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VI.

Hundert Jahre
des Mecklenburgischen
Geschichts- und Altertumsvereins.

Ein Rückblick
auf der Festsitzung am 22. Juni 1935

von

Friedrich Stuhr.

 

Vignette
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Hochansehnliche Festversammlung!

Die heutige Feier ist ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte unseres Vereins. Hundert Jahre sind vor kurzem verstrichen, seit ein Mann von hohen Fähigkeiten den Verein ins Leben gerufen hat. Nicht immer ist der Weg des Vereins eben und bequem gewesen. Auf lange Zeiten erfolgreicher Tätigkeit sind solche gefolgt, in denen das Interesse für die Vereinsarbeiten unter äußeren Einflüssen geringer wurde. Aber immer haben sich wieder Männer gefunden, die dem Verein neue Lebenskraft und neuen Antrieb gegeben haben. So können wir frohen Herzens diesen Gedenktag begehen. Wir wollen uns in dankbarer Anerkennung der Leistungen vergangener Generationen das Werden, Wachsen und Wirken des Vereins ins Gedächtnis zurückrufen und dann mit frischem Mut an die neuen Aufgaben des zweiten Jahrhunderts herangehen.

Die Beschäftigung mit mecklenburgischer Geschichte ist sehr alt. Jahrhundertelang waren es Einzelforscher, die sich mit ihr befaßten. Schon 1378 begann Ernst von Kirchberg seine berühmte Reimchronik zu schreiben. Im Anfange des 16. Jahrhunderts verfaßte Albert Krantz seine "Vandalia". Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erschien Westphalens Quellensammlung der "Monumenta inedita", die viel Mecklenburgisches enthalten, erschienen Klüvers Beschreibung des Herzogtums Mecklenburg, Dietrich Schröders Papistisches und Francks Altes und Neues Mecklenburg. Von 1780 ab arbeitete Rudloff an seinem epochemachenden pragmatischen Handbuch der mecklenburgischen Geschichte. Alle diese Werke haben ihrer

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Zeit völlig genügt und manche von ihnen darüber hinaus bis auf die Gegenwart einen nicht unbeträchtlichen Wert behalten.

Viel später begannen die Versuche, sich in Vereinen zusammenzuschließen und gemeinsam an die Erforschung der Heimatgeschichte heranzugehen. In Mecklenburg ist ein solcher Versuch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unternommen. Der Hofrat Bouchholtz gründete 1777 mit 14 anderen eine "Gesellschaft der für das Vaterland Beflissenen", wie man sie in der damaligen Ausdrucksweise benannte. Man wollte ein "Diplomatarium Meclenburgicum" herausgeben, also ein Urkundenbuch, und darin das in den verschiedenen Druckwerken zerstreute und in den Schränken der Städte und Privatpersonen verborgene Material sammeln und veröffentlichen. Vom Herzog wünschte man einen Vorschuß zur Beschaffung einer Handbücherei. Die um ihren Rat befragte Regierung hatte kein rechtes Vertrauen zu dem Unternehmen. Sie erkannte zwar die gute Absicht bei Bouchholtz an, meinte jedoch, daß einem Teile der Mitglieder neben ihrem Beruf die nötige Zeit und einem andern die volle Fähigkeit zur Durchführung des Planes fehle. So wurde es nichts mit dem Vorschuß, und damit fiel der schöne Plan ins Wasser.

Das ausgehende 18. Jahrhundert und die beiden ersten Jahrzehnte des 19. kennzeichnen sich durch Müdigkeit und Interesselosigkeit auf dem Gebiete der Geschichtsforschung. Es kam die französische Revolution mit ihren auf den Umsturz des Bestehenden gerichteten Zielen, es kamen die Jahre der Fremdherrschaft und der tiefen Erniedrigung für Deutschland. "Wer hatte da Lust", so urteilt ein neuerer Schriftsteller, "dem Werden der Nationen nachzugehen, solange sie mit Vernichtung bedroht waren? Wer konnte hoffen, geschichtliche Wahrheit zu ergründen, solange der geschworene Feind der Wahrheit das Szepter führte?" Erst als der Befreiungskrieg dem Volke neue Hoffnung eingeflößt und der Wiener Kongreß die staatliche Ordnung einigermaßen wiederhergestellt hatte, war der Boden für historische Studien bereitet. Und demselben Manne, der sich um Preußen und Deutschland unsterbliche Verdienste erworben hat, dem Freiherrn vom Stein, verdankt auch die deutsche Geschichtswissenschaft neuen Ansporn und neue Richtlinien. Er schrieb 1818 an den Fürstbischof von Hildesheim: "Seit meinem Zurücktreten aus den öffentlichen Verhältnissen" - das war seit Ende Mai 1815 - "beschäftigte mich der

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Wunsch, den Geschmack an deutscher Geschichte zu beleben und hiedurch die Liebe zum gemeinsamen Vaterland und das Gedächtnis unserer großen Vorfahren zu erhalten. Meine Absicht war auch, dahin zu wirken, daß die zerstreuten vielen Urkundenschätze sorgfältig gesammelt und gegen den Untergang bewahrt würden". So gründete er 1819 in Frankfurt a. M. die "Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde". Sie hat in den "Monumenta Germaniae historica" das quellenmäßige Rüstzeug für die Erforschung des deutschen Mittelalters geliefert und liefert es in immer neuen Veröffentlichungen noch jetzt.

Nach dem Muster dieser Gesellschaft und mit dem Zweck, ihre Arbeiten vorzubereiten und zu ergänzen, entstanden nun seit 1820 in den deutschen Gauen Geschichtsvereine, zuerst in Süd-, dann weiter fortschreitend auch in Mittel- und Norddeutschland. Der deutsche Historiker hatte es als seine hauptsächliche Aufgabe erkannt, die Vergangenheit des eigenen Volkes zu ergründen und die Großtaten der Vorfahren den nachfolgenden Geschlechtern vorzuführen.

