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aus der Mitte des 14. Jahrhunderts,
von
Die niederdeutsche Sprache wartet noch immer auf die verdiente historische Entwickelung ihrer Formen und ihres Ganges. Noch sind aber nicht einmal ihre Denkmäler erforscht. Freilich ist es nicht viel, was sie aus alter Zeit aufzuweisen hat, aber doch genug, um ihren Werken einen Platz in der Entwicklungsgeschichte der allgemeinen deutschen Literatur zu gönnen. Die dichterischen Werke haben sich von jeher einer besondern Berücksichtigung zu erfreuen gehabt; wie in allen Sprachen, ist auch von der Prosa der ältern niederdeutschen Mundart bisher wenig die Rede gewesen, und doch ist ihre Kenntniß im höchsten Grade wichtig.
Die ältesten niederdeutschen Sprachdenkmäler in Prosa sind die Rechtsbücher und die Particularrechte, wie die Stadtrechte, Morgensprachen, Gildensatzungen udgl. Ihnen folgen die Urkunden; diese waren bis zum Ende des 13. Jahrh., mit sehr wenigen Ausnahmen, lateinisch abgefaßt; erst mit dem Anfange des 14. Jahrh. kommen deutsche Urkunden einzeln vor, bis sie in der Mitte des 14. Jahrh. häufig und bald, mit Ausnahme der geistlichen Urkunden, allgemein werden. So reiches Material die Rechtssatzungen und die Urkunden auch geben, so bewegen sie sich doch in bestimmten, beschränkten Kreisen und in gewissen Formen. Mit dem Durchdringen der deutschen Sprache für die Urkunden treten im 14. Jahrh. auch die niederdeutschen Chroniken in Prosa hervor, unter denen die Chroniken der Stadt Lübeck die erste Stelle
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einnehmen, welche sich freilich schon freier, aber doch auch in einem gewissen, herkömmlichen Style bewegen.
Man muß daher zur vollen Würdigung der niederdeutschen Sprache nach andern Geisteswerken suchen, welche eine andere Richtung haben, als eine juristische und historische. Zugleich mit den Urkunden und Chroniken erscheinen geistliche Bücher, wie Bibelübersetzungen, Evangelien, Gebetbücher u. s. w., welche zum Theil bis zum Anfange des 15. Jahrh. in neuen Redactionen fortleben. Im Meklenburgischen sind bis jetzt ganze Bücher dieser Art nicht bekannt geworden; aber einige Fragmente geben doch einen vollständigen Begriff von der geistlichen Sprache des 14. Jahrh.
Das älteste Fragment eines Andachtsbuches ist aus einem alten Evangelienbuche. Es ist ein im großherzogl. Geh. und Haupt=Archive aufgefundenes Blatt Pergament in kl. Fol., mit gehaltenen Columnen, mit rothen Anfangsbuchstaben und Ueberschriften. Die kleine, stumpfe Minuskel deutet auf die Mitte des 14. Jahrh., für welche Zeit auch die Sprachformen reden, wie z. B. der durchgehende Gebrauch der enklitischen Negation en -, deren regelmäßige Anwendung mit der Mitte des 14. Jahrh. in den Urkunden aufhört, die abgekürzten Verbalformen, einzelne alte Sprachformen, wie stempne (Stimme) u. s. w.
Pergament=Handschrift
im großherzogl. Geh. u.
Haupt=Archive zu Schwerin aus der Mitte
des 14. Jahrh.
In der tyd weren gemâket ghemeyne wertschop to Jherusalem, vnde it was winter; men Jhesus wanderde an den tempel an de porten Salomonis. Dâr vmme vengen ene de iôden vnde sprêken: wo lange krokestů vnse sêle; bistů Cristus, dat segge vns âpenbâr. Do sprak Jhesus: ik spreke mit iů vnde gy en lôuet des nicht; de werk, de ik dô in dem nâmen mynes vâders, de betûget van my; men gy en lôuet des nicht, wente gy en sîn van mynen scâpen nicht. De myne scâpe sîn, de hôret myne stempne, vnde ik bekenne se, vnde se volget my vnde gheue en dat êwige leuent, vnde se vorderuen nicht vnde nêmant nympt se von mynen handen vnd nêmant mach se nemen van mynes vâder henden. Ik vnde myn vâder sîn eyn. Do hâlden de iôden steene, vp dat se ene steenden.
