zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 215 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

Dr. Friedrich Techen, Geschichte der Seestadt Wismar. Gedruckt im Jahre MCMXXIX im Auftrage der Seestadt Wismar (Eberhardtsche Hof- und Ratsbuchdruckerei, Wismar). XVI u. 510 S. 76 Tafeln m. Abb.

Friedrich Techens Lebenswerk liegt vor uns. Etwa 40 Jahre ist es her seitdem er den Plan faßte, die Geschichte seiner Vaterstadt zu schreiben. Nach verschiedenen Vorarbeiten und nach gar mancherlei andern Arbeiten kam Techen im Frühjahr 1914 dazu, die Ausarbeitung zu beginnen. Das Werk, an dem er "hernach nur wenig geändert oder hinzugesetzt" hat, wurde im Sommer 1917 abgeschlossen.

12 Jahre später bewilligten die städtischen Behörden die Kosten der Drucklegung, nachdem im Jahre 1922 Techen seinen knappen, aber aufschlußreichen Abriß der Geschichte der Stadt Wismar veröffentlicht hatte. Die Grundlagen für Techens Werk bilden die veröffentlichten Quellen, die Literatur und das Wismarer Ratsarchiv. "Andere Archive heranzuziehen schien nicht durchaus notwendig, und ein weiteres Verschieben hätte die Ausführung des Planes leicht gefährden können", schreibt Techen in dem Vorwort.

Der Stoff ist in 24 Kapitel übersichtlich gegliedert. Die Darstellung ist anschaulich, hat vielfach chronikartigen Charakter, ist aber andererseits gelegentlich sehr prägnant, knapp und vorsichtig im Urteil. Sie vermittelt eine Fülle von wertvollsten Beobachtungen und Ergebnissen.

Ganz besonderes Interesse beansprucht das 1. Kapitel, das die Anfänge der Stadt behandelt. Techen stützt sich hier in der Hauptsache auf ältere Forschungen, die Crull und er angestellt haben, insbesondere auf seine in den Hansischen Geschichtsblättern (Jahrgang 1903) veröffentlichte Arbeit über die Gründung Wismars. Vor über 50 Jahren hat Crull in seiner Einleitung zur Ratslinie der Stadt Wismar (S. XIII) die Vermutung ausgesprochen, daß die Anwesenheit der Enkel Heinrich Borwins in Lübeck am 15. Februar 1226 in Zusammenhang mit der, nach Crulls Ansicht von Lübeck geförderten, Gründung der Stadt Wismar stehe: "Die mündliche und förmliche Gutheißung des neuen Unternehmens" durch die mecklenburgischen Landesherren sei da erfolgt. Einen früher hiergegen gemachten Einwand hält Techen nunmehr nicht mehr für stichhaltig. Auch er sieht jetzt das Jahr 1226 als das mutmaßliche Gründungsjahr Wismars an und betont besonders die starke Beteiligung der Lübecker bei der Gründung.

Nach Techens Darlegungen ist Wismar als eine planmäßige Neugründung anzusehen. Die Stadt hat sich nicht aus einem Dorfe heraus entwickelt. Ein älteres - slavisches - Dorf (Alt-Wismar) bestand zwar, aber es war etwas über 1 km vom Zentrum der Stadt entfernt und durch einen Bach (aqua Wissemara die Wismaraa) von dieser getrennt, der überdies seit 1167 die Grenze wischen den Bistümern Ratzeburg und Schwerin bildete. Die Stadt Wismar und das östlich davon gelegene Dorf Alt-Wismar gehörten also zu zwei verschiedenen Diözesen! (S. 1, 114). - An und für sich wäre ja noch an die weitere Möglichkeit zu denken, daß Wismar

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 216 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

als Vorläufer ein deutsches Bauerndorf gehabt hätte, wie es, um nur ein Beispiel zu nennen, nach Ausweis des Ratzeburger Zehntenregisters bei dem benachbarten Grevesmühlen der Fall ist. Aber der Stadtplan Wismars gibt hierfür keinen Anhalt, und die Wismarer Ackerflur hatte keine Hufeneinteilung. Die den Bürgern gehörigen Teile der Feldmark lagen vielmehr in Morgen, das eigentliche Stadtfeld wurde in Ackerlose geteilt und alle 7 Jahre unter die Bürger verlost (S.7/8, 63/64).

