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II.

Zwei Freunde
August Hermann Franckes

von

Theodor Wotschke.

Vignette
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A ls um die Wende des 17. Jahrhunderts im Pietismus ein neuer Geist und eine neue Frömmigkeit sich im evangelischen Deutschland regte, von Spener und Francke Anregungen nach allen Seiten ausgingen, verschloß sich die Rostocker Hochschule gegen das neue religiöse Leben und blieb eine Hüterin des alten Geistes, eine Wächterin über die Orthodoxie. Ihr führender Theologe Fecht spitzte verschiedentlich die Feder gegen Spener und erwies sich als der treueste Schildträger der Wittenberger, die ja besonders den Kampf gegen den Pietismus aufgenommen hatten. Die Haltung der Universität wirkte zurück auf das Land. Es blieb lange eine Domäne der Rechtgläubigkeit 1 ), ist von dem neuen religiösen Leben anfänglich wenig berührt worden. Doch vereinzelt sehen wir auch in ihm Freunde Franckes. Von zweien von diesen wollen die folgenden Zeilen melden, von Simon Ambrosius Hennings, dem Pastor in Recknitz, und Joh. Christian Mencke1, dem Hofprediger in Schwerin 2 ).


1) Doch haben das Pädagogium in Halle schon 1698 zwei Brüder Nikolaus Christian und Petrus Adolf Bärens aus Neukloster besucht. Sie wurden Offiziere und später geadelt. 1700 sehen wir auf dem Pädagogium Christian Witsche aus Güstrow, 1701 Rud. Karl v. Glan, 1703 Gustav Witsche aus Güstrow, zwei Brüder von Dassel aus Güstrow, Franckes Neffen, 1708 Joh. Friedr. Tebel aus Jabel, 1709 Gust. Adolf Chop aus Strelitz mit zwei Brüdern, 1711 Friedr. Wilh. Habersack aus Schwerin, Joh. Joachim Kelp aus Schwerin, 1712 Friedr. Wilh. Duve aus Schwerin, 1717 Ad. Friedr. v. Plessen, 1719 Adolf Levin v. Warnstedt, 1722 Christian Siegfried v. Bassewitz, 1723 Christoph Ernst v. Ditten.
2) In Grabow sehen wir in Briefwechsel mit Francke den Pastor Joh. Friedrich Hincke. Als er 1709 von Leipzig über Halle nach Hause reiste, suchte er ihm seine Aufwartung zu machen, doch Francke war damals zum Begräbnis seiner Mutter nach Gotha geeilt. Dann hatte ihn eine gewisse Scheu abgehalten, dem Vielbeschäftigten zu schreiben. So setzte er erst den 21. Juni 1713 die Feder an. "Die verwitwete Königin von Preußen halten sich noch hier bei ihrer Mutter auf. Sie hat heute von mir Bovings Traktat von den Hottentotten holen lassen, darin eine Nachricht von den trankebarischen Unruhen. Möchte wohl wissen, wie es jetzo steht, auch die Königin hat ein Verlangen danach." Am folgenden 8. Okt. kann er Francke für einen Brief danken. "Ihre Maj. bessern sich itzo. Ich möchte gern das Glück haben, meinen hochzuehrenden H. Professor zu sprechen, da von einem und anderen uns unterreden wollten, welches der Feder nicht anvertrauen darf." Unter dem 14. Febr. 1714: "Die Sachen aus Berlin habe ich wohl erhalten (  ...  )
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Schon als Studentin Rostock fühlte sich Hennings zu Spener und Francke hingezogen. Was seine orthodoxen Lehrer ihm boten, genügte ihm nicht. Er schrieb an Spener und bat, ihm zu raten. Nach Halle wollte er pilgern, dort weiter zu studieren, es ließ sich nicht ermöglichen. Da, als ein Freund von ihm dem pietistischen Zion am Saalestrande zustrebte, und er leider zurückbleiben mußte, griff er wenigstens zur Feder, um Francke seine Verehrung, sein Sehnen kund zu tun, um Belehrung und Rat zu erbitten. Den 24. April 1705 schrieb 3 ) er aus Rostock:

"Ich hatte mir fest vorgesetzt, mit gegenwärtigem lieben Freunde zu Ihnen zu kommen, wozu mir, der ich ohnehin großes Verlangen danach trug, auch der sel. D. Spener in einer Antwort auf mein Schreiben riet. Sein Tod hat ihn gehindert, mir hierzu behilflich zu sein. Meine Vormünder, unter ihnen H. Becker, Pastor an der Jakobikirche hierselbst, der mit Ihnen zu Rostock studiert hat, wollten mir nicht willfahren, sondern widersetzten sich hart; meine Schwester bat mich mit Tränen, noch ein Jahr hier zu bleiben. Halle war ihnen von anderen verhaßt gemacht. Nur heimlich hätte ich zu Ihnen kommen können, aber ich zweifle, daß dies Gottes Wille war, seine Schickung nicht vielmehr, daß ich hier


