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22.
Dorothea von Lewetzow

oder
der Mensch in der Noth, ein Gedenkblatt

von

G. C. F. Lisch.


Die Noth überwindet alle Hindernisse, selbst die Bekümmernisse des Herzens und die Vorurtheile des Standes, und führt die Menschen rasch zu Entschlüssen und Handlungen, welche in gewöhnlichen Verhältnissen von ihnen nicht erwartet werden dürfen. Es entgeht dem aufmerksamen Beobachter die Thatsache nicht, daß grade in den Zeiten, in denen nur das Elend zu herrschen scheint, die Menschen am leichtesten zusammen geführt werden;

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das Bedürfniß der Theilnahme und Unterstützung läßt Verbindungen entstehen, welche sonst wohl sicher nicht geschlossen wären: Ehen werden am leichtesten in der Noth ("im Himmel") geschlossen.

Die Geschichte kennt wohl kaum ein so furchtbares und allgemeines Elend, wie das, welches gegen das Ende des dreißigjährigen Krieges, namentlich im J. 1638, Meklenburg beherrschte. Die Würgengel des Krieges, des Hungers und der Pest hausten in Vereinigung auf nie erlebte Weise und brachten das Land dem völligen Untergange nahe. Fast alle Landgüter und Dörfer waren abgebrannt und verwüstet, die Saaten nicht bestellt, die Thiere sämmtlich geschlachtet oder durch die Seuche gefallen, die Menschen gestorben; sehr viele Dörfer hatten gar keine, die meisten nur einige Bewohner, viele Familien starben ganz aus; die Stadt Sternberg stand ein halbes Jahr lang ganz leer, im ganzen Amte Gnoyen lebten 1638 nur noch 2 Bauern und 3 Kossaten, im ganzen Amte Wredenhagen=Röbel nur ein Prediger, die meisten übrig gebliebenen Gutsbesitzer waren ein Jahr hindurch nicht aufzufinden. Die wenigen Menschen, die noch übrig geblieben waren, suchten durch Betteln oder Tagelöhnerarbeit das nackte Leben in den größern Städten zu fristen, namentlich in Rostock, welches verhältnißmäßig am wenigsten gelitten hatte.

Um nun einen tiefern Blick in so traurige Zeiten thun zu können, hilft es nicht allein, allgemeine Uebersichten zu gewinnen, es ist auch ersprießlich, einmal im Privatleben sich umzusehen, so schwierig dies auch sein mag, da die Quellen für solche Zeiten natürlich sehr spärlich fließen, indem man zum Schreiben weder Lust, noch Zeit hatte. Ganze zahlreiche, vornehme Familien starben weg, ohne daß etwas für die Pfarrkirchen davon niedergeschrieben, ohne daß ihnen eine Leichenpredigt gehalten und gedruckt ward, wie es doch damals allgemein Sitte war.

Ein sehr lebhaftes Bild giebt uns Dorothea von Lewetzow, deren Lebensverhältnisse wir aus den von der Universität Rostock bei ihrem Leichenbegängnisse aus Dankbarkeit an ihren letzten Mann herausgegebenen lateinischen Programmen kennen lernen. Diese Frau erlebte den in ihrem Stande seltenen Wechsel des Geschicks, daß sie in dem Zeitraume der drei fürchterlichen Jahre (Febr.) 1637-1639 (Oct.) hinter einander drei Männer hatte, von deren jedem sie Kinder hatte, und im Ganzen 16 Kinder zur Welt brachte.

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Dorothea v. Lewetzow

war im J. 1612 aus der alten adeligen Familie von Lewetzow geboren. Ihr Vater war Joachim 1 ) von Lewetzow auf Fienstorf, aus der Linie Lunow, welcher im J. 1623 Fienstorf bei Rostock gekauft hatte, ihre Mutter Anna von Speckin aus dem Hause Kämmerich. Nach einer sorgfältigen Jugenderziehung ward sie zur weitern Ausbildung in das Kloster Malchow gegeben, wo sie ein Jahr lang blieb. Es warben bald viele Freier um sie. Am 13. April 1631 reichte sie ihre Hand dem

