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A.

Jahrbücher

für

Geschichte.

 


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I.

Bericht des Ibrahîm ibn Jakûb

über die Slawen

aus dem Jahre 973,

mitgetheilt von Dr. F. Wigger .


N achdem ich im Jahre 1859 in dem ersten Hefte meiner "Meklenburgischen Annalen" alle mir bis dahin bekannt gewordenen Nachrichten über die meklenburgischen Wenden bis zum Jahre 1066 vereinigt hatte, habe ich 20 Jahre lang vergeblich nach irgend nennenswerthen Nachträgen ausgeschaut. Jetzt ist aber endlich in einem akademischen Vortrage des Herrn de Goeje, Professors der arabischen Sprache an der Universität zu Leiden, * ) ein neuer Bericht über die wendischen Völker aus dem zehnten Jahrhundert an den Tag getreten, der sowohl durch seinen Ursprung, als durch seinen Inhalt so merkwürdig erscheint, daß ich nicht unterlassen kann, die Freunde der meklenburgischen Geschichte mit demselben - mit Genehmigung des Herausgebers - bekannt zu machen.


*) Wir benutzten einen Separatabdruck unter dem Titel: "Een belangrijk arabisch Bericht over de Slawische Volken omstreeks 965 n. Ch. door M. J. de Goeje. Overgedruckt uit de Verslagen en Mededeelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, 2 de Recks, Deel IX. Amsterdam, 1880". 8°. - Die russische Ausgabe des Barons Rosen mit Excursen Von Kunik ist mir nicht zugänglich geworden.
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Nämlich in einer Handschrift von einem geographischen Werke des spanisch=arabischen Schriftstellers Abû Obeid al=Bekri (aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts), welche Ch. Schefer in einer Bibliothek zu Constantinopel entdeckte und abschrieb, fand der Professor de Goeje unter vielen Auszügen aus den Werken des Mas'ûdî., der um 948 schrieb, auch andere aus anscheinend nicht mehr erhaltenen Schriften, und namentlich einen umfänglichen Bericht über die Slawenvölker, welchen ein sonst nicht bekannter Jude Namens Ibrahîm ibn Jakûb (d. h. Abraham Jakobs Sohn) zur Zeit Kaiser Ottos I., zum Theil offensichtlich aus eigener Anschauung, erstattet hat.

Den vereinten Bemühungen des Professors de Goeje und zweier Petersburger Gelehrten, Kunik's und Frh. von Rosen, ist es nun gelungen, manche Verderbnisse des arabischen Textes, besonders in den Namen, aufzudecken und zu verbessern; und de Goeje hat darauf in der erwähnten akademischen Abhandlung eine holländische Uebersetzung mit vielen Erläuterungen veröffentlicht, welcher wir bei eigener Unkenntniß der arabischen Sprache folgen.

Das Räthsel, wie ein arabisch schreibender Israelit des 10. Jahrhunderts zu den Wenden im Nordosten Deutschlands gelangt sei, hat Herrn de Goeje vielfach beschäftigt. Aus mehreren sprachlichen Spuren in dem Berichte schließt er, daß Ibrahîm Heimath Spanien gewesen sei, und da es feststehe, daß Bekri, der diesen Theil seines Werkes 1066 geschrieben, officielle Actenstücke in Cordova zu benutzen Gelegenheit gefunden habe, so möge er dort diesen Bericht Ibrahims entdeckt haben. Nun wissen wir freilich aus dem Widukind (III, 56), daß der König Otto I. nach seinem großen Siege über die Magyaren im Jahre 955 auch eine Gesandtschaft von Saracenen empfing; aber de Goeje glaubt doch nicht, daß Ibrahim an dieser theilgenommen habe. Und mit Recht; denn Ibrahîm nennt in seinem Berichte Otto schon "den römischen König" (oder "Kaiser", denn auch den oströmischen Kaiser bezeichnet er als "König"), er hat denselben also sicher erst nach 963 gesprochen; es ist aber nicht wahrscheinlich, daß ein Mitglied jener Gesandtschaft 10 Jahre lang in Deutschland zurückgeblieben sein sollte. Der holländische Gelehrte entscheidet sich vielmehr dafür, daß Ibrahîm als ein ansehnlicher Kaufmann in Handelsangelegenheiten Deutschland aufgesucht habe, daneben jedoch von dem spanischen Herrscher auch mit diplomatischen Aufträgen betraut gewesen sein möge.

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Mit dem terminus a quo, welchen de Goeje hier annimmt, sind wir einverstanden, in die Jahre des "römischen Kaisers Otto" I., 963-973, fällt gewiß die Reise Ibrahîm's nach Deutschland, wo er nach seiner eigenen Angabe "die bulgarischen Gesandten in der Stadt Merseburg gesehen" hat, "da sie zum Könige Otto kamen". Dann begrenzt sich die Zeit aber noch näher dadurch, daß der Kaiser nach seiner Rückkehr aus Italien erst im Juni 965 Sachsen wiedersah und, nachdem er im August 966 noch in Merseburg verweilte, abermals nach Italien aufbrach, nachher aber erst im Frühling 973 nach Sachsen zurückkehrte, wo er zu Quedlinburg das Osterfest (23. März), in Merseburg (1. Mai) das Himmelfahrtsfest beging. Nun entscheidet sich de Goeje für den ersten Zeitraum, indem er äußert, Ibrahîm sei zu Merseburg "um 965" gewesen. Dieser Ansicht können wir jedoch darum nicht beipflichten, weil wir von einer bulgarischen Gesandtschaft an Kaiser Otto I. aus dem Jahre 965/966 keine Nachricht haben; wir entscheiden uns vielmehr für den Frühling 973.

Denn die Hildesheimer Annalen, Lambert und Thietmar (II, 20). berichten einstimmig, daß dem Kaiser, als er das Osterfest 973 zu Quedlinburg feierte, Gesandte der Griechen, der Beneventaner, der Ungarn, der Bulgaren, der Dänen und der Slawen Geschenke überbrachten, Lambert nennt auch noch italische und "russische" Gesandte, und nach Thietmar waren auf des Königs Geheiß auch die Könige von Böhmen und von Polen, Boleslaw II. und Mießko (bei Ibrahîm Boreslaw und Misjko) dorthin gekommen. Widukind (III, 75) begnügt sich freilich damit, anzugeben, daß in Quedlinburg "eine Menge verschiedener Völker zusammengekommen" seien, fügt dann aber, was für uns von Wichtigkeit ist, hinzu, der Kaiser sei schon nach einem Aufenthalt von nur 17 Tagen aus Quedlinburg wieder aufgebrochen, um in Merseburg das Himmelfahrtsfest zu feiern. In tiefem Schmerze über den Tod seines getreuen Herzogs Hermann von Sachsen († am 27. März 973) habe er jene Orte durchwandelt. Hernach habe er Gesandte aus Afrika, die ihm ihre Erfurcht zu bezeugen und Geschenke zu überbringen gekommen seien, empfangen und bei sich behalten (Post susceptos ab Africa legatos, eum regio honore et munere visitantes, secum fecit manere); jedoch schon am Dienstag vor Pfingsten (6. Mai) sei er nach dem - unweit Merseburg belegenen-Orte Memleben gegangen, dort sei aber bereits am nächsten Tage sein unerwartetes Ableben erfolgt.

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Es erscheint uns hiernach nicht zweifelhaft, daß die bulgarischen Gesandten auf ihrem Heimwege von Quedlinburg in Merseburg mit der Sarazenengesandtschaft aus Afrika zusammengetroffen sind, und daß Ibrahîm sich bei der letzteren befand, sei es als Arzt (wofür seine medicinischen Bemerkungen gegen das Ende seines Berichtes sprechen), oder als Secretair, oder in welcher Stellung es sonst gewesen sein mag. Zu beachten ist auch, daß er einen polnischen Rechtsbrauch mit einem ähnlichen bei den Berbern zusammenstellt, den er vermuthlich kannte, weil Nordafrika seine Heimath war.

Vielleicht hat er damals auch den Polenkönig "Misjko" (Mießko) persönlich kennen gelernt, oder dessen Begleitung ausgefragt. Denn daß Ibrahîm das Land Polen selbst gesehen hätte, das darf man bezweifeln, wenngleich er nur von Bulgarien ausdrücklich sagt, daß er es nicht besucht habe; Alles, was er von Polen berichtet, kann er sehr wohl auch aus Mittheilungen Anderer wissen. Dagegen zeugt die Angabe der verschiedenen Stationen und deren Entfernungen dafür, daß er in Meklenburg und in Böhmen selbst gewesen ist. Wahrscheinlich unternahm er aus Wißbegier von Merseburg aus eine Reise nach dem "nördlichen Ocean" (der Ostsee) und kehrte später über Böhmen, die von Wenden bewohnten Ostalpen und durch das "große Land" (Italien) in seine Heimath zurück. - Wir lassen nun seinen Bericht, so weit er uns interessirt, hier folgen, wie er sich bei al=Bekri findet:

"Ibrahîm ibn Jakûb, der Israelit, erzählt: Die L ae nder der Slawen erstrecken sich von der Syrischen See (Mittelmeer) bis an den nördlichen Ocean (Ostsee). Doch haben sich Volksstämme ans dem Norden eines Theiles dieser Lande bem ae chtigt und wohnen bis auf den heutigen Tag zwischen jenen."

"Die Slawen bestehen aus vielen verschiedenen St ae mmen. In früherer Zeit waren sie alle vereinigt unter einem K oe nig, der den Titel Mâcha führte und zu einem Geschlechte gehörte, welches Walînbâba hieß und in hohem Ansehen unter ihnen stand. Hernach wurden sie uneinig und ward das gemeinsame Band zerrissen, w ae hrend sich die St ae mme zu verschiedenen Gruppen formirten, jede von diesen von einem eigenen K oe nige regiert".

Wie de Goeje anmerkt, ist dieser zweite Absatz dem Mas'ûdî entnommen und vielleicht erst eine Einschaltung (oder Randbemerkung?) Bekri's. Wir lassen diese Sage ebensowohl unerörtert, als die von dem polnischen Schriftsteller

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Boguchwal, welche wir in Jahrb. 27, S. 126 mitgetheilt haben. Den Titel Mâcha deutet unser der slawischen Sprachen kundiges Mitglied Dr. Kühnel zu Neubrandenburg aus dem altslawischen Worte mogat (spr. mogont) = dominus, δυν´αστης von dem Verbum moga = ich kann (vgl. das gothische magan = können). Den Namen Walînbâba möchten wir nicht wie de Goeje mit Wollin oder Jumne in Beziehung setzen. Dr. Kühnel möchte lesen: Walnî Bâba, "der treffliche Baba". "Denn das Adjectiv walni (poln. walny, a, e = 1)Haupt=, 2) vortrefflich, herrlich, recht gut) steht in Masculinform, und bei der Häufigkeit des Namens wäre eine Dynastie mit Oberhaupt Baba nicht undenkbar". -

Ibrahîm fährt fort:

"Gegenwärtig sind da vier K oe nige: der K oe nig der Bulgaren; Boreslav, der K oe nig von Frâga (Prag), Bowîma (Böhmen) und Krakau; Misjko, der K oe nig von dem Norden, und Nâcû[n] in dem westlichsten Theile der Slawenl ae nder".

"Dies letzte Reich grenzt gegen Westen an Sak[s]ûn (Sachsen) und einen Theil von Mermân. Die Kornpreise sind dort niedrig, und das Land ist reich an Pferden, so daß davon nach andern L ae ndern ausgef ue hrt wird. Die Bewohner sind gut bewaffnet mit Panzern, Helmen und Schwertern. Von [Merse]burg nach dem daran grenzenden Bezirksorte reist man 10 Meilen, [von dort] nach der Br ue cke [über die Elbe] 50 Meilen, und diese Br ue cke ist von Holz und eine Meile lang. Von der Br ue cke bis zur Burg des Nâcû[n] sind ungefähr 40 Meilen. Diese Burg heißt [Wîli=]Grâd, welcher Name "Große Burg" bedeutet. Wîli=Grâd ist in einem S ue ßwassersee erbauet, sowie die meisten Burgen der Slawen. Wenn sie n ae mlich eine Burg gründen wollen, so suchen sie ein Weideland, welches an Wasser und Rohrs ue mpfen reich ist, und stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab, je nach der Gestalt und dem Umfange, welche sie der Burg geben wollen. Dann ziehen sie darum einen Graben und h ae ufen die ausgehobene Erde auf. Diese Erde wird mit Brettern und Balken so fest gestampft, bis sie die H ae rte von Pisé (tapia) erhalten hat. Ist dann die Mauer (der Wall) bis zur erforderten H oe he ausgeführt, so wird an der Seite, welche man ausw ae hlt, ein Thor abgemessen und von diesem eine h oe lzerne Brücke über den Graben gebauet. Vor der Burg [Wîli=]Grâd bis an den Ocean betr ae gt die Entfernung 11 Meilen. Die Kriegs=

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heere dringen in das Gebiet Nâcû[n]s nur mit großer M ue he vor, da das gesammte Land niedriges Weideland, Rohrsumpf und Morast ist".

Zu diesem für uns wichtigsten Abschnitte aus dem Berichte Ibrahîms bemerkt de Goeje zunächst schon, daß der Name Nacûr verschrieben sei, und er hat in demselben den Wendenfürsten Naccon, welcher anderweitig bekannt genug ist, wiedererkannt. Wir zweifeln nicht an der Richtigkeit dieser Wahrnehmung, zumal auch (im Mekl. Urk.=Buch I, 244, 254 und 255) in den Jahren 1218 und 1219 wieder ein edler Wende mit dem Namen "Nacon" erscheint, und ein nach Nacon benanntes Dorf Naquinstorp und Nacunstorp (Nr. 385) genannt wird. Wahrscheinlich ist also Nakun eine Nebenform von Nacon oder Naccon, und von Bekri oder dem Abschreiber nur r für n verschrieben. Naccon erscheint in den bisher bekannten Geschichtsquellen * ) zuerst mit seinem Bruder Stoignew im Jahre 954. Der Graf Wichmann empörte sich damals gegen seinen Oheim, den Markgrafen Hermann Billung von Sachsen, und gegen seinen Verwandten, den König Otto, ward aber von Hermann über die Elbe (trans Albiam) getrieben und verleitete Naccon und seinen Bruder zum Kriege, während gleichzeitig der Markgraf Gero einen siegreichen Kampf gegen die Ukerer führte. Naccon und Stoignew bezeichnet Widukind unbestimmt (III, 50) als "duos subregulos barbarorum", d. h. als Wendenfürsten; denn andere nicht deutsche Völkerschaften als Wenden gab es an der Unterelbe, in der Nachbarschaft Hermanns, nicht; und es können, genauer gesprochen, hier nur Fürsten der Obotriten, Polaben und Wagrier gemeint sein, gegen welche die sächsische Mark errichtet ward. Darauf unternahm der Markgraf Hermann um Fastnacht 955 einen Zug gegen sie, und suchte sie in der Burg "Suithleiscranne" zu überraschen; es gelang ihm aber nur, etwa 40 Mann vor der Burg zu tödten. Die Slawen vergalten nach Ostern diesen Angriff mit einem Zuge unter Wichmanns Führung nach der Burg "Cocarescemiorum", in welche Hermann, weil er sich zum Widerstande zu schwach fühlte, seine Leute sich hatte zurückziehen lassen, gewannen dieselbe durch eine Capitulation und tödteten dann die ganze Besatzung wegen angeblichen Friedensbruches. Im August schlugen die Wenden einen Angriff des Markgrafen Dietrich glücklich ab. Die Lage Deutschlands war eine sehr gefährdete, da gleichzeitig die Ungarn einen großen


*) S. meine Mekl. Annalen I, S. 32 flgd.
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Einfall machten. Da gelang es bekanntlich am 10. August dem Könige Otto den Ungarn in Baiern eine große Niederlage zu bereiten, so daß er sich nun mit vereinter Kraft gegen die nördlichen Slawen wenden konnte. Wichmann und Ekbert wurden geächtet. Gesandte der Slawen verstanden sich zu nichts weiter als zum üblichen Tribut; der König begehrte aber zugleich Genugthuung für die erwähnte Niedermachung der "Cocarcscemier". Als sich die Slawen hierauf nicht einließen, rückte er mit Feuer und Schwert (ohne Zweifel von Havelberg her) in ihr Land ein; er fand unter Stoignews Führung die Obotriten und Witzen (Circipaner und Tolensaner) vereinigt sich gegenüber an der "Raxa" (der Reke, dem Oberlaufe der Elde östlich vom Plauersee * ) und besiegte sie am 16. October mit Hülfe der Rujaner in einer sehr schweren Schlacht, wobei Stoignew sein Ende fand. Doch war die Macht der Wenden damit noch nicht gebrochen, 957, 959 und 960 sah sich König Otto noch zu neuen Feldzügen genöthigt, und im Nordosten, in den neugegründeten Bisthumssprengeln von Havelberg und Brandenburg, setzte hernach, als der König Otto nach Italien zog, der Markgraf Gero noch seine Kämpfe gegen die Wenden fort, während dem Markgrafen gegen die Obotriten, Polaben und Wagrier, dem nunmehrigen Herzog von Sachsen, Hermann Billung, der Schutz des nordwestlichen Deutschlands anvertrauet war.

Der Wendenfürst Naccon tritt nun, einstweilen wenigstens, in unsern bisherigen Quellen ganz zurück; 967 werden uns als "subregulus" der Wagrier (Waari) Selibur, als "subregulus" der Obotriten Mistaw von Widukind (III, 68) genannt. Sie waren mit einander in Zwiespalt; Selibur verband sich mit dem obengenannten Aufrührer Wichmann, ward aber vom Herzog Hermann bezwungen, und seine Herrschaft seinem Sohne übergeben. Hieraus könnte jemand den Schluß ziehen, daß damals schon Mistaw Herrscher der Obotriten gewesen wäre; allein, wo Adam (II, 14) von den ersten Zeiten des erst um 968 gegründeten Bisthums Oldenburg in Wagrien spricht, dessen Sprengel östlich bis Demmin reichen, also etwa die slawische Mark Herzog Hermanns umfassen sollte, nennt er als damalige Wendenfürsten innerhalb dieses Gebietes "Missizlaw, Naccon und Sederich". Aus dem Berichte Ibrahîms ersehen wir nun mit Bestimmtheit, daß im Jahre 973 Naccon noch als "König" die nordwestlichen Wenden regierte und in der alten Hauptburg der


*) S. Beyer in Jahrb. 32, S. 88.
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Obotriten, Wîligrâd, d. i. Meklenburg, seinen Sitz hatte. Sederich mag, ihm unterthänig, Fürst der Wagrier gewesen sein; denn Ibrahîm stellt den Naccon, indem er ihn dem Mießko von Polen und dem Boleslaw von Böhmen zur Seite setzt, als den obersten Fürsten der nordwestlichen Wenden hin. Dem Missislaw begegnen wir anscheinend noch später bei Helmold (I, 13) als einem Sohn des "regulus Obotritorum nomine Billug", welcher Letztere sich in zweiter Ehe mit einer Schwester des Bischofs Wago von Oldenburg vermählt hatte und sich zum Christenthum bekannte, während sein Sohn demselben abgeneigt war und auch den bereits altersschwachen Vater verleitete, von jener Ehe zurückzutreten. Es scheint uns hiernach, daß Naccon bei seinem Uebertritt zum Christenthum den Namen Billug (wohl = Billung, von dem Herzog) annahm, wie später Gottschalks Vater Pribignew (Saxo X, 523) den deutschen Taufnamen Uto; in dem Namen Mistaw aber scheint uns der Name Mississlaw oder Mistizlaw zu stecken.

Leider giebt Ibrahîm nicht an, wie weit gegen Osten Naccons Reich sich erstreckte, und auch die Namen der Westgrenze sind uns nicht unentstellt überliefert. Der Vermuthung de Goeje's, daß statt Saknûn vielmehr Saksûn (Sachsen) zu lesen sei, wird man ohne Bedenken zustimmen; schwieriger ist dagegen der andere Name: "Mermân" zu deuten. Kunik und v. Rosen möchten " G ermân" = Germanien lesen; allein wo sollte Ibrahîm diesen Namen gehört haben? Jirecek hat "Mormân" vorgeschlagen, weil so später die Normannen in slawischen Büchern genannt werden (wie poln. M ikolai für N ikolai); aber die Normannen nennt später Ibrahîm selbst "Russen". Am annehmlichsten erscheint noch de Goeje's Vermuthung, daß H ermân zu lesen und das Gebiet, die Markgrafschaft Hermanns, des Sachsenherzogs, zu verstehen sei, wenngleich der Herzog gerade um dieselbe Zeit, als jene afrikanische Gesandtschaft Merseburg erreichte, am 27. März verstorben, und sein Sohn Bernhard sein Nachfolger geworden war. Der Kern der Markgrafschaft war das südliche Lauenburg (das Sadelband), allerdings hier die Westgrenze des Obotritengebietes (insonderheit Plabiens); unter den Sachsen an der Westgrenze des Wendengebietes dürften dann die Sachsen in Holstein, die Grenznachbarn der Wagrier, zu verstehen sein.

Da Ibrahîm von Merseburg auf dem gewöhnlichen Wege nach Meklenburg gezogen sein wird, möchte es von Interesse sein, wenn sich aus seinen Bemerkungen diese Straße

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mit einiger Sicherheit ermitteln ließe. Nun ist erstens aus seinen Angaben, nach welchen er die Entfernung von Merseburg bis zum Orte Meklenburg (1 Meile von Wismar), die in grader Linie 42 geographische Meilen beträgt, auf 100 Meilen schätzt (obwohl er zunächst fast ganz in gerader Linie längs der Saale und Elbe nordwärts zog, auch hernach eine bedeutenden Umwege zu machen hatte), so viel klar, daß seine Meilen kaum halb so lang zu rechnen sind, als die geographischen. Seine erste Station von Merseburg, die also fünf geographische Meilen nördlich von dieser Stadt zu suchen ist, nennt er nicht; denn in "majalîh" steckt, wie de Goeje bemerkt: "mà jalîhi = wat er aan grenst"; darum übersetzten wir oben "nächst angrenzenden Bezirksort". Zu beachten wird aber weiter sein, daß nach Ibrahîm die Entfernung von Merseburg bis zur Brücke (über die Elbe) 60, von der Brücke bis Meklenburg 40 seiner Meilen betrug. Nach dieser Proportion (3 : 2) darf die Brücke nicht in der Gegend von Dömitz, etwa bei der alten Fährstätte Broda, auch nicht in der Nähe von Lenzen gesucht werden, sondern nur unweit Havelberg und Werben, etwa bei Quitzöbel, unterhalb der Einmündung der Havel. Dieses liegt nämlich in gerader Linie von Merseburg 25, von dem Orte Meklenburg 17 geographische Meilen entfernt, so daß wir damit wieder auf die Proportion 3 : 2 gelangen. Werben kommt auch sonst als ein Ort vor, wo die deutschen Fürsten mit den wendischen Zusammenkünfte hielten; und aus der Gegend von Havelberg führte schon zur Römerzeit, wie das Römergrab bei Gr.=Kelle a. d. Müritz unweit Röbel und manche Münzfunde beweisen, durch die Wittstocker Heide nach der Müritz und weiter nach Demmin und der Peene eine Verbindungsstraße zwischen Elbe und Ostsee. Auf dieser Straße muß 955 auch König Otto I. nach der Raxa, wie oben erwähnt, gezogen sein, und die von Ibrahîm etwa 1/2 deutsche Meile lang geschätzte hölzerne Brücke, über deren Entstehung und Beschaffenheit uns anderweitige Nachrichten fehlen, mochte noch aus den Jahren 955-960 stammen, vielleicht aber auch erst aus den folgenden, aus denen uns (bis 967) Kriegszüge gegen die Redarier * ) berichtet werden. Als Otto III. im Jahre 995 seinen großen Zug gegen die meklenburgischen Wenden unternahm, finden wir ihn am 16. August in Magdeburg, am 18. in Leizkau; am 10. September gab er über eine zu "Michelenburg" verhandelte Sache eine Urkunde, am 3. Oct.


*) Mekl. Annalen S. 38,
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eine andere über eine im Tollenserlande geführte Verhandlung (actum in pago Tholensani), und die nächste, vom 6. Oct. zu Havelberg * ), wie dann später auch der heil. Otto die Straße von Havelberg nach der Müritz einschlug, und 1147 die Kreuzfahrer von Havelberg aus durch die Wittstocker Heide nach Malchow ** ) und weiter nach Demmin zogen. Es ist hiernach kaum zweifelhaft, daß auch Ibrahîm im Jahre 973 diese Hauptstraße wählte; ob er aber auch noch die "Reke" (bei Eldenburg a. d. Müritz) überschritt und dann nordwestlich nach Meklenburg abbog, oder ob sich etwa von der großen Straße schon vorher ein näherer Weg nach der "Großen Burg" abzweigte, müssen wir bei dem Mangel an Nachrichten über die Verbindungswege in unserm Lande aus jener Zeit dahingestellt sein lassen.

Der Name der "Großen Burg" lautet in dem uns überlieferten Texte an der ersten und der dritten Stelle freilich bloß Grâd, an der zweiten Stelle jedoch vollständig Wîli-Grâd; und die Uebersetzung "Große Burg" beweist an der ersten Stelle und der Zusammenhang an der dritten Stelle, daß Ibrahîm selbst auch hier Wîli-Grâd geschrieben haben muß. Die Bedeutung des Namens macht es unzweifelhaft, daß diese Burg keine andere ist, als diejenige, welche mit dem ins Deutsche übersetzten Namen "Michelenburg" (d. h. Große Burg) zuerst in der oben erwähnten Urkunde K. Ottos III. vom Jahre 995 erscheint und dann bei allen bisher bekannten Schriftstellern und in allen Urkunden ausschließlich diesen deutschen Namen führt - Meklenburg bei Wismar. Dazu paßt dann auch ganz Ibrahîms Angabe über die Lage der "Großen Burg" in einem ,,Süßwassersee". Denn gewiß war die heutige, selbst nach der schwierigen Einschüttung des Eisenbahndammes noch sehr feuchte "große Sumpfwiese" südlich vom Kirchdorfe Meklenburg, aus welcher der mächtige wendische Burgwall hervorragt, vor 900 Jahren noch ein See. Und wenn dieser Wall in seiner Ausdehnung von etwa 200 Schritt Länge und 150 Schritt Breite *** ), wie man ihn von der nahe vorüberführenden Eisenbahn aus erblickt, noch jetzt die Bewunderung der Reisenden erregt, obwohl unsere Zeitgenossen doch gewohnt sind große Erdarbeiten zu sehen, so kann man sich


*) Mekl. Annalen S. 50.
**) Ann. Magdeb. 1147. - Meil. Annalen, S. 113, 126.
***) Vgl. Lisch in Jahrb. 6, S. 79 f., 97 f., und insonderheit Jahrb. 12, S. 450 f., wo auch eine Ansicht von dem Burgwall und seinen Umgebungen beigefügt ist.
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vorstellen, welchen tiefen Eindruck dieser in den See eingeschüttete Wall auf den fremdländischen Wanderer machte; und man begreift, daß er sich bewogen sah, gerade hier eine auf Erkundigungen bei den Eingebornen beruhende Beschreibung des wendischen Burgbaues einzuschalten.

Diese Ansicht von der Identität Meklenburgs mit WîIigrâd kann auch nicht dadurch erschüttert werden, daß Ibrahîm die Entfernung der "Großen Burg" vom "nördlichen Ocean" auf 11 seiner, also auf etwa 5 geographische Meilen berechnet, während in Wirklichkeit Meklenburg kaum eine geographische Meile von der Wismarschen Bucht entfernt liegt. Denn wenn der Reisende von Wißbegier getrieben ward, von Merseburg aus nordwärts bis an den "Ocean", die Ostsee, vorzudringen: so bot ihm beim Dorfe (Alt=)Wismar die von der Insel Poel dem Auge fast verschlossene Bucht keinen rechten Ausblick in die offene See, und er mag, um solchen zu genießen, längs des Salzhaffs nördlich bis Alt=Gaarz oder gar bis zu der "Landzunge Buch" (zwischen Meschendorf und Arendsee) gewandert sein, wo an letzterer Stelle er die weiteste Aussicht auf das Meer fand.

Jedenfalls widerlegt auch Ibrahîm die ohnehin unglaubwürdige Angabe des (1253 verstorbenen) Bischofs Boguchwal von Posen (Jahrbuch 27, S. 128), wonach der in Rede stehende Burgwall von den Wenden nach dem 1/2 Stunde entfernten Dorfe Lübow ("Lubowe"), von den Deutschen aber nach dem Wendenkönige Mikkol - er meint Niklot, den im J. 1160 gefallenen Wendenfürsten - Mikelborg benannt wäre. Eine Beziehung der Ortschaft Meklenburg zu Lübow mag in christlich er Zeit dadurch entstanden sein, daß bei der alten romanischen Kirche zu Lübow Meklenburg, bevor es selbst eine Kirche erhielt, eingepfarret war; dem Namen Michelenburg aber begegneten wir oben schon mehr als ein Jahrhundert vor Niklots Regierungszeit. - Eine in Wismar ansässige, ohne Zweifel aus dem Dorfe Meklenburg stammende und, wie so häufig, nach der Heimath benannte Familie führt (nach Mittheilung Dr. Crull's) noch jetzt den Namen Willgroth (d. i. Wiligrod = Wîligârd, wie Starigrod neben Starigard vorkommt). Diesen Familiennamen hatte Dr. Beyer schon richtig gedeutet, und aus demselben (Jahrb. 37, S. 142) auf den wendischen Burgnamen "Wiligrod" geschlossen - eine Vermuthung, welche jetzt durch Ibrahîm eine glänzende Bestätigung gefunden hat.

Von Meklenburg scheint Ibrahîm gerades Weges nach Merseburg zurückgekehrt und den Heimweg durch Böhmen

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und über die von Wenden bewohnten Steyrischen und Krainer Alpen genommen zu haben; wenigstens sind, wie wir schon oben bemerkten, seine Nachrichten über Polen so kurz und unbedeutend, daß man annehmen muß, sie beruhen nicht auf eigener Anschauung. Immerhin werden auch die Abschnitte des arabischen Berichtes über die Böhmen und die Polen und deren Nachbarn hier, schon der Vergleichung halber, nicht unwillkommen sein. Ibrahîm wendet sich nun zunächst nach Böhmen:

"Was Boreslaws Land betritt, so erstreckt sich dieses der L ae nge nach von der Stadt Prag (Frâgâ) bis zur Stadt Krakau, eine Entfernung von drei Wochen; und es grenzt in der L ae nge an die Lande der T ue rken (d. h. Magyaren). Die Stadt Prag ist von Stein und Kalk gebaut und ist der größte Handelsplatz in den Slawischen L ae ndern. Russen und Slawen kommen mit ihren Waaren dahin von der Stadt Krakau, und Moslems, Juden und T ue rken kommen aus dem türkischen Gebiete mit Handelswaaren und Byzntinischen M ue nzen (mithkâls) und empfangen dafür von den Slawen Biberfelle und anderes Pelzwerk. Dieses Land ist von allen L ae ndern des Nordens das beste und an Nahrungsmitteln reichste. F ue r 1 Peñsê * ) kauft man so vielen Weizen, als ein Mann auf einen Monat bedarf, und um denselben Preis so viel Gerste, als man braucht, um ein Pferd 40 Tage lang zu füttern. Zehn H ue hner gelten gleichfalls nur 1 Peñsê. In der Stadt Prag macht man die S ae ttel, Z ae ume und Schilde, welche in diesen L ae ndern gebraucht werden. Im böhmischen Lande verfertigt man d ue nne, sehr lose wie Netze gewebte T ue chlein, die man zu nichts brauchen kann, die jedoch bei ihnen den festen Werth von 1/10 Peñsê haben und im Handel und Verkehr gebraucht werden. Sie gelten bei ihnen als baares Geld, und man bestizt davon Kisten voll. Um dieSe T ue chlein sind die kostbarsten Gegenst ae nde zu kaufen, wie Weizen, Sklaven, Pferde, Gold und Silber. Eine merkwürdige Erscheinung ist es, daß die Einwohner Böhmens von dunkler Hautfarbe sind und schwarzes Haar haben; der blonde Typus kommt nur wenig unter ihnen vor."

"Der Weg von Merseburg nach Boreslaws Land ist folgender: von dort nach Burg Faliwi 10 Meilen, von dort nach Irb=grâd (Nóbo-Grád = Naumburg verbessert de Goeje) 2 Meilen. Diese Burg ist von Stein


*) ,,pecunia: peniez": Hanka, Vetustiss. vocab. Latino-Boemica, p. 46.
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und Mörtel [erbauet] und liegt ae hnlich (wie Merseburg) an dem Flusse Saale (Çalâwa), und in diese f ae llt der Fluß Nûda. (oder Nauda = Unstrut?). Von der Burg Nwb=Grâd bis zur Salzsiederei der Juden, die auch an dem Flusse Saale liegt, 30 Meilen; von dort nach der Burg Nûrandjîn, die am Flusse Moldâwa liegt . . ., und von dort bis zum Ende des Waldes 25 Meilen. Dieser Wald ist von hier bis zum andern Ende 40 Meilen lang; der Weg geht ue ber Berge und durch Wildnisse. Am Ende dieses Waldes liegt ein Morast von ungefähr 2 Meilen, ue ber welchen eine Brücke bis an die Stadt Prag geschlagen ist."

Wir enthalten uns aller weiteren Bemerkungen zu diesem Abschnitt und müssen namentlich die Bestimmung der "Salzsiederei der Juden" und anderer geographischer Namen ortskundigen Forschern überlassen. Bei den die Leinentüchlein betreffenden Worten erinnert de Goeje an Helmolds Angabe (I, 38), wonach die Ranen (Rujaner) keine Münzen hatten, sondern auf dem Markte als Tauschmittel Leinewand brauchten (quicquid in foro mercari volueris, panno linteo comparabis); und er findet für den ausgedehnten Flachsbau bei den Wenden auch darin einen Beweis, daß zu ihrem alten Bischofszins auch "quadraginta resticuh (restes) lini" von jedem Pfluge gehörten Helmold I, c. 10 und 14). - Da dem Ibrahîm die dunkle Gesichtsfarbe und das schwarze Haar bei den Böhmen auffiel, mag er bei den Wenden an der unteren Elbe überall oder doch vorherrschend eine helle Gesichtsfarbe und blondes Haar gefunden haben. -

Er fährt fort:

pMisjko's Land (Polen) ist das gr oe ßte der slawischen L ae nder. Da herrscht Ueberfluß an Korn, Fleisch, Honig und [Fischen] * ). Dieser Fürst fordert die Steuern in byzantinischen Münzen (mithkâls) und bezahlt damit seine Mannen, jedem eine feste Summe monatlich. Er hat n ae mlich 3000 geharnischte Krieger, von welchen hundert so viel werth sind wie tausend andere. Von ihm empfangen sie ihre Kleidung, Pferde und Waffen und Alles, was sie brauchen. Wird einem von ihnen ein Kind geboren, so empfängt er von dem Augenblicke der Geburt an eine Zulage f ue r den Unterhalt desselben, gleichviel, ob es männlichen oder weiblichen Geschlechts ist. Wenn der


*) Prof. de Goeje verbessert: harth = Ackerland in hût = Fisch, weil Kazwini, der in seiner Kosmographie II. S. 415 übereinstimmend erzähle, den Ausdruck samk = Fisch setze.
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Bursche ausgewachsen ist, verheirathet ihn der Fürst und bezahlt für ihn das Ehegeld (das er nach Kazwîni von dem Vater des Bräutigams nahm) an den Vater des M ae dchens. Wenn das M ae dchen mannbar ist, so verschafft der Fürst ihr einen Mann und giebt an ihren Vater das Ehegeld. Das Ehegeld ist nun bei den Slawen sehr groß, gerade so wie es bei den Berbern gebr ae uchlich ist. Bekommt also ein Mann zwei oder drei Töchter so werden diese Ursache, daß er reich wird; hat er hingegen zwei oder drei Söhne, so wird er arm."

"An Misjko's Reich grenzen im Osten die Russen und im Norden die Preußen (Brûs). Diese letzteren wohnen am Meere und sprechen eine besondere Sprache, w ae hrend sie die ihrer Nachbaren nicht verstehen. Sie sind bekannt wegen ihrer Tapferkeit. Kommt ein feindliches Heer in ihr Land, so warten sie nicht auf einander, bis sie vereinigt sind, sondern jeder stürmt auf den Feind los ohne sich um jemand zu k ue mmern, und hauet mit seinem Schwerte, bis er f ae llt, oftmals kommen namentlich die Russen (d. h. Normannen) von Westen her zu Schiff in ihr Land, um zu pl ue ndern.

Westw ae rts von den [B]rûs liegt die Stadt der Frauen. Diese besitzen Aecker und Sklaven. Sie werden von ihren Sklaven geschw ae ngert, und wenn eine von ihnen einen Knaben gebiert, so t oe dtet sie denselben. Sie reiten zu Pferd, f ue hren selbst Krieg und sind voll Muths und Tapferkeit. Ibrahîm ibn Jakûb, der Israelit, sagt: "Und dieser Bericht ue ber diese Stadt ist wahr; Otto der römische König (Kaiser), hat es mir selbst erz ae hlt."

Wir bemerken hierzu nur, daß, wie de Goeje anführt unter Rûs bei den arabischen Schriftstellern des neunten Jahrhunderts ausschließlich die Normannen zu verstehen sind, später auch die Russen. Er verweist dabei auch auf Liutprand, der in seiner Antapod. I,11 (Pertz, Scr. III, p. 277) bemerkt: Constantinopolitana urbs - habet - ah aquilone Hungarios, Picenacos, Chazaros, Rusios, quos alio nomine Nordmannos apellamus, atque Bulgarios -. Hernach hat de Goeje Rûs in Brûs verbessert; er erinnert an König Aelfreds "Maegdà-land" im Norden der "Horithi", und vermuthet nach dieser Sage, daß später "Frauenburg" auf einer alten Tempelstätte der Siwa erbauet sei.

Ibrahîm erzählt weiter:

"Im Westen von dieser Stadt wohnt ein slawischer Stamm, welcher das Volk der Ubâba heißt. Das Gebiet

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derselben ist sumpfig und liegt im Nordwesten an Misjko's Reich. Sie haben eine große Stadt am Ocean mit 12 Thoren und einem Hafen. Für diesen Hafen besitzen sie vortreffliche Verordnungen. Sie sind im Kriege mit Misjko begriffen, ihre Macht ist groß. Sie haben keinen König und sind niemandes Unterthanen; ihre Aeltesten sind ihre Herrscher".

Kunik und de Goeje stimmen darin überein, daß mit jener Stadt Danzig gemeint sei; für Ubâba aber möchte letzterer lieber Kûjàba setzen, während Kunik an die Kassuben denkt. Uebrigens beschließt hiemit Ibrahîm seine Nachrichten, welche sich auf die Nordslawen allein beziehen; die Pommern kennt er offensichtlich nicht, auch von den Liutizen weiß er nichts, wenn er sie nicht mit zu Naccons Reich zählte. Er geht nun zunächst zu den Südslawen über:

"Was das Reich der Bulgaren betrifft, so sagt Ibrahîm ibn Jakûb: Ich bin nicht in ihrem Lande gewesen; aber ich habe die bulgarischen Gesandten in der Stadt Merseburg gesehen, da sie zum K oe nige Otto kamen. Sie trugen dicht anliegende Kleider und waren mit langen G ue rteln umg ue rtet, die mit goldenen und silbernen Kn oe pfen verziert waren" u. s. w.

Von den Bulgaren wendet sich Ibrahîm westwärts zu den Slawenstämmen, welche im Norden der "See von Venetien (Banàdjia)" "ein hohes Bergland mit schwer zu passirenden Wegen" (die Alpen) bewohnen und von allen Nachbarvölkern als die tapfersten gefürchtet werden. Dann giebt er schließlich allgemeine Bemerkungen über die Wenden, welche wir hier vollständig folgen lassen:

"Im Allgemeinen sind die Slawen unverzagt und streitlustig; und wenn sie nicht unter einander uneins w ae ren, in Folge der mannigfaltigen Verzweigung ihrer St ae mme und Zersplitterungen ihrer Geschlechter, so würde sich kein Volk auf Erden mit ihnen messen k oe nnen. Die von ihnen bewohnten L ae nder sind die fruchtbarsten und reichsten von allen, und sie legen sich mit Eifer auf den Ackerbau und andere Zweige von Betriebsamkeit dazu, worin sie alle nordischen Völker ue bertreffen. Ihre Waaren gehen zu Lande und ue ber See zu den Russen und nach Constantinopel".

"Die meisten St ae mme aus dem Norden" [welche sich zwischen die Slawen eingedrängt haben] "sprechen slawisch in Folge ihrer Vermischung mit ihnen; die

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vornehmsten von diesen sind die Trsjkîn, die Ongliîn * ), die Petsjenegen, die Russen und die Khazaren".

"In dem ganzen Norden ist Hungersnoth nicht die Folge vom Ausbleiben des Regens und von anhaltende Dürre, sondern vom Ueberflusse an Regen und von anhaltend hohem Wasserstande. Regenmangel gilt bei ihnen nicht f ue r sch ae dlich, indem sie der Feuchtigkeit des Bodens und der großen K ae lte halber deswegen kein Sorge hegen. Sie s ae en in zwei Jahreszeiten, im Sommer und im Frühling, und ernten zweimal. Dasjenige, was sie am meisten bauen, ist Hirse. Die K ae lte ist bei ihnen der Gesundheit zutr ae glich, auch wenn sie heftig ist ** ) die W ae rme dagegen sch ae dlich. Sie können in die Langobardischen Lande nicht reisen wegen der Hitze, welche dort groß ist und die Slawen umbringt. Denn sie befinden sich allein wohl bei derjenigen Temperatur, bei welcher die Mischung [der vier Elemente des Körpers] in geronnenem Zustande ist. Schmilzt diese und wird sie heiß, dann ger ae th der K oe rper in Auszehrung, und der Tod ist die Folge. Sie haben zwei Seuchen, von welchen fast Keiner verschont bleibt, homra und an-nawâcîr. Sie vermeiden den Genuß junger H ue hner, weil derselbe ihrer Meinung nach sch ae dlich ist und homra bef oe rdert; aber sie essen Rindfleisch und G ae nsefleisch, und dies bekommt ihnen gut. Sie tragen weite Kleider, aber die Aermel sind unten enge".


*) Beide Namen sind noch nicht gedeutet. Die Vermuthung Kunik's daß die Ongliîn als Ουγγροι (Ungarn) aufzufassen sein möchten, kann ich mir nicht aneignen.
**) Von der Kälte in den Wendischen Ländern erzählt der schon oben erwähnte Zeitgenosse Ibrahîms, Mas'ûdi, in einem von de Goeje a. a. O. S. 27 übersetzten Bruchstücke: "Die Länder der Slawen sind sehr kalt, und die Kälte ist bei ihnen am heftigsten, wenn die Nächte vom Monde erhellt und die Tage heiter sind. Dann ist die Kälte groß und friert es so stark, daß die Erde wie Stein ist und alle Getränke erstarrt sind. Brunnen und Ströme bedecken sich mit einer steinharten Rinde. Wenn man Wasser aus der Nase laufen läßt, so wird der Bart mit Eisplättchen wie Glas bedeckt, die man abbrechen muß, wenn man sich an einem Feuer erwärmt oder unter Dach kommt. Wenn dagegen die Nächte dunkel, die Tage bewölkt sind, dann verschwindet der Frost und nimmt die Kälte ab. Doch gehen dann viele Schiffe mit Allen, die darauf sind, verloren, da von den Eisschollen der Ströme Stücke wie Berge gegen sie anstoßen. Manchmal weiß ein Jüngling oder kräftiger Mann auf einen solchen Eisklumpen zu springen und sich auf diese Weise zu retten".
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Die beiden Benennungen der unter den Slawen endemischen Krankheiten wagen wir nicht zu übersetzen. Baron Rosen erklärt homra = Rose, und de Goeje schließt sich ihm an, bemerkt jedoch, daß in Spanien die Masern noch den arabischen Namen alfombra tragen, und nach Dozy homra wohl vorzugsweise Rose, aber auch eine Art von ekelhaften Geschwürchen bezeichne. Das Wort an-nawâcîr ist dem Professor de Goeje nicht anderweitig bekannt; nach Dozy bezeichnet es Eitergeschwüre, besonders am anus. Rosen vermuthet al-bawàcîr und versteht darunter Hämorrhoiden; doch ist es kaum glaublich, daß die Wenden bei ihrer damaligen Lebensweise an diesem Uebel schon allgemein gelitten hätten. Von der Verbreitung der Hautkrankheiten bei den Slawen zeugt vielleicht auch, was Mas'ûdî bei de Goeje a. a. O. S. 27 von den Bädern derselben erzählt: "Bäder haben die Slawen nicht; aber sie machen eine Stube von Holz, und verstopfen die Fugen mit etwas, was auf ihren Bäumen wächst und dem Wassermoos gleicht, und was sie moch "[altslav. muchu, altböhm. (Hanka p. 14) meh, in der Lausitz moch = Moos] "nennen. Sie gebrauchen dies auch zu ihren Schiffen anstatt des Pechs. In einer Ecke dieser Stube erbauen sie einen Feuerheerd von Steinen und lassen darüber eine Oeffnung, um den Rauch hinauszuleiten. Wenn dann der Heerd erhitzt ist, so machen sie das Luftloch dicht und schließen die Thüre. In dieser Stube sind Wassergefäße, woraus sie nun Wasser auf den glühenden Heerd gießen, so daß die Dämpfe aufsteigen. Jeder hat ein Bündel Heu in der Hand, womit er die Luft bewegt und zu sich heranholt. Dann öffnen sich die Poren, und das Ueberflüssige (Auszuscheidende) ihrer Körper kommt heraus und läuft in Strömen an ihnen herunter, sodaß dann keine Spur von Ausschlag oder Geschwür mehr an einem von ihnen zu sehen ist. Sie nennen diese Stube itba" [altsl. istuba, altböhm. (Hanka p. 45) gystba, in der Lausitz istwa].

Ibrahîm setzt seine vermischten Nachrichten fort:

"Die Könige halten ihre Frauen abgeschlossen und sind auf dieselben sehr eifersüchtig. Bisweilen hat Einer 120 und mehr Gattinnen".

"Ihre vornehmsten Fruchtb ae ume sind Apfel=, Birn= und Pflaumenb ae ume".

Statt "Pflaumenbäume" giebt de Goeje: perzikenboomen; doch wählte Ibrahîm wohl nur das entsprechende Wort, weil

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ihm eine Benennung für die gewöhnliche Pflaume fehlte. Pfirsiche gediehen wohl schwerlich in den Slawenländern.

"Es giebt dort einen [schwarzen] Vogel mit grünem Schimmer, der alle T oe ne von Menschen und Thieren nachahmen kann. Man f ae ngt ihn und man jagt ihn" (mit ihm?). "Sein Name ist im Slawischen sbâ. Ferner ist da ein Feldhuhn, welches im Slawischen tetra heißt. Das Fleisch desselben schmeckt vortrefflich. Es l ae ßt sein Balzen aus den Wipfeln der B ae ume auf 1 Parasang Entfernung und weiter hören. Von diesen Vögeln giebt es zwei Arten, schwarze und gefleckte, welche sch oe ner als Pfauen sind".

Daß der erste der genannten Vögel: sbâ der Staar sei, darf man aus dem Namen schließen. Denn dieser heißt nach Kühnel im Polnischen noch jetzt szpak (schpak), und im Litthauischen spaka-s (nach Fick, Wörterbuch der indogerm. Sprachen). Da diese Benennung in den südslaw. Sprachen nicht nachgewiesen ist, so darf man annehmen, daß Ibrahîm den Staar hier im Norden kennen gelernt hat. De Goeje verändert, weil auch er den Staar versteht, garib (= fremd) in girbîb (= schwarz), und vermuthet auch, daß Ibrahîm nicht geschrieben habe, man fange und jage den Staar, sondern man fange ihn und jage mit ihm, d. h. brauche ihn als Lockvogel auf der Jagd. Das Wort tetra ist an sich vieldeutig. Denn im Altslawischen bedeutet tetrevi (fem. tetrja) den Fasan (Fick II, 566), im Litthauischen teterva-s das Birkhuhn, tytara-s den Truthahn, dagegen nach Kühnels Mittheilung im Russischen teterev (ferm. teterja), im Polnischen cietrzew (spr. tschetrscheff) den Auerhahn. Daß dieser hier mit dem "schwarzen" Feldhuhn (richtiger: Waldhuhn) gemeint ist, geht aus der Beschreibung hervor. Dagegen lassen wir dahin gestellt, ob das "gefleckte" Huhn etwa das von C. L. Brehm (Handbuch der Naturgeschichte aller Vögel Deutschlands, Ilmenau 1831, S. 504) beschriebene "gefleckte Auerhuhn" (Tetrao maculatus), oder das Birkhuhn (Tetrao tetrix) oder eine andere verwandte Art oder Gattung sein mag.

Die Slawen haben verschiedene Saiten= und Blaseinstrumente. Eins der letzteren ist ue ber zwei Ellen lang. Eins ihrer Saiteninstrumente hat 8 Saiten und ist innen (unten?) flach, nicht gebogen".

"Ihr Wein und kr ae ftiger Trank wird aus Honig bereitet."

 

Vignette

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II.

Ueber eine Inschrift

im Chore des Dominicaner-Klosters zu Wismar.

Von

Dr. F. Crull.


A n verschiedenen Stellen seines "Papistischen Mecklenburgs" theilt M. Dietrich Schröder Abschnitte einer Inschrift im Schwarzen oder Dominicaner=Kloster zu Wismar mit, von welcher er angiebt, daß sie sich über oder neben der Kanzel befinde. An dieser Stelle war freilich nichts zu sehen, wohl aber etwas weiter in den Chor hinein - die Kirche selbst wurde nämlich 1689 zum Waisenhause eingerichtet, der Chor jedoch für Gottesdienste reservirt - konnte man wahrnehmen, daß der untere, geblendete Theil des nächsten Fensters an der Südseite bis auf die Fensterbank hinab, welche 11 Fuß 0 ,,über dem Fußboden lag, mit Putz überzogen war, und hier die Inschrift vermuthen. Da nun die verputzte Fläche selbst bei einer Breite von 13 Fuß 11 Zoll in der Höhe 15 Fuß 8 Zoll maß, so war eine Aufdeckung der Inschrift, eine Befreiung derselben von der darüber geschmierten Tünche nur mittelst eines kostspieligen Gerüstes und anderer Unterstützung möglich, die in früheren Jahren ziemlich aussichtslos war. Allmälich aber war theils vermöge des schlechten Wismarschen Baugrundes, theils durch langjährige Vernachlässigung ein so bedenklicher Zustand der Kirche eingetreten, daß, da die technischen und finanziellen Mittel fehlten, dieselbe zu halten, nichts übrig blieb als der Abbruch, während der Chor, der sich in gutem baulichen Stande be=

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fand, erhalten werden konnte und unten zu einer Turnhalle, oben zu einem Saale für die Bürgerschule, die seit Aufhebung des Waisenhauses in der Kirche installirt war, bestimmt wurde. Das gab dann Gelegenheit der Inschrift nahe zu kommen, um so mehr, als die Balkenlage ungefähr in der halben Höhe derselben zu liegen kam. Aber da stand noch die weitere Schwierigkeit entgegen, daß die Inschrift nur mit einer ganz dünnen Tünchkruste bedeckt war, und schon die Witterung des Sommers 1879 nicht gestattete, dieselbe zu verstärken und einen dickeren Ueberzug herzustellen, welcher sich bekanntlich leichter ablösen läßt. Außerdem war auch die Entfernung der Tünche durch das bessere Mittel, durch Klopfen, theils ihrer Dünnheit wegen nicht thunlich, theils, weil in der Blendung zwei große Risse von oben bis auf die Fensterbank hinabgingen, durch welche seit fünfzig Jahren, seit man die anliegenden Klosterbauten bei Errichtung des städtischen Krankenhauses weggebrochen hatte, fortwährend Luft und Feuchtigkeit eingedrungen waren und den Putz gelockert hatten, so daß beim Klopfen leicht ganze Pflaster von demselben sich hätten völlig lösen und abfallen können, wie denn schon an verschiedenen Stellen große Stücke fehlten. Es blieb also nichts übrig, als durch Schaben und Blättern den Ueberzug zu entfernen, so gut es ging, - ein Verfahren freilich, welches schon bei Malereien sehr mißlich, bei Inschriften aber allerdings erst recht bedenklich ist, da die schwarze Farbe, in welcher diese ausgeführt zu sein pflegen, nur eine äußerst schwache Verbindung mit dem Putze eingeht, lose auf demselben haftet und daher eher der Tünche folgt, wenn diese entfernt wird, dann aber auch der Verlust einer Linie, eines Hakens von größter Folge bei der Entzifferung werden kann, da auf solche Weise nicht bloß das Erkennen von Wörtern erschwert, sondern auch gradezu der gröbste Irrthum und zwar vorzugsweise in den Zahlen herbeigeführt werden kann, zumal bei der eckigen Minuskel des 15. Jahrhunderts. Nachdem also durch die angegebene Methode die Inschrift thunlichst bloßgelegt war, stellte sich heraus, daß dieselbe in 39 durch Linien getrennten Zeilen in schlanker gothischer Minuskel mit wenig Compendien und hin und wieder gekoppelten Buchstaben mittelst schwarzer Farbe auf den Putz getragen war, daß ihre Erhaltung und damit also die Lesbarkeit von oben nach unten immer mehr abnahm, und daß M. Schröder dieselbe bis auf zwei Abschnitte, den Anfang nämlich und einen in der Mitte, vollständig überliefert hat, wie daraus hervorgeht, daß das, was sich bei

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ihm nicht findet, und das, was er mittheilt, zusammen grade 39 Zeilen ausmacht. Es fehlen bei ihm Zeile 1 bis 13 und Zeile 19 und 20. Zeile 14 und 15 waren soweit erhalten, daß sie einen Vergleich mit Schröders Druck gestatteten, dagegen 16 bis 18 vollständig verlöscht. Zeile 21 bis 24 waren bis auf wenige Wörter lesbar, der ganze Schluß aber, Zeile 26 bis 39, war mit Ausnahme eines halben Wortes in Zeile 26 und zweier Wörter in Zeile 32 bis auf einen leisen Hauch gänzlich verschwunden. Es galt also den Anfang und Zeile 19 und 20 vollständig neu zu lesen, so weit dies möglich war, da sich in Zeile 10 bis 13, wie in 19 und 20 nur wenige Wörter erhalten hatten, und das Uebrige, wo noch Buchstaben sichtbar waren, mit Schröder zu vergleichen. Das war bei einer Temperatur von 8 bis 10° unter dem Gefrierpunkte - es wurde auch im Winter gebaut -, in einem Raume, dessen Fenster zum Theile nicht verglast waren und dem Ostwinde offenen Eingang gestatteten, von lose auf den Balken liegenden, einzelnen Brettern aus keine bequeme oder gar anmuthige Arbeit, welche nur dadurch zu Stande kommen konnte, daß Dr. Wigger die Güte hatte, mir seinen Beistand, zu Theil werden zu lassen. Auf seinen Rath ließ ich auch eine Photographie von dem über der Balkenlage befindlichen Theile der Inschrift, Zeile 1 bis 15, anfertigen und ist es mit deren Hülfe möglich geworden, das Gelesene nicht allein besser zu beurtheilen, sondern auch auf dem Zimmer zu studiren und Wörter zu erkennen, welche an Ort und Stelle nicht entziffert worden waren.

Die Inschrift besteht aus mindestens dreizehn, je mit einer Zeile beginnenden Abschnitten oder Paragraphen; doch mögen es ursprünglich vierzehn oder gar fünfzehn gewesen sein, was sich wegen zu großer Zerstörung der Zeilen 10 bis 13 nicht entscheiden läßt. Wir wollen indessen annehmen, es seien vierzehn Paragraphen gewesen, und demgemäß die einzelnen zählen.

Die ersten, wie wir also annehmen, vier Paragraphen enthalten allgemein ordensgeschichtliche Nachrichten und sind vielleicht deshalb von Schröder in sein speciell Meklenburg betreffendes Sammelwerk nicht aufgenommen worden, falls er nicht etwa durch die Höhe verhindert worden ist, sie genügend zu entziffern. Eine Prüfung ihres Inhaltes war uns theils der Lückenhaftigkeit wegen nicht möglich, theils weil es nicht gelingen wollte, die nöthige einschlägige Literatur herbeizuschaffen. Mit Hülfe dieser und der Photographie, welche im Wismarschen Rathsarchive bei den Urkunden des

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Predigerklosters deponirt ist, mag man immerhin von diesen Paragraphen noch mehr herausbringen, als uns möglich war, und abschätzen können.