In unserer Nachbarschaft wurden 1824 die Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde und 1833 die für Schleswig-Holsteinische Geschichte gegründet. Unser Mecklenburgischer Verein ist nur wenig jünger. Sein Gründer ist unser Altmeister Friedrich Lisch, ein Mann von genialer Begabung, ungewöhnlicher Tatkraft und großem Scharfblick. Er ist 1801 in Alt Strelitz geboren und hat in Rostock und Berlin Theologie und Geschichte studiert. 1827 kam er als Kandidat der Theologie an das Schweriner Gymnasium. Aber bald nahmen ihn historische Studien ganz gefangen, und deren Ergebnisse hatten zur Folge, daß Großherzog Friedrich Franz I. ihn 1834 an das Geheime und Haupt-Archiv berief. Das Archiv war von seinen Vorgängern, Evers Vater und Sohn, neu geordnet. Zu einer wissenschaftlichen Erschließung des ihnen anvertrauten Materials waren aber beide - wenn man von der trefflichen "Münzverfassung" des älteren Evers absieht - wenig gekommen. Lisch erkannte sofort, daß hier seine Lebensaufgabe lag, und mit seiner ganzen Kraft und Begeisterung machte er sich an die Arbeit. Schon am 18. Oktober 1834 erließen er und sein treuer Gefolgsmann Pastor Bartsch zu Sachsenberg, der spätere Schweriner Domprediger, Einladungen zur Gründung eines Geschichtsvereins. Sie hatten den erfreulichen Erfolg, daß sich 46 Personen als

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Helfer und Mitglieder anschlossen. Lisch und Bartsch arbeiteten dann eine Satzung aus, die sich durch knappe Fassung und Klarheit auszeichnete. Am 22. April 1835 fand die erste Generalversammlung und damit die feierliche Eröffnung des Vereins im Kirchnerschen Gasthof zu Schwerin statt. Manche von Ihnen werden nicht erinnern, wo er lag. Er befand sich in dem zurückgebauten Hause schräge gegenüber dem Neustädter Palais.

Zuvor hatte Bartsch im "Freimüthigen Abendblatt" auf die Versammlung hingewiesen und erklärt: "Der Verein gründet sich auf eine weit verbreitete Teilnahme im Vaterlande; je allgemeiner diese ist, desto tiefer schlägt er seine Wurzeln, desto kräftiger wird sein Wachstum, desto reicher seine Fruchternte sein." Es sind das treffliche Worte - auch jetzt noch beachtenswert. Wer sein altes gutes Land Mecklenburg liebt und sich darin wohl fühlt, der sollte die Mitgliedschaft erwerben. Er hat dann das stolze Bewußtsein, an seinem Teil mitzuarbeiten an den patriotischen Aufgaben, die sich der Verein gestellt hat. Und worin bestanden diese nach der alten Satzung?

Freunde und Beförderer der Vaterlandskunde wollten sich gegenseitig bei ihren Forschungen unterstützen und den Sinn für Vaterlandskunde in das Volk hineintragen. Der besondere Zweck des Vereins war, durch Sammlung der historischen Denkmale Mecklenburgs seine Geschichte nach allen Seiten zu erforschen und in Einzelschriften und Übersichten darzustellen. Geschichte, Recht, Sprache, Altertümer und manches andere sollten bearbeitet werden.

Der 22. April 1835 ist der eigentliche Geburtstag des Vereins. Später galt als Gründungstag der 24. April 1835, an dem Großherzog Friedrich Franz I. auf eine 50jährige Regierung zurückblicken konnte. Wir wollten in diesem Jahr auch im April feiern, haben aber leider noch kurz vorher die Feier um zwei Monate verschieben müssen.

Im Sommer 1835 siedelte das Archiv aus dem Schloß in das neue Kollegiengebäude über. Dadurch wurde im Schloß die sogenannte Hofdornitz, der alte Festsaal der Burg mit dem wundervollen Renaissancegewölbe, zu anderer Verwendung frei. Das Wort Dornitz ist, um das hier zu erwähnen, wahrscheinlich slavischen Ursprungs. Man bezeichnete damit in alter Zeit heizbare Prunkräume in Burgen und Rathäusern. Das Wort lebt noch jetzt in der Bezeichnung "Dönsk" für den geheizten

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Raum in Bauernhäusern im Gegensatz zu den ungeheizten Gemächern fort.

Die Hofdornitz bestand ursprünglich aus einem großen Saal, von dem später nach der Kirche zu zwei kleine Zimmer für den Archivar und die Urkunden abgetrennt waren, Der Großherzog überwies sie nun dem Verein, der damit eine ideale Unterkunft für seine Sammlungen und Zusammenkünfte erhielt.

Aber auch sonst erfuhr der junge Verein mannigfache Förderung. Er durfte das Archiv benutzen, ohne zuvor in jedem einzelnen Fall die übliche Genehmigung eingeholt zu haben; er durfte auch seine Arbeiten ohne zuvorige Zensur drucken lassen. Das waren damals ungewöhnliche Zugeständnisse.

1836 erschien das erste Jahrbuch, das wir ausgelegt haben. In berechtigtem Stolz schrieb Lisch dazu: "Was hier geboten wird, ist nicht allein neu dargestellt, sondern ist, mit sehr geringen Ausnahmen, ganz neu an Material, zum großen Teil völlig unbekannt und unmittelbar aus den reichen Quellen unserer Archive geschöpft." Und als eine wertvolle Gabe wurde das Buch auch gewürdigt. Bereits 295 ordentliche Mitglieder aus beiden Mecklenburg waren vorhanden, darunter nicht wenige aus dem Strelitzer Lande.

In der Folgezeit entwickelte sich nun der Geschichtsverein immer mehr. Die Seele des Ganzen war und blieb bis in sein hohes Alter Lisch. Von ihm stammen außerordentlich viele wertvolle Aufsätze in den Jahrbüchern und die ersten wissenschaftlich brauchbaren Urkundensammlungen mit Urkunden der Klöster Dargun und Neukloster und des Bistums Schwerin. Stattlich war die Zahl der Mitarbeiter, die größere Aufsätze beisteuerten, und noch zahlreicher waren die Helfer, die Angaben über vorgeschichtliche Funde, historisch denkwürdige Bauten und ortsgeschichtlich wichtige Ereignisse einsandten. Wenn vorgeschichtliche Funde, Münzen oder andere ähnliche Dinge in die Hände von Privatpersonen gelangten, so war es eine löbliche Gewohnheit, sie dem Geschichtsverein zu überweisen, um einem Verlust derselben vorzubeugen. Durch solche Schenkungen sind viele wertvollen Stücke in unsere vorgeschichtliche Sammlung gekommen, die dadurch ein hohes Ansehen in Deutschland erlangte. Auch einer immer weiteren Ausdehnung seines Tauschverkehrs mit anderen Vereinen wandte der Geschichtsverein seine Aufmerksamkeit zu. Die jüngste Vereinssammlung ist

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die der Bilder. Sie wurde 1844 mit Porträts angesehener Mecklenburger begonnen, aber alsbald zu einer umfassenden Bildersammlung erweitert.