I. Heinrich von Lewetzow

auf Schorrentin, aus einer andern Linie ihres alten Geschlechts. Die Ehe war eine so glückliche, daß sie als Muster aufgestellt werden konnte. Unter hereinbrechender Kriegsunruhe, Verwüstung und Noth starb der Gemahl plötzlich am 4. Febr. 1637 und hinterließ nach einer kaum 6=jährigen Ehe die 25=jährige Wittwe mit 4 kleinen Kindern der unerhörten, Bedrängniß einer fürchterlichen Zeit. Die Kinder dieser Ehe waren:

1) Margaretha, welche durch ihren spätern Stiefvater Lütkemann, der das ausgezeichnete Mädchen wie eine eigene liebe Tochter liebte, an den braunschweig=lüneburgischen Geheimen=Hofrath Im=Hoff verheirathet ward;

2) Anna Sophie,

3) Catharine Dorothea,

4) Heinrich,

welche drei letzteren jung und vor der Mutter, vielleicht 1638 an der Pest, starben. Der Sohn Heinrich war einer der letzten der Linie, welche im J. 1651 ganz ausstarb.

II. M. Zacharias Deutsch.

Trotz der vier Kinder bewarben sich viele angesehene Adelige um die junge Wittwe; sie reichte jedoch noch im J. 1637, auf Rath und mit Zustimmung ihrer Aeltern, aus edler Neigung und in der Sorge um das wahre Wohl ihrer Kinder, dem rostocker Pastor M. Zacharias Deutsch ihre Hand. Zacharias Deutsch war der Sohn des rostocker Stadt=Secretairs David Deutsch; er war den 25. Nov. 1601 geboren, hatte in Rostock und Lemgo die Schulen besucht und zu Rostock, Leipzig und Jena studirt. Nachdem er in Jena zum Magister promovirt war, ward er Prediger am S. Johannis=Kloster zu Hamburg. Im J. 1629 ward er


1) In dem Leichen=Programme auf diese Dorothea Lütkemann, geb. v. Lewetzow, wird ihr Vater irrthümlich Heinrich genannt; er hieß Joachim, wie er auch in dem Leichen=Programme auf Dorotheens beide Kinder und in den Acten heißt.
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von dort um Prediger am Heil. Geist in Rostock und von da im J. 1636 zum Archidiakonus der S. Jacobi=Kirche daselbst berufen. - Jedoch auch diese zweite glückliche Ehe ward noch in dem ersten Jahre gelöset. Im August 1638 brach die furchtbare Pest ("rothe Ruhr") aus, der auch Zacharias Deutsch am 2. Oct. 1638 erlag. Nach ihres Mannes Tode gebar die Wittwe Zwillinge:

5) Zacharias, welcher in seinem ersten Lebensjahre, vielleicht auch an der Pest, starb, und

6) Sophie Dorothea, welche späterhin an den Pastor Johann Schultze zu Marbeg im Braunschweigischen verheirathet ward.

Ob die Pest auch Kinder ihrer ersten Ehe hinweggerafft habe, wie es wahrscheinlich ist, oder ob diese späterhin jung gestorben sind, läßt sich nicht ermitteln.

Ihr Trauerjahr, 1638-1639, fällt in das schrecklichste Jahr Meklenburgs. Ihr Wittweneinkommen war sehr geringe, die Noth war groß und die Last der Kinder und Todesfälle schwer. Deshalb vermählte sie sich nach Ablauf des Trauerjahres zum dritten Male mit

III. Dr. Joachim Lütkemann.

Das Glück, mit diesem vortrefflichen Manne, den sie eben so hoch verehrte als aufrichtig lieben lernte, vermählt zu werden, trübte jedoch wieder ein sehr harter Schlag, indem während der Zurüstungen zur Hochzeit, welche am 1. Oct. 1639 vollzogen ward, ihr Vater, der bis dahin ihre vorzüglichste Stütze und Zuflucht gewesen war, starb und wenige Tage vor der Hochzeit begraben ward.