Der fünfte Paragraph also ist der erste, welchen Schröder, a. a. O. S. 824, mittheilt. Außer diesem hat aber auch M. Daniel Springinsgut, welcher 1661 als Hülfsprediger zum h. Geiste nach Wismar kam († 1685) und durch sein 1668 gedrucktes "Verzeichniß derer Herren Prediger - in Wismar -" Schröder, wenn nicht überhaupt die Anregung zu seinen historischen Arbeiten, so doch eine Grundlage für dessen "Wismarische Prediger=Historie" gab * ), in einem von ihm abgefaßten, gegenwärtig bei S. Jürgens Kirche befindlichen Manuscripte, betitelt ,,Prediger=Buch zum h. Geist", S. 1, denselben aufbewahrt ** ) Der Paragraph berichtet über die Aufnahme und Niederlassung der Dominicaner oder, wie man hierlandes sagte, schwarzen oder Prediger=Brüder in Wismar und setzt dieselbe in das Jahr 1293. So stand deutlich da, und Springinsgut und Schröder haben dieselbe Zahl, wie auch die Inschrift von 1519 auf den Chorstühlen des abgebrochenen Dominicaner=Klosters zu Röbel sie giebt *** ). Ist das Datum richtig, so müssen die Inscriptionen des Wismarschen Stadtbuches B von p. 180 bis 183 um ein Jahr später gesetzt werden, als ich im Meklenburgischen Urkundenbuche bei den dort aus demselben abgedruckten angenommen habe. Das gedachte Stadtbuch enthält sechszehn Lagen oder 250 Seiten. Auf den letzten sieben, 103 Seiten zählenden Lagen finden sich 24 Jahreszahlen, von denen aber nur vierzehn Verhandlungsdaten, die übrigen terminliche sind, und zwar sind jene p. 143: 1289, 154. 158. 160: 1290, 173. 185: 1292, 188. 190: 1293, 197: 1294, 230. 231: 1296, 239. 241. 242: 1297, diese aber p. 146: 1291, 147: 1289, 161: 1291 und 1295, 170: 1292, 184: 1293, 200: 1295, 204: 1294, 221: 1297. Erstere Inscriptionen können nun allerdings, wenn nicht überall, so doch öfters später eingetragen sein, als die


*) Vgl. Schröder, W. E., S. 5.
**) Ob Springinsgut die Abschrift selbst genommen hat, steht dahin. Theils giebt er selbst an, daß er seine Arbeit größtentheils nach den Aufzeichnungen des M. Mauritius Wacenius, 1605-1620, und des M. Christianus Cothenius, 1021-1668 Prediger am h. Geiste, angefertigt habe, theils scheinen seine Abweichungen von Schröder nicht so sehr auf Irrthümern im Lesen der Inschrift, als auf Undeutlichkeit flüchtig genommener Copien derselben zu beruhen.
***) M. Urk.=B. 761.
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protokollierte Handlung stattfand, und eben deswegen ein Datum ausnahmsweise erhalten haben, während letztere Zahlen nur darzuthun vermögen, daß die betreffende Eintragung mit den voraufgehenden entweder in das angegebene Jahr oder, wie es meist der Fall sein muß, vor dasselbe fällt. Daß man bei diesem Verhältnisse nur combiniren, nur allgemein die Zeit abschätzen und ein Irrthum leicht Platz greifen kann, leuchtet ein. Nun kommt, was speciell die Aufnahme der Prediger=Brüder betrifft, angegebenermaßen p. 173 das Datum 1292 vor, p. 180 wird den Mönchen eine Schenkung auf den Todesfall gemacht (M. Urk.=B. 2148), p. 183 ein Erbe als bei den Prediger=Brüdern gelegen bezeichnet, p. 185 aber ist eine Verlassung als 1292, Dec. 5 (vig. S. Nicolai) geschehen, und p. 188 die Leistung einer Bürgschaft mit dem Datum 1293, Januar 7 eingetragen (M. Urk.=B. 2205). Hiernach und da weiter, wenn man von der ersten Seite der zehnten Lage, p. 143, die mit dem Datum 1289 eingeleitet ist, die Seiten bis zum Ende, welches sicher in den Sommer 1297 fällt, in neuntehalb diesen Jahren entsprechende Abschnitte bringt, p. 180 und p. 183 ebenfalls in den auf das Jahr 1292 treffenden fallen, so habe ich geglaubt M. Urk.=B. 2148 in (1292) setzen zu dürfen und glaube das recht gemacht zu haben. Allerdings mag die anscheinend richtige chronologische Folge (p. 185. 188) der betreffenden Stellen in Stadtbuch B. eine zufällige sein und letzteres bezüglich der Daten nicht den Glauben verdienen, welchen man solchen Büchern zu schenken so gewohnt wie berechtigt ist, aber sehr wohl können auch fast zweihundert Jahre später die schwarzen Mönche eine irrthümliche Ueberlieferung gehabt und ihrem Röbelschen Kloster solche mitgetheilt haben. Beide, Inschrift und Stadtbuch, scheinen mir ziemlich gleichwerthig der Autorität nach zu sein und die Entscheidung zwischen beiden völlig dem subjectiven Ermessen anheimgegeben. Endlich ist bezüglich dieses Paragraphen noch zu bemerken, daß die Abschrift bei Springinsgut an verschiedenen Stellen von Schröders Ueberlieferung differirt. Sie hat falsch recipitur statt excipitur, dann domino Henrico leone domino Magnopolensi statt schlechthin domino Magnopolensi, dilatatur statt denotatur, memoratus cum ſuis fratribus statt memoratus frater cum ſuis, es fehlt ihr et hinter pertractatur und locus hinter postmodum. Von diesen Varianten dürfte aber nur, und zwar mit Rücksicht auf M. Urk.=B. 2314 und 2317, das dilatatur vorzuziehen sein, und scheint gestanden zu haben: domino

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domino Magnopolensi, so daß ich beides in den unten abgedruckten Text aufgenommen habe.

Im sechsten Paragraphen, Schröder a. a. O. S. 1314, ist das Andenken an eine auch sonst überreich bezeugte Calamität, den schwarzen Tod, bewahrt, aber nur hier die angebliche Zahl der in Wismar Gestorbenen notirt.

Der folgende, siebente Paragraph ist derjenige, welchen Schröder entweder übersehen oder, obschon er um Gelegenheiten nicht schwierig war, seines Inhaltes wegen in seinen Arbeiten nicht zu verwenden gewußt hat. Zu seiner Zeit wird er noch ebenso gut erhalten gewesen sein wie das Uebrige, da die Wörter, welche überhaupt noch da waren, sich recht gut lesen ließen. Leider war jetzt aus demselben nicht mehr zu entnehmen, als daß dieser Theil der Inschrift eine Thatsache berichtete, welche sich am 30. November 1354 zugetragen hat und zu der Erwerbung der Grafschaft Schwerin durch Herzog Albrecht II. in Beziehung steht. Was für ein Interesse diese aber für das Kloster gehabt haben kann, entzieht sich jeder Vermuthung. Vor albert schien ein x zu stehen, so daß dux zu ergänzen sein dürfte, und allem Ansehen nach hatte hinter suorum gestanden: h . . . . itate = hereditate. Der letzte Buchstabe, von dem man etwas sah, muß v oder w gewesen sein; vielleicht folgte vasallis.

Nicht im "Papistischen Mecklenburg", wohl aber in seiner handschriftlichen "Ausführlichen Beschreibung der Stadt Wismar", S. 813, hat Schröder den achten Paragraphen angebracht, welcher die Nachricht von der Seeschlacht vor Wismar zwischen den Wismarschen und den Dänen am 2. Juli 1358 referirt, in der Peter Däne * ), der feindliche Admiral, mit vielen seiner Leute gefangen wurde, und deren Andenken man noch zu Reimar Kocks Zeit in Wismar alljährlich festlich beging ** ). Kock giebt aber, und zwar nach Herman Körner *** ), dem er nacherzählt, als Jahr der Schlacht 1364 an, doch ist das unrichtig, wie Professor Schäfer bereits, wenn auch nicht mit überzeugter Sicherheit, auf Grund eines Schweriner Documents ausgesprochen hat ). Uebrigens hatte dieser Tag das besondere Interesse für die Klosterbewohner, daß der Rath ihnen an demselben allemal ein Stübchen Rheinwein aus seinem Keller zukommen ließ †† ).


*) Lüb. Urk.=B. HL Nr. 200. 201. 304. 586. Hanserec. I, S. 104.
**) Grautoff, Lüb. Chr. I, S. 473.
***) ap. Eccard. II, p. 1109.
†) D. Hansestädte und Waldemar, S. 159 N. 1.
††) Jahrb. XXXIII, S. 66.
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Wenn der neunte Paragraph, Schröder Papist. Mekl., S. 1429, von dem ersten in Wismar 1365, September 8, abgehaltenen Provinzial=Capitel der Dominicaner Kunde giebt, so entzieht sich die Richtigkeit dieser Thatsache unserer Beurtheilung eben wie in dem zwölften und dreizehnten Paragraphen, Schröder a. a. O., S. 1725. 1979., welche von dem gleichen feierlichen Acte in Wismar in den Jahren 1104 und 1439 berichten. Uebrigens hat man auch nicht grade Grund zu Bedenken.

Die Pest, welche der zehnte Paragraph, Schröder a. a. O., S. 1500, in das Jahr 1376 setzt, ist auch sonst bezeugt * ), jedoch für Wismar anderweitig nicht.

Den eilften Paragraphen, in welchem über die Consecration des Chores der Klosterkirche im Jahre 1397 berichtet wird, hat nicht bloß Schröder, a. a. O. S. 1625, überliefert, sondern auch Springinsgut in seinem gedachten Manuscripte. Dieser läßt virginum und ob reuerenciam aus und hat reliquiarum in reliquorum corrigirt. Beachtung verdient es, daß er hinter patronos noch legitimos hat; wenn er aber die Lücke bei Schröder ausfüllend hinter octauas ein pasche setzt, so ist das mindestens sehr verdächtig, wenn nicht gradezu als Lesefehler anzusehen, da es eine ganz abnorme Bezeichnung des Sonntags Misericordias sein würde. Die Hoffnung, beim Abbruche des Altars ein Consecrations=Document zu finden und durch dieses den Tag zu erfahren, schlug fehl, da sich herausstellte, daß der Altar nicht mehr der ursprüngliche, vielmehr neueren Datums war.

Der beiden Paragraphen, welche jetzt folgen, 12 und 13, ist schon vorhin Erwähnung gethan, und möge hier nur noch bemerkt werden, daß Bruder Eilert Schönefeld, Professor der Theologie, welcher in dem ersteren als Leiter des Provinzial=Capitels von 1404 genannt wird, schon 1397 als Vicarins des Ordensmeisters in Wismar erscheint. In seiner Eigenschaft als heretice pravitatis inquisitor bezeichnet ihn auch Herman Körner zu den Jahren 1402 und 1403 und beruft sich für Mittheilungen auf ihn als Chronisten ** ). In einer Wismarschen Urkunde vom 5. Mai 1407 wird er als verstorben genannt.

Endlich wird im Schluß=Paragraphen, 14, Schröder a. a. O. S. 2203, über eine 1468 am 11. Juni stattgefundene

*) Grautoff a. a. O. S. 304.
**) L. c. p. 1185. 1186. 1104.
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Reformation des Wismarschen Convents referirt. Das Datum ist ohne Zweifel von Schröder richtig überliefert, da das Wismarsche Weinregister ergiebt, daß in der Pfingstwoche dieses Jahres die Bischöfe von Ratzeburg und von Schwerin, ersterer in Begleitung seines Schreibers, der Schwerinsche Dechant, Joachim von Bülow und (Joachim) von Pentz sowie Thomas Rode und Heinrich Pentzin, herzogliche Räthe, in Wismar anwesend waren und angeblich auch ein Abt, unter dem der in der Inschrift genannte Professor Albert Petersen gemeint sein wird. Diese Reformation nun hatte im Jahre darauf noch die Folge, daß unter dem 20. Mai ein Receß zwischen dem Landesherrn und seinen Söhnen für sich und ihre Nachkommen und dem Rathe zu Wismar, einerseits, und dem Prior und seinem Convente, andererseits, errichtet wurde, in welchem jene dem Kloster ihren Schutz und Schirm gegen jedermann zusagten, so lange seine Insassen sich stricte nach der Ordensregel halten würden, diese aber solches zu thun versprachen, und im widrigen Falle, wo sie durch geistliche Personen von der rechten Regel schuldig befunden würden, dem Verluste aller ihrer Rechte und Hebungen sich unterwarfen.

Zwischen das Datum dieser Urkunde und die Reformation wird die Herstellung der Inschrift fallen. Die Reformation war für das Kloster ein Vorgang von der allergrößten Bedeutung, nahe an die einer neuen Stiftung reichend. Da lag es nahe, dies wichtige Factum dem Andenken der Nachkommen einzuprägen, und das gab dann wiederum Anlaß, vielleicht nach dem Vorgange anderer Klöster, Ereignisse aus der Vergangenheit des Klosters, welche für den Orden überhaupt oder für den Convent speciell ein Interesse hatten, in der Erinnerung lebten oder derselben werth erschienen, zugleich an derselben Stelle und auf dieselbe Weise, inschriftlich, vor Augen zu stellen. Wäre dies Gedächtnismahl aber später als der Vertrag mit Landesherrn und Rath angebracht, so würde aller Wahrscheinlichkeit nach eines für das Kloster so wichtigen Vorganges in der Inschrift Erwähnung geschehen sein; ist die Schutzversicherung doch allem Ansehen nach im folgenden Jahrhunderte für die schwarzen Mönche von großem Werthe gewesen, wenn sie auf Grund desselben ihr volles Recht bis ans Ende zu behaupten auch nicht im Stande gewesen sind.

Ereignisse, welche Stadt oder Land als solche betrafen, in der Inschrift zu berichten und vor jedermanns Augen zu halten, ist nicht die Absicht derjenigen gewesen, welche sie

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abfaßten, zusammenstellten oder ausführten. Man würde sie dann nicht im Chore, sondern an einem den Laien zugänglichen Orte angebracht haben, und man hätte sie auch Deutsch, und nicht Lateinisch abgefaßt; denn wenn Lesen und Schreiben, wie sich immer mehr herausstellt, im Mittelalter freilich viel verbreiteter waren, als eine langjährige Tradition uns überliefert hat, so war die Kenntniß des Lateinischen doch ebenso wie noch jetzt ein Besitz der Gelehrten, des Klerus. Die Seuchen gingen die Klöster eben so gut an, wie die Bewohner der Städte, von denen die Mönche der Bettelorden ja nicht etwa sich abschlossen, sondern mit denen sie im innigsten Verkehre standen; soll doch nach Körner (p. 1085) der schwarze Tod im Burg=Kloster zu Lübeck 38 von ihnen hinweggerafft haben. In welcher Hinsicht der Wismarsche Seesieg das Kloster interessierte, ist oben bereits angegeben. Nur in Betreff des von Schröder nicht aufbewahrten siebenten Paragraphen ist nicht abzusehen, in welcher Beziehung der Inhalt zu unserem Kloster oder dem Orden überhaupt gestanden haben kann. Die Inschrift ist vor Allem von Werth für die Geschichte des Klosters, zu dessen Frommen sie ausgeführt wurde, somit aber auch in gewissem Grade für die des Ordens und der Kirche; doch geht auch die Profangeschichte, die Geschichte der Stadt und des Meklenburgischen Fürstenhauses dabei nicht leer aus. Die Paragraphen 5, 9 und 11 bis 14 überliefern Thatsachen, welche anderweitig nicht bekannt sind, Paragraph 8 stellt ein unsicheres Datum fest, und Paragraph 10 ein Ereigniß, welches in Betreff Wismars sonst nicht zu constatiren ist.

Es war Anfangs Absicht, die beiden Risse, welche durch die Inschrift gingen, zu schließen, den abgefallenen Putz zu ergänzen, das Gelesene in schwarzer Farbe, das aus Schröder zu Ergänzende in Roth wiederum aufzufrischen; allein der Putzgrund zeigte sich so lose, daß an Halten nicht zu denken war und man bei der neuen Bestimmung des Raumes dazu schreiten mußte, denselben abzunehmen, womit freilich denn die Inschrift völlig untergegangen ist. Aus diesem Grunde und um künftigen Forschern Anlaß zu irrthümlichen Muthmaßungen zu benehmen, erschien es angemessen, die Inschrift in zweifacher Gestalt wiederzugeben, nämlich einmal (A) so, daß sie für den Gebrauch hergestellt ist, dann aber auch (B) derartig, daß man erkennen kann, wie dieselbe aussah, als sie wieder ans Licht gezogen worden war, und wie sie ursprünglich erschienen sein wird und wie sie noch vor 150 oder 180 Jahren zu sehen war.

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A.

(§. 1.) 1 Anno incarnacionis dominice M°CC°xvi° confirmatus est ordo fratrum predicatorum a domino papa Honorio iij., anno pontificatus sui primo, | 2 beato Dominico Hispano, eiusdem ordinis fundatore, procurante.

§. 2.) 3 Anno M°CC°xxi°, viij idus Augusti (= August 6), beatus pater Dominicus bono fine quieuit in domino. Et beatus Thomas, de illustri prosapia comitum Aquorum natus, | 4 . . . . rat et magnus achatus philosophorum et eximiis ordinem fratrum predicatorum premiis puer xvi annornm - - - - beatus | 5 - Petrus Mediolanensis ad ordinem puer rec[ipi]tur et in xxx° anno ab [ac]cessu ordinis pro fide ab hereticis occiditur - - - atur passus | 6 et cum eo socius suus frater Dominicus de Cu -, qui letaliter vulneratus celum pro[mer]uit sanguine laureatus.

§. 3.) 7 Anno domini M°CC°xxvii°, a confirmacione ord[in]is anno [xi], mense Augusto, in vigilia beati Laurencii (= August 9), venerunt Magunciam eiusdem ordinis fratres, | 8 missi a magistro Jordane et - - - venera - patr - - [cance]llarii Magdeburgensis archi[episcopi] domini | 9 Frederici - - - - - orum nobilis - ipsts | 10 - - - beate Marie in - - |

§. 4.) 11 - - - paupertatis - mendicancium fratrum predicatorum | 12 est - - - anno domini M°CC°xxxi° - - | 13 - - copiose decor - - -

§. 5.) 14 Anno domini M°CC°xciii. frater Tydericns de Hamele, pater et fundator istius conuentus, cum suis confratribus burgimagistris Wismer hospicio | 15 excipitur 1 ) caritatiue et hilariter pertractatur et 2 ) a magnifico domino domino 3 ) Magnopolensi et Stargardie matura deliberacione et consensu heredum suorum | 16 spiritu dei instigante fratri predicto pro claustro fratribus predicatoribus construendo locus datur et assignatur, necnon a quibusdam ciuibus | 17 postmodum locus 4 ) dilatatur 5 ) et ampliatur, et tam a clero quam a populo memoratus frater cum suis 6 ) benigne et hilariter recipitur.


1) recipitur: Springinsgut.
2) fehlt Schr. -
3) Henrico Leone domino Springinsgut, magn. domino Magnopolensi: Schröder.
4) fehlt Schr.
5) Springinsgut, Schr. denotatur.
6) mem. cum suis fratribus: Springinsgut.
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(§. 6.) 18 Anno domim M°CCC°L° incepit in Wismaria pestilencia maior, ita quod in vno mense plus quam duo milia hominum morerentur.

(§. 7.) 19 Anno domini M°CCC°liiii., in die sancti An[dree apostoli] dominus [du]x Albert[us] - - - | 20 - - pro recuperanda patrum fuorum h[eredi]tate a ciuibus Suerinensibus et v- - - - -

(§. 8.) 21 Anno domini M°CCC°lviii°, in die sanctorum martyrum Processi et Martiniani (= Juli 2), magister milicie regis Danorum nomine Petrus Dene a ciuibus | 22 Wismarie capitur, compeditur et cnstoditur.

(§. 9.) 23 Anno domini M°CCC°lxv°, in die natiuitatis virginis gloriose [= Sept. 8], fuit hic primum capitulum prouinciale celebratum.

(§. 10.) 24 Anno domini M°CCC°lxxvi. fuit in Wismaria pestilencia marima per estatem, ita anod per illud breue tempus plus quam decem milia hominum | 25 morerentur.

(§. 11.) 26 Anno domini M°CCC°LXXXXVII°, dominica prima post octauas - dominus Detleuus Ratzeburgensis episcopus consecrauit chorum istum | 27 et altare maius in honorem sanctorum apostolorum Petri et Pauli, trium regum, decem milium martyrum, vndecim milium virginum, et ob | 28 reuerenciam reliquiarum sanctorum innocentum eundem chorum in. honorem eorum et predictorum sanctorum eciam consecrauit ac eosdem sanctos | 29 innocentes cum prenotatis sanctis in patronos haberi concessit.

(§. 12.) 30 Anno domini M°CCCC°IIII°, in die natiuitatis virginis (= Sept. 8), secundum capitulum prouinciale sub reuerendo sacre theologie professore fratre Eylardo Schoneueld, olim in Romana | 31 curia generali ordinis nostri procuratore et heretice prauitatis inquisitore, hic celebratur ac ab illustrissimo principe Alberto, Suecorum, Gothorum Obotritorumque rege, | 32 illud capitulum presencialiter honoratur, necnon ab honorabilibus dominis proconsulibus, consulibus, ciuibus et ciuissis benigne recipitur, et ab eisdem elemosine magne | 33 predicto capitulo liberaliter dabantur.

(§. 13.) 34 Anno domim M°CCCC°XXXVIIII°, in die natiuitatis virginis gloriose (= Sept. 8), fuit tercium capitulum prouinciale celebratum et ab honorabilibus dominis proconsulibus, consulibus omnibusque | 35 vtriusque

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sexus benigne recipiebatur et pertracta[ba]tur et ab eisdem elemosine magne predicto capitulo liberaliter dabantur.

(§. 14.) 36 Anno domini M°CCCC°LXVIII°, in vigilia Trinitatis (= Juni 11), conuentus iste fuit reformatus auctoritate reuerendissimi magistri ordinis Mamertini Belli per fratre[m] Albertum Petri, sacre | 37 theologie professorem, [e] missione reuerendi patris fratris Johannis ex Curia, vicarii generalis congregacionis Hollandie, pre[sentibus] reuerendis in Cristo patribus et dominis Wernero | 38 Swerinensi et Johanne Racehurgensi episcopis cum eorum prelatis, necnon iuratis consiliariis vtriusque status illustris principis et domini Hinrici ducis Magnopolensis | 39 ad hoc specialiter [vocatis? missis? deputatis?], astante eciam et postulante reformacionem conuentus huius opidi consulatu. Conseruet eum in bono in sui nominis laudem altissimus. Amen.

 

Anmerkung: Die 1880 noch lesbaren Buchstaben der Inschrift sind in dem vorstehenden Abdrucke A mit Schwabacher Lettern gedruckt, in dem Abdrucke B unterstrichen. - Die letzten 10 Zeilen der Inschrift sind im Druck etwas länger als die andern; wahrscheinlich waren sie im Original, wegen Enge des Raumes, der noch zur Verfügung stand, mit mancherlei Abbreviaturen geschrieben.

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Inschrift
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III.

Die

Reimchronik über die Rostocker Domhändel.

Von

Dr. C. Saß.


N achdem die Geschichte der Streitigkeiten, welche sich an die Erhebung der Rostocker Jacobi=Kirche zu einem Collegiatstift knüpften, neuerdings eine werthvolle Bereicherung durch die Veröffentlichung der Chronik eines dortigen Bürgers in ihrer ursprünglichen Gestalt gefunden hat 1 ), dürfte hier das nicht sehr umfängliche Gedicht Platz finden, das, wiewohl seiner Existenz nach lange nicht mehr unbekannt, doch zur Darstellung jener wichtigen Epoche noch nie herangezogen ist.

Hinsichtlich seines historischen Werthes kann es sich mit jener Rostocker Aufzeichnung entfernt nicht messen; es sind wenige Thatsachen darin überliefert, die nicht anderweitig, und zwar meist umständlicher, berichtet wären. Es ist wesentlich ein literarisches Interesse, welches dasselbe zum Gegenstand einer eingehenderen Betrachtung machen könnte. Mit zwei


1) Van der Rostocker veide, herausgegeben von Krause im Programm der Rostocker Stadtschule, Ostern 1880. Es wird sich hoffentlich bald ein Anlaß ergeben, die immerhin interessanten Abweichungen derjenigen, allerdings etwas überarbeiteten Recension dieses Denkmales zu verzeichnen, welche abschriftlich in das Tagebuch eines spätern Rostockers Aufnahme gefunden hat. Das Wesentliche über dies im Schweriner Archiv aufbewahrte Manuscript ist bereits Jahrb. VIII., S. 186 ff. mitgeteilt.
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ähnlichen Stücken ist es dem großen Pergament=Codex der Kirchbergschen Chronik angehängt, welcher sich jetzt im Schweriner Archiv befindet; die letzten 6 leer gebliebenen Blätter sind augenscheinlich erst, nachdem derselbe gebunden war, zu deren Eintragung benutzt. Vorangeschickt ist eine "Vorrede", welche in aller Kürze die Quelle und was der Verfasser sonst zu bemerken für nöthig hielt, angiebt; sie ist merkwürdig genug, um sie ihrem vollen Wortlaut nach beizufügen. Sie giebt zugleich, was die Anordnung der einander entsprechenden Reime betrifft, eine Vorstellung von dem dritten Stücke; auch hier haben die Verse 4 Hebungen und zeigen zwar zu Anfang fast rein daktylischen Rhythmus, gehen aber bald in die gewöhnliche Form über. Die Ueberschrift lautet (fol. 4b, Sp. 2, Zeile 13 u. 14): Dat dridde van der wunderwiisen lesten | slachtinge in dem lande to Dethm'; es umfaßt 200 und einige Verse und reicht bis 1/3 der 2. Spalte von fol. 6 a hinunter, so daß deren Rest und fol. 6b leer bleiben. Es erzählt die Niederlage der Dänen von 1500, wie die Zeit in den Schlußversen angegeben ist: Wol (= wer) beghert der tiid, id is gheschein | veffteynhundert ime gulden iare | na gades ghebord; de gheue, dat neyn | desser sy in vordomeder vare! | Amen.

Das zweite ist bereits gedruckt 1 ); es enthält 156 Verse und führt die Ueberschrift (fol. 3b, die beiden letzten Zeilen der ersten Spalte füllend; das Gedicht selbst beginnt die zweite): Dat ander van der mishandelinghe | des werden sacramentes tom Sterneb'. Die Anordnung der Reime ist wieder eine andere, indem die Zeilen in Gruppen zu 6 geordnet sind, von denen sich 1 und 2, 4 und 5, 3 und 6 entsprechen. Die Verse selbst weichen in ihrer Bildung nicht wesentlich von denen der Domchronik und der Vorrede ab.


1) Koepke, Memoria Conradi Lostii, - - episcopi Sverinensis - - (Rostock 1707, 4o), pg. 84 ss., in verhältnißmäßig correctem Texte, obwohl von dem Herausgeber wohl kaum zur Hälfte verstanden, wie es denn unter den dreien ohne Zweifel das schwülstigste ist. Die notwendigsten Verbesserungen sind folgende: v. 22 w as. 24 hebb e d. 35 de s . 41 dra m - d w enge(!?). 45 d u statt da. 46. e n tsett.58 v e t w. 60 e re statt Fre. 69 s e . 70. suß v e r n. 71 d oe n 72. vorl e ngen. 80 gescho u et. 81 b und. 83 dy n statt die. 86 se l t 87 vor u e s tet. 95 e n wint. 99 b eist. 100 t r ese - di n . 101 misroch t ich d in - doiuen (vielleicht nur: douen zu lesen). 103 on statt an. 107 s e . 116 oren statt een. 129 ed en sv mit etc 145 pleg h en.
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Von den Vorlagen, welche der Dichter übersetzt hat, sind am Schluß der Dithmarschen=Chronik wenigstens die Anfangsworte hinzugefügt. Dort heißt es fol. 6 a, Sp.2: I m mit Querstrich latine | de ambegin n mit Querstrich der drier vorscreuē dichte, | des ersten: Ordior acta duců (!) etc.; | des andern: Conuolat ī montē stelle; | des dridden: Perculso grauitate rei 1 ).

Wegen mangelnder Zeit ist nicht versucht worden, etwas Genaueres über diese lateinischen Gedichte - denn wohl nur an solche, nicht an Prosa läßt der Eingang der "Vorrede" denken - festzustellen; sie selbst scheinen nicht mehr zu existiren. Die Zeit, zu welcher die Uebertragung veranstaltet ward, ergiebt sich wenigstens hinsichtlich des frühesten Punctes aus den Schlußversen von III.; doch wird auch der andere Termin nicht weit über 1500 hinaus zu suchen sein; einerseits deswegen, weil bei den ersten reformatorischen Regungen die Gegenstände der Gedichte I. und II. jegliches Interesse verlieren mußten, andererseits der Hand wegen, welche die Reinschrift besorgt hat. Dieselbe führt eine ungemein feste, fast ganz steile Minuskel, wie sie sich kaum noch in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts finden dürfte. Ihr ausgeprägter Charakter bietet genügenden Anhalt, über wenigstens einen vermuthlichen Autor dieser Denkmäler abzusprechen. Lisch 2 ) hat eine Stelle aus der Renterei=Rechnung von 1510 veröffentlicht, wonach dem fürstlichen Schreiber Nicolaus (Baumann) 2 Gulden für das "Schreiben" einer Chronik ausgezahlt sind. Nun bedarf es nur eines Nebeneinanderlegens seiner bekannten, stark gebrochenen Cursive 3 ) mit unserer Handschrift, um sich zu überzeugen, daß es nicht Baumann gewesen ist, welcher die Eintragung in den Kirchbergschen Codex besorgt hat. Will man die Worte aber


1) Die lateinischen Worte sind mit gewöhnlicher Tinte geschrieben, die deutschen dagegen mit rother, ebenso wie die Ueberschriften und Initialen jedes der 4 Stücke. Außerdem ist der jeden Vers beginnende (große) Buchstabe mit einem kurzen senkrechten Strich von gleicher Farbe verziert.
2) Jahrbücher V, S. 189.
3) Wie sie z. V. in den beiden Stücken Jahrb. IV, S. 205 und 208 erscheint. Schon daß diesen der Gebrauch der Interlinear=Diphthongen fremd ist, würde beide Hände unterscheiden, wären dieselben in der R. Chr. nicht von so leichter und flüchtiger Zeichnung, daß man sie für Zusätze eines Andern halten möchte. Wenigstens ist das hohe e der rothen Ueberschrift der Vorrede mit der gewöhnlichen Tinte geschrieben. - V. 364 war ursprünglich nu v tte gesetzt, woraus dann - ů - gemacht ist.
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anders deuten und ihn für den Dichter oder Uebersetzer halten, so stehen wir mitten in der Reineke=Voß=Frage, in die einzudringen hier nicht der Ort ist. Doch scheinen die Ansätze in den Renterei=Rechnungen allein auf die Verwendung Baumanns zu kalligraphischen Zwecken sich zu beziehen, und speciell bei obiger Notiz möchte man lieber an eine Abschrift von einem der Marschalkschen Werke denken.

Was nun die Ueberlieferung betrifft, so machen die wenigen Abkürzungen keine Schwierigkeit; denn daß der Strich über einem m oder n ein auf dieselben folgendes e vertritt, ist etwas der Schreibung des ausgehenden Mittelalters Gewöhnliches; so z. B. v. 51: den n mit Querstrich (v. 274 ausgeschrieben), ebenso 58, 162 u. s. w.; v. 59: gemeine m mit Querstrich ; 171: de m mit Querstrich ; 173: a m mit Querstrich (ebenso ist v. 169): am  aufgelöst - ein Zeichen, das außerdem nur v. 286: sin  vorkommt, wo es ganz müssig zu sein scheint); v. 227: to m mit Querstrich ; 235: i m mit Querstrich u. s. w. Für vorhergendes e steht der Strich (ob gerade - oder gewunden: ~ - oder oft auch ganz zurückgeholt: ∞ -, das scheint für die Bedeutung gleichgültig zu sein), z. B. v. 240: hertog n mit Querstrich . Zweifelhaft könnte man über die Auflösung von Vorr. v. 9: gemey m mit Querstrich sein; die in den Text gesetzte Form hat für die Zeit wohl mehr Wahrscheinlichkeit als gemeyme. - Ein paar Mal erscheint der Strich jedoch gleichfalls vollkommen überflüssig und nur eine mißverständliche Reminiscenz aus der alten Praxis zu sein. So steht v. 147 vordan n mit Querstrich im Reime mit Johann: daher ist auch den Schreibungen v. 69: milden n mit Querstrich und v. 98: iegenern n mit Querstrich keine weitere Beachtung geschenkt. Indeß dürfte ey n mit Querstrich : v. 191 und 342, für eynen stehen.

Die Ansicht, wonach der Strich über n wenigstens in einigen Fällen reiner Zierrath wäre, findet Unterstützung darin, daß der sonst ein er, re oder e (nach r) bezeichnende Haken häufig völlig müssig steht, wie es sein Vorkommen im Reime beweist. Er findet sich nur über r: v. 10: tor; ebenso v. 19, 123, 173, 282; v. 101: groter; 132: begher; 182: twar; 184: wer; 192: erfro r n; 248: mer; 275: beder. - Die Conjunction vnde ist immer in dieser Form gedruckt, da sie meistens so ausgeschrieben wird: Vorrede v. 9; Chron. (bis v. 150) v. 45, 49, 52, 65, 76, 86, 97, 122, 127, 140, 142, 144, 149. Daneben kommt sie abgekürzt vor, und zwar (mit Strich oder Schwung darüber)

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entweder vn: v. 24, 40, 101, 114, 150; oder vnd: 23, 44, 57, 85, 92, 105, 132. Endlich ist noch die Schreibung des ff im Anlaute: ffurst u. s. w. beseitigt, welche sich v. 26, 133, 197, 203, 335 findet; es ist hier, wie so oft, schwer zu entscheiden, ob es nicht bloße Majuskel sein soll, doch steht v. 165 deutlich: Ffruwe. - Noch ist zu bemerken, daß zweimal (Ueberschrift zur Domfehde=Chronik und v. 39) geschrieben ist: Rost' statt des sonst immer vollständigen Rostock o. dgl.

Im Uebrigen geben wir den handschriftlichen Text buchstäblich getreu. Derselbe ist mehrfach corrigirt, jedoch augenscheinlich vom Schreiber selbst. Vorrede v. 4 stehen in Mecklnburg die Buchstaben - kl - in Rasur, und zwar an Stelle eines einzigen. R.=Chr. v. 149 steht me über der Zeile; ebenso 223: se; 319: echt; v. 233 ist angel a cht aus -e- verbessert, v. 343: g a d aus -o-. Hingegen steht v. 83 noch deutlich: kra s t (mit langem s statt f); und wie v. 207 suß augenscheinlich verschrieben ist statt syn, so möchte auch v. 304 zu ergänzen sein: vnde [de] marchgr.

Zu weitern Conjecturen hat sich kein Anlaß ergeben, obwohl es nicht allenthalben gelungen ist, den Sinn unzweifelhaft festzustellen. Es wird dies um so eher Entschuldigung finden, als sogar nach der lexikalischen Seite die bisherigen Hülfsmittel mehrfach im Stiche lassen. Grade aus diesem Grunde aber wird das kleine Denkmal Manchem recht willkommen sein und zur Untersuchung seiner literarischen Stellung auffordern. Insofern dabei die Frage nach der lateinischen Vorlage dieses und der beiden andern Gedichte in Betracht kommt, mag nur noch auf einen Umstand hingewiesen Sein. Die Zeitbestimmung der Domfehde, welche am Schluß gegeben wird, ist eine so augenscheinlich unzutreffende, daß sie schwerlich von dem eigentlichen Verfasser herrühren kann, der sich über den ganzen Gang der Ereignisse so wohl unterrichtet zeigt. Vielmehr wird darin ein Zusatz des Uebersetzers zu erkennen sein; und ein Gleiches gilt dann wohl von den letzten Versen der beiden andern Stücke, obwohl hier das Richtige getroffen ist.


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Eyn vorre ee de vp dre nabescreuen ghedichte.

fol. 1 a . DE dusser ghedichte bist eyn leser, 
dar vp int erste vorwarnet sy, 
dat er ansettende vorweser 1 )
de v oe r to Latine bescriuet dy; 2 )
5. dar vth seck denne wol begrifft
na rechtem ordenschen gheschicke,
dat dusse sulue dudesdie scrifft 
des to harder is im gheblicke 3 )
vnde vromeder van gemeynem dichte.
10. Doch nemand dar vtn. sy voru ee rt; 4 )
he wert der vorinnert lichte,
wen he dar vliit an keert.
Ghescreuen su ß to wolgheualle 
to Mecklnburg dem eddelen hueß,
15. dre is der dichte in dem talle,
formert ghelick al ß eyn rue ß . 5 )
Dat erste, wo de suluen heren
den dom to Rostock ansetten
 mit swarheit to gades eren;
 20. bl oe tstortinge moste on netten.
Dat ander van dem sacramente
to dem Sterneberge mishandelt
dorch Joden vorůlokede vente 6 )
an wůnderblot ghewandelt.

1) ursprünglicher Autor.
2) de vor ist wohl zusammen zu lesen (= zuvor), dy für den Akkusativ des Demonstrativs zu halten.
3) Anblick.
4) erschreckt.
5) das Wort ist nach stamm und concreter Bedeutung noch nicht sicher bestimmt; doch scheint der Begriff des Unebenen, Holprigen damit verbunden zu sein.
6) Fant, Bube.
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 25. Dat dritte van der slachtinge lest 
nicht u ee rn in Detmerschen lande;
wol deme dar nicht is ghewest,
so bleff he dar nicht to pande

Dat erste van des domes stichtinge to Rostock.

DEr eddelen forsten von hogher b oe rd
van der groten stad, welker name vord 
am seßstrande Mecklnburg is genant,
ouer alle lande ok wol bekant 
5. desser heren nůwe ghescheffte kl ae
denke ik mit dichte den openbar.
Wor vmme, du milde hemmelsche gunst,
vorleyn minen sinnen so vele kunst ║
Sp. 2. to eren der hemmelwoner all,
10. tor erdeschen vordenstes wolgeual,
to czirheit Rostogk der erliken stad;
in cristlikem priise des to bad
desse herschop irschene balde!
Dachte hertog Hinrick de alde,
15. hertogen Johans s oe n van guden seden,
hern Alberdes n ee ue 1 ) konniges m Sweden,
eyne to Rostock orer korken veer,
ghewiget in sunte Jacobs eer,
vorhoghen tor domerye sticht,
20. vp dat der seuen tiide plichte,
dar erliken. gade alle dage schegen.
Dar vmme one mede anleghen
de vniuersitete vnde arcidiaken

1) bezieht sich wohl auf Johann, dessen Vater Magnus(I.) Albrechts Bruder war. Sonst müßte das Wort "Großneffe" bedeuten.
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vth guder grund vnde n oe chliken saken.
25. Se boden dar eyn geschenke grot;
des one de furste wedderb oe t,
me scolde dat leggen t oe ß domes czire,
to gades suß ghedachter viire.
Dewile de dinger ichteswe ß hengen,
30. dar me se doch dachte betengen, 1 )
eschede 2 ) gad dorch dodes krafft
hertogen Hinrick to zeliger herschafft.
Dar na syn sone her Magnus genomet,
grotdadich, eddel, ok wol benomet,
35. mit todade des vulkreftigen ton eren
 syns broders Baltazar des heren
nicht wolden laten to nichte wanken
ores her vaders vpgesatten danken;
to Rostock dem rade bekant gheuen
40. sodanes muntliken vnde mit breuen.
Des se seck mit der meynheit drade
behelden 3 ) dar vmme gan to rade;
welke vord sek dar entegen wriuen 4 )
vnde willen by olden priuileien bliuen.
45. De heren Magnus vnde Baltazar
spreken mit temelicheit twar e : ║
fol. 1 b . billick ghesche, vmbillik vorbliue,
dar in wil wy nicht syn to riue; 5 )
vnse reder vnde stede wat de irkennen,
50 wil wy mit vreuel nicht entrennen. 6 )
De denne mit prelaten groter schar
vp tiid vnde stede irschenen d ae r,

1) beginnen.
2) rufen.
3) vorbehalten.
4) reiben, sträuben.
5) voreilig.
6) "ent=rennen", d. h. ausweichen.
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der fursten vpsate vth guder grund
endrechtigen al billikeden van stunt.
55. Dar seck dat wedderpart vorsochte,
wo se sek hiir vthwinden mochte,
vnde behelt noch eyns ruggesprake,
mochte dat denne scheen to rake, 1 )
aff edder to vth gemeyneme munde
60. scolde kamen den fursten scher to grunde. 2
Su ß is in der suluen herschop pl ae n
eyn schone slot genomet Swan,
dar sanden ore vulmechtigen de stad;
de brochten io in antworde wat
65. also vornisset vnde bewůnden, 3 )
dat des de heren nicht gantz verstunden.
Wer vmine b ue t by strenger pyn
de erwerdige bisscop van Suerin e ,
dat se tegen so mildenn goit
70. nicht scolen selten oren stelen 4 ) moit e ;
dar inne doch syn b oe rlike mand ae t
dorch se gar dumme wart vorsm ae t.
De fursten auer erer milden ae rt
nicht wolden vortyen to ieniger vard; 5 )
75. orer eghene wrake 6 ) se seck enthelden
vnde dat gantz an den pawe ß stelden.
De Romesche stol van gades beu ee l
wert kortes besocht in dem deil,
nicht anders wen ift Christus d ae r

1) zurecht (kommen).
2) der Sinn ist Wohl: ob nein oder ja (aff edder to): darüber sollte aus dem Munde der Menge den Fürsten die endgültige (to grunde) Entscheidung zugehen.
3) "gefirnißt und bewickelt", d.h.: verclausulirt.
4) "steil", d. h.: stolz, widerspänstig.
5) wollten auf keine Weise den Weg der Güte verlassen.
6) Rache.
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80. sulues neme des richtes w ae r.
De beyde schütz van des domes weghen;
he wert vorgont mit paustliken segen.
Done de Rostker dorch sodan kraft
na borliker wise worden beschaft, 1 ) ║
Sp. 2. treden de Wismerschen vnde Sundeschen an
85. vnde vorsochten one dar to helpen van.
Wol auer is so vu v ndich oft swinde
de r ae d, dat to boghende vinde, 2 )
dat gades vthgestickede vpsate is,
90. we sodans vorsocht, ne d oe rt 3 ) sek wis.
Doch deden de vramen 4 ) oren vliid
vnde vorlangeden van Bremen eyn respiit;
de ertzebisscop dar mit beschede
deme handel eyne inhibicien dede.
95. Van stunt de heren also beswert
anvellen dat ouergheistlike swert
vnde appeller e den dar to Rome vor e t;
wol is't den iegenernn sur ghehort.
Hertog Magnus van eddelen stam
100. desse rey ß e sulues annam
mit cleresie vnde eddelinge groter schar,
ouerwankende 5 ) k oe nliken mennige var e .
Dem Romeschen haue he anneme was,
de ouersten he besellede 6 ) to palla ß
105. vnde wart wedder vm van den gheert;
byna al dage by dem paweste w ee r't.

1) wohl: abgethan (bei Lübben, Mittelniederd. WB. nur bescheftich).
2) der Sinn dieses Reimpaares bedarf noch genauerer Feststellung.
3) bethört, betrügt.
4) nicht etwa: die Geistlichen; vielmehr wird an den Rostocker Rath zu denken sein. Denn die alte Bedeutung des Wortes ist nur: tüchtig, vornehm.
5) "überschritt", = wand (konliken: muthig).
6) besuchen.
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Done als na willen was irlanghet,
des paůstes benediccien he entfanget.
Wol was de vthreyse degger sw ae r,
110. noch hadde de wedderuart grotter v ae r:
durch Soldaten he sek ritterliken sloch,
mennich curtisan 1 ) vrig mede d oe r toch.
De bisscop van Raceburg Johan
was ok darmede heu vnde dan.
115. Wo her Magnus was by deme paůste seen,
de gulden rose mach dat ghein, 2 )
de om de alderhilgheste to Letare gaff;
van W ae rn eyn arcidiaken brachte se aff.
Van stunt mit eyner bullen fiin
120. erlanget vp des domes schyn 3 )
besochte me de van Rostoke do
vnde al na rechtes vorloue io. ║
fol. 2 a . De wat gheneghet tor smidicheit
mit demodighen worden bereit
125. kemen, to Sprentze to den stunden,
dar se den eddelen herscop 4 ) vůnden,
vnde boden gar groter geschenke bate, 5 )
dat de vortyen wolde erer vpsate.
De anderen viff Wendeschen stede
130. kemen v oe rt mit eynem rede 6 )
int benomede kloster to Dobber ae n
vnde geuen er begher vpt sulue verstan.
De fursten auer van sinne dicht
enwolden so dar anne nicht

1) Hofmann, Gefolge.
2) sagen, beweisen.
3) Beweis, Bekräftigung.
4) als masc. (nicht n., wie Lübben s. v. 2 vermutbet) bedeutet das Wort nicht mehr als das einfache her.
5) Vortheil.
6) mit einem Male, zusammen.
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135. wer 1 ) dorch vreuel edder dorch leue,
de one dat kloster vul goldes gheue.
Doch dar na nicht al to langhe
ghebrocht dar to mit rechtes dwange
kemen se to Gustrow vp de vest
140. vnde vorboden sek to horsam lest,
erst mit worden, na mit werken,
vnde wolden de stichtinge helpen sterken.
Dar vp senden se geleyde den heren
vnde allen, de mit one des gheren;
145. to warteyken den lofliken saghen
senden se vt der stad eren sperden 2 ) waghen.
In dem godeshuse vordann
bynnen Rostock to sunte Johann
beramet me wise vnde besl ue th;
150. vnde dat nicht quades entsprose dar v e t,
schach vnder malk ander 3 ) handlofte dar.
Dar vp betengede me't sunder v ae r.
Am achten daghe der konninghe dre,
eyn vrigdach was't, ee r 4 ) ek et vors ee ,
155. van Raceburg de erwerdighe vader
vullenbrachte't dosulues algader, 5 )
wat ome dar inne beuolen was,
so he dat vth der bullen la ß ,
vnde also me alder erlikeste kan,
160. richte he den dar den d oe m an; ║
Sp. 2. achte he mu oe rde der domheren.
Dar by waren denne to fugen vnde eren
de hertogen bede mit oren haue,
bisschop Cord van Suerin to laue,

1) = weder.
2) gedeckt.
3) unter einander.
4) = edder Vgl. v. 135), d. h. wenn nicht.
5) allzusammen.
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165. fruwe Sophie doue mit swaren vote 1 )
vnder grotem volke was malkes genote.
Allentelen 2 ) besunderen vnde im summen
begunden se weddern vort to grummen.
Ame sunnauende vort dar na
170. resede hertoge Baltazar van da,
ghissende 3 ), dat deme donner vorbolghen 4
villichte mochte eyn reghen volghen.
Ame sundaghe vort tor homissen tiid
deylde seck dat wedder degger wiid
175. tom dorne to vnde in hu ß vnde boden,
dar se seck der d oe mheren vormoden;
wat stolen vnde boken in der kerken schach
vppe malkes doelmodigen behach,
gha ek vorby vnde scriue alleyne,
180. wat personen ouerghinck gemeyne.
Her Thomas Rode de prouest d ae r
entfenck de ersten pliten. 5 ) twar;
der herscop lange eyn. kentzeler
ward geslaghen, ifft he eyn osse wer.
185. O riker god, wo bermehken id let,
dar sek dat schap legen sin h ee rde set!
Her Hinrick Bentzin de erste deken,
hedde't older dan, 6 ) were on entweken;
doch k oe ß he leuer vmme ere liiden.
190. Syn arcidiakenscop mochte doch nicht striden,
se worpen on iu eyn dustern t oe rn:
my wundert, wo he nicht is irfrorn.

1) Im Laufe der nächsten Monate wurde Albrecht (VII.) geboren.
2) "all = einzeln", d. h.: allmählich.
3) ahnen.
4) angeschwollen, drohend.
5) Hieb.
6) soll wohl heißen: wäre es auf sein Alter (Erfahrung) angekommen, wäre er nur darnach gegangen.
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Ock alle de tom dorne h oe rden,
sochten. se dar bouen in allen oe rden;
195. weren se der im grimme bekamen,
de hedden den suluen reyg 1 ) vornamen.
De fursten irschrocken to der vart;
tor wer waren se vnliike p ae rt; ║
fol. 2 b . doch dorch welke, den dat was leyt,
200. wart one tom vthgange dat d oe r bereit.
Hiir loten se des nicht bywenden,
den de sinne wankeden buten den benden;
de furstinne volghede vp den slaghen, 2 )
de wolden se störten mit den wagen.
205. Waen hadden se to ichteswelken darinn,
den fruwen kleder ghewen ghewin,
dar vnder se schulden su ß bedecket. 3 )
Gud isset, se dar mede worden ghecket: 4 )
des anderen was doch leyder to vel. 
210. Done vorlopen was sodan spel,
sprack her Magnus de eddele furste,
deme na der wrake sere durste:
,O vndecntigen 5 ) gheledes, ere vnde recht!
Isset dit, dat my loniken is togesecht?
215. Wy sweren dat by vnser vordem hant:
der bote 6 ) wyl wy hebben eyn pant.'
Doch nicht mit haste wolde he't beginnen,
vp dat se seck mochten besinnen;
eyne vormaninge schach one vp louen,

1) Tanz.
2) Stunde.
3) der Zusammenhang dieser Zeile mit den umgebenden ist undeutlich; am einfachsten löst sich wohl die Schwierigkeit. Wenn man in suß einen Schreibfehler für syn sieht. - Uebrigens gelang es nach Jahrb. XLIII, S. 188, auf diese Weise: doctorem Marin zu retten.
4) geäfft, getäuscht.
5) uneingedenk, treulos.
6) Buße.
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220. dar b ee rden se by ghlick den douen.
Int lateste dorch de stede viue,
de bederw ae n 1 ) su ß weren to kiue,
word raden se de böte vnderghan,
wolde me den d oe rn taten anstan.
225. De fursten bleuen in erem d oe n
vnde woldens nicht hebben sodan s oe n.
Dit is tome Schonenberge ghehandelt.
Alse't nicht mochte werden wandelt,
sede de herschop in bilkem torn: 
230. ,Su ß vele hebbe wy nu tovorn;
mit dubbelden swerden wil wy vechten,
gheistlik vnde wertlik mach vns rechten.
Vnrecht is vns weldigen angelacht: 2 )
235. dat wil wy wreken, des siit verdachte.'
Ime Julio negst tor sommertiid
deden de fursten orenn vliit;║
Sp. 2. heren vnde frunde se dar to toghen,
 lande vnde lude, der se vel vermogen;
dar mede de hochgeborne heren 
240. hertogen to Sassen vnde Stettin weren, 
ock de vil eddele graue to Reppin,
de alle striidbar fursten synn.
Mit groter manscop in mennigem h ee
vmmeleyden 3 ) se Rostock mit kriges w ee r,
245. so dat den meysten binnen der stad
vorgoten duchte dat gantze bat.
Doch her Magnus vil guder ther 4 )

1) = bet her wan? (Wie bet her to) d. h. bisher.
2) eigentlich: nachstellen (von anlagen); anthun (vgl. v. 319, wo man "verlegen" übere setzen kann, gleichwohl wird die Form auch dort nicht von legen abzuleiten sein).
3) belagern.
4) gutartig, gütig.
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beschickede se noch tor böte mer
vude hedde se gerne to gnaden intfangen,
250.  mochte he't mit go u de hebben irlangen.
Er antworde auer vorghetern was,
des mennigh na nicht wol gena ß :
se spreken: ,de borger sint in der ae rn.'
Do begunde me na Wernemunde to varn.
255. Na sch oe ten, sieghen vnde steke
wůnnen se de veste mit dem bleke; 1 )
brand vnde rouff sach me vnschone,
dat kreghen se ersten to lone.
Dorpe, veltguder vnde gherichte, 
260. to vorn ghewant tor borger plichte,
ghewan dor de herscop mit een;
doch gnade mocht me an luden seen.
Tho ghedeliker 2 ) tiid dat her vpbrack,
eyn illick wedder sochte syn. gemack.
265. Done dede dat bund 3 ) eyne sterke
den Rostkeren ane grote werke;
hir vth kreghen se eyne dristicheit
vnde gneuen seck to velde breit.
Na Panklow toghen se rouen vth;
270. dit wart drade eyn rochtich l ue t. 4 )
De hern sammeden done tor hast,
wen se hebben konden sunder last.
Se kemen to hantgrepe vort,
dar schach denne ichteswelk m oe rt. ║
fol. 3 a Gar vnliik auer was beder spisse; 5 )
275. de besteller 6 ) ock de reden misse.

1) Flecken.
2) bequem.
3) Bündniß, nämlich mit den übrigen wendischen Städten, vgl. v. 299.
4) "rüchtiger Laut", Gerücht.
5) Schlachtreise, Mannschaft.
6) Befehlshaber.
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In dem handel lopt gerne vngheual,
anders hedde me se dar beholden al.
Doch furstliken sloghen sek de hern dar d oe r,
280. wowol beden eyn torninge 1 ) wedderu oe r.
Wunder mochte me schawen dar:
eyn satte sek teghen teyn tor var;
van den fursten mit vnliken kampe grettet 2 )
wart mennig dar tor stede gelettet, 3 )
285. irslaghen, ghewundet vnde gheuangen. 
Im schuttinge wer't on bei ghegangen. 4 )
Eyn red 5 ) wart des late w ae r:
mit vitalien was eyn sunderlik schar, 
de angrep vrisch de retmester R oe r;
290. menninghen he van dannen v oe r,
hundert vp der walstede bleuen;
me biddet on bilken dat ewige leuen.
Tho ue or vmmeher ward one vorbaden,
ae n oren danck mosten se dat staden;
295. w ae rde 6 ) sat me da vp alderweghen,
torugghe helt me se mit sleghen.
Vnder des scheghen mennighe daghe,
anich weren se gerne west der plaghe;
oe r dorlike bund hardede se dar in,
300. wol nemen se' ß neyn grot ghewin.
 Dat gheistlike swert helt mede an,
se leden langhe den swaren ban.