1860 waren nicht weniger als 4000 vorgeschichtliche Stücke, mehr als 6300 Münzen, 3350 Bücher und Zeitschriften und 820 Bilder vorhanden. Gewiß ein Beweis für rege Sammeltätigkeit.

Leider mußte der Verein 1843 sein schönes Lokal im Schloß wegen der bevorstehenden Um- und Neubauten räumen; nur acht Jahre hat er es gehabt. Die Sammlungen kamen nun in ein Haus der Amtstraße, die ehemalige Veterinärschule. Das Haus ist als Großherzogliches Antiquarium bekannt geworden. Die neuen Unterkunftsräume wurden später noch um die Hintergebäude vergrößert, blieben aber stets nur ein Notbehelf.

Es kam das Jahr 1848. Wie ein Gewittersturm ging die Revolution von dem europäischen Unruheherd Frankreich über die deutschen Staaten hinweg, erschütterte die alten Regierungen und brachte die Oppositionsparteien in die Höhe. Neue politische Gedanken beschäftigten die Menschen und lenkten von der Beschäftigung mit der Vergangenheit ab. Damals und fortwirkend in den Jahren 1849-51 haben die deutschen Geschichtsvereine sehr gelitten. Es wird 1849 im Jahrbuch berichtet, daß sich der altmärkische und brandenburgische Verein aufgelöst, von allen preußischen Vereinen nur drei ihre Drucksachen gesandt und alle übrigen, darunter auch der pommersche, ihre Tätigkeit vorübergehend eingestellt hatten. Unser Verein hat die unruhige Zeit besser überstanden. Das regelmäßige Erscheinen der Jahrbücher ist nicht unterbrochen. Nur der Mitgliederstand ist damals stark zurückgegangen. Nachdem die Zahl der ordentlichen Mitglieder von 296 im Jahre 1836 auf 402 im Jahre 1846 gestiegen war, ist sie bis 1854 auf 277 zusammengeschrumpft. In dieser Höhe ist die Mitgliederzahl bis 1879 ziemlich unverändert geblieben.

Eine wichtige Angelegenheit für die deutschen Geschichtsvereine war ihr Zusammenschluß zu gemeinsamer Arbeit. Seit 1842 hatte man sich vergeblich um eine Einigung bemüht. Man hatte sich über die Sonderaufgaben des geplanten Zentralvereins und der Landesvereine nicht einigen können. Da war es wieder Lisch, der eingriff. Auf seine und des Baurats v. Quast Anregung fand im August 1852 in Dresden eine Ver-

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sammlung von Vereinsvertretern unter dem Vorsitz des Prinzen Johann von Sachsen statt. Die Versammlung erkannte die Notwendigkeit der Spezialforschung und die volle Selbständigkeit der Landesvereine an und beschloß dann, alle historischen Vereine Deutschlands zu einem Gesamtverein zusammenzuschließen und ein Korrespondenzblatt als gemeinschaftliches Organ zu gründen. Das wurde ausgeführt. Noch heute besteht der Gesamtverein der deutschen Geschichtsvereine, seit seiner vorletzten Tagung in Königsberg unter der nationalsozialistischen Leitung des Universitätsprofessors Dr. Hoppe in Berlin. Wir gehören dem Gesamtverein seit seiner Gründung an.

Am 24. April 1860 feierte der Verein sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Die Festsitzung fand im großen Saal des Antiquariums bei so starker Beteiligung statt, daß man auch die Nebengemächer hinzuziehen mußte. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Ministerpräsidenten v. Oertzen gab Dr. Beyer einen Überblick über die bisherige Wirksamkeit des Vereins und schilderte dann Lisch die Verdienste des Großherzogs Friedrich Franz I. um die vaterländische Geschichte und Altertumskunde.

Im Anschluß daran beschäftigte man sich mit der Zukunft. Man beriet über den von einer vorbereitenden Kommitte ausgearbeiteten Plan, ein allgemeines Mecklenburgisches Urkundenbuch herauszugeben. Ein solches Werk hielt die Kommitte für dringend nötig. Sie wies auf den reichen Schatz von Urkunden in Mecklenburg hin und auf die vielen mecklenburgischen Stücke, die von den Nachbarländern veröffentlicht seien. So sei an einen Erfolg des Unternehmens nicht zu zweifeln. Der Plan fand den allgemeinen und unbedingten Beifall der Versammlung.

Durch diesen Beschluß ermutigt, wandte sich nun der Verein an die Regierungen zu Schwerin und Neustrelitz und an die Stände mit der Bitte, die nötigen Mittel für das gemeinnützige Werk herzugeben. Der Erfolg war über Erwarten günstig. Schwerin bewilligte jährlich 700 Tlr. für die Redaktion und die Honorare der Mitarbeiter, der Landtag den gleichen Betrag für die Druckkosten, Strelitz allgemein die Kosten für die Bearbeitung des dortigen Materials. Nun konnte man an die Arbeit gehen.

Der Verein bestellte eine wissenschaftliche Kommission, der Lisch als Dirigent, der Oberlehrer, spätere Archivrat Wigger

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als Redakteur für das ganze Werk und Pastor Masch-Demern als Redakteur für Mecklenburg-Strelitz angehörten. Nach dem Arbeitsplan sollte das Urkundenbuch die Zeit bis 1500 umfassen. Da Lisch mit allen möglichen Aufgaben beschäftigt war, so fiel nicht nur die eigentliche Redaktionstätigkeit, sondern alsbald auch die Leitung Friedrich Wigger zu. Es seien daher auch über seinen Entwicklungsgang einige Angaben gemacht. Geboren in Dassow, studierte er Philologie und Geschichte in Göttingen und Berlin und trat nach einigen Jahren der Lehrtätigkeit 1861 in den Archivdienst ein. Er hatte nicht die geniale Veranlagung von Lisch, nicht dessen vortreibende Kraft. Was Wigger auszeichnete, waren die große Sorgsamkeit und der kritische Scharfblick, die bei allen seinen Arbeiten hervortraten. Diese Eigenschaften sind auch besonders dem Urkundenbuch, seinem eigentlichen Lebenswerk, zugute gekommen.

