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I. Zur Alterthumskunde

im engern Sinne.


1. Vorchristliche Zeit.

a. Steinzeit.


Alterthümer der Steinzeit von Ostorf bei Schwerin.

In den zu Schwerin erscheinenden Zeitungen von 1877-78 ist wiederholt kurz die Rede gewesen von einem am Ostorfer See bei Schwerin gemachten Funde von Alterthümern, ausführlicher, jedoch unkritisch, in der Rostocker Zeitung und darnach in den Meklenburgischen Anzeigen 1878 Nr. 22, Jan. 1878. Während der Zeit hatte ich im December 1877 Gelegenheit, den Finder, Herrn Lude zu Schwerin, Fischereipächter des an die Stadt Schwerin grenzenden Ostorfer Sees, zu sprechen und den größern Theil der Alterthümer zu sehen. Da der Fund für die Stadt Schwerin wegen der Nähe der Fundstelle einige wissenschaftliche Bedeutung hat, so gebe ich hier einen Bericht über den Fund nach meinen Erfahrungen.

Herr Lude wollte die Anlegestelle für seine Kähne verbessern und ließ zu diesem Zwecke 1877 auf einer kleinen Insel im Ostorfer See bei Schwerin, welche der Tannenwerder genannt wird, Sand graben. Bei dieser Arbeit wurden, nach Herrn Lude's Bericht, ungefähr 5 bis 6 Fuß tief unter der Erdoberfläche folgende Alterthümer gefunden.

3 Keile mittlerer Größe und 1 "längerer vierseitiger "Schmalmeißel" aus Feuerstein, an der Schneide scharf geschliffen. Ich habe 2 Stück davon in Händen gehabt. In

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der Rostocker Zeitung werden sie "Feuersteine in der Form eines Tischlerhobeleisens" genannt.

Viele spanförmige Messer aus Feuerstein, von denen ich ebenfalls 4 in Händen gehabt habe, welche alle die Schlagmarke zeigen. In der Rostocker Zeitung werden diese geschlagenen Messer irrthümlich "scharfgeschliffene Feuersteine genannt; bekanntlich sind diese nicht seltenen Messer nie geschliffen, sondern durch Schlagen gespalten.

Zerbrochene Menschenknochen und ein ganzer Schädel, welchen Herr Lude an der Fundstelle wieder eingegraben hat.

4 abgekeilte Hirschhornenden von gelblichgrauer Farbe, von denen ich 2 Stück in Händen gehabt habe.

"Ein dreikantiger eiserner Spieß von etwa 3/4 Fuß Länge mit 2 eisernen Bändern zur Befestigung des Schaftes", nach der Rostocker Zeitung, ist ohne Zweifel neueren Ursprunges.

Die Alterthümer sind von dem Finder, der einen zu hohen Werth darauf zu legen schien, für die Sammlungen damals nicht zu erreichen gewesen. Später hat der Finder den Fund Sr. K. H. dem Großherzoge dargebracht, Allerhöchstwelcher denselben im März 1878 den großherzoglichen Sammlungen überwiesen hat.

Da jetzt der ganze Fund vorliegt, so läßt sich eine sichere Beschreibung geben, wie folgt.

Es ist gefunden:

1) Ein Keil aus dunkelgrauem Feuerstein, 14 Centim. lang.

2) Zwei Schmalmeißel aus dunkelgrauem Feuerstein, 15 und 16 Centim. lang, an der Schneide geschliffen.

3) Ein viereckiger Schmalmeißel aus schwärzlichem Feuerstein, 24 Centim. lang und 2 Centim. breit, roh zugehauen, an der Spitze geschliffen.

4) Siebenzehn spanförmige Messer, Späne und Splitter aus Feuerstein.

5) Drei abgekeilte Hirschhornenden, an der Spitze glatt abgestumpft, vielleicht zu Bohrern, Pflöcken oder Nägeln dienend.

6) Ein längeres Stück von einer Hirschhornstange, am Ende wie eine Axt zugeschärft, wahrscheinlich ein Meißel.

7) Ein Schiffchen (Weberschiffchen) oder Netzstricknadel, eine dünne elliptische Platte aus Hörn oder Knochen, 9 Centim. lang, an beiden Enden zugespitzt, in Gestalt eines Weberschiffchens, in der Mitte mit zwei kleinen Löchern

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neben einander, vielleicht ein Werkzeug zum Netzstricken, wie noch heute zuweilen Frauen ähnliche "Schiffchen" zum Spitzenstricken gebrauchen. Die Oberfläche ist glatt polirt und an dem Rande mit eingeritzten, feinen, kurzen Zickzacklinien verziert. - Ein solches Werkzeug war bisher in Norddeutschland noch nicht bekannt, wenigstens noch nicht angezeigt. - Aber in Dänemark auf Seeland zu Borreby, Amts Soroe, ward 1858 in einem großen Grabhügel der Steinzeit neben vielen feuersteinernen, knöchernen und andern Alterthümern der Steinzeit ein gleiches Geräth gefunden, welches in Madsen Afbildninger af Danske Oldsager, Steenalderen, Kiöbenhagen, 1868, Tafel 17 Nr. 13 abgebildet und im Text S. 18 beschrieben ist. Madsen nennt es kurz: ein flaches, an beiden Enden zugespitztes Beingeräth mit zwei Löchern in der Mitte.

Ein Bruchstück von einem ähnlichen Geräth ist früher im Pfahlbau von Wismar gefunden, aber bis jetzt noch nicht erkannt gewesen.

8) Eine kleine Urne aus Thon, von brauner Farbe, 14 Centimeter hoch und 18 Centimeter weit. Diese Urne

Urne

hat ganz die Gestalt einer zu Moltzow in einem Grabe der Steinzeit gefundenen, in Jahrb. X, S. 254 und hier wieder abgebildeten Urne. Die Urne ist reich verziert und bietet eine wahre Musterkarte von Urnen=Verzierungen der Steinzeit. Der breite, etwas nach außen gebogene Rand ist ganz mit eingegrabenen parallelen Zickzacklinien bedeckt, ähnlich wie ein großes Bruchstück einer zu Tatschow gefundenen, in Jahrb. X, S. 257 und hier wieder abgebildeten großen Urne der Steinzeit. Von dem Bauchrande laufen Gruppen von kurzen graden Linien hinab, wie auf den beiden hier abgebildeten Urnen. Gleiche Verzierungen hat ein in dem Grabe von Borreby gefundenes Bruchstück einer Urne, welches in Madsen a. a. O. Tafel 18 Nr. 31 abgebildet ist.

Auch viele Scherben von zerbrochenen Urnen sind auf der Ostorfer Insel gefunden, aber verloren gegangen.

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Urnenscherbe

Nach allen Merkmalen und der Tiefe der Lagerung ist die Fundstelle wohl eine Gruben= oder Höhlenwohnung der Steinzeit (Fischerwohnung?) gewesen, da solche Wohnungen immer 4 bis 5 Fuß tief unter der Erdoberfläche zu liegen pflegen. Vielleicht war, in Betracht der bei der Aufdeckung gefundenen Menschenknochen, daneben ein Grab, welches bei der unwissenschaftlichen Aufgrabung nicht bemerkt ist.

Dr. G. C. F. Lisch.