1) Hemmung, Unfall.
2) reizen.
3) hemmen, packen.
4) Der Sinn des Verses ist unklar; schuttinge soll doch wohl: Feuergefecht bebeuten, wenigstens liegt dies näher als die andern bei Lübben s. v. aufgeführten Bedeutungen. Indeß muß der Gang des Treffens noch genauer untersucht werden, ehe sich aus den theilweise verderbten übrigen Quellen die vorliegende mit Sicherheit interpretiren läßt.
5) Reitergeschwader.
6) Warten, Wachtposten.
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De gr oe tgheborn konning to Denemarck
vnde 1 ) marchgreue to Brandenburg vil stark 
305. vndergrepent tom besten beden siit,
vp dat gheleggert 2 ) worde de striid;
in de se beyde compromitteren. D oe n na 3 ) twolff mante vmme weren,
tor Wismer schach eyn grot hoff, 
310. des de heren noch hebben loff;
dar spreken eyn ordel de schedesh ee rn
- hir mede se vnwillen wolden keren -: ║
Sp. 2. ,Wat ghewunnen is, ghewunnen sy;
Rostogk legghe XXX dusend gulden darby
315. vnde do de huldinghe vpt nye,
vp dat se seck der last entfryge.'
Hiir enteghen na der olden w ae nte
satten se seck se ß gantze mante;
de strate wart one echt 4 ) ghelacht.
320. Vnderde ß hebben se sek bet bedacht,
to Wygendorp se smidighen kemen
vnde so de heren gnedich vornemen.
Streffheit 5 ) to neynem frede ret,
dorch othm oe t 6 ) me des torns vorghet;
325. gnade dat recht ock ouergheit,
in sachtmode best eyn rike besteit.
Dar vnder des vplopes houetlude
krech me vort bescreuen to dude; 7 )

1) s. Einleitung.
2) "sich legen machen", beilegen.
3) beinahe.
4) wieder (wegen gehl. vgl. Einleitung und zu v. 233).
5) Straffheit, Starrsinn.
6) Demuth.
7) Die Zeile ist schwierig; das letzte Wort für "Tod" zu nehmen. würde dem Sinne aufs beste genügen: aber ein solcher Lautwandel dürfte schwerlich zu belegen sein. Man wird darin doch nur das bekannte: "zu deutsch", d. h. zurecht - bekommen, maßregeln (vgl v. 58) - sehen dürfen, vort bescr.: unten (v. 330.) genannt.
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mit dem swerde sin se ordeliken voruernt, 1 )
330. Runghe, Kr ue ckenberch vnde mester Bernt.
De stede auer kernen vpt beste,
dar Rostogk van is de seste,
vnde vormochten se to des ordels betalen,
so verne se konden wat gnade irhalen.
335. Der fursten adel dar erscheen,
den naturlick milde is ghemeyn;
se entsunken 2 ) on wes in dem ordel,
dat ander betalden se na vordel.
De herscop kam mit stoltem ruste,
340. des mennighem ankeper 3 ) geluste; 
to Rostock buten dem dore al
wolden se dan hebben eyn v oe tual;
de heren one den togheuen dorch gad,
vnde v oe rden so wedder in de stad
345. de vorschuchterden vnde rades personen,
satten se wedder ton ersten tr oe nen.
Ock ward et vorder in gude vleghen 4 )
mit allen, den se weren enteghen;
se mosten't der kerken to Sueryn
350. ok vorboten mit gheldes pyn. ║
fol. 3 b . Der furstinnen mosten se ok vorgoden
den h oe n se or vp dem waghen boden;
Vresen frunden des voghedes afghehawen 5 )
 mosten se ock de neghelken klawen; 6 )
355.  vnde alle man von on vorvnrechtet,
wo de samptliken waren beslechtet,

1) urtheilsmäßig beseitigen.
2) sinken lassen, erlassen.
3) Angaffer.
4) schlichten.
5) in dieser prägnanten Bedeutung (enthaupten) gleichfalls in Rücksicht auf den Schwaner Amtsvogt Gert Frese gebraucht bei Krause a. a. O. S. 12 unten.
6) "die Krallen streicheln", d. h.: begütigen, abfinden.
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vors oe nden se mit ghelde oft bede
na vthgestickeden stunden vnde stede.
De ban vorder gheleggert wart,
360. me wygede, wat dar was vorkart; 
de sanck mit vroden is vp genamen,
de vangen sint wedder an vryheit kamen;
de erwerdige bisscop van Lubecke na,
de im besluthe was n ue tte da,
365. voruoghede id, dat de vniůersiteet
veer prebenden ock funderen leet
to den ersten achten rede ghesticht.
Dar mede was alle sake slicht.
Su ß vint men van ambeghin her,
370. dat de hillighe kerke ore wer
mit bloetstortinge stedes heft erwelt;
de warheit iummer behelt dat velt.
Disse plantinge denne mit swaren beghin
erlanget na tiiden eyn scone ghewin
375. in gades dennste, nůtte vnde cziir
mit h ee rlicheiden van gheistliker viir,
na planten wise in gerdeners saken,
de nicht bequiint, 1 ) me nette se vaken.
Weme lustet to wettenne de tiid,
380. dat vmme den d oe m is dan de vliit,
denke verteynhundert, teyn mal neghen,
de i ae r na Cristum heft he gekreghen;
twe iar v oe r vnde twe iar na,
viff in summen ek tosamde besta.

 

Vignette


1) gedeihen.
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IV.

Aus

dem Leben Herzog Friedrichs des Frommen

bis zu seinem Regierungsantritt.

Nach Acten und Briefen im Großherzoglichen Archiv erzählt

von

Dr. F. Wigger.


Erstes Kapitel.

Kindheit.      Erziehung.

D er Herzog Christian Louis L von Meklenburg=Schwerin war 1692 kinderlos verstorben. Von den drei Söhnen seines Bruders Friedrich (zu Grabow) hatte der älteste, Herzog Friedrich Wilhelm († 1713), gleichfalls keinen Sohn hinterlassen. Die erste Ehe des nach ihm regierenden Bruders, des Herzogs Carl Leopold, war auch unbeerbt geblieben, und ein Sohn ist auch aus der zweiten nicht hervorgegangen. Man kann sich demnach vorstellen, in welche freudige Spannung die Meklenburger geriethen, als im Herbste 1717 das Kirchengebet für die Hoffnungen der Herzogin Ludwig angeordnet ward.

Der "Herzog Ludwig", wie man ihn damals kurzweg nannte, Christian Ludwig, lebte mit seiner jungen Gemahlin, der Herzogin Gustave Caroline von Meklenburg=Strelitz, welche er am 13. November 1714 heimgeführt hatte, der Anordnung und Genehmigung seines älteren Bruders Friedrich Wilhelm gemäß bei seiner Mutter auf deren Wittwensitz, dem alten, von Herzog Ulrich erweiterten Schlosse zu Grabow, welches auch der schwermüthigen Tochter Herzog Friedrichs, der verwittweten preußischen Königin Sophie Louise, zum Aufenthaltsort diente. Aber während in diesem Schlosse die größte Eintracht herrschte, hatte der Herzog Carl Leopold

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auf seinen Bruder Ludwig wegen seiner Apanagial=Ansprüche längst bittern Haß geworfen. Die Stände, vornehmlich die Ritterschaft und die Stadt Rostock, welche seit Jahren mit dem regierenden Herzoge - nicht ganz ohne eigene Schuld - in heftigem Streite lagen und von diesem dann mit nachdrücklichster Strenge behandelt wurden, sahen im Herzog Ludwig gewissermaßen einen Leidensgefährten, vielleicht schon einen stillen Bundesgenossen für die Zukunft. Man fing allgemach an, auf diesen Prinzen die besten Hoffnungen zu setzen, da man seine überaus milde und versöhnliche Gesinnung und sein leutseliges Wesen kannte, und vorauszusehen war, daß des Herzogs Carl Leopold gewaltsames Beginnen ein trauriges Ende nehmen müsse. Diese Lage der Dinge konnte das allgemeine Interesse für den Hof zu Grabow nur erhöhen.

Allgemeiner Jubel erscholl daher, als sich im Lande die Kunde verbreitete, daß auf dem Grabower Schlosse in der Frühe des 9. Novembers 1717 ein Prinz geboren sei. Glückwünsche in Prosa und in Versen liefen daselbst in großer Menge ein. Die hochbetagte Urgroßmutter des Neugebornen, Herzogin Magdalena Sibylle von Meklenburg=Güstrow, dankte Gott, daß sie noch "die erfreuliche Geburt dieses Prinzen wissen mögen"; der Wittwe Herzog Friedrich Wilhelms, der trefflichen Sophie Charlotte zu Bützow, war, wie sie schreibt, des Prinzen Geburt viel zu erfreulich, als daß sie es exprimiren könne; und der Strelitzer Hof war nicht minder glücklich. Der Engere Ausschuß ließ seinen Gefühlen freien Lauf; er gratulirte am 22. November "mitten in denen höchsten Nöthen und Drangsalen, worin die meklenburgische Ritterschaft leider eine geraume Zeit her ächzen und seufzen" müssen, er bezeichnete sehr unzweideutig den jungen Prinzen als ein Unterpfand der göttlichen Gnade und einen Hoffnungsstern für die Zukunft.

Unter den zahllosen Glückwünschen aus der Reihe der Beamten und der sonstigen Getreuen und Anhänger des Herzogs Ludwig war vielleicht der sinnigste der Wunsch des in der eifrigsten Erforschung der Landesgeschichte ergraueten Archivars Johann Schulz, daß nämlich der junge Prinz die Tugenden seiner Ahnen in sich vereinigen möge, Herzog Johann Albrechts I. Salomonische Weisheit, Johanns Sanftmuth und Frömmigkeit, Adolf Friedrichs I. Standhaftigkeit und Gerechtigkeit, seines Großvaters, Herzog Friedrichs, Friedfertigkeit und Gelassenheit - nebst allen andern hochfürstlichen Tugenden.

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Und der regierende Herzog Carl Leopold? - Der Bruder sandte sofort an ihn nach Rostock, wo er mit seiner jungen russischen Gemahlin Hof hielt, ein noch vorhandenes Schreiben, welches außer der dem Chef des Fürstenhauses gebührenden Notification von des Prinzen Geburt auch die Bitte um die Gevatterschaft enthält. Die darauf erfolgte Gratulation des herzoglichen Paares ist ziemlich kühl gehalten; die Gevatterschaft nahm der Herzog an, erklärte aber, sich wegen "ganz unumgänglicher Hindernisse" vertreten lassen zu müssen. So hatte also die alte Herzogin=Mutter zu Grabow auch nicht einmal bei der Taufe ihres ersten Enkels die Freude, ihre Söhne in Frieden um sich zu sehen.

"1717, den 11. November" - so vermeldet das Grabower Kirchenbuch - "ist der vor zwei Tagen, nämlich am 9. Nov. Morgends Klock drei, geborne Prinz von Ihro Durchlauchten Herrn Christian Ludwig und dero Gemahlin Gustava Carolina auf dem Schloß in dem großen Saal getauft, und in der Taufe Friderich genannt worden. Taufzeugen sein gewesen: der regierende Herzog Carl Leopold und die beiden hochfürstlichen Frauen Wittwen von Güstrow und Grabow".

Aus der frühesten Kindheit des Prinzen Friedrich ist kaum etwas Anderes 1 ) zu melden, als daß die Mutter den recht zarten Sohn, zumal er bis zum 1. Juli 1723, wo die Prinzessin Ulrike Sophie geboren ward, ihr einziges Kind verblieb, sehr sorgfältig, aber auch vielleicht allzu zärtlich erzog. Bis zu seinem achten Lebensjahre blieb der Prinz ganz unter weiblicher Leitung und Pflege und ward vom Hofpersonal etwas "verhätschelt".

Der Raum, in dem Friedrich seine ersten Lebensjahre zubrachte, mochte enge genug, und die Umgebung wenig anregend sein. Denn in das Schloß theilten sich, wie bemerkt, die Herzogin=Mutter, die Königin Sophie Louise und der Herzog Ludwig. Die alte Herzogin Christine Wilhelmine war eine Frau von seltener Liebenswürdigkeit, Sanftmuth und Geduld; aber seit langer Zeit war ihre Gesundheit tief erschüttert, und theils das Unglück, welches der regierende


1) Merkwürdiger Weise kommt schon am 12. October 1718 (also schon im ersten Lebensjahre) und dann bis 1724 noch zehnmal "Ihro Durchlaucht der Printz Friderich" im Grabower Kirchenbuche als Taufzeuge vor. 1719, den 13. October, heißt es ausdrücklich: "Taufzeugen: die Hochfürstlichen Herrschafften sämtlich, samt dem kleinen Printzen Friederich". - Im Mai 1725 war Friedrich wiederum Taufzeuge, und mit ihm seine noch nicht zwei Jahre alte Schwester Ulrike.
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Herzog über Meklenburg heraufbeschwor, theils die Gemüthskrankheit ihrer Tochter in ihrer unmittelbaren Umgebung trübten ihre letzten Jahre und drückten die Stimmung aller Bewohner des Grabower Schlosses nieder. Nach dem Tode der Herzogin=Mutter († 16. Mai 1722) verblieb die Königin gleichfalls dort im Schlosse; aber sie lebte in völliger Abgeschlossenheit, kam nie in die Gemächer ihres Bruders und ihrer Schwägerin, ging auch nicht in den kleinen Schloßgarten hinunter. Und wenn auch der Herzog Ludwig mitunter sie besuchte, so hat doch der kleine Prinz Friedrich sie vielleicht höchstens einmal am Fenster stehen sehen, gewiß nicht mit ihr verkehrt oder gar von ihr religiöse Eindrücke empfangen, die auf seine spätere geistliche Richtung eingewirkt hätten.

Einen großen Umschwung in allen häuslichen Verhältnissen des Herzogs Ludwig brachte dann aber die große Feuersbrunst vom 3. Juni 1725 zu Wege, die nicht nur fast die ganze Stadt Grabow in Asche legte, sondern auch das Schloß daselbst bis auf den Grund verzehrte. Nur mit der größten Anstrengung wurden die Schloßbewohner der Gewalt der Flammen entrissen. Die Prinzessin Gustave Caroline fand einen vorläufigen, kurzen Aufenthalt zu Guritz; dann aber verlegte Herzog Christian Ludwig seinen Wohnsitz in das ältere Schloß zu Neustadt, und im Juli in das neue, vom Herzog Friedrich Wilhelm erbauete, aber im Innern noch lange nicht vollendete Jagdhaus daselbst, wie sehr auch der regierende Bruder hiegegen, als gegen eine sträfliche Occupation, protestirte. Hier im neuen Schlosse zu Neustadt ward bald nach dem Einzuge, am 6. August 1725, Friedrichs einziger Bruder, der Herzog Ludwig, geboren, am 12. Juni 1730 die zweite Schwester, Louise, und am 3. März 1732 die dritte, Amalie.

Schon zu lange hatte Prinz Friedrich der männlichen Leitung und Unterweisung entbehrt. Jetzt ward ihm ein Informator bestellt in der Person des schwäbischen Rechtscandidaten Ludwig Jacob Weißensee, der sich als Erzieher der jungen dänischen Grafen von Ahlefeldt schon Erfahrung und den Ruf großer Tüchtigkeit erworben hatte. Wohl fand der Kanzler von Klein, früher Herzog Carl Leopolds, jetzt aber Herzog Ludwigs vornehmster Rathgeber, daß Friedrich schon in "zarter Jugend viele erfreuliche Anzeigungen und Merkmale eines guten Verstandes und flexiblen Gemüthes

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gegeben" habe; aber nach unsern obigen Andeutungen ward dem Informator doch keine leichte Aufgabe gestellt. Er fand bei seiner Ankunft den neuen Zögling an sich sehr liebenswürdig, aber von den "Wartejungfern" verzogen, von mancherlei üblen Manieren, zu viel im Umgange mit dem Schloßgesinde, wohl begabt, aber auch über die Maßen zu Flüchtigkeiten und zur Zerstreutheit geneigt.

Weißensee nahm es nun mit seinem Berufe sehr ernst, fast peinlich gewissenhaft. Er war ein Mann von gutem Verstande, tüchtigem Wissen und von allgemeiner, umfassender Bildung, demüthig gegen Gott und ohne Menschenfurcht, dabei aber leider auch gar empfindlich, unnachgiebig und rechthaberisch, höflich, aber kleinlich, und darum im Umgange nicht eben bequem.

Der Erziehungsplan, welchen er bei dem Antritt seines Amtes dem Herzoge Ludwig vorlegte, war wohl durchdacht, aber auf die sehr zarte körperliche Constitution des Prinzen war darin wenig Rücksicht genommen. Der Informator selbst erklärt seinen Entwurf freilich auch in sofern nicht für maßgebend, als er den Prinzen noch nicht kenne, der Lehrer aber vornehmlich des Schülers Ingenium zu berücksichtigen habe. Im Allgemeinen verlangt er, daß Eltern und Informator Hand in Hand gehen müssen, und daß solches seinem Zögling nicht verborgen bleiben dürfe. Er verlangt völlige Gewalt über den Prinzen, damit dieser nicht in unpassende Gesellschaft gerathe, Schonung desselben von Seiten des Lehrers in Bezug auf das Maß der Strafen und Schonung des Ehrgefühls Dritten gegenüber. Der Unterricht soll vornehmlich auf Religionsunterricht gegründet sein, der übrigens bald hernach Loccenius, und später einem andern jungen Geistlichen übertragen ward. Daneben will Weißensee das Latein, aber nicht nach einer strenge grammatischen Methode, sondern in leichterer Weise, wie sie der Privatunterricht zuläßt, lehren, ferner Geschichte, Genealogie, Heraldik, Geographie und das Französische. Auf den Unterricht im Deutschen scheint er kein Gewicht gelegt zu haben, wie es damals leider viel zu wenig geschah; daraus erklärt es sich, daß Friedrichs spätere Briefe in der Orthographie, in der Anwendung der Casus und in der Satzlehre mancherlei Fehler zeigen 1 ). Zum Musikunterricht erschien am Mittag ein Lehrer, die Stunde von 4-5 Uhr Nachmittags ward


1) Die orthographischen Fehler haben wir, um die Lecture zu erleichtern, verbessert, die grammatischen unberührt gelassen.
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zum Tanzunterricht bestimmt; die von 6-7 Uhr endlich sollte vornehmlich, um auch die Gegenwart nicht zu verabsäumen, der Zeitungslecture gewidmet sein! Häufige Examina wurden verabredet.

Möchte man bei einzelnen Punkten jetzt an diesem Stundenplan Anstoß nehmen, so war der Herzog Ludwig doch wenigstens einstweilen mit dem Informator sehr zufrieden und erkannte dessen Eifer und Geschicklichkeit sehr an; Prinz Friedrich gewann seinen Lehrer bald aufrichtig lieb und machte unter seiner Leitung sehr zufriedenstellende Fortschritte. Ein Brief von ihm, den er dem Vater 1726 nach Aachen schrieb, zeigt freilich in der Form ohne Zweifel des Lehrers Nachhülfe; aber man erkennt in demselben die, wenn auch noch schülerhaft dem Lehrer nachgebildeten, doch schon durchaus correcten, sauberen und festen Schriftzüge, welche dem Herzog Friedrich eigen blieben. Da sich Weißensee nebenbei dem Herzog Ludwig und dessen Gemahlin auch als Cabinetssecretair nützlich machte, erwarb er sich in solchem Grade das Wohlgefallen seines fürstlichen Herrn, daß dieser ihm im Jahre 1727 den Rathstitel verlieh und ihn an die fürstliche Tafel zog.

Doch gereichte diese Auszeichnung Weißensee und seiner Erziehungsthätigkeit nicht zum Segen. Denn einestheils reizte sie seine Neider auf, namentlich den Kanzler von Klein und dessen Sohn, den damaligen Kammerjunker, und andererseits führte sie einen Conflict herbei. Denn wie sittlich auch der Wandel des Herzogs Ludwig war, nahm Weißensee doch Anstoß an der Unterhaltung über der Tafel und hielt in einem langen, freimüthigen Schreiben seinem fürstlichen Herrn vor, wie er oft selbst Witze mache und Reden führe, die einem jugendlichen Gemüthe ärgerlich seien, und durch sein Beispiel auch andere Tischgäste zu einer Unterhaltung verleite, deren Ohrenzeuge der junge Prinz nicht sein dürfe. Indessen nahm der Herzog dies Schreiben gut auf und rechtfertigte sich mündlich gegen Weißensee, der dann freilich noch eine lange Entgegnungsschrift für nöthig hielt.

Diese kleine Spannung erledigte sich jedoch leicht, da der Herzog, vom Kaiser zum Administrator des Landes (1728) bestellt, meistens von Neustadt entfernt war, und auch seine Gemahlin sich gewöhnlich in Bützow aufhielt, der Informator aber mit dem Prinzen zu Neustadt verblieb. Indessen fand sich bald ein anderer Controverspunkt.

Der Prinz hatte große Neigung zur Jagd. Mit Freuden meldet er 1729 dem Vater, daß er den ersten Hirsch geschossen

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habe; und er bekam nun mitunter die Erlaubniß, ein Schmalthier zu erlegen. Dies ließ Weißensee noch hingehen. Aber es verdroß ihn, da er selbst nicht reiten konnte, daß der Herzog den Befehl gab, den Prinzen wöchentlich zweimal reiten zu lassen, und zwar in Begleitung des Hofintendanten Passow, während Rath Weißensee, wenn er wolle, zu Wagen nachfahren könne. Gewiß war diese Maßregel dem Prinzen, der nur allzuviel im Studirzimmer sitzen mußte, sehr dienlich; allein dem Informator war es unerträglich, daß sein lieber Prinz so lange seiner Aufsicht entzogen ward, und Passows munteres Wesen war seine ganze Antipathie. Bald fand Weißensee denn auch Grund zu schweren Klagen: Passow sollte dem Prinzen gesagt haben, dieser gönne ihm nur kein Vergnügen; und darin sah der Rath eine sträfliche Aufwiegelung. Der Herzog Ludwig aber blieb bei seinem Vorhaben, der Informator ward nur verstimmter und häufte Klagen auf Klagen; indessen ließ man ihn, da der Prinz immer noch gute Fortschritte machte, gewähren. Aber im Laufe des Jahres 1729 richtete Prinz Friedrich einmal an seinen Vater ein kühles Dankschreiben für Geschenke, und als derselbe ihn auf diesen unpassenden Ton aufmerksam machte, ein Entschuldigungsschreiben, welches dem Vater zu wenig ehrerbietig erschien. Da kam es zum Bruch. Weißensee konnte sich damit entschuldigen, daß vom Herzog ausdrücklich befohlen war, der Prinz solle seine Empfindungen selbständig ausdrücken; aber warum konnte er ihn nicht auf das Unpassende der Ausdrucksweise aufmerksam machen? Denn nun kam Herzog Ludwig auf den Argwohn, der Informator übe auf seinen Sohn einen nachtheiligen Einfluß aus; die von Klein mischten sich auch in die Sache, und da Weißensee gereizte Antworten schrieb, bestärkte er den Herzog so sehr in seiner Ansicht, daß dieser ihn zu Anfang Novembers seines Amtes entsetzte und seine Wohnung im Schlosse sofort mit der eines Beamten vertauschen hieß.

Auf den Prinzen konnte ein solcher Vorgang natürlich keinen guten Eindruck machen, zumal ihm der Zusammenhang desselben nicht verborgen geblieben war. Uebrigens zeugt eine gereimte Gratulation, welche Weißensee dem Prinzen zum Geburtstage auf das Schloß sandte, von großer und herzlicher Vertraulichkeit zwischen Lehrer und Schüler.

Der entlassene Informator begab sich nun nach Hamburg, Leipzig und Frankfurt, um eine neue Wirksamkeit zu suchen, fand aber solche nicht sogleich. Am meklenburgischen Hofe traf man jedoch auch nicht sofort einen Lehrer an, der

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Weißensee ersetzt hätte. An Fürsprechern fehlte es ihm bei Hofe auch nicht; und Herzog Ludwigs Zorn verrauchte, da er sich überzeugte, daß der Informator keinen bösen Willen gehegt habe, sondern seine Pedanterie an allem Mißverständniß schuld sei. Weißensee ward also veranlaßt zurückzukehren, und er blieb fortan in Meklenburg, setzte die Unterweisung Friedrichs fort, ward späterhin vom Herzog Ludwig zu manchem discreten Geschäfte verwandt und endlich 1743 von ihm als Justizrath bei der Schwerinschen Canzlei bestellt.

Uebrigens scheinen die Angelegenheiten des Rathes Weißensee im Jahre 1729 doch die eine Folge gehabt zu haben, daß man sich bei Hofe mit dem Gedanken beschäftigte, ob es nicht angemessen wäre, den Prinzen Friedrich, der nunmehr in seinem 13. Lebensjahre stand, seine Ausbildung im Auslande vollenden zu lassen. Freilich war es unter den damaligen Umständen nicht leicht, die dazu nöthigen Mittel zu beschaffen. Denn zu den hannoverschen und braunschweigischen Truppen, welche als kaiserliche Executionstruppen im Lande standen, hatten sich zu Meklenburgs schwerer Bedrückung und gegen das Landesinteresse auch noch preußische gesellt; dem Herzog Ludwig waren bei seiner Bestellung zum kaiserlichen Administrator außer Naturalien von den Aemtern nur 25000 Rthlr. jährlichen Einkommens zugewiesen, und des Kaisers Verfahren schien nicht nur dem Herzoge Carl Leopold ungesetzlich, sondern auch vielen andern Reichsfürsten. Die meklenburgischen Stände, denen die Commission viel besser gefallen hatte, sahen sich in die unbequeme Lage, vielleicht ihren bisherigen Wohlthätern entgegentreten zu müssen, versetzt, und zumal die Landstädte zeigten sich bei ihrer Anhänglichkeit an Carl Leopold schwierig, auf die neue Ordnung der Dinge einzugehen. Dazu kam endlich, daß der Herzog Carl Leopold nach seinem vieljährigen Aufenthalte zu Danzig im Juni 1730 plötzlich wieder in Meklenburg erschien und bald Feindseligkeiten mit den Commissionstruppen begann. - Ohne einen Zuschuß von Seiten der Stände war aber nicht daran zu denken, daß zu einem längeren Aufenthalte des Prinzen im Auslande die nöthigen Mittel beschafft würden.

Allein es fand sich eine Mittelsperson, welche einerseits bei der Ritterschaft in großem Ansehen stand und andererseits nicht nur am Hofe Herzog Ludwigs überhaupt für eine gewichtige Auctorität galt, sondern für den jungen Prinzen auch eine große persönliche Zuneigung hegte. Das war die

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Prinzessin Augusta, die jüngste (1674 geborne) Tochter des Herzogs Gustav Adolf von Güstrow und Mutterschwester der Herzogin Gustave Caroline; nach ihrem Apanagialamte Dargun, wo sie unvermählt ihre Tage beschloß, wurde sie schlechtweg "die Herzogin zu Dargun" genannt.

Diese Großtante hat auf den Herzog Friedrich im Laufe der Jahre einen so großen Einfluß ausgeübt, daß wir ihrer auf den nachfolgenden Blättern noch öfter gedenken müssen. Sie liebte den Prinzen von jeher aufrichtig; in ihren Briefen an ihre Nichte Gustave Caroline aus den früheren Jahren kommt sie oft auf den "charmanten" Friedrich zu sprechen; und seitdem er im Frühling 1730 ihr einen längeren Besuch machte, hatte er dauernd einen Platz in ihrem Herzen gewonnen. In einem Briefe an den Herzog Christian Ludwig vom 6. Mai empfiehlt sie sich "insonderheit Prinz Friedrich" und fügt hinzu: "Ich hoffe mit göttlicher Hülfe bald was "Gutes vor demselben zu melden, wobei ich ihm die Erlaubniß ausbitten werde, auf einige Zeit wieder herzukommen."

Die Worte: "was Gutes" beziehen sich ohne Zweifel auf ihre Bemühungen, Geld zu einem Aufenthalte des Prinzen außerhalb Landes bei einflußreichen ständischen Herren flüssig zu machen. Ihr Briefwechsel mit dem Herzog Ludwig aus der nächsten Zeit beschäftigt sich vornehmlich mit der Wahl eines passenden Ortes und den sonstigen Modalitäten.

Der Ort, welcher zunächst in Erwägung gezogen ward, war Wolfenbüttel; aber die Vorschläge des Herzogs von Braunschweig=Bevern machten die Sache schwierig, umständlich und kostbar. Die Herzogin Augusta, welche nicht mehr als 4000 Rthlr. Educationsgelder in Aussicht stellen konnte, war der Meinung, daß der Prinz keinen Informator, sondern bloß den Hofmeister von Nitzschwitz und die nothwendigste Bedienung, jedoch kein Küchenpersonal u. s. w. mitnehmen dürfe, da er ja nicht zum Prunken, sondern zu seiner Erziehung ins Ausland gehe, daß er an der herzoglichen Tafel speisen könne u. s. w.; der Herzog von Bevern scheint anderer Meinung gewesen zu sein. Dann kam die Rede auf Straßburg. Augusta schlug auch Leyden vor, wo ihr Vater einst mit großem Erfolge studirt hatte; aber der Herzog Ludwig fand es hier zu stille, und in Straßburg den Ton nicht sonderlich. Er schlug vielmehr Genf oder Luneville vor; und auch die Herzogin Augusta hielt Genf für das erste Jahr darum für den zweckmäßigsten Ort, weil er einen ruhigeren und billigeren Aufenthalt gewähre als die sehr

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lebhafte Stadt in Lothringen. Später kam man noch einmal auf das Wolfenbüttelsche Project zurück.

Aber alle diese Pläne blieben eben Entwürfe, sie wurden nicht ausgeführt. Der Herzog Ludwig verfehlte nicht, mit dem engeren Ausschusse wegen seiner Absicht, den Prinzen Friedrich ins Ausland gehen zu lassen, und wegen der dazu nöthigen Gelder einen Briefwechsel zu eröffnen; und auf einem Convocationstage zu Wismar im August 1732 ward dann auch beschlossen, jeder Deputirte solle diese Frage zur Beschlußnahme auf dem nächsten Amtsconvent vorbereiten; auch erging an den Herzog Christian Ludwig ein Schreiben, daß Einige von der Ritterschaft aus freiem Antriebe die Reife des Prinzen Friedrich mit einer namhaften Summe Geldes befördern wollten; es habe bisher nur an der erforderlichen Beistimmung der gesammten Ritterschaft und der Ausfindigmachung des Fonds gelegen; jetzt aber werde man nach bestem Vermögen die Hindernisse gern heben.

Aber noch blieb es bei den Worten. Diese Angelegenheit ward durch weit dringendere wieder in den Hintergrund gedrängt. Der Kaiser hob die bisherige, vielfach anstößige "Administration" des Landes auf, ernannte am 30. October 1732 Christian Ludwig zum beständigen kaiserlichen Commissarius und verfügte die Abfindung der früheren Commissarien. Dadurch ward der Herzog Carl Leopold nur noch mehr erbittert; er beschloß nun mit Waffengewalt gegen seinen Bruder und die noch im Lande stehenden hannoverschen und braunschweigischen Truppen vorzugehen, und erließ an Bürger und Bauern ein allgemeines Aufgebot. Am Morgen des 17. Septembers rückten von zwei Seiten her gegen Neustadt angeblich 100 Mann von Carl Leopolds regulairem Militair aus Dömitz und mehr als 1000 Mann von seinem Aufgebot an, um Herzog Christian Ludwigs Gemahlin und Kinder aufzuheben und nach Schwerin abzuführen. Aber man war nicht unvorbereitet. Das Schloß war in aller Eile durch Pallisaden und spanische Reiter gesperrt, im Innern zur Vertheidigung hergerichtet; der hannoversche Oberstlieutenant von Sommerlat, der am Tage vorher mit 100 Mann eingerückt war und die 70 Mann starke Besatzung des Schlosses mit unter seinen Befehl nahm, wies durch einen scharfen Kampf, der wohl eine Stunde währte und wobei zahlreiche Kugeln in das Schloß flogen, den Angriff siegreich ab; von Carl Lepolds Mannschaft fielen wohl 100, manche Bauern ertranken auf der Flucht. Die Herzogin Gustave Caroline hatte nicht einen Augenblick den Muth verloren; da aber

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in der Lewitz sich unübersehbare Haufen vom Aufgebot sammelten, so ließ sie sich bereden, mit ihren Kindern am 23. Neustadt zu verlassen. Unter dem Schutze der hannoverschen Truppen erreichte sie am nächsten Tage Neuhaus und begab sich am 25. nach Ratzeburg, wo sie in dem fürstlichen Hause ihres Bruders, des Herzogs Adolf Friedrich (III.), auf dem Domhofe einen sichern Zufluchtsort fand. Ihr Gemahl zog sich nach Pommern zurück; wahrscheinlich nahm er seinen ältesten Sohn dorthin mit sich.

Der Landsturm ward von den eiligst verstärkten hannoverschen Truppen in etwa drei Wochen völlig besiegt und zersprengt; schon am 26. September 1733 konnte der Herzog Christian Ludwig einen General=Pardon erlassen; und am 3. November eröffnete er den Landtag zu Rostock. Dahin begleitete ihn Friedrich; wahrscheinlich darum, weil hier wieder seine Reisegelder berathen werden sollten. Und wirklich erschien bei dem Prinzen eine ständische Deputation mit der Anzeige, daß die Stände ihm zu seinen Reisen ein don gratuit von vierteljährlich 1500 Rthlrn. auf 3 Jahre, von Trinitatis 1734 an zu erheben, anboten; sie hofften, Se. Durchlaucht würden ihrer auf der Reise in Gnaden gedenken. Friedrich bedankte sich mit der Versicherung, alle Gelegenheit wahrzunehmen, um den Landständen seine Achtung zu bezeugen. Auch der Herzog Ludwig äußerte sich gegen die Deputation sehr befriedigt, daß man sich jetzt erst recht kennen gelernt habe.

Aber freilich sollten diese Mittel erst durch eine Anleihe beschafft werden, und für andere öffentliche Zwecke war schon eine Anleihe von 200,000 Rthlrn. in Aussicht genommen. Dazu kam, daß die meklenburgischen Verhältnisse durch das Einrücken preußischer Truppen sich nur noch verschlimmerten, daß die Landeseinnahmen sich seit 1734 durch die Verpfändung der westlichen Aemter des Landes an Hannover und der südöstlichen an Preußen für die Executionskosten merklich minderten, daß der Herzog=Commissarius ein holsteinisches und ein schwarzburgisches Regiment in Sold nahm, und endlich erst dadurch Ruhe hergestellt ward, daß diese Truppen im Februar 1735 Schwerin eroberten und den Herzog Carl Leopold nach Wismar zu entfliehen nöthigten.

Unter diesen drückenden Verhältnissen ward des Prinzen Reise, wenn nicht vergessen, so doch aufgeschoben; und wenn es nach dem Willen der Herzogin Augusta gegangen wäre, so hätte er seine Studien wohl gar in Dargun be=

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schlossen. Der Prinz war ihr nämlich während eines längeren Besuches zu Dargun noch viel lieber geworden, und sie gab ihren Empfindungen und Absichten Ausdruck in einem Briefe an den Vater vom 1. October 1734. "Ew. Liebden", schreibt sie, "machen mir so viele douceurs en regard Dero Herrn Sohnes, welche jedoch umb Ihnen beyderseits nicht verdiene. Indessen aber erfreut es mir gar sehr, daß der angenehme Prinz hier zufrieden ist, und Ew. Liebden mir die Satisfaction gönnen, denselben noch zu behalten. Wobei Ew. Liebden mir erlauben müssen, Ihnen recht cordat hierüber meine Meinung zu entdecken, daß, wenn es etwa Ew. Liebden genehm wäre, wünschte wol, den Prinzen eine Zeitlang hier zu haben, zumal Sie dorten allerseits enge logiret sind, dadurch auch der Prinz in seiner Ctude vielmal distrahiret sein muß, hieselbst aber mehr Muße und Ruhe dazu haben und durch Promenaden dennoch sich einige Motion und Plaisir machen kann. Ich versichere, daß er sich beides, [sowohl] in der Etude, als auch in der Musik, fleißig applicirt, in welcher letztern er sehr artig avanciret. Werde also auf keinerlei Weise von demselben beschwert, indem er sich über alledem so wohl aufführet, daß nicht mal weiß, daß er bei mir im Hause ist. Ew. Liebden müssen sich vorstellen, daß Sie den Prinzen in ein Kloster oder abgelegenes Gymnasium geschickt haben, umb von aller Distraction eine Zeit lang entfernt zu sein, um seine Etudes desto besser excoliren zu können. Wie ich dann hoffe, daß derselbe in keinem Stücke darunter Schaden nehmen soll."

Aber der Herzog Christian Ludwig war nach seiner ganzen Geistesrichtung, bei aller sonstigen Verehrung für seine Tante, sicherlich nicht gewillt, dem präsumtiven Thronerben eine klösterliche Erziehung zu geben; und wie ein Brief des Herzogs Friedrich selbst vom 10. October beweist, ward sein wißbegieriger Sinn in Dargun nicht befriedigt, er sehnte sich vielmehr nach Bützow, wo er nun vielfach in des Vaters Umgebung lebte, zurück, um des Umganges mit tüchtigen Männern zu pflegen.

Wieder brachte Herzog Ludwig im Jahre 1735 bei den Ständen die Reisegelder des Herzogs Friedrich in Erinnerung. Sie zeigten sich Anfangs jedoch noch einmal schwierig, bis endlich v. Vieregge, um allem Zögern ein Ende zu machen, sich erbot, nöthigenfalls selbst die 18000 Rthlr. (6000 jährlich) vorzuschießen, und damit allen Widerstand beseitigte. Dem

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Hofmeister von Nitzschwitz schien nun freilich auch diese Summe zu geringe, er hielt 8000 Rthlr. jährlich für durchaus erforderlich. Aber glücklicher Weise hielt die Geldfrage nun das Reiseproject nicht länger auf.

Ueber das Ziel der Reise kann man, wenn man der Erwägung Raum giebt, welches Land damals allgemein für den Ton der höheren Gesellschaft maßgebend war, kaum in Zweifel sein. Der Herzog Ludwig hatte allerdings auf seinen weiten Reisen vornehmlich in Italien seinen Kunstsinn ausgebildet, und wie er mit dem nun zum Jüngling herangereiften Sohne im herzlichsten Vertrauen stand und mit ihm Staatsangelegenheiten und Privatsachen besprach, so bildete er auch dessen Kunstsinn aus; wir ersehen aus einem Briefe des jungen Prinzen über ein Gemälde von Oudry, daß er unbefangen sein Lob über die Naturwahrheit des Ganzen und seinen Tadel über Einzelheiten gegen den Vater aussprechen durfte. Daß auch Friedrich gern Italien besucht hätte, hat er später offen dem Vater geschrieben. Allein er war gewohnt, als gehorsamer Sohn sich gern der Eltern Wünschen und besserer Einsicht zu fügen; und die Reise nach Frankreich durch die Niederlande vergönnte ihm ja auch seinen Kunstgeschmack zu üben und zu befriedigen. Die niederländische Malerschule war in Herzog Ludwigs Sammlung vorzugsweise vertreten, mit niederländischen Künstlern hatte er selbst mancherlei Verbindungen unterhalten. Früher hatte freilich nicht allein Peter der Große, sondern auch gar viele andere Fürsten und Herren auf ihrer "Peregrination" länger in den Niederlanden zu dem Zwecke verweilt, die dortigen Staatseinrichtungen, welche im Zeitalter der Mercantil=Politik für die vorzüglichsten galten, zu studiren; und auch jetzt, wiewohl Holland seinen Höhepunct überschritten hatte, vermochten sie sicher einem jungen Prinzen, der bei dem Antritt seiner Reise im 20. Jahre stand, noch manche Anregung zu geben; allein darauf scheint man das Augenmerk weniger gerichtet zu haben.

Wohl möchte es hier angemessen erscheinen, mit kurzen Worten der geistigen und geistlichen Entwickelung, welche der Prinz vor diesem Lebensabschnitte erreicht hatte, zu gedenken; doch versparen wir uns diese Betrachtung auf einen späteren Moment. Erwähnt sei nur noch, daß Friedrich sich im Jahre 1732 seinem Oheim Carl Leopold brieflich zu nähern versucht hatte, und daß er auch 1737, anscheinend durchaus ohne Vorwissen seines Vaters, vor seiner Reise demselben Oheim

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in einem sehr fein gehaltenen Briefe den Wunsch einer persönlichen Begegnung und Unterredung nahe legte. Er scheint aber beide Male ohne Antwort geblieben zu sein.


Zweites Kapitel.

Die Reise nach Frankreich und England.

Gegen Ende Juli 1737, nach siebenjährigen Vorbereitungen und Verhandlungen, konnte endlich der Prinz Friedrich mit seinem schon alternden, Anstrengungen eben nicht mehr aufsuchenden, aber in allen Geschäften gewissenhaften und zuverlässigen Hofmeister v. Nitzschwitz, mit einem Kammerdiener Bichellieu, der wohl des Französischen mächtig war, und einem oder zwei Lakaien seine Reise ins Ausland antreten. Das nächste Ziel war Holland, das fernere: Frankreich. Am 29. Juli schrieb Friedrich seinen ersten Reisebrief von Hamburg aus; dann eilte er ohne Aufenthalt weiter, erreichte am 10. August Deventer und traf am 13. in Amsterdam ein.

Hier ward eine Woche verweilt; der Prinz war unermüdlich, um alle Merkwürdigkeiten der reichen Handelsstadt kennen zu lernen. Der Banquier, an welchen er dort gewiesen ist, nimmt sich eifrigst der Wißbegier seines hohen Gastes an; aber wenn Friedrich, von diesem und dessen Freunden geführt, auch die Admiralität wiederholt besucht, ferner das Spinn= und Werkhaus und andere Einrichtungen in Augenschein nimmt, widmet er doch bei weitem den größten Theil der Zeit der Betrachtung der Kunstwerke. Mit Entzücken schreibt er von hier aus dem Vater, daß er schon unterwegs den prächtigen Landsitz zu Loo bewundert habe; besonders die herrlichen Wandmalereien von Glauber, die Hautelis nach Wouwerman haben ihn angezogen, ein Gemälde von Dow charakterisirt er im Einzelnen. Aber wie unendlich viel mehr bot ihm nun Amsterdam! Hier sucht er sofort den durch Blumen= und Fruchtstücke bekannten Maler Huysum auf, um sich nach einer Bestellung seines Vaters umzusehen, und findet in diesem den gefälligsten Führer, der, wie der Prinz schreibt, "alle Tage wohl eine Meile mit mir in der Stadt herumläuft, um mir was Curieuses zu zeigen." Da bleibt keine Privatgemäldesammlung unbesucht; Bilder von Rubens, von van Dyck und ändern Meistern erfreuen den

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Prinzen gar sehr, das größte Erstaunen aber spricht er über das prachtvolle Rathhaus aus, vornehmlich über die Naturwahrheit in den Reliefbildern des Malers de Witte, den er persönlich genauer kennen lernt, und von dessen großem Wandgemälde: "Moses vor den Kindern Israel opfernd" entwirft er schnell für den Vater eine Skizze in Blei, welche eine rasche Auffassungsgabe und Uebung des Kunstsinnes verräth, die über den Standpunct einer gewöhnlichen Betrachtung weit hinausgeht. Er kann auch nicht unterlassen, seinem "Durchlauchtigsten Papa" in aller Bescheidenheit zu melden, daß er von zwei Wouwerman'schen Bildern in dessen Sammlung, deren Echtheit der Sohn dem Vater gegenüber bezweifelt hatte, in Amsterdam nun die Originale gefunden habe. Schließlich hat Huysum, bei dem er "in extragroßen Gnaden steht", ihm noch Originalprenten holländischer Meister geschenkt, von denen er sofort dem Vater allerliebst ausgeführte eigenhändige Federzeichnungen übersendet. -

Eine Treckschuyte bringt die Reisenden am 22. August nach Leyden, wo der Prinz die Anatomie besucht, den botanischen Garten besser findet als den zu Amsterdam, eine Tuchmanufactur besieht, auch die Maler Mieris und Mohr aufsucht, aber doch wenig Ansprechendes antrifft, und dann am 24. weiter nach dem Haag, "dem allerschönsten Dorf von der Welt".

Dort und in der Umgegend wird ein Aufenthalt von 19 Tagen genommen, de Bosch, Scheveningen, Delfft, Rotterdam werden besucht; alle Gärten mit ihren Muschelgrotten, Korallenstauden, Cascaden und "Springwassern" werden genau in Augenschein genommen; nichts Merkwürdiges wird versäumt. Auch der Hochzeit eines portugiesischen Juden muß Friedrich beiwohnen, eine von Juden aufgeführte spanische Comödie so gut wie die italienische Oper und die französische Bühne besuchen. Der schwedische Gesandte Preuß, ein Bekannter des Hofmeisters v. Nitzschwitz, führt den Prinzen bei dem diplomatischen Corps ein, und die Gesandten von Frankreich, England, Spanien u. s. w. rauben ihm durch ihre Einladungen und Diners viel Zeit; aber dennoch behält er Muße genug, um alle Gemäldesammlungen zu studiren und bei den Händlern Einiges zu kaufen. Freilich läßt seine Casse nur geringe Einkäufe zu. "Hier ist" - so schreibt er dem Vater - "Vieles vor wohlfeilen Preis, und zwar was Schönes, zu bekommen; aber das Geld reicht nicht zu. Deswegen werde meine Seele in Geduld einfassen lassen. Mit Freuden gehe allemal

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hin, um Stücken zu besehen; aber je besser sie sind, je trauriger komme wieder zurück; und wann Einer wissen will, ob die Stücken gut gewesen, darf er nur mein Gesicht betrachten. Ich muß die meiste Zeit mit dem Ovidio sagen: Ihr lieben Gemälde, este salutati tempus in omne mihi!" Vornehmlich ein Gemälde von van der Velde (eine Kuh im Kahn, die trinkt 1 ) kann er dem Vater nicht genug anpreisen; er fügt sofort eine eigenhändige Skizze in Blei hinzu.

Am 13. September machte der Prinz die Rückreise nach Amsterdam, um hier noch eine Woche zu verweilen. In ähnlicher Weise wie früher suchte er hier Kunstwerke auf, begnügte sich nicht die holländische Comödie zu sehen, sondern betrachtete nach der Vorstellung, indem er die Bühne betrat, die Coulissenmalerei genauer, und ließ sich auch die Maschinerie erklären. Der Pinto'sche Garten (eine Stunde von Amsterdam) und die Gärten auf dem Wege nach Utrecht, namentlich der zu Maarsen, erschienen ihm als die schönsten in Holland, und er studirte sie mit einer Aufmerksamkeit, als hätte er schon damals die Absicht gehabt, Vorstudien zur Anlage des Gartens zu "Kleinow" (Ludwigslust) zu machen. Einen "Ausbund von artigem mittelmäßigen Garten" skizzirt er sofort, um die Zeichnung nach Hause zu schicken.

In Antwerpen genügte ein Aufenthalt von einigen Tagen, um die herrlichen Kirchen mit den marmornen Altären und den Altarbildern von Rubens und andern berühmten Meistern sowie die Académie des peintres und andere Sammlungen zu durchwandern. In Brüssel zog neben den dortigen Sehenswürdigkeiten auch die Erzherzogin=Statthalterin seine Aufmerksamkeit auf sich. Doch stellte er sich ihr nicht vor, begnügte sich, aus der Ferne Augenzeuge ihres "Hirschenschießens" zu sein, sah sie an des Kaisers Geburtstag speisen und fuhr Abends Corso, wobei sie auch erschien.

Am 5. October ward zu Peronne unter einigen Mißhelligkeiten mit der Douane die Grenze von Frankreich überschritten, am 8. Paris erreicht. Indessen war die Hauptstadt jetzt noch nicht das Reiseziel; vielmehr ward zur Vorbereitung auf einen längeren Aufenthalt in derselben ein Vorstudium in einer Provincialstadt für nothwendig erachtet. Doch benutzte Friedrich die für Paris so kurze Zeit von 11 Tagen, wie man es von seiner Wißbegier erwarten konnte, aufs Beste; er besuchte in aller Eile das Invaliden=


1) Das Original ist in der Großherzoglichen Galerie.
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haus, dessen Kirche ihm "als das Allerschönste, was man sehen kann", erschien, und die verschiedenen Schlösser, bewunderte die Gemälde=Galerien und sah im Palais Polignac "schöne antique Statuen, so schön, wie man sich was einbilden kann". Auch die Gobelinfabrik, das Observatorium und die Oper wurden nicht vergessen. Der Maler Oudry erwies sich schon jetzt als der dienstfertigste Führer. Aber das Meiste ward bis zur Rückkehr aufgeschoben.

Am 19. October (1737) reiste die kleine meklenburgische Gesellschaft von der Hauptstadt ab, erreichte am 20. Orleans, bestieg hier ein Schiff und ließ sich die Loire hinuntertreiben. Friedrich "kann nicht beschreiben, was es vor angenehme Gegenden daselbst giebet, unter andern zu Samure, welches ein Kloster ist und an einem Felsen lieget. Einer von den Geistlichen zeigte uns die Kirche, Bibliothek und die schöne vue oben auf dem Felsen, welche unvergleichlich ist". Die Fahrt war aber freilich auch nicht ganz ohne Gefahr, Stürme zwangen mehrmals, sie zu unterbrechen; endlich verließ man zu Dagiers nach 7tägiger Schifffahrt den Strom und erreichte zu Wagen, an demselbigen Tage (27. Oct.), Angers.

Dies war der erste Ort, wo der Prinz anhaltende Studien, auf der "Academie" des Mr. Pignerole, eines ehemaligen herzoglich Lothringischen Stallmeisters und Gutsbesitzers, machen und sich daneben in der französischen Sprache, im Tanzen und in französischen Umgangsformen ausbilden sollte.

Auf die Poesie der Reise folgte nun die nüchternste Prosa; des Prinzen Briefe aus dieser Provincialstadt geben, wie sehr er sein Unbehagen auch dem Vater zu verbergen sucht, Zeugnisse genug davon, wie wenig er sich befriedigt fühlte. So schreibt er gleich im November: "Auch habe ich meine Exercitia schon angefangen, absonderlich die Manège, als welche hier unvergleichlich gut ist. Sonsten ist es hier beständig schlechtes Wetter und kalt, so daß ich zwischen hier und Meklenburg keinen großen Unterschied merke. Wann es daselbst auch solch ein Wetter, so bedaure die Schweinsjagd, an welcher oft gedenke und mich auf einige Zeit Flügel zu haben wünsche". So entzückt er sonst von der Schönheit der Natur in Frankreich war, der Aufenthalt zu Angers bot ihm gar wenig Anziehendes. Anderer Fremden, die auch die Reitakademie besuchten, waren dort nicht viele, ein paar Engländer und wenig Deutsche; und die Franzosen kamen dem deutschen Prinzen sehr windig und oberflächlich ("sehr hebelhaftig", schreibt er) vor. Nur das Reiten und

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der Sprachunterricht, so wie in freien Stunden das Clavierspiel, machten ihm Freude. Die Gesellschaften, in welche ihn Pignerole führte, behagten ihm nicht eben sehr und waren ganz unbedeutend; hie und da ward gesungen, sonst getanzt oder gespielt. "Es ist hier", schreibt Friedrich am Ende des Jahres, "so still, meist wie in Schwerin, und alles Entretien ist: Monsieur, je suis votre très humble serviteur; Spadille, Manille, Basta, Ponto. Monsieur a perdu? Vous avez gagné? Und außer dem Spiel ist hier nichts zu thun. Deswegen wäre es besser, wenn Ew. Gnaden" (der Vater) "die Gnade hätten und ließen mich bald wieder nach Paris reisen, allwo man die Exercitien auch gut haben kann. Nisvitz ist auch von meiner Meinung". Die Sehnsucht nach Paris theilte der Hofmeister nun freilich; aber mit den Fortschritten des Prinzen war er Anfangs doch nicht so ganz zufrieden, er fand vielmehr bei einer Damengesellschaft in Pigneroles Hause, daß die Quadrille und das Französische noch nicht gut gingen. So leicht gab auch der Herzog Christian Ludwig seine Disposition noch nicht auf, schickte aber den Pagen v. Both, der ein behaglicher Gesellschafter gewesen zu sein scheint, nach Angers, so daß dadurch das Haus des Prinzen doch ein wenig belebter ward. Das war auch um so wünschenswerther, da von Nitzschwitz zu kränkeln anfing. Gegen Ende Januars 1738 meldet Friedrich seinem Vater: "Neues ist hier nicht viel fürgefallen. Die meisten Engländer reisen jetzo nach Italien; und wenn die Metamorphose noch gülte, würde mich auf die Zeit in einen von ihnen verwandeln. Indessen geht es mich mit ihnen wie den kleinen Kindern, wenn sie andere ausgehen sehen und zu Hause bleiben müssen".

Doch vorläufig mußte Friedrich die Carnevalszeit noch in Angers vertanzen. Die italienische Reise ward in Schwerin und in Angers vielfach erwogen; aber der Hofmeister, dessen Kränklichkeit auch eine so weite Reise damals kaum zulässig erscheinen ließ, siegte mit seinem Vorschlage, daß der Prinz die bevorstehenden beiden Jahre ganz auf Frankreich und England verwenden und späterhin von der Heimath aus Italien mit mehr Muße besuchen möchte. Damit erklärte sich Friedrich einverstanden.

Allmählich kam dann auch der Mai des Jahres 1738 heran. Am 2. reiste Friedrich sehr froh von Angers ab und erreichte über Tours und Orleans am 10. das lang und heiß ersehnte Paris, das er wiederholt als den angenehmsten Aufenthaltsort auf der Welt preist.

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Das Jahr welches der Prinz nun in der französischen Hauptstadt zu verleben begann, ist offenbar der wichtigste Abschnitt in seiner Reisezeit; doch ist es nicht ganz leicht, seinen dortigen Aufenthalt und seine Thätigkeit während desselben mit kurzen Worten zu schildern. Er hat ein Tagebuch geführt; aber dieses ist sehr kurz gehalten, und wenn sich auch sein Thun und Treiben darin von Tag zu Tag verfolgen läßt, so geben doch die Briefe an seinen Vater über seinen Antheil an Allem, was ihm begegnete, immer noch mehr Aufschlüsse. Zahlreich sind diese freilich nicht, und aus der vorliegenden Correspondenz des Hofmeisters mit dem Herzog Christian Ludwig gewinnen sie keine namhaften Ergänzungen, da diese den Prinzen wenig berührt, sich vielmehr auf mancherlei Mode= und Luxusgegenstände bezieht, die Herr v. Nitzschwitz dort gelegentlich zu besorgen hatte.

Daß Prinz Friedrich während seines Aufenthaltes zu Paris alle Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt selbst und der Umgebungen oft in Augenschein nahm, daß er Tage lang zu Versailles verweilte, daß er auch alle übrigen Schlösser der Umgegend, besonders Marly, oft besuchte, verstand sich von selbst; ebenso natürlich war es, daß er das Pariser Leben in seiner Mannigfaltigkeit betrachtete. Aber er war weit entfernt, sich verbotenen Genüssen hinzugeben; davor bewahrte ihn seine feste sittliche Haltung. Fast allsonntäglich besuchte er den lutherischen Gottesdienst in der dänischen Gesandtschafts=Capelle, und zweimal merkt er in seinem Tagebuche an, daß er communicirt habe. Sein Kunstsinn fand hier volle Befriedigung; Oudry, der ihm große Zuneigung bewies, war sein gefälligster Führer. Die Fülle von plastischen Bildwerken, welche Paris auch damals schon hegte, erregt Friedrichs größte Aufmerksamkeit; aber Malerei und Kupferstecherei fesseln ihn doch bei Weitem mehr. Er läßt sich sogar von einem Kupferstecher in der Bereitung der Kupferplatte unterweisen und radirt in holländischer Manier ein Pferd, welches zu seiner Freude vor den Augen des kunstverständigen Vaters Gnade findet. Unablässig ist er bemüht, seine Sammlung von Kupferstichen zu vervollständigen: "Es ist auch Einer", schreibt er am 9. October, "der die ganze Galerie zu Versailles in Kupfer überaus schöne herausgiebt; da werde (wo es nicht anders sein kann) meiner Börse den Abschied schreiben. Mir wird es eben so gehen, wie die sel. Oberstlieutenantin Meclenbourgen gesagt hat, daß man etzliche Frachtwagens nöthig haben wird". Ein besonderes Vergnügen macht es ihm natürlich auch, wenn er glaubt, die Gemälde=

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galerie des Vaters bereichern zu können; von Oudry's neuen Werken entwirft er für denselben mit seiner Bleifeder Skizzen, und einige von diesen Originalen sind noch jetzt in der Schweriner Galerie zu sehen. Auch ihn selbst muß Oudry malen. Von Matthieu läßt er sich durch die Galerie des Louvre führen.

Neben der Malerei behauptet indessen die Musik fast gleichen Rang. Wie die französische und die italienische Comödie, besucht der Prinz sehr fleißig auch die französische und die italienische Oper, wiewohl er von dem "französischen Gusto" und den "Ha! ha! ha!" der Italienerinnen nicht sehr befriedigt wird. Geistliche Concerte hört er sehr häufig. Er verschafft sich aber auch selbst ein Clavier und vervollkommt sich im Spiel unter der Anleitung eines Capellmeisters. Häufig finden sich Abends bei ihm die beiden jungen Grafen Pachta zum gemeinsamen Musiciren ein, sie bringen auch wohl den damals berühmten Flautisten Nodaut mit, und gelegentlich begleitet Friedrich diesen allein auf dem Clavier. Mit den Pachta's besucht er Mr. Croisac, vornehmlich weil dessen Jungfern so schöne italienische Arien vortragen; und mit diesen jungen Grafen concertirt Friedrich sogar bei der Fürstin von Lichtenstein. - Auch von einem berühmten Organisten empfängt er einen Besuch; doch scheint er sich auf der Orgel nicht selbst versucht zu haben.

Uebrigens würde man sich eine unrichtige Vorstellung von des Prinzen Treiben in Paris machen, wenn man glaubte, er habe sich auf Kunstgenüsse beschränkt. Seine gewissenhafte Benutzung jedes Augenblickes und seine genaue Eintheilung der Zeit ließ ihm noch Muße genug übrig, auch wissenschaftlicher Ausbildung und den Ansprüchen des geselligen Lebens gerecht zu werden. Wie er dem Vater von Angers aus versprochen hatte, trieb er in Paris die edle Reitkunst in der Akademie eines Vandeuil weiter, ließ auch den Sprachmeister fleißig zu sich kommen. Mit den Abbés der königlichen Bibliothek hat er bald Bekanntschaft gemacht, und er wohnt den Versammlungen der Gelehrten in der Bibliothek öfters bei. Eine Vorlesung des Abbé Nollet über Chemie interessirt ihn so sehr, daß er bei demselben Gelehrten Unterricht in dieser damals noch so unvollkommenen Wissenschaft nimmt. Bei den Ingénieurs du Roi verweilt er wiederholt, und gern besieht er Festungsmodelle. Sonst zieht ihn das Kriegswesen freilich wenig an, nur einer Fahnenweihe in der Kirche oder Revuen in Versailles wohnt er bei, und Letzteren mit großer Aufmerksamkeit - und auf

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einem königlichen Rosse. Denn zufällig lernt er den Director der königl. Gestüte Lavallette kennen, der für ihn Zuneigung hegt, weil er noch den Herzog Christian Louis gekannt hat; und dessen Sohn stellt Friedrich ein Pferd zur Verfügung.