(  ...  ) und die Ih. K. Maj. bestimmten Ihr wohl übergeben lassen. Mademoiselle de Bail hat mir Dero Programme und das Traktätchen von der Rechtfertigung mitgebracht. Von dem Zustande der Königin wird sie gemeldet haben. Es kränkt mich sehr, daß ich sie nur so kurze Zeit habe bei mir sehen können und nicht länger ihre christerbauliche Unterhaltung habe genießen können. I. K. Maj. ist eine Zeitlang leidend gewesen. Daß sie auf Ihre Schreiben nicht geantwortet, hat wohl keine andere Ursache als die, daß die meisten Briefe ihr vorenthalten werden, daß sie sie nicht zu lesen kriegt. Status enim praesens non satis deplorandus." Berlin, den 14. Febr. 1713 von Canstein: "Es läßt sich nicht alles schreiben. Die Königin ist auch immer in einem so kläglichen Zustande und, da man sie von dem Ort, wo sie itzo ist, nicht weiter nach Grabow wollte reisen lassen, ist sie in solche Wut geraten, daß einige Leute herausgesandt worden, zu verhindern, daß sie nicht, wie sie gedroht, selbst aus den Fenstern springe. Vor einigen Tagen hat der König gesagt: "Prof. Francke hat den Anfang der Tollheit bei ihr gemacht." Unter dem folgenden 21.: "Die Königin ist heute nach Grabow geflohen." - Für Hincke zu vgl. Willgeroth, Die Mecklb.-Schwer. Pfarren II, S. 846.
3) Dieser und die folgenden Briefe befinden sich in der Staatsbibliothek zu Berlin.
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bleibe. Deshalb bitte ich, mir durch ein Schreiben zu eröffnen, wie ich mein theologisches Studium führen müsse, daß es Gott gefällig und der Kirche nützlich, was für Bücher die bequemsten dazu seien. Das Schreiben würde zu meiner und anderer Erbauung dienen, mir eine herzliche Freude und kräftige Stärkung sein. Denn Gott hat mich mein Elend, darin ich bisher von Jugend an gesteckt, einsehen lassen, auch stecke ich noch in großer Schwachheit und Unvermögen. Ich hätte noch viel zu schreiben, doch mein guter Freund, der meinen Zustand gar wohl weiß, hat alles mündlich zu berichten versprochen. Er wird mein Anliegen ausschütten und Ihren Rat einholen."

Nach der Treue, mit der Francke jedem Suchenden diente, antwortete er dem jungen Studenten; auch ein zweites Mal, als er wieder an ihn schrieb. 1708 wurde auch die Liebe zum "Vater in Christo", das Verlangen, ihn selbst zu sehen und zu sprechen, so mächtig in Hennings, daß er alle Hindernisse überwand und nach Halle eilte. 1710 wurde er Pastor in Recknitz (Propstei Lüssow) 4 ) und von hier berichtete er unter dem 19. Februar 1713 Francke ausführlich über sein Leben und seine amtliche Tätigkeit:

"So bald ich vor drei Jahren von Gott über all mein Vermuten zum h. Predigtamte berufen worden, habe nichts mehr gewünscht, als darin treu zu sein und nur zu suchen, was Jesu Christi ist, und deswegen Gottes Wort in aller Einfalt und Nachdruck zu predigen, den Katechismus fleißig zu treiben und die Schulen zu besuchen, sie in guten Stand zu setzen, auch bei aller Gelegenheit einen jeden zu unterrichten, zu ermahmen und zu strafen. Hierin hat mich die Gnade Gottes mächtiglich gestärkt und bis hieher erhalten, obwohl seine Kraft noch reichlicher wäre mitgeteilt worden, wenn im Gebet eifriger und fleißiger gewesen, wozu denn sonderlich bin erweckt und aufgemuntert worden durch Lesung der Fußstapfen Gottes, so Sie 1709 herausgegeben, und ein guter Freund neulich mit herunter gebracht. Dies hat mir Anlaß gegeben, Ihre anderen Schriften wieder vor Augen zu nehmen und zu sehen, ob man mit Recht einen Argwohn darauf haben könne. Da fand ich eine völlige Übereinstimmung und Einigkeit mit der teuren Lehre


