Vater († 1. Aug. 1264) mit seinem älteren Bruder Heinrich [U. 1040]; er starb aber schon 1265 (Kirchberg 768), und zwar (nach dem Dob. Necrol.) am 15. oder 17. Mai 1265 (s. oben S. 113, Anm. 1), nicht, wie Marschalck (V, 1) angiebt, anno fere 1265., ad cal. Maias. - Grab zu Doberan [U. 1123].
Gemahlin. Dominus Albertus ducta uxore obiit absque liberis (Geneal. Dob., Parch.). In den Urkunden wird aber die Gemahlin nie erwähnt. Erst Marschalck berichtet (V, 1), sie sei eine Tochter des Nicolaus (I.) von Werle gewesen: Albertum, qui filiam duxit Nicloti Herulorum ac Vandalorum domini. Leider giebt er seine Quelle nicht an.
c. Hier etwa wird Elisabeth, die Gemahlin des Grafen Gerhard I. von Holstein, einzufügen sein. Ihre mecklenburgische Herkunft bezeugt ihr Bild in ihrem Siegel [M. U.=B. 11, S. 436], wo sie mit der Linken den Schild mit dem Stierkopf (ohne Halsfell) hält. De Ghert hadde knese Janeken dochter van Mekelenborch, berichtet Detmar z. I 1263. - Dagegen sagt das Chron. principum Sax. (Rertz, Scr. 25, 474): Gerardus vero filius junior (sc. Adolfi Johannis) duxit filiam Nicolai de Sclavia et genuit ex ea filiam, quam dnxit Johannes dux de Luneburg; qua defuncta Gerardus duxit relictam Alberti ducis de Brunsvie Aleidim, filiam marchionis Montis Ferrati, 1281.
- Letztere Angabe über Elisabeths Herkunft halten wir für unrichtig. Denn v. Aspern (Grafen v. Schauenburg, S. 145 f.) irrt freilich im Namen (Lutgard st. Elisabeth), erklärt aber mit Recht Gerhards Eingreifen in die Streitigkeiten um die Vormundschaft im meckl. Fürstenhause 1275 [U.=B. II, 1382] aus der Schwägerschaft, und seinen Besitz des Landes Dassow [U. 620 v. I. 1249, U. 929 v. I. 1261, vgl. meine Note] daraus, daß dieses dem Grafen Gerhard für den Brautschatz Elisabeths verschrieben war. Danach fiel Elisabeths Vermählung spätestens ins Jahr 1249 (1253 ist auch schon von ihren Kindern die Rede). Sie starb
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spätestens zu Anfang des Jahres 1280. Gerhard vermählte sich nicht lange hernach mit Alesine von Montferrat, Wittwe Albrechts des Großen von Braunschweig seit dem 15. Aug. 1279. Er starb am 21. Decbr. 1290. Vgl. Koppmann zu Detmar, S. 107.
d. Nicolaus. Nicolaus fuit prepositus Zwerinensis et canonicus Magdeburgensis et Hamburgensis, Geneal. Dob., Parchim. (und danach Kirchberg, auch Krantz VII, 16; Marschalck V, 1: templorum multorum canonieus). Urkunden reden nicht von den Canonicaten zu Magdeburg und Hamburg, nennen Nicolaus dagegen am 9. Juli 1246 [U. 583] magister Nic. canonicus Zwerinensis; 11. Septbr. 1248 [U. 609] ist er schon scolasticus und noch 21. Octbr. 1261 [U. 930]; 1266, 5. Jan., nennt ihn Heinrich I. als testis Nicolaus prepositus Zwerin., frater noster [U. 1059], am 9. Jan. 1266 wird er Domherr zu Lübeck [U. 1060]; 1269, 22. Febr., ist er auch Pfarrer zu St. Marien in Wismar [U. 1158]; 1275, 20. Jan. [U. 1353], heißt er dus. Nic. Zwerinensis et Lubic. ecclesiarum prepositus; er wird mit seinem Bruder Johann II. Vormund für seine Schwägerin Anastasia und ihre Söhne; am 17. Juli 1282 [U. 1635] war prepositus Nycolaus Magnopolensis auch Inhaber der Pfarre zu Bergedorf. Lebend wird er zuletzt erwähnt am 2. April 1289 [U. 2015]. - sein Todestag ist der 8. Juni (obiit VI. idus Junii et sepultus in Dobbran, Necrol. Dob.) oder nach dem Lib. memor. eccl. Lubic. [U. 2025] der 9. Juni (V. idus Junii) [U.=B. III, S. 630] 1289 oder 1290. (S. meine Anm. zu U. 2025.)
e. Poppo crucifer: sagt die Geneal. Dob.; Poppo erat crucifer: die Gen. Parch. Mehr weiß auch Kirchberg, 767, nicht (cruciger). Krantz macht daraus (VII, 16): suscepit ordinem Thentonicorum, und nach ihm Marschalck (V, 1): in ordinem Teutonicorum inter Bructeros adscitus! - sicher ist Poppo vor dem Vater gestorben, da ihn die Urkunden, in denen er, wenn er gelebt hätte, genannt sein müßte, hernach nie erwähnen. Wahrscheinlich hat er auf einem Zuge nach Livland sein Ende gefunden.
f. Johann (II.). Dominus Johannes, qui diuiserat (irrig) dominium cum fratre suo duo. Hinrico factusque fuerat dominus in Godebutze, accepta vxore filia comitis de Rauensbergh, de qua gennit vnicam filiam, mortuus est absque aliis heredibus -. So berichtet die Geneal. Dob. und fast ebenso die Geneal. Parch. - (Einen Erbschaftsstreit hatten er und Hermann mit Heinrich I. [U. 1088]; 1275 ward er mit Nicolaus Vormund für Anastasia und deren Söhne und Mitglied der Regentschaft, bis
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er 1283 mit dem Lande Gadebusch anscheinend apanagirt ward 1283, 24. Juni: Testes patrni nostri dns. prepositus Zwerin. et dns. Johannes de Godebuz.) - Kirchberg zuerst (768) berichtet von seinen angeblichen geistlichen Würden:
(Nach Kirchberg schreibt Marschalck (V, 2): in urbe Hildeshemia =templisque nonnullis aliis canonicus.)
Die Urkunden erwähnen nichts von Johanns II. geistlichem Stande. - Sein Todestag ist der 14. October 1299 (pridie idus Octobris, Dob. Necrol.).
Gemahlin: Richardis. Deren Namen erfahren wir 1302, am 29. Septbr., wo vor Eingehung einer Ehe mit ihr Wilhelmus comes de Dale ihr das Leibgedinge verschreibt [U. 2823]. Er nennt sie dominam Richardam, relictam quondam dni. Johannis dni. Magnopolensis, filiam domini Ludewici comitis de Arnesberge. Er gedenkt dabei auch eines dotalicii, quod ipsa in castro et domo Godebuz habere dinoscebatur. Vgl. unten ihre Tochter Elisabeth.
g. Hermann. Hermannus (fuit) canonicus Zwerinensis et Lubecensis: Gen. Dob., Parch. - Als Domherr zu Lübeck ist er urkundlich nicht bekannt. Herzog Wartislav von Pommern nennt ihn 1264, 17. Mai, einfach: Hermannus Magnopolensis domicellus [U. 1011]. Dann aber ward er seines Bruders Nicolaus Nachfolger als Scholaster zu Schwerin: Herm. scolasticus Zwerinensis 1265, 25. Jan. [U. 1034]. Gestorben ist er 1272 oder vor dem 4. Octbr. 1273; denn sein Nachfolger Mauritius erscheint 1272 noch einfach als canonicus [U. 1272], am 4. Octbr. 1273 aber als scolasticus [U. 1297].
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VII. Generation.