Nun zählt aber Hoffmann in seiner Arbeit über die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis 14 Jahrhundert (im 94. Jahrgang dieser Jahrbücher) Wismar zu den Städten, die wahrscheinlich aus einer schon in slavischer Zeit bestehenden deutschen Kaufmanns- (bzw. Hafen-) Siedlung sich allmählich zur Stadt entwickelt haben (S. 156, 162, 175). Allerdings konnte Hoffmann weder bei Wismar noch bei Rostock besondere Untersuchungen anstellen. Er zog beide Städte nur gelegentlich heran "nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung", wobei bemerkt sei, daß Hoffmanns Arbeit vor dem Erscheinen von Techens Werk vollendet wurde.

Gegen Hoffmanns Ansicht ist zunächst einzuwenden, daß für das Herauswachsen Wismars aus einer ständigen Kaufmannssiedlung, wie es aller Wahrscheinlichkeit nach z. B. bei Schwerin der Fall ist (Hoffmann S. 12/23), die wichtigste Voraussetzung fehlt, nämlich die fürstliche Burg, die Schutz und Anknüpfung an einen primitiven Handel mit den ständigen Naturallieferungen der slavischen Untertanen gewährleistete. Die Reihe der Burgen Niclots zog sich ja östlich von der Wismarer Gegend dahin: Schwerin, Dobin, Mecklenburg, Ilow, Alt-Gaarz. Wismar selbst lag im Burgbezirk (terra) Mecklenburg, und diese Burg besaß offensichtlich einen eigenen Markt (Hoffmann S. 174).

Weiterhin findet sich im Wismarer Stadtplan keinerlei Anhalt, daß die Stadt aus einer fleckenähnlichen Marktsiedlung hervorgegangen sei. Weder der Marktplatz noch das Stadtviertel um St. Nikolai läßt sich als ein solches Element im Stadtplan ansprechen, das aus der vor-städtischen Zeit stammen könnte.

Nun hebt allerdings Hoffmann (S. 162) hervor, daß für Wismar die urkundliche Überlieferung für das Vorhandensein einer Kaufmannskolonie "insofern am günstigsten ist. als ein Wismarer Hafen bereits im Jahre 1209, ungefähr 20 Jahre vor der Stadtwerdung Wismars, in einer deutschen Königsurkunde genannt wird". Dem gegenüber hat Techen bereits im Jahre 1903 in seiner vorhin genannten grundlegenden Abhandlung über die Gründung Wismars (S. 126) den Wert dieser Nachricht (in portu, qui Wissemer dicitur) mit dem kurzen Hinweis auf den Hafen Golwitz (portus Gholvitze, portus, qui dicitur Gholvicze) auf das richtige Maß beschränkt. Bei der Golwitz, dem Meeresarm zwischen der Insel Poel und dem östlich davon gelegenen Festlande, handelt es sich um einen einfachen. natürlichen Hafen, in dem Schiffe bei Bedarf ankerten und wo eine Art von fliegendem Handelsplatz, aber keine ständige Kaufmannssiedlung war. So werden wir uns auch die Verhältnisse bei dem in der Urkunde von 1209 genannten Hafen Wismar zu denken haben.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 217 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Demgemäß sehen wir in Übereinstimmung mit Techen Wismar als eine Neugründung, als eine Gründung "aus frischer Wurzel" an.

Wie gesagt, planvoll und überdies großzügig: mit großem Markt, mit breiten Straßen und gleich mit zwei Kirchspielen versehen, wurde Wismar angelegt. Der Stadtplanforscher würde an und für sich zunächst geneigt sein, das nördliche Viertel der Stadt, die Gegend um St. Nikolai, mit der Grube als südlicher Grenze, als den ältesten Teil der Stadt anzusehen. Dem gegenüber sei aber hervorgehoben, daß Techen mit voller Klarheit ausspricht (S. 2), daß sich keine Spur davon findet, daß das St. Nikolai-Kirchspiel älter sei als das von St. Marien. "Wollte man durchaus scheiden, so würde man St. Marien den Vorrang zuerkennen müssen. Denn St. Marien war und ist die Kirche des Rates, und in diesem Kirchspiel liegt der Markt. Eine Stadt aber ohne Markt ist undenkbar." Außerdem ist die Grube nie eine Scheide und nie eine Kirchspielsgrenze gewesen. Die Grube wird vielmehr "bald nach der Gründung der Stadt gegraben sein, sowohl um die Anlegung einer Wassermühle zu ermöglichen, wie um Wasser hineinzuschaffen".

