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IV.

Die Gr. Stietener
Fayence-Gruppe und ihr Vorbild

von

W. Josephi

(Mit 1 Tafel)

 

Vignette
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Zu den größten Seltenheiten der deutschen Keramik gehören die Erzeugnisse der mecklenburgischen Fayence-Manufaktur Gr. Stieten bei Wismar 1 ). Bekannt sind von ihr nur zwei Arbeiten, eine freiplastische Kindergruppe zu dritt "Die Künste" sowie eine Butterdose in Gestalt einer Ente, wozu dann noch ein zusammengeschmolzener Satz von Tellern mit Blaumalerei kommt, der durch die Fundumstände - Grabenbau auf dem Gute Gr. Stieten, 1858 - als Gr. Stietener Fehlbrand gesichert ist. Alle diese Stücke befinden sich im Schweriner Staatlichen Schloßmuseum, demnach der einzigen Stätte von Erinnerungen an die künstlerische Episode von Gr. Stieten.

Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte dieser Manufaktur: Im Jahre 1743 hatte der Königl. Ungar. Oberstlieutenant Otto von Hagen das bisher ZüIowsche Gut Gr. Stieten gekauft. Um 1750 starb er und hinterließ das Gut seiner Witwe Franziska, geb. Freiin von Buckenheim, und seinem 1740 geborenen Sohne Johann von Hagen. Franziska von Hagen ging 1751 mit Wilhelm Dietrich von Bülow eine zweite Ehe ein, der 1753


1) Literatur: G. C. F. Lisch: Der glimmerhaltige Sand in Mecklenburg (Meckl. Jahrb. 8, 1843, S. 243). G. C. F. Lisch: Fayence-Fabrik zu Gr. Stieten (Meckl. Jahrb. 23, 1858, S. 173). Dr. Crull: Fayence-Fabrik zu Gr. Stieten (Meckl. Jahrb. 32, 1867, S. 155 f.). Friedr. Schlie: Aus der kunstgewerbl. Abt. des Großh. Museums zu Schwerin: IV. Alte meckl. Fayencen aus der Zeit der Arkanisten (Kunstgewerbeblatt, N. F. V, 1894, S. 87 ff.). Justus Brinckmann: Führer durch das Hamburgische Museum für Kunst und Gewerbe, 1894, S. 356. W. Stieda: Deutsche Fayencefabriken des 18. Jahrhunderts. Mecklenburgische Fabriken. (Deutsche Töpfer- u. Ziegler-Zeitung. XXXIII, 1902, Nr. 6). August Stöhr: Deutfche Fayencen und deutsches Steingut, Berlin (1920), S. 528 ff. u. Abb. 248. O. Riesebieter: Die deutschen Fayencen des 17. u. 18.Jahrhunderts, Leipzig, 1921, S. 229 f.
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offensichtlich "uxorio nomine" - die beiden Stietener Fayence-Arbeiten sind mit "v. H" signiert - hier eine private Fayence-Manufaktur errichtete. Als Künstler und Werkführer trat laut Vertrag vom 31. März 1753 in die Manufaktur der Arkanist Chriftoph Ludwig Chelij ein, ein Abkömmling der Gründer der Braunschweiger Fayence-Manufaktur, also ein Mann, der von vornherein etwas von der Sache verstand. Jedoch war das Verhältnis zwischen Fabrikherrn und Werkführer von Anfang an ein Schlechtes, so daß Chelij trotz seines zehnjährigen Vertrages bereits im Frühjahre 1754 aus Gr. Stieten in das nahe Schwedische Wismar flüchtete, worauf von Bülow die Manufaktur eingehen ließ. Die museale Seltenheit der Stietener Erzeugnisse ist also durch die tatsächlichen Verhältnisse begründet.

Von den zwei Gr. Stietener Erzeugnissen des Schweriner Schloßmuseums hat die reizvolle Gruppe "Die Künste" eine besondere Geschichte. Sie war offensichtlich ein Versuchsstück, das von Bülow dem Schweriner Herzoge zum Geschenk machte, zweifellos mit der Absicht, ihn von der Leistungsfähigkeit dieser inländischen Manufaktur zu überzeugen; und daß hierbei auch die Erreichung landesherrlicher Privilegien für die neue Industrie erstrebt wurde, versteht sich im Sinne des 18. Jahrhunderts von selbst.