A. Heinrichs I. Kinder. a. von den drei Kindern Heinrichs I. wird die Tochter Luitgard das älteste gewesen sein; denn ihre Brüder sind erst nach 1266 geboren, sie aber ward schon 1273 vermählt. Ueber sie berichtet Detmar z. J. 1274 (Wohl nach einer Wismarschen Quelle): "By der tiid do ghaf Anastasia van Mekelenborch nach rade eres vaders, hertoghen Bar[n]em van Stetyn, ere dochter Lutghart hertoghen Primslave van Gnesen in Polenen, dewile dat ere here was in der vengnisse des soldanes van Babilonien. Desse bose hertoghe Primslaf worghede de erliken vrowen Lutgharde in sunte Martinus auende (10. Novbr.), in der tiid, do he se neghen iar hadde ghehad in den echte (also 1283). - Ebenso Korner (Eccard II, 923). - Etwas weichen davon ab die Annales 994 - 1309 bei [Sommersberg II, p. 90 und] Scr. rer. Pruss. I, p. 76: 1273: Nobilis dominicellus Przemisl puer, filius quondam ducis Przemislii (nach Somm. II, p. 70, geb. 14. Oct. 1257), intravit in terram Slavie ducis Barnim, vt videret dominicellam filiam cujusdam ducis (!) Henrici de Vistimuczcz (!), que erat nata de filia ducis Barnimi (Anastasia). Et ob hoc idem dux (Barnim) ipsam tenebat penes se, quia sibi attinebat. Et cum eam videret, complacnit sibi persona et ibidem (sibi) in terra prefati ducis Barnimi in civitate Sczeczin ipsam sibi in uxorem copulavit; et hoc factum fuit, cum sibi terminabatur sextus decimus annus natiuitatis sue (das 16. Jahr beschloß Przemysl II. erst 14. Octbr. 1273). Item a. D. 1273, in mense Julio nobilis vir dns. Boleslaus (Przemysls II. Vaterbruder) cum nobili dua. Helena uxore sua et reverendo patre duo. Nicolao episcopo et cum baronibus suis et cum eodem dominicello Przemislone occurrerunt eidem domine Lucarthe usque ad Drdzen et ibi ipsam cum honore receperunt et usque in Poznaniam duxerunt; et per dictum episcopum et canonicos ejusdem ecclesie secundum consuetudinem ab antiquo observatam cum processione sollempui ipsam in ecclesiam susceperunt. - Hiernach fand die Vermählung also 1273 zu Stettin statt. - Nach Kirchbergs gewiß nicht richtiger Erzählung (p. 782) hätte noch Heinrich I. vor seiner Pilgerfahrt selbst seine Tochter Luitgard dem Polenherzog zur Ehe gegeben. Derselbe Schriftsteller erzählt ausführlich, wie Luitgard, weil sie nicht in eine Scheidung wegen Unfruchtbarkeit willigen wollte, von ihrem Gemahl mit einem Messer erstochen und von seinen Dienern erdrosselt ward; nach Kirchberg wäre sie zu Kalisch begraben.
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Sehr diplomatisch äußern sich dagegen über den Tod der Lukardis die Annal. Polonor. I (Pertz, Scr. XIX, p. 648]: Anno eodem (1283) obiit illustrissima domina conjunx dni. ducis Primislii Majoris Polonie, filia Nicolai Kassubite (!), nomine Lucardis dicta; mortem vero eius nemo potuit indagare, qualiter interiit. - - Dux eciam Primislius nomine, filius Primislii, sepulta uxore quatuor diebus ante in Gnezna, quantocius ad predictam consecrationem (nämlich zur Weihe des Jacobus Dwinka in Kalis 19. Decbr. et dominico die in archiepiscopum Gneznensis ecclesie) cum magna multitudine advenit. Ein Zusatz zu der analistischen Nachricht, daß man den Tod der Fürstin nicht habe ermitteln können, in einer Heilsberger Handschrift (Scr. rer. Pruss. I, p. 769) lautet: Sed salva reverentia illius historiographi nos temporibus juventutis nostre vidimus in castro Gnesnensi capellam quandam ligneam, que vulgariter appellatur Cruchta, in qua erant duo grandes lapides in modum molarum molendini, sanguine, ut dicebatur, ejusdem domine rubricati, inter quos, ut dicitur, fuit concussa totaliter et extincta, et in ecclesiam Gnesnensem fuit tradita sepulture. - Nach diesen verschiedenen polnischen Nachrichten wird man annehmen dürfen, daß Luitgard nicht, wie Detmar sagt, am 10. Novbr., sondern erst im Decbr. 1283 von ihrem Gemahl und dessen Dienern zu Gnesen ermordet und dort auch (und nicht in Kalisch) bestattet ward. - Przemysl II. vermählte sich 1285 wieder mit Rixa von Schweden. Er ward am 26. Juni 1295 als König gekrönt, aber 1296, 8. Febr., prope oppidum Rogoszno von Polen ermordet.
b. Heinrich II. Dieser nennt 1286, Juli 26 [U. 1858], seine Vorfahren: illustris Borwinus quondam dns. Magnopolensis de voluntate filii sui dni. Henrici dicti de Werle, nostri proaui pie mem., subsequente eciam consensu dni. Johannis, nostri aui, et Hinrici, patris nostri felicis recordacionis, - vna cum matre nostra Anastasia et fratre nostro Johanne. =1266, am 14. April [U. 1078], hatte Heinrich I. noch keine Söhne; der ältere, Heinrich, ist nach Kirchberg (p. 774) zu Riga geboren, Johann 3 Jahre später (das. p. 782). Johann wird aber spätestens 1271, wahrscheinlich jedoch, da er sich 1288 vermählte, 1270, Heinrich II. also 1267 oder zu Anfang 1268 geboren sein. (Von Heinrich I. haben wir vom Juni 1267 - 1. Mai 1269 keine in Meklenburg gegebene Urkunden; in diese Zeit fällt also höchst wahrscheinlich seine "peregrinacio versus Lyuoniam", deren er am 8. Juli 1270 Erwähnung tut [U. 1193]). zu beachten ist auch,
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was Slagghert (vielleicht nach einer alten Auszeichnung in Ribnitz über den Stifter des Klosters) auf Fol. 142 b z. J. 1292 erzählt: Here Hinrick de Lowe ghenomet - de nu olt was xxv iar, heft syck vorenyget myt deme - froyken Beatrix ofte Beata. Zählte er 1292 aber 25 Jahre, so muß er 1267 geboren sein. - (Seit dem 26. Juli 1286 [U. 1858] stellt Heinrich II. Urkunden mit Consens seiner Mutter oder in Gemeinschaft mit ihr aus, sicher seit seines Bruders Tode allein. Nach des Vaters Heimkehr ist er dessen Mitregent und succedirt diesem am 2. Jan. 1302. - Ueber Stargard regiert Markgraf Albrecht III. bis an sein Ende (nach 1300, 28. Aug. [U. 2510]), nach seinem Tode zunächst sein Neffe Markgraf Hermann (schon 5. Novbr. 1300 [U. 2636]), dann auch Heinrich II. von Meklenburg (schon 11. Novbr. 1300 [U. 2637, 2638, vgl. Nr. 2806, 2815, 2872, 2885]), als Hermanns Lehnmann [U. 2791, 2827]. Aber ohne Rücksicht auf Hermann nennt sich Heinrich schon 1302, Juni 24: Nos Hinricus d. g. dns. Mychelburgensis et de Stargarde [2806], 1303, Juni 23: Hinricus d. g. Magnopolensis Stargardieque dns. [2872] in stargardischen Angelegenheiten; seit dem Vietmannstorfer Vertrag (15. Jan. 1304) wird der Zusatz et Stargardie oder ac Stargardensis dns., here to Mekelenborgh vnde to Stargarde, bald auch in den nicht Stargard angehenden Urkunden immer häufiger und hernach regelmäßig - Schon am 30. Juni 1322 [U. 4362] giebt Heinrich II. eine Urkunde als Hinricus dei gra. Magnopolensis, Stargardie et Rostock dominus, desgl. am 13. Decbr. 1322: Ic Hinric van Mekelenborch, van der godes chenade to Stargarde vnde to Rozstoke en here [U. 4394], auch ac Rozstoccensis dns. am 8. März und 10. April 1323, also, wenn auch noch vereinzelt, schon vor der erblichen Belehnung mit dem Lande Rostock durch König Christoph von Dänemark am 21. Mai 1323 [U. 4443].
Heinrichs II. Todestag ist der 21. Jan. 1329 nach Detmar (in sunte Agneten daghe), auch nach Korner (bei Eccard II, 1037, aber z. J. 1330), und nach der Ziegelinschrift auf des Fürsten Grab zu Doberan (S. U.=B. VIII, Nr. 5023) und Marschalck (auf seiner Holztafel in Doberan), oder der 22. Jan. nach dem Necrol. Dob., Kirchberg (825), Marschalck (V, 4). Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Tagen ist sehr schwierig.
Gemahlinnen: 1) Beatrix, Tochter des Markgrafen Albrecht III. von Brandenburg(=Stargard), vor dem 23. December 1291 mit Heinrich II. verlobt [U. 2138]. Wegen Verwandtschaft
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der Verlobten im 4. Grade erfolgte am 22. März 1292 [U. 2159] Dispensation.
In deme iare Cristi 1292, in dem daghe sancti Tibnrcii (11. August), do untfink her Hinric van Mekelenborch sine brut, de het Beatrix, in der stad to Nygenbrandenborch, meldet Detmar; dasselbe Jahr giebt auch Slagghert (s. oben S. 159). - Beatrix starb 1314, Mauricii (Septbr. 22) zur Wysmar -, yn der smede straße - uf irem wagen - und ward daselbst zu den barfuszin begraben (Kirchberg 807), vor dem hoghen altar (Slagghert Fol. 143). Die Franziskaner=Kirche steht nicht mehr, ihre Stelle ist bekannt; s. den Grundriß in Jahrb. VI, zu S. 99.