Der Prinz hielt sich sonst von französischen Bekanntschaften geflissentlich fern; dagegen fand er anderweitig einen zahlreichen Umgang. Den dänischen Gesandten General von der Schulenburg (nebst seinen Attachés) lernte er bald kennen, da er dessen Capelle oft zu besuchen gedachte. Von Deutschen müssen wir in erster Linie den Fürsten Lichtenstein nennen; doch kommen wir auf ihn hernach zu sprechen. Die Grafen Pachta haben wir als musikalische Freunde schon erwähnt; Besuche eines Grafen von Hohenlohe findet man öfters in Friedrichs Tagebuch angemerkt; Graf Hatzfeld begegnet uns gleichfalls mehrfach, gelegentlich auch ein Prinz v. Nassau, die Barone Dalberg, Riedesel, Putlitz u. a. Häufig nennt der Prinz auch einen Grafen Jürgen, ohne ihn näher zu bezeichnen; am vertrautesten aber verkehrte er im Jahre 1739 mit dem Herzoge Ferdinand von Braunschweig=Bevern, der später preußischer Feldmarschall ward, damals aber, 18jährig, auch aus der Langenweile von Angers sich zu den Zerstreuungen der Hauptstadt flüchtete.

Mit dem Fürsten von Lichtenstein, der bei Friedrichs Ankunft schon in Paris war, aber erst ein wenig später das Amt eines kaiserlich=deutschen Botschafters feierlich antrat, hatte es noch eine besondere Bewandtniß.

Nämlich der Herzog Christian Ludwig correspondirte viel mit seinem Sohne über die meklenburgischen Staatsangelegenheiten und benutzte dessen Aufenthalt in Paris auch zuweilen zu diplomatischen Zwecken. Friedrich stand während seiner Reise auch sonst mit Meklenburg in mannigfachem Briefwechsel; er hat von Angers aus sogar einen Brief nach Wismar, vermuthlich an seinen Oheim Carl Leopold selbst, geschrieben, doch anscheinend ganz erfolglos. Mit den "Matadoren" der Ritterschaft, mit v. Oertzen, v. Pederstorf, v. Plüskow, wechselte er verbindliche Schreiben, da er sie als seine Wohlthäter betrachtete; hernach fand er freilich, daß diese Aufmerksamkeit seinerseits überflüssig gewesen sei, da sie selbst zu der Reise eigentlich nichts beigesteuert hätten. Was der Herzog Christian Ludwig seinem ältesten Sohn über den Gang der meklenburgischen Landesangelegenheiten meldete, lautete keineswegs angenehm. Denn Herzog Carl Leopold machte damals in Wismar seine Entwürfe zu einem

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Anschlage auf Schwerin, der freilich im Keime erstickt ward; die Kirchenangelegenheiten befanden sich noch in großer Verwirrung; und die Ritterschaft erlangte im October 1738 in Bezug auf das Contributionswesen Beschlüsse des Reichshofrathes, welche nicht nur die Städte sehr benachtheiligten, sondern - da die Ritterschaft dem Herzoge Christian Ludwig die Verpflichtung, Carl Leopolds Schulden aus dem Domanium zu decken, aufbürden wollte - auch das landesherrliche Interesse sehr tief schädigten und eine Verstimmung zwischen der Ritterschaft und dem Herzog=Commissarius herbeiführten. Preußen erklärte sich in Wien zu Gunsten des Herzogs; des Letzteren Gunst in Wien war aber dem Anschein nach damals etwas im Sinken, die der Ritterschaft im Steigen begriffen. Jedenfalls war es Christian Ludwig angenehm, den Fürsten von Lichtenstein, welchen Herr von Nitzschwitz schon früher in Berlin gesprochen hatte, durch diesen und durch den Prinzen selbst von allen Schritten, die er vorhatte, in Kenntniß setzen zu können. Bald nach seiner Ankunft fuhr Prinz Friedrich zu dem Fürsten und suchte mit ihm in Beziehungen zu treten, die sich freilich nicht eben schnell anspannen, dann aber um so inniger wurden.

Aber auch der Herzog Carl Leopold hielt sich einen Agenten zu Paris, Namens Köppen. Dieser suchte Mitte Juli Friedrich auf, wie es scheint, weniger, um seines Herrn Neffen eine schuldige Aufmerksamkeit zu erweisen, als weil er sich in einer verzweifelten Lage befand; und der Prinz nahm ihn sehr freundlich auf, vielleicht doch noch mehr aus Mitleid als aus Politik. Er schreibt am 24. Juli über diesen Besuch an den Vater: "Wegen der gnädigst übersandten" [gegen Herzog Carl Leopold gerichteten] "Schriften danke ganz unterthänigst. Ich habe selbige dem Hofmeister Nitzschwitz gezeiget, welcher dann mit mir einer Meinung war, nämlich daß an selbigen nichts auszusetzen; des Herzogs Carl [Leopold] seine aber ist noch auf dem gewöhnlichen Stil gesetzt, wird aber, wie ich glaube, wohl keine extraordinaire Wirkung haben. Der itzige neue Gesandte des Herzogs, Coeppen, hat bei mir gegessen und Vieles erzählet, unter andern, daß der Herzog ihm befohlen, die Schrift in französisch zu übersetzen und sie dem Cardinal" [Fleury] "zu zeigen und durch selbiger ihm eine gänzliche Idea des meklenburgischen Zustandes zu machen. Er sagte aber, daß die Expressionen, so darinnen befindlich, sich unmöglich auf französisch sagen ließen, und er deshalben sehr embarrassirt seie. Er sagte auch uns, im Vertrauen, daß es wohl gut sein würde,

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wann der Herzog sterben sollte, Achtung auf seine Sachen geben zu lassen--". Am 19. October, nachdem Köppen vom Herzoge Carl Leopold einige unangenehme Verweise, aber keine Gage bekommen und deshalb den Dienst desselben aufgegeben hatte, gab ihm Friedrich einen Brief nach Schwerin mit auf die Reise.

Mit dem Fürsten von Lichtenstein hatte der Prinz Mitte Septembers eine Unterredung über die meklenburgischen Angelegenheiten. "Vor einigen Tagen" - so schreibt er seinem Vater am 21. September - "war zum Prinzen von Lichtenstein gefahren, welchem bei Gelegenheit alleine sagte, daß ich glaubte, er würde vielleicht curieuse sein die Schrift zu lesen, welche Ew. Gnaden in Wien eingegeben, wie auch die, so der Herzog an die Reichsfürsten ergehen lassen. So sagte er: Ei ja! das würde er gerne lesen; worauf es ihm gab. Und da er zuerst die Schrift des Herzogs" [Carl Leopold] "bekam, fing er an zu lachen und sagte, das wäre nichts Neues, ihm wäre sein Stil schon bekannt. Aber, sagte er, ich möchte es nicht übel nehmen, weil es mein Oncle wäre, aber er wäre wirklich nicht recht klug, und das Beste wäre, man setzte in einerwärts hin; das Land wäre so schön, und der (wie er sagte) Narr ruinirte Alles durch seine Caprice. Mich soll nun verlangen, wann ich wieder zu ihm komme, was er mir davon sagen wird".

Allerdings ist Friedrich hernach oft wieder zum Fürsten von Lichtenstein gekommen und hat bei ihm oft gespeist und viele Abende zugebracht, aber zu eingehenden Gesprächen über Meklenburg scheint es doch nicht wieder gekommen zu sein. Die oben erwähnten "Conclusa" des Reichshofraths in Angelegenheiten der Ritterschaft, welche bald nach jener Unterredung herauskamen, verstimmten den Herzog Christian Ludwig merklich gegen Wien; in politischen Angelegenheiten scheint er Lichtenstein nicht weiter berücksichtigt zu haben.

Auch Friedrich ging dieser Vorfall sehr zu Herzen. Er drückt sich darüber in einem Schreiben an den Vater vom 5. Decbr. unzweideutig genug aus. "Ueber das Conclusum", schreibt er, "so wegen der Ritterschaft aufs Neue herausgekommen, habe mich verwundern müssen, weil sonsten sich die meklenburgischen Sachen ganz zu ändern schienen. - Wegen der Reisen, so meinet der Hofmeister, daß (wie es auch wohl ist) die Zeit, um England zu sehen, zu kurz - -. Ich danke auch ganz unterthänigst, daß Dieselben mir bezeugen ein Verlangen zu tragen, daß meine Reise vor dieses Mal abgeleget sein möge. Ich danke Ew. Gnaden auch

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allerunterthänigst und kann in Wahrheit versichern, daß mir gar nichts angenehmer sein wird, als wann wieder die Gnade haben werde, Denenselben meine persönliche allerunterthänigste Aufwartung zu machen".

Wegen des Verdrusses über des Kaisers Parteinahme für die Ritterschaft gab freilich Herzog Christian Ludwig jetzt den Wunsch auf, daß der Prinz auf der Rückkehr aus Frankreich sich zwei Monate in Wien aufhalten möchte; aber er wollte ihm darum doch nicht die Dauer der Reise verkürzen, und in Bezug auf Paris hegte er noch den Wunsch, daß sein Sohn sich durch Lichtenstein bei Hofe vorstellen lassen möchte.

Bisher hatte Friedrich zum französischen Hofe keinerlei Beziehungen gesucht. Er hatte die einzelnen Personen des Hofes gelegentlich spazieren oder speisen sehen, sich aber wohl nicht zu dieser gegen alle auswärtigen Fürsten so überaus hochmüthigen Familie der Bourbons hingezogen gefühlt. Den König Ludwig XV. sah er bald nach seiner Uebersiedelung aus Angers bei der Revue auf dem Schloßplatze zu Versailles, erhielt aber keinen vortheilhaften Eindruck von ihm. "Der "König war unten", schreibt er nach Hause; "er wird von Tag zu Tage magerer und sieht nicht sonderlich aus, und weiß von allem dem Schönen, was er hat, nichts ab".

Ueber die Vorstellung bei Hofe berichtet der Prinz selbst ausführlich am 18. December; und es mag erlaubt sein, den Brief hier wiederzugeben, wenngleich der Absender selbst ihn in einer Nachschrift entschuldigend als "Gallimathia" bezeichnet:

- - "Der Prinz von Lichtenstein bezeiget mir überaus viele Gnade. Den vergangenen Dingstag (16. December) hatte er mich nach Versailles bestellet, um mich dem Könige zu präsentiren, allwo ich ihm in dem Vorzimmer des Mons r . Amelot, welcher Secrétaire d'état pour les affaires étrangères und Garde des sceaux ist, . . . . . Wie er da kam, präsentirte er mich ihme, und selbiger bat mich gleich den Mittag da zu speisen. Hernach gingen wir nach dem Salle des ambassadeurs, allwo der Introducteur des ambassadeurs Mons. Sendot nebst dem Sousintroducteur Tourneille waren, welches beide die artigsten Leute von der Welt sind und welche mir alle ersinnliche Höflichkeit erzeigten. Von dar gingen wir nach dem Cardinal [Fleury], an welchen mich der Prinz präsentirte, sagende: C'est le prince de Meclembourg, fils du duc-adininistrateur! Da sagte der Cardinal: Ah, ah, c'est bien loin, c'est bien

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loin, et c'est un hon pays. Darauf sagte der Prinz, es wäre ein sehr schönes Land. Darnach sagte der Cardinal am Prinzen, er wäre curieuse seine Carossen - bei der bevorstehenden Auffahrt - zu sehen; so sagte er" (Lichtenstein), "ob er zwar nichts mehr als nur deshalben gut Wetter verlangte, so wollte er doch wünschen, daß es nur regnen möchte, damit der Cardinal sich nicht Verkälten möchte um zuzusehen, und darauf machte er die Thür hinter sich zu und blieb allein bei ihm ein Zeit lang. Ich war unterdessen bei die Introducteurs und Mehreren im Vorgemach. Wie der Prinz" (Lichtenstein) "wieder herauskam, gingen wir nach der Antichambre des Königes, welche ganz voll Menschen. Unterwegens kriegte mich der Prinz bei der Hand und sagte mich Alles, was zu observiren sein würde, und sagte, ich sollte nur allezeit der Nächste hinter ihm sein. Da waren noch verschiedene Prinzen, die zugleich präsentiret wurden; er hat mich aber allezeit zuerst präsentiret. In dem Vorsaal mußten wir so lange warten, bis der Prinz" (Lichtenstein), "welcher vorher zum Könige gegangen, wieder heraus kam; welcher uns dann mit sich an die Thüre stellte und uns, wie der König nach der Messe ging, präsentirte, worauf er einen Jeden starr ansahe und weg ging, ohne ein Wort zu sagen.

Von dar gingen wir nach der Galerie, weil der Prinz mit dem Könige in die Messe war. Wie er wiederkam, gingen wir zur Königin, welche noch vor ihre Toilette stunde und sich einige Nadeln am Kleide feststak. Die Prinzessinnen stunden alle um ihr herum. Wie der Prinz mich präsentirte, wandte sie sich gegen mich und frug ganz leise, wie lange ich schon hier gewesen; worauf ich mit einer tiefen Reverence antwortete: es wäre noch nicht gar lange, sonst würde nicht unterlassen haben meine Cour noch eher gemacht zu haben. Da frug sie noch einmal, ob ich noch einige Zeit hier zu bleiben gedächte; worauf antwortete, daß den Winter noch hier passiren würde. Darauf machte sie einen Reverence und ging nach der Capell".

"Von hier gingen wir zum Dauphin, welcher in der Thüre stund, wie wir ihm präsentiret wurden. Hernach folgten wir ihm in sein Zimmer, allwo er mit einem Kleinen (von denen großen Häusern), der mit ihm von einem Alter war, spielete.

Von dar gingen wir zu Mesdames de France, welche ganz still vor uns stunden. Die Hofmeisterin aber, die Duchesse de Tallard, machte viele Entschuldigungen, daß sie

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nicht recht aufgesetzt wäre, wie es sein sollte, indem sie nicht gewußt, daß wir kommen würden.

Von dar gingen wir nach dem Salle des ambassadeurs bis um 2 Uhr, da der Prinz und ich nebst noch Vielen, unter Andern allen Ambassadeurs, bei Mons. Amelot aßen: die Andern aber, so mit mir präsentirt waren, und Nisvitz aßen à la table du roi, welche so ist, wie die, da unsere Cavaliers in Altona an speiseten. Hernach gingen wir in ein anderes Zimmer, da der Caffee gegeben ward; wo mich beim Abschiede die Frau des Amelots bat, wann noch was in Paris bliebe, doch bisweilen hinzukommen. Dieses ist der ganze Verlauf der Sachen".

Es mag vergönnt sein, an diesen Brief noch ein zweites Schreiben des Prinzen Friedrich, vom 29. December 1738, anzufügen, welches den Hergang jenes Festes enthält, auf welches der Cardinal Fleury in dem Gespräche mit Lichtenstein anspielte, zugleich aber auch im Eingange zeigt, mit welcher Sorge der Prinz der Angelegenheiten seines Hauses selbst in der Ferne gedachte.

"Durch diese Zeilen" - schreibt er an seinen Vater - "danke Ew. Gnaden ganz unterthänigst für Dero letzteres gnädigstes Schreiben, aus welchem Dero hohes Wohl mit vielen Freuden ersehen, und wünsche von Herzen zu diesem neuem Jahre, daß selbiges noch in vielen zukünftigen Jahren so fortdauern möge, außer dem bisherigem gehabtem Verdrusse, als welchen in Freude sich zu verkehren wünsche durch verbesserten Zustand des Hauses (wofern selbiges möglich ist) nebst Erfüllung alles dessen, was Dero Herz weiteres begehret.

Ob ich zwar wohl weiß, daß es nicht stili, bei einem Neujahrswunsche etwas Weiteres beizufügen: so habe doch geglaubt, Ew. Gnaden werden (weil Selbige gerne was Neues zu wissen verlangen) nicht ungnädig nehmen, wann unterthänigst berichte, daß der Prinz von Lichtenstein seine Entrée heute vor 8 Tagen in Paris gehalten, und eine der prächtigsten gewesen, so jemals gesehen worden. Er hatte mich erstlich invitiren lassen, auf eine ganz gnädige Art: d'honorer son entrée de ma présence, und gedachte mich mit in des Königes Wagen zu nehmen. Wie ich aber den Abend vorher zu ihm kam, frug er mich, ob ich noch gesonnen wäre bei ihm zu fahren. So sagte ich es würde gänzlich von ihme dependiren. So sagte er, er hätte nachgedacht, und hielte es vor besser, daß es nicht ge=

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schähe; denn der Maréchal de France würde mir den Rang nicht geben können, weil er in officio wäre, und so müßte ich unter ihm sitzen. Deshalben blieb es nach. Denselben Abend aber gab es ein großes Souper, bei welchem ich auch zugegen war.

Wie er nachgehends den Dingstag drauf seine Entrée in Versailles hielte, sagte er mir vorher, daß, so ich wollte, ich mit ihm kommen könnte. Allwo ich ihm mit Mehreren und allen [Am]bassadeurs zu Versailles in dem Salle des [am]bassadeurs erwartete. Nachdem er da angekommen und vorher er nach dem Könige ging, ließ er mich durch den pfälzischen Ministre Grevenbroug (welcher meist alle Tage in des Prinzen Hause, und ich dahero sehr wohl kenne) sagen (weil alle Deutsche, deren an der Zahl mehr wie 40 waren, vorher gingen, alle Zeit 2 und 2), damit es nicht heißen sollte, als wäre ich mit in seiner Suite, müßte ich bei ihm gehen. Weil er aber seinen kleinen Neveu nebst denen kleinen Grafen Harrach gerne dem Könige präsentiren wollte, ließe er fragen, ob ich wohl erlauben wollte, daß mir die[selben] deshalben folgen dürften und die Nächsten bei ihm wären. Und auf diese Art gingen wir zum Könige, Königin, Dauphin und Mesdames de France. Die Rede an dem Könige war auf lateinisch. Der König antwortete auch Etwas, aber so leise, daß man nichts verstehen ,konnte. Sie antworteten alle, aber Keiner hat verstanden, was. Währender Zeit waren die Equipagen auf dem Platze rangiret, welche der Cardinal mit großer Admiration recht genau betrachtete. Den Nachmittag speisten wir alle à la table du roi. Die Liberei der Pagen war rother Sammit mit goldene points d'Espagne auf allen Näthen. - - Daß aus der englischen Reise nichts geworden, selbiges hat verursachet, daß desto länger in Frankreich werde bleiben können, als woselbst nun erstlich durch den Prinzen von Lichtenstein recht bekannt werde." - -

Herzog Christian Ludwig gewährte nun seinem Sohne gern den Wunsch noch länger zu Paris zu verweilen. Aber im Ganzen machte Letzterer von der Erlaubniß bei Hofe erscheinen zu dürfen sparsamen Gebrauch. Doch besuchte er mit dem Fürsten von Lichtenstein am 26. Januar (1739) einen königlichen Ball in Versailles, von dem er sehr befriedigt Morgens um 5 Uhr zurückkehrte. "Der König", so schreibt er dem Vater, "hat zum ersten Mal [während] seiner Regierung den 26. Januar einen Ball gehalten, welcher durch ihm selber in dem Salon d'Hercule eröffnet worden. Das ist

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das Zimmer, so das nächste bei der Capell' ist. Die andern Zimmer waren wechselsweise voller Musikanten eins, das andere voll Refraichissements, bis nach der großen Galerie, welche ganz von Lustres so hell war wie am Tage. Das Schönste war der Salon d'Hercule, in welchem Stellagen waren bis auf die Hälfte der Höhe, welche ganz besetzt waren mit Dames, die prächtig angezogen waren, mit Golde und Edelgestein, welches einen Widerschein von denen vielen Lichtern gab. Hernach bei dem maskirten Balle waren so viele Menschen, in der Galerie und in allen Zimmern, daß es aussahe wie ein Strom, der hin und her ging".

Während der ferneren Carnevalszeit besuchtem Friedrich in Gesellschaft Ferdinands von Braunschweig=Bevern Bälle bei dem Fürsten Lichtenstein, bei dem dänischen Gesandten auch einen Maskenball, wo der König erwartet ward; aber zu Festlichkeiten in Versailles kam der meklenburgische Prinz nicht wieder vor dem Grünen Donnerstag, wo er mit den Grafen Pachta, wie das Tagebuch besagt, "die Ceremonie angesehen, wie der König die 12 Kinder die Füß' küßte, welche vorher von die Bediente gewaschen und vom Dauphin abgedrucknet wurden". Späterhin besuchte Friedrich noch wiederholt Versailles, aber vornehmlich um "die Wasser springen zu sehen", "erlebte dabei einmal die Ceremonie, wie 7 Ritter vom Heiligen=Geist=Orden creirt wurden, war am 26. Mai noch einmal mit dem Fürsten Lichtenstein in Versailles und zum letzten Mal au lever du roi, nahm Abschied von Marly, dem "angenehmsten Ort in ganz Frankreich", sah am 28. Mai noch die große Frohnleichnams=Procession in Paris und reiste andern Tages ab - nach England.

Die Reise nach England war in den Correspondenzen zwischen dem Herzog Christian Ludwig und dem Prinzen Friedrich und seinem Hofmeister vielfach erwogen; endlich war der Beschluß gefaßt, daß sie zwar unternommen, doch möglichst abgekürzt werden sollte. In den Augen des Herzogs war sie zunächst wohl ein Act schuldiger Höflichkeit gegen den König Georg II., der, wie oben erwähnt ist, im westlichen Meklenburg für die Commissionskosten immer noch 8 Aemter in Pfandbesitz hatte, deren Einlösung durch keine Maßregel oder Versäumniß erschwert werden durfte. Eine den Prinzen selbst näher angehende Absicht des Vaters ergiebt sich aus dem Folgenden.

Wie schwer auch Friedrich selbst die Veräußerung der 8 Aemter drückte, wird sich bald hernach zeigen; daß er sonst

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ungern nach England ging, geht aus den Briefen, die er von dort aus schrieb, genugsam hervor. Diese verrathen gar viel weniger Frische und gute Laune als die früheren. In Calais hatten die dortigen Offiziere ihm einen sehr freundlichen Abschied von Frankreich bereitet, und die Ueberfahrt nach Dover war leicht in vier Stunden zurückgelegt. Dann aber folgte eine zweitägige Fahrt bis London auf schlimmen Wegen, in einer niedrigen Kutsche, wo man bei jedem Stoße mit dem Kopfe gegen die Decke fuhr. Erschöpft erreichte der Prinz die Hauptstadt; und diese mißfiel seinem in Paris verwöhnten Geschmack. "Was London anbetrifft", urtheilt er, "so ist Paris weit schöner; und die meisten hiesigen Frauensleute sind recht von Herzen abgeschmackte Gesichter. Die Promenaden sind hier gegen die französischen auch nicht viel zu rechnen, außer eine, welche sie Vauxhalles nennen, und woselbst eine überaus schöne Musik und treffliche Alleen sind, welche des Abends, wann sie illuminiret, einen sehr angenehmen Effect machen".

In den Vauxhalles brachte nun Friedrich auch in der Regel seine Abende zu; die freien Tagesstunden widmete er auch hier den Merkwürdigkeiten. Westminster und die Paulskirche zogen ihn an, er besuchte wiederholt das Invalidenhaus, die Schlösser der Umgegend, die Citadelle, die Stückgießerei; er sah ein Kriegsschiff vom Stapel laufen; und um seiner Vorliebe für mechanische Kunstwerke auch hier zu genügen, betrachtete er wiederholt eine künstliche Uhr.

Die Gesandten kamen ihm hier viel mehr entgegen als in Paris, selbst der genuesische machte ihm einen Besuch. Als der Hauptzweck seiner Reise stellte sich aber der Verkehr mit dem Hofe heraus. Er übergab dem Könige das Empfehlungsschreiben seines Vaters nicht persönlich, sondern durch den Geh. Rath von Steinberg, der es so wünschte, erfuhr aber über diesen Brief nichts weiter. Eingeführt ward er am 11. Juni (eine Woche nach seiner Ankunft) bei dem Könige durch den kaiserlichen Gesandten Wasener; und Friedrich war mit dem ersten Empfange recht zufrieden. "Der König ist überaus gnädig", meldet er dem Vater, "und erkundigte sich auch gleich nach Ew. Gnaden itzigen Demeure".

Drei Tage hernach war er zu Kensington wiederum bei dem Könige, und Wasener stellte ihn nun auch den "drei" Prinzessinnen vor. Die Königin Wilhelmine Caroline [† 1737] hatte ihrem Gemahl, König Georg II., fünf Töchter hinterlassen, deren älteste, Anna, mit dem Prinzen Wilhelm von Oranien vermählt war, während Amalie Sophie

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Eleonore, geb. 1711, Caroline Elisabeth, geb. 1713, Marie, geb. 1723, und Louise, geb. 1724, noch am englischen Hofe lebten.

Ueber den Eindruck, welchen diese Begegnung bei Friedrich zurückließ, giebt ein Brief an seinen Vater vom 16. Juni Aufschluß: "Die Prinzessinnen sind eben nicht die schönsten, doch noch passable. Die jüngste sieht doch noch zum besten aus; die hat mich auch gleich gefragt, ob ich Ew. Gnaden gesund verlassen. Die andern sind auch sehr gracieus. Und wie es scheint, sind alle Leute sehr freundlich gegen mich, auch der König das ander Mal noch mehr wie das erstere; und glaube ich wohl fast, daß es, und vielleicht balde, sich ausweisen könnte wegen einer Mariage. Aber alsdann müßte sich die Börse wohl befinden, welche sich nun aber nicht gar zu sonderlich befindet. Was ich hier wegen der Mariage geschrieben, bitte ganz unterthänigst an niemanden zu sagen, auch an Niswitz nicht mal zu schreiben, daß ich davon geschrieben. Die Ursach kann Ew. Gnaden mündlich besser wie schriftlich fürstellen. Ich glaube aber fast ganz gewiß, daß es wohl vielleicht geschieht. Diesen Donnerstag ist wieder Cour; so werde alsdann vielleicht Mehreres, was wieder fürgefallen, unterthänigst berichten können".

Aber am nächsten Donnerstag war freilich Friedrich wieder bei dem Könige, und Wasener stellte ihn auch dem Prinzen Wilhelm August von Cumberland, dem zweiten Sohn König Georgs II., vor; doch ereignete sich nichts, was der Mittheilung werth gewesen wäre. Dagegen schrieb der Prinz über seine Erlebnisse bei Hofe am Krönungsjahrestage, am 22. Juni, sogar zwei Briefe an den Vater, den ersten noch am 22., den zweiten am 23. Der erste lautet Ziemlich gedrückt:

,, - - berichte unterthst., daß wir diesen Freitag (26.) von hier zu gehen gedenken, weshalben diesen Donnerstag Abschied nehmen werde. Heute ist hier Galla bei Hofe gewesen. Es waren mehr wie 60 Damen da. Der König frug mich heute, ob ich keine Nachricht von Ew. Gnaden lange gehabt, hat sich aber sonst wegen des Briefes nichts merken lassen. Die Prinzessinnen habe heut noch mal recht betrachtet; und die jüngste ist würklich recht schön, aber klein, und wie gehört, sind die beide jüngste schon versprochen. )


) Damalige Zeitungen enthalten das (ungegründete) Gerücht, daß Amalie die Braut des dänischen Kronprinzen werde oder sei.
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Nun hoffe (mit Gottes Hülf') balde die Gnade wieder haben zu können, Ew. Gnaden mündlich meinen allerunterthänigsten Respect bezeugen zu können". -

Am andern Morgen lief vom Vater ein Brief ein, der des Prinzen Stimmung augenscheinlich recht aufheiterte. Er antwortete sogleich: "Daß Ew. Gnaden ein gnädiges Verlangen bezeugen, mich balde wieder dorten zu sehen, dafür danke ganz unterthänigst, und möchte nur wünschen, Dero hohe Gnade so meritiren zu können, wie wohl gerne wollte. Was dasjenige sein wird, welches Ew. Gnaden mir alsdann zu sagen gnädigst versprechen, selbiges macht mir desto mehrere Begier, um wiederum balde da zu sein. Wegen der beigelegten Schriften danke ganz unterthänigst; und verwundert mich sehr, daß die Landräthe solches gethan. Der Geheime Rath Steinberg hat mich sehr neulich gebeten und gesagt, daß Alles mit dem Hause Hannover nur auf ein gutes Vertrauen beruhte, und man müßte von beiden Seiten ehrlich sein. Worauf bezeugte, nie anders gewußt zu haben, als daß es von Seiten Ew. Gnaden noch allemal geschehen; wann man aber bei Einem ein Vertrauen zu sich erwecken wollte, müßte man Einem alle Gelegenheit benehmen zu glauben, daß man es nicht selber wäre. Welches [er] sehr billigte, aber nur ein gutes Vertrauen zu haben recommendiret. Von dem Briefe aber habe nichts Weiteres erfahren. Die Mariage möchte wohl vielleicht mal möglich sein; und wann es die allerjüngste Princesse Amalia" [sie hieß vielmehr Louise] "sein könnte, das wäre eben nicht schlimm, dann sie gewiß recht gut aussiehet, außer daß sie sehr klein. Die anderen sind mehr häßlich wie schöne; und wo nicht alle 8 Aemter darbet wären, und ich hätte den Willen, so möchte sie nicht haben. Sie sagen aber, als wann die jüngste schon versprochen wäre; ich will es aber nicht eben glauben, dann man es mir nicht vor gewiß gesaget. Ihre Gouvernante, welche auch noch jung, und ein schönes Gesicht auch ist, frug den holländischen Gesandten, welcher dicht bei mir stund, laut, ob das heutige Kleid ihrer Princesse nicht gut kleidete. Nachmals, wie ich Verschiedenes mit ihr gesprochen, da sie zuerst zu sprechen angefangen und sonst noch nie mit mir gesprochen, frug sie mich, ob ich nicht fünde, daß unter denen hiesigen Dames auch hübsche wären, welches gleich, daß ich es sehr fünde, versicherte, wobei sie an zu lächeln fing. Denn sie und ihre Princesse waren würklich die hübschsten; und sie konnte auch wohl merken, daß ich es so verstünde. Sie ist eine recht artige Dame".

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In einer Nachschrift bittet Friedrich den Vater, niemand von dem, was er über die Mariage geschrieben, Etwas mitzutheilen. "Denn es sind nicht alle Leute wie Ew. Gnaden, und es giebt allerlei Auslegungen und nicht gar zu viel ehrliche Leute in der Welt. Weil ich aber in Ew. Gnaden mein einziges Vertrauen setze, so schreibe nicht so, wie an einem Andern wohl schreiben würde".

Man hatte nämlich in Meklenburg schon mit großer Befriedigung in den gedruckten Zeitungen gelesen, wie gut der Prinz von dem Könige von England aufgenommen sei (was aus einem Briefe eines Secretairs an von Nitzschwitz hervorgeht); und es lag wenigstens der Ritterschaft, die sich früher durch ihr Mitglied, den hannoverschen Minister Freiherrn v. Bernstorf († 1726), am englisch=hannoverschen Hofe sehr eingeschmeichelt hatte, nicht fern, die Verbindung des Prinzen mit einer englischen Prinzessin zu wünschen und zu hoffen.

Da aber Friedrich so wenig Neigung zu diesen Prinzessinnen verspürte, lag hierin für ihn eher ein Grund mehr, seinen Aufenthalt in England nicht zu verlängern. Ueberdies war das Verweilen daselbst in jenem Momente wohl nicht eben behaglich für einen Fremden, da England gerade zu einem Kriege mit Spanien rüstete. Dabei bot sich für den meklenburgischen Prinzen aber Gelegenheit, zwei Revuen über Garden und bedeutende Truppenmassen zu sehen und einer feierlichen Schließung des Parlaments beizuwohnen, wo der König die Thronrede sprach, und als derselbe dem Parlament für die dem Prinzen von Cumberland und den Prinzessinnen bewilligten Apanagialgelder dankte, die Prinzessinnen sich beistimmend verneigten.

Uebrigens mußte Friedrich seine Abreise von London doch noch um eine Woche verzögern. "Gestern Abend", schreibt er am 25. Juni, "wie ich nach dem Garten Vauxhalles gegangen, da traf ich den Geh. Rath Steinberg an, welcher an dem Hofmeister gesagt, daß er sich sehr wunderte, daß ich schon die andere Woche wieder weg wollte. Es würde dem Könige sehr unangenehm sein; ich hätte ja mich noch nicht mal bekannt gemacht, und auf eine 8 Tage könnte es ja nicht. Also, denke ich, wird es vielleicht gut sein können, noch eine 8 Tage hier zu bleiben. Sie sind alle sehr höflich und hat mir dieses einige Gedanken verursacht, daß der König vielleicht selbst eine Mariage zu machen meinet".

Zu weiteren Erklärungen kam es indessen nicht. Prinz Friedrich nahm am 2. Juli vom königlichen Hause Abschied,

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ohne daß er Näheres darüber zu schreiben für nöthig hielt. König Georg bezeugte am 7. Juli dem Herzoge Christian Ludwig rücksichtlich des Prinzen, "daß es ihm sehr angenehm gewesen sei, denselben seiner guten Eigenschaften halber mit vieler Approbation allhier zu sehen", aber er knüpfte daran keine weitere Bemerkungen. An demselben Tage verließ Friedrich London, am 9. Juli 1739 England.

Er erreichte am 12. Juli die Festung Lille, an deren regelmäßiger Anlage er sich sehr erfreuete, verweilte vom 14. bis 18. zu Brüssel und eilte dann über Köln, Gießen, Erfurt (wo er die große Glocke nicht versäumte) und Leipzig (das durch schöne Gärten, pallastartige Häuser und Menschengewühl seine Aufmerksamkeit fesselte) nach Dresden, um dort 14 Tage zu verweilen.

Von hier aus schrieb er an den Vater unter dem 31. Juli: Dresden ist "ein herrlicher Ort; und Einer, der wegen Bau, Malerei und Sculpture zu sehen reisen will, braucht nirgends anders dann nur hieher zu kommen. Schönere Statuen habe ich nirgends gefunden, die schönsten antiquen Statuen, die herrlichsten Gemälde, niederländische und italienische, sind in dem Schlosse, in einer noch weit größerer Quantität wie im Palais Royal in Paris, woselbst doch eine ziemliche Anzahl ist: in summa, es ist ein vollkommener Ort darin. - Der König" [Friedrich August II.] ist nicht hier, sondern brauchet das Teplitzer Bad, wird aber wohl balde wiederkommen. Alles, was hier fehlet, ist, daß hier nicht so curieuse Leute wie in Frankreich. Sie sehen hier die herrlichen Sachen meistens an wie die Kuh das neue Thor".

Der Prinz brachte nun auch fast alle seine Zeit in den Kunstsammlungen zu; Bekanntschaften machte er fast gar nicht. Am 11. August verließ er Dresden, am 12. erreichte er - Berlin.

Die Reise nach Wien war, wie bereits erwähnt ist, schon längst aufgegeben. Lichtenstein hatte sie selbst widerrathen, weil die kaiserliche Familie von der Hauptstadt fern war; Herzog Christian Ludwig hatte, wie wir wissen, ganz andere Gründe. Je parteiischer aber der Reichshofrath in den meklenburgischen Angelegenheiten die Ritterschaft begünstigte, welche angeblich gern die ,,Gold= und Silbergasse" ging, desto mehr fühlte sich der Commissarius Hzg. Christian Ludwig natürlich zu Preußen hingezogen, zumal dieses sich

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in Wien offen zu seinen Gunsten ausgesprochen hatte. Dem gemäß empfing der Hofmeister von Nitzschwitz in Berlin Instructionen aus Schwerin, welche des Prinzen Reise nach Berlin in einem ganz andern Lichte erscheinen ließen, als dieser nur ahnen konnte.

Noch bevor Friedrich von Paris nach England gegangen, hatte sein Vater den preußischen (ehemals meklenburgischen) General Kurd Christoph v. Schwerin beauftragt, in Berlin vorläufig zu sondiren, ob der Prinz dort willkommen sein würde; und wie zu erwarten stand, hatte der König Friedrich Wilhelm I. geantwortet: "Ja, er möchte nur kommen, er sollte ihm von Herzen angenehm sein". Schwerin fürchtete nun freilich, daß sich jetzt, nach der Revue, kaum noch eine passende Zeit finden würde, da der König nun viel reise, hielt eigentlich einen directen Besuch des Herzogs Christian Ludwig mit seinem Erbprinzen bei dem Könige für angemessener, rieth aber auf jeden Fall ein recht einfaches Auftreten an, keine große Suite, preußische, nicht kostbare französische Kleider, und Vermeidung aller Façons im Umgange; auch ein Besuch beim Kronprinzen Friedrich zu Rheinsberg würde, wie Schwerin meinte, sehr zweckmäßig sein. Der General konnte dem meklenburgischen Gesandten auch versichern, daß der König sehr geneigt sei, eine beabsichtigte Anleihe zu unterstützen, damit die an Hannover verpfändeten meklenburgischen Aemter dafür wieder eingelöst werden möchten. - Auch der Graf Truchseß war Schwerins Meinung, hielt es jedoch für angemessen, daß der Herzog Christian Ludwig bei seinem vorgeschlagenen Besuche am Berliner Hoflager den König bäte, seinen ältesten Prinzen in preußische Dienste zu ziehen.

Demgemäß beschloß Christian Ludwig, den König, jedoch erst nach dessen bevorstehender Reise nach Preußen, in Berlin mit dem Prinzen aufzusuchen, und instruirte den Hofmeister von Nitzschwitz, den er vornehmlich an den Minister Truchseß wies, dahin, daß Prinz Friedrich sich vorläufig nur bei dem Könige zu insinuiren suchen solle. "Da die Sorgfalt" - so lautet eine geheime Instruction für den Hofmeister - "da die Sorgfalt wegen Meines Sohnes Engagirung in preußischen Krieges=Diensten vornehmlich dahin gehet, daß er hiedurch Gelegenheit bekommen möchte, Sich mit der Königlichen Familie bekannt zu machen, und wann es der Höchste ausersehen, Sich mit selbiger näher zu alliiren, indessen aber in Absicht des englischen Hofes eine gleiche und noch mehrere Avantage erhalten werden könnte: so wird

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von der dorten gehabten Reception, der dazu vorhandenen Hoffnung diese aufgegebene Commission hauptsächlich dependiren, und sehe Ich in diesem Fall lieber, daß von dem Engagement in des Königes Diensten vor der Hand nichts erwähnet werde".

Der erste Brief aus Berlin, welchen Friedrich am Tage nach seiner Ankunft schrieb, lautet ein wenig unbehaglich. "Von der Instruction, so der Hofmeister Nitzschwitz empfangen", meldet er, "hat er mir noch nichts gesaget; ich glaube aber, wann erstlich Alles wieder in Ordnung, wird er es mir wohl sagen. Ich glaube wohl nicht, daß Ew. Gnaden ein so gnädiges Verlangen zur Zuhausekunft werden tragen können, als mein Vergnügen alsdann sein wird". Truchseß ist sehr freundlich, aber noch krank. - "Die hiesige Stadt ist sehr groß; aber alle Häuser, welche nur 2 Etagen hoch (meistens) und alle unter einem Dache stehen, thuen bei denen sehr breit= und langen Gassen keinen sonderlichen Effect, sondern sehen aus als lauter Ställe; vor so große Gassen sind die Häuser viel zu klein".

Frischer lautet schon, was er eine Woche später schreibt. Freilich kann er hier seinen Kunststudien nicht nachgehen; Schloß, Zeughaus, Kunstkammer, Rüstkammer, Marstall, Charlottenburg werden gelegentlich besucht, aber von Malerei ist nicht weiter die Rede, als daß Pesne ihn portraitirt und, weil der Prinz "so ein Liebhaber von Gemälden wäre", allen Fleiß anzuwenden verspricht. Alle Zeit wird von den Visiten bei Hofe in Anspruch genommen. Friedrich wird schnell bei der Königin, bei der Kronprinzessin, bei den Markgrafen und bei der Markgräfin Albrecht eingeführt, am 17. durch v. Hake dem König, am 19. auf der Parade dem Kronprinzen vorgestellt; der Fürst von Dessau, die Minister, einige Gesandte werden aufgesucht, und am Ende des Monats erscheint dann auch noch des Prinzen Hauptgönner, der General v. Schwerin, in der Hauptstadt.

"Ich habe gar keine Zeit", berichtet Friedrich dem Vater am 19. August. "Der Vormittag geht mit Visiten hin bis halb 11, daß man dem Könige auf der Parade die Cour macht. Nachgehends esse des Mittags beim Könige. Dann kommen wieder Visiten; und die Markgräfin" [Albrecht] hat mich expresse befohlen, des Abends bei ihr zu spielen und zu essen. Wie ich kam, habe gleich der Königin, der Kronprincesse und denen beiden Prinzessinnen" [Louise Ulrike, später Königin von Schweden, und Anna, später Aebtissin zu Quedlinburg] "die Cour draußen in Monbijou

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gemacht und auch da gespeiset. Die Königin ist so gnädig, daß nichts Gnädigers sein kann, und hat fast beständig mit mir gesprochen. Der König ist auch ganz gnädig (nach seiner Art) noch gegen mir gewesen. Die beide Prinzessinnen sind passabel schön". So weit war also Alles nach Wunsch gegangen. Nun fügt aber Friedrich hinzu: "Was Ew. Gnaden an Niswitzen wegen dem Dienen schreiben lassen, das hat Truchseß nicht vor gut gefunden, und ist auch wohl. Denn was zuerst sein könnte, ist Capitain; und das würde mir wegen des Werbens in große Depense setzen, und trägt nichts ein. Auch alle Prinzen beschweren sich. Der Prinz von Bevern, welcher Obrist=Lieutenant, versicherte mir noch gestern, daß er das verwichene Jahr 4000 Rthlr. noch hätte von dem Seinigen zusetzen müssen, und bezeugte auch, wie unangenehm man da diente, weil, wenn der König bei der Musterung nicht wieder neue Leute fünde, obschon die alten gut, so wäre er (und wann es die Markgrafen selber wären) capable, sie da vor allen Menschen aufs Härteste auszuschelten".

Auch in den nächsten Briefen spricht sich Friedrich über die Damen des Königshauses ebenso befriedigt aus. "Aus dem Könige", bemerkt er, "kann aber noch nicht recht klug werden. Mir ist ofte das beigefallen, was Ew. Gnaden von Einem zu erzählen pflegen, welcher gesaget, aus ihm sollte niemand klug werden. Doch aber hat er sich ganz gnädig bezeiget. Der hiesige Dienst ist aber gar nicht vortheilhaft, sondern im Gegentheil mehr schädlich".

Merkwürdiger Weise schreibt der Prinz kein Wort vom Kronprinzen Friedrich, und doch sprach er diesen, wie aus dem Diarium hervorgeht, verschiedene Male auf der Wachtparade, speiste auch mit ihm und verließ eigens eine Hochzeit auf eine Weile, um sich bei dem abreisenden Kronprinzen zu verabschieden!

Beim Könige stieg aber der meklenburgische Gast täglich in der Gunst. Am 2. September meldet er seinem Vater wiederum ein neues Merkzeichen: General Schwerin hat "gestern dem Könige im Tabaks=Collegium" (wohin der Prinz nicht kam) "gesaget, daß ich nach Potsdam zu gehen Willens, wann es der König erlaubte. Worauf er geantwortet: Warum ich nicht hingehen wollte, wann er selber da wäre ? - da er doch sonsten nicht gerne siehet, daß man hinkommt, wann er dar ist. Was die Mariage anlanget, so ist es keine Unmöglichkeit; wo das Dienen aber dabei nöthig ist, wird es ein Gutes kosten".

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Die Fahrt nach Potsdam war also nun noch die wichtigste Unternehmung auf der Reise; von ihr konnte viel abhangen. Vorher aber erwies sich der König noch bei einer andern Gelegenheit wieder recht freundlich gegen den meklenburgischen Prinzen. Am 4. September vermählte sich nämlich eine Tochter des preußischen Ministers v. Vieregge mit einem Major v. Itzenplitz; und wie es scheint, gab der König die Hochzeit. Dabei war Friedrich, wie es in seinem Briefe vom 9. September heißt, "auch mit auf der Liste derjenigen gesetzt, welche mit bei der Trau und königlichen Tafel sein sollten, welches der König approbiret. Währender Tafel sagte er u. a. an dem russischen Gesandten Brackeln, welcher eben von Wien gekommen, daß der Kaiser" [Carl VI.] "so artig wirthschaftete, daß er seine Fürsten zum Lande hinaus jüge; "worauf Brackel antwortete: Das wüßte er nicht. So sagte der König, indem er auf mir zeigte, weil grade gegen ihm über saße: Da sehen Sie das klare Exempel!" - Damit deutete der König offenbar darauf hin, daß man in Wien damals mit dem Gedanken umging, des Herzogs Christian Ludwig Gesandten von dort zu entfernen und dem Herzog von Meklenburg=Strelitz die Landesregierung von Meklenburg=Schwerin einstweilen zu übertragen.

Ueber die Reise nach Potsdam liegt leider keine ausführliche Nachricht vor; vermuthlich hat Friedrich darüber dem Vater mündlichen Bericht erstattet. In seinem Tagebuche finden wir nur angemerkt: ,,12ten [Septbr.] nach Potsdam gefahren. 13ten in Potsdam die Kirchen=Parade von die großen Soldaten angesehen, wie auch in die Garnison=Kirche gewesen. Zu Mittag allda beim König gespeiset. Nachmittags vom König Abschied genommen und nach Berlin gefahren". Aber was in Potsdam zu erwarten war, ersehen wir etwa aus einem Schreiben des Hofmeisters von Nitzschwitz vom 9. September:

General von Schwerin "hat - vor gut erachtet" - dem Könige - "Vortrag zu thun, wie Ew. Hochf. Durchl. [Christian Ludwig] "umb von dem zu Ihro Königl. Majestät tragendem ganz besonderen Vertrauen ein Merkmal zu geben, beschlossen hätten, Dero Prinzen zu Ihro Königl. Majestät Diensten zu offeriren. Der Hr. General haben auch verspüret, daß sein Vortrag sehr gnädig ist aufgenommen worden, indem Ihro Majestät mit einem freundlichen Lächeln geantwortet haben: So will denn der Prinz in meine Dienste? Wohin gehet aber eigentlich seine Intention? und was will er werden? Der Herr General hat hierauf geantwortet, daß

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der Durchl. Prinz als ein junger Herr, der nun seine Reisen zurückgelegt hätte, einen Abscheu trüge, die Zeit müssig hinzubringen, und die Ambition hätte, durch den Dienst mehrere Erfahrenheit zu erlangen und Ihro Königl. Majestät Affection zu erwerben. Es würden sowohl Ew. Hochfürstl. Durchl. wie auch der Durchl. Prinz mit Allem, was Ihre Königl. Majestät vor gut befinden würden, zufrieden sein. Ihre Majestät haben hierauf dem Herrn General befohlen, er sollte den Durchl. Prinzen sondiren, wohin dessen Absicht ginge, und Ihnen davon Rapport thun; welches denn auch bereits geschehen ist. Der Herr General weiß also noch nicht, was Ihro Königl. Majestät resolviren werden; er glaubet aber, daß der Durchl. Prinz zum Anfange mit einer Compagnie sich werden begnügen müssen. Und weil er wieder nach seine Güter verreiset ist, so hat er mir aufgetragen, bei der Abreise von Potsdam, sowohl von der Reception, als auch von Allem, was daselbst vorkommen wird, ohnverzüglich Nachricht zu geben".

Nach der Rückkehr von Potsdam machte Prinz Friedrich eiligst in Berlin seine Abschiedsbesuche, und am 17. Septbr. (1739) verließ er - ohne Zweifel mit sehr gemischten Empfindungen - diese Residenz, um, nicht über Rheinsberg, sondern direct in die heiß ersehnte Heimath nach einer Abwesenheit von 26 Monaten zurückzukehren. Das Project Schwerins, wonach der Prinz fast als preußischer Capitain heimgekommen wäre, fiel bald zu Boden. Es wird davon noch weiterhin die Rede sein.


Drittes Kapitel.

Friedrichs geistliche Entwicklung.

(Einfluß der Herzogin Augusta zu Dargun.)

Ueber die Entwickelung seines religiösen Lebens hat der Prinz Friedrich eine eigene Auszeichnung hinterlassen. Sie findet sich in einem Hefte frommer Betrachtungen, welche er am 13. Januar des für ihn, wie sich hernach zeigen wird, bedeutungsvollen Jahres 1744, also in seinem 27. Lebensjahre begann, aber nur selten fortgesetzt hat. Ohne Zweifel gehört dem genannten Jahre folgende Betrachtung über seinen

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Lebensgang an, die wir uns nicht versagen können hier einzuschalten:

"Ich habe zwar von Anfang her zu dem Herrn meine Zuflucht genommen, auch in meinen noch damals kindischen Begehren; aber wegen aller derer Umstände, die sich gemeiniglich bei Kindern finden, in Ansehung der Fehler, welche bei der Erziehung fürfallen, auch hauptsächlich böser Exempel, - bin nicht bei der Liebe des rechten Vaters aller geschaffenen Dinge blieben, sondern gewann die Welt lieber, mit ihren Scheingütern. Nachmals bin ich aber von einen meiner Präceptoren wiederum fleißig dazu ermahnt worden. Ich fand zwar wohl, daß die Sache wahr wäre; ich wollte mich auch schon mal recht bekehren, aber, weil noch jung wäre, könnte noch das Weltliche mitnehmen. Daß ich aber mich nicht aus eigener Kraft sollte bekehren können, wußte ich nicht; ich meinte, wenn es mir einmal recht fürnehmen würde, so würde die Sache auch geschehen sein. Wann es mannigmal anfing und nicht überwinden konnte, weil die Kraft Gottes nicht in mir war (weil es selber thun wollte), bildete mir immer ein, ich hätte mir nur nicht Mühe genug angethan; und nun war die Lust zum Bessern schon wieder vorbei. Ich dachte: auf ein ander Mal! Und das dauerte so lange, bis endlich auf Reisen ging. Da meinte ich, nun ich mein eigener Herr wäre, nämlich aus des Präceptoris Händen, nun wollte fromm leben, bat auch immer zu Gott, aber ums Leibliche, Gesundheit #. Da aber vieler Verdruß doch vorfiele, dachte (der ich mich zum besten kannte): du hast dies tausendmal verdienet, und sahe es als eine Abbüßung an, dadurch Gott wieder befriedigt werden könnte; kam aber da nicht auf, daß mich Gott dadurch die Thorheit und Unvollkommenheit der Menschen und der Welt zeigen und selbige mir verekelen wollte (dafür er ewiglich gepriesen seie!). Wegen dieser mir sehr unangenehmen Umstände schrie oft zu Gott; aber das Ewige, die Besserung des Lebens, nahm über mich alleine, accordirte auch wohl mit unsern Herre Gott, wann er mir hier= oder dortinnen gnädig wäre, wollte mich bessern.

Daß doch der Teufel die Leute gerne ums Zeitliche bitten läßt, aber ums Geistliche nicht! Die Menschen meinen immer, sie hätten genugsame Kraft; folglich könnten sie eine neue Creatur, nämlich von allem Bösen abgewandt werden, wann sie es à propos fänden, als wäre dieses ihr Eigenes, da sie Gott mit befriedigen könnten, wann sie wollten, entweder ihr genereuses Gemüthe Gott an den Tag zu legen

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(als wenn er uns sonsten nicht kennte) wegen einiger Wohlthaten, die er ihnen erzeiget (da sie nämlich auf Achtung gegeben, sonst ist ja Alles Wohlthat), oder wegen Befürchtung der Strafe, um Gott durch die Finger sehen zu machen, weil wir alle (heißet es) schwache Menschen wären. (Aber bei Gelegenheiten, da der stärkste Christ sich nicht hineingeben kann, sind sie wieder stark, daß an keine Schwäche mehr gedacht werden darf.) Alles, was einen Widerspruch leidet, ist gewiß nicht wahr und auch nicht möglich, als zugleich sein und auch nicht sein. Die Menschen sagen, sie könnten nicht gottgefällig leben, weil sie zu schwach wären; da sagen sie: was Gott nicht gefällig oder ihm mißfällig ist, da kann er ja auch nicht mit zufrieden sein; das folget. Hernach sagen sie aber, Gott war' zufrieden, wann man thäte, was Menschen möglich wäre. Diesem ist nun nichts möglich als zu sündigen; dann . . . . . . stehet: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken #. NB. Da soll Gott mit zufrieden sein! Und die Leute gestehen selber, sie seien zu schwach! Nun besehe mal Einer, ob der Welt Gedanken richtig. Bald sagen sie (wie eben angezeiget, sie seien stark, dann sind sie wieder nicht stark, sondern schwach, und wissen selber nicht, was sie sind und thun, und haben Stärke oder Schwäche - das Rühmlichste, was man noch von ihnen sagen kann, - so anders ein Ruhm ist, daß man nicht wisse, was man thue. Unser Heiland brauchet dieses noch als eine Ursache, warum der himmlische Vater seinen Verfolgern vergeben möchte, weil sie nämlich ihre That nicht wüßten. Wann ein Diener in den Geschäften seines Herrn Etwas aus Unbedachtsamkeit versiehet, vergiebet er es ihm wohl; wenn er aber immer unachtsam bleibet, so vergiebt er es ihm weiter nicht. Darum heißet es auch: Wache auf, der du schlafest! Dieser Weg aber ist zu finden, wo man das Wissen bekommt, Evang. Johannis Cap. 14, Vers 3, 4, 5, 6, um aufzuwachen. Wann Einer sagen möchte, er wollte lieber nichts wissen: es ist aber ein großer Unterschied unter Einem, der nichts weiß, und unter Einem, der nichts wissen will. 2. Timoth. Cap. 4, V. 3. 4. stehet die Ursache, warum sie nichts wissen. Sollen wir, Jacobi C. 1, V. 21., das Böse ablegen, so ist es ein Zeichen, daß wir damit nicht im Himmel kommen können. Vers 22 stehet auch, wie sich die Welt betriege. Ach glücklich derjenige, der sich durch Gottes Erbarmen aufwecken lässet und nur von Grunde der Seelen Gott um die Erkenntniß seines Elendes und Bekehrung bittet! Aber es muß Einem recht ernstlich darum zu thun sein, daß

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man sich bekehren wolle, und man muß nicht nachlassen mit beständigem Flehen zu Gott, bis er Einen geholfen: es wird wahrhaftig niemanden gereuen."

Der Prinz wendet sich nach dieser Betrachtung wieder zu seiner eigenen geistlichen Lebenserfahrung zurück, indem er fortfährt:

"Dasjenige aber, was von Gott bate, erlangete alles. E. g. wann auch bate, daß dieser oder der, deme wir eine Visite geben wollten, doch nicht zu Hause sein möchte, trafe es sich auch also; und wann im Gegentheil bat, geschahe es auch. (Es ist hier zu wissen, daß, wann man in Paris keine Visite annehmen will, man sagen lässet, man wäre nicht zu Hause; welches ich als eine Lüge eben nicht approbiren will. Wann es also heißet: Er ist aus, ist es soviel als: Er hat zu thun, oder kann die Visite nicht annehmen; weil man aber solches weiß, könnte man sagen, ob es als eine Lüge anzusehen? Ein Jeder thue nach seinem Gewissen!) Alles, warum Gott bate, auch in den geringsten Sachen, geschahe (aber nur, daß den Herren nicht verlassen sollte, wie dann dieses auch nachmals bei mir seine Wirkung gezeiget). Wie auf der Rückreise war, und sich in Berlin eine gewisse Begebenheit fand, daß niemand da war, als der Königin zum ersten Male die Cour machen wollte, der mich präsentirte, weil wir zu frühe gekommen, und schon viele Damen reich gekleidet in dem Zimmer stunden, und ich nicht wußte, welche die Königin war, da ich mich doch melden lassen: seufzete in diesem großen Embarras wieder zu Gott, er möchte doch geben, daß ich mich nicht prostituirete. Da kam die Madame Haack, eine Frau des Favoriten des Königs, und sagte zu uns, ohngeachtet wir sie niemals gesehen: sie merkte wohl, daß ich der Prinz von Meklenburg sein würde, so sich heute bei der Königin melden lassen; die Königin wäre noch nicht da; sie wollte uns, den damaligen Hofmeister Nitzschwitz und mich, denen gegenwärtigen Dames präsentiren. Da war aus einmal meine Furcht vorbei. Nachmals, als in preußischen Diensten gehen sollte, und da bisher noch immer hofmeisteriret und commandiret worden, ich also, wann dieses geschehen, Zeit meines Lebens immer auf Anderer Befehl passen müssen, mir dieses aber so lieb als der Tod selber war: bat wieder Gott den Herren, es doch nicht zuzulassen; und es ward auch nichts daraus, ohngeachtet ich es dem Könige selber offeriren sollte, der Graf Schwerin dazu helfen sollte, der damalige Hofmeister von Nitzschwitz Ordre darzu hatte, Roland" (Herzog Christian Ludwigs Secretair)

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noch mit neuer Ordre hingeschickt ward, ja der König Friedrich Wilhelm mich deshalb nach Potsdam zu kommen befohl. Wie auch wegen Verheurathung einer königlichen Prinzessin mit mir, die mein Herr Vater wollten, und der König sehr geneigt zu war, ich aber nicht wollte und den Herrn deshalb bat. Mußte auch nicht geschehen; sondern der Hofmeister reiste zu früh wieder weg mit mir; vermuthlich wegen eines Mißverstandes, sonst war es uns deutlich genug gesaget worden noch länger da zu bleiben. Mit meiner vorgewesenen Heurath mit einer englischen Prinzessin, die mir gar auch nicht gefielen, ward durch mein Gebet auch nichts aus, ohngeachtet deshalben nach Engeland mußte. Ich bat aber, der Herr möchte mir eine Gemahlin geben (nach meinen damaligen Einsichten): schön und nach meinem Sinn; Frömmigkeit: da dachte nicht an".