Joachim Lütkemann 1 ) war der Sohn des Apothekers Samuel Lütkemann zu Demmin, eines braven, frommen Mannes, der die Wissenschaften sehr liebte und beförderte, und der Catharine Zander aus Demmin. Joachim war 1608 in Demmin geboren, studirte in Greifswald und Straßburg und kam 1637 als Magister nach Rostock. Nach zwei Jahren ward er an der Jakobi=Kirche daselbst Diakonus und einige Monate darauf Archidiakonus, Nachfolger des zweiten Mannes seiner Frau, mit der er sich jetzt verheirathete. Vom J. 1643 an war er zugleich Professor der Physik und Metaphysik. Im. J. 1646 erhielt er als ein Mann von großer Gelehrsamkeit und trefflichen Gaben von der Universität Greifswald die hohe Würde eines Doctors


1) Vgl. Krey Andenken an die Rostockschen Gelehrten, 2. Stück, S. 52 flgd., und Anhang, S. 48, und die rostocker Leichen=Programme auf Lütkemann's früh gestorbene Kinder Joachim und Hanna Constantia.
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der Theologie. Im J. 1649 gerieth er aber wegen einer von ihm herausgegebenen Dissertation mit dem Professor Joh. Cothmann in einen theologischen Streit, der allgemeine Theilnahme erregte und für ihn so unglücklich ausfiel, daß er sein Amt aufgeben und vor den eifernden Theologen das Land verlassen mußte, da er sich zur Heuchelei nicht entschließen konnte. Allgemeines, tiefes Bedauern folgte dem seltenen Manne und Tausende gaben ihm das Ehrengeleite, als er ohne öffentliches sicheres Geleite aus Rostock ziehen mußte. Während der Zeit des Streites hatte ihn jedoch der Herzog August von Braunschweig zum General=Superintendenten und Hofprediger nach Wolfenbüttel berufen, wozu er später noch Consistorial=Assessor und 1651 auch Abt von Riddagshusen ward. Leider starb er, im Besitze des höchsten häuslichen und amtlichen Glücks, am 18. Oct. 1655, erst 47 Jahre alt und hinterließ seine Frau mit vielen wenigstens 8 Kindern. Er machte sich, nach Arnd und vor Spener, in Deutschland vorzüglich um die Beförderung der häuslichen Andacht verdient, und sein im J. 1653 herausgegebenes Buch "Vorschmack göttlicher Güte" und seine geistlichen Lieder wurden häufig herausgegeben.

- Er hatte mit seiner Frau 10 Kinder:

7) Catharine, welche an den Pastor Johann Conrad Sachse zu Halle an der Weser verheirathet war;

8) Joachim, geboren am 17. Jan. 1642, gestorben 1 ) am 24. Juli 1643;

9) Samuel, welcher noch 1666 lebte;

10) Hanna Constantia, welche am 18. Febr. 1646 geboren ward und am 11. Nov. 1647 starb 2 );

11) Anna Concordia, welche an den Pastor Christian Schmidt zu Wolfenbüttel verheirathet ward;

12) Anastasius, welcher noch 1666 lebte;

13) Sophie Elisabeth, welche vor der Mutter starb;

14) August, wahrscheinlich der in Wolfenbüttel zuerst geborne Sohn, nach dem Herzoge so genannt, welcher vor der Mutter starb;

15) Eleonore Christiane und

16) Christiane Magdalene, welche beide, noch nicht erwachsen, bei der Mutter Tode im J. 1666 noch lebten.

Nach dem Tode ihres Mannes lebte Dorothea ganz und mit Anstrengung der Erziehung ihrer Kinder, von denen bei ihrem Tode noch 4 bei ihr lebten; 4 Töchter waren bereits verheirathet.


1) Nach einem Leichen=Programme der Universität Rostock zu dem Begräbniß dieses Joachim.
2) Nach einem eigenen Leichen=Programme der Universität Rostock.
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Sie kam in Familien= und häuslichen Angelegenheiten öfter nach Rostock. Hier ward sie Weihnacht 1665 von einem Fieber überfallen, welches ihrem wechselvollen Leben im 53. Jahre ihres Alters am 8. Februar 1666 ein Ende machte. Zur Beisetzung ihrer Leiche gab die Universität Rostock ein Programm und eine Einladung an alle Universitätsgenossen heraus, um durch das Geleite sowohl das Andenken des um die Universität und die Stadt Rostock, so wie um die ganze christliche Kirche hochverdienten Lütkemann, als auch die des Mannes würdige, wackere Frau zu ehren.

Stammtafel