2) Anna ward von ihrem Bruder, Herzog Rudolf von Sachsen, 6. Juli 1315 (bei Kraak), Heinrich II. von Meklenburg verlobt (Leibgedinge: Gadebusch, U. 3771). Sie war also eine Tochter Albrechts II., filia quondam illustris princ. Alberti ducis Saxonie [U. 5007, 5016], Herzogs von Sachsen=Wittenberg, und durch ihre Mutter Agnes [U. 3185] eine Enkelin des deutschen Königs Rudolf I. - Am 6. Jan. 1317 war sie bereits Frau von Meklenburg [U. 3870]; die Hochzeit war zu Dömitz gehalten (Kirchberg 807). Anna war Wittwe des am 13. Januar 1315 erschlagenen Markgrafen Friedrichs des Lahmen von Meißen (den Kirchberg (807) und Slagghert (Fol. 143) einen lantgreven von Düringen nennen). Sie lebte noch am 25. Juni 1327 [U. 4843], aber nicht mehr am 9. Aug. 1328 [U. 4960, B.]. Nach Kirchberg (822) starb sie am 22. Novbr. 1327 [czehin kalendas Decembris] und ward in Wismar begraben ,zun barfuszin" (by froychen Beaten [Beatrix] in dat kor, setzt Slagghert hinzu). Dagegen starb nach Latomus (Westph. IV, 285, unter Berufung auf eine Wismarsche Urkunde) Anna erst am 1. März 1328; auch die ehemalige Tafel im Franziskaner=Chor gab das Jahr 1328. Dies zweite Datum stimmt aber weniger zu Detmars Angabe über Heinrichs II. dritte Vermählung in dem zweiten Quartal des Jahres 1328 (s. u.).
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3) Heinrich II. gedenkt am 13. Jan. 1329 [U. 5016] aller drei dominarum consortum nostrarum, Beatricis videlicet, filie quondam inclyti princ. Alberti marchionis Brand., et Anne, ill. princ. Alberti ducis Saxonie, felicis recordacionis, necnon et dilecte in Cristo nostre conjugis Agnetis, filie Guntheri comitis Lindowensis, adhuc superstitis. Seit dem November 1325 war Agnes Wittwe des Fürsten Wizlav (IV.) von Rügen; mit Heinric von Meklenburg vermählte sie sich 1328. Detmar z. J. 1328: "In der tyd in der vasten an unser vrowen daghe der bodescap (25. März) do vil grot snee - -. In der tyd nam de here van Mekelenborch sin dridde wif, des greven dochter van Reppin, de den van Ruyen vore hadde. Do wart vorevenet dat orloghe tuschen hertoghen Wertzlawen kindere vnde de heren van Mekelenborch vnde Wenden (zu Bruderstorf 27. Juni, s. U. 4940). Hieraus möchte man entnehmen, daß die Hochzeit zwischen dem 25. März und dem 27. Juni gefeiert sei. Dann fällt aber allerdings auf, daß Heinrich am 9. Aug. [U. 4960] noch sagt: Vt autem. omnium bonorum operum apud dictas virgines (zu Ribnitz) - vna cum nostris progenitoribus et vxoribus piissime recordacionis participes effici mereamur, ohne auch seine dritte Gemahlin einzuschließen. - Seit diese am 21. oder 22. Jan. 1329 zum andern Mal Wittwe ward, scheint sie in ihrem Leibgedinge, Stadt und Land Sternberg [Kirchberg und U. 5095, 5295, gelebt zu haben. Zuletzt begegnet uns "domina Agnes, nunc terre Sternebergensis dominatrix", am 30. Juli 1343 U.. 6327], nicht viel später wird sie gestorben sein [U. 6598 mit m. Anm.] 1 ).
c. Johann III" geb. um 1270 (s. o. S. 158), in den Urkunden oft als Anastasiens jüngerer Sohn und Heinrichs II. Bruder bezeichnet. So auch bei Kirchberg, 781; doch mißverstand diesen Marschalck (V, 2) in seiner grenzenlosen Flüchtigkeit so, daß er Johann III. für einen Sohn Johanns II. ausgiebt, Luitgart, Johanns III. Tochter, für dessen Mutter! - Detmar erzählt: In deme iare Cristi 1289, twe daghe na alle[r] godes hilghen daghe (= 3. Novbr.), do untfink in dat echte junchere Johan van Mekelenborch de erlike, schone maghet Helena,
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ene dochter Wentslavi (Witzlavs), enes vorsten van Ruyen =. He vurde ze over unde brachte ze to den Sterneberghe, dar was de brutlacht mit groten hove. Diese Vermählung gehört aber spätestens ins Jahr 1288. Denn im Jahre 1289 (Tafel in Chor der Wism. Franziskaner und Kirchberg 781), und zwar schon 1289, 27. Mai (VI. kalendas Junii, Necrol. Dob.), ertrank Johann bei Pöl (nicht 1299, wie Marschalck (V, 2) angiebt). =Grab im Chor der Franziskaner=Kirche zu Wismar (Tafel im Chor dieser Kirche, Jahrb. VI, S. 101; Kirchberg 781).
Ueber Helenas Abstammung berichtet Kirchberg, 781, wie Detmar. - Ihr Name kommt in unsern Urkunden nicht vor; einmal consentirt [U. 2023] relicta filii ejus (sc. Anastasie) quondam Johannis. - 1302, 27. December, in seinem Testament [U,=B. V, 2835], gedenkt ihr Vater Wizlav III. ihrer schon als dilecte filie mee comitisse de Bernaburgh. - Im Kloster Widerstedt (bei Hettstädt) fand auf ihrem Grabstein Hoppenrod (Stammbuch, 1570) die Inschrift: "Anno domini 1315. obiit Helena d. [R]uye, uxor illustrss. principis Bernhardi, uigilia Laurentii (= 9. Aug.). Cujus anima requiesc[a]t. Amen." - Vgl. Lisch, Jahrb. XXV, S. 67.
B. Johanns (II.) Tochter. Nach der Geneal. Dob. (s. S. 155) hinterließ Johann II. von Meklenburg(= Gadebusch) vuicam filiam, absque aliis heredibus. - Kircherg, 781, berichtet von ihm:
Dagegen v. Behr (p. 93) und Cohn (Stammtafeln I, Tf. 139) schreiben dem Fürsten Johann II. drei Kinder zu: 1) Lütgard, † nach 2. Aug. 1353, vermählt mit Werner (Cohn: N.) v. Hadmersleben; 2) Johann, † jung; 3) Elisabeth, lebte noch 1352 als Aebtissin von Rehna. Indessen ist Johann, der jung verstorben sein soll, nur aus der S. 161 gerügten Konfusion Marschalcks entsprungen, desgleichen ohne Zweifel der Name Lütgard. Elisabeth wird in Urkunden wohl nicht vor dem 2. Aug. 1353 [U. 7804] genannt; an diesem Tage aber schenkte Herzog Albrecht von Meklenburg dem Kloster Rehna: quinque marcarum redditus Lub. den. annuatim in villa Roduchelstorpe (Roduchelstorf, im Lande
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Gadebusch) sublevandos, quos religiosa domicella Elizabeth, filia nobilis viri . . domini de Godebutz, patrui nobis felicis recordacionis karissimi, nomine dotalicii hactenus possedit pacifice et adhuc actu dinoscitur possidere, qui ipso jure post eius obitum ad nos nostrosque successores denoluerentur. Also am 2. Aug. 1353 war die Fürstin Elisabeth noch einfach Noune zu Rehna; am 20. Decbr. 1354 [U. 8021] erscheint dann zuerst Elizabeth priorissa - in Rene. Ob diese identisch ist mit der Fürstin Elisabeth, oder mit der am 9. Septbr. 1346 [U. 6678] genannten Elizabet celleraria - in Rene, muß dahingestellt bleiben, zumal 1326, im Septbr. [U. 4765], auch eine Elizabet de Lubeke und mit ihr gleichzeitig eine Elisabeth Krufe [U. 4677] als Nonnen im Kloster Rehna lebten. Die Priorin Elisabeth lebte auch noch am 27. März 1355 [U. 8062]. - Auch die Annahme, daß Elisabeth als Wittwe eines Edlen v. Hadmersleben ins Kloster Rehna gegangen sei, findet in den Nachrichten bei Engeln: "Die Edlen von Hadmersleben" (Magdebg. Geschichtsbl. X, 1875, S. 342 f.), keinen Anhalt, da derselbe um jene Zeit keine Gemahlin eines Edlen v. H. mit dem Namen Elisabeth und überhaupt keine Verschwägerung dieser Herren mit den Fürsten von Meklenburg kennt. Wäre der Name Lütgard von einer Tochter Johanns von Gadebusch in älterer Zeit bezeugt, so konnte diese allerdings nur die zweite Gemahlin Werners, Grafen zu Friedeburg und Herrn zu Egeln, der 1269 - 1314 in Urkunden vorkommt und vor dem 13. Decbr. 1317 gestorben ist (s. Engeln S. 362), gewesen sein; denn diese hieß nach Jordan angeblich Lukardis. Doch ist auch dies sehr ungewiß (Engeln S. 362). Bis auf etwanige weitere Entdeckungen können wir also, dem ältesten Zeugniß folgend, nur Elisabeth, Nonne zu Rehna, in unsere Stammtafel aufnehmen.