Knappe, aber sehr wichtige Feststellungen, die zeigen, wie vorsichtig der Stadtplanforscher sein muß, und wie nur unter Heranziehung alles urkundlichen Materials und nur bei genauester Kenntnis der örtlichen Verhältnisse durch Rückschlüsse aus späteren Zuständen einwandsfreie Ergebnisse erzielt werden können.

Noch größere Bedeutung sind Techens Feststellungen über die Heimat der Bevölkerung Wismars beizumessen (S. 4): Nach dem ältesten Stadtbuch (von etwa: 1250 bis 1272) "sind bei weitem die meisten Bürger aus dem Mecklenburgischen gekommen, außerdem beträchtlicher Zuzug aus Sachsen, Friesland und Westfalen, noch nennenswerter aus Holstein und Lauenburg, vom Niederrhein, aus Holland und Flandern, aus der Altmark, der Mittelmark und der Prignitz, endlich aus Dänemark und Schleswig. Der Name Wend (Wenede, Slavus, Slavica) kommt nur dreimal vor, so daß die Bevölkerung der Stadt als rein deutsch angesprochen werden kann".

Der Platz für die neue Stadt war so günstig gewählt und der Zustrom an Fremden war so stark, daß bereits vor 1250 die Stadt (Altstadt) eine Erweiterung durch die sog, Neustadt (das Viertel um St. Georg) erfahren mußte. Urkunden über Gründung und Erweiterung der Stadt sind ja für Wismar nicht überliefert. Leider lassen sich auch durch Rückschlüsse nicht die Bedingungen der Ansetzung in der eigentlichen Stadt, die Ausstattung der Stadt, der Kirchen und der einzelnen Bürger mit Land rekonstruieren. Der bezeugten Wurtzinse sind zu wenige, um daraus Schlüsse ziehen zu können (S. 3/4).

Die ursprüngliche Wismarer Ackerflur kann man nur als recht klein bezeichnen. Das hängt mit dem Wesen der Stadt zusammen, in der von Anfang an Schiffahrt, Handel und Gewerbe durchaus den Vorrang hatten. Das Hauptgewerbe für den Ausfuhrhandel war übrigens in späterer Zeit (14. bis Ende 17. Jahrhunderts) die Brauerei (S. 64 ff.).

Die Kapitel 2-4 behandeln in der Hauptsache äußere Geschichte: Verhältnis der Stadt zu den eigenen und fremden Landesherrn und zur Hanse. Gelegentlich sind hier, wie auch in den späteren histo-

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 218 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

rischen Kapiteln, kleinere kulturgeschichtliche Betrachtungen eingestreut. Hingegen haben die nächstfolgenden drei Kapitel rein kulturgeschichtlichen Charakter: Verfassung und Verwaltung der Stadt, Bauten und Erwerbsleben, geselliges Leben. Diese Kapitel und das neunte (Kirchenwesen bis zur Reformation) bieten für alle, die sich mit der inneren Geschichte mittelalterlicher Städte beschäftigen wollen, eine Fülle von Tatsachen, Belehrungen und Anregungen.

Der Geistes- und Kulturgeschichte ist auch Kapitel 10 (Reformation) und der inneren Politik Kapitel 12 (Innere Zwistigkeiten und Bürgerverträge) gewidmet. Das 8. Kapitel behandelt in der Hauptsache die fehdereiche Zeit unter Heinrich IV., seinen Söhnen und Enkeln (etwa l435-l537), das 11. die Zeit bis zum 30jährigen Kriege. Dann werden in den Kapiteln 13-16 die Schicksale Wismars im 30jährigen Krieg und unter schwedischer Herrschaft bis zur Abtretung an Mecklenburg (Vertrag von Malmö 1803) erzählt. In den Kapiteln 17-23 behandelt Techen Wismars Entwicklung und Aufschwung im 19. Jahrhundert, im Schlußkapitel den Weltkrieg, die Revolution und den sich anbahnenden Niedergang der Stadt.

Überaus reichhaltig ist die Ausstattung des Werkes mit Abbildungen: Stadtpläne, Ansichten des Stadtbildes, Hafenbilder, Straßen und Plätze, einzelne Gebäude, architektonische und kulturgeschichtliche Einzelheiten und Porträts. Bürgermeister Raspe übernahm die Auswahl.

Steinmann.