"Wie Anno . . . . wieder in Swerin war und anders nichts mich als Dinge dieser Welt ergetzten, bat Gott, da doch auf der Reise so Vieles ausgestanden, möchte er mir geben, daß mein Herr Vater mir erlaubten, ein oder ein paar Rehe zahm auf der Kammer zu haben; welches auch geschahe, da sonst mein Herr Vater so sehr vor die Propretät sind. Ich hatte ein Zimmer außen auf dem Gange vor ihnen, und wurden wie ein Hund so zahm; und da sie sonst sehr weichlich und schwer groß zu machen, hat ihnen doch niemalen Etwas gefehlet. Ja, ich bat auch, Gott möchte geben, daß sie Junge kriegten; auch dieses geschahe. Es starb aber, und ich ließe zur Curiosität das Fell bereiten. Das andere Jahr darauf kam die Ricke um; wovon unten auch schreiben werde, weil Exempel der Erhörung dabei sind.

Ich bat auch, Gott möchte geben, daß ich auf der französischen Art Zimmer haben könnte, wenn [sie] auch nur gemalet wären. Auch dieses geschahe. Nachgehends bat, Gott möchte mir auch Gelegenheit geben, so ein Haus bauen zu können nach Pariser Goût. Da kamen mein Herr Vater auf Gedanken, ein Lusthaus auf dem Walle bauen zu lassen; und ohngeachtet es mir mein Herr Vater nicht zutraueten, erlaubten sie endlich doch, daß es völlig nach meinem Willen gebauet werden dürfe. Und der Ort lag unter meinem Fenster, daß alle Augenblicke, wann ich wollte, sehen konnte, wie ein Jeder arbeitete und was er machte.

Ja Gott ist recht barmherzig, und ich elender, böser Mensch bin so unachtsam in Seinem Dienste! Ich weiß aber gewiß. Er wird mich helfen, wenn ich nur selbsten will, und so auch einem Jeden, bei Ihm zu bleiben, wann er

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durch wahre Bekehrung zu Ihm gekommen, und auch zu Ihm zu kommen, der noch nicht Ihn zu bekommen gesuchet".-

Friedrich tritt uns in dieser nur für ihn selbst bestimmten und gewiß völlig ausrichtigen Betrachtung in einem Alter von 26 Jahren als ein gereifter, bibelfester und gebetserfahrener Christ entgegen. Er nennt uns außer einem Präceptor niemand, der ihn im Christenthum gefördert hätte; das Gebet ist sein Anker gewesen, der ihn in allen leiblichen und sittlichen Gefahren behütet hat. Wir haben schon oben erwähnt, daß er auch in Paris festhielt am Gottesdienst und Sacrament. Dennoch aber ist es an sich wahrscheinlich, daß er in seinem ganzen religiösen Entwickelungsgange von einer bestimmten Seite her, zumal nach seiner Rückkehr in die Heimath, Stärkung und eine bestimmtere Richtung empfangen hat; und die Ausdrucksweise in der obigen Selbstbetrachtung läßt uns nicht darüber in Zweifel, wo wir den Ausgangspunct zu suchen haben. Denn Friedrichs Sprache athmet ganz den Geist der bibelfrommen Halleschen Schule, welche damals eine neue Pflanzstätte in Meklenburg gefunden hatte am Hofe und unter der Pflege der Prinzessin Augusta zu Dargun, die wir bereits als eine große Gönnerin des Prinzen kennen.

Es mag darum, selbst auf die Gefahr hin, allzuweit von unserm Thema abzuschweifen, vergönnt sein, den Einfluß dieser merkwürdigen Fürstin auf das Religionsleben in Meklenburg überhaupt, ihren Verkehr mit dem Hause des Herzogs Christian Ludwig II. und ihre Beziehungen zu dem Prinzen Friedrich näher zu erörtern.

Die Prinzessin Augusta, das jüngste unter den 11 Kindern des Herzogs Gustav Adolf von Güstrow, geboren am 27. December 1674, verlebte ihre Jugend in einer ihrer geistlichen Lebensentwickelung überaus günstigen Umgebung. Der Vater war, nach mancherlei Schwankungen, unter steter Beschäftigung mit der heiligen Schrift, im täglichen Umgange mit seinen ausgezeichneten Hof geistlichen und unter schweren Prüfungen zu jener Glaubenstiefe und wahrhaften Frömmigkeit durchgedrungen, von der seine (ursprünglich nicht für die Oeffentlichkeit bestimmten) Dichtungen ein so beredtes Zeugniß ablegen. Die Mutter Augustens, die Herzogin Magdalene Sibylle, theilte und förderte diesen Sinn, und natürlich wurden auch die Töchter in solchem Geiste erzogen. Die Beschäftigung mit der heiligen Schrift, und selbst theologische

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Studien waren der Prinzessinnen tägliche Beschäftigung, wenn auch keineswegs ausschließlich. Augusta genügte es nicht, Luthers Bibelübersetzung zu lesen, sie lernte Griechisch, las gern die Septuaginta und übersetzte Hymnen des Makarius und des Gregor von Nazianz. 1 ) Als ihre Schwestern theils gestorben waren, theils sich mit auswärtigen Fürsten vermählt hatten, dann im Jahre 1719 auch die Mutter heimgegangen war, zog Augusta, nun in Meklenburg die Letzte des Güstrowschen Hauses, 1720 mit dem Güstrowschen Hofprediger Dr. Stieber auf ihr Apanagialamt Dargun, wo sie noch 36 Jahre gewaltet hat, immer bemüht, nicht nur den leiblich Bedürftigen in aller Weise zu helfen, sondern auch vornehmlich geistlichen Segen nach bestem Vermögen über ihre Umgebung zu verbreiten. Sie begann damit, daß sie durch die Prediger ihres Amtes Bibeln zu billigem Preise verkaufen ließ und den Armen das Neue Testament schenkte, daß sie die Schulen in ihre Obhut nahm, dort, wo noch keine Schulen waren, solche anlegte und die Einkünfte der Lehrer erheblich erhöhete. Uebrigens wollte sie den Unterricht nicht allein auf die Religion beschränkt wissen; einem neuen Cantor zu Dargun schrieb sie den Unterricht im Rechnen und im Schreiben ausdrücklich vor.

Während nun aber die Prinzessin Augusta fortfuhr in Gottes Wort zu forschen, und dabei auch von den Halleschen sogenannten Pietisten, die vornehmlich durch den gottseligen Spener erweckt waren, Kenntniß nahm und in deren Erbauungsschriften reichen Trost und viel Erbauung fand, blieb Stieber auf seinem alten Standpuncte stehen; er hielt fest an der damaligen Orthodoxie, die das rechtgläubige lutherische Bekenntniß betonte, ohne auf die Aneignung des Heils, die Wiedergeburt, gleiches Gewicht wie die Halleschen zu legen, ja diese gar als Quäker und Pietisten verschrie. Das gute Verhältniß des Hofpredigers zu der Prinzessin ward allmählich kühler, und die Fürstin wünschte für ihre Person und für ihre Untergebenen und Amtseingesessenen Geistliche von mehr Eifer und wärmerer Frömmigkeit. Ihr Neffe, der Graf von Stolberg=Wernigerode, empfahl ihr, als die Pfarre zu Levin im Amte Dargun erledigt war, zwei Candidaten dieser Richtung, Jakob Schmidt aus seiner Grafschaft und Ehrenpfort aus dem Magdeburgischen, der vornehmlich in Peina durch den Pastor Winkler erweckt


1) Vgl. Fr. Delitzsch: Aus dem Stammhause der Großherzogin Auguste. (1849.)
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zu sein scheint. Beide Candidaten wurden ordnungsmäßig in Meklenburg geprüft und trotz des gegen sie obwaltenden Mißtrauens für tüchtig erklärt; Schmidt ward zum Pastor in Levin gewählt, Ehrenpfort aber bald hernach (1734) dem alten Pfarrer zu Groß=Methling adjungirt und einige Zeit darauf in diesem Amte durch den Dargunschen Pageninformator Hövet (aus dem Meklenburgischen) ersetzt, selbst aber von der Prinzessin nach Dargun gezogen und zum Pfarrer in Röknitz bestellt. Durch ihre feurige Predigt über die Notwendigkeit völliger Sinnesänderung und Bekehrung zu Christo erweckten diese Männer viele Herzen. Sie erregten aber auch den Haß der Gegner, die das Verdammungsurtheil über die Unbekehrten auf sich bezogen und den ,,Bußkampf", welchen diese Prediger als den für Alle nothwendigen Durchgangspunct zur Bekehrung hinstellten, als eine selbstgemachte Frömmigkeit kennzeichneten; bald liefen die sonderbarsten Gerüchte um über die neuen Prediger, welche man zum Theil auch wohl nicht recht verstand, über gewaltsame Bekehrungen und Beängstigung der Seelen.

Die Prinzessin besuchte mit ihrem Hofe nun fleißig Ehrenpforts Predigten und Erbauungsstunden, und ernannte diesen, damit er abwechselnd mit Stieber im Schlosse selbst eine Erbauungsstunde halten könnte, zu ihrem Hof=Diaconus. Darüber zerfiel sie mit Stieber, der in der neuen Richtung einen verwerflichen Pietismus fand und sogar Bedenken trug, seiner Fürstin und ihrem Hofe Absolution und Abendmahl zu ertheilen. Da gab ihm Augusta, nachdem er auf seine Veranlassung von den Betstunden schon eine Weile entbunden war, am 18. Juni 1735 seinen Abschied in folgendem Briefe: "Dieweil Wir mit großer Empfindung Unserer Seelen alle die Jahre Unsers Hierseins erfahren und erdulden müssen, wie ein beständiges Widersprechen gegen allen wahren, guten und Werke Gottes auf öffentlicher Canzel, und zwar darzu mit überaus unanständlichen Ausdrücken und Worten, vor dem heiligen Angesichte Gottes von Euch ausgesprochen und getrieben ist, ohngeacht aller von Uns selber gethanen Vorstellungen und ernstlichen Ermahnungen, davon Ihr aber durchaus nicht habet ablassen wollen, sondern auch Euch gegen Uns selbst also herausgelassen, daß Ihr solches nie ändern würdet; da Uns nun Gott nach seiner überschwänglichen Gnade und Liebe den Weg der wahren Buße und des Glaubens geführet, daß Wir des Herren Wege kennen und darinnen stehen: so können Wir ohne Verletzung Unsers Gewissens nicht länger solcher offenbaren Lästerung gegen

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den Herrn und Seiner Heils=Ordnung, wodurch nicht nur Unsere eigene Seele sehr verletzet und Schaden nehmen möchte, sondern auch die Seelen Unserer ganzen Hofstaat beschädiget, die frommen, gläubigen Seelen aber, die sich durch Gottes Gnade darunter finden, betrübet und überall ein großes Aergernüß verursachet wird, [zusehen]. Als haben Wir der göttlichen Ueberzeugung, hiebei dasjenige zu thun, was Wir amts= und pflichtmäßig zu thun schuldig sind, Raum gelassen, und um diesen Uebel und Zerrüttung abzuhelfen, Euch von Euren bisherigen Hofpredigerdienst und Amt zu befreien und gänzlich zu dimittiren und Uns durch ferneres Nachsehen nicht fremder Schuld vor Gott theilhaftig zu machen. Welche Erlassung von besagten Diensten Wir denn hiedurch haben ertheilen wollen, dabei Euch übrigens der erbarmenden Liebe Gottes übergeben, daß dieselbe Euch endlich noch als einen Brand aus dem Feuer erretten, und Ihr Eure Seele als eine Ausbeute noch davon tragen möchtet."

Stieber begab sich nun zum Herzog Carl Leopold nach Wismar, der ihm Aussicht auf eine Superintendentur eröffnete. Die Prinzessin Augusta aber empfing auf ihre Bitte als neuen Hofprediger den frommen Diaconus an der Kirche zu Wernigerode, Zachariä, der bis an ihr Lebensende ihr Seelsorger geblieben ist. Der Brief, in welchem sie eigenhändig dem Herzog Carl Leopold davon Mittheilung macht, ist zu charakteristisch, als daß wir ihn hier nicht zum größten Theil einschalten sollten, zumal sie sich selten veranlaßt sah, an diesen Vetter zu schreiben:

"Monsieur le Duc, très honoré cousin! EW. Liebden beigehende Tractätgens, die auf meine Depense haben drucken lassen, an einem Orte, da sie nicht würden verfälschet werden, zu übersenden, habe sowohl vor der Ehre meines Gottes, als vor meinem eigenen Gewissen billig und nöthig zu sein erachtet, damit Ew. Liebden desto mehr versichert werden möchten, daß ich keine Lehrer berufen, die in irgend einer irrigen und falschen Lehre, die wider Gott und sein heiliges Wort liefe, und also mit Recht eine neue Lehre zu schelten sei, sondern daß sie die lautere, reine evangelische Lehre predigen, dero Endzweck nach Gottes Willen und Befehl ist, daß die Seelen durch wahre Herzensbuße und lebendigen Glauben, der in einem gottlichen Wandel sich thätig erweiset, selig werden sollen, und daher eine solche neue Lehre ist, womit die bösen Juden vormals den lieben Heiland auch verlästerten, dennoch aber diejenigen, die solche in Gehorsam des Glaubens annahmen, neu, herrlich und selig machte.

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Ich habe also höchst Ursach, dieser Sachen mich anzunehmen und Ew. Liebden hievon zu avertiren. Denn vor Ihnen zu viel Egard und Ergebenheit hege, daß Ihnen gönnen wollte, durch etwanige übele Impressions Sich an Knechten Gottes und Hinderung Seiner Werke einigermaßen zu versündigen sollten veranlasset werden. Daher denn, so viel an mir ist, solches zu verhüten durch alles dieses habe zuvorkommen wollen. Dabei wünsche von ganzem Herzen, daß, da Ew. Liebden von Gott Erkenntniß erlanget haben leichtlich Unwahrheiten von dem Guten zu unterscheiden, Sie bei Durchlesung dieser und aller Wahrheiten des Geistes Gottes einen noch tiefern Eindruck und Ueberzeugung der Gnaden empfangen mögen, Sich gänzlich dem lieben Heiland zu übergeben, umb in Ihm die eigene wahre Ruhe der Seelen und allerhöchste Glückseligkeit zu erlangen; der Ihnen alsdenn auch aus allen Ihren beschwerlichen leiblichen Umbständen bald erretten würde. Die Sache ist demnach Wahrheit und göttlich, wovon Ew. Liebden schreibe, und davon ich mit Freimüthigkeit zeugen kann, weil mir Gott dieselbe nach Seiner unfindlichen und ganz unverdienten Erbarmung selber hat widerfahren lassen; daher umb desto mehr meinem großen Heiland verbunden bin, zu Seiner Verherrlichung und Ausbreitung Seiner Ehre alles mein Können und Vermögen anzuwenden und meine einzige Bemühung mit Verlassung aller Dinge dieser Welt nur dahin zu richten, diesen Endzweck zu erreichen. Zu dem Ende habe auch von Gott und aus Seiner Gnade einen neuen, gottseligen Hofprediger erbeten und auch berufen, der schon in verschiedenen Kirchenämtern gestanden, welchen mir mein sehr werther und lieber Vetter, der Herr Graf von Stolberg=Wernigerode Liebden, wiewohl ungern, überlassen hat". Daran knüpft die Prinzessin die Bitte, Zachariä durch einen benachbarten Prediger an die Hofgemeinde in ihrem Namen weisen zu lassen, und schließt:

"Weil ich hierinnen die Besorgung meiner eigenen, als auch meiner Hofbedienten Seelen durch einen rechtschaffenen Diener Gottes zu beschaffen Ursach gehabt, Ew. Liebden bis hieher gespürte Freundschaft gegen mir und in der Beförderung treuer Lehrer hieselbst, darinnen Sie nicht mir allein, sondern dem großen Gott selbst hauptsächlich gedienet, und davor Sie der Herr noch einen Segen wird vorbehalten haben, werden Sie auch in diesem Stück ferner conserviren. Denn ich hiebei nichts Menschliches, sondern Göttliches suche und habe. Womit ich meinen vorhin gethanen Wunsch zu

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Dero geistlichem Wohl nochmalen bündigst wiederhole, und mit geziemender Hochtung verbleibe

          Ew. Liebden

ganz dienstwillige Base und Dienerin      
Augusta, H. z. M.                

          Dargun,
den 13. September 1735".

Der Vetter machte nun freilich Schwierigkeiten, wollte, daß das "destinirte Subjectum" sich vorerst persönlich in Wismar präsentire; aber die Prinzessin lehnte dies als einen Eingriff in ihr Hoheitsrecht ab und bestellte Zachariä ohne Weiteres trotz Carl Leopolds Protest.

Somit hatte Augusta nun selbst einen sehr frommen Mann nach ihrem Herzen zu ihrem eigenen Seelsorger erlangt. Aber wegen der andern Prediger ihres Amtes hatte sie noch viel Kummer. Stieder gewann für sich die Rostocker Professoren Aepinus und Burgmann, deren Letzterer die Darguner Prediger mit unbilliger Schärfe angriff, während Ersterer ihm als Professor beitrat und als Consistorialrath die Pastoren Ehrenpfort, Schmidt und Hövet vor das Consistorium zog. In tagelangem Verhör ward ihre Rechtgläubigkeit, unwesentliche Puncte abgerechnet, freilich ebenso sehr wie ihre Frömmigkeit erwiesen; aber das Consistorium begnügte sich nicht damit, ihnen auch die geringste Abweichung von den Formularen der Kirchenordnung zu untersagen, sondern es verbot ihnen auch jede weitere Schriftstellerei ohne Censur des Consistorii, den Gebrauch der biblischen Ausdrücke "bekehrt" und "Bekehrung" und - die Bibel= oder Erbauungsstunden, welche sie bei offenen Thüren in der Woche hielten. Zum Verdruß der Dargunschen Prediger hielt es auch das Protocoll über diese Disciplinaruntersuchung zurück und holte (wozu es ohne fürstliche Genehmigung von allen Landeskirchen 1 Thaler forderte) ein Gutachten der Leipziger Facultät ein, welches gegen die Darguner ausfiel. Diese appellirten ihrerseits an das Hofgericht, welches wiederum Carl Leopold nicht mehr anerkannte, setzten den sehr lebhaften Streit in Druckschriften fort, erlangten einen günstigen Spruch der theologischen Facultät zu Königsberg, wie früher einen von Jena, und Augusta verschaffte ihnen sogar Intercessionsschreiben der Könige von Preußen und von Dänemark an den Herzog Christian Ludwig, der aber freilich, da seinem Bruder die Kirchenangelegenheiten vorbehalten waren, sich nicht einmischen konnte. Als 1736 die Prinzessin Augusta Ehrenpfort und einen andern frommen Prediger, dessen Rechtgläubigkeit in

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der Prüfung anerkannt war, zu Jördensdorf präsentirte, holte der dort eingepfarrte Hauptmann von der Kettenburg Gutachten von Stieber, Burgmann und Aepinus ein; und da diese sehr warnend lauteten, protestirte er mit den andern eingepfarrten Edelleuten vor der Wahlhandlung auf dem Kirchhofe, was dann einen Bauerntumult hervorrief und die Wahl unmöglich machte. Fast 13 Jahre mußte Augusta vergehen lassen, bis es ihr gelang die Pfarre zu besetzen. In Dargun aber thaten sich die ,,Erweckten" nun, da Ehrenpfort keine Bibelstunden halten sollte, zum Theil auf eigene Hand zu Conventikeln zusammen, und zu den Betstunden Zachariäs im Schlosse erschien auch ein Officier aus Demmin. Als Herzog Carl Leopold 1744 der Prinzessin aufgab, diese Andachtstunden zu unterdrücken, antwortete sie nicht allein ablehnend in einem Canzleischreiben, sondern hielt ihm in einem sehr langen eigenhändigen Briefe eine Bußpredigt, die von einer bewundernswürdigen Vertrautheit mit der Bibel zeugt; sie ermahnt ihn dringend, das so lange über ihn hereingebrochene Gericht Gottes als solches zu erkennen und ernstlich sich Gott zu unterwerfen. -

Ganz anders als zum Herzoge Carl Leopold stand die Prinzessin Augusta zu dem Herzoge Christian Ludwig und seinem Hause. Da ihre Schwester Marie, die Mutter der Herzogin Gustave Caroline, so früh (schon 1701) verstorben war, betrachtete Augusta ihre Nichte "Carolinchen" als ihre eigene Tochter, und sie scheint auch an deren Erziehung einen nicht unwesentlichen Antheil genommen zu haben. Mit dem "lieben Neveu", wie sie den Herzog Ludwig anzureden pflegte, correspondirte Augusta sehr fleißig, in sehr liebevollem Tone; aber eine lange Zeit hindurch trat sie ihm geistlich selten näher. Als jedoch im Juni 1730 seine zweite Tochter Louise, kaum 5 Monate alt, gestorben war, bezeugte sie ihm ihr Mitleid mit dem Troste: "Ew. Liebden können Sich aber viel ehr und leichter hierinnen des Höchsten heiliger Providence unterwerfen, als - Sie versichert sein können, daß Sie dieses noch in völliger Unschuld stehende Kind, welches ihrer Taufe Wiedergeburt noch nicht wieder verloren hat, in der Hand Gottes und in der Ruhe der Seelen in Gott wissen; welches allen irdischen Dingen weit übersteiget." -

Noch herzlicher ist der Ausdruck zärtlicher Zuneigung in den Briefen der Prinzessin Augusta an die Herzogin Gustave Caroline; aber sowohl in dieser Correspondenz als auch in den Briefen an Christian Ludwig verändert sich der Ton sehr merklich seit dem Jahre 1734. Die neuen Prediger

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machten auf die Prinzessin einen tiefen und nachhaltigen Eindruck; sie fühlte sich aufs Neue erweckt, in ihrem Herzen ihres Gnadenstandes gewiß, und eifrig strebte sie nun danach, auch Andere zu bekehren und derselben Seligkeit theilhaftig zu machen. Wie sie den Herzog Carl Leopold bat, in ihrem Amte Candidaten anstellen zu dürfen, welche den Predigern, die ihr nicht genügten oder der Gemeinde nicht hinlänglich mit der erwünschten Seelsorge dienen könnten, zur Hand gehen sollten, und zur Erweckung anderer Christen Predigten drucken ließ: so nehmen seit dieser Zeit auch ihre Briefe an das herzogliche Paar einen seelsorgerischen Ton an; sie preist Gottes Gnade, welche sie an sich erfahren hat, und will vornehmlich auch ihre liebsten Verwandten durch deren Bekehrung zu ihrer eigenen Freude Genossen machen.

Denn ein gewisser Gegensatz bestand nunmehr zwischen den Religionsansichten Augustas und denen des Herzogs Christian Ludwig und seiner Gemahlin. Wenn in Dargun, einseitig genug, niemand als ein wahrer Christ betrachtet ward, der nicht durch einen kürzeren oder längeren "Bußkampf" sich der wiedergewonnenen Taufgnade bewußt geworden war, auf die tägliche Erneuerung des Menschen also nicht das Gewicht gelegt ward, welches die lutherischen Bekenntnißschriften verlangen: so war dem herzoglichen Paar dieser Pietismus fremd; und der Unterschied in den Ansichten zeigte sich schon darin, daß Stieber, nachdem er Carl Leopold verlassen hatte, am Hofe Christian Ludwigs zu Schwerin freundliche Aufnahme fand. Der Herzog Christian Ludwig ist bekannt als ein milder Charakter, vermittelnd, versöhnend, ausgleichend; das Glaubensfeuer, welches Augusta durchglühete und fortan ihr Leben und ihr Thun bestimmte, scheint ihm sowohl als seiner Gemahlin nicht in dem Grade eigen gewesen zu sein. Wenigstens war Augusta nicht mit ihnen zufrieden; sie verlangte von ihnen Bekehrung, und sie ließ fast keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie liebevoll zu solcher ermahnen konnte. Nachdem sie von Carl Leopolds vereiteltem Anschlag auf Schwerin gehört hat, schreibt sie am 4. Juli 1738 an Christian Ludwig:

"Ich preise aber mit Ihnen die Güte des allmächtigen Gottes, der auf allen Seiten das Unglück so gnädiglich abgewendet hat. Umb wie viel haben derohalben Ew. Liebden Ursach, Sich dieser ewigen Güte ganz zu übergeben, die so sorgfältig über Ihnen wachet und Sie nicht dem zeitlichen und ewigen Verderben dahingehen will. Ew. Liebden glauben mir, wir haben alle in diesem Lande, in allen Ständen und dem ganzen Volke, hohe Ursache, uns von ganzen Herzen

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zu dem Herren unserm Gott zu bekehren. Keine Seele kann mit dem gewöhnlichen, lauen und weltförmichten Christenthumb, mit einem bloßen "Herr! Herr! sagen" (Matth. Cap. 7, V. 21.) "vor dem heiligsten und majestätischen Gott bestehen. Die Ordnung des Heils, die Gott der Allerhöchste in Seinem heiligen Worte uns vorgeschrieben hat, ist die Buße von den todten Werken (Ep. Hebr. 9, V. 14.) und der Glaube an Jesum Christum, den großen Mittler und Versöhner (Apostelgesch. 26, V. 18). Welches beides aber Gott alleine wirken muß, und auch wirken will, wenn der Mensch nur Gott darumb bittet, daß Er ihm sein eigen böses Herz sammt dem schweren Abfall in Adam durch Seinen Geist aufdecken und davon überzeugen wolle; dadurch eine große Veränderung in der Seelen vorgehet, daß sie anfänget die Sünde zu hassen und den Herren Jesum zu suchen, der sie allein von ihren Sünden und Verderben befreien kann, und hingegen Vergebung der Sünden, Leben, Heil und ewige Seligkeit schenken. Ich schreibe dieses aus aufrichtiger Hochachtung vor Ew. Liebden, als die ich Sie gerne in Zeit und Ewigkeit glückselig wissen wollte."

"Nun aber ist keine wahre und würkliche Glückseligkeit zu haben und zu erlangen als in diesem einigen und seligen Zustand. Mich jammert die große Zerrüttung unsers Hauses und des ganzen Landes. Ich erkenne und sehe, daß die Zornhand Gottes fast ausgestrecket ist über beides zum Untergang. Ew. Liebden consideriren nur selber, in was vor Uneinigkeit Alles unter einander stehet! Was gehen nicht vor gräuliche Sünden und Unordnungen vor! Dazu kommt noch das Allerschlimmste, und auch das Allergefährlichste, das den Zorn Gottes reizet, nämlich daß man die Wahrheit des Evangelii und die Lehre von der wahren Buße und Bekehrung zu Gott, sowie sie klar und offenbar in Gottes Wort gegründet und in unsern Glaubensbüchern mit Nachdruck defendiret ist, und ohne welche keine wahre Religion noch Gottesdienst sein kann, verwirft, verketzert, unterdrücket und mit aller Macht von Geist= und Weltlichen will gehindert werden. Dasselbe hat zu aller Zeit erschreckliche Gerichte Gottes nach sich gezogen. Ew. Liebden werden hievon genugsame Exempel in der Heil. Schrift finden, die Ihnen sattsam von dieser Sache überzeugen können. Es ist aber noch ein Mittel übrig aus allen diesen anscheinenden Strafen und Unglück errettet zu werden, nämlich die wahre Umbkehrung zu Gott, auf die Art, wie schon Erwähnung geschehen." - - -

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Dieser Brief war kaum geschrieben, als die Prinzessin erfährt, Herzog Christian Ludwig habe dem Hof= und Landgericht (weil er es nicht für competent hielt) untersagt, fernere Appellationen von Sprüchen des Consistorii anzunehmen. Bestürzt fügt sie deshalb in einem Postscript hinzu: "Bedaure von Herzen, daß Dero fürstl. Haus, auf welchem die augenscheinlichen Gerichte Gottes schon ruhen, das Maß nun vollends durch Versündigung an unschuldigen Knechten Gottes" (den Dargunschen Predigern) "und der Sache seines Reiches recht voll machen soll." Sie sieht in dieser "fast unerhörten Inhibition" "eine veritable spanische Inquisition" und erklärt sich im Gewissen gedrungen, sich der Prediger anzunehmen, denen sie in ihrer Vocation Schutz zugesagt habe.

Christian Ludwig muß begütigend geantwortet haben. Denn am 30. August 1738 erklärt sich Augusta dadurch befriedigt, daß er die Sache durch auswärtige Doctoren will untersuchen lassen. "Was sonsten Ew. Liebden von meinem vorichten an Ihnen abgelassenen Schreiben erwähnen wollen, daraus schließe, daß Gott solches an Ew. Liebden Seelen gesegnen wolle, dieweil selbiges aus Seinem heil. Worte genommen ist, und also göttliche Wahrheiten sind, auch von mir aus aufrichtiger Begierde zu Ew. Liebden ewigem Heil sind abgelassen worden. Wie könnte man doch größere Hochachtung und Freundschaft seinen Angehörigen erweisen, als Ihnen zeigen, wie man zu Gott und aller seiner Gnaden, die er uns in Christo, seinem Sohne, so sauer und theuer erworben und geschenket hat, gelangen könne!" Und daran knüpft die Prinzessin eine neue eindringliche Ermahnung. Sie bittet ihn dann im nächsten Briefe: "Ew. Liebden ermannen sich und greifen" - in der Dargunschen Sache - fein durch! so wird der Herr mit Ihnen sein." In einem Neujahrsglückwunsche von 1740 setzt Augusta dem Herzog die Heilsordnung wieder sehr schön und biblisch auseinander und bezeugt ihre Freude darüber, daß er mit den übersandten Schriften der Darguner zufrieden ist. In diesem Tone der liebevollsten Ermahnungen bewegen sich fortan noch viele Briefe. Denn Christian Ludwig schätzte nicht allein seine Tante sehr hoch, sondern er hatte auch ein Verständniß für ihr religioses Leben; und wenn er auch nicht ihre pietistische Neigung theilte, war er selbst doch von der Rechtfertigung durch den Glauben gewiß nicht weniger überzeugt, und sein Glaube ward immer lebendiger. Sein trefflicher Hofprediger Menckel gehörte gleichfalls der Halleschen Schule an, Callenberg hatte ihn einst dem Herzog Carl Leopold empfohlen; und nachdem dieser

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1735 bei seiner Flucht nach Wismar dem Hofprediger befohlen hatte die Schweriner Schloßkirche zu schließen, hatte er von diesem Herzog sich verabschiedet und war seines Bruders, Herzog Christian Ludwigs, Seelsorger geworden. Der Verkehr zwischen Schwerin und Dargun war anscheinend ziemlich lebhaft, Christian Ludwig besuchte bisweilen seine Tante, wechselte auch Bücher und entlieh von ihr Schriften Luthers.

Gegen die Herzogin Gustave Caroline geht die Tante auch schon in ihren früheren Briefen vertraulicher heraus. Gar christlich sind die Trostbriefe, welche Augusta nach der oben erwähnten Zerstörung des Grabower Schlosses durch den Brand im Jahre 1725 schrieb. Sie schickt der Nichte die Bibel, welche ihre Mutter, die Herzogin Magdalene Sibylle, täglich gebraucht hatte. "Dabei ich denn wünsche", fügt sie hinzu, "daß Sie denselbigen Nutzen, Kraft und Früchte daraus schöpfen mögen, welche Ihre Gnaden sel. daraus in allen Anliegen geschöpfet haben. Auch das Paradiesgärtlein, beikommendes Gesangbuch und der Vorschmack göttlicher Güte in Dero Seele bei itzigen, sonst betrübten Umbständen alle Erkenntniß und Empfindung der göttlichen großen Liebe und Güte Gottes kräftig wirken mögen und Sie den Ueberfluß des Reichthums Gottes in Christo Jesu, unserm ewigen Heiland, überkommen und zu schmecken kriegen; woraus, als aus der ewigen Quelle, Ihnen auch alle zeitliche Güter wirklich werden wiedergeschenket werden!"

Dringender aber werden die Ermahnungen in den späteren Jahren, und gern ergreift die alte fromme Tante jede Gelegenheit, irdischen Dingen eine geistliche Wendung zu geben. Sie dankt der Herzogin Caroline 1735 für ihren Neujahrsbrief und fährt dann fort: "Erbitte Ihnen von Gott den süßen Brunnen alles Heils, daß Er Sie zu Seiner allerinnigsten Erkenntniß und Gemeinschaft bringen wolle, zum Lobe Seiner Herrlichkeit: so wird alles Irdische auch bei Ihnen gesegnet sein, und Dero seligsten Frau Mutter, die ich so innigst geliebet habe, Wunsch und mein herzlichster Wunsch wird alsdann völlig erfüllet werden und in seiner Kraft gehen." - Die Herzogin wünschte die Schöninsel und Magdalenenlust bei Güstrow für sich zu erwerben und alle Interessenten abzufinden. Mit Freuden übernahm Augusta die Vermittelung. Als sie dann aber im October 1740 die letzten Verzichtleistungen übersendet, fügt sie hinzu: "Dieses ist (obzwar überaus schwach und unvollkommen) ein Bild der großen Liebe unsers so getreuen Heilandes, der unsere große Sündenschulden durch seine vollkommene und wichtige

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Bezahlung richtig gemacht hat. Es lieget nur daran, daß wir arme Menschen in der Ordnung der Buße oder eine[r] wahrhafte[n] Sinnesänderung und lebendigen Glauben, welches beides Gott in uns wirken und uns gerne schenken will, solch große Erlassung der Sünden annehmen wollen". - "Welche Wonne erfähret da die Seele! - Ach! ma très aimée nièce, bitten Sie Gott umb diese unaussprechliche Gnade doch in einem ernstlich anhaltenden Gebet und Flehen!" - - -. Und im nächsten Briefe spricht die Prinzessin laut ihre Freude darüber aus, daß ihre Nichte ihren "geistlichen Zuruf und Aufweckung mit liebreichem und aufmerksamem Gemüthe angenommen, auch erkennen lernen, wie das Wesen der Welt nichtes als Sünde und Verderben ist". - "Auch mir nichtes Erfreulichers von Gott widerfahren könnte, als ma très chère nèce in solchem heiligen und segensvollen Zustand zu Wissen. Der Herr will es nach Seinen herrlichen und vielen gethanen Verheißungen, wenn mein Engel nur Ihren Willen mit dazu geben wollen und die Verleugnung Ihrer selbst und Absagung allerdinge Ihnen nicht zu schwer dünken lassen." - "Treten Sie nur, ma chère, redlich und ohne Bedenken den schönen Kampf des Glaubens an; ich bin gewiß, in kurzer Zeit soll Ihr Mund vom Lobe Gottes überfließen."

In diesem Streben ließ die um das Seelenheil der Nichte so bekümmerte Tante nicht nach. In einem Briefe vom 17. Juni 1741 schreibt sie: "Zu der Brunnencur erwünsche Ew. Liebden allen göttlichen Segen. Der Brunnen des Lebendigen und Sehenden quille bei der äußerlichen Wassercur als das Wasser des Lebens in Dero Seele zur inneren Heilung und Erquickung und bereite Sie zu, dermaleins mit allen Gläubigen aus dem lauteren Strom, der aus dem Stuhle Gottes und des Lammes fließet, in der seligen Ewigkeit zu trinken!" - Als auf den Wunsch der Herzogin die Tante derselben eiserne Oefen verschrieben und zum Geschenk gemacht hat, fügt Augusta hinzu: "Mein Wunsch ist noch, daß ma chère nièce Herz von der Liebe Jesu bei der leiblichen Wärme der Oefens ganz durchhitzet und feurig gemacht werde, zur Verherrlichung des großen Gottes und unsers lieben Heilandes Jesu Christi!"

In diesem Tone spinnt sich der schriftliche Verkehr zwischen Tante und Nichte fort; die große gegenseitige Zuneigung, zunehmendes Verständniß erkennt man überall. Im Jahre 1742 besuchte die Herzogin ihre Tante und sprach derselben hernach aus, wie glücklich ihr diese Tage verflossen

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waren. "Sind mon aimable nièce hier zufrieden gewesen," antwortet darauf Augusta, "so können Sie auch versichert sein, daß mir Dero Hiersein nicht weniger höchst angenehm gewesen ist. Hätte ich, mein Engel, zur Erweckung im Geistlichen und Eindringen in der süßesten und allerseligsten Gemeinschaft des großen Heilandes und liebenswürdigsten Erlösers in etwas nur dienen können, würde ich die Tage und Stunden, die in Dero Gesellschaft zugebracht, höchst glückselig achten. Denn gewiß, ich liebe ma très aimée nièce und Dero Seelenwohl aufs Innigste. Was thut denn nicht der treue Heiland, der gar sein Leben für Ihnen dahin gegeben hat! O tausendmal mehr denn ich. Er liebet Sie mit ewiger Liebe und unergründeter Treue. Ma chère haben seine Liebesrührungen allhie an Ihrer Seelen empfunden, davon bin ich Zeugin. O lassen Sie dieselben nicht vergebens geschehen sein! Es ist der freundlichste Liebhaber der Seelen: geben Sie ihm, bei Leibe! und so lieb Ihnen die ewige Seligkeit ist, keine abschlägige Antwort, noch schieben [Sie] es auf ihm Ihr Jawort zu geben! Es ist nicht nur in ganz Suerin, sondern in der ganzen Welt nichtes so Preiswürdiges, das Ihnen die geringste Bedenkzeit geben könnte, alles das zu verlassen und diesem großen Könige Sich ganz zu übergeben. Keine Banden, keine Hindernisse, keine Schwürigkeiten sind so groß und schwer, er kann sie alle heben und überwinden, wenn man nur mit Gebet und Flehen zu ihm kömmt und nicht müde wird, bis er uns erhöret. Darumb, mein Engel, fassen Sie nur einen Muth zu dem lieben Heiland, überlassen Sich seiner Führung, so werden Sie mit Freuden und Lobsingen die Wunder des Herren auch an Sich sehen und erfahren."

Fortan scheint die Prinzessin wegen des Seelenheiles der Nichte beruhigter gewesen zu sein; und besonders glücklich machte es sie, als diese sie einmal um ihre herzliche Fürbitte ersuchte. Die Herzogin Caroline beschloß ihr durch fast beständige Kränklichkeit getrübtes Leben lange vor Augusta, im Jahre 1748. Bis an ihr Ende blieb sie mit dieser im Briefwechsel. -

Wir kehren nach dieser nur schon zu langen Abschweifung zum Prinzen Friedrich zurück. Nach dem, was wir oben aus seiner eigenen Aufzeichnung von seinem Entwicklungsgange gehört haben, darf man von vorne herein annehmen, daß seine Seele für die Einwirkung seiner glaubensstarken Großtante höchst empfänglich war, und er leicht auf die Interessen

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derselben einging. Wie innig sie ihn liebte, ist oben schon mehrfach hervorgetreten, und Friedrich war sein Lebelang gegen jedermann für alle ihm erwiesene Liebe und Treue sehr dankbar. Im Jahre 1734 sagte ihm freilich, wie wir schon sahen, ein dauernder Aufenthalt in Dargun noch nicht zu; aber die Dargunschen Streitigkeiten muß er, trotz seiner Jugend, mit großer Aufmerksamkeit und herzlicher Theilnahme für die Darguner verfolgt haben. Denn am 18. Juni 1737 schreibt an ihn die Prinzessin Augusta:

"Monsieur le prince, très cher petit-neveu et cher fils!

Daß Ew. Liebden wohl wieder zu Suerin angelanget sind, habe aus Dero werthen Schreiben erlesen. Wobei mir sehr angenehm zugleich ist, daß Dieselben von der göttlichen Wahrheit und was daneben hier in der Uebung nach derselben Wahrheit und Gottes Wort gemäß beobachtet wird, sind überführet worden. Denn es schon eine große Gnade ist, wenn man vor schädliche Vorurtheile sich suchet zu bewahren und auch denen Lästerungen nicht gleich trauet, sondern Alles zu prüfen und genau nachzufragen, wie die Dinge beschaffen sind, Gelegenheit und Zeit nimmt; sonsten man sich sehr hoch versündigen kann. Denn der Herr lässet sein Werk nicht zu Schanden werden, noch weniger aber seine Wahrheit und seine Ehre in die Länge verschmähen, lästern und kränken, wovon die Exempel in der Heiligen Schrift als in denen Kirchengeschichten gewaltig zeugen. Gott wird noch vor Ew. Liebden einen Segen vor Ihro Seelenheil aufbewahren, den Sie noch einmal finden werden, wenn Sie Gott von ganzen Herzen suchen werden; und giebet mir solches um so viel mehr hiezu eine zuverlässige Hoffnung, weil Sie in diesen Sachen so behutsam und bedächtig handeln. Denn ein unvorsichtiges Verfahren in göttlichen Dingen ziehet sonsten gerne ein Gericht nach sich und verhindert die Einwirkung der Gnade Gottes in der Seele, welche ich aber auf alle Art und Weise Ihnen, mon très aimé prince, herzlich erwünsche, als die ich mit Estime und Liebe jederzeit mich nennen werde Ew. Liebden ganz eigen ergebenste Großtante, Dienerin und Mutter Augusta, H. z. M."

Dieses Schreiben fällt also kurz vor Friedrichs Abreise nach Frankreich. Auch während seines Aufenthaltes im Auslande setzte der Prinz die Correspondenz mit der Großtante fort; doch liegen die Briefe selbst nicht vor. Natürlich begleitete sie ihn mit ihren kräftigsten Segenswünschen. Sie

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schreibt über ihren Liebling an dessen Vater im Juli 1738, daß Gott "Seine Schutz= und Bewahrungshand über Ew. Liebden ältesten Prinzen ausstrecken wolle und denselben regieren, leiten und führen nach Seinem Wohlgefallen!" Theilnehmend bedauert sie in einem andern Briefe, daß Friedrich wegen der Krankheit des Herrn von Nitzschwitz in vielen Sorgen gestanden habe. Und so wenig befürchtete sie, die Reise könnte Friedrichs Seelenheil gefährden, daß sie ihm gern noch einen längeren Aufenthalt in der Fremde gegönnt hätte. Dann folgten die Jahre, in denen der Prinz nach seinem oben mitgetheilten Bekenntnisse sich mehr dem weltlichen Sinne hingab. Entscheidend aber ward für ihn ein Aufenthalt bei der Tante zu Ende des Jahres 1742. Die Prinzessin hatte ihn zum Weihnachtsfest nach Dargun eingeladen; der Besuch verlängerte sich aber, da der Prinz an einem Fieber erkrankte, bis in die Mitte des Januars hinein. Am 10. Januar 1743 meldet Augusta in ihrer schönen Neujahrsgratulation dem Herzog Christian Ludwig: "Der Herr - ist an keinen Ort und Zeit gebunden; sondern wo Er eine begierige, nach Ihm, dem höchsten Gut, verlangende Seele findet, an derselben beweiset Er Seine Gnade und Wundertreue. Wie denn Ew. Liebden eine ganz theure Probe der Allmacht Gottes an Dero lieben und werthen ältesten Prinzen erfahren haben. Ich war mir dieses nicht vermuthen, daß die Liebeshand Gottes denselben schon ergriffen hätte. Ew. Liebden können hieraus mit Nachdruck sehen und erkennen lernen, daß der Weg der wahren Bekehrung und des Glaubens der richtige Weg sei." - -

Wie richtig die Prinzessin Friedrich beurtheilte, ergiebt sich aus dessen eigenem Neujahrswunsche an den Vater vom 31. Dec. 1742, dessen Inhalt von allen seinen früheren Briefen völlig abweichend also lautet:

"Durch diese devote Zeilen bezeuge Ew. Gnaden meinen allerunterthänigsten Respect und gratulire devotest zu diesem abermaligen Jahreswechsel, indem von Herzen submissest wünsche, es möge dieses Jahr nicht nur neu im Glücke, sondern hauptsächlich neu in der göttlichen Gnade an Dero mir werthen Seelen sein, daß der allein allmächtige Gott Denenselben die gewisse Vergewisserung der Vergebung der Sünden, so da durch Betrachtung unsers Lebens und Erkenntniß unser selbst entstehet und uns fähig macht auch den allerschleunigsten Tod nicht zu achten und eine wahre Ruhe, Zufriedenheit und Vergnügen deutlich in uns wirket,

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schenken oder erhalten und beständig vermehren wolle. Dieses ist mein unterthänigster Wunsch aus recht aufrichtigem Herzen, und da herum gedacht, habe nichts Besseres zu finden gewußt. Denn die Gottseligkeit hat nicht nur die Verheißung dieses, sondern auch des zukünftigen Lebens; zudem da es wahrhaftig an meiner Seelen durch die große Barmherzigkeit meines großen Erlösers und einigen Mittlers, meines Herrn und Heilandes Jesu Christi, gefunden, was das heiße, so dieser Gottmensch beim Evangelisten saget: Was hülf' es dem Menschen, wann er die ganze Welt gewünne, und nähme doch Schaden an seiner Seelen! Da nun Ew. Gnaden natürlicher Weise das Allerbeste gönne, so habe Selbigen auch das Allerbeste wünschen wollen. Die Herzogin von Bützow" [Sophie Charlotte von Hessen, Wittwe Herzog Friedrich Wilhelms von Meckl.=Schwerin] "und die Prinzeß Augusta habe gesund und wohl angetroffen. Die Prinzeß bezeugten mir, daß Sie gerne sähen, wann die Jürgensdorfer Sache recht untersuchet würde. Gestern war ein preußischer Officier hier, der auch ein rechter, guter Christ war (so viel von ihm gehöret und selber merken können); welches mich recht gefreuet, daß doch noch hier und da ohngeachtet des verderbten Christenthums rechtschaffene Fromme sind. Ich bitte mich übrigens zu diesem neuen Jahre Dero beständige hohe Gnade unterthänigst aus, nachdeme für die viele mir im alten erzeigte nochmals allerunterthänigsten Dank erstatte, mit devotester Versicherung, Zeit meines Lebens mit aller ersinnlichen kindlichen Veneration, mit dem tiefstem Respect zu sein Ew. Gnaden ganz unterthänigst gehorsamster Sohn u. Diener

Friedrich, H. z. M.             

Dargun, den 31. Dec. 1742."

Natürlich war von jetzt an Friedrich dem Herzen der Großtante noch um so teurer; und es gab fortan nichts für ihn irgend Wichtiges, an dem sie nicht mit Rath und That den lebhaftesten Antheil genommen hätte. Wir werden davon weiter unten bei seiner Vermählungssache ein Beispiel anzuführen haben. Am meisten jedoch kümmerte sie sich allerdings um sein Seelenheil. Nach seiner Rückkehr aus Dargun blieben sie in einem regen Briefwechsel, aus dem es vergönnt sein möge wenigstens einen Brief der Prinzessin hier herauszuheben:

"Endlich übersende Ew. Liebden die Ihnen versprochenen Bücher; dabei zugleich Gelegenheit nehme mon cher prince zu bitten aus herzlichem und gläubigen Wohlmeinen, ja

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nicht matt zu werden in denen äußerlichen Nachstellungen der Welt und des Fürstens der Welt, der sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens, wie die Heil. Schrift davon zeuget, es sei in was vor Leiden und Umständen es sei. Das ist das Geschick und dasjenige, was zum Beruf der Christen gehört, und zugleich das Kennzeichen, daß wir unserm Haupt und Heiland angehören und in der rechten Gnade stehen. Wäre das nicht, so würden Welt und Teufel uns wohl zufrieden lassen, ja gar uns noch dazu lieben und loben; aber nun merken sie, daß der Herr Jesus und sein Geist durch den Glauben in uns wohnen und Gemeinschaft mit uns haben. Darum werden wir von dem Satan und seiner lieben Braut, der Welt, gehasset. O! ein seliger Haß! Wir hassen sie auch wieder im rechten Ernst; das beweisen wir und müssen auch beweisen, daß wir uns von ihnen absondern. - - Der Herr halte Seine Hand über Sie, erleuchte Sie durch das Licht Seines Wortes und Heil. Geistes, darnach Sie alle Dinge und Vorkommungen prüfen können, solche zu thun und zu lassen nach Seinem über Alles gehenden Willen! Der behüte Sie wie einen Augapfel im Auge und beschütze Sie unter Seine mächtige Flügel! O! bei dem Herrn ist gut sein im Glauben, Leben, Leiden und Sterben, bei dem lieben Heiland haben wir keinen Mangel in Zeit und Ewigkeit. Der Herr segne Ew. Liebden und das ganze dortige Häuflein der Gläubigen! Er vermehre dasslbe täglich wider alles Toben und Wüthen Dero Widerwärtigen! Denn unter Trübsalen wächset das Reich Gottes am stärksten. Wir beten hier fleißig vor Ihnen, Sie werden desgleichen vor uns auch thun. Wer ist denn, der verbundenen Geistern kann wehren? Ueberdem ist Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Dargun, den 4. März 1743."

So lieb es uns nun sein würde zu erfahren, welche Personen in Friedrichs Umgebung zu dem "Häuflein der Gläubigen", von welchem die Prinzessin schreibt, gehörten, so wenig sind wir im Stande sie namhaft zu machen, bis auf den Kammerjunker von Both, denselben, der früher als Page dem Prinzen nach Frankreich gefolgt war, und den Hofprediger Menckel vielleicht, obwohl dieser nicht unbedingt den Darguner Predigern beistimmen mochte. Friedrichs Hauptgegner aber lernen wir bald hernach genauer kennen, es war der Oberhauptmann Johann Christian von Klein und wohl auch dessen Bruder, der Canzleirath Christoph Heinrich von Klein, die Söhne des ver=

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storbenen Canzlers, von denen besonders der Oberhauptmann, wie die Stände zu ihrem Bedauern wahrzunehmen glaubten, bei dem Herzog Christian Ludwig sehr einflußreich war. Ein gewisser Gegensatz der Meinungen stellte sich mehr und mehr im Schlosse zu Schwerin heraus, und Friedrich sehnte sich wohl mehr nach einer selbständigeren, unabhängigeren Lage, um sein äußeres Leben ganz seinem religiösen Leben und Bedürfniß anpassen zu können, während seine Gegner, und auch sein Vater selbst, davon eine völlige Abkehr von der Welt bei dem Prinzen befürchteten. Es scheint ein Mißverständniß obgewaltet zu haben. Denn wenn Friedrich auch der Lust der Welt entsagte, wenn er sich jetzt gern von Vergnügungen des Hofes fernhielt, in denen er eine Gefahr für sein Seelenheil befürchtete, wenn er Comödien vermied oder, obwohl ein vorzüglicher Tänzer und früher eitel auf diese Geschicklichkeit, sich dem Tanze entzog und lieber auf der Jagd war oder als großer Pferdeliebhaber am Reiten Freude fand: so zeigte er dadurch freilich, daß er des Vaters Geschmack nicht theilte und an der herrschenden Hofsitte kein Wohlgefallen empfand; aber er war doch weit entfernt, sich den Pflichten gegen die Welt zu entziehen, und bei seiner genauen Ordnung in allen Dingen, und namentlich in der Benutzung seiner Zeit, hielten ihn seine Andachtsübungen und theologischen, oder genauer gesagt biblischen, Studien keineswegs ab, sich genügend um die Staatsgeschäfte zu bemühen. Er war, wie man aus vielen gelegentlichen Aeußerungen abnehmen kann, der sichern Ueberzeugung, daß aus dem Glaubensleben und dem Gebete die rechte Kraft und Weisheit zu allen weltlichen Geschäften flösse. Der Vater verstand ihn ohne Zweifel nicht ganz, und daher sah er es wohl nicht eben gern, daß Friedrich den persönlichen Verkehr mit Dargun pflegte. Als ihn im Herbst 1743 die Prinzessin Augusta bat, seinem ältesten Prinzen einen Besuch bei ihr zu gestatten, fand sie freilich bei dem Herzoge keinen Abschlag; aber sie äußert sich nachher doch etwas verletzt darüber, daß Christian Ludwig diesen Besuch auf eine so kurze Zeit beschränkt habe.

Wie glücklich aber den Prinzen Friedrich dieser, wenn auch kurze, Besuch machte, ersieht man aus seinem Briefe an den Hofmeister Claus Josias von Behr zu Rostock "Ich bin nun neulich", schreibt er, "wieder in Dargun gewesen, und möchte gewißlich nichts nicht mit Mehreres wünschen, als daß Derselbe sich mal die Mühe geben möchte dorthin zu reisen - -. Es sind lauter Lügen, was von

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denen Leuten ausgesprenget wird. Es sind (kann ich Selben versichern) rechte, thätige Christen, die aber das Christenthum und das Predigtamt nicht als ein Gewerbe, sondern wahre, reelle Sache ansehen und im Predigen nicht die Zeit hinzubringen gedenken, sondern im Geiste und der Kraft predigen, welche sich genung an denen Rührungen des Gewissens beweiset; welcher Segen bei den gottlosen Predigern nicht zu finden, weil ihre Worte aus der Kraft des Geistes Gottes kommen sollen, der (außer so sie Worte der Heiligen Schrift anführen) nicht in ihnen ist." - - "Wann ich aber die Beredsamkeit und guten Anstand für Amtsgaben rechnen wollte, so hätten die Comödianten in Paris die besten Amtsgaben. Die rechten Amtsgaben aber bestehen, wann der allmächtige Herr Himmels und der Erden einem seiner Kinder (nicht des Teufels Kindern), das zum Prediger berufen worden, Gnade giebt, [daß es] das, was es an seiner eigenen Seele erfahren, Anderen deutlich fürstellen kann, welches dann Worte des Heil. Geistes sind, mit denen Seine Kraft vermenget, die er in denen Seelen der Hörer arbeiten lässet, zu welchen dieses Kind des Herrn ist als der Griffel eines guten Schreibers. Die aber durch Gelehrsamkeit zusammengetriebene Reden sind nur Menschenworte, die Einem wohl gefallen, aber weiter in der Seele nichts würken, weil es auch nicht Seine, des Heiligen Geistes, Worte sind." - -

Wir haben hernach zu erzählen, daß um diese Zeit die Unterhandlungen über Friedrichs Verlobung begannen; aber wie nichts Anderes, so hielt ihn auch dieses Vorhaben nicht ab von täglicher, strenger Selbstbetrachtung. Seine Briefe werden uns hernach zeigen, wie er diese Angelegenheit der Vermählung auffaßte; wir können uns aber nicht versagen, aus seinem Tagebuche des Jahres 1744, also aus derselben Zeit, in welcher er die oben an der Spitze dieses Capitels mitgetheilte Betrachtung über seinen Lebensgang niederschrieb, einige Aufzeichnungen auszuziehen, die uns zeigen, wie in seiner Seele die Zweifel über seinen Gnadenstand und die frohe Ueberzeugung von demselben mit einander kämpften, und wie er in stetem Gebete, in der Bibel, im Gesangbuche und in des Grafen Henckels Schatzkästlein ) Trost und Muth zum Siege suchte und fand.

4. März: "Da wegen Trost etwas bange war, fand "1. B. Mosis C. 49, V. 7. 8."


) Dies Büchlein befindet sich noch in der Bibliothek zu Ludwigslust. Es ist sehr abgenutzt.
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15. März: "Da wieder wegen meiner sehr vielen Mängel und Gebrechen im Christenthum in großen Sorgen war, hernach auch wegen meiner H. [Heirath], fand Graf Henckels "SK. p. 160."