VIII. Generation.
A. Heinrichs II. Kinder. - Die Geneal. Dob. kennt nur zwei Söhne Heinrichs II.: Albrecht und Johann, und keine Töchter. Kirchberg c. 138 (p. 783) berichtet von der ersten Gemahlin Beatrix:
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ane eyn tochtir, hiez Mechthild, dy nam von Lunoborg Otto zu eynem elichin wybe so.
Aus der 2. Ehe mit Anna kennt Kirchberg c. 155 (p. 807) fünf kinder:
Anna (p. 824) hält Kirchberg irrig für die Ribnitzer Klosterfrau und spätere Aebtissin zu Ribnitz. (Ihm folgt Marschalck V, 4.) Slagghert (Fol. 143) kennt 6 Kinder der Herzogin Anna: Hinrick, Albrecht, Johan, Anna, Agnes, Beata, hält aber Mechthild für das einzige Kind von froyken Beatrix ofte Beata. - Die Abschrift im Franziskaner=Chor zu Wismar nennt statt Anna: Anastasia. Es scheint hiernach, als ob man Anna als Kosesorm von Anastasia, und Beate als Koseform von Beatrix deutete. Namentlich Slagghert nennt die Aebtissin Beatrix stets Beata, obwohl er die Bedeutung des letzteren Namens recht wohl kannte. (Fol. 167: Beata, dat is hillich.) Auch König Albrecht spricht 1388, 6. Dec., von vnses leuen vader suster Beaten, ebbedishen etc.
a. Mechthild, dem Herzog Otto III., Sohne Ottos (II.) des Strengen von Braunschweig=Lüneburg, verlobt II. Aug. 1307 [U. 3179], wird am 1. Mai 1311 [U. 3467] schon als dessen Gemahlin bezeugt. Dadurch gewinnt die Rostocker Chronik und Kirchbergs Erzählung (p. 789), daß die Hochzeit 1310, und zwar, weil Wismar sich weigerte die Hochzeitsgäste einzulassen, in Sternberg stattgefunden habe, an Glaubwürdigkeit. (Detmar erzählt z. J. 1311 die Weigerung Wismars aus Anlaß der zweiten Vermählung Heinrichs II., die dort erst 1315 stattfand!) Slagghert giebt an (fol. 142 b ):. Metilde, welle(r) wurt vortruwet deme eddelen hertogen Otte tho Luneborch, do se olt was xviii jar, in deme jare, do men screff drehundert vnde x. Danach muß sie im Jahre 1293 geboren, also das älteste Kind der Fürstin Beatrix gewesen sein. Die Verwandtschaft zwischen den 1307 Verlobten, deretwegen die päpstliche Dispensation eingeholt werden sollte, war, wie Lisch in Jahrb. XVIII, S. 203, richtig angegeben hat, diese:
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(Die andere Verwandtschaft über Brandenburg, welche Lisch ebendort aufgestellt hat, ist aber irrig; Beatrix war nicht Ottos VI., sondern Albrechts Tochter.) - Am 27. Febr. 1334 [U. 5500] leistete Mechthild zu Gunsten ihrer beiden Brüder Verzicht auf alle Anwartschaft an Lehn= und Erbgut von väterlicher und von mütterlicher Seite. - Am 19. Aug. 1352 ward sie Wittwe . Sie lebte noch 1358, am 20. April. Ihr Todestag ist nach dem Necrol. Luneb. der 3. Juni. - Wie ihr Gemahl, ist auch sie zuerst (nach C. Steinmann, Grabstätten der Fürsten des Welfenhauses, Braunschweig 1884, S. 85) in der Kirche des St. Michaelis=Klosters auf dem Kalkberge vor Lüneburg bestattet, aus welcher 1371 bei der Zerstörung des Klosters auf dem Kalkberge und Verlegung desselben in die Stadt die Gebeine der dort begrabenen Fürsten zunächst nach St. Cyriaci in die Kapelle Omnium sanctorum und hernach in die neue Michaeliskirche zu Lüneburg übertragen wurden.
b. Unter den Kindern der 2. Ehe ist vielleicht Heinrich das älteste; jedenfalls war er älter als Albrecht, denn 1321, am 5. Jan. [U. 4252], gedenkt Heinrich II. filiorum nostrorum Henrici et Alberti (also Heinrichs zuerst). Albrecht aber muß Ende 1317 oder im Jahre 1318 geboren sein, da er bis 1336 unter Vormundschaft stand. Nach dem 5. Jan. 1321 wird Heinrich in Urkunden nicht mehr erwähnt; hätte er am 24. Juli 1321 [U. 4285 flg.] noch gelebt, so wäre sicher er, und nicht Albrecht, mit der Euphemia von Schweden verlobt. Daß er am 22. April 1321 verstorben sei, geben neuere Genealogen aus mir unbekannter Quelle an.
c. Albrecht, s. unten Tafel II.
d. Die (nur abschriftlich erhaltene) Tafel im Chor der Franziskaner=Kirche zu Wismar berichtet: Anno 1321 ist gestoruen desulue iunge her Hinricus, filius [filii] Hinrici Hierosolimitani. Sin suster froychen Anastasia kort darna. Die Tafel erwähnt (sehr unvollkommen) ihrer noch beim Tode der Mutter, was Latomus (Westph. IV, 285) besser erzählt, daß nämlich der Herzogin Anna "Corper mit zweien Corpern ihrer Kinder, nemlich Herrn
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Henrichs und Frewlein Anastasiae, zur Wismar im Kloster [der Franziskaner] zur erden bestätiget und in ein Begräbniß gesetzt worden.
e. Von den jüngeren beiden Töchtern wird Beatrix stets vor Agnes genannt [U. 5066 (1329): domicellis Alberto et Johanni ac Beatrici et Agneti; U. 5145: vnsen susteren Beatricen vnde Agneten], doch mohl nicht wegen ihres geistlichen Charakters, sondern weil Agnes jünger war. Slaggherts Angabe, daß Beatrix 1324 geboren sei, steht mit nichts im Widerspruch. Am 15. März 1325 [U. 4602] verlobte Heinrich II. filiam nostram Beatricem mit dem Prinzen Jarimar von Rügen, der aber noch in demselben Jahre starb. Die Eltern bestimmten Beatrix nun zum geistlichen Stande, und zwar der Vater am 20. Jan. 1329 [U. 5022] zum Kloster Ribnitz; schon am Palmsonntag 1329 ward sie ghecledet vor deme hoghen altar. - 1349, an deme auende der hemelvart vnses heren (= 20. Mai), ward sie zur Aebtissin gewählt, trotz ihres Bedenkens: so se nicht older were also xxiiii jar (wonach ihre Geburt nach dem 20. Mai 1324 angesetzt werden muß). (Slagghert fol. 160.) Als "Beatrix domicella Magnopolensis, sororum ordinis s. Clare in Rybbenitze locum tenens abbatisse, gab sie 1350, nach dem 8. September, eine noch erhaltene Urkunde [7120]. Beatrix restgnirte als Aebtissin 1398 (am 4. Sonntage nach Ostern [= 5. Mai] ward ihre Nachfolgerin erwählt); sie starb 1399, do se olt was lxxv jar, - des dinxtedages vor Tiburcii (= 5. August). (Alles nach Slagghert, fol. 166, 167.)
f. Agnes. War sie jünger als Beatrix, so kann sie erst 1325 geboren sein, mithin noch nicht volle 13 Jahre gezählt haben, als sie sich vermählte. Detmar erzählt nämlich: 1338, to twelften -in der großen Versammlung geistlicher und weltlicher Herren vom 6.-13. Jan. - to Lubeke -, dar louede de here (Albrecht II.) van Mekelenborch sine suster demejuncheren Nycolawese (III.) van Wenden; de nam se cortlilken darna. - Sie ist aber sehr jung verstorben. Denn Nicolaus III. und Bernhard II. gedenken 1344, 14. März [U. 6390], Agnetis, vxoris domicelli Nicolai pie memorie. Sie war aber auch damals nicht erst vor Kurzem, sondern schon vor 1341 verstorben, da in diesem Jahre Nicolaus von Werle sich abermals vermählte. (S. unten zu Tafel IV.)