Nach zweijähriger vorbereitender Arbeit erschienen die ersten drei Bände der ersten Abteilung in schneller Folge. Eben war der dritte Band ausgegeben, da geriet am 1. Dezember 1865 das Kollegiengebäude in Brand, wodurch auch das im Archiv aufbewahrte Manuskript zum Urkundenbuch in große Gefahr kam. Es gelang aber, mit den Archivakten auch das Manuskript zu retten, so daß tatsächlich nur ein Aufschub im Erscheinen des vierten Bandes eintrat.

Inzwischen hatte man auch die zweite Abteilung des Urkundenbuchs für die Jahre 1301-1350 vorbereitet und dafür in Mecklenburg und Kopenhagen erfolgreich gearbeitet. Fehlgeschlagen war jedoch ein Versuch, durch Vermittlung des preußischen Legationsrats v. Schlözer aus dem päpstlichen Archive zu Rom neues Material zur Gründungsgeschichte der geistlichen Stiftungen in Mecklenburg zu erlangen.

Die wissenschaftliche Kritik war dem Urkundenbuch durchaus günstig. Auch die Landesuniversität hat es von Anfang an geschätzt. Als 1865 ein historisches Seminar an der Universität gegründet wurde, hat es mehrere Exemplare für die Studien der Studenten erhalten. Auch bei Preisausgaben wies man die Studenten auf die in den Urkundenbüchern geöffneten Quellen hin.

Leider war der Preis, so niedrig er auch gehalten war, doch nicht dazu angetan, zur Verbreitung des Werkes beizutragen. Privatpersonen, besonders in unserm mit Glücks-

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gütern nicht gesegneten Mecklenburg, konnten den Betrag von 5 Tlr. für den Band nur schwer aufbringen. Da beschloß der Verein 1873, annähernd 200 Exemplare von jedem Band aus den Reserven an geistliche und weltliche Behörden unentgeltlich abzugeben. Eine sehr nützliche Maßnahme. Von da ab gab es viele Stellen im Lande, wo die Forscher die Urkunden benutzen konnten: die Ämter, Gerichte, Magistrate, Präposituren u. a. m.

Im Januar 1867 leitete unser Verein noch ein drittes vaterländisches Unternehmen in die Wege. Professor Bartsch in Rostock war auf den Gedanken gekommen, Sagen, Märchen und Gebräuche der Heimat zu sammeln. Er setzte sich mit Lisch in Verbindung und dieser stimmte begeistert zu. Ein, auch im Jahrbuch abgedruckter Aufruf wurde verbreitet. Die Sammlung nahm einen guten Fortgang, wurde aber 1871 durch Bartschs Versetzung nach Heidelberg unterbrochen. Bartsch schrieb an Lisch, daß er die handschriftliche Sammlung als ein "heiliges Vermächtnis aus Mecklenburg" mitnehme und veröffentlichen werde, sobald es ihm die neuen Verhältnisse gestatteten. Er hat Wort gehalten. 1878 und 1880 sind zwei Bände Sagen erschienen.

Von einschneidender Bedeutung für den Verein wurde die zu Ende der 70er Jahre beginnende Abgabe seiner Sammlungen an Großherzogliche Institute. In einem Kabinettsschreiben vom 12. Oktober 1878 teilte Großherzog Friedrich Franz II. dem Verein seinen Wunsch mit, die Vereinsaltertümer mit den eigenen in das neu zu erbauende Museum zu übernehmen und beide nach bestimmten systematischen Regeln zu vereinigen; dem Verein solle jedoch das Eigentum an seinen Sammlungen ungeschmälert verbleiben.

Der Verein stand damit vor einer wichtigen Entscheidung. Er war sich klar darüber, daß die Verwaltung seiner gewaltig angewachsenen Bestände durch seine Mitglieder auf die Dauer nicht durchzuführen war, und daß durch die Abgabe der Sammlungen manche Kräfte für andere Aufgaben frei wurden. So stimmte er nicht allein dem Vorschlag zu, sondern wünschte noch darüber hinaus, daß auch seine übrigen Sammlungen ins Museum kämen. Das wurde grundsätzlich zugestanden, aber ein weiterer Wunsch des Vereins, ihm einen dauernden Einfluß auf die Ordnung der Altertümer und Münzen zuzugestehen, mit Recht abgelehnt. Die Ordnung müsse, so antwortete man

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ihm, lediglich vom Vorstand nach dem jeweiligen Stande der Wissenschaft vorgenommen werden. Aber eins gestand der Großherzog von sich aus zu. Der Verein dürfe wegen seiner Verdienste um die Sammlungen den ersten Vorstand der neuen prähistorischen Abteilung wählen. Die Wahl ist bekanntlich auf Herrn Dr. Beltz, unser jetziges Ehren- und ältestes Vereinsmitglied, gefallen, der damit seine langjährige Arbeit im Museum antrat und der uns manchen Abend durch seine Vorträge verschönert hat.

Am 3. April 1882 fand zum letzten Male eine Versammlung im Vereinslokale der Amtstraße statt. Dann erfolgte der Umzug der Sammlungen. Es kamen die Altertümer und Münzen in das neue Museum, die Bibliothek in ein Haus der Schloßstraße neben der Regierung, die Urkunden und Bilder ins Archiv. Die Generalversammlungen sollten künftig in einem hiesigen Hotel abgehalten werden.

Im folgenden Jahr ging der Schöpfer des Geschichtsvereins zu seinen Vätern heim. Am 22. September 1883 verschied Lisch an Altersschwäche nach 45jähriger Wirksamkeit als Erster Vereinssekretär.

Und dann ging allmählich wieder ein Vierteljahrhundert, das zweite im Vereinsleben, zur Neige. Der Verein feierte am 24. April 1885 sein 50jähriges Bestehen in Gegenwart des Herzogs Johann Albrecht in der Aula des Gymnasiums. Wigger gedachte des verstorbenen Großherzogs Friedrich Franz II., Archivar Dr. Schildt gab den Geschäftsbericht. Der Mitgliederstand hatte sich auf 521 ordentliche Mitglieder gehoben. Außer 50 Jahrbüchern mit ihrer Fülle von Arbeiten aus den verschiedensten Wissensgebieten lagen 13 Urkundenbücher, die bis 1355 reichen, vor. Die Bestände des Antiquariums hatten sich weiter vermehrt. Die Zahl der Münzen veranschlagte man auf fast 10 000. Die Bibliothek, die zunächst noch von einem Archivbeamten verwaltet wurde, bestand aus 9- bis 10 000 Bänden. An Bildern waren etwa 1300 vorhanden.