19. März: "Heute Morgen, da mir die Barmherzigkeit Gottes wieder in meinem Begriffe so entfernt schien, fand Gr. H. SK. 146. 113. Ich habe heute wiederum eingesehen, da eine Zeit her über meine Schwachheit gebetet, daß ich das Lob Gottes vergessen, da wir doch Millionen Zeichen von täglich haben. Und bei dem Loben erlangen wir mehr Kräfte als mit beständigen Klagen; wir erinnern uns Seiner vorigen Hülfe. Sein Name sei ewig gepriesen!"

23. März: "Da wegen mich selbst besorget war und betete, Gott möchte doch nicht verlassen, die sich auf ihn verließen, fand Jesaiä C. 40, 41 - -."

24. März: "Da Gott in Angst der Seelen um Rettung bat, weil mich der Teufel abermals eine Wunde beigebracht, wie ich das "Wachet und betet!" nicht in Acht genommen, fand ich p. 160 - -."

28. März: "Da den Herren heute wieder bat, zur Stärkung meines Glaubens mir doch wieder einen Spruch zu schenken, fand G. Henck. SK. p. 134."

Diese Betrachtungen setzten sich auch fort, nachdem Prinz Friedrich das Jawort von seiner Braut erlangt hatte. Z. B. schreibt er am 12. Juni: "Heute ist mir recht klar worden, wie man sich aller Gelegenheit zum Bösen (in welche unser Beruf nicht hineinziehet) auf das Allersorgfältigste entziehen muß, weil wir anders Gottes Allmacht versuchen und selten ohne Schaden davon kommen."

10. Juli: "War diesen Morgen wieder besorget (da ich gestern vom Teufel übervortheilet worden und bei Gott doch schon gestern Vergebung empfangen), ich dürfte wegen des Gestrigen wohl nicht mich mit Freudigkeit für Gottes Thron stellen, als wann nicht Christi Verdienst, nach herzlicher Bereuung, gleich alle Ungnade des Vaters wegnähme!"

Am 19. October merkte der Prinz sich an: "Diesen Abend von Güstrow. Und da mit Bothen gebetet hatte und ich (durch die Barmherzigkeit des Vaters der Barmherzigkeit, meines allerliebsten Gottes) gut gläubete, fand K. B. S. G. p. 12 u. 13. Heute ward mir auch so ganz klar, daß wir nur recht ungescheuet ein beständiges, großes Vertrauen zu Gott haben müssen mit kindlicher Liebe." - Aber diese gehobene Stimmung war doch nicht von Dauer. Schon 2 Tage hernach ertappte der Prinz sich darauf, daß

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er nicht wachte, sondern "ans Weltliche mehr dachte"; und auch am folgenden Tage stärkte er sich, da er "in dieselben Umstände wieder gerathen" war und bei sich "so viel Böses gewahr ward", aus dem Schatzkästlein und dem Gesangbuche. - Am 17. November mußte er, obwohl er an diesem Tage communicirt hatte, wiederum im Schatzkästlein Trost suchen, "da mir", schreibt er, "der Articul der Vergebung der Sünden eines so elenden, bösen Menschen, wie ich bin, vom Teufel wieder verdächtig gemacht werden wollte. - - Weil dieses schrieb, ward mir so lebendig (durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes), daß Christi Fürsprache kräftiger ist denn des Teufels Klage." - Denselben Kampf kann man bis zum Ende des Jahres deutlich in dem Tagebuche verfolgen.

Zu Anfang des nächsten Jahres vernahm Friedrich eine sehr kräftige und wohlwollende Stimme, die ihn wohl zur Prüfung auffordern konnte, ob die Grundlage seiner Selbstbetrachtung überall gesund und rein evangelisch sei. In einer ruhigen Stunde hatte er seiner Stiefgroßmutter, des Herzogs Adolf Friedrich I. von Strelitz Wittwe, Christiane Emilie Antonie, geb. Gräfin von Schwarzburg=Sondershausen, mit welcher er seit Langem in einem vertrauten Briefwechsel stand, geschrieben, daß er durch die Erneuerung seines gebrochenen Taufbundes jetzt gewiß wisse, daß er selig werde, und deshalb ruhiger sei als jemals. Die Großmutter aber, welche aus mehreren Briefen, die er ihr im Jahre 1744 geschrieben hatte, wohl nur zu gut seinen innern Zustand kannte, benutzte diese Gelegenheit, ihrem Enkel in einem Antwortschreiben, das fast 4 Bogen füllt, in sehr liebevoller, aber auch sehr bestimmter und klarer Sprache, die Gefahren zu entwickeln, in denen er sich befand, und ihn vor pietistischen Irrthümern zu warnen. Mit wissenschaftlicher Ausführlichkeit stellt die alte würdige Herzogin ihm aus der Heilslehre die Artikel von der Rechtfertigung und der Heiligung hin; sie macht ihn aufmerksam, daß er in seinem Bußkampfe zu gesetzlichem Werke zurückkehre, das trostreiche Evangelium vergesse, daß er auf diesem Wege in Verzweiflung gerathen müsse, da er seine Ruhe nicht in der einzigen Ruhestätte, in Jesu Verdienst, suche. Wiederholt fordert die Herzogin den jungen Fürsten auf, ihr nähere Aufschlüsse über seinen Seelenzustand zu geben; sie sucht ihn offenbar zu einer ausführlichen Discussion heranzuziehen.

Ob aber Friedrich auf solche Erörterungen eingegangen ist, bleibt bei der Lückenhaftigkeit der uns vorliegenden fürst=

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lichen Correspondenzen zweifelhaft. Gewiß ist, daß er allmählich zu immer größerer Klarheit, Ruhe und Selbstbeherrschung durchdrang, daß er aber nicht abließ von fleißigem Gebete und von gewissenhafter, täglicher Selbstprüfung. Wir werden auf diesen Punkt noch wiederholt zurückkommen müssen. Mit seiner Großtante Augusta blieb er auch fortan in lebhaftem Verkehr, ihre Briefe zeugen von der engsten und erbaulichsten Glaubensgemeinschaft.


Viertes Kapitel.

Friedrichs Vermählung.

Aus Friedrichs Briefen und Tagebüchern ist bereits erzählt, daß sein Vater ihn vornehmlich deshalb nach England sandte, weil er den Wunsch hegte, sein Thronerbe möge sich eine Gemahlin aus dem englischen Königshause wählen, daß der Prinz aber dazu keine sonderliche Neigung in sich verspürte. Wie am englischen Hofe, so war man diesem hernach auch in Berlin äußerst freundlich entgegengekommen, und Andeutungen, daß man auch dort zu einer Verschwägerung mit dem meklenburgischen Fürstenhause recht geneigt sei, sind ihm damals gemacht, ja wahrscheinlich ist von der Markgräfin Albrecht schon damals seine Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Prinzessin hingeleitet worden. Aber wir kennen Friedrichs Abneigung gegen das Militärwesen; der Gedanke, daß eine nähere Verbindung mit dem preußischen Königshause ohne den Eintritt in die preußische Armee - wenigstens so lange der König Friedrich Wilhelm I. lebte - unmöglich erschien, verleidete ihm schon die ganze Aussicht auf eine preußische Gemahlin.

Dies Bedenken ward nun freilich schon ein Jahr hernach (1740) durch den Tod des alten Königs gehoben. Aber der meklenburgische Prinz Friedrich war bei seinem Aufenthalte in Berlin, wie oben erzählt ist, zu dem damaligen preußischen Kronprinzen noch in keine nähere Beziehung getreten; sie hatten auch gewiß nicht viel Sympathisches, und Friedrich von Preußen sah ziemlich stolz auf seine kleineren deutschen Mitfürsten herab. Die Aufgabe nun dem jungen König gegenüber die richtige Stellung einzunehmen, war für den Herzog Christian Ludwig gewiß keine leichte. Denn wenn es unter allen Verhältnissen geboten gewesen wäre auf den

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mächtigen Nachbar gebührende Rücksicht zu nehmen, so hatte Christian Ludwig in seiner schwierigen Lage als kaiserlicher Commissarius bereits erprobt, wie viel die Gunst des preußischen Hofes ihm bei der Vorliebe des Reichshofraths für die Ritterschaft werth war; und überdies waren ja immer noch die 4 Aemter Eldena, Marnitz, Plau und Wredenhagen im preußischen Pfandbesitz für die ungebeten geleistete Commissionshülfe, und in Parchim lag ein preußisches Husarenregiment. Aber andererseits verwandelte der König Friedrich die gute Meinung und die Hoffnungen, welche man ihm bei seiner Thronbesteigung auch von Meklenburg aus entgegentrug, schnell ins Gegentheil. Denn nicht allein sein Vorgehen gegen Oesterreich in Schlesien machte alle Welt stutzig, sondern Meklenburg, das unter dem Könige Friedrich Wilhelm I. von Preußen so schwer von dessen gewaltsamer Werbung zu leiden gehabt hatte, sah sich in seiner Hoffnung, von dieser Landplage befreiet zu werden, auch völlig getäuscht. Schon im Jahre 1740 ward scharf geworben, und nach dem ersten schlesischen Kriege überstieg die preußische Werbung alle Vorstellung; Meklenburg war über diese Vergewaltigung sehr entrüstet.

Sollte der Herzog Christian Ludwig unter diesen Umständen eine Verschwägerung mit dem Könige Friedrich suchen? War von solcher eine Abhülfe dieser Leiden zu hoffen? Oder war nur noch eine größere Abhängigkeit von ihm zu fürchten? Ohne Zweifel suchte man von preußischer Seite den Herzog=Commissarius und sein Haus an Preußen zu fesseln. Kaum hatte der jüngere Prinz von Meklenburg=Schwerin, Ludwig, gegen den preußischen Major von Königsmark auf Tangrim (bei Gnoien), einen der schlimmsten preußischen Werbeagenten, den Wunsch geäußert, er möchte wohl der preußischen Armee angehören, da ließ auch schon der König Friedrich dem Herzog Christian Ludwig melden, wie angenehm ihm der Eintritt dieses Prinzen in seinen Dienst sein würde; und alsbald verbreitete sich in Meklenburg im Frühling 1743 das Gerücht, der Herzog=Commissarius gehe damit um, seinen ältesten Prinzen mit einer königlichen Prinzessin zu vermählen.

Natürlich gelangte solches auch zu den Ohren der Tante in Dargun; und man kann denken, welchen Antheil sie an einem für ihren Liebling so bedeutsamen Vorhaben nahm. Hatte Christian Ludwig früher mit ihr über politische Angelegenheiten bisweilen, und über des Prinzen Friedrich Privatangelegenheiten, seine Erziehung und seine Reisepläne ausführlich correspondirt, so glaubte sie auch jetzt ihre

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Stimme nicht zurückhalten zu dürfen. Ihre Abneigung gegen König Friedrich II. kannte Christian Ludwig schon; unter dem 26. Febr. 1743 schrieb ihm nun aber Augusta folgenden Brief:

"Monsieur le Duc, mon très cher neveu!

Ew. Liebden wissen, daß vor Dero, sowohl geist= als leibliches, wahres Wohlergehen aufrichtig portiret bin, und folglich auch Dero ganzem fürstlichen Hause. Nun erfahre aus dem gemeinen Gerücht, als wenn Ew. Liebden etwan geneigt sein möchten, aus einem königlichen Hause Dero ältesten Prinzen Liebden eine Gemahlin zu suchen. Daher nicht umbhin kann, Ew. Liebden aus wohlgemeintem Gemüthe vorzustellen, ob Dero Haus damit geholfen sei. Dann von vielen vernünftigen Leuten von je her gehöret, daß keinem fürstlichen Hause zu rathen wäre, daß sie königliche Prinzessinnen heiratheten, weil der Gehalt von selbigen, weil sie königlich eingerichtet sein sollten, überaus dem Hause und Lande onereuse sein würden; zu geschweigen, was bei itziger Art zu leben königliche Personen vor eine besondere hautaine manière hätten, die im äußerlichen Umbgange denen Schwiegereltern sehr kostbar wäre. Ueberdem allen aber, wenn Ew. Liebden auf ein nahe benachbartes königliches Haus reflectiren sollten, so gebe Ihnen vernünftig zu überlegen anheimb, ob solches diesem Hause zuträglich oder avantageuse sein könnte, indem Ew. Liebden Sich dadurch einer schon längst gesuchte[n] Dependance der [ge]stalt unterwürfig machen würden, daß Sie nicht capable sein werden [Etwas] vorzunehmen ohne dessen Willen und Wohlgefallen, welches doch vor einen Reichsfürsten sehr nachtheilig und unangenehm ausfallen müßte. Mir sind die Umbstände und Humeurs von dem Hause wohl bekannt, indem mein Bruder sel. leider die Probe davon hat machen müssen, darüber er seine Lebenszeit mit vielen Chagrin abgekürzet hat, welches hernach sehr bereuet ward, aber zu spät war 1 ). Ich weiß, daß Ew. Liebden Dero Prinzen lieben, und ich liebe ihn auch, dahero ihm solches nicht gönnete. Die Begierde Länder zu erwerben ist sehr groß; dieses wäre auf alle Art eine bequeme Gelegenheit die Sache zu beschleunigen.


1) Der Erbprinz Carl von Mekl.=Güstrow hatte sich am 10. Aug. 1687 vermählt mit Marie Amelie, Tochter des großen Kurfürsten. Er starb am 15. März 1688; seine Wittwe ging am 25. Juni 1689 eine neue Ehe ein mit dem Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen=Zeitz, ward am 14. Nov. 1718 abermals Wittwe und starb am 17. Nov. 1739.
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Ich schreibe dieses nicht aus meiner Klugheit, sondern aus der oben angeführten Erfahrung. Wie nun Ew. Liebden hieraus erkennen werden, daß ich aus wahrer Liebe und Probité dieses an Ihnen schreibe, also werden Dieselben auch solches bei Sich insgeheimb behalten und Dero Reflexions und Ueberlegung darüber machen, da Sie es mit göttlicher Hülfe nicht ungegründet zu sein befinden werden. Der Herr walte über Ew. Liebden mit Seiner Gnade und gebe Ihnen auch in dieser wichtigen Sache zu erkennen Seinen Willen! Die ich mit allem Egard bin Ew. Liebden dienstwilligste, ergebenste Muhme u. Dienerin

Augusta, H. z. M."             

Der Herzog dankte nun freilich der wohlgesinnten Tante für den guten Rath, versprach auch die Sache reiflich zu überlegen und, "ohne sonderbare Avantage zu sehen", sich "zu nichts zu resolviren". Er meldete ihr aber zugleich das Anerbieten des Königs von Preußen wegen des Prinzen Ludwig und seine eigene bereits ertheilte Einwilligung zum Eintritt desselben in das preußische Heer. Dies beunruhigte aber Augusta aufs Neue; sie antwortete also, ohne sich lange zu besinnen, schon nach 2 Tagen, am 13. März (1743):

"Monsieur le Duc, mon très cher neveu!

Ew. Liebden erhaltenes Antwortschreiben, welches mit vorgestriger Post eingelaufen, giebet mir die Versicherung, daß Sie von meiner aufrichtigen Vorstellung zufrieden sind. Wenigstens habe solches nach meiner würklichen Erfahrung und Gewissen nicht verschweigen sollen, noch können. Gott kann große Dinge thun, wer ihn nur rechtschaffen fürchtet; denn ohne ihn ist alle menschliche Hülfe nichts und vergebens, und gereicht vielmehr zum Fall und Unglück. Vor Ew. Liebden mir zu ertheilenden Nachricht wegen Dero jüngsten Prinzen erstatte hiedurch meine Danksagung. Es ist ja allerdings bei allen fürstlichen Häusern gebräuchlich, und auch billig, die Jüngsten in der Familie bei Kriegesdiensten employiren zu lassen. Allein, wenn es Ew. Liebden mir nicht übel deuten wollen, so muß ich Ihnen bekennen, daß mich diese Zeitung nicht wenig frappiret hat, indem EW. Liebden den Prinz Ludewig an solchen Ort exponiren wollen, woselbst man Alles versuchet, des hiesigen Landes sich auf alle Art zuzueignen, und gerne eine Gelegenheit ergreifet, dadurch die Anzahl der männlichen Descendenten kann verringert werden, umb desto eher zu seinem Zweck zu gelangen. Dänemark würde gerne denselben auf=

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und angenommen haben, in Ansehung unseres Hauses 1 ), welches ohne Gefahr gewesen wäre. Ew. Liebden müssen mir meine hierunter führende Franchise zu gute halten; es gehet mir nahe, daß ich sehen muß des Hauses Untergang und Verderben, und niemand achtet darauf! Der Herr wird dennoch auf mancher rechtschaffenen Seelen Gebet sehen, und noch Barmherzigkeit erzeigen, dem ich Ew. Liebden in seine Gnade will empfohlen haben - -."

Diese Angelegenheit des Prinzen Ludwig hätte sich nun aber, wenn es auch der Vater, der jene Befürchtungen der Tante keineswegs theilte, gewollt hätte, nicht wohl mehr rückgängig machen lassen. Sie nahm leider einen sehr unerwünschten Verlauf, jedoch nicht den, welchen die besorgte Großtante vermuthet hatte. Prinz Ludwig ward im Sommer 1743 mit Friedrichs ehemaligem Hofmeister, dem nunmehrigen Hof=Marschall von Nitzschwitz, nach Berlin gesandt und gegen den Herbst zu Potsdam dem Regimente Prinz Heinrich aggregirt, um unter der Leitung des trefflichen alten Obersten von Polentz den Dienst zu lernen und dann ein Regiment zu erhalten. Er trat, wiewohl er erst 18 Jahre zählte, mit dem Range eines Oberstlieutenants ein; man beabsichtigte, indem man ihm diese hohe Charge verlieh, ihn dadurch dem Verkehr mit den jungen Potsdamer Officieren, die für allzu lustig galten, zu entziehen. Aber so gutwillig der junge Prinz sonst war, wenn man keine großen Anforderungen an seinen Fleiß stellte, so leichten Temperaments zeigte er sich. Er hatte wenig Lust, seine sehr mangelhafte Ausbildung im Französischen und in der Mathematik zu vervollkommnen; lieber nahm er an den Vergnügungen seiner Altersgenossen Theil, und befand sich überhaupt in dieser ihm ganz neuen Umgebung in einer merkwürdigen Aufregung. Dem Könige gefiel seine Munterkeit; aber die Generale an der königlichen Tafel vermißten bei dem 18jährigen Jüngling noch die für einen höheren Officier nöthige ernste Haltung. Da der Umgang des Sohnes in Potsdam nicht ohne Gefahr zu sein schien, der Aufenthalt daselbst auch sehr kostbar ward, so sah sich der Herzog Christian Ludwig veranlaßt, den Prinzen Ludwig schon Ostern 1744 unter dem Vorwande eines einjährigen Urlaubs ganz aus dem preußischen Dienste zurückzunehmen.

Auf Friedrichs Vermählungsangelegenheit hatte das preußische Engagement des Bruders übrigens keinen nach=


1) Augustens Schwester Louise († am 15. März 1721) war mit dem König Friedrich IV. von Dänemark vermählt gewesen.
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theiligen Einfluß, sondern hat dieselbe, wie sich bald zeigen wird, sogar gefördert. Die Warnung der Prinzessin Augusta oder die Abneigung des Prinzen Friedrich gegen Preußen mag aber bewirkt haben, daß der Herzog Christian Ludwig seine Blicke nach Dänemark hinüber warf. Wenigstens ward im August 1743 der nunmehrige Justizrath Weißensee nach Kopenhagen entsandt, um dort in aller Stille das Terrain zu recognosciren, ob man an eine Verschwägerung mit dem dänischen Königshause denken dürfe. Es handelte sich wohl um Louise, die Tochter König Christians VI., welche sich 1749 mit dem Herzoge Ernst Friedrich Karl von Sachsen=Hildburghausen vermählt hat und schon 1756 verstorben ist. Sei es nun aber, daß Weißensee überall zu dieser Aufgabe nicht das rechte Geschick hatte, oder daß seine Unternehmung in eine zu ungünstige Zeit fiel, indem man in Kopenhagen zu einem Kriege gegen Schweden rüstete und die bevorstehende Vermählung des Kronprinzen mit der englischen Prinzessin Louise (derselben, die Friedrich einst recht hübsch, aber gar zu klein erschienen war) die Gemüther zu sehr beschäftigte: Weißensee kam unverrichteter Sache nach Schwerin zurück, und an das dänische Heiraths=Project ward nicht weiter gedacht.

Eine Weile ward auch ein anderer Plan in Schwerin nicht wieder aufgenommen, und die Sache hatte in der That auch ihre sehr große Schwierigkeit. Denn bei der damaligen Lage des meklenburgischen Fürstenhauses war gar nicht abzusehen, woher der Herzog=Commissarius die Mittel zu einem standesmäßigen Unterhalte eines vermählten Prinzen nehmen wollte. An eine Aussöhnung des regierenden Herzogs Carl Leopold mit den Ständen war nicht zu denken, ebenso wenig an eine Aussöhnung desselben mit seinem Bruder, dessen Verwaltung der regierende Herr bei jeder Gelegenheit als ein "abominables Verbrechen" und dergl. mehr bezeichnete, und von dem er überall keine Briefe annahm, dem er nicht einmal für seine Person eine Apanage zugestand.

Aber während somit alle Aussicht für Friedrich auf die Lebenszeit seines Oheims verschwunden zu sein schien, ward im Stillen seine Vermählungssache schon aufs Lebhafteste betrieben, freilich von einer Seite her, die ganz außer der Berechnung lag, und auf einem Wege, der, wie ein Zeitgenosse sich äußert, ohne Beispiel war.

Der Prinz Friedrich war wegen seiner angenehmen Persönlichkeit im Lande sehr beliebt, man setzte große Hoffnungen auf ihn, besonders auch in ständischen Kreisen, wo man

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des Herzogs Christian Ludwig Hinneigung zu Preußen ungern sah und die von Klein, welchen man solche beimaß, unbeliebt waren. Man nannte hier Friedrich wohl gelegentlich den "Landes=Prinzen". Hierauf bauete ein großer Verehrer desselben, der schon erwähnte alte Hofmeister Claus Josias von Behr zu Rostock (der sich von allen Geschäften freigemacht und sich von seinen genealogisch=geschichtlichen Studien auf theologische Bücher zurückgezogen hatte), als er aus eigenem Antriebe in einem Schreiben vom 21. Juli 1743 den bekannten damaligen Landrath von Negendanck auf Zierow aufforderte, sich der Vermählungssache des "frommen, tugendhaften und mit vielen fürstlichen Qualitäten begabten Herrn" anzunehmen. Behr führt dem Landrath zu Gemüthe, wie viel das Land seinem Fürstenhause verdanke, daß ferner in andern Ländern die Landstände immer rechtzeitig für die Vermählung der Prinzen strebten, daß die meklenburgischen Stände in gleicher Weise für die Blüthe und Erhaltung des Fürstenhauses Sorge tragen müßten, daß aber, wenn den zweiten Prinzen, Ludwig, "ein unvermuthetes Unglück (welches nach dem von demselben genommenen Engagement nicht unmöglich ist) treffen möchte", die Hoffnung die schwerinsche Linie zu erhalten (und damit "das Aequilibrium, da eine fürstliche Linie der andern immer die Wage halte") also vornehmlich auf dem Prinzen Friedrich beruhe. Der Landrath, so wünscht es Behr, sollte nun die Sache auf dem nächsten Landtage zur Sprache bringen.

Negendanck ging auf diese Anregung mit Freuden ein. Er verehrte den Prinzen Friedrich nicht weniger und hegte zu ihm die feste Hoffnung, daß er "Lande und Leute mit Gnade und Gerechtigkeit regieren, das ist die Landesverfassung nach den vorfindenden Recessen und Judicatis zu erhalten und weiters zu befestigen sich eine solche Gloire sein lassen werde, die in der That nur die Regenten allein berühmt, groß und guten Gewissens vor Gott machet." Er trat darüber in Erwägung mit dem Geh. Rath von Negendanck auf Dersenow und andern Mitgliedern der Ritterschaft; und auf dem Landtage im Herbst 1743 (der am 7. Nov. geschlossen wurde) ward auf den Antrag des landräthlichen Collegiums von Ritter= und Landschaft der Herzog=Commissarius gebeten, auf eine baldige Vermählung seines Erbprinzen, als der Hoffnung des Landes, in Gnaden zu denken und dadurch das Land zu erfreuen. Der Herzog begnügte sich einstweilen mit der Antwort, er wolle darauf bedacht sein und die Stände bald mit seiner Resolution ver=

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sehen. Indem der Landrath v. Negendanck dieses dem Hofmeister v. Behr meldet (am 12. Nov.), fügt er noch hinzu, daß die Stände, wenn sie dazu aufgefordert würden, einige Tausend Thaler zum "Interims=Entretien" des Prinzen bewilligen müßten und würden. Uebrigens scheine es, daß der Prinz eine Neigung habe zu der würtembergischen Prinzessin, der Enkelin des verstorbenen Herzogs Eberhard Ludwig, welche fromm, tugendhaft und sehr bemittelt sei; hoffentlich werde Friedrich damit bei dem Vater reussiren, wenngleich zu fürchten sei, daß "gewisse Leute in Schwerin der Sache Etwas in den Weg zu legen und, um den Prinzen zu chagriniren, dies Ehewerk ins Weite zu spielen suchen möchten"; allenfalls möchte die Prinzessin Augusta dem Prinzen zu Hülfe kommen können.

Nun gab v. Behr dem Prinzen Friedrich von Allem Nachricht und empfing, wohl zu seiner großen Ueberraschung, von diesem die Antwort, daß die größten Schwierigkeiten schon überwunden seien.

"Ich danke", schreibt der Prinz, "Demselben vielmal für die Gutheit, so Derselbe mir bei aller, so auch bei dieser Gelegenheit bezeiget. Derselbe sowohl wie der Herr von Negendanck sind, oder können vielmehr noch nicht so von der Sachen informiret sein, als ich (Gott sei die Ehre!) jetzo bin. Ich habe Alles auf den Herrn hierinnen ankommen lassen, wie Derselbe weiß (ohne Zweifel), daß niemals auf diese bewußte W. [würtembergische] Partie gedrungen. Da aber die bekannten Umstände so wunderlich gekommen, bat Gott den lieben Herrn, so ferne das Portrait der W[ürtembergischen] P[rinzessin] mir gefallen würde, sollte es mir ein Zeichen seines Willens sein. Da nun dieses sich gefunden, mein Herr Vater aber sehr dawider waren, bat abermal den Herrn aller Herren, so fern er es also wollte, möchte er die Sache doch so schicken, daß es dann auch bald geschähe. So sehr wie mein Herr Vater dawider waren, hat er ihr Herz auch gleich gelenket, daß sie darein gewilliget, und auch deshalben die Danksagung von mir angenommen. Ist also die Sache, so alleine durch den Herrn geschehen, schon richtig und die bewußte Personen alle willig. Nun, um nichts zu versäumen, sähe gerne, daß das Uebrige alles geschwinde fort ginge; denn "Dum ferrum candet, cudendum!"

Der Prinz ließ dem Landrath von Negendanck bestens danken, und dieser bestimmte dann auch den ehemaligen Würtembergischen Geh. Rath von Negendanck auf Dersenow,

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sich in Schwerin einzufinden und das weitere Vermittelungsgeschäft zu übernehmen.

In jenem Schreiben des Prinzen bleibt Einiges für uns dunkel; wir erfahren nicht, wer ihn zuerst auf die Prinzessin aufmerksam gemacht hat. Daß es schon vor einigen Jahren geschehen war, schreibt er selbst ein ander Mal. Wahrscheinlich hat schon 1739 die Markgräfin Albrecht, die, wie oben erzählt ist, den Prinzen bei seinem Aufenthalt in Berlin fast allabendlich zu sich lud, ihm von ihrer Cousine erzählt. Machen auch wir uns ein wenig näher mit ihr bekannt!

Die "würtembergische Prinzessin", Louise Friderike, war am 3. Februar 1722 geboren; sie zählte jetzt also erst 21 Jahre, und sie ward ihrer Schönheit und ihres Reichthums wegen damals von mehr als einem Hofe sehr beachtet. Namentlich sagte man, daß König Friedrichs Schwager, der braunschweigische Prinz Ferdinand, welchen unser Prinz Friedrich in Frankreich kennen gelernt hatte, sich um ihre Zuneigung bewürbe; er fand dazu Gelegenheit, wenn er sie in Berlin sah, wo sie bisweilen mit ihrer Mutter erschien. Sie hatte damals wohl meistens ihren Aufenthalt nicht in Würtemberg, sondern in der Heimath der Mutter, in Schwedt, so daß sie fast für eine preußische Prinzessin angesehen ward.

Ihre Kindheit hatte die Prinzessin in Würtemberg verlebt, unter sehr traurigen Umständen, die ihr jedoch nur zum geringsten Theil recht zum Bewußtsein gekommen sein werden.

Nämlich ihr Großvater Eberhard Ludwig, der regierende Herzog von Würtemberg=Stuttgart, ließ seine treffliche Gemahlin Johanna Elisabeth von Baden=Durlach eine Reihe von Jahren unbeachtet und unterhielt zum größten Schmerze seines Hauses und seines ganzen Landes, ja ganz Europa zum Aergerniß, das anstößigste Verhältniß zu jener Wilhelmine von Grävenitz (die er an einen Grafen Würben verheirathete). Späterhin, 1730, machte der König Friedrich Wilhelm I. von Preußen auf jener Reise durch das Reich, welche bald hernach durch des Kronprinzen Fluchtversuch eine so verhängnißvolle Wendung nahm, dem Herzog Eberhard Ludwig über sein unwürdiges Leben so eindringliche Vorstellungen, daß dieser in der Folge in sich ging und die Grävenitz entfernte, um sich ganz seiner Familie wiederzugeben. Da traf aber Würtemberg der herbe Schlag, daß am 23. Novbr. 1731 der Erbprinz Friedrich Ludwig, der einzige Sohn Eberhard Ludwigs, starb. Dessen Ehe war auch nur mit zwei Kindern gesegnet gewesen, einem Sohne,

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Eberhard Friedrich, der aber schon 1719 wieder verstorben war, und Louise Friderike, mit welcher sich eben unsere Erzählung beschäftigt. Diese Enkelin adoptirte ihr Großvater Eberhard Ludwig als seine Tochter im Testamente, um ihr sein ganzes Allodialvermögen zu sichern. Die Regierung aber ging bei seinem Tode 1733 auf seinen Vetter Karl Alexander über, der 1712 den katholischen Glauben angenommen hatte, und dieser vererbte sie 1737 auf seinen Sohn Karl, der aber bis zum Februar 1744 noch unter der Vormundschaft der Mutter (Maria Augusta von Thurn und Taxis) stand. Die verwittwete Herzogin Johanna Elisabeth wohnte nunmehr auf ihrem Leibgedinge zu Kirchheim unter der Rauhen Alp. Wegen ihrer vielfachen Forderungen an Würtemberg schloß sie mit der dortigen Regierung einen Vergleich ab, wonach ihr 20,000 Gulden ausgezahlt, 60,000 Gulden aber zur Stiftung eines Fideicommisses für das würtembergische Fürstenhaus in der Weise verwandt wurden, daß nach der Großmutter zuerst die Prinzessin Louise Friderike die Nutznießung davon haben sollte.

Der Wittwe des Erbprinzen Friedrich Ludwig, Henriette Maria, Tochter des weiland Markgrafen Philipp von Brandenburg=Schwedt, war das freundliche Göppingen (unweit Kirchheim und nahe den Hohenstaufen) zum Witthum verschrieben, und dort hat sie auch bis etwa 1741 in der Regel gewohnt und - mit Hülfe der Baronin von Neustein - ihre Prinzessin erzogen, die unterdessen 1735 Stiftsdame zu Herford geworden war. Späterhin aber scheint sich die Prinzessin Henriette Marie mit ihrer Tochter gewöhnlich in Schwedt aufgehalten zu haben, wo ihr Bruder, der Markgraf Friedrich Wilhelm, mit seiner Gemahlin Sophie (Schwester König Friedrichs II. von Preußen) Hof hielt, und wo auch ihre Mutter, die alte Markgräfin Johanna Charlotte, mitunter aus ihrer Heimath Dessau oder aus Herford, wo sie Aebtissin war, erschien.

Dort zu Schwedt verweilte die "würtembergische Prinzessin", wie man Louise Friderike kurzweg bezeichnete, auch zu jener Zeit, als Friedrich an ihrem Portrait Wohlgefallen empfand und je eher je lieber ihre Bekanntschaft zu machen wünschte. Die Verhandlungen über die Vermählung begannen aber in Berlin, durch den dorthin abgesandten Geh. Rath von Negendanck, der sich mit dem würtembergischen Gesandten Geh. Rath Georgii daselbst in Verbindung setzen sollte, eine Ansprache aber verschieben mußte, bis die Ritterschaft sich zu einem Jahrgelde verstanden haben würde.

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Friedrich war Gott sehr dankbar dafür, daß die Erfüllung seines Wunsches sich soweit genähert hatte. Er schrieb am 4. Dec. 1743 an den Hofmeister von Behr: "Der Herr sei ewiglich gepriesen! Denn ich bin wahrhaftig nicht werth aller Barmherzigkeit und Treue, die Er mir erweiset. Denn die ganze Sache ist durchs Gebet also gekommen. Eines nur zu melden: Mein H[err] V[ater] waren recht ausnehmend (so daß in Ewigkeit nichts zu hoffen war) der Heurath zuwider; und ich bat Gott, soferne es Sein heiliger Wille, daß die Pr[inzessin] haben sollte, mochte er doch geben, daß mein H[err] V[ater] drein willigten. Gleich denselben Abend wurden sie geneiget, und den ändern Mittag bedankte mich schon, daß sie es eingewilliget. Nachgehends wollten sie es gerne wieder umstoßen; ich bat Gott, da mußten sie's mir gleich den Vormittag drauf, da den Abend und den Morgen noch betete, abermal bejahen, ja gar mir bitten, doch ja nicht zu glauben, daß sie mir hinderlich sein wollten. Dergleichen kommt meist alle Tage vor; sollte so einen Gott nicht lieben? der besonders (Was weit mehr ist) sich meiner Seelen so herzlich angenommen? So lange ein Blutstropf in mir ist, soll er ganz (nicht halb) für Ihm sein!"

Aber Alles ging doch auch jetzt noch nicht in Schwerin nach des Prinzen Willen. "Mein H[err] V[ater]", schreibt er in demselben Briefe, "dringen mit Hand und Fuß darauf, nicht von Swerin mich zu lassen, auch nicht mal in der Stadt, sondern auf dem Schlosse. Was itzt schreibe, bitte ja niemanden zu zeigen; ich schreibe es als an einen vertraueten Freund. Mir kam es eigen für, als wann der Oberhauptmann [von Klein] den G[eh.] R[ath] N[egendanck] auf seine Seite gekriegt. Dann er beredete mich auch nur, weil sich mein H. V[ater] darauf setzten, auf dem Schlosse zu bleiben, wie auch der L[and]=R[ath] N[egendanck]. Ich glaube, sie haben ihnen weis gemacht, ich möchte sonst mit weniger Verhinderung Gott dienen können (denn, wann folglich mich befleißigen würde in Allem nach Gewissen zu handeln, möchten viele Sachen nicht angehen), und dann würde bigott werden, das wäre vor der Ritterschaft nicht. Die Herrn von der Ritterschaft aber merken noch nicht, was die wahre Frömmigkeit bei einem Regenten nützet, und wie schädlich das Gegentheil, da doch handgreifliche Proben da sind, da der Herr zudeme das Land strafet, und doch wohl nicht anders als durch ein rechtes, aufrichtiges "Pater, peccavi" gegen den Allmächtigen geändert werden kann. Der

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G[eheime] R[ath] N[egendanck] meinte auch, wann sich die Prinzessin nicht resolviren sollte wollen mich zu heurathen, weil nicht tanzete und nicht spielete? Eben als [wenn] es eine wichtige Raison sein würde, eine Heurath zurückegehen zu lassen, wann der Bräutigam keine Oesters (Austern) äße. Quae, quanta, qualis! Ich glaube, mein H[err] V[ater] und die K[lein] haben ihn beredet, der Princesse dies beizubringen; und ich versichere, daß, wann Million Tausend Prinzessinnen so schön wie Engel darauf stünden, daß ich Etwas wider mein Gewissen thun sollte, so ließe sie alle fahren. Heurathen ist mir lieb, aber Gott noch vieltausend[mal] und über alle Comparaison lieber. Zwingen wollte ihr nicht es auch bleiben zu lassen, bitten zwar wohl; denn so wäre es ein opus operatum und für Gott ein Greuel. Denn entweder ich halte den Allmächtigen für eine Wahrheit oder Fabel. Ist nun das Erste, so muß ihn auch von allen Kräften lieben. Endlich der Herr, dem ich bin (durch seine Barmherzigkeit) und dem ich diene, wird nichts denn mir zum Besten geschehen lassen. Denn unser Heiland saget: Denn der Vater, der sie (die Seinigen) mir gegeben hat, ist größer denn Alles, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen können."

Der Prinz mag Grund gehabt haben, die von Klein mit Mißtrauen anzusehen; vielleicht herrschte aber am Schweriner Hofe auch arge Zwischenträgerei. Denn Friedrich schreibt in einem andern Briefe: "Es soll sich Einer von ihnen haben vernehmen lassen, er hoffte, daß da nichts von werden würde." Es ist auch möglich, daß die von Klein, und ebenso auch der Herzog selbst, eine engere Verbindung mit dem preußischen Königshause, etwa eine Vermählung mit Anna, der Schwester König Friedrichs von Preußen (der späteren Aebtissin von Quedlinburg), lieber gesehen hätten; aber in Bezug auf den gewünschten selbständigen Wohnsitz scheint sein Mißtrauen den Prinzen doch zu einem ungerechten Urtheil über den Vater verleitet zu haben. Denn in Schwerin gab es außer dem Schlosse keinen Fürstensitz als den Bischofs= oder Prinzenhof; und woher sollte man die Mittel nehmen, diesen wohnlich auszustatten? Nun wäre Friedrich ohne Zweifel sehr zufrieden gewesen, wenn ihm das Jagdhaus zu Kleinow oder das Schloß zu Neustadt angewiesen wäre. Aber abgesehen davon, ob auch seine künftige Gemahlin solche Einsamkeit geliebt hätte: woher sollten die Mittel zu einer zwiefachen Hofhaltung kommen? Und war für den künftigen Regenten, zumal unter den damaligen Um=

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ständen, die Theilnahme an den Regierungs=Geschäften nicht durchaus nothwendig?

Vorläufig kam nun Alles darauf an, die Ritterschaft zu einer Erklärung über das künftige Jahrgeld des Prinzen zu bringen; Vorbesprechungen über die Höhe desselben waren zu Schwerin mit dem oft erwähnten Landrath genug gepflogen, und Friedrich hatte seine Wünsche in Briefen an Behr niedergelegt. Anknüpfend an die auf dem letzten Landtage ausgesprochene Bitte um die Vermählung des Prinzen, schrieb am 12. Dec. 1743 Herzog Christian Ludwig an den Engern Ausschuß, daß er nicht abgeneigt, die dermaligen Umstände aber so beschaffen seien, daß er selbst den jährlichen Unterhalt und die damit zusammenhangenden Fälle nicht allein reguliren könne, deshalb aber darauf vertraue, daß die Stände Alles in reifliche Erwägung ziehen und ihm ihren Beirath und Beistand leihen würden. Der Engere Ausschuß schrieb auf solche Aufforderung nun einen Convent nach Rostock auf den 28. Januar 1744 aus, um daselbst das Nöthige zu berathen und eine einmüthige Resolution "für das hochfürstl. Haus und einen verehrungswürdigen Prinzen zu Tage zu legen, also daß daraus das Herz, die Ehre und Freiwilligkeit der meklenburgischen Landstände für das Geblüt ihrer Durchl. Fürsten könnte bemerket werden".

Dies klang für Friedrich recht aufmunternd; aber es verscheuchte doch wohl nicht alle seine Sorgen. Der würtembergische Unterhändler hatte sein Möglichstes gethan; aber seine einlaufenden Briefe an den nach Meklenburg zurückgekehrten Geh. Rath von Negendanck ließen doch noch manchem Zweifel Raum. Georgii hatte sich mit der oben erwähnten Baronin von Neustein in Verbindung gesetzt, und von ihr erfahren, daß die Hand der Prinzessin Louise Friderike durchaus noch frei sei, daß diese und die Mutter ihre Blicke auch noch auf keine bestimmte Persönlichkeit geworfen hätten, sondern Alles der Vorsehung überließen. Die Prinzessin, sagte Frau von Neustein, wünsche nur, ihre Tage in Ruhe, ohne Geräusch, ohne Pracht und ohne den an den meisten deutschen Höfen üblichen Glanz zu verleben, und sie würde es für eine besondere Gnade des Himmels ansehen, wenn sie einen Gemahl von gleicher Gesinnung fände. - Soweit durfte Friedrich den Bericht als ermuthigend betrachten. Aber der Brief führte dann auch obwaltende Schwierigkeiten auf. Zunächst sollte das tiefste Stillschweigen darüber bewahrt, auch der Prinzessin, ja ihrer Mutter nichts verrathen werden, so lange sie sich noch in Schwedt aufhielten, weil

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die Mutter nicht umhin könne, darüber mit ihrem Bruder, dem Markgrafen, zu reden, dieser aber mit der würtembergischen Regentschaft wegen des Privatvermögens der Prinzessin noch einen Streit habe und vor Beendigung desselben die Vermählung seiner Nichte ungern sehen würde. Besser, meinte man, sei es, wenn Friedrich sich der würtembergischen Erbprinzessin und ihrer Tochter auf ihrer bevorstehenden Reise nach Göppingen bei schicklicher Gelegenheit wie von Ungefähr näherte. Eine zweite Schwierigkeit fand der wohlwollende Correspondent aber darin, daß man auf würtembergischer Seite wegen Sicherung des nöthigen Unterhaltes und des Witthums unter den dermaligen meklenburgischen Zuständen Bedenken tragen werde.

Der letzte Punkt machte Friedrich viel Sorgen. "Wegen der Heirath", schreibt er an Behr (8. Januar 1744), "so gehet Alles (durch die Fügung des Herrn) unvergleichlich. Die Hauptschwierigkeit ist wegen des Witthums; und es ist hier nicht anders herauszukommen, weil der r[egierende] Herr [Hz. Carl Leopold] nicht antwortet, niemals, und wohl kein Witthum geben wird, als daß mein Herr Vater das Land ersuchen, das [mir] bewilligte Gehalt der Pr[inzessin] zu lassen, wann ich sterben sollte und der r[egierende] H[err] noch lebte, so lange, bis entweder mein H[err] V[ater] oder mein Bruder zur Regierung käme." Er empfiehlt auch diese Angelegenheit Behrs einflußreicher Vermittelung, und Behr wirkt alsbald Negendancks Fürsprache aus, obwohl der Punkt ihnen etwas delicat erscheint.

Friedrich unterließ indessen nicht, gegen den Oheim, wiewohl er keine Antworten zu geben pflegte, seine Pflicht zu beobachten. Er schrieb ihm am 19. Januar 1744, daß ihm von der würtembergischen Prinzessin "schon vor einigen Jahren zu verschiedenen Malen eine avantageuse Idee gemacht" und ihm neuerdings "deren tugendliebliches Gemüth von Neuem angerühmet" sei, und er bat ihn um seine Zustimmung zur Vermählung mit ihr. Der Herzog Christian Ludwig unterstützte diese Bitte in einem Schreiben vom 21. Da aber Carl Leopold direct aus Schwerin vom Hofe kommende Briefe unerbrochen von Dömitz zurückzuschicken pflegte, so ward ein Umweg für jene beiden Briefe gewählt. Sie wurden nämlich an die allzeit dienstfertige Tante und Schwägerin zu Bützow, die verwittwete Herzogin Sophie Charlotte, gesandt, und diese beförderte sie mit einem eigenhändigen Empfehlungsbriefe nach Dömitz. Aber auch sie erhielt jene beiden Briefe unerbrochen zurück; Carl Leopold er=

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klärte in seinem Begleitschreiben, mit den härtesten Ausdrücken über seines Bruders Benehmen gegen ihn, daß er, so lange derselbe es mit seinen Feinden hielte, mit ihm keinerlei Verkehr anknüpfen könne.

Auch damit begnügte sich der regierende Herr nicht, sondern er wirkte seinem Neffen auch direct entgegen, seitdem er von dem Ausschreiben zum Convocationstage Kunde erhalten hatte. Schon hatten die Vorderstädte einen Vorconvent nach Bützow auf den 27. Januar ausgeschrieben, um dort den Beitrag der Städte zu dem patriotischen Zwecke feststellen zu lassen; aber Herzog Carl Leopold untersagte in einer Zuschrift an dieselben vom 21. solches Beginnen und jede Theilnahme an der Sache, und machte dadurch auch die Städte so irre, daß zu Bützow nichts beschlossen ward und darauf zu Rostock nur sehr wenig Bürgermeister erschienen.

Die Ritterschaft ließ sich nun freilich dadurch nicht stören; aber der Engere Ausschuß stieß in dem Rostocker Convent doch auch auf Schwierigkeiten. Man äußerte, daß bei diesem Vorhaben, wofür kein Beispiel vorläge, alle mögliche Vorsicht geboten sei, und beschloß endlich: Gott sei zu bitten, daß sich der Prinz an ein evangelisches Haus wenden möge, in welchem Gerechtigkeit und Leutseligkeit üblich sei; der Herzog=Commissarius möge daher vor Weiterem die Fragen vergönnen: auf welches Haus die Absicht gehe? ob man bereits der Annahme eines etwanigen Antrages versichert sei? und wieviel der Prinz zu seinem Unterhalt jährlich von seinem Vater zu erwarten habe?

Die beiden ersten Fragen standen den Landständen ohne Zweifel nicht zu; sie entsprangen aber gewiß aus der Furcht vor einer Verbindung mit Preußen. Denn während die Antwort auf jene Fragen aus Schwerin erwartet wurde, ergossen sich im Convente bittere Klagen über die gewaltsamen preußischen Werbungen und deren Agenten, wie von Moltke auf Samow und vornehmlich von Königsmark auf Tangrim. Nachdem der Herzog den Landtagsdeputirten nun aber das würtembergische Haus genannt und dadurch die Gemüther beruhigt hatte, beschlossen die Landstände am 6. Februar, dem Prinzen Friedrich im Falle seiner Vermählung bis zu seines Oheims Tode oder anderweitiger Thronbesteigung Christian Ludwigs jährlich 8000 Rthlr. Sustentationsgelder zu gewähren, verhießen auf den Fall, daß er inzwischen sterben sollte, seiner Wittwe jährlich 3000 Rthlr. (eine Summe, welche sie hernach auf 5000 erhöheten), und bewilligten zu den Vermählungskosten 8000 Rthlr. Damit ihnen jedoch "nicht

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ihr Liebes= und Devotionstrieb in künftigen Zeiten, wie verschiedentlich vorhin, abermals zur Last gereichen und gleichsam eine prinzliche Vermählungssteuer denen Landständen imponiren möge", erbaten die Stände und empfingen von dem Prinzen Friedrich und vom Herzog=Commissarius Reverse darauf, daß dieses unverbindliche und freiwillige Geschenk ihren Rechten für die Zukunft unnachtheilig sein sollte.

Sehr befriedigt schreibt der Landrath von Negendanck an den Hofmeister von Behr über den Erfolg ihrer Bemühungen. Aber dennoch rückte die Sache kaum vor, wie sehr sie auch von einer andern Seite her empfohlen ward. Der Feldmarschall Graf von Schwerin, der als General=Adjutant des Markgrafen Friedrich Wilhelm schon früher viel, und jetzt als Sieger von Mollwitz ohne Zweifel noch viel mehr in Schwedt galt, aber auch für den Herzog Christian Ludwig wiederholt in Berlin Eifer und Ergebenheit an den Tag gelegt hatte, - sandte seinen Stallmeister nach Schwerin mit einem aus Schwerinsburg vom 11. Febr. (1744) datirten geheimen Schreiben, worin er unaufgefordert dem Herzog Christian Ludwig den Vorschlag that, seinen ältesten Prinzen mit der würtembergischen Prinzessin zu vermählen, die er in diesem Winter zu Berlin als sehr liebenswürdig und sehr schön kennen gelernt habe, die auch reich sei; er erbot sich zugleich, da er in einigen Wochen Schwedt passiren würde, zu einer Vermittelung, und empfahl, daß der Prinz incognito eine Reise eben dahin machen möge, um die Prinzessin persönlich kennen zu lernen. Der Herzog antwortete, daß zu seiner Freude ihre Ansichten sich begegneten, daß er längst derselben Meinung gewesen sei, daß der Prinz aber die würtembergischen Prinzessinnen gelegentlich auf ihrer Heimkehr nach Würtemberg zu Römhild bei der Herzogin von Meiningen zu sehen gedenke, daß es ihm übrigens sehr lieb sein würde, wenn der Feldmarschall vorläufig zu Schwedt ein wenig sondiren wollte.

So übernahm denn also der berühmte Feldmarschall die Brautwerbung für unsern Prinzen. Aber wie überrascht war er, als er in Schwedt erfuhr, daß man dort schon viel mehr von der Sache wußte als er! Die Mutter der Prinzessin war recht verdrießlich darüber, daß man, statt sich direct an sie zu wenden, Frau von Neustein ausgehorcht und bei den würtembergischen Ministern angefragt, auch schon die Herzogin=Wittwe zu Römhild in Kenntniß gesetzt hatte; der Feldmarschall mußte alle Mühe anwenden, um das Ge=

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müth der würtembergischen Erbprinzessin zum Frieden zu stimmen. Ihr Bruder, der Markgraf, war geneigt zu der meklenburgischen Partie für seine Nichte, die er als seine Tochter ansah; aber er forschte nach den "soliden Grundlagen" der Ehe, und der Feldmarschall konnte, hievon nicht hinlänglich instruirt, nur sehr allgemeine Andeutungen machen. Er hielt es deshalb für besser, wenn etwa der Geh. Rath von Negendanck das Werbungsgeschäft fortsetzte, der Prinz aber wie von Ungefähr nach Schwedt käme und dort wenigstens flüchtig eine Bekanntschaft anzuknüpfen suchte, da die Prinzessin vorläufig an keine Reise nach Würtemberg dächte.

So verging auch der März noch, ohne daß Friedrich der Erfüllung seiner Wünsche näher kam; und in den ihm befreundeten Kreisen schob man seine wiederholte Erkrankung gar auf vielen Verdruß und Aerger. Der Geh. Rath Negendanck hatte Anfangs unter dem Vorwande, daß sein Gesundheitszustand es ihm nicht erlaube, aber, wie man glaubte, eigentlich aus Furcht davor, daß der Herzog Carl Leopold ihn möchte aufheben und nach Domitz führen laasen, jede weitere Commission abgelehnt. Doch am 24. März konnte Friedrich seinem getreuen v. Behr melden: "Mit meiner H[eiraths]=Sache stehet es so, daß der G. R. N[egendanck] nach Schwedt zu reisen sich endlich entschlossen" hat. Was mein Gott will", fügt er hinzu, "das will ich auch, und das wird niemand hindern können. Ach, mein werther Herr Hofmeister! es ist was Großes, was Herrliches und Alles in der Welt Uebertreffendes, seines Gnadenstandes und der ewigen Seligkeit vergewissert zu sein! Nicht meine ich, daß man, wann man aufhörete zu wachen und zu beten, nicht wieder den abermals erneuerten Taufbund brechen könnte; sondern ich achte es ein Großes zu sein, zu wissen: ich habe wahrhaftig den Taufbund erneuert und stehe noch in Gottes Gnade, davon mir sein Heiliger Geist im Gewissen Zeugniß giebet, nach denen Worten Johannis" (vielmehr Pauli, Röm. 8, V. 16): " Gottes Geist giebt Zeugnis " unserm Geiste , daß wir Gottes Kinder sind". -

Durch Negendancks Unterhandlungen kam es nun endlich so weit, daß Friedrich am 27. April mit dem uns wohlbekannten Hofmarschall v. Nitzschwitz die Reise nach Schwedt antreten konnte. Er traf dort am 1. Mai ein; aber er gelangte nicht sofort zum Ziel. Denn weil die Markgräfin erst zum 6. Mai von einer Reise zurückerwartet wurde, sollte bis dahin die Prinzessin Louise Friderike nicht um ihren Entschluß befragt werden. Und seltsam genug klingt, was

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Friedrich am 2. Mai sehr kurz in seinem Tagebuche andeutet: "Nachm Garten gegangen. Da kam Prinz Ferdinand. "Ich in Arrest." Am 3. Mai: "Den Nachmittag reisete der Pr[inz] F[erdinand] wieder weg, und ich kam wieder oben". - Ohne Zweifel war dies der Friedrich wohlbekannte Prinz Ferdinand von Braunschweig, vor dem man den meklenburgischen Prinzen verbarg, weil jener dem allgemeinen Gerücht zufolge sein Nebenbuhler war. Dort in seiner Verborgenheit, "im Arrest", hatte Prinz Friedrich übrigens Besuche empfangen von dem Feldmarschall von Schwerin, von dem markgräflichen Hofprediger St. Aubin (mit dem er bald in näheren Verkehr trat, obwohl ihm dessen hofmännische Art kaum recht zusagen konnte) und von andern Personen. Nachdem dann die Markgräfin heimgekehrt war, verlebte Friedrich doch noch mehrere Tage in großer Unruhe und Spannung. Am 12. Mai erst schreibt er kurz an den Vater, daß es "endlich so gekommen", daß er sich "in Anwesenheit des Markgrafen und der Markgräfin und der Prinzessin Frau Mutter Hoheiten" mit der Prinzessin Louise "versprechen müssen, auch seinen Ring abgegeben habe." Nitzschwitz dagegen berichtet etwas ausführlicher: "Ob es nun zwar nachhero" (nach der Markgräfin Rückkehr) "etwas schwer gehalten hat, der Durchl. Prinzessin Beifall zu erhalten, so ist es doch endlich durch vieles Zureden von Ihro Hoheit, Dero Frau Mutter, so glücklich gelungen, daß die Durchl. Prinzessin gestern, als am 11. hujus, dem Durchl. Prinzen das Jawort gegeben haben."

Uebrigens ersucht Friedrich den Vater um ein Dankschreiben an den Markgrafen und dessen Gemahlin für "die unglaubliche Gnade", die ihm von denselben widerfahren, und um die schriftliche Werbung bei der Erbprinzessin=Mutter, die er als "recht einen Ausbund von artigen Damen" charakterisirt, während er von seiner Braut kühl genug schreibt, sie sei "gewiß nicht sowohl um der Schönheit, als guten und artigen Wesens und Gemüths halben sehr zu ästimiren."

Was der Prinzessin Louise Friderike die Entscheidung so schwer machte, wird in den vorhandenen Briefen nicht ausdrücklich gesagt. Aber einmal konnte sie sich nicht leicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie fortan ihre Mutter verlassen sollte, die seit des Vaters Tode ihr Alles gewesen war. Zweitens erscheint die Prinzessin überall als eine Dame, welche nicht augenblicklichen Impulsen folgte, vielmehr sorgsam prüfte und ihre Empfindungen beherrschte.

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Ihre Briefe sind liebevoll und zeugen von Pflichtgefühl und milder Rücksichtnahme nach allen Seiten hin. Endlich läßt sich nicht verhehlen, daß Friedrich die große Zuneigung, deren er sich bei seiner Umgebung und im ganzen Lande erfreuete, nicht durch eine kühne und schnelle Eroberung der Herzen gewonnen hatte. Gewiß war seine Erscheinung anziehend durch seine Feinheit; aber von manchen Prinzen seiner Zeit, zumal denen, welche, wie Prinz Ferdinand von Braunschweig, damals in Friedrichs des Großen Heere dienten und an seinen Kriegen und Siegen Theil nahmen, unterschied er sich wohl in manchen Stücken. Seine zarte Gestalt zeigte nichts Heldenmäßiges und Imponirendes; die Seelenkämpfe, unter denen er zu einem ernsten Christen herangereift war, ließen ihn auf den ersten Blick vielleicht zu wenig lebhaft und thatkräftig, wohl gar etwas pedantisch gemessen erscheinen, bis man im genaueren Umgange erkannte, daß seine Ruhe aus einer schwer gewonnenen Herrschaft über ein ursprünglich sehr lebhaftes und heftiges Temperament entsprang, daß sein Geist vielseitig gebildet war, sein Urtheil aber bescheiden und zurückhaltend, milde, wo es nicht Gottes Ehre betraf, und daß alle seine Aeußerungen aus einer auf dem Glauben beruhenden und fest in demselben wurzelnden, und darum consequenten Lebensanschauung hervorgingen. Nicht allen Freuden der Welt war er abhold, nur mußte er in denselben nichts Sündliches oder Verführerisches sehen; er tanzte und spielte aus diesem Grunde nicht, aber er jagte gern und fand am Reiten großes Vergnügen. Er liebte eine geistvolle, oder wenigstens gehaltvolle und belehrende Unterhaltung, scherzte auch gern, nur mußte sich nichts Frivoles oder Boshaftes im Witze kundgeben. - Immerhin durfte er hoffen, daß bei näherer Bekanntschaft mit seiner Verlobten ihre gegenseitige Liebe und Achtung sich täglich steigern werde.