g. Das jüngste Kind Heinrichs II. war vermuthlich Johann II. S. Tafel III
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B. Johanns III. Tochter. - Lütgard, Johanns III. vnica filia (Geneal. Dob.), kommt in mecklenburgischen Urkunden wohl nur einmal vor; 1318, Novbr. 22 [U. 4025], verkaufte nämlich Heinrich II. die Insel Pöl und Dörser der Vogtei Bukow: accedente - beneplacito nostre predilecte fratruelis domine Ludchardis, ohne Zweifel, weil dies ihr Leibgedinge war. Damals war sie aber schon zum 2. Mal Wittwe . Kirchberg berichtet c. 137 (781) von ihr:
Graf Gerhard II. von Hoya † 18. Octbr. 1311 (v. Hodenberg, Hoyer U.=B. I, Stammt. Nr. 13 und 13 b II, 8, S. 92, U. 123). - Detmar 1315: In deme herveste wart dode slaghen greve Alf to Segheberghe uppe sinem bedde enes morghens by der grevinnen, de broderdochter was des heren van Mekelenborch. - Graf Günther III. von Lindow kommt bis 1334 vor; Lütgard ward noch zum 3. Mal Wittwe . Denn die Denktafel in der Dominikanerkirche zu Neuruppin berichtet: Anno MCCCLII. obiit domina Lutgardis, uxor domini Guntheri (Riedel, Cod. dipl. A, 4, S. 39). Sie scheint aber zuletzt nicht in der Grafschaft Lindow=Ruppin, sondern in Meklenburg gelebt zu haben. Denn die Denktafel der Franziskanerkirche zu Wismar schließt mit den Worten: Froychen Lutgart, filia ducis Johannis submersi. Im kor begrauen. Bestattet ist sie hiernach also zu Wismar.
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Zu Tafel II.
Haus Meklenburg=Schwerin bis auf Herzog Magnus II.
VIII. Generation.
Albrecht II., geboren (1317 oder) 1318, succedirte seinem Vater (s. o. S. 159) unter Vormundschaft 1329, erreichte die Mündigkeit 1336, erlangte zu Prag am 8. Juli 1348 durch K. Karl IV. die Würde eines Reichsfürsten und Herzogs, theilte seinen Bruder Johann am 25. Novbr. 1352 mit den Landen Stargard, Sternberg und Eldenburg (Lübz) mit der Ture ab [U. 7679, vgl. U. 8049] und erwarb am 7. Decbr. 1358 die Grafschaft Schwerin [Jahrb. XXIV, S. 199].
In deme jare Cristi M. ccc. lxxix., des vrydages vor vastelavende (= 18. Febr.), do starf hertoge Albert van Meklenborch to Swerin unde wart begraven to Doberan, berichtet der Zeitgenosse Detmar. Und es giebt auch keine nach diesem Tage von Albrecht ausgestellte Urkunden. (Korner sagt erst zum Jahre 1380: Albertus dux Magnopolensis - obiit in carnisprivio, secundum chronicam Obotritorum (?), et sepultus est in Dobberan, monasterio ordinis s. Bernhardi; und auch Marschalck (VII, 1): obiit a. fere 1380!)
Gemahlinnen. 1) Euphemia, Tochter Herzog Erichs von Schweden, durch den Vertrag ihrer Mutter, der Herzogin Ingeborg, und des Fürsten Heinrich II. von Meklenburg vom 24. Juli 1321 [U. 4285] mit Albrecht II. verlobt. Ueber die Hochzeit berichtet Detmar: In deme jare Cristi 1336, na paschen (Ostern: 31. März), do sande de koningh Magnus van Sweden unde van Norweghen sine suster Euphemiam to Rostok Alberte, deme heren van Mekelenborch; de nam se, unde hadde dar vele heren to der hochtid. - Eufemye, van der gnade ghodes hertoghinne to Mekelenborch vnd greuynne to Zwer[in] verzichtete 27. Octbr. 1363 dor bede willen vses heren hertoghen Albertes van Mekelenborch auf Haghenowe, dat vse lifghedingh was Mit Hebungen aus Hagenow stiftete aber Albrecht II. am 16. Juni (dominiea post Viti) 1370 im Dom zu Schwerin eine Vicarei precipue in remedium animarum illustrium et inclitarum principum Euphemie, nostre, Ingheburg, dicti Hihrici filii
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nostri conthoralium, pie recordacionum ducissarum Magnopolensium. Wahrscheinlich waren beide Herzoginnen unlängst verstorben; Ingeburg lebte noch 1368, s. u. - Am 10. October 1378 (Lisch, Maltzan II, S. 319) gedenkt Herzog Albrecht II. quondam felicis memorie Eufemye, nostre conthoralis. Damals war er aber schon wiedervermählt mit:
2) Adelheid. - Slagghert erzählt merkwürdiger Weise schon zum Jahre 1371 (fol. 163 b ) die Widervermählung Albrechts II. mit der Gräfin von Hohenstein, deren Namen er so wenig kennt wie Marschalck (VII, 1), der übrigens kein Jahr nennt, sondern nur sagt, Albrecht sei damals grandaevus gewesen (wiewohl er höchstens 60 Jahre zählte). Jedenfalls fällt die Vermählung wohl nicht lange vor den 4. März 1378. Denn an diesem Tage verpflichteten sich Albrecht, Herzog von Braunschweig, und Dietrich, Sohn des Grafen Ulrich von Hohenstein, dem Herzog Albrecht II. und seinen Söhnen zu halbjährigen Kriegsdiensten vor de medegaue, de greue Olrik van Honsteyne der hochgebornen vrowen Alheyde, syner dochter, dessem vorbenanten hertogen Albrechte van Mekelenborgh medeghaf (d. h. als Mitgabe versprochen hatte!). - Adelheids Todesjahr ist uns unbekannt.
IX. Generation.
Herzog Albrechts II. Kinder. - Die Geneal. Dob. berichtet nur: Iste dominus Albertus habuit (!) tres filios: Hinricum, Albertum et Magnum, quos genuit sibi uxor sua Eufemia, soror domini Magni, quondam regis Suecie. Dagegen ist die Geneal. Parch. ausführlicher: Iste dns. Albertus predictus genuit ab Eufemia, sorore Magni regis Swecie, tres filios: Hinricum, Albertum, Magnum, et duas filias: Yngeburgem, quam desponsauit Romano marchioni Brandenburgensi, et Annam, quam comiti Adolpho comiti (!) desponsauit.
a. Heinrich III. wird zuerst genannt am 8. Mai 1350 [U. 7076]; er konnte damals höchstens 13 Jahre zählen. Später (seit etwa 1356) finden wir ihn vielfach in Geschäften bei dem Vater und als dessen Stellvertreter. Er succedirte demselben mit seinen beiden Brüdern 1379. - Ueber seinen Tod berichtet der Continuator Geneal. Dob. (S. 22) im Anfange des 15. Jahrhundert's also
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etwa 20 Jahre nach dem Ereignis: Hinricus hastiludiis intendens in curia sua Wismer [am Rande von derselben Hand: anno dni. M°ccclxxxiiii°, in die sancti Georgii], ubi subtus equum corruit, adeo lesus fuit, quod paulo post exspirauit. - Dagegen der Zeitgenosse Detmar berichtet zum Jahre 1383 (Koppmann I, S. 578): In deme sulven jare, in der anderen weken na paschen, do starf to Zwerin hertoghe Hehrik to Mekelenborch. - Slagghert fol. 165: Anno M. ccc. lxxxvj. Hertich Hinrick tho Mekelenborch, ghenomet de Henger, Albrechtes sone - -. Na deme dode sines heren vader heft he regeret vij jar lanck in groter leue vnde rechuerdicheyt, vnde darna in dessem vorbescreuen iar - ys gestorben an deme dage Georgii tho der Wysmer in deme stekel- vnde riddersspele. Im Tage konnte, so sollte man denken, der Doberaner Autor nicht wohl irren, da Heinrich zu Doberan bestattet und unzweifelhaft dort ins Necrologium eingetragen ward; und die Lübecker Angabe: in der anderen weken na paschen, würde dazu ganz wohl stimmen für das Jahr 1384, insofern der gewöhnliche Georgentag, der 23. April im Jahre 1384 der Sonnabend in der ersten vollen Woche nach Ostern war, im Jahre 1383 aber, wo Ostern am 22. März gefeiert ward, der Georgentag erst in die vierte Woche nach der Osterwoche fiel. Wie geneigt man daher sein möchte, dem Doberaner Genealogen beizutreten (der übrigens auch den Tod des Herzogs Magnus, wie wir hernach sehen werden, um ein Jahr zu spät angesetzt hat), verbieten es uns doch die Urkunden. Denn die letzte von Heinrich III. Selbst gegebene ist vom December 1382 datiert. Am 15. August 1383 aber verpfändeten schon Magnus vnde Albrecht, vedderen, van godes gnaden hertogen to Mek., greuen to Zwerin (also Magnus I. und Albrecht, Heinrichs III. Sohn) ihre Mühle zu Poischow (Orig). Desgleichen bestätigten dieselben am 21. Novbr. 1383 den Verkauf von Zessin (Orig.), und am 25. Jan. 1384 urkundeten dieselben beiden Herzoge (und nicht mehr Heinrich III.) über 2 Hufen zu Hornstorf. Detmar verdient also in Bezug aus das Jahr sicher den Vorzug; dagegen den Todestag konnte der Genealage zu Doberan zu leicht mit Sicherheit aus dem dortigen Necrologium erfahren, als daß man darin einen Irrthum annehmen sollte, zumal Detmar sich so unbestimmt ausdrückt. Es dünkt uns daher das wahrscheinlichste, daß das Turnier zu Wismar in der zweiten Woche nach Ostern 1383 stattfand, und an der dabei empfangenen Verletzung der Herzog am 24. April [dem Georgentage der Schweriner Diöcese] zu Schwerin gestorben ist.