Mit einem Festmahl in Sterns Hotel, dem jetzigen Hause der Girozentrale, schloß die sehr gelungene Feier ab, an der sich nach der Anwesenheitsliste 103 Personen beteiligten. Die Wiggerschen Stammtafeln des Großherzoglichen Hauses im 50. Jahrbuch halten die Erinnerung an das Fest wach.

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Das neue Vierteljahrhundert brachte 1886 den Übergang der Vereinsbücherei in die Verwaltung der Regierungsbibliothek, die in dem von Daniel erbauten Obergeschoß des Kreuzgangs am Dom geeignete Räume für neue Bestände erhalten hatte. Damit war die unglückliche Vereinigung mit dem Archiv endlich gelöst.

Einen herben Verlust erlitt der Verein durch den Tod Wiggers am 24. September 1886. Viel zu früh ist er aus unermüdlichem Schaffen für den Verein geschieden. Vielleicht hat er zu rastlos gearbeitet. Seine Kräfte waren dem wohl nicht gewachsen.

An seine Stelle trat zunächst vertretungsweise Archivrat Schildt, bis Hermann Grotefend am 1. Oktober 1887 mit dem Archiv auch die Leitung des Geschichtsvereins übernahm. Grotefends markante Persönlichkeit wird vielen noch in guter Erinnerung sein. Er war ein Mann, der so recht ins Leben paßte. In dritter Generation aus einer Gelehrtenfamilie stammend, von seinem Vater früh in archivalische Forschungen eingeführt, studierte er in Göttingen und Berlin und war dann in Breslau, Aurich und Frankfurt an Archiven und für Geschichtsvereine tätig. So kam er, wissenschaftlich und praktisch gut vorgebildet, nach Schwerin. Alle seine neuen Aufgaben faßte er mit fortreißender Frische an.

Im Winter 1890/91 richtete er in Schwerin Vortragsabende ein, die sich bald großer Beliebtheit erfreuten und stark besucht wurden. Sie fanden zunächst im Hotel Louisenhof, seit 1911 im Archivsaal statt.

Leider läßt sich die Vortragstätigkeit wegen der Kosten nicht allgemein auf die mecklenburgischen Städte, wo Mitglieder wohnen, ausdehnen. Wir haben mehrfach Versuche in dieser Richtung unternommen, ohne daß eine ausreichende Beteiligung zustande kam. Vielleicht könnte man künftig nochmals einen Versuch dort machen, wo sich wenigstens 30 Mitglieder zusammenfinden.

Auf der Generalversammlung in Wismar von 1890 regte Pastor Krüger-Kalkhorst an, die volkskundliche Arbeit des Professors Bartsch wieder aufzunehmen. Es sollten vor allem Volkslieder, Rätsel, Reime und Legenden gesammelt werden. Ein Aufruf wandte sich an die Pastoren, Lehrer und Gendarmen und hatte besonders bei den Lehrern Erfolg. Aber das Unternehmen machte doch erst rechte Fort-

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schritte, als unser Ehrenmitglied Professor Wossidlo sich dafür einsetzte und das platte Land hin und her durchstreifte und auch bei Bauern, Tagelöhnern und Knechten anklopfte. Es kam ihm dabei eine glückliche Begabung zu Hilfe, mit unserer Landbevölkerung zu verhandeln und selbst aus zurückhaltenden Menschen durch geschickte Fragen herauszuholen, was für die Forschung von Wert war. So erschienen von ihm im Auftrage unsers Vereins 1897 ein Band mit Rätseln und 1899 eine Schilderung der Tiere im Munde des Volkes. Dann trat eine Stockung ein. Wossidlo war eine Zeitlang ganz mit der Einübung und Leitung des "mecklenburgischen Winterabends" beschäftigt. Erst als diese Vorstellungen ihren Zweck erfüllt hatten, wandte er sich wieder den Volksüberlieferungen zu. 1906 hat er in Verbindung mit dem Verein noch einen Band über Kinderwartung und Kinderzucht herausgebracht.

Es sollten mit den vorhandenen Landesmitteln noch ein vierter und fünfter Band mit Volksreimen gedruckt werden. Aber die Durcharbeitung des Materials bis zur Druckreife verzögerte sich, weil nun die Sagenforschung den Herausgeber ganz gefangen nahm. Er ist dabei in den nächsten Jahren sehr erfolgreich tätig gewesen und hatte schon 1911 über 10000 mecklenburgische Sagen zusammengetragen. Die Überlieferungen des Volkes vor dem drohenden Untergange zu bewahren und sie kommenden Geschlechtern zu überliefern, mußte die vornehmste Sorge des Vereins sein. So haben wir uns gern mit der Verzögerung bei der Drucklegung der beiden ausstehenden Bände zufrieden gegeben. Leider sind die Mittel dann schließlich durch Inflation verzehrt. Damit ist der Geschichtsverein aus der Arbeit ausgeschieden. Sie ist neuerdings in Verbindung mit der Universität und der Wossidlo-Stiftung wieder aufgenommen.

Ich kehre zu Grotefend zurück. Er hatte ursprünglich die Absicht, sich ganz den Regesten des 15. Jahrhunderts zu widmen, mußte aber, da 1891 kein geeigneter Bearbeiter für das 14. Jahrhundert vorhanden war, zunächst an diese Arbeit gehen. Im Frühjahr 1891 reiste er im Auftrage des Vereins nach Rom und forschte dort fast vier Monate in den Vatikanischen Archiven nach mecklenburgischen Urkunden. Mit einer reichen Ausbeute, besonders für die Angelegenheiten der katholischen Kirche hier zu Lande, kehrte er heim. Soweit das Urkundenwerk noch nicht gedruckt war, konnten die römischen Regesten noch eingeordnet werden. Ein erheblicher Rest mußte für

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den Nachtragsband zurückbleiben. Grotefend hat die sechs Urkundenbücher 15, 16 und 18 bis 21 herausgegeben, die die Jahre 1360-1390 umfassen. Band 17 enthält hervorragend brauchbare Register, bearbeitet von Archivrat Techen in Wismar.