Mit dieser Hoffnung kehrte er schon am zweiten Tage nach der Verlobung aus Schwedt zurück. Der Vater empfing auf seine Werbung bei der Erbprinzessin natürlich die freundlichste Zusage; und der Markgraf Friedrich Wilhelm, der sich immer mit Stolz als den Vater seiner Nichte betrachtete, hebt mit Genugthuung in seinem Gratulationsschreiben an den Herzog Christian Ludwig hervor, daß er des Prinzen auf seine Nièce geworfene Affection kräftigst unterstützt habe. Der Herzog bemühete sich seinerseits auf alle Weise, die Zuneigung der Schwiegertochter zu gewinnen. Wiewohl seine Mittel beschränkt genug waren, machte er ihr

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ein Kreuz mit Brillanten und andere Juwelen von hohem Werthe zum Geschenk; und weil er ihre große Anhänglichkeit an ihre Mutter erfuhr, bot er Letzterer das Schloß zu Neustadt in Meklenburg zum beständigen Aufenthalt an, was unter der Bedingung, daß der Herzog von Würtemberg ihr dorthin das Witthum reichen werde, mit Freuden von der Erbprinzessin angenommen ward.

Gratulationsschreiben liefen von allen Seiten ein, von den beiden Großmüttern in Dessau und zu Kirchheim sehr warme, andere, wie die des Königs von Preußen, lauteten wieder kurz. Der Glückwunsch der Prinzessin Augusta für den Herzog ist kürzer als ihre sonstigen Briefe, aber herzlich: "Der Herr", schreibt sie, "der bishero Dero Herrn Sohn mit Seiner sonderbaren Liebe und Vorsorge geleitet und geführet hat, der wird auch diese wichtige Sache also vor demselben dirigiret haben, daß dadurch in Geist= und Leiblichem ein reicher Segen vor Ihro Liebden erwachse, auch Ew. Liebden ein völliges Vergnügen und dem ganzen Hause zur Aufnahme und Flor gereichen wird." - Der Zustimmung des würtembergischen Hofes hatte man sich schon vor der Werbung versichert, es folgte also ein sehr freundlicher Glückwunsch. Carl Leopold aber antwortete auf die Meldung von der Verlobung (26. Mai) seinem Bruder so wenig als seinem Neffen.

Der Schwedter Hofprediger St. Aubin und der Feldmarschall von Schwerin erschienen nun wohl gelegentlich am Hoflager Christian Ludwigs und brachten dahin Nachrichten aus Schwedt, auch wohl einzelne Wünsche in Bezug auf die Ehepacten. Die junge Prinzessin empfahl sich dem Wohlwollen ihrer Schwiegereltern in sehr zierlich geschriebenen französischen Briefen, in schlichten und natürlichen, ungeschraubten Worten; und ihr Briefwechsel mit ihrem Verlobten war ziemlich lebhaft. Aber näher kamen ihre Herzen einander viel mehr dadurch, daß Friedrich im August 1744 wieder nach Schwedt ging, begleitet von dem Hofmeister seiner Mutter, einem Herrn von Vieregge auf Levekendorf, der mit der Verhandlung über die Ehepacten beauftragt war und darum von Schwedt weiter nach Stuttgart reiste.

In heiterster Stimmung schrieb Friedrich von Schwedt aus an seinen Vater, er lerne die Braut nun erst recht kennen als eine "überaus artige Prinzessin"; er rühmt ihr nach, daß sie "ein sehr gutes und frommes Humeur" habe und für seinen Papa viel Devotion hege, sie bekämen immer

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mehr Vertrauen zu einander. Der Aufenthalt in Schwedt ward dem Prinzen so behaglich, daß er ihn fast auf einen Monat ausdehnte. Besonders mit dem Markgrafen, dem in seinem stillen Residenzstädtchen ein Gast wohl hoch willkommen war, verständigte er sich vortrefflich. Beide hatten große Freude an Bauten und an Gartenanlagen. Friedrich bat, das Schloß, den Garten und die Alleen zu Schwedt für seinen Vater, der ja jene Neigung theilte, aufnehmen lassen zu dürfen; und der Markgraf wünschte wiederum einen Grundriß von Schwerin zu haben. Da des Königs Baumeister, der Freiherr von Knobelsdorff, zu Schwedt erwartet wurde, nahm Friedrich sich sogleich vor, ihn wegen des Schlosses und des Schloßgartens zu Schwerin zu Rathe zu ziehen, und er hoffte, wie er dem Vater meldet, von ihm die Risse von einigen neuen Bauten des Königs zu erlangen.

Aber als der Prinz wieder nach Schwerin zurückgekehrt war, erweckte seine Vermählungssache ihm doch auch viele Sorgen und Bedenken. Theilweise entsprangen diese aus seiner persönlichen Denkungsart; er mußte ein so wichtiges, neues Moment in seinem Leben erst geistig und geistlich in seinen Gedankenkreis hineinarbeiten. So merkt er am 30. October in seinem Tagebuche an: "Da mir beifiel, in wie viele Versuchungen ich kommen würde in meiner Heurath, wegen des preußischen Hofes und Comödien und Opern, wodurch, wann ich daraus bleibe, ich den König beleidigen würde, da ich mich aber doch Gottes Willen nur allein zu thun entschlossen, doch aber auf Gottes herrliche Hülfe mich verließ, fand Graf Henckels SK. p. 141." Am 6. Nov.: "Br[ief] an Pr[inzessin] L[ouise], so wenig Mißtrauen in Oertzen, so wenig in mich zu setzen. Denn Intriguen halte für etwas sehr Schändliches." - Also an Intriguen fehlte es auch nicht. Die meisten Sorgen aber verursachte Friedrich offenbar der langsame Fortschritt der Ehepacten, deren Besprechung sich bald unabsehbar ausdehnte und länger währte als mancher Friedenscongreß. Dies lag zum Theil darin, daß sie zwischen Schwerin, Schwedt und Stuttgart zu vereinbaren waren, theils aber auch in ziemlich hartnäckig vertheidigten und zum Theil nicht zu erfüllenden Ansprüchen.

Würtemberg trug daran die geringste Schuld. Die Mutter des Herzogs Carl stand allerdings seit alter Zeit nicht auf dem besten Fuße mit der Erbprinzessin; aber diese Verstimmung übertrug die Herzogin=Mutter doch nicht auf die Prinzessin Louise Friderike. Sie nannte diese vielmehr eine "aimable, würdige Prinzessin", äußerte gegen Vieregge

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ihr Bedauern, "von einer so dignen Prinzessin sich entfernt zu wissen"; "der Prinz Friedrich", sagte sie einmal, "nimmt uns das kostbarste Bijou aus Würtemberg". Es ward in Stuttgart Gewicht darauf gelegt, daß Louise als eine würtembergische Prinzessin angesehen und von Würtemberg ausgestattet würde. Und große Schwierigkeiten zwischen Würtemberg und Meklenburg wurden nicht befürchtet; auch waren durch einen Vertrag zwischen Würtemberg und Preußen vom Jahre 1742 die Ansprüche der Prinzessin an das würtembergische Hausgut sehr zu Gunsten Würtembergs festgesetzt. Es bestanden allerdings noch Ansprüche der Erbprinzessin, und selbst der Markgraf von Schwedt wollte in den Ehepacten seiner Nichte seine eigenen eventuellen Ansprüche auf deren Vermögen gewahrt wissen; darin wollte man sich aber auf meklenburgischer Seite nicht mischen, und auf würtembergischer Seite wollte man wiederum in die Wünsche der Erbprinzessin gegen Meklenburg nicht einreden.

Zwischen Schwedt und Schwerin tauchten jedoch nicht geringe Meinungsverschiedenheiten auf. Denn Christian Ludwig wollte, wie wir wissen, seinen Sohn unter allen Umständen nicht von sich, nicht vom Schlosse lassen, die Erbprinzessin aber wünschte ebenso lebhaft für ihre Tochter und ihren Schwiegersohn eine unabhängige Stellung, einen gesonderten Haushalt. Auch der Betrag des Witthums, welchen die Stände bewilligt hatten, 3000 Rthlr., erschien in Schwedt zu geringe. Dieser letzten Schwierigkeit ward nun freilich leicht abgeholfen, da die Stände sich zu 5000 Rthlrn. herbeiließen. Schwerer aber war eine andere Forderung zu befriedigen, die man von Schwedt und von Stuttgart aus gleichzeitig erhob, nämlich daß das Vermögen und das Witthum der Prinzessin durchaus sicher gestellt würden.

Hieran war zum größten Theil der Herzog Carl Leopold Schuld. Daß er seines Bruders Bitte um Genehmigung der Ehe unbeantwortet ließ, ist schon bemerkt. Aber Friedrich hatte einen geheimen Weg gefunden, auf welchem er mitunter seine Wünsche nach Dömitz gelangen lassen und auch von dort wieder Nachrichten erhalten konnte. Der Oberjäger Tiede zu Schwerin übersandte noch immer (wie vormals schon Friedrichs oben erwähnte Briefe) Briefschaften und Nachrichten an das Dömitzer Hoflager, jetzt durch Vermittelung des Stallmeisters Eggers zu Redefin. Auf diesem Wege ließ der Prinz seinem Oheim auch am 28. Nov. 1744 einen Geburtstagswunsch zugehen, worin es heißt: - "der ich auf das Allersubmisseste und Unterthänigste danke für

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den allergnädigsten Consens zu meiner Heirath mit der Prinzessin Louise Frederique von Wirtenberg, und wie ich in dieser Sachen nur getrost fortfahren sollte, welches Ew. Gnaden mir unter der Hand mündlich gnädigst versichern lassen. Ich werde diese besondere hohe Gnade Zeit Lebens erkennen und nichts Mehreres wünschen, als, nachdeme sowohl mich als die Prinzessin in Dero ferneren hohen und uns so précieusen Gnade auf das Allerangelegentlichste ganz unterthänigst empfehle, Gelegenheit zu finden, Denenselben in der That zeigen zu können, mit wie vieler aufrichtigen Veneration und tief unterthänigstem Respect ich bin u. s. w."

Hätte doch des Herzogs Carl Leopold Eigensinn es auch nur zugelassen, eine solche Zustimmung schriftlich zu geben! Die würtembergische Erbprinzessin ersuchte ihn nach der Verlobung in einem sehr freundlichen Schreiben gleichfalls um seine Genehmigung; er versagte ihr aber jede Erklärung, "bevor", wie er sich ausdrückt, "mein apanagirter Bruder von seiner, obwohl an sich fast untilgbaren, Verschuldung gegen mich und das wahre Wohl meines fürstlichen Hauses völlig abstehet, folglich sich demjenigen, was die Reichs=Fundamental=Satzungen sammt dem natürlichen und Völkerrecht in solchen Fällen verlangen, gehörig unterwirft." Diese Erklärung mag die Prinzessin Henriette Marie nicht wenig erschreckt haben; sie kannte weder die harte Ausdrucksweise dieses Herzogs, noch wußte sie die Tragweite seines Widerspruchs recht zu schätzen. Auf Ansuchen der Ritterschaft hatte der Reichshofrath bereits den Widerspruch des Herzogs Carl Leopold wider die von den Ständen bewilligten Jahrgelder für den Prinzen Friedrich entkräftet und die Städte zur Beisteuer ihrer Quote verurtheilt; es lag darin also gewissermaßen auch schon eine kaiserliche Bestätigung der Vermählung: so argumentirte man in Schwerin. Aber die Bevollmächtigten, welche Henriette Marie in Schwerin für sich verhandeln ließ, begehrten, falls der Herzog zu Dömitz zu einer Versicherung wegen des Vermögens und des Witthums der Prinzessin Louise nicht zu bewegen sei, eine Zusicherung vom Prinzen Ludwig und vom Strelitzer Hofe, und wohl gar auch noch eine ausdrückliche kaiserliche Bestätigung. Die erste konnte allerdings Christian Ludwig leicht zugestehen; aber den Kaiser wollte er nicht weiter in seine Hausangelegenheiten ziehen, und den Consens der Strelitzer Linie einzuholen, lehnte er, weil ein solcher gegen alles Herkommen und für die Zukunft höchst bedenklich sei, ganz entschieden ab. So rückte die Verhandlung nicht vor.

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Da nun auf diese Art Monate verstrichen, bat Herzog Christian Ludwig den würtembergischen Hof seine Bevollmächtigten auch nach Schwerin zu senden, um einen endlichen Schluß herbeizuführen; aber Herzog Carl von Würtemberg glaubte damit seiner Ehre Etwas zu vergeben, da er seine Cousine auszustatten habe. Nun rief zu Anfang des Jahres 1745 Christian Ludwig den Hofmeister von Vieregge zurück, um unnütze Kosten zu ersparen, und wünschte, daß dieser die Verhandlung mit Stuttgart brieflich fortführte. Das that wieder dem Herzog Carl wehe; denn er fürchtete dadurch in den üblen Ruf zu kommen, daß er seiner Cousine nicht hold sei. Auch er versuchte also noch sein Glück bei Carl Leopold; er empfing aber im Sommer 1745 dieselbe Antwort wie ein Jahr vorher die Erbprinzessin. Der Krieg Preußens und Frankreichs gegen Oesterreich, die Vorbereitungen zur Kaiserwahl nach dem Tode Carls VII. beschäftigten den würtembergischen Hof auch sehr lebhaft und verzögerten die weitere Berathung der Ehepacten. Die meklenburgischen Landstände wurden nunmehr schon unruhig; man fürchtete wohl schon vielfach, daß das ganze Heirathsproject sich zerschlüge.

Da entschloß sich aber Christian Ludwig, den von Vieregge im August 1745 wieder nach Stuttgart zu schicken; die Erbprinzessin Henriette Marie bevollmächtigte daselbst auch zwei Beamte, und diese brachten in manchen Conferenzen mit den Deputirten des Herzogs Carl es dann endlich so weit, daß sie am 26. Novbr. 1745 die Ehepacten unterzeichneten. Wahrscheinlich wäre auch jetzt das schwierige Werk noch nicht zu Stande gebracht, hätte nicht der würtembergische Gesandte am Berliner Hofe, Geh. Rath von Keller, mit Aufbietung aller Ueberredungskunst in Schwedt den Weg geebnet und bei mehrfacher Anwesenheit in Strelitz den dortigen Hof bestimmt, ohne Rücksicht auf den Herzog Christian Ludwig, allein im Interesse des dort so sehr beliebten Prinzen Friedrich, eine Eventual=Assecuration zu geben.

Die sehr ausführlichen Ehepacten sind nicht uninteressant zu lesen, wenn man ihre Entstehungsgeschichte und mannigfachen Abänderungen verfolgt hat. Für unsern Zweck genügt es, die wichtigsten Punkte hervorzuheben. Von Würtemberg wurden der Prinzessin Louise Friderike zugesichert: als Heirathsgut 32,000 Gulden, zur "Ausfertigung" (statt Schmucks, Kleider u. s. w.) 10,000 Gulden. Die Paraphernalgelder wurden auf Grund des Vertrages von 1742 zu 50,000 Rthlrn. festgesetzt, welche Würtemberg bis zur

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Kündigung verzinsen wollte; 13,000 Gulden standen außerdem noch bei der brandenburgischen Landschaft. Hievon sollten dem Prinzen Friedrich 30,000 Rthlr. zu seinem Niesbrauch zugewiesen werden, das Uebrige aber zur freien Verfügung der Prinzessin stehen. Heirathsgut und jenes Privatvermögen sollten in Meklenburg in der Weise angelegt werden, daß dafür Güter zu Pfandbesitz erworben würden. Das Fideicommiß von 60,000 Gulden sollte nach dem Tode der Großmutter zu Kirchheim die Prinzessin Louise Friderike in der Weise empfangen, daß ihr der Herzog Carl dafür jährlich 3000 Gulden Leibrente zahlte.

Diesen Summen, die, wenn man den damaligen hohen Werth des Geldes erwägt, sehr bedeutend waren, konnte Herzog Christian Ludwig allerdings nur wenig gegenüberstellen. Er verhieß 10,000 Rthlr. Subsistenzgelder jährlich (wovon, so lange H. Carl Leopold lebte, die Stände 8000 zahlten), dazu freie Tafel für den Prinzen, die Prinzessin und ihre Bedienung, auch Holz und Licht; die Morgengabe von 4000 Rthlr. wollte er der Prinzessin mit 400 Rthlrn. verzinsen und ihr jährlich 1400 Rthlr. Hand=, Spiel= und Kleidergelder geben; Prinz Friedrich aber verpflichtete sich die 1400 Rthlr. bei seinem Regierungsantritt auf 2000 zu erhöhen. Die Wahl ihrer Dienerschaft blieb der Prinzessin freigestellt; auch ward ihr - nicht in den Ehepacten, sondern in einer gesonderten Ausfertigung - eine selbständige Oeconomie verheißen, wenn ihr das Zusammenleben im Schlosse nicht thunlich erscheinen sollte.

Als Witthum ward auf den Fall, daß Friedrich als Prinz verstürbe, die Gesammtsumme von 8000 Rthlrn. festgesetzt (wozu 5000 Rthlr. von den Ständen, 1000 aus den Zinsen des Heirathsgutes gerechnet wurden); stürbe aber Friedrich als regierender Herr, so sollte es 12,000 Rthlr. betragen. Als Wittwensitz ward der Prinzenhof zu Schwerin in Aussicht genommen, falls noch nicht mit dem Vermögen der Prinzessin ein Amt eingelöst sein sollte.

Beim Tode der Prinzessin sollten an Würtemberg die 60,000 Gulden Fideicommißgelder zurückfallen, Friedrich sollte den Genuß der 32,000 Gulden auf seine Lebenszeit haben, das der Prinzessin von Christian Ludwig geschenkte Diamantkreuz bei den meklenburgischen Juwelen bleiben, alles andere Vermögen aber den Erben der Prinzessin, also ihren Kindern, oder wenn solche sie nicht überlebten, ihren Blutsverwandten und wem sie sonst Vermächtnisse aussetzen würde, zufallen.

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Man kann sich vorstellen, wie viel Friedrich bei allen diesen Unterhandlungen und Verzögerungen gelitten hatte. Seine Briefe an die Erbprinzessin Henriette Marie geben auch Zeugniß genug davon. Im Herbste 1745 verbreitete sich nun auch noch das Gerücht, der Markgraf wolle sich vor einem befürchteten feindlichen Einfall mit der ganzen Familie nach Stettin flüchten. Friedrich fürchtete davon eine abermalige Verzögerung, und er und sein Vater boten der Erbprinzessin und deren Tochter sofort einen Aufenthalt zu Schwerin an, wo ja dann die Hochzeit ohne viele Festlichkeiten gefeiert werden könnte. Aber das nahm der Markgraf fast übel; denn er wolle der Nichte ("Tochter") die Hochzeit geben, und man solle spüren, daß ein Unterschied sei zwischen einer markgräflichen und einer bürgerlichen Hochzeit. Darüber aber verging nun wieder ein Monat nach dem andern. Endlich, endlich war aber doch Alles vorbereitet, und der Markgraf konnte die Hochzeit auf den "Anfang des Märzen" 1746 festsetzen.

Da schrieb denn Friedrich am 22. Febr. (1746) an seine Braut (die unter ihren Titeln auch die einer Herzogin zu Teck und einer Herrin zu Heidenheim führte) nachfolgenden Brief, der uns zeigt, in welcher Weise er mit ihr correspondirte:

"Meine allerliebste und gnädigste Prinzessin!

Da eine Estafette abgefertigt worden, um [Sr.] K. H. dem Markgrafen devotest den gewissen Tag meiner Ankunft anzuzeigen, welcher der 27. durch Gottes Gnade ganz gewiß sein wird: so habe nicht versäumen wollen bei dieser Gelegenheit nochmals meine Gott Lob! letzte schriftliche Empfehlung Dero hochfürstlichen Augen fürzulegen, voller Freuden, daß nunmehro wieder durch Gottes Hülfe genesen, um persönlich den 27. meine sichtbarliche Empfehlung meiner Heidenheimischen Prinzessin in Dero Teckischen Gnade und Hulde zu machen, und auf alle ersinnliche Art und Weise darzulegen, daß mit ungeheuchelter, aller nur immer ersinnlichen Consideration und gänzlicher Ergebenheit bis am Ende meines Lebens gewißlich sein und, was zu Dero Vergnügen gereichen kann, jederzeit beitragen werde, meiner durchlauchtigen Durchlaucht und Prinzessin

gänzlich allerunterthänigst gehorsamst        
und allertreuester Diener              
Friedrich, H. z. M.                  

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" Postscript:
Es ist mir fast mit diesem Briefe gegangen wie mit der beorderten Gabel die Suppe zum Munde zu bringen am Versprechungs=Tage. Dann aus Freuden, die Estafette nicht aufzuhalten, habe vergessen zu melden, wie mich Dero letzteres Schreiben erfreuet, weil daraus Votre Altesse gnädigsten Befehl überzukommen wahrgenommen; mit Ertheilung meiner allergnädigsten Vergebung, daß ein Posttag versäumet worden an mir zu schreiben. Versichere, wie mit steter Gnade und großmächtiger Hulde Zeit Lebens sein werde Votre Altesse Knecht, valet, Diener und was Sie befehlen können, sollen, mögen u. s. w."

"Meinen allerersinnlichsten, unterthänigst kindlichen Respect bitte ja meiner allergnädigsten Mama zu versichern, und wie den 27. unterthänigst Rock und Hand küssen würde, weil mich durch Gottes gnädiger Hülfe wider alle mein Vermuthen und Besorgniß doch wieder gesund befinde. Der Markgräfin K. H. bitte für Dero gnädigstes Schreiben unterthänigst Dank zu sagen und selbigen meinen allerunterthänigsten Respect zu versichern."

Wirklich traf der Prinz am 27. Febr. Abends 6 Uhr mit seinem kleinen Gefolge, Nitzschwitz, Vieregge u. s. w., und mit zahlreichen Actenstücken, den Ehepacten und vielen Reversen, in Schwedt ein. Er sollte hier aber sofort erfahren, daß "Oncle Markgraf" die Hochzeitsfeierlichkeiten in großartigem Stil entworfen hatte; dessen Hofmeister holte den Prinzen ein, 24 Kanonenschüsse verkündeten der gespannten Bevölkerung den Einzug des Bräutigams. Friedrichs Bitten um Vereinfachung der Festlichkeiten waren ohne Erfolg; nur den Fackeltanz vermochte er zu verbitten. Der König Friedrich von Preußen hatte, um seine Theilnahme zu bezeugen, wie wenn Louise Friderike eine preußische Prinzessin gewesen wäre, befohlen, daß am 27. in allen Kirchen zu Berlin und zu Schwedt #. für die bevorstehende Vermählung das Kirchengebet gesprochen würde.

Ueber die Vermählungsfeierlichkeiten ließ der Markgraf zu Schwedt eine keineswegs "kurze Relation" aufsetzen, aus der hier Einiges folgen mag.

Nach einem Concert bei der Markgräfin am 28. Febr. war "den 1. Martii Polterabend, wobei Jh. Hochfürstl. Durchl. der Prinzessin Braut Handschuhe und Schnupftuch in kleine Stücke zerrissen, imgleichen vor einige Rthlr. irdenes Geschirr zerbrochen wurde."

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Am 2. März, Abends 8 Uhr, fand auf dem großen Saal die Trauung statt. Sie ward, da des Markgrafen Hofprediger reformirten Bekenntnisses war, vollzogen von einem evangelischen Landprediger Evenius (bei dessen langer und wenig erbaulicher Rede der Prinz Friedrich seine Darguner vermißt haben mag). Auf das Festmahl, wobei zahlreiche Trinksprüche von Kanonendonner begleitet wurden, folgte ein Ball, den der Markgraf mit der Braut eröffnete. Ob auch Friedrich am Tanze theilnahm, bleibt zweifelhaft. Die Braut wird als außerordentlich schön geschildert; und vom Bräutigam wird gesagt: "Der Durchl. Herr Bräutigam, welcher ein grundbraunes, mit Silber und Gold gewürktes Kleid von auserlesenstem Gusto anhatte, war auch so schön gezieret und sahe so wohl und vergnügt aus, daß alle Anwesende, sowohl hohe als niedere, Höchstdenselben zu bewundern und zu besehen nicht satt wurden; und glaube ich, wenn die Tafel an Einem fort 8 Tage gedauert hätte, alle anwesende Zuschauer Essen und Trinken vergessen und hintangesetzt hätten, um nur das Durchl. Brautpaar nach Genüge zu beschauen." Aber Friedrich fand, "der Concipient habe sonderlich am Ende was extravagiret", und die Beschreibung ward darnach abgeändert. Am 3. März folgte abermals ein Concert bei der Markgräfin, und am 4. und 5. mußte Friedrich sich dann auch noch Maskenbälle gefallen lassen. Uebrigens schrieb er am 5. sehr glücklich an seinen Vater und urtheilte über seine junge Gemahlin: "Ich finde derselben Gemüthsbeschaffenheit ganz anders und besser, denn es mir je fürgestellet hätte."

Der Markgraf konnte gewiß mit Befriedigung auf das von ihm arrangirte Fest zurückschauen; um demselben indessen einen würdigen Abschluß zu geben, veranstaltete er am nächsten Tage (6. März) noch eine große Jagd.

Am 14. März brach Friedrich mit seiner Gemahlin, welcher sich deren Mutter und Frau von Neustein anschlossen, um wenigstens vorläufig einen längeren Aufenthalt bei der Prinzessin zu nehmen, von Schwedt auf, am 15. ward der Strelitzer Hof begrüßt, und an demselben Tage wurde noch Waren erreicht, wo ein Kammerjunker die Prinzessin im Namen des Herzogs Christian Ludwig in Meklenburg=Schwerin bewillkommte. Der Herzog selbst und Prinz Ludwig empfingen das junge Paar am nächsten Abend zu Neustadt. Dort im Schlosse ward 2 Tage gerastet, am 19. März nach dem Jagdhause zu Kraak aufgebrochen. Bis hieher kam trotz ihrer großen Schwächlichkeit die Herzogin=Mutter Gustave

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Caroline der Schwiegertochter mit ihren beiden Prinzessinnen, der lebensfrohen Ulrike und der kränklichen Amalie, sowie mit großem Hofgefolge entgegen, und nach dem Mittagsmahl brach der ganze Zug, ungemein glänzend, Friedrich auf einem gelben Hengst, seine junge Gemahlin mit ihrer älteren Schwägerin in seinem Staatswagen, nach Schwerin auf. "Solchergestalt", heißt es in dem amtlichen Bericht, geschahe also bei vielem Frohlocken und ungemeinem Zusammenlauf von Einheimischen und Frembden, unter Trompeten= und Paukenschall, welche vom Rathhaus sowohl als bei der mit ihren Fahnen paradirenden Bürgerschaft sich beständig hören ließen, und unter dreimaliger Lösung von 18 Kanonen, vom Spielthun an um die Stadt und Schloß herum, der so sehnlich erwünschte Einzug der neuvermählten hohen Herrschaften, welche dann auf dem Alten Garten vor einigen Compagnien des (zur Sicherheit des Landes in Sold genommenen) schwarzburgischen Regiments, vor welchen der H. Obrist v. Diepenbroick selbst mitparadirte, mit einer dreimaligen Salve annoch begrüßet wurden. Den 20. gingen sämmtliche hohe Herrschaften mit großem Gefolge nach der Kirchen, woselbsten das Te Deum unter starker Musik und dreimaliger Lösung von 8 Kanonen abgesungen wurde. Zu Mittag war Tafelmusik und speiseten die Herrschaften allein." - - Nach der Gallatafel Assemblée bei der Prinzessin Louise. "Von 6-8 Uhr wurde das von dem lauenburgischen Consistorial=Assessor Hrn. Brandenburg auf gnädigsten Befehl aufgesetzte so schöne Singgedichte aufgeführet von dessen Compositore Hrn. Kuntzen", der auch zu dem sich anschließenden Balle eine gefällige Musik componirt hatte. Am 21. Maskenball, am 22. Wiederholung des Singgedichtes und Abends wiederum Maskenball. Endlich am 23. wiederum Gallatafel, und "gegen Abend ward das Singgedichte zum dritten Mal aufgeführet und so wie vorher jedes Mal mit innigstem Vergnügen von der Durchl. Herrschaft sowohl als einer unglaublichen Menge Zuhörer angehöret und applaudiret. Bei der Tafel war bunte Reihe, nachhero Bal en masque."

Der Schwedter Cavalier, welcher das junge Fürstenpaar nach Schwerin geleitet hatte, konnte, dem Markgrafen also melden, daß man hier hinter dem Schwedter Hofe in Festlichkeiten keineswegs zurückblieb. Wäre er noch so lange in Schwerin geblieben, hätte er auch noch hinzufügen können daß am 18. April der Artillerie=Commandant von Zülow zu Ehren der Prinzessin Louise noch ein großartiges Feuerwerk in 4 Acten veranstaltete.

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Man nimmt mit Freuden wahr, daß bei allen Festlichkeiten in Schwerin auch der alte Herzog in Dömitz nicht vergessen ward. Am 24. März zeigte Herzog Christian Ludwig ihm aus "brüderlicher Pflicht" in einem eigenhändigen Briefe die Vermählung an, mit der Bitte, "daß", wie er schreibt, "Ew. Liebden gnädigst geruhen, sowohl mir und meiner Familie, als besonders dem neuen Ehepaar Dero hochschätzbare Gnade zuzuwenden, der ich dagegen mit der aller vollkommensten Hochachtung bis ins Grab verbleibe Ew. Liebden ganz ergebenst treugehorsamster Bruder und Diener." Gleichzeitig bat Friedrich den Oheim um seine "hohe Gnade und väterlichen Segen", und die Prinzessin legte einen Brief bei, wohl den einzigen, den sie an den Herzog Carl Leopold gerichtet hat, und der also lautete:

"Monseigneur.

Ayant à présent l'honneur d'être la nièce de Votre Altesse Sérenissime, Elle me permettra de l'assurer de mes respects et de Lui demander avec empressement quelque pari dans Son amitié, qui contribueroit infiniment au bonheur de ma vie, et que je tâcherai de mériter par l'attachement que j'aurai pour Monseigneur mon cher Oncle, par devoir et par inclination faisant gloire de me dire avec le plus profond respect

Monseigneur  
De Votre Altesse Sérénissime
La très humble et très obéissante
         Schwerin

Nièce et Servante

       ce 24. mars

Louise Frederique PDM.

           1746."

Eine Antwort aus Dömitz durfte nicht erwartet werden, und erfolgte auch nicht einmal an die Prinzessin, oder an deren Mutter, die gleichfalls ihm die Hochzeit anzeigte.

Der Uebergang nach Meklenburg ward der Prinzessin Louise um so leichter, da der Herzog von Würtemberg ihrer Mutter verstattete auf zwei Jahre ihr würtembergisches Witthum (jährlich 15,500 Gulden) nach Meklenburg zu beziehen, und die Mutter in Schwerin selbst um die Tochter verblieb, von des Herzogs Christian Ludwig Erlaubniß das Neustädter Schloß zu bewohnen nur gelegentlich, etwa zu einer Brunnenkur, Gebrauch machte. Aus dem Zusammenleben mit der Erbprinzessin von Würtemberg scheint im Schweriner Schlosse auch keinerlei Unbehaglichkeit entsprungen zu sein; wenigstens ward später der Herzog von Würtemberg ersucht jene zwei=

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jährige Frist noch auszudehnen. Friedrich liebte seine Gemahlin aufs Zärtlichste, und sie scheint auch schnell die Liebe seiner Eltern und Geschwister gewonnen zu haben. Wenn sie mehr Zerstreuungen wünschte als ihr Gemahl, so traf darin der Geschmack ihres Schwiegervaters mit dem ihrigen überein. Dieser liebte den Comfort und Luxus in künstlerischer Form und zerstreute sich von den zahllosen Sorgen und Verdrießlichkeiten, welche ihm die öffentlichen Verhältnisse Meklenburgs bereiteten, gern in heiterer Unterhaltung, in Festen und im Theater, oder, da solches in Schwerin nur noch selten und vorübergehend zu haben war, in Concerten. Der Wechsel in der Residenz, indem gelegentlich Kraak oder das noch äußerst bescheidene Kleinow oder Neustadt besucht ward, brachte Mannigfaltigkeit in das Hofleben.

Im Juni 1746 stellte Friedrich seine Gemahlin der von ihm so hoch verehrten Großtante zu Dargun vor. Sie fanden auch dort einen sehr freundlichen Empfang, Augusta freuete sich der neuen Bekanntschaft. Diese Besuche sind auch späterhin öfters wiederholt, und Augusta erinnert den Prinzen gelegentlich daran, daß ihr ein solcher versprochen und nun auch auszuführen sei. Ob aber die Prinzessin Louise ganz in den Sinn und die Denkungsart der Tante eingegangen ist, läßt sich, da die von ihnen gewechselten Briefe nicht vorliegen, nicht genauer erörtern. In den Briefen der Prinzessin Augusta an den Prinzen Friedrich, die übrigens sehr unvollständig auf unsere Zeit gekommen sind, spielt die Prinzessin Louise keine große Rolle; nur gelegentlich geschieht ihrer, aber dann sehr freundlich, Erwähnung.

Die große Bereitwilligkeit, welche die Landstände zur Beförderung der Vermählung bewiesen hatten, legte dem jungen Paar die Verpflichtung auf, ihnen eine Anerkennung zu erzeigen. Friedrich reiste also zu Anfang Novembers mit seiner Gemahlin zum Landtage nach Rostock. Das ward von den Ständen hoch aufgenommen; eine ständische Deputation ward erwählt, um der Prinzessin Louise ein "geschicktes Compliment" abzustatten und ihr 1000 Ducaten zu überreichen. "Zudem wollte", wie Franck meldet, "Ritter= und Landschaft die 4000 Rthlr., welche der Herzog Friedrich bereits empfangen, nicht wieder fodern, noch zur Rechnung kommen lassen, weil I. Dchl. sich so gar gnädig auf diesem Landtage bezeiget. Daneben wurden auch 100 Duc. Spec. an den Prinzen Ludewig von Ritter= und Landschaft bewilliget." "Was vermag", setzt Franck hinzu, "die Güte nicht bei Edelmüthigen!" -


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Fünftes Kapitel.

Friedrich als Erbprinz.

Der erste Winter, den die Prinzessin Louise an der Seite ihres Gemahls verlebte, und der ihr durch die Gesellschaft der Mutter und der Baronin von Neustein, der alten, vertrauten Freundin, noch verschönert ward, verfloß unter mancherlei Abwechselungen, wie sie der Herzog Christian Ludwig auch damals bei seinen verhältnißmäßig geringen Mitteln dem Leben an seinem Hofe zu geben wußte; und es gelang ihr leicht, durch lebhaftes Eingehen auf diesen Ton, sich allgemein beliebt zu machen, namentlich aber durch ihr freundliches und liebevolles Wesen sich die größte Zuneigung der Verwandten ihres Gemahls zu erwerben.

Im Frühling des Jahres 1747 brach Prinz Friedrich dann mit seiner jungen Gemahlin zu einer längeren Reise nach Süddeutschland auf. Es war zunächst nicht auf eine Vergnügungsreise abgesehen; vielmehr beabsichtigte die Prinzessin ein Bad zu besuchen, der Prinz wollte die ehrwürdige Großmutter derselben, Johanna Elisabeth, Herzog Eberhard Ludwigs Wittwe, auf ihrem Wittwensitze zu Kirchheim begrüßen (er kannte sie noch nicht), und die Prinzessin Louise gedachte während ihres Aufenthaltes in Würtemberg auch die nicht ganz klar gestellte Angelegenheit ihrer väterlichen Erbschaft völlig mit ihrem Vetter, dem regierenden Herzoge Karl, aufs Reine zu bringen.

Die Reise ward in der zweiten Hälfte des Aprils, zu einer Zeit, wo im mittleren und südlichen Deutschland der Frühling schon seinen Einzug hält, unternommen. Unsere Nachrichten über dieselbe sind aber sehr spärlich. Während Friedrich auf seiner Reise nach Frankreich und England Alles, was er mit jugendlicher Lebhaftigkeit beobachtet hatte, sofort seinem Tagebuche anvertrauete, erfahren wir über diese Reise nur sehr gelegentlich Etwas in seinen Briefen an den Vater. Die großen königlichen Marställe in Celle und in Hannover erregten natürlich seine wie jedes andern Pferdekenners Aufmerksamkeit. Durch das liebliche Weserthal bei Münden gelangten die Reisenden nach Cassel, durcheilten aber incognito diese (damals noch befestigte) Residenz und machten erst in Marburg wieder Halt, um das berühmte Grab der heiligen Elisabeth zu sehen. Für die Schönheit der Elisabethkirche, wie überhaupt für die Gothik scheint der sonst so kunstliebende Prinz ebenso wenig ein rechtes Ver=

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ständniß gehabt zu haben wie seine Zeitgenossen; auch in Frankfurt besuchte er freilich den Dom und den Römer, aber er rühmt doch vornehmlich "das Taxische Haus", das er ein ,,merkwürdiges Stück auf dieser Reise" nennt. An Darmstadt gingen die Reisenden schnell vorüber; in Heidelberg ward natürlich das Schloß nicht vergessen, und auch das Weinfaß findet Erwähnung. Aber Alles ward doch nur wie im Fluge berührt; schon am 27. April traf das fürstliche Paar in Kirchheim ein und erfreuete sich beider alten trefflichen Herzogin der glänzendsten Aufnahme; sie wurden mit prächtigen Geschenken überhäuft, die Großmutter war über den Besuch ihrer einzigen Enkelin sehr glücklich.

Aber auch Herzog Karl, der, wie wir wissen, die Prinzessin Louise sehr hochschätzte, war sehr aufmerksam; schon als das fürstliche Paar auf der Reise nach Kirchheim nahe bei Ludwigsburg vorüberfuhr, versäumte er nicht, dasselbe wie von Ungefähr auf der Jagd unterwegs zu begrüßen. Demgemäß wurden dann auch von Kirchheim aus Besuche zu Stuttgart und Ludwigsburg gemacht.

Lange währte aber der Aufenthalt in Würtemberg vorläufig nicht; Prinz Friedrich begleitete bald hernach seine etwas leidende Gemahlin in ein jetzt verschollenes Bad, das im Süden des Schwarzwaldes unweit Kandern und Basel belegene Zell, das auch damals wenig besucht war. Um Johannis kehrten sie "ziemlich wohl" nach Würtemberg zurück, um mit der Großmutter einen längeren Aufenthalt im Schlosse Stetten (bei Eßlingen) zu nehmen.

Das war für den Prinzen ein großer Genuß. Er fand das Schloß "über die Maßen angenehm". Er rühmt die schönen Alleen und Gärten, die Fontainen, die Teiche, welche von türkischen Enten und andern glänzenden Vögeln belebt waren, und namentlich auch die herrliche Terrasse; Alles, schreibt er, erinnere ihn an Wouwerman. Es war ihm sehr lieb, daß seine Gemahlin gerade diesen Ort zu einer Brunnenkur erwählte, und er ließ es sich gern gefallen, daß die Erbschaftsverhandlungen den Aufenthalt noch verlängerten. Erst zum September ward der Aufbruch nach Schwedt in Aussicht genommen, wo der Herzog Christian Ludwig sie in Empfang zu nehmen verhieß. -

Der nächste Winter führte große Veränderungen in Meklenburg mit sich: am 28. November 1747 verstarb beim Antritt seines siebzigsten Jahres der regierende Herzog Carl Leopold. Keiner von seinen Verwandten stand zu Dömitz an seinem Sterbebette; seine Tochter Katharine (Anna Karlowna),

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die er übrigens nur als zartes Kind gesehen hatte, war ein Jahr früher dem unwirthlichen Klima der Insel Kolmoghory (bei Archangel), ihres Verbannungsortes, erlegen; mit seinem Bruder und mit seinen Neffen sich zu versöhnen hatte er nicht über sich vermocht. Der Herzog Christian Ludwig hatte so wenig eine Ahnung von dem herannahenden Ende des Bruders gehabt, daß ihn die Todesnachricht bei einem Aufenthalt in Strelitz überraschte. Nur einige von seinen ergebensten Dienern hatten standhaft bei jenem ausgeharrt trotz aller Noth und Sorgen, in denen der unglückliche Herzog durch eigene Schuld seine letzten Jahre verlebte, und trotz der ebenso heftigen als mißtrauischen Gemüthsart dieses Herrn, welche den Verkehr mit ihm so unsäglich erschwerte. Am 31. Januar 1748 fand er zu Doberan seine Ruhestätte.

Natürlich erwuchsen unter den obwaltenden Umständen dem nunmehr regierenden Herzoge aus dem Regierungsantritt zahllose Geschäfte, und der nunmehrige Erbprinz Friedrich fand täglich Gelegenheit genug dem Vater Beistand zu leisten, ihm an die Hand zu gehen. Denn es galt, Meklenburg aus dem Chaos zu erlösen, in dem es seit länger denn 30 Jahren gelegen hatte; es war nicht viel weniger als Alles neu aufzurichten; und die widerstrebendsten Elemente sollten versöhnt werden. "Unsere landesväterlichen Absichten"- schrieb der Herzog am 18. Januar an den Engeren Ausschuß - "sind vornehmlich mit dahin gerichtet, daß alle bisher vorgewaltete Irrungen aus dem Grunde gehoben und resp. gnädigstes und unterthänigstes Vertrauen und Liebe, zum wahren Wohlsein unsers fürstlichen Hauses und gesammter Unterthanen, mehr und mehr befestigt werden möge."

Das war gewiß ein Wort, das in allen Herzen einen Wiederhall hätte finden sollen; aber es stellte sich bald heraus, daß nicht allein Herzog Carl Leopolds Persönlichkeit der Versöhnung im Wege gestanden hatte, und daß sein Tod nicht sobald die erfreuliche Beruhigung des Landes, die sich Manche davon versprochen hatten, herbeiführte. Bei den Städten hatte der alte Herzog noch vielfach Anhänglichkeit, wenn auch mehr im Stillen, gefunden; gewissermaßen waren die Ritterschaft und die Stadt Rostock ihre gemeinschaftlichen Gegner gewesen, namentlich in der Steuerfrage; und die kaiserlichen Commissionstruppen, welche die bisherige Regierung, an der die Ritterschaft einen den Administrator sehr beengenden Antheil genommen hatte, aufrecht erhielten und gegen etwanige Versuche von Dömitz aus schützten, waren bei

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den Städten sehr verhaßt. Andererseits waren die Ritter keineswegs geneigt ihre bisher behauptete günstige Stellung aufzugeben; und doch mußten sie erwarten, daß der neue Landesherr versuchen würde, sie in die alten Schranken zurückzuweisen!

Der Herzog Christian Ludwig verfuhr, wie immer, mit Tact, Klugheit und Mäßigung, um einerseits die Ritterschaft und Rostock zu befriedigen, andererseits aber so viel als möglich von seinen landesherrlichen Rechten wiederzugewinnen und eine selbständige Regierung zu befestigen. Zunächst galt es, ein Regierungs=Collegium wieder aufzurichten; er ernannte also seine beiden Räthe von Klein zu Geheimen Räthen, den älteren zugleich zum Kammerpräsidenten, obwohl er wußte, daß sie der Ritterschaft nicht genehm waren und sein eigener Sohn, der Erbprinz, in ihnen Widersacher sah; er ernannte ferner den von den Ständen auch mit Mißtrauen angesehenen ehemaligen Rath Carl Leopolds, Ditmar, der sich in wenig Jahren durch seine Tüchtigkeit vom Canzlisten zum Rath emporgeschwungen hatte, zum Regierungsrath, und zog allmählich andere tüchtige Männer hinzu, namentlich den ausgezeichneten Rostocker Professor Johann Peter Schmidt. Um die schwarzburgischen Commissionstruppen aus dem Lande entfernen zu können, mußte der zum General=Major ernannte ältere von Zülow ein Infanterie=Regiment errichten, Herzog Carl Leopolds Obristlieutenant Ulrich Hans von Blücher das Garde=Cavallerie=Regiment bilden. Das Lehnswesen hatte seit langer Zeit fast stille gestanden; eine Revision der sämmtlichen Lehnstitel ward für dringend nothwendig erkannt und auch durchgeführt. Dem Hof= und Landgericht gab der neue Regent in der Person des bei der Ritterschaft so einflußreichen Landraths von Pederstorff einen würdigen Präsidenten. In die geistlichen Angelegenheiten griff Christian Ludwig nur sehr behutsam ein; die Herzogin Augusta zu Dargun und der Erbprinz Friedrich hatten aber doch die Freude, daß die Jördensdorfer Pfarrangelegenheit trotz aller Schwierigkeiten, die der streng orthodoxe (und sehr tüchtige) Güstrowsche Superintendent Enoch Zander ihnen noch machte, zu ihrer Zufriedenheit erledigt ward.

So weit gelang Alles ganz wohl; aber unübersteigliche Hindernisse bereiteten die ständischen Angelegenheiten. Der Herzog gedachte seine Gegner zu trennen und vornehmlich dadurch, daß er sich mit Rostock verglich, die Ritterschaft zu isoliren, auch durch eine gänzliche Aufhebung der Communion allen Händeln mit dem Strelitzer Hause auf immer vorzu=

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beugen, zugleich wohl den Widerstand der Ritterschaft dadurch zu schwächen. Aber diesen Versuchen setzte die Ritterschaft sofort den entschiedensten Widerspruch entgegen. Der Herzog Christian Ludwig hatte in dem Vergleich mit Rostock so viel nachgegeben, daß sein Erbprinz denselben "nicht eben vortheilhaft" für das Fürstenhaus fand; die Ritterschaft protestirte aber doch dagegen. Und die Auseinandersetzungs=Convention mit Strelitz fand sie noch viel bedenklicher; darin, daß ihre Union sich nur noch in gemeinsamen Conventen äußern, die Landtage aber getrennt werden sollten, fanden die Ritter eine unerträgliche Verletzung ihrer Rechte; über den Steuermodus, namentlich den städtischen, konnten sie sich mit dem neuen Landesherrn so wenig verständigen wie mit seinem Vorgänger. Wiederum ward Jahre lang vergeblich zu Wien verhandelt! - Es ist hier nicht unsere Aufgabe, diese unerquicklichen Streitigkeiten auszuführen; bekanntlich gelang es endlich der Klugheit und Friedensliebe des Herzogs selbst und der Gewandtheit seiner Räthe, namentlich Ditmars (der 1754 in den Freiherrnstand erhoben war), im Frühling 1755 durch den Abschluß des landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs den inneren Frieden des Landes wiederherzustellen.

Aber alle Wunden, welche dem Lande unter Herzog Carl Leopolds Regierung geschlagen waren, vermochte sein Bruder doch nicht zu heilen; zu seinem Schmerze hat er die Einlösung der an Hannover und Preußen für die Executionskosten verpfändeten Aemter nicht erlebt, und ebenso wenig erlangte er die Abstellung der preußischen Werbungen, welche Meklenburg oft unerträglich belästigten. Doch darauf werden wir späterhin noch näher eingehen müssen. Es kam uns hier nur darauf an, in wenig Zügen die politische Lage Meklenburgs zu schildern, auf welcher Friedrichs eigene Regierung hernach beruhete.

Denn wieweit er selbst als Erbprinz an der Entwicklung der Verhältnisse thätigen Antheil genommen hat, läßt sich schwer angeben. Er lebte fast immer in des Vaters Umgebung, zu einer schriftlichen Auseinandersetzung seiner abweichenden oder beistimmenden Ansichten hatte er darum selten Gelegenheit. Daß er aber seine Meinungsverschiedenheit nicht unausgesprochen ließ, wenn ihn der Vater fragte, sieht man aus der oben angeführten Aeußerung der Unzufriedenheit mit dem Vergleich, welcher der Stadt Rostock vorgeschlagen war. Indessen äußert er sich doch auch über diese Angelegenheit nur behutsam; und man darf wohl annehmen, daß in den ersten Jahren der selbständigen Regierung seines

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Vaters die bereits erwähnte Spannung mit den beiden Geh. Räthen von Klein ihn zu einiger Zurückhaltung bewog. Der Kammerpräsident Johann Christian von Klein starb jedoch schon im Januar 1751, und sein Nachfolger im Amte ward von Both, der des Erbprinzen Glaubensrichtung theilte und mit ihm auf vertrautem Fuße stand. Auch mit dem Vicekanzler Ditmar und dem Regierungsrath Johann Peter Schmidt verständigte sich der Prinz Friedrich ohne Zweifel leicht; und er schenkte ihnen und dem Grafen von Bassewitz, der auch schon als Vicedirector der Justizcanzlei bei Hofe in verdientem Ansehen stand und zu diplomatischen Sendungen verwandt wurde, so großes Vertrauen, daß er sie bei seinem Regierungsantritt an der Spitze der Regierung ließ.

Und dennoch verglich sich der Erbprinz in einem Schreiben an den Grafen Ernst von Stolberg, seinen vertrauten Freund, im Sommer 1752 noch mit Daniel in der Löwengrube! Der Graf antwortet, dieser Vergleich habe ihn und Andere "erquickt". "Die gnädig communicirten Nachrichten" - schreibt dieser weiter, - "wie der Herr selbst bis dato Dero Besorger gewesen, Gott des Herrn Kammerpräsident von Bothe Christenthum und Treue auch vor der Welt legitimiret, und wie Ew. Durchl. von der Kleinischen famille befreyet worden, sind der Anfang größerer Proben göttlicher Hülfe, die noch folgen werden. Der Herr schenke uns Glauben! Wir werden wahrlich noch seine Herrlichkeit sehen; und die Fußstapfen seiner Gnade und Wahrheit in ecclesiasticis et politicis, ja auch in domesticis, werden Dero Herz und Mund noch voll seines Lobes machen."

In der, wie bemerkt, nur noch sehr lückenhaft vorliegenden Correspondenz des Erbprinzen tritt uns sein thätiger Einfluß vornehmlich nur in Kirchenangelegenheiten entgegen, und zwar in dem noch immer wieder erwachenden Streite der orthodoxen Kirchenbeamten mit der pietistischen Richtung in Dargun, bei welchem der Erbprinz selbstverständlich auf Seiten der Darguner Glaubensgenossen stand, sein Vater aber, der durch die Berufung eines sehr gläubigen Candidaten nach Kleinow sich das Lob der Prinzessin Augusta erwarb, in seiner milden Denkungsart vermittelnd eintrat.

Die Erledigung der Jördensdorfer Pfarrangelegenheit ward schon berührt. Als aber die Prinzessin Augusta 1752 wiederum zwei Candidaten zu präsentiren hatte, fanden diese wohl Beifall bei dem Professor Quistorp, indessen der Güstrowsche Superintendent Enoch Zander verspürte in einem sehr scharfen Examen bei dem einen der beiden, und

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das war noch dazu der von der Prinzessin hochgeschätzte, gläubige Lehrer ihrer Pagen, Leonhard, einige ketzerische Neigungen und beanstandete ihn darum. Die Prinzessin gerieth hierüber in große Bekümmerniß, Pastor Ehrenpfort ward von ihr nach Schwerin abgesandt; ihres lieben Großneffen, des Erbprinzen, Beistand ward angerufen. Und wirklich entschied der Herzog Christian Ludwig auf den erforderten Bericht seines Hofpredigers Menckel zu Leonhards Gunsten. Die Angelegenheit ward aber noch vielfach besprechen; und ein herausfordernder Artikel der Hamburgischen Zeitung empörte den Erbprinzen dermaßen, daß er den Grafen von Stolberg und den frommen Abt Steinmetz zu Kloster Bergen befragte, ob nicht eine Entgegnung geboten sei. Aber der Graf widerrieth solche aus mancherlei Gründen; namentlich fürchtete er, es könnte die "unzeitige Begierde, die Richtigkeit seiner Meinung jedermann wissend zu machen, die guten dispositiones verderben, so Gott doch schon in Dero (des Erbprinzen) Herrn Vaters Gemüth gewürket hat."

Solche Thätigkeit war nun freilich für den Erbprinzen Herzenssache und Glaubenspflicht, sie entsprang aus seiner ganzen geistlichen Richtung, die wir schon besprochen haben und auch fernerhin noch wieder berühren müssen. Im Uebrigen aber nahm er rücksichtlich der Staatsgeschäfte jetzt als Erbprinz kaum eine bedeutendere Stellung am Hofe ein als früher -

Verfolgen wir nun seine Lebensumstände während des Zeitraumes, der uns gegenwärtig beschäftigt, etwas genauer, so steht fast an dem Eingange ein sehr ernstes und schmerzliches Ereigniß, der Tod seiner Mutter. Derselbe erfolgte, obwohl die Herzogin Caroline schon seit vielen Jahren kränkelte, doch ziemlich unerwartet am 13. April 1748 auf dem Schlosse zu Schwerin. Erst wenig Tage zuvor hatte sich der Erbprinz zum Vater nach Rostock begeben, wo man mit dieser Stadt eben Verhandlungen über eine Convention pflog. Von hier aus richtete Friedrich, nichts Schlimmes ahnend, noch am 11. April folgenden Brief an die Mutter, der ihr aber kaum mehr zu Gesichte gekommen sein wird:

"Durchlauchtigste Herzogin,
Hochgeehrte, vielgeliebte, gnädigste Frau Mutter!

Ew. Gnaden bezeuge hiedurch meinen allerunterthänigsten Respect, wünschend, daß solcher Ew. Gnaden bei hohem Wohl antreffen möge. Die Sachen mit hiesiger Stadt gehen auf das Allerbeste noch bisher, und Gott ist nicht

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genung darüber zu preisen. Wie Er dem Menschen alles Gute gönnet, so gönnet Er ihm hauptsächlich die Seligkeit als das Allerbeste und verlanget nur, daß wir es herzlich mit rechtem Ernste von ihm begehren. Denn er sagt: So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen. Denn die ihn anrufen, deren Angesicht wird nicht zu Schanden. In dessen treue Hände befehle ich Ew. Gnaden, zu Dero hohen Gnaden mich stets devotest recommendir', und versichere submissest, daß nie aufhören will mit allerunterthänigster kindlicher Veneration und Respect zu sein

Ew. Gnaden

  ganz unterthänigst gehorsamster
  Rostock,

Diener und Sohn

d. 11. April

Friedrich, H. z. M.

  1748.

Meine Frau läßt ihren unterthänigsten Respect versichern."

Der Tod der Herzogin Caroline war der schwerste Schlag, welcher in jener Zeit das herzogliche Haus zu Schwerin traf. Es folgten dann in wenig Jahren noch auffallend viele Todesfälle im Fürstenhause: die Herzogin Sophie Charlotte zu Bützow, die in den bedrängtesten Lagen manchen Rath und Dienst geleistet hatte, starb am 30. Mai 1749; die Großmutter, Herzogin Christiane Aemilia Antonie zu Strelitz, welche einst, wie erwähnt, ihrem in schweren Glaubenskämpfen befangenen Enkel einen ausführlichen, recht evangelischen Trostbrief geschrieben hatte und auch später mit ihm in Verkehr blieb, verlor Friedrich am 1. Nov. 1751; deren Sohn, der Prinz Carl Ludwig Friedrich zu Mirow, starb im Juni, und sein Bruder, der regierende Herzog Adolf Friedrich III., im Decbr. 1752; endlich ging auch die Herzogin zu Dargun 1756 kurz vor dem Herzoge Christian Ludwig heim!

Zu diesen Todesfällen kamen noch mancherlei besorgliche Krankheitsfälle. Friedrich selbst litt längere Zeit an den Augen, seine Gemahlin kränkelte. Es ward daher im Jahre 1750 von ihnen eine Badereise nach Aachen unternommen, die Prinzessin Ulrike schloß sich ihnen an, und der schon erwähnte Graf Bassewitz und die Gräfin begleiteten sie.