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Gemahlinnen 1) Heinrich III. ward, noch Knabe, durch seinen Vater am 8. Mai 1350 [U. 7076] verlobt mit Margarete, Tochter König Waldemars IV. von Dänemark, die noch nicht 10 Jahre zählte, und als diese bald hernach starb, am 23. Octbr. 1350 [U. 7130] mit deren Schwester Ingeburg. Mit dieser Prinzessin ist Heinrich später vermählt, nach Slagghert (fol. 162, aus unbekannter Quelle, vielleicht aber nach Aufzeichnungen über die Tochter, Aebtissin Ingeburg) im Jahre 1361. Diese Angabe ist nicht unwahrscheinlich; denn am 4. Juni 1362 quittierten Herzog Albrecht II. und seine Söhne den König Waldemar und seinen Sohn Christoph wegen Geldes, dat se vs schůldich hebben wesen van der medeghaue weghene vrowen Ingheburges, vses vorbenomeden heren koningh Woldemares dochter, de vses, hertoghen Hinrikes vorbenomet, hwsvrowe is. (Kopenh. Archiv.) - Ingeburg ward noch 1368 von einer Tochter (der oben erwähnten späteren Aebtissin) entbunden. Am 16. Juni 1370 aber lebte sie nicht mehr (s. o. S. 170/1).
2) Am 26. Febr. 1377 beurkundete Fürst Bernhard II. von Werle, dat wi vnd vse eruen deme hochgeborn vorsten hertogen Hinrike, des dorluchtigen hertogen Albrechtes to Mekelenborges sone, hebben ghegheuen vnse oldeste dochter vern Mechtilde to eneme eliken wiue, und verpfändete für ihren Brautschatz Stadt und Land Röbel. - Spätere Nachrichten über Mechthild sind bisher nicht bekannt; Kinder aus dieser zweiten Ehe werden nicht erwähnt.
b. Ingeburg. - 1) Ingeburg war zunächst verlobt mit dem Markgrafen Otto (IV.) von Brandenburg (geb. 1347); allein diese Eheberedung ward am 25. Juli 1357 aufgehoben, und Ingeburg gleichzeitig mit Ottos (älterem) Bruder, dem Markgrafen Ludwig dem Römer (geb. 1328), verlobt (- dat wi vorbenů mede marggreue Ludowich die Romer selue nemen scholen vnd willen vnd nemen - hertogen Albrechtes dochter iungfrowen Ingheborgh tu enem eliken wife, vnd die selue fruntschap mit vnsem liuen brudere marggreuen Otten, die vor begrepen was, schal af sin mit vnser beider guden willen etc.). Ihre Hochzeit muß vor dem 28. Febr. 1360 gefeiert sein; denn an diesem Tage leistete die Stadt Perleberg ihr als Markgräfin die Leibgedinges=Huldigung, und sie gab derselben eine Privilegien=Bestätigung. Ludwig der Römer † 14. Mai 1365.
2) Ingeburg vermählte sich zum andern Mal mit dem treuen Verbündeten ihres Vaters, dem Grafen Heinrich II. von Holstein
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(dem Eisernen), dessen erste Gemahlin Mechthild v. d. Lippe 1365 (vor dem 12. März) erstorben war. Von dieser Vermählung erzählt M. Eilard Schonevelt (bei Korner [Eccard II, 1105] und bei Junghans, Heinrich der Eiserne, S. 54), doch einige Jahre zu früh: Medio autem tempore (1363!) Albertus dux Magnopolensis filiam suam Yngeburg, per mortem Lodowiei marchionis de Brandenburg interim vidnatam, - dno. Henrico prelibato Holtzatorum comiti in matrimonio copulanit. Der Presb. Brem. (25) berichtet auch davon und von Ingeburgs reichem brandenburgischem Leibgedinge, aber mit einem genealogischen Irrthum: Comes Hinricus, rediens in patriam suam, duxit vxorem filiam supradicti Hinrici (vielmehr Alberti!) ducis Magnopolensis, cujus sororem Adolphus comes sibi eciam copulabat. (S. u.) Hec autem filia ducis Magnopolensis prius nupta fuit marchioni Brandenburgensi, nobili viro Romano, a quo hec domina large ad tempus vite sue fuit dotata cum castris Arndesburgh et opido Perleberghe etc. Auch in Urkunden treffen wir Ingeburg mehrfach als Gräfin von Holstein, z. B. bei Riedel: Cod. A. I, S. 158 (1374); VI, S. 196 f. (1377). Am 16. Novbr. 1384 fällte der Rath zu Hamburg einen Spruch über die Streitigkeiten, welche Herzog Albrecht von Sachsen und her Hinrik greve to Holsten und sin eerbare vrowe vor Ingheborch mit einander hatten. (Schl.=Holst.=Lauenb. Urk.=S. II, S. 343.) Heinrich II. starb im Auslande vor dem 17. April 1390 (s. Lappenberg zum Presb. S. 165); die Gräfin Ingeburg schenkte aber noch am 25. Juli 1395 ein Dors an eine Kapelle zu Perleberg (Riedel, Cod. A. I, S. 169); am 23. August 1409 wird sie als eine Verstorbene bezeichnet (das. A. VI, S. 198).
c. Albrecht III., 1364, 18. Febr. (dominica Reminiscere), in Upsala zum König von Schweden gewählt, seit dem 24. Febr. 1389 in Gefangenschaft seiner Gegenkönigin Margarete von Dänemark und Norwegen, erlangte seine Freiheit erst am 26. Septbr. 1395 (Hanserecesse IV, S. 299), kehrte nach Meklenburg=Schwerin zurück (auf welches er nie verzichtet hatte), und führte hier, wie schon in den Jahren 1385 - 88 vielfach, bis an seinen Tod die Regierung mit seinem Neffen Johann IV. - Ueber seinen Todestag existieren die verschiedensten Angaben. Am weitesten entfernt sich von der Wahrheit Marschalck (VII, 3): Tumulatus in Gadebuso, anno millesimo trecentesimo nonagesimo quarto. Die Lübische Chronik (Grautoff II, S. 5) z. J. 1406: Hertoch Albert van Mekelenborch, dede was tovorne konyngh to Sweden, starf to
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Sweryn, der lateinische Korner (Eccard II, 1190) und der Sog. Rufus (Grautoff II, S. 470) geben dieselbe Nachricht z. 1. 1407, Rufus mit dem Zusatz: unde wart dar sulues (zu Schwerin!) gegraven. Dagegen die Hamb. Handschrift der Chronik berichtet von König Albrecht noch in den Jahren 1409 und 1411 (Grantoff II, 597, 599), meldet seinen Tod aber gar nicht. Endlich nach den Annalen der Minoriten zu Wisby (Fant, Rer. Succ. T. P, p. 47) ist Albrecht III. gestorben 1412, in coena Domini (31. März), sepultus in Doberan, und diese sehr bestimmte Angabe ist gewiß die richtige. Denn die letzte bekannte Urkunde des Königs ist die in Gemeinschaft mit seiner Gemahlin und seinem Sohn gegebene Privilegienbestätigung für das Kloster Ribnitz vom Dienstag nach Judica (= 23. März) 1412. - Die Angabe des "Rufus" von seinem Begräbniß zu Schwerin steht ganz vereinzelt da und hat, da diese Chronik sonst so schlecht von des Königs Ableben unterrichtet ist, keine Bedeutung, findet auch keine Stütze darin, daß sein Bild sich auf der Wand der H. Bluts=Kapelle neben denen der Grafen von Schwerin fand [Jahrb. XIII, 163]: denn auch Johann I. von M.=Stargard war dort abgebildet, der auch nicht in Schwerin bestattet war. Es steht aber zu vermuthen, daß der König diese Bilder selbst veranlaßt hatte, da die Grafen von Schwerin die Ahnen seiner ersten Gemahlin waren. Ebenso unglaubwürdig ist die Nachricht Marschalcks von dem Begräbniß des Königs zu Gadebusch. Denn des Königs Wittwe Agnes ließ die Marien=Kapelle (Königs=Kapelle) daselbst erst im Jahre 1423 weihen (Jahrb. III A., 239); und der angebliche Grabstein des Königs in dieser Kapelle zeigt ein Frauenbild und erweist sich durch das mecklenburgische und das braunschweigsche Wappen zu den Füßen der Figur als der Grabstein der Königin Agnes. S. Lisch, Jahrb. III B., S. 132 f. Der König ist also gewiß, wie die Annalen der Minoriten angeben, nach der Sitte seiner Vorfahren in der Kirche zu Doberan bestattet.