Daneben ist die Arbeit an den Regesten des 15. Jahrhunderts eifrig gefördert worden. Für die auswärtigen Archive, die man zuerst vornahm, hat man bereitwillige Hilfe bei den dortigen Archivbeamten gefunden. In Mecklenburg haben Schildt und besonders verdienstvoll Witte in Schwerin, haben Techen in Wismar, Koppmann, Hofmeister und Dragendorff in Rostock gearbeitet. Das meiste ist jetzt wohl schon geschafft, aber immerhin wird noch manches zu tun sein. Im hiesigen Archiv befinden sich 31 Kästen mit vielen tausend Auszügen, in drei Reihen zeitlich geordnet. Die älteren Auszüge sind meist nach Drucken, alle neueren nach den Originalen oder nach den diese ersetzenden Abschriften angefertigt.

Am 10. September 1905 ist Freiherr Thomson v. Biel auf Kalkhorst gestorben. Er hat dem Verein 5000 Mk. vermacht, die nach Abzug der Erbschaftssteuer mit 4600 Mk. an uns ausgekehrt sind. Das ist das erste Mal, daß dem Verein testamentarisch größere Geldmittel zugewandt wurden. Ein neuer Antrieb war damit unsern Arbeiten gegeben. Es wurde beschlossen, für dies Geld mehrere Bände Chroniken herauszugeben und sie unter dem Titel "Mecklenburgische Geschichtsquellen" zusammenzufassen. Der erste Band, der 1909 erschienen ist, enthält die Chronik des Klarissenklosters Ribnitz, verfaßt in den Jahren 1523-33 von Lambert Slaggert, dem Beichtvater der Nonnen, und bearbeitet von Dr. Techen. Sie enthält Mitteilungen über die Zeit von 1206 bis 1533 und schildert die Klostergründung, das Leben und Treiben im Kloster und die Einführung der Reformation.

Für weitere Bände dieser Geschichtsquellen sind bereits bearbeitet: die Kirchbergsche Reimchronik von 1378, nach dem Original im hiesigen Archiv zum ersten Male zuverlässig abgeschrieben von Dr. Grotefend, dem Sohn unsers Geheimrats. Dann die ältesten Kirchenvisitationen von 1534, 1535 und 1541, bearbeitet von Pastor D. Schmaltz. Sie sind kulturgeschichtlich von großem Wert, zeigen den Besitzstand der katholischen Kirche zur Zeit ihrer Verdrängung und die Eindrücke der Visitatoren in den reformierten Gemeinden.

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Aber damit waren die Ziele und Bestrebungen des Vereins bei weitem noch nicht erschöpft. Ich möchte hier nur noch auf drei Anregungen hinweisen, die von dem Gesamtverein der deutschen Geschichtsvereine ausgingen.

1904 hat sich unser Verein mit der Frage beschäftigt, ob und wie die Flurnamen zu sammeln seien. Man erkannte die Notwendigkeit, sie der Vergessenheit und dem Untergang zu entreißen, durchaus an, konnte sich aber über die Wege, die zum Ziele führen, noch nicht einigen. Man beschloß, zunächst die Forschung außerhalb Mecklenburgs im Auge zu behalten. Später hat der Heimatbund die Anregung wieder aufgegriffen.

Dann die Ausarbeitung von sogenannten Grundkarten. Es sind Karten im Maßstabe von 1:100 000, welche die Flüsse, Gewässer und Ansiedelungen nach ihrer Lage und ihrem Namen enthalten und die Gemarkungsgrenzen in punktierten Linien angeben. Sie sollten die Grundlage für topographische Darstellungen von historischen und statistischen Forschungen bilden. So war an historische Karten für 1525, 1654 und 1789 für ganz Deutschland gedacht. Für Mecklenburg hat sich Grotefend dieser Aufgabe unterzogen. Fünf Karten sind gedruckt, eine ist in der Korrektur stecken geblieben, alle übrigen sind handschriftlich fertig, aber noch nicht nachgeprüft. Die mecklenburgischen Grundkarten hat für Einzelausführungen General von Woyna benutzt, als er seine wertvollen historischen Karten für die Epochen der mecklenburgischen Geschichte ausarbeitete. Diese historischen Karten werden im hiesigen Archiv aufbewahrt.

Schließlich die systematische Sammlung von Nachrichten über Element-Ereignisse, wie Überschwemmungen, strenge Winter, Erdbeben, Stürme, die bei der Abhängigkeit des Menschen von der Natur für die Beurteilung historischer Ereignisse wesentliche Dienste leisten können. Nach weiterer Vorbereitung im Gesamtverein sollen die territorialen und lokalen Geschichtsquellen durchforscht werden. Daran wollen auch wir uns beteiligen.

Im April 1910 ist das dritte Vierteljahrhundert unserer Vereinstätigkeit zu Ende gegangen. Von einer besonderen Feier des Gedenktages wurde abgesehen, weil im folgenden Jahr die Einweihung des neuen Archivgebäudes mit mancherlei Festlichkeiten in Aussicht stand, woran sich auch der Verein

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beteiligen wollte. Zu der eigentlichen Eröffnungsfeier am 23. Oktober 1911 konnten dann aber leider die Vereinsmitglieder außer dem Vorstand wegen Platzmangels keine Einladungen erhalten. Für sie wurde am 12. November eine besondere Feier veranstaltet. Ein Vortrag über die Entwicklung des Archivs und eine Führung durch den Verwaltungs- und Magazinbau machten sie mit den neuen trefflichen Einrichtungen bekannt. Eine stärkere Benutzung des Archivs zu wissenschaftlichen und Familien-Forschungen war die Folge.

Da der Verein durch die Hergabe seiner Sammlungen an Museum, Regierungsbibliothek und Archiv dem Gemeinwohl gedient hatte, so erhielt er das Recht unentgeltlicher Benutzung des Archivsaals für seine Generalversammlungen und Vortragsabende, die von da ab im Archiv stattfanden. Für Lichtbildvorführungen erwarb der Geschichtsverein einen eigenen Apparat, den er dann auch Behörden bei Benutzung des Saales gern zur Verfügung gestellt hat.