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Do sprak Jhesus: vele gûder werk hebbe ik bewîset van mynem vâdere; vôr welke desser werk steene gy my? Do sprêken de iôden: vmme dîne gûden werk steene wy dy nicht, men dor dîne blasfemighen, dat du ên mynsche bist vnde mâkest dy got. Do sprak Jhesus: en is nicht gescreuen in iůwer êe, wente ik gesprôken hebbe, gy sîn gode, do sprak he, dat gy gode weren, to den, den godes wort gesprôken wart, vnde de scrift mach nicht vorstôret werden, den de vâder heft gehilghet vnde ghesant an de werlt, vnde gy spreken, wente du blasphemest, wente ik sprak, ih bin godes sône. Is it dat ik nicht en dô mynes vâders werk, so en lôuet my nicht; is it âuer dat ik. se dô, en wil gy my denne nicht lôuen, so lôuet mynen werken, vp dat gy lôuen bekennen vnde gy glôuet, wante de vâder an my is vnde ik an dem vâdere.
In der tyd do etlyke van der schâere hôrden de wort Jhesu, do sprêken se: he is wêrliken ên prophete; de anderen sprêken: he is Cristus, vnde etlike sprêken: is echt Cristus ghekômen van Galylea? En sprekt nicht de scrift: van Dauites slechte vnde van Bethlahem dem castelle is Cristus gekômen. Aldus was twîuel vnder der schâr, vnde etlike wolden ene vanghen, vnde nêmant lede sîne hand an em. Do quêmen de dênstknechte to den biscopen vnde to den glyseners, vnde se sprêken to den dênstlûden: wôr vmme en hebbe gy enen nicht gebracht? Do antwardeden de dênslûde: ny ên mynsche redede also wol, alse de mynsche. Do sprêken de glyseners: sêe gy icht also de propheten edder de vorsten oder de glyseners an em lôuende, sunder de schâren, de nicht hebben bekannt; de êe is vorvůllet. Do sprak to em Nychodemus, de des nachtes to Jherusalem kômen was, de ôek eyn der glyseners was, de ordêl vnser êe: de richtet nicht den mynschen, êr he se hebbe hôrt vnde bekam wert. Do sprêken se: Bistu ôk ên Galileus? He wâre de scrift vnde syk suluen; wente de prophete van Galylea nicht vp en steit. Dâr na ghink mâlk in sîn hûs.
In der tyd hadden de biscope vnde de glyseners ênen rad vnde sprêken: wat dô wy dessen mynschen,
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wente he vele têkene dôet? Lâte wy ene aldus? Al dat voelk lôuet an em, vnde so kômen de Romere vnde nemen vnse herscop vnde vnse voelk. Do sprak eyn vnder en, de hêt Cayphas, ên byscop des iâres:
gy en wêten nicht, noch kônet denken; it temet yo wol vnde is beter, dat eyn mynsche sterue vôr dat volk, wen dat alle mynschen vorderuen. Dit en sprak he nicht van sik suluen, men he was ên biscop des iârs vnde prophetirede dat, dat Jhesus was staruende vôr dat voelk, nicht allêne vôr dat voelk, men dat godes kindere, de dâr weren verschuchtert, worden in ein gesamelt. An deme suluen dâghe weren se denkende, wo se ene dôdeden. Vnde Jhesus wanderde nicht âpenbâr by den iôden, men he ghink in êne stad, de hêt Efferem, vnde dâr blêf he mit sînen iungeren.