Gemahlinnen. 1) Richardis. 1352, 12. Octbr., zu Wismar [U 7669], beurkundete Graf Otto I. von Schwerin, daß er sich habe beurkundet mit - hertogen Alberte van Mekelenborch, - vnd hebben gegheuen vse dochter iuncvrouwen Richkarden sime sone iuncheren Alberte to enem wiue (er bestimmt ihr eine Mitgift); und an dem nächsten Tage [U. 7670] verschrieb Herzog Albrecht II. Stadt und Land Grevesmühlen iuncwrow Richarden, greue Otten dochter van Zwerin, vses sones wiue, iuncher Albertes, to eneme lifghedinge. - Uebrigens konnte Albrecht III. damals höchstens 15 Jahre, aber wahrscheinlich war er erst 13 Jahre alt; wann aber die Ehe vollzogen ward, ist nicht überliefert.
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- Richardis gab noch am St. Georgentage (= 23. April) 1377 zu Stockholm eine Urkunde für ihre Dienerin Ingierd, Jon's Tochter (Dalin, Geschichte des Reiches Schweden, übersetzt von Dähnert, II, S. 420, Anm. g, und Svenska Riks=Archivets Pergamentsbref I, Nr. 1265, nach dem Original). Ihr Todesjahr und ihr Todestag sind nicht ausdrücklich angegeben. Chemnitz nimmt das Jahr 1380 an; Dalin setzt den Tod der Königin (nach Messen. III, p. 28, und Ann., p. 205) in den Ausgang des Aprilmonats 1377. Diese Annahme der Schwedischen Gelehrten ist jedenfalls richtiger; denn im Juni 1377 waren Stadt und Land Grevesmühlen, das Leibgedinge der Königin Richardis, schon erledigt; am 11. Juni 1377 leisteten sie schon der neuen Inhaberin dieses Leibgedinges, der Herzogin Elisabeth, Gemahlin des Herzogs Magnus, die Huldigung, und am 16. ward dieser Fürstin Stadt und Land Grevesmühlen von Herzog Albrecht II. und seinen Söhnen Heinrich und Magnus förmlich als Leibgedinge zugewiesen. Die Begräbnißstätte der Richardis kennt Marschalck (VII, 3): At mox (?) Ingeburgis (Schreibfehler statt Richardis, wie er sie zuvor richtig genannt hat) in Scandinauia obiit, in urbe Stocholmo tumulata, in aede dini Dominici. (Diese Kirche ist im 16. Jahrh. abgebrochen.)
2) Agnes. Die Detmarsche Chronik berichtet: In dem vastelavende des sulven jares [nämlich 1396] do helt de koning van Sweden enen groten hoff to Zwerin =. Dar brachte men to bedde de suster der hertoghen to Lunenburch unde Brunswik, ene wedewen, de vore hadde enen greven van Mansvelt, darna den hertoghen van Wolghast, un[de] den koningh van Sweden. Agnes, die Tochter des Herzogs Magnus II. von Braunschweig († 1373), war als Wittwe des Grafen Busso V. von Mansfeld zum andern Mal mit Herzog Bogislav VI. von Pommern=Wolgast am 20. September 1389 verlobt und hernach vermählt, aber am 7. März 1393 wiederum Wittwe geworden. - 1396, des sondages to vastelauende (= 20. Febr.), verschrieben ihre Brüder Friedrich, Bernhard und Heinrich, Herzoge von Braunschweig und Lüneburg, hern Alberte, der Sweden vnd der Goten konynge, hertogen to Mekelenborch etc. - 6000 Lüb. Mark, de wy em to brutschatte geuen scholen myt vnser suster. (Slagghert erzählt die Vermählung z. J. 1395 [fol. 166] also um ein Jahr zu früh.) - Agnes überlebte auch ihren dritten Gemahl, und auch noch ihren Sohn Albrecht V. Aus ihrem jetzt verstümmelten Leichenstein in der von ihr (vor Agnes, der Sweden vnde Ghoten koninghinne, hertoghinne to Mekelenborch, greuinne to Zwerin, to Stargarde vnde Rostok) erbauten Marien=Kapelle zu Gadebusch (s. o. S. 175)
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las Franck 1711, wiewohl "auch die Schrift darauf schon sehr ausgetreten war, die Jahreszahl 1430 noch ganz deutlich", "die Zahlen waren von Messing" (A. u. N. M. VII, S. 131). Jetzt sind sie nicht mehr vorhanden; nicht unwahrscheinlich aber folgten ursprünglich nach xxx auch noch Einer. 1430 stiftete die Königin am 1. Aug. (Lisch, M. U.=B. II, S. 192) eine Vicarei zu Neukloster; dagegen am 22. Decbr. 1434 lebte sie nicht mehr 1 ). Eine Differenz über Vermächtnisse in ihrem Testament ward erst am 28. Jan. 1436 beigelegt.
d. Anna. Die Geneal. Parch. (nicht die Geneal. Dob.) zählt Albrechts II. Töchter auf: duas filias: Yngeburgem, quam desponsauit Romano marchioni Brandenburgensi, et Annam, quam comiti Adolpho comiti (!) desponsauit. - Presb. Brem., c. 23: comitem Adolphum (VII. von Holstein=Plön), qui duxit vxorem filiam dicti Hinrici (vielmehr Alberti) ducis Magnopolensis, Alberti regis Swecie sororem nomine Annam, sterilem permanentem. Am 20. Juni (mand. na des hilghen lychames dage) 1362, zu Travemünde, versprachen die Herzoge Albrecht II. von Meklenburg und (sein Sohn) Heinrich, dat wy scholen und willen unseme leven suaghere greven Adolve to Holsten und to Stormeren unse dochter und suester und syne vrouwen vor Annen des neghesten sonnendaghes vor sente Nycolaus daghe, de nu neghest tukomende is [4. Decbr.], to hus bringhen to Plone, und bestimmten den Brautschatz (Schl.=Holst.=Lauenb. Urk.=Samml. II, S. 246). Am 2. Septbr. 1366 bezeugt Graf Adolf von Holstein den Herzogen Albrecht II. und Heinrich III., van der medegane vnser husurowen vrowen Annen schon 1000 löth. Mark empfangen zu haben. Anna wird 1390, am 17. April, als Wittwe genannt (vrowen Annen, de greven Alves vrowe was, daselbst S. 365), desgleichen 1397, am 28. Aug. (das. S. 381). Gestorben ist sie spätestens 1415. Denn in diesem Jahre begehrten die mecklenburgischen Herzoge schon die Herausgabe ihres Brautschatzes. (Vgl. Huitfeldt I, 660.)
e. Magnus I., zuerst genannt 1355, nahm späterhin mit seinen Brüdern Theil an des Vaters Regierungsgeschäften, succedirte
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mit den Brüdern dem Vater 1379, und führte seit Heinrichs III Tod die Regierung, aber nicht mehr lange. Seine letzte Urkunde über eine mecklenburgische Angelegenheit, welche im besiegelten Original erhalten ist (über Schmadebek), ist datiert 1384, palmedagh (= 3. April), und nach einer unverdächtigen Copie urkundeten Magnus vnd Albrecht, vedderen etc. noch gemeinschaftlich am 15. Mai 1384 über Unstede. - Dagegen gab am 25. Novbr. 1384 Albrecht, van godes gnaden hertoge to Meklenborch, greue to Zwerin etc , (Heinrichs III. Sohn) allein (ohne Magnus!) eine Bestätigung über Hufen zu Blowatz (Orig); derselbe Albrecht IV. nahm am 13. Decbr. 1384 das Stift Ratzeburg in seinen Schutz (Orig. in Neustrelitz); und am 14. Decbr. 1484 bestätigte er (nach einer Copie) dem Rostocker Bürgermeister Arnd Kröpelin und seinem Sohn Lambert das Dorf Bartelstorf. - Am 24. April 1385 bekannten Henning und Brüning Voß sich von hertoch Albrecht van Mekelenborch befriedigt für alle de schuld vnde scaden, die vns - hertoch Albrecht van Mekelenborch, sin elderuader, vnde hertoch Hinrik, sin vader, schuldich weren. (Orig.)