Ein neues Unternehmen des Geschichtsvereins trat 1913 ins Leben. Es war die Verzeichnung der kleineren Archive in Mecklenburg. Schon lange hatte man erkannt, daß mit einer Durchforschung der wichtigeren Staats-, Stadt-, Kirchen- und Klosterarchive für die heimische Geschichtsforschung nicht alles getan war. Viel brauchbares Material ruhte noch unbenutzt auf den Pfarren, Gütern und Ämtern und in den Registraturen der kleineren Städte, zum Teil in seinem Werte erkannt und gepflegt, zum Teil aber auch arg vernachlässigt, in staubigen Winkeln und auf undichten Dachböden gelagert und der Gefahr des Verlustes ständig ausgesetzt. Hier konnte nur fachmännische Anleitung und Verzeichnung helfen. Der Geschichtsverein hat daher durch seine Urkundenbuchskommission Dr. Jesse hin ausgesandt, um in Stadt und Land eine Nachlese zum Urkundenbuch für das 13. bis 15. Jahrhundert zu halten und gleichzeitig die wichtigeren Urkunden und Akten der späteren Zeit zu verzeichnen.

Die Reisen begannen am 15. Mai und erstreckten sich zunächst auf den Westen des Landes und die Umgebung von Schwerin. Das Jahrbuch 78 für 1913 brachte einen ersten Reisebericht und einige Proben von Inventaren, wie überhaupt die Jahrbücher die Stelle sein sollten, wo man weiter berichten wollte. Die Inventare selbst sollten nach Abschluß

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des Unternehmens veröffentlicht werden. Jesse hat bereits tüchtige Arbeit geleistet, ist dann aber noch vor dem Kriege einem Rufe nach Hamburg gefolgt. Wenn nun nach dem Kriege diese nur in Verbindung mit der Urkundenbuchskommission und dem Staatsarchiv zu leistende Arbeit nicht wieder aufgenommen ist, so nicht deshalb, weil es an Unternehmungsgeist oder an einem geeigneten Hilfsarbeiter fehlte, sondern weil die nötigen Gelder für die Reisen nicht verfügbar waren. Das war ja bedauerlichst öfter der Grund, weshalb in unserm Heimatlande gemeinnützige wissenschaftliche Unternehmungen unterblieben oder nach frischem Anfang wieder ins Stocken gerieten, während sie z. B. in Preußen ungehindert durchgeführt werden konnten.

In den Kriegsjahren 1914-18 hat Geheimrat Grotefend den Geschichtsverein fast allein betreut. Er hat dafür gesorgt, daß trotz allen Schwierigkeiten die Jahrbücher erschienen, und daß der Verkehr mit den daheim gebliebenen Mitgliedern durch gelegentliche Vorträge aufrecht erhalten wurde. Den 25 Mitgliedern, die für das Vaterland gefallen sind, hat er in Bild und Schrift ehrende Denkmäler in unseren Vereinsschriften gesetzt. Die Vereinsarbeiten ruhten fast ganz. Eine Zeitlang hat Grotefend sich noch dem Urkundenbuch gewidmet und für die Regesten des 15. Jahrhunderts in den Archiven zu Berlin und Hannover gearbeitet. Dann nahmen ihn die Dienstgeschäfte, die fast allein auf ihm ruhten, ganz in Anspruch.

Nach 51jähriger Dienstzeit ist Grotefend, 76 Jahre alt, am 1. Juli 1921 in den Ruhestand getreten und hat gleichzeitig das Amt des Ersten Sekretärs niedergelegt, das er 34 Jahre verwaltet hat. Am 29. Mai 1931 ist er uns durch den Tod genommen. Er gehört mit Lisch und Wigger zu den drei Großen unsers Geschichtsvereins. Wir haben zu der heutigen Hundertjahrfeier an den Gräbern dieser drei verdienstvollen Männer in dankbarer Erinnerung Kränze niedergelegt.

Unserm Tauschverkehr mit historischen Vereinen und Instituten haben wir um Weihnacht 1902 einen kräftigen Antrieb gegeben. An 70 Vereine und Gesellschaften des deutschen Sprachgebiets haben wir damals Aufforderungen zum Austausch ergehen lassen. 47 Vereine aus dem Deutschen Reich, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden haben zugestimmt. Damit erhöhte sich die Zahl der Tauschvereine auf 259. Heute stehen wir mit 278 in Verbindung. Die wertvollen Erwerbun-

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gen überweist der Verein regelmäßig an die Landesbibliothek, wo sie zunächst im Benutzersaal ausliegen und dann von jedermann entliehen werden können.

Und nun lassen Sie mich noch kurz darlegen, welches die Hauptaufgaben unsers Geschichts- und Altertumsvereins für die Zukunft sind und welche Ziele er erreichen will. Ich gehe dabei von folgendem aus:

Als unser Verein 1835 für beide Mecklenburg gegründet wurde, da stand er für das Gebiet, dem seine Arbeiten zugute kommen sollten, allein auf weiter Flur. Das ist inzwischen anders geworden. Es haben sich manche anderen historischen und volkskundlichen Vereine regionaler und lokaler Art aufgetan, die für einzelne Teile und Städte unsers Arbeitsgebiets ähnliche Aufgaben, wie die unsrigen, verfolgen. Ich erinnere an den 1871 gegründeten Hansischen Geschichtsverein, der die Geschichte des alten Hansabundes und der ihm angeschlossenen Städte, darunter auch Wismars und Rostocks, erforscht. Das genügte aber der aufstrebenden Stadt Rostock mit ihren lebhaften geistigen Interessen, die in der Universität ihren Mittelpunkt und im Ratsarchiv ihre Stütze fanden, noch nicht. Es entstand dort 1883 der Verein für Rostocks Altertümer. Dann folgten 1906 der Heimatbund Mecklenburg, 1919 der Heimatbund für das Fürstentum Ratzeburg und 1925 der Mecklb.-Strelitzer Verein für Geschichte und Landeskunde. Alle geben eigene Zeitschriften heraus. Schließlich ist 1928 eine Historische Kommission für beide Mecklenburg mit dem Sitz in Rostock gegründet, welche die Herausgabe von Quellenschriften und wissenschaftlichen Hilfsmitteln fördern will, ohne jedoch in die Arbeiten der bestehenden Vereine einzugreifen. Als erste Aufgabe hat sie eine groß angelegte Bibliographie Mecklenburgs unternommen, die Dr. Heeß bearbeitet. Die neue Kommission ist als eine Schwestergründung neben der bei unserm Landesverein seit 1860 bestehenden Urkundenbuchskommission, ebenfalls für beide Mecklenburg, anzusehen.