Im Geheimen und Haupt-Archiv zu Schwerin befindet sich das eigenhändig von Herzog Christian II. Ludwig signierte ausschlaggebende Dokument unter den Akten "Fabriken von s. g. unfeinem Porzellan (holländisch irdenen Geräthe) in Mecklenburg V. 77. 3." und lautet

Dem Bedienten des von Bülow von Stieten, welcher eine Grouppe von unechtem porcelaine, so hier im Lande gemacht, überbracht hat, sollen 2 Rth. Trink Geld gegeben werden. Schwerin d. 18. Febr. 1754. C. L.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß mit diesem Geschenk die

"v: H. / Gros. Stitten / Chely /

signierte Gruppe identisch ist, die mehr als ein Jahrhundert später von Friedrich Schlie noch im Schweriner Schlosse aufgefunden wurde.

In einer Würdigung dieser Gruppe in der Tagespresse (Meckl. Ztg., Sonntags-Beilage vom 7. Sept. 1919) habe ich

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Die Künste. Porzellan-Gruppe Meißen um 1749. und Fayence-Gruppe Gr. Stieten 1754
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deren künstlerische Bedeutung in die Worte gefaßt: "Die Kindergruppe unseres Landesmuseums zeugt von der hohen künstlerischen Leistungsfähigkeit dieser doch so jungen Manufaktur; sie ist künstlerisch vortrefflich komponiert und im strengsten Sinne als Rundgruppe aufgebaut, die Formengebung ist flott. Die Glasur ist ganz vorzüglich, sahnengleich, wie es bei guten Fayencen sein soll. Dagegen ist die Farbengebung noch nicht recht gelungen: Sie ist hart und unschön, und einzelne Farben sind im Brande verglüht."

Mein damals ausgesprochenes Urteil über die Formengebung ist objektiv richtig, als Bewertung für die Leistungsfähigkeit der Gr. Stietener Manufaktur aber unrichtig, nachdem ich im vorigen Jahre durch einen glücklichen Fund im Nationalmuseum zu Stockholm feststellen konnte, daß sie keineswegs eine originale Schöpfung ist, vielmehr nur eine leicht veränderte Nachbildung einer Meißener Gruppe.

Diese Abweichungen bestehen einmal in der Größe, sodann in manchen Einzelheiten. Die Größenanderung (Meißen 30,2 cm hoch; Gr. Stieten 25 cm hoch) hat sich wohl zwangsläufig aus dem jedem keramischen Erzeugnis eigentümlichen "Schwund" beim Brennen ergeben: Chelij wird seine Gruppe in der Größe des Meißener Vorbildes modelliert haben - die bequemste Form einer Nachbildung - und der Schwund wird ihm dabei gleichgültig gewesen sein. In den Einzelheiten sind die Änderungen, wie die nebeneinander wiedergegebenen Abbildungen der Meißener Gruppe und der Gr. Stietener Nachschöpfung erweisen, nur unbedeutend und berühren nicht den eigentlichen Aufbau der Rundgruppe. Die augenfälligste Abweichung ist die, daß der Meißener Putto rechtshändig auf seiner Laute spielt, der Gr. Stietener aber zum Linkshänder gemacht wird. Es ist klar, daß Chelij an der leeren Senkrechten zwischen den Rücken der Putti Anstoß nahm und, um diese durch eine Überschneidung auszufüllen, unbekümmert seinen Putto zum Linkshänder werden ließ!

Das Meißener Vorbild ist die Schöpfung des damals unter dem großen Kändler unfroh schaffenden Bildhauers Friedrich Elias Meyer, der von 1748 bis 1761 in der Königlichen Porzellan-Manufaktur Meißen als Modellmeister tätig war. Da er mit seiner Gruppe "Die Künste" als Gegenstück eine Gruppe "Die Wissenschaften (Astronomie)" modellierte, für diese letztere aber das Entstehungsjahr 1749 feststeht (Mitteilung der Staatl.

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Porzellan-Manufaktur Meißen), darf auch das Vorbild für Gr. Stieten als um das gleiche Jahr geschaffen angesehen werden.

Der Fall liegt also so, daß die Gr. Stietener Manufaktur sich für ihr sie dem Landesherrn empfehlendes Probestück ein - in Hinsicht auf die damaligen Handelsverhältnisse - allerneuestes Kunstwerk der Meißener Manufaktur verschaffte und es im Wetteifer mit der damals führenden Porzellan-Manufaktur skrupellos in Fayence neu erstehen ließ.

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