Eine unbefangene Betrachtung dieser Urkunden führt zu der Annahme, daß Herzog Magnus zwischen dem 15. Mai und denn 25. Novbr. 1384 gestorben ist. Denn wenn er auch krank gewesen wäre, würde doch Albrecht IV. diese Urkunden ohne Zweifel in ihrer beider Namen haben ausstellen lassen. Diesem Schlusse widersprechen nun aber die Chroniken. Nämlich in der Fortsetzung der Doberaner Genealogie aus dem Anfange des 15. Jahrh. ist zu den Worten: dominus Magnus - decesserat von der Hand des Verfassers an den Rand geschrieben: anno domini M°ccc° lxxxv°, in die sancti Egidii (= 1. Septbr.). Die Detmarsche Chronik dagegen berichtet z. J. 1385: By der sulven tyd, na paschen (also nach 2. April), do starf hertoge Magnus van Mekelenborch. (Koppmann I, S. 184 und 586.) Korner [Eccard II, 1143] schreibt Detmar nach, doch: circa festum paschae, secundum chronicam Obotritorum! Alle diese berichten nichts von einer Reise des Herzogs nach Aachen. Dagegen erzählt Krantz (Wand. IX, 8): Magnus autem cum Alberto de Luneburgo duce profectus deuotionis gratia Aquisgranum, quum inde rediret, febre correptus rebus excessit, ad annum Christi LXXXV. post mille trecentos. Aus der Erwähnung des Herzogs Albrecht können wir leider nichts entnehmen, da uns die Zeit seiner Fahrt nach Aachen nicht bekannt ist; jedenfalls fiel die Heimkehr desselben aber vor den 16. April 1385, da er an diesem Tage vor Rikelingen zog, wo er dann die Wunde empfing, die am
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28. Juni seinen Tod herbeiführte. Ganz kurz faßt sich Marschalck, indem er wahrscheinlich den Bericht von Krantz mit einer Doberaner Ueberlieferung flüchtig zusammenschmiedet (VII, 4): Magnus - dum Aquas Granias - uisitat, vita functus, anno millesimo trecentesimo octogesimo quinto, postridie calendas Septembres (= 2. Septbr.). - Am wahrscheinlichsten dünkt es uns, daß Magnus schon am 1. Septbr. 1384, vielleicht auf der Heimkehr von Aachen, außerhalb Meklenburgs starb, die Nachricht von seinem Tode aber erst nach Ostern 1385 zu Detmars Ohren gelangte. Der Doberaner Genealoge hatte auch Heinrichs III. Tod um ein Jahr zu früh angegeben (s. o. S. 172). - Daß Magnus, wie Lisch (Jahrb. XIX, S. 357, 359) angiebt, zu Doberan begraben sei, ist sehr wahrscheinlich, aber aus alter Zeit nicht bezeugt.
Gem. Magnus ist dreimal verlobt, ohne daß die Hochzeit nachfolgte: 1) am 29. Aug. 1355 mit Mechthild, der älteren Tochter des Fürsten Nicolaus IV. von Werle=Goldberg; und falls diese vor der Hochzeit (die nach 3 Jahren gehalten werden sollte) stürbe, sollte deren Schwester Agnes an ihre Stelle treten [U. 8126]; 2) am Dienstag vor Fastnacht 1356 mit Katharine, der Tochter des Fürsten Nicolaus III. von Werle=Güstrow (hernach 1366 vermählt mit Herzog Albrecht V. von Sachsen=Lauenburg); 3) am 10. Aug. 1360 mit Jutta, der Tochter des Herzogs Erich von Sachsen=Lauenburg. Daß Jutta jemals die Gemahlin des Herzogs Magnus geworden wäre, wie Cohn, Tafel 58, annimmt, ist nicht nur unbezeugt, sondern auch ganz unwahrscheinlich. Denn am 5. Juli 1362 gelobte Barnim (IV.), Herzog zu Stettin und Fürst von Rügen, dat wy vse dochter iuncvrowen Elzeben sco v len vnde willen ghe a uen tho der ee hertoghe Magnus van Me a klenborgh, des vorbeno v meden hertoghen Albrechtes so o ne (mit 3000 löth. Mk. Brautschatz); und am selben Tage verschrieb Herzog Albrecht II. mit seinen Söhnen der hochghebaren iunghevrowen vor Elzeben, iunge hertoghe Barnyms dochter von Stettyn, de gefriet is hertoghe Magnusse van Meklenborg vorgenomet tho echte unde tho rechte tho eyner vrowen, na der ee de staad tho Grevesmolen mit der Vogtei zum Leibgedinge. (Westph., Monum. IV, 986.) - Die Herzogin Elisabeth lebte noch im Jahre 1377: am 11. Juni leisteten Stadt und Land Grevesmühlen der irluchtigen vorstinnon vor Elzeben, vses vorbenomeden heren hertogen Magnus eliker husfrowen, die Huldigung - oft vnse vorbenomede here hertoghe Magnus afiginghe eer se =; und am 16. Juni wies Herzog Albrecht II. mit willen vnd mit vůlbort vser leuen sønes - vern Ylseben, vses vor=
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benomeden sones hertoge Magnus eliker husurowen, Stadt und Land Grevesmühlen als Witthum an. - Ilsabes Todesjahr ist noch nicht ermittelt. Das Amt Grevesmühlen ward am 24. Febr. 1405 der Gräfin Jutta von Hoya, Gemahlin Johanns IV. seit 1400, zum Leibgedinge verschrieben; damals lebte also deren Schwiegermutter Elsabe sicher nicht mehr.
f. Außer des Herzogs Albrecht II. Kindern erster Ehe kennt Marschalck (VII, 1) auch noch einen Sohn aus der zweiten Ehe: Grandaevus uero (Albrecht II.) filiam comitis Hoensteinii conjugem (Adelheid) accepit, e qua Albertum sustulit, qui breui elatus. Und ihm erzählt wohl Slagghert (fol. 163 b ) nach: De (die Gräfin von Hohenstein) heft em getelet I sone, alze hertich Albrecht, de nicht lange leuede. - In Urkunden wird dies Söhnlein nie genannt, und da wir Marschalcks Quelle nicht kennen, ist diese Angabe schwer zu würdigen. Daß dieser spätgeborene Sohn gleichen Rufnamen mit dem Stiefbruder, dem König Albrecht, gehabt, ist noch kein zwingender Grund sie abzuweisen. Dasselbe findet sich ja auch sonst um jene Zeit in Fürstenhäusern, z. B. bei den beiden brandenburgischen Markgrafen Ludwig und bei den Söhnen Johann II. und Henning des Fürsten Johann I. von Werle. Vielleicht hatte Marschalck Nachricht von diesem Sohn der Herzogin Adelheid aus Doberan, wo er begraben sein mochte.
X. Generation.
A. Die Kinder Herzog Heinrichs III. (aus seiner ersten Ehe). - Marschalck (VII, 2) kennt nur Albrecht IV. und seine Schwester [Maria], welche Herzog Wartislavs Gemahlin ward, aber nicht Euphemia und Ingeburg; die Doberaner (und die parch.) Genealogie: filium nomine Albertum cum duabus filiabus (et duas filias), weil sie vor der Geburt Ingeburgs verfaßt sind.
a. Euphemia. Am 31. Octbr. 1366 [Lisch, Maltzan. U. II, 190] bezeugten Laurencius vnde Johan de junghere (V.), syn broder, vnde Johan de oldere (mit dem Siegel: S' . IOhĪS DO I LLI . D — L IIII., also Johann IV. von Werle=Goldberg), den Vertrag mit dem Herzog Albrecht II. und seinen Söhnen Heinrich und Magnus: dat wy Johan de oldere (IV.) vorbenomed scolen nemen to der ee juncvrowen Eufemyen,
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