Diese Reise ward für den Erbprinzen eine sehr heilsame Zerstreuung. Die Fahrt bis zum Badeort hin ward freilich so schnell zurückgelegt, daß sie - außer der Gemäldegalerie zu Düsseldorf, die Friedrich, den Katalog in der

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Hand, durchging - kaum Merkwürdiges bot und eher eine lange Anstrengung war (am 20. Mai war Schwerin verlassen, schon am 27. ward Aachen erreicht); auch der Aufenthalt zu Aachen war an Zerstreuungen und Abwechselungen nicht reich. Aber desto schöner war die Nachkur. Herzog Friedrich meinte, man könne das "Spaa=Wasser" so gut in Paris wie anderswo trinken, und brach mit der ganzen Reisegesellschaft am 21. Juli dorthin auf. Die Reise ward auf das Aeußerste beschleunigt; für Brüssel blieb gar keine Zeit übrig, aber die Parkanlagen zu Chantilly wurden doch nicht übersehen. Schon am 27. Juli war Paris erreicht. Die Brunnenkur hemmte die fürstlichen Reisenden nicht, alle Sehenswürdigkeiten der französischen Hauptstadt und ihrer reichen Umgegend aufzusuchen; und groß war für Friedrich der Genuß, noch einmal jene Zeit, in der er hier so glücklich gewesen war, sich zu vergegenwärtigen und jetzt seiner Gemahlin und seiner Schwester als wohlbewanderter und sachkundiger Führer dienen zu können. Erst am 9. October langte die Reisegesellschaft in Schwerin wieder an. Kein Familienfest ging am Hofe des kunstbegeisterten Herzogs Christian Ludwig vorüber, ohne daß irgend eine musikalische Aufführung veranstaltet ward; der allzeit fertige Concertmeister Adolf Carl Kunzen verfehlte denn auch nicht, zur Feier der Rückkehr die von ihm "eilfertigst entworfenen Zeilen" zu componiren und am 18. Octbr. aufzuführen. Die "Treue", die "Zärtlichkeit", die "Weisheit" und das "Vergnügen" drücken bald im Chor, bald in Sologesängen ihre Empfindungen bei der Heimkehr der fürstlichen Reisenden aus. Dabei beschreibt die Weisheit den Moment der Ankunft in Schwerin in folgenden Versen:

- - "Doch wie bestürzt und froh, entzückend und erfreut
    Vernahm man nicht zur Abendzeit
    den rauhen Trommelschlag, der Eure Ankunft lehrte!
    besonders, als man gleich darauf
    das Rasseln Eurer Wagen hörte.
    Ein Aufstand, der das Schauspiel störte,
    ein Murmeln, das stets lauter ward,
    bekräftigt' Eure Gegenwart;
    ein Gehn, ein Laufen, ein Gedränge
    von einer höchst erfreuten Menge
    stieß diesen fort, hielt jenen auf;
    die schnellste Anzahl der Getreuen
    erreichte endlich Euren Blick
    und hatten sich, o welch ein Glück!
    am ersten Eurer Gnade zu erfreuen.
    Hier küßt' Euch Freud' und Demuth Rock und Hand!
    Was unsers Ludwigs Herz hiebei zugleich empfand,

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    das konnten die vergoß'nen Freudenzähren
    am deutlichsten erklären.
    O welcher Anblick War nicht dies!
    Wie wird die Zärtlichkeit beschrieben,
    mit der der beste Fürst sein theures Blut empfing,
    das ihm, indeß daß Worte unterblieben,
    mit Kuß und Gruß an Hand und Lippen hing!
    Wie reizend war dies Schauspiel echter Triebe,
    der Ausbruch kindlicher und väterlicher Liebe!
    Wie rührend nicht der Anblick des Genusses
    des brüderlich= und schwesterlichen Kusses!"

Auch die "meklenburgischen Nachrichten", die sehr ausführliche Hofnachrichten zu geben pflegten, erzählen etwa dasselbe; nur wird hinzugefügt, daß der Herzog Christian Ludwig alsbald die Prinzessin Ulrike "nach dem Schau=Platz führten, "die Vorstellung eines Helden=Spiels (Ricciardi's "politische Vorsichtigkeit") und eines Pastorells ("die geprüfte Treue") mit anzusehen." -

Der Erbprinz und seine Gemahlin erschienen also nicht bei dieser Vorstellung im Redoutensaale des Schlosses! Die Erschöpfung von der Reise gab gewiß einen Entschuldigungsgrund ab; aber ohne Zweifel wollte der Prinz Friedrich zu dieser ganz neuen Erscheinung im Schlosse erst Stellung nehmen. Und er nahm sie bald; die Hofnachrichten vom 17. Oct. besagen: ,,Ihro Herzogl. Durchl., wie auch der Erbprinzeß, des Prinzen Ludewigs und der Prinzessinnen Ulrika und Amalia Durchl. belieben täglich den Schauspielen zuzusehen, welche von der belobten Schönemannschen Gesellschaft aufgeführet werden, und die sich allemal mit dem kenntlichsten Unterschiede von den gemeinen Comödien ausnehmen." Also die andern Mitglieder des herzoglichen Hauses besuchten alle das Schauspiel, nur Friedrich nicht!

Es verlohnt sich wohl bei dieser Gelegenheit, überhaupt auf das damalige Hofleben einen Blick zu werfen; seitdem der Herzog Christian Ludwig selbst zur Regierung kam konnte er dasselbe etwas freier nach seinem Geschmacke gestalten. Er zählte bei dem Tode seines Bruders Carl Leopold schon 64 Jahre; aber er war nicht nur noch sehr rüstig, sondern, wie es scheint, auch noch ein sehr beweglicher Herr. Schwerin blieb seine Residenz; aber man wundert sich fast darüber, wie oft er dieselbe auf kurze Zeit verließ um trotz der damals so schlechten Wege entweder Geschäften nachzugehen oder sich eine Erholung zu gönnen unter den tausendfachen Sorgen und Verdrießlichkeiten, an denen seine Regierungszeit so reich war. Die Carnevalszeit verlebte er öfters zu Rostock; außer seinem Hause folgte dorthin auch

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das ganze Regierungspersonal, Kammer und Renterei. Maskenbälle liebte der Herzog gar sehr, überhaupt den Tanz; 1751 eröffnete er persönlich einen Ball mit der zum Besuch anwesenden Herzogin von Strelitz und tanzte hernach auch mit der Erbprinzessin und den Prinzessinnen Ulrike und Amalie - ungeachtet seiner 68 Jahre. Der Hof gab an Geburtstagen des Fürstenhauses und bei andern Gelegenheiten gern Maskenbälle, und der Winteraufenthalt zu Rostock brachte deren auch manche, daneben noch große Schlittenfahrten und andere Vergnügungen. Besuchten die fürstlichen Personen im Sommer Rostock, so ward wohl auch ein kurzer Ausflug nach Doberan und an den Heiligen Damm unternommen. Im Herbst pflegte das Hoflager auf einige Wochen nach dem Lustschlosse Kleinow oder (wie man es seit dem 21. August 1754 1 ) nannte) Ludwigslust verlegt; aber auch sonst ging der Herzog häufig auf einige Tage dahin, vornehmlich um der Jagd willen. Denn er selbst war ein leidenschaftlicher Schütze, sein jüngerer Prinz, Ludwig, desgleichen, und auch die Erbprinzessin und die Prinzessin Ulrike nahmen an diesem Vergnügen Theil. Wenigstens lesen wir gelegentlich, daß die Erbprinzessin im Laascher Holze einen Hirsch erlegt habe, und daß Ulrike ebenso glücklich gewesen sei. Vom Erbprinzen findet sich unter den Hofnachrichten nichts Aehnliches; wie es scheint, fand er längere Zeit an der Jagd kein Vergnügen. Vermuthlich begnügte er sich damit, in dem schon damals berühmten Garten zu spazieren, oder durch den anstoßenden Wald zu reiten, oder mit dem Baudirector Le Geay neue Baupläne zu besprechen, die damals gelegentlich in kleinem Maßstabe dort ausgeführt wurden, sich aber auf die allernöthigsten Bauten beschränkten, - wenn nicht schon damals etwa große Pläne für die Zukunft dem kunstverständigen Prinzen vorschwebten! - Der Jagd halber ging der Hof auch bisweilen nach Friedrichsmoor und nach Neustadt; wollte man sich diese Zerstreuung in größerer Nähe von Schwerin machen, so fand man damals auch Hirsche auf dem Schelfwerder, und gelegentlich ward


1) Meckl. Nachr. Vom 24. Aug. 1754: "Am Mittwoch [21. Aug.] erhuben sich Ihro Herzog. Dchl. unser gnädigster Landesherr, mit der ganzen fürstlichen Familie und dem grössesten Theil Dero Hofstaats nach Kleinow, und befohlen an selbigem Tage, daß ersagter Ort von nun an und für die Zukunft Ludwigs=Lust genannt werden solle."
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im Steinfelder Holze oder im Buchholze eine "Klopfjagd" gehalten.

Schwerin war damals, zumal im Vergleiche mit Rostock, eine immer noch ziemlich unbedeutende Stadt; der Herzog Friedrich Wilhelm hatte sie durch den Ausbau der Neustadt auf der Schelfe freilich erweitert, aber an Leben und Thätigkeit hatte sie dadurch nicht wesentlich gewonnen, von selbständiger Betriebsamkeit finden sich kaum Spuren. Vielmehr blieb Schwerin wesentlich Residenzstadt, welcher der Hof, die Behörden und die Garnison einiges Leben einhauchten. Wissenschaftliche Anregung, die Prinz Friedrich so gern suchte, fand sich in Schwerin nicht eben viel; das Gymnasium lag tief darnieder, und die Bemühungen Christian Ludwigs, es zu heben, hatten schwachen Erfolg. Außer dem damaligen Regierungsrath Johann Peter Schmidt hatte die Stadt kaum einen Gelehrten von Ruf aufzuweisen. Aber an dessen mehr antiquarischer Richtung fand Friedrich kaum viel Geschmack; und wenn die damaligen Regierungsbeamten in den ständischen Streitigkeiten manche Schriften ausgehen ließen, die von einer ausgezeichneten Kenntniß des meklenburgischen Staatsrechts Zeugniß gaben, so war auch dies ein Gebiet, das den Neigungen des Prinzen etwas ferne lag. Die Theologie bildete den vornehmsten Gegenstand seiner Studien, und in dieser fand er wohl in dem Hofprediger Menkel einen würdigen Studiengenossen, mit dem er sich über interessante Fragen aussprechen konnte; rücksichtlich der Naturwissenschaften, die ihn, wie wir wissen, gleichfalls sehr anzogen, war er aber sicher auf seine Bücher allein angewiesen. - In wie weit die Entwicklung der schönen Literatur seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, ist nicht ersichtlich. Seine Gemahlin las gern französische Schriftsteller; aber bei Friedrich haben wir schon früher eher eine Abneigung gegen dieselben wahrgenommen. Dagegen darf man nicht bezweifeln, daß ein so gläubiger Dichter wie Klopstock des Prinzen Gemüth tief bewegte; und in der That finden sich noch in der Großherzoglichen Bibliothek die ersten Ausgaben von den Bruchstücken, in denen der Messias erschien, nebst den Kritiken, welche sich für und gegen diese Dichtung aussprachen. Geistliche Dichtungen erregten selbstverständlich des Prinzen Aufmerksamkeit; und die "evangelischen Bußthränen", in welchen Johann Simon Buchka "die Sünden seiner Jugend" und namentlich seine satirische Schrift "Muffel, der neue Heilige", reumüthig beklagte, stehen in mehreren Ausgaben unter Friedrichs Büchern.

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In der Liebe zur bildenden Kunst traf Friedrichs Geschmack ganz mit dem seines Vaters überein; aber wenn der Herzog Christian Ludwig sich unbefangen an schönen Gemälden oder Statuen ergötzte, mußte Friedrich doch auch solchen Genuß erst gleichsam vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen. In einer seiner Aufzeichnungen aus jener Zeit bemerkt er in dieser Hinsicht:

"Die Bildhauerei und Malerei ist an sich gut. Sie kann die Größe des Schöpfers, in der am Werkmeister gegebenen Geschicklichkeit, bewundernd machen. Im Geistlichen kann sie auch erbauliche Gedanken verursachen. In weltlichen Zierrathen kann sie auch moralisch sein und Häusern und Gärten großes Ansehen geben. Wie nun ein Christ Alles, was zum Bösen Anlaß giebt, vermeiden und zum Guten gebrauchen muß: so muß auch in der Bildhauerei und Malerei nichts gemacht werden, was böse und liederliche Gedanken verursachen kann. Daß man aber sagen möchte, wie: jegliche Figur könnte einen Menschen zu üblen Gedanken bringen, wenn sie auch sonsten nichts Widriges vorstellete: - es ist aber keine Sache in der Welt, die nicht gemißbraucht werden kann, wenn sie nur nicht so beschaffen, daß der Mißbrauch unumgänglich ist."

Für die Plastik konnte nun freilich in Schwerin wenig geschehen, während der Sinn für Malerei durch neue Erwerbungen holländischer Gemälde neue Anregungen erhielt. (Die einzigen Statuen, welche bald darauf nach Schwerin kamen, waren vermuthlich jene mythologischen in französischem Geschmack, welche noch jetzt im Schweriner Schloßgarten stehen.) Kunstbauten wurden zu jener Zeit in Meklenburg auch nicht unternommen; dagegen fiel die Umgestaltung und Erweiterung des Schwerinschen Schloßgartens ins Jahr 1751.

Aus unsern früheren Mittheilungen ging hervor, wie lebhaft und wie lange der Erbprinz solche gewünscht hatte; bei seinem ersten längeren Aufenthalte zu Schwedt nahm er mit dem Baumeister Friedrichs des Großen darüber Rücksprache, mit dem Markgrafen von Schwedt verhandelte er über die mögliche Ausführung, und die Anlage der Gärten und Alleen zu Schwedt gab ihm Anregungen und Ideen dazu. Die Nothwendigkeit der Reform lag deutlich genug zu Tage.

Den "Garten vor der Burg" oder "an der Bahn" hatte Herzog Hans Albrecht I. durch Erweiterung des Terrains mittels Ankäufe von Häusern und Gärten ermöglicht und neu geschaffen, oder doch sehr vergrößert und verschönert.

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Zu diesem "alten Garten" kam unter dem Herzog Christian I. Louis der "neue Garten" (oder der "Garten über der Brücke") hinzu, und zwar Letzterer unter Vandeuille's und Lacroix' Leitung und Pflege ganz in dem damaligen Geschmack der Franzosen, aber ziemlich kleinlich. Unter der Regierung der Herzoge Friedrich Wilhelm und Carl Leopold verfiel diese Anlage ersichtlich: die Statuen aus Gips und Holz fielen auseinander, die kleinen Pyramiden von Eichenholz desgleichen; die Bilder in den Pavillons ("Cabinetten") wurden beschädigt, die Blumenbeete für die Zwiebelgewächse waren von Wurzeln und Unkraut durchwuchert, die gradlinigen hohen Hecken zeigten überall Lücken. - In dem "alten Garten" sah es nicht viel besser aus. Letzteren ließ nun der Herzog Christian Ludwig durch die Anpflanzung von mehr als 200 Linden zu einer angenehmen Promenade umschaffen, erneuerte das Gewächshaus und ließ eine größere und eine kleinere Fontaine anlegen. Den großartigeren Plan zum Schloßgarten aber entwarf der französische Ingenieur Le Geay, der den Titel eines Hofbaurathes führte, bis er an Friedrichs Geburtstage 1752 zum Hofbaudirector befördert ward. Jetzt erweiterte sich der Schloßgarten links durch den "Weg durch den See" (die heutige Chaussee nach dem Greenhouse), und südwärts wurden die "Cascaden" (wohl in ihrer heutigen Gestalt) angelegt; die schon vorhandenen "Gräben" wurden wieder aufgezogen und der "Canal" neu angelegt, die langen Alleen von Kastanien= und Lindenbäumen angepflanzt, Blumenpartien in damaligem Geschmack gezeichnet, zum Theil von Taxus umgeben, Küchengewächse wurden ganz daraus verbannt, u. s. w. Dem Publicum blieben die neuen Anpflanzungen noch verschlossen; erst nach seinem Regierungsantritt öffnete Friedrich den Schwerinern den Schloßgarten zum Spazierengehen, Fahren und Reiten. -

Wie eifrig der Herzog Christian Ludwig die Musik pflegte, ist schon bemerkt worden; und nicht nur der Erbprinz, sondern auch dessen Gemahlin, der Herzog Ludwig und die Prinzessinnen Ulrike und Amalie zeigten für diese Kunst gleiches Interesse. An Gelegenheitsdichtern fehlte es nicht (der bedeutendste unter ihnen war des Prinzen Ludwig Secretair Löwen); Texte waren zu den "Cantaten", "Serenaten", "Singespielen" u. s. w. immer zur Hand, und der Capellmeister Kunzen, und später auch der Hofcapell=Compositeur Hertel componirten mit erstaunlicher Geschwindigkeit ihre Festspiele zu den fürstlichen Geburtstagen und zu der

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Feier der Stiftung des russischen St. Andreasordens, welche der Herzog als Inhaber jenes Ordens 1 ) alljährlich am 30. Novbr. zu begehen pflegte. Von dem lebhaften musikalischen Sinne der fürstlichen Personen zeugt es, daß die Festmusik zu des Herzogs Christian Ludwig Geburtstag 1749 von dem damals berühmten Neruda in Dresden nach der Anordnung der Erbprinzessin componirt ward; und zum Geburtstage des Erbprinzen componirte Kunzen ein "Denkmal der zärtlichsten Bruderliebe, von dem Prinzen Ludewig aufgerichtet". Dies "Denkmal" liegt noch vor; es ist ein Singgedicht, in welchem die Liebe, die Treue, der Gehorsam und der Dank sich zu Friedrichs Preis vereinigen. Vorauf geht eine "Zuschrift" des Prinzen an den Bruder, deren Mittheilung hier gestattet sein mag:

   "Jauchzt! Saiten, jauchzt zu Friedrichs Ehre,
Weil Hoffnung, Dank und Freude singt;
Vereinigt hier, ihr vollen Chöre,
Die Opfer, die heut Jeder bringt!
Ich hör's; doch hören und dann schweigen
Erlaubt mein wallend Herze nicht;
Mein Herz muß ohne Decke zeigen,
Wie zart es wallt, wie stark es spricht.

   Ich kann nicht Deinen Ruhm erhöhen,
Der ist zu groß, mein Lied zu klein.
Auch fleh' ich nicht für Dein Ergeben,
Denn Dein Vergnügen ist ja mein!
Nur Eines kann mir wohl gebühren,
Nur Eins wird Dir von mir geweiht,
Nur eine Sprache kann ich führen,
Die Sprache wahrer Zärtlichkeit.

   Mein einiger Bruder! mein Vergnügen!
So stimmt die treue Dichtkunst an
Und sucht, ob sie in ächten Zügen
Was Unaussprechlichs schildern kann.
Allein es schränkt der Regung Stärke
Sich nicht in kurze Zeilen ein;
Sie wird nur, Dir zum Augenmerke,
Den Wahlspruch meiner Liebe weihn:

Die Völker sollen noch zu ihrer Lust erkennen,
Was Zärtlichkeit vermag, was Bruderliebe kann;
So lang' noch Feuer brennt, soll mein Herz für Dich brennen;
Mein David bleibest Du, und ich Dein Jonathan." -

Aber Musik und Dichtkunst allein genügten dem kunstsinnigen Herzoge Christian Ludwig nicht. Charakteristisch für


1) Als Herzog Christian Ludwig seines Bruders Hz. Carl Leopolds Orden nach Moskau zurücksandte, verlieh ihm die Kaiserin Elisabeth diesen Orden wiederum; am 11. Novbr. 1749 fand die feierliche Anlegung des Ordens im Schweriner Schlosse statt.
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seinen Geschmack ist, daß er (zum Geburtstage der Prinzessin Ulrike 1751) durch Kunzen einen "Wettstreit der Ton=, Dicht= und Schauspielkunst" "entwerfen" und componiren ließ, den dann die "Vernunft" entscheiden muß, indem sie jeder der drei Künste ihr Recht zuspricht.

Im Allgemeinen freilich stand damals die Schauspielkunst auf einer so niedrigen Stufe, daß der Geschmack an der deutschen Bühne nicht eben von großem oder feinem Kunstsinn zeugte. Aber es gab in Norddeutschland eine Truppe, die eine rühmliche Ausnahme machte, und eben diese, die Schönemannsche, zog der Herzog 1750 an seinen Hof. Schon als Commissarius hatte er sie 1740 einmal nach Schwerin berufen; aber damals hatte die Trauer um den am 20. Oct. 1740 verstorbenen Kaiser Carl VI. den Vorstellungen bald ein Ende gemacht. Seitdem war Schönemanns Ruf beständig gewachsen; seine Truppe stand auf ihrem Höhepunct, als sie auf des Herzogs Wunsch im October 1750 abermals in Schwerin auftrat. Sie entzückte ihn so, daß er alsbald in Rostock ein kleines Theater zu bauen befahl, während er in Schwerin die Vorstellungen in dem Redoutensaale des Schlosses geben ließ. Für dies Mal ward die Schweriner Bühne freilich bald (schon im November) wieder geschlossen, vielleicht weil des Herzogs Augen damals von einer hartnäckigen Entzündung befallen wurden, welche ihre Sehkraft gar sehr schwächte. Im nächsten Jahre unterwarf sich der Herzog der Cur des berühmten, aber freilich auch der Reclame kundigen englischen Oculisten John Taylor, den der Erbprinz schon 1737 (während des langweiligen Aufenthalts zu Angers) als Operateur bewundert hatte; aber die "Gesichtsdunkelheit" wollte nicht weichen, auch des berühmten Heister (Prof. zu Helmstädt) neue Cur hatte wenig Erfolg. 1752 trat eine Besserung ein, der Herzog konnte wieder auf 80 Schritte einen großen Hirsch erlegen; aber späterhin ward das Uebel wieder stärker 1 ). Die Mimik der Schauspieler entging jetzt freilich mehr oder weniger dem kunstsinnigen Fürsten; aber seine Vorliebe für das Theater ward dadurch nicht geschwächt. Noch während jener Taylorschen Cur, und wiewohl der Ausgang derselben wenig günstig zu werden versprach, ließ er - im Mai 1751 - das Rostocker Comödienhaus von Schönemann eröffnen; und bald


1) In den letzten Lebensjahren pflegte der Herzog Christian Ludwig seine volle Namensunterschrift durch ein Facsimile zu geben, zu welchem der Stempel noch vorhanden ist; dagegen signirte er die Concepte meistens handschriftlich.
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hernach ward bekannt gemacht, daß er die Schönemannsche Gesellschaft als Hofcomödianten mit einem anständigen Gehalte unter gewissen Bedingungen in seinen Dienst genommen habe. Die Sommermonate abgerechnet, welche jene Truppe wohl in Hamburg zuzubringen pflegte, spielte Schönemann dann, so lange der Herzog Christian Ludwig lebte, in Schwerin, oder er begleitetete den Hof nach Rostock.

Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß sich der Herzog gerade dadurch, daß er die Bühne unter seine Obhut nahm, um die Entwickelung der Schauspielkunst ein hohes Verdienst erwarb; der Rückhalt, welchen Schönemann am Hofe fand, machte ihn unabhängig von dem unsaubern Geschmack, den das große Publicum damals meistens auf dem Theater befriedigt zu sehen wünschte und gewohnt war. Der "Pickelhäring" war von Schönemann verbannt, die Improvisationen, welche sich damals die Schauspieler sonst oft noch gestatteten, um durch derbe und zweideutige Witze die Lachlust zu reizen, waren strenge verboten. Man gab französische Stücke von Moliere, Racine, Voltaire, Marivaux, Destouches u. s. w. in deutschen Uebersetzungen abwechselnd mit deutschen Lust= und Trauerspielen von Gellert, Gottsched und dessen Frau, Gleim, Elias Schlegel und so weiter. Hier in Schwerin errichtete der bedeutendste Künstler in der Hof=Schauspieler=Gesellschaft, Eckhof, 1753 die "Akademie", welche alle 14 Tage sämmtliche Mitglieder der Bühne zu einer Sitzung vereinigte; man beschäftigte sich dann wissenschaftlich mit der Schauspielkunst, las die aufzuführenden Stücke, analysirte die Charaktere und Rollen und kritisirte die Aufführungen der jüngsten Zeit. Es war Eckhof sowohl um die moralische als um die künstlerische Hebung der Bühne und ihrer Mitglieder zu thun; "Sittlichkeit, Richtigkeit, Bildung und Wohlstand", bemerkt Reichard, "das sind Eckhofs Verdienste um die Bühne". Er war selbst ein Künstler in großem Stil, von dem später Lessing rühmte: "Eckhof mag eine Rolle machen, welche er will, man erkennt ihn in der kleinsten noch immer für den ersten Acteur. Ein ihm ganz eigenes Talent ist dieses, daß er Sittensprüche und allgemeine Betrachtungen, diese langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anstande, mit einer Innigkeit zu sagen weiß, daß das Trivialste von dieser Art in seinem Munde Neuheit und Würde, das Frostige Feuer und Leben erhält". - Unter den Damen glänzten Frau Eckhof, Frau Starcke (später lange eine Zierde des Hamburgischen Theaters), Schönemanns Frau und namentlich

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seine Tochter, die bei ihrem ersten Auftreten zu Schwerin (1750) erst 17 Jahre zählte, sich hier mit dem schon erwähnten Secretair Löwen verheirathete und später in Hamburg "mit dem silbernen Ton der sonorsten, lieblichsten Stimme, mit dem offensten, ruhigsten und gleichwohl ausdrucksfähigsten Gesicht von der Welt", sowie durch "das feinste, schnellste Gefühl, die sicherste, wärmste Empfindung, die sich zwar nicht immer so lebhaft, als Viele wünschten, doch allzeit mit Anstand und Würde äußerte", Lessings lautes Lob erwarb.

Wer also nicht grundsätzlich den Besuch des Theaters verdammte, konnte ohne Zweifel, zumal bei der großen Mannigfaltigkeit des Repertoires, Vorstellungen beiwohnen, mit denen sich sein Kunstgeschmack einverstanden erklären mußte. Außer dem regierenden Herzoge selbst bezeugte nicht nur die Prinzessin Ulrike der Bühne ihr lebhaftes Interesse, - sie übersetzte für Schönemann den "Undankbaren" des Destouches -, sondern Löwen 1 ) rühmt namentlich auch die Gunst der Erbprinzessin; er nennt sie eine "vorzügliche Kennerin des Theaters" und behauptet, daß ihre "große Aufmerksamkeit ein Großes zu der innerlichen Vollkommenheit dieser Bühne beitrug". Das Nachspiel von Boissy: "Der Liebhaber seiner Frau", welches 1754 an ihrem Geburtstage aufgeführt ward, hatte sie selbst aus dem Französischen übertragen.

Ohne Zweifel gingen der Geschmack der Erbprinzessin am Theater und die Ansicht ihres Gemahls über die Schaubühne sehr weit auseinander; und bekannt genug ist, daß Friedrich trotz jener Vorliebe seiner Gemahlin für das Schauspiel sogleich nach seinem Regierungsantritt der Hofbühne ein Ende gemacht hat. Aber freilich konnte er als Erbprinz sich wohl schon um des Vaters willen von den Theatervorstellungen so wenig ganz zurückziehen wie von den Maskenbällen, die er ja auch nicht liebte, zumal wenn solche Festlichkeiten ihm zu Ehren gegeben wurden. Der erste Cyclus von Schauspielen schloß freilich, gewiß zu seiner großen Befriedigung, drei Tage vor seinem Geburtstag; aber am 9. Nov. 1751 ward "Sinilde", ein Trauerspiel von König, mit dem Nachspiel "Zeneide" gegeben; 1752 führte, wie die Hofnachrichten über seinen Geburtstag besagen, "gleich nach aufgenommener Tafeln die herzogl. Capelle eine wohl ausgearbeitete Cantate: "Das vortreffliche Kleeblatt" betitult,


1) Werke, Bd. IV, S. 36.
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mit vorzüglicher Fertigkeit auf. - Um 5 Uhr begaben sich die hohen Herrschaften nach dem Comödien=Saal und sahen das von den Hof=Comödianten gemachte Prologe "Die Frucht der Weisheitsliebe", und die Comödie "Die zärtlichen Schwestern" (von Gellert) mit Vergnügen an. Hiemit waren also die Lustbarkeiten vor dieses Mal beschlossen; am nächstkommenden Montag aber soll Redoute gehalten werden." - Wahrscheinlich fand jener Prolog vor Friedrichs Augen Gnade; denn er ward auch 1753 zur Feier seines Geburtstags wiederholt, und man ließ ein ernstes Stück, Voltaire's "Brutus", folgen und fügte noch ein Nachspiel, "das Portrait", hinzu. Ja 1755 ward des Erbprinzen Geburtstag - freilich nicht am 9. Nov., weil dieser auf einen Sonntag fiel, sondern am nächsten Mittwoch - durch ein neues französisches Lustspiel: La fausse antipathie ausgezeichnet, das vermuthlich auch in französischer Sprache in Scene ging. Nämlich auch früher waren schon der Abwechselung wegen mitunter französische Comödien bei Hofe aufgeführt; und dem Herzoge genügte schon die Schönemannsche Bühne, welche sich auf das recitirende Schauspiel beschränkte und auf die Ballete, "vielleicht aus guten Ursachen, wenig oder gar nichts verwandte", allein nicht mehr, sondern im Winter von 1755 auf 1756 mußte Schönemann an zwei Abenden in der Woche dem "Nicolo Peretti, Principal von dem Hamburgischen Theatro", und dessen italienischer Operngesellschaft zur Aufführung italienischer Opern die Bühne einräumen. -

Doch genug von dem Hofleben jener Zeit, an dem Friedrich Jahre lang grundsätzlich so wenig Theil nehmen mochte, als es seine Stellung und die Rücksicht auf seinen Vater und auf seine Gemahlin nur immer zuließen.

Uebrigens erwies sich bald, daß seine nicht eben starke Constitution den angestrengten Studien, denen er sich mit großer Beharrlichkeit hingab, nicht gewachsen war. Wenigstens glaubten die Aerzte der Enthaltung von der nöthigen Bewegung eine schwere Krankheit zuschreiben zu müssen, von welcher der Prinz Friedrich im Jahre 1753 betroffen ward. Es bildete sich in seiner Brust ein krebsartiges Geschwür aus, und man fürchtete allgemein, daß es den Tod herbeiführen werde. "Der leidende Prinz allein", schreibt Aepinus, "blieb bei dieser allgemeinen und gerechten Klage gelassen und unterwarf sich mit Standhaftigkeit einer sehr schmerzhaften Operation des berühmten Carpzow aus Hamburg,

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welcher des Prinzen Leben und Gesundheit glücklich rettete". - Unter den Glückwünschen, welche Friedrich bei seiner Genesung empfing, war gewiß keiner herzlicher als der, welchen ihm die Großtante in Dargun zu seinem Geburtstage schrieb, und den wir hier folgen lassen, als eine Probe von der Correspondenz, welche zwischen ihr und dem Großneffen fortgeführt ward:

"Mein sehr werthester Prinz!

Wie soll und kann ich gnungsam den großen und heiligen Heilande preisen und sein Lob verkündigen! Der seine Wohlthaten an Ihnen hat groß werden lassen und an Ew. Liebden seine noch habende Heilungskraft so herrlich gezeiget, auch an Ihnen bewiesen, daß er alleine sei Dero Herr! der Arzt! mit rechtem Nachdruck. Er wird gewiß, das weiß ich, Ew. Liebden Vieles in der Krankheit geschenket haben, das zu seinem ewigen Ruhm und Dero lebendigen Erfahrung im Christenthum gereichen wird. Der Herr mache alles dieses auch bei Andern zum ewigen Segen und würklicher Nachahmung zu ihrer Seelen Nutzen, Ihnen aber, mein theurer Prinz, zum ewigen Heil! Ew. Liebden können nun sagen, daß Sie an der Pforten der Ewigkeiten gewesen; aber der Herr hat sich Ihrer angenommen und zur Freude Aller, die dem Herren vertrauen, unter denen mich durch die Gnade und Erbarmung meines Heilandes mitrechne, gnädiglich erhalten. Ich würde eher meiner Pflicht und Liebe nach Ew. Liebden mit Schreiben besuchet haben; aber ich habe mich gefürchtet Ihnen nur noch zu incommodiren; denn habe auch ein Tag 8te einen starken rhume gehabt, davon ich bin gehindert worden zu schreiben. Ew. Liebden sind von mir doch schon überzeuget, wie ich hoffe, daß ich Sie in unserem Heilande liebe und hochachte, welches mehr als alles menschliche Bezeugen ist. In solchem Umbstand beharre durch die Gnade Gottes bis an mein seliges Ende zu sein

Ew. Liebden

Zu Wernigerode sind
sie ganz besorget umb
Ew. Liebden, wie auch treu eigene, ganz ergebenste
   die junge Fürstin. Mutter, Großtante und
Dienerin
Dargun,  Augusta, H. z. M."
d. 9. November
1753. 
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,,P. S. Ihro Liebden Dero Frau Gemahlin mache mein ganz ergebenstes Compliment. Habe von Herzen Dero gehabten Kummer wegen Ew. Liebden Krankheit beklaget. Was haben wir aber vor einen herrlichen Gott, der doch aus aller Angst und Noth erretten kann! Ach! wie sollten wir den nicht lieben, der uns so wohl thut und selbst die Liebe ist!"

Prinz Friedrich beginnt sein Antwortschreiben folgendermaßen:

"Ew. Gnaden danke ganz unterthänigst für Dero gnädigstes Schreiben und Theil, so Dieselben an meinen Umständen nehmen. Der HErr ist gut, und also hat Er sich auch recht in meiner Krankheit gezeiget. Es hat mir die ganze Zeit über kein rechter Schmerz beunruhiget, und ich bin krank gewesen, ohne es recht [zu empfinden], außer einer sehr großen Mattigkeit und wenigem Anderen. Ich trauete Gott zu, Er würde das Beste machen, und bekümmerte mich eben nicht groß darum. O! ein großer Gott, der Glauben giebet und, so ofte wir bitten, immer zum Besten, auf die beste Art erhöret, wann wir nur wollen! Auf Seiner Seite fehlt es an Keinem." -

Wenn wir dem meistens wohl unterrichteten Aepinus Glauben schenken dürfen, so hatte jene Krankheit für den Prinzen zwei sehr heilsame Folgen. "Auf Carpzows und auch anderer Aerzte Anrathen setzte er sich nachmals täglich, die Witterung mochte sein, wie sie wollte, der Luft aus und erhielt dadurch und durch eine gute Diät seinen Körper fast die ganze Zeit seines Lebens gesund. Durch jenes Leiden aber wurde sein Herz zur Geduld und Sanftmuth gewöhnet, ob er gleich von Natur auffahrend und heftig war; und aus Ueberzeugung widmete er sich den täglichen gottseligen Uebungen, bewies aber auch durch seine Handlungen, daß er sein Christenthum nicht in gedankenloses Singen und Beten, sondern in thätige Erweisungen setzte." -

Der Herzog Christian Ludwig hatte am 15. Mai 1753 sein siebzigstes Jahr vollendet; der Einfluß des Alters machte sich geltend, die Schwäche seines Gesichtes nahm allmählich zu. Es war ganz natürlich, daß er die liebsten Wünsche seines Lebens möglichst schnell noch der Verwirklichung entgegenzuführen suchte. Unter diesen traten vornehmlich erstens die Absicht, den ständischen Wirren einen dauernden Abschluß Zu geben, und zweitens die Vermählungssache des Prinzen Ludwig hervor. Beide Ziele hat er noch erreicht, das erste durch den endlichen Abschluß des landesgrund=

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gesetzlichen Erbvergleichs am 18. April 1755; und bald hernach, im Mai, begrüßte er auch seine zweite Schwiegertochter.

Die zweite Angelegenheit gewann dadurch an Bedeutung, daß die Ehe des Erbprinzen kinderlos blieb, alle Hoffnung auf die Fortdauer des meklenburg=schwerinschen Fürstenhauses also auf dem Prinzen Ludwig beruhete. Es waren aus diesem Grunde auch längst Verhandlungen wegen Vermählung des Prinzen angeknüpft; seitdem aber Prinz Friedrich in jene gefahrdrohende Krankheit verfallen war, wurden sie mit größerer Lebhaftigkeit geführt.

Nur der Sonderbarkeit wegen mag hier ein Antrag erwähnt werden, welchen der Jesuit C. Stöcker (der vermuthlich am Dresdener Hofe lebte) nach Schwerin gelangen ließ. Er brachte nämlich für den Prinzen Ludwig eine reiche Italienerin in Vorschlag, wenn er nicht gar zwei Schwestern zur Wahl verstellte. Wir erfahren nur so viel, daß es sich um eine Schwägerin des Erbprinzen Franz Constantin von Modena handelte. Es hatte dieser aber zwei Schwägerinnen: Maria Anna Mathildis, geb. 1726, und Maria Anna, geb. 1728; sie waren Töchter des (1731 verstorbenen) Herzogs Alderano Cibo von Massa=Carrara und der Ricciarda, der Erbtochter Camillo's III. von Gonzaga und Novellara. Der Jesuit stellte eine Mitgift von einer halben Million Thlr. in Aussicht, bezeichnete aber den Uebertritt des Prinzen zum Katholicismus als unerläßlich. Der Vorschlag unter dieser Bedingung fand keine Beachtung. Dagegen war es ursprünglich des Herzogs Christian Ludwig lebhafter Wunsch, sein jüngerer Prinz möchte sich mit der wolfenbüttelschen Prinzessin Christine verbinden; aber man erfuhr bald, daß sie mehr Neigung zum klösterlichen Leben äußere, und sie ist auch als Dechantin zu Quedlinburg 1766 gestorben. Dann fiel die Wahl auf die Prinzessin Christiane zu Mirow; und der Graf von Bassewitz warb auch wirklich um sie bei der Mutter. Aber diese Prinzessin hielt die Unterhandlungen, wie oft sie auch wieder ausgenommen wurden, fruchtlos hin, fast zwei Jahre lang. Da wandte man endlich den Blick nach Coburg. Nach einigen Vorverhandlungen erschien dort der Prinz Ludwig als Graf von Schwerin im November 1754, und Charlotte Sophie, die Tochter des regierenden Herzogs von Coburg=Saalfeld Franz Josias und der Herzogin Anna Sophie (Prinzessin von Schwarzburg=Rudolstadt), fand seinen vollen Beifall. Schon im Januar 1755 wurden die Ehepacten vereinbart, am 25. April 1755 ward die Copu=

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lation per proc. zu Coburg vollzogen; am 12. Mai erreichte die Prinzessin in Begleitung ihres Bruders Friedrich Josias (des späteren kaiserlichen Feldmarschalls) Grabow und Neustadt (wo sie der Erbprinz und seine Gemahlin und seine Schwester begrüßten), und am 13. hielt die "holdselige" Prinzessin ihren feierlichen Einzug in Schwerin, wo hernach auf dem Schlosse die Einsegnung des fürstlichen Ehepaares durch den Hofprediger Menckel geschah. Da auf den 15. Mai des Herzogs Geburtstag fiel, ward die ganze Woche vor Pfingsten von Hoffesten erfüllt, und am ersten Feiertage in der Schloßkirche ein Te Deum gesungen.

Es ward bald offenbar, welchen Schatz Meklenburg in der trefflichen Gemahlin des Prinzen Ludwig gewonnen hatte, und im Schlosse gab man der Freude, die man hierüber empfand, rückhaltslos Ausdruck; der Herzog Christian Ludwig vermehrte die Festlichkeiten.

Aber wenngleich der Erbprinz, der mit seinem Bruder in herzlicher Liebe verkehrte und, so viel man sieht, auch seine Schwägerin nach Verdienst schätzte, sich dem Hofleben nicht entzog, so bemerken wir doch gerade seit dem Herbste 1755 an ihm wiederum eine fast schwermüthige Grundstimmung. Aus seinen Aufzeichnungen aus jener Zeit ersieht man, daß er sich über Trägheit im geistlichen Leben schwere Vorwürfe machte und "bei großem Gefühl des Elends" fürchtete, Gott möge ihn wegen allzu großen Vertrauens auf eigene Kraft ganz verlassen. Das Erdbeben vom 1. Nov. 1755, welches auch in Meklenburg, wenn gleich nicht eben stark, verspürt ward, machte auf den Erbprinzen einen gar tiefen Eindruck und erschien ihm als eine starke Mahnung an den Tod. "Als ich", so schreibt er, "bei Betrachtung des grausamen Todes eines unter dem Erdbeben Begrabenen Gott bat, er möchte doch mich für dergleichen schmerzhaften Tod bewahren, da sich doch itzt das Erdbeben auch schon hier im Lande eingefunden, da fand in des Graf Henckels Schatzkästchen p. 216: "Fürchte dich nicht" #.; und heute, da wegen geistlicher Feinde bange werden wollte, fand: "Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird es wohl machen." - Auch im Jahre 1756 kommt er auf das Erdbeben zurück und bittet Gott um Abwendung desselben bei einem anhaltenden, heftigen Sturme, den er wohl für einen Vorboten einer gewaltigen Bewegung der Naturkräfte hielt. - Aber in allen seinen geistlichen Bekümmernissen fand Friedrich jetzt doch leichter Trost und Ruhe als vordem. "O ein barmherziger Gott!" ruft er aus, "denn ich habe aus dem

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Erfolg so recht sehr viele und unvergleichliche Proben seiner Erhörung."

Erwähnung verdient, weil der Erbprinz die weltlichen Angelegenheiten sonst in seinen Betrachtungen nicht zu berühren pflegt, eine Aufzeichnung von ihm aus den Ostertagen 1756: "Am ersten Ostertage", so schreibt er, "redete ich von vielen Dingen, die noch abgeschafft werden müßten. So kriegte den Spruch Pagn. 132: Ich will euch Mund und Weisheit schenken." Dabei erfahren wir nun freilich nicht, welche Aenderungen er im Sinne hatte; aber man merkt doch, daß ihn nicht allein die Gegenwart beschäftigte, sondern daß er schon an seine eigene künftige Regierung dachte. Wahrscheinlich sah er bereits des Vaters Ende herannahen, und eben damals war das Verhältniß zu Preußen der Art, daß man wohl mit einiger Besorgniß in die nächste Zukunft sehen durfte.

Glücklicher Weise hat sich uns ein Brief erhalten, der uns von des Erbprinzen damaligem innerem Leben ein getreues Bild giebt; es ist das letzte Schreiben, das er an die Großtante zu Dargun gerichtet hat. Wir können uns nicht versagen, dasselbe seinem ganzen Wortlaute nach mitzutheilen, wenngleich es manchen Gedanken enthält, der uns auch anderweitig schon öfters in Friedrichs Briefen begegnet ist. Der Prinz schreibt also am 8. Mai 1756 Folgendes:

"Durchlauchtigste Prinzessin!
Hochgeehrte, herzgeliebte, gnädigste Großtante!

Hochgelobet sei des Herren Name von nun an bis in Ewigkeit für die große Barmherzigkeit, daß Er keine Sünde zurechnet und die Sünder selig macht, unter welchen ein Jeder sich gerne den größesten rechnet! Es heißet immer mit Recht: Wohl dem, des Hülfe der Gott Jacobs ist! Ich weiß (Gott Lob!) von keiner andern, und will auch ewiglich von keiner anderen wissen; es ist ein großer Trost, wer gottselig ist und lässet ihm genügen: das erfahre immer mehr durch des Herren Gnade. Wann bisweilen an die gewiß recht gefährlich (im Weltlichen) scheinende Sache mit dem Könige von Preußen gedenke: so bin getrost, daß gewiß weiß, des Herren Wille, und sonst nichts, ist nur möglich zu geschehen. Er muß ja wohl auch zeigen, daß unser bisher recht böser und so ganz öffentlich geführter Wandel Ihm nicht gefalle. - Mit mein[em] Herr[n] Vater ist es noch so auf einerlei Weise. Hornhart meinet nicht, daß es so lange Zeit mehr dauren würde, und glaubt,

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daß leichte einer geringen Ursache halben mal der Schlag kommen und ein Garaus machen könnte.

Ach was haben es doch Gläubige gut! Die können sich zum Tode herzlich freuen. Wann ich so bisweilen mich in Gedanken verstiegen, um zu errathen, wie es wohl nach dem Tode mit uns sein werde: so hat mich der Herr gezeiget, daß wir es hier nicht begreifen werden, weil es verborgen ist; hingegen können wir gewiß und himmelfest gewiß sein, es wird was gar unaussprechlich Gutes sein, wann wir nur den Schluß von allen dem Guten und Herrlichen und Schönen machen auf das Ewige, was uns dieser gnädige und barmherzige Herr im Weltlichen gegeben, um uns diesen Aufenthalt auch angenehm zu machen. Ja man mag wohl alle Minute und Augenblick aus dem Liede sagen: Tausend tausend Mal sei Dir, liebster Jesu, Dank dafür! Wann wir so in allem Leiblichen und Geistlichen Seinen überschwänglichen Reichthum der Barmherzigkeit betrachten und wohl wahrnehmen, das kann uns im Glauben, der ganz gewissen Zuversicht und brünstigen Liebe zu Ihm auf eine Weise stärken, die man sich selbst kaum fürstellet, bis man sie jederzeit erfähret. Gott ist in Seiner Barmherzigkeit in Christo Jesu über uns gänzlich unausforschlich. Wohl uns, die wir das aus Erfahrung, und nicht von Hörensagen und durch besondere Vernunftschlüsse wissen! Er wird uns noch immer Mehreres zeigen, und ich halte die Ewigkeit da nicht zu lange zu.

Noch habe ich an mein[en] Herrn Vater das Compliment nicht, aus gewissen Ursachen, bestellen mögen; nun aber werde es balde thun. Denn noch hat man nicht gemerket, daß sie im Geistlichen noch anders denn allezeit gedacht haben sollten. Ich weiß gewiß, was möglich ist, wird der Herr zu ihrer Errettung gewiß nicht versäumen; also hoffe auch zur besten Zeit das Compliment anzubringen.

Es muß Ew. Gnaden ohne Zweifel eine große Freude gewesen sein, daß die eine Jungfer noch gläubig gestorben. Durch die Candidaten wolle der Herr noch Viele auch einst gläubig abscheiden lassen!

Der König von Preußen, so lange er sich nicht bekehret, ist gewiß wohl nicht raisonnabel und hat es auch nur bisher geschienen; da es aber nun auf seine Passion kommt, so siehet man, daß er unter der Gewalt des Satans und in großer Blindheit stehet. Dann, der (selbst) sonst von der Liebe zum Nächsten selbst vernünftig geschrieben, zeigt in der Handlung das Gegentheil und also, wie er

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nicht im Stande ist das zu thun, was er doch seiner Vernunft nach, da sie nicht eben von der Passion benebelt war, als gut angesehen hatte. Wir haben, meiner Meinung nach, zu seinen Proceduren ein gutes Theil zugetragen. Unser großer Herr und Gott, der so Manniges wieder ins Feine gebracht, wird Alles gewiß aufs Beste schicken, wenn es uns auch gleich nicht wie das Beste fürkommt.

Für das feste Einlegen von Ew. Gnaden in die Liebesarme Jesu danke ganz unterthänigst. Der Herr gebe nur, daß wir es auch recht feste glauben mögen, so werden wir auch feste liegen. Denn es ist ein ewig wahres Wort des Herrn: ",,Hab' ich dir nicht gesaget, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen?"" Wir wollen glauben durch Seine Kraft, daß Er uns aufs Gebet gewähret: so werden wir sie sehen, Seine Herrlichkeit. Amen!

Der Herr erzeige Ew. Gnaden auch Seine wunderbare Barmherzigkeit immer je mehr und mehr im Geistlichen und Leiblichen, und mache Ihnen alle Seine herrlichen Verheißungen in fröhlicher Erfahrung immer wahr!

Ich empfehle mich schließlich Dero steten hohen Gnade und gläubigstem Gebete, mit unterthänigster Versicherung, daß niemalen aufhören werde, mit aller ersinnlichen kindlichen Veneration und devotestem Respect zu sein

Ew. Gnaden

  ganz unterthänigst = gehorsamster
Swerin, d. 8t. May

Sohn und Diener

        1756.

               Friedrich, H. z. M.

Meine Frau empfiehlet sich auf das Allerunterthänigste, und ich empfehle sie auch Dero gläubigstem Gebete, daß der Herr ihr doch auch Barmherzigkeit thue, lebendig zu erkennen, daß Jesum Christum lieb haben besser seie als alles wissen. Amen!"

Dieser Brief gelangte nicht mehr in die Hände der frommen Prinzessin Auguste. Jenes Schreiben an den Erbprinzen, in welchem die Worte standen: "in dessen (nämlich: Christi) Liebesarmen ich Ew. Gnaden feste einlege und mit höchstem Wohlwollen ersterbe", war ihr Abschiedsgruß gewesen. Schon wiederholt hatte ein "Stickhusten" das zarte Leben der Fürstin, die bereits in ihrem 82sten Jahre stand, bedrohet; sie hatte in einem schweren Anfall dieses Uebels Gott gebeten, ihr einen leichten Tod zu schenken, und ihr Gebet fand Erhörung. Mehrere Tage lang konnte sie sich ohne starke Schmerzen, wenn auch bei großer Schwäche, auf ihr

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Ende vorbereiten, ihre Umgebung trösten und derselben bekennen, daß sie sich ihres Gnadenstandes in Christo gewiß halte. Dann verfiel sie am 8. Mai in einen sanften Schlummer und starb am 9. - Im Dom zu Güstrow fand sie bald hernach ihre Ruhestätte. Ihre Angelegenheiten hatte sie längst geordnet; ihrer einzigen damals noch lebenden Schwester, der Gräfin Christina von Stolberg=Gedern, hatte sie in ihrem Testamente vom 28. März 1749 nur eine Leibrente von 350 Rthlrn. ausgesetzt, den Erbprinzen Friedrich aber, weil sie denselben "wegen seiner wahren Furcht Gottes und Tugenden jederzeit geliebet und hochgehalten, auch denselben aus der heiligen Taufe zu heben die Ehre gehabt" habe, derselbe überdem ihr naher Blutsfreund und von ihrem Hause sei, - zu ihrem Universalerben bestimmt.

Friedrich las in seinem tiefen Schmerze über den Verlust dieser Tante, vor der er so oft sein Herz ausgeschüttet hatte wie wohl sonst vor keinem Menschen, wiederholt ihren letzten Brief und bat Gott vornehmlich, jenen oben aus demselben angeführten Wunsch der Prinzessin an ihm in Erfüllung gehen zu lassen. Wir finden ihn im Gebet für die Gläubigen zu Dargun und beschäftigt ihnen Trostworte zu schreiben.

Aber es drohete schon ein zweiter Verlust, der in seine Lebensumstände noch viel tiefer eingreifen mußte. Die Ansicht des Leibarztes Hornhart von der Krankheit des Herzogs Christian Ludwig erwies sich leider nur zu richtig; und der Gedanke, nun bald, zumal unter den durch Preußen hervorgerufenen sehr schwierigen Umständen, die Regierung antreten zu müssen, beunruhigte Friedrichs Herz gar sehr. Doch wußte er Ruhe zu finden. "Als mein Vater so krank war", heißt es in seinem Tagebuche, "daß jedermann glaubte, er würde sterben, betete ich des Morgens, Gott möchte mich doch gnädiglich beistehen bei denen recht verworrenen Regierungsumständen und mir Seine Weisheit mittheilen und mich geistlicher und leiblicher Weise für allem Uebel bewahren, indem mir zu Muthe werden wollte, als würde es unmöglich sein, in Seiner Gnade bleiben zu können". - Oefters ist in diesen Aufzeichnungen mit der Bitte um Weisheit der Dank für alle bisher empfangene Barmherzigkeit verbunden. - Rücksichtlich der preußischen Werbungen schreibt er auf: "Der Herr sei in Allem und für Allem herzlich gepriesen; er ist der Herr und regieret auch mitten unter Seinen Feinden." - "Diesen Morgen", so lautet eine andere Aufzeichnung, "bat Gott, mir doch nur immer die Freude an Ihm meine einzige Freude sein zu lassen und

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meine Stärke; sonst wollte von keiner Freude wissen." Er erbittet von Jesu am Tage seines Regierungsantrittes: "mich doch so ferner zu erhalten, und wenn ich bei dieser meiner angetretenen Regierung nach Seinem heiligen Willen handelte, und Er es mir, wie schon geschehen, sehr segnete, ich doch keinen anderen Gefallen daran hätte, als daß Sein heiliger Wille geschehen seie, und immer wohl einsehe und bedenke, daß Er es gethan, und nicht ich, und also immer in Seiner Liebe wachse und immer zunehme und Sein Reich mächtig befördere und treu nach Seinem besten Willen handelte. - Anno 1756, den 30. May trat die Regierung an", fügt er selbst hinzu.

Ueber die letzten Tage des Herzogs Christian Ludwig und über den Regierungswechsel fehlen uns leider ausführlichere Nachrichten. In Ermangelung solcher begnügen wir uns mitzutheilen, was die Meckl. Nachrichten an der Spitze ihrer Nummer vom 5. Juni darüber besagen:

"Es war am abgewichenen Sonntag, den 30. May, Morgens gegen eilf Uhr, als es dem Allerhöchsten gefiel, den wayland Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Christian Ludewig, regierenden Herzog zu Mecklenburg=Schwerin und Güstrow etc. . etc. ., nach einer schweren Krankheit aus dieser Zeitlichkeit in die Ewigkeit aufzunehmen. Sobald es die mit diesem hohen Todes=Fall verknüpfte Betrübniß und schmerzhafte Empfindung verstatten konnte, traten der Durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Friederich, Herzog zu Mecklenburg, die Ihro nach des Allerhöchsten Vorsehung angestammte Regierung der Herzogthümer, Fürstenthümer und Lande Mecklenburg an. Höchstdieselben verpflichteten zuerst das Conseil, und ließen darnächst die Leibgarde zu Pferde und die ganze Guarnison huldigen. Tages darauf wurden die Regierungs= und Cammer=Collegia an Ihro Herzogl. Durchl. verpflichtet, und zugleich die übrigen nöthigen Commissiones ausgefertiget, und seitdem wird täglich an Befertigung der erforderlichen einheimischen und auswärtigen Bekanntmachungen dieser Regierungs=Veränderung gearbeitet." - Die feierliche Beisetzung des Herzogs Christian Ludwig, "des Friedfertigen", wie man ihn damals in gebührender Anerkennung seiner auf die Herstellung des inneren Landesfriedens gerichteten Bestrebungen benannt hat, erfolgte am 20. Juli (in der Nicolaikirche zu Schwerin).

Der nunmehr heimgegangene Herzog hatte sich die Liebe seiner Unterthanen in hohem Maße erworben und bewahrt.

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"Wenige seiner Vorfahren", bemerkt der verdiente und in seinem Urtheil unbefangene Historiker David Franck am Schlusse seines Werkes über diesen Fürsten, "haben ein so hohes Alter erreichet" - das 74. Jahr -, "und keiner hat ihn an liebreichem Wesen und Güte gegen die Unterthanen seines Regierhauses übertroffen". Derselbe Schriftsteller fügt dann in Bezug auf Friedrich, den Nachfolger jenes beliebten Regenten, hinzu, er mache dem Lande "die begründete Hoffnung", "daß Gott werde mit ihm sein, weil er mit Gott sei."

So urtheilte man ohne Zweifel in Meklenburg allgemein. Aber auch über die Grenzen seines Landes hinaus war der ausgeprägte, durch nichts in seiner aufrichtigen Frömmigkeit beirrte Charakter Herzog Friedrichs längst bekannt. Zum Beweis dessen beschließen wir diesen Abschnitt mit dem Glückwunsch des schon damals durch seine umfassende Gelehrsamkeit und Schriftstellerei, sowie durch seine Frömmigkeit und seine Freimüthigkeit berühmten Publicisten Joh. Jac. Moser:

"Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Fürst und Herr!

Da Euer Hochfürstliche Durchlaucht vorlängsten allen rechtschaffenen Kindern Gottes, auch in Würtemberg, zu vieler Freude und Materie des Lobes Gottes worden seynd, und hinwiederum HöchstDieselbe darum, daß ich und mein Haus dem HErrn Jesu angehören, mich Dero unschätzbaren Gnade zu würdigen geruhet haben: so kann ich mich nicht entbrechen, nunmehro, da es Gott gefallen hat, Euer Hochfürstliche Durchlaucht zu einem noch größeren Licht in der Welt und in Seinem Reich auf einem erhabenen Leuchter aufzustellen, und HochstDeroselben freyere Hände zu verschaffen, Dero Gott=geheiligten Willen einen mehreren Lauff laßen zu können, meine unterthänigste Freude und submisseste Gratulation zu bezeugen und aus dem Hertzen und Munde aller Glieder Jesu alle zu dem neu=angetrettenen wichtigen Posten benöthigte Göttliche Gnade, Krafft, Weisheit, Licht, Beständigkeit, Sanfftmuth, Demuth, Unerschrockenheit, und was für Geistes=Gaben und