Alle diese Vereine und Institute sind in ihren Entschlüssen und Arbeiten völlig selbständig. Sie haben manche Arbeiten aufgenommen, an die unser Landesverein gar nicht denken, manche auch, die er aus zwingenden Gründen nicht weiter verfolgen konnte. Und das ist gut so. Denn das Gebiet der Geschichte ist, selbst für ein Land wie Mecklenburg, viel zu weit, als daß ein Verein es genügend bestellen könnte. Wir

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begrüßen daher die Wirksamkeit dieser Vereine, die ebenso wie die unsrige von der Hingabe an das gemeinsame deutsche Vaterland getragen ist. Unsere Aufgaben und Ziele sind für die nächste Zukunft folgende:

Das Mecklenburgische Jahrbuch. Es kennt, wie es schon sein Titel sagt, für seine Arbeiten innerhalb des jetzt geeinten Mecklenburgs keine territorialen oder lokalen Grenzen. Es ist von Anfang an für das ganze Gebiet zuständig. Während die ersten Jahrgänge das von allen Seiten heranströmende Material sammelten und in kürzeren Aufsätzen darboten, hat man später immer mehr zusammenfassende Darstellungen auf streng wissenschaftlicher Grundlage gebracht. Und so soll es auch künftig bleiben. Wir wollen uns aber bei der Auswahl des Stoffes davon leiten lassen, wie wir die Bestrebungen unsers Führers auch zu unserm Teil fördern können. Wie wir uns das denken, das möge der soeben erschienene 98. Jahrgang der Jahrbücher, der hier ausgelegt ist, verdeutlichen. Er enthält u. a. eine zeitgemäße Arbeit von Dr. Murjahn über die bäuerlichen Verhältnisse des 17. Jahrhunderts im Lande Stargard. Die Arbeit gibt erwünschten Aufschluß über die Herkunft der dortigen Siedler, die Besetzung der Hufen, Leibeigenschaft, Hof- und Extradienste u. a. m.

Ganz anders war die Lage der Bauern auf der Insel Poel, die uns Dr. Lembke für die Zeit vom 12. Jahrhundert bis 1803 im kommenden 99. Jahrbuch 1 ) schildern wird. Auf Poel hat es z. B. eine Leibeigenschaft nie gegeben. Im 14. und 15. Jahrhundert war die Lübecker Kirche dort fast alleinige Grundherrin, und von 1648 bis 1803 war die Insel bekanntlich schwedisch. Das hat vor allem ihre Sonderstellung hervorgerufen. Auch diese Arbeit ist bereits gedruckt.

Vom Mecklenburgischen Urkundenbuch, dem zweiten großen Unternehmen des Geschichtsvereins, liegen jetzt 25 starke Quartbände mit den Urkunden der Jahre 786-1400 gedruckt vor. Der letzte 25. Band mit einer Fülle von Nachträgen konnte im Text gerade noch zur Hundertjahrfeier fertiggestellt werden. Das erste Exemplar haben wir zur Ansicht ausgelegt. Der 25. Band berücksichtigt auch die rund 2000 Bürgertestamente im Lübecker Staatsarchiv, die für die Zeit bis 1400 eine


1) S. das vorliegende Jahrbuch S. 1 ff.
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wahre Fundgrube für die Mecklenburg-Lübecker Beziehungen bilden. Wir sind erst Ende vorigen Jahres, aber gerade noch rechtzeitig auf sie aufmerksam geworden.

Die weitere Aufgabe unserer Urkundenbuchskommission und ihrer Mitarbeiter wird es nun sein, das gewaltige, seit Gründung unsers Vereins gesammelte Material an Regesten, d. h. an fachlich erschöpfenden Auszügen aus Urkunden, für die Zeit von 1401 bis 1500 zu ordnen, zusammenzuarbeiten und dann zum Druck zu geben. Das 15. Jahrhundert kennt noch keine zusammenhängenden Akten. Die einzelnen Urkunden liegen zumeist zerstreut bei jüngeren Akten und mußten mühsam zusammengesucht werden. Trotzdem kann die Sammlung im allgemeinen als abgeschlossen gelten. Das Material umfaßt jetzt etwa 18 000 bis 20 000 Karteikarten und ruht wohlverwahrt im Archiv. Der Verein gibt sich der Hoffnung hin, daß das Staatsministerium ihm auch für die Fortsetzung der Arbeit den bisherigen Jahreszuschuß bewilligen wird.

Neuerdings hat sich dann der Geschichtsverein im Einvernehmen mit dem Archiv noch das Ziel gesteckt, die grundlegenden Quellen für die Bauernforschung herauszugeben. Es handelt sich dabei zunächst um die sogenannten Schloß- oder Bederegister des 15. Jahrhunderts. Wir bezeichnen damit die Hebungsverzeichnisse der alten mecklenburgischen Vogteien, die ausführliche Namensregister der ländlichen Bevölkerung enthalten. Ihre Durcharbeitung ist recht mühsam, weil sie nur flüchtig und mit starken Abkürzungen niedergeschrieben sind. Sie sind aber für die Stammesforschung von größter Wichtigkeit. Wir haben für die Arbeit die Staatsarchivräte Dr. Steinmann und Dr. Tessin gewonnen, bei denen die Arbeit gut aufgehoben ist. Wegen ihrer vordringenden Wichtigkeit für den neuen Staat wollen wir die Bederegister im zweiten Bande der Mecklenburgischen Geschichtsquellen bringen, von denen ich vorhin gesprochen habe, und die Kirchbergsche Chronik und die ältesten Kirchenvisitationen dann im dritten und vierten Bande folgen lassen. Alles wird aber davon abhängen, ob uns die nötigen Mittel bewilligt werden können.

Unsere Drucksachen hat von Anfang an der bewährte Verlag der Bärensprungschen Hofbuchdruckerei ausgeführt. Ihm sei für seine treue Mitarbeit an dieser Stelle herzlich gedankt.

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Damit bin ich am Schluß meiner Ausführungen. Der Geschichtsverein wird seine Arbeit im zweiten Jahrhundert seines Bestehens im Dienste und zum Wohle der Volksgemeinschaft aufnehmen. Möge ihm damit ein Erfolg beschieden sein!

 

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