4) Willgeroth a. a. O. I, S. 400.
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Lutheri vom Glauben und der Liebe, da wurde auch meine Liebe, die eine Zeitlang schwach geworden war, wieder erreget. Denn, daß ich mein Herz recht ausschütte, es hatten Ihre Schriften im Anfange meiner Studentenjahre mich zu einer gründlichen Erkenntnis meines Herzens gebracht und veranlaßt, zweimal an Sie zu schreiben und auch so oft geneigte Antwort erhalten lassen, bis ich vor fünf Jahren selbst hinauf reiste und die Ehre hatte, Sie zu sprechen. Unter anderem sagten Sie zu mir: ,Fahren Sie nur getrost fort und seien Sie gewiß, Gott wird Sie schon rüsten, will er Sie haben.' Ich konnte aber bei allem diesen zu keiner Kraft des Glaubens kommen, bis ich mich aller Schriften entschlug und allein Luther anfing zu lesen. Da kam ich denn zu einer rechten Gewißheit des Glaubens und Freudigkeit des Herzens, mit kindlichem Geiste vor Gott zu wandeln. Wozu uns der H. D. Siebrandt Anlaß gab des Sonntags nach der Predigt, da er uns Lutheri Predigt vorlas. In dieser Zeit habe ich zweimal respondiert bald bei dem Beschluß meines Studentenstandes unter D. Fecht de notitia Christi und unter D. Grap de donis."

"In meinem Amte habe ich Lutherum sehr fleißig gelesen und gebraucht und bin in Predigten und Katechisationen seinem Beispiele treulich gefolgt. Weil nun sehe, daß Sie mit ihm in einem Geiste stehen, hatte mir fest vorgenommen, eine Reise hinauf zu tun und mein Herz auszuschütten, mich Ihres Rats und Zuspruchs zu bedienen. Deswegen sprach ich auch den H. D. Siebrandt um das inliegende Schreiben an, damit desto eher meiner Bitte gewährt würde. Weil aber wegen der Umstände meiner Gemeinde und meines schwachen Leibes mein Vorhaben ändern müssen, wollen Sie dieses mein schlechtes Schreiben für mich selbst annehmen und, was ich darin suche, nach Ihrer sonderbaren Liebe gütigst gewähren. Ich begehre nichts mehr, als nur mich mit väterlichem Herzen zu einem Sohne in Christo anzunehmen, wie Timotheus also von Paulo erkannt ward. Bin ich gleich nicht so weit kommen als jener, so bezeuge doch vor Gott, daß eben des Sinnes bin und nicht suche, was mein ist, sondern was Christi Jesu ist. Hierin wollen mir Ihre Hochehrw. gütigst beistehen, und ich verspreche lebenslang wie ein Sohn dem Vater, also auch mit Ihnen dem Evangelio treulich zu dienen. Ich will in allem treulich und gern

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folgen und soll mir keine größere Freude sein, als zu lernen, wie ich meiner Gemeinde mehr und mehr aufhelfen könne. Insonderheit ersuche jetzund die große Güte für mich zu haben und einen guten Schulmeister zu verschaffen. Es sind vier Schulen in meiner Gemeinde und jede Schule hat gewisse Dörfer. Nun ist eine von den stärksten ledig, da wohl 40 Kinder des Winters darinnen sind. Kann er ein Handwerk, so ist es gut, wo nicht, so will doch seinen Unterhalt verschaffen. Es haben sich schon vier angegeben, ich möchte aber gern einen von Ihrem Orte haben, der in der Information daselbst erzogen oder dazu gebraucht worden, damit er hier den andern möchte ein gutes Exempel geben. Sollte ich nun gewisse Hoffnung dazu kriegen, wollte ich keinen anderen annehmen, und könnte er mit der Ostermesse herunter kommen auf unsere Unkosten, auch wenn er Frau und Kinder hätte. Er soll von mir alle Liebe und Hilfe jederzeit zu gewarten haben, und will es für meinen höchsten Schatz halten. Wenn auch ein Knabe im Waisenhause wäre, der das Seinige gelernt und sich bei anderen aufhalten wollte, möchte ihn gern selbst zu mir nehmen und. zu einem Schulmeister aufziehen."

"Hiernächst wollen Ew. Hochehrw. mir die Güte widerfahren lassen und durch jemanden ausführliche Nachricht geben lassen, wie die deutschen Schulen daselbst gehalten werden und eingerichtet sind, auch, was dazu gehöret und darin gebraucht wird, mitteilen. Da denn gern die Probe sehen möchte von den Fibeln, Katechismusbüchern, und was sonst die Kinder etwa haben, wonach die Katechisation am besten angestellt werden mag, und was Sie mir in meinem Amte zu wissen für nötig und nützlich erkennen. Es wird der H. Stieber 5 ) in Güstrow auch wegen der Korrespondenz, die monatlich geschrieben und ausgesandt wird, geschrieben haben, wo nicht, will hiermit schuldigst darum ersucht haben, sie uns monatlich mitzuteilen von diesem Jahre an. Sende darauf einen Taler auf das erste Vierteljahr, und wollen wir das Postgeld bei der Pränumerierung des zweiten Vierteljahres auch entrichten. Sollten wir die Güte haben können und das 1712. Jahr ganz erhalten können, daß wir es hier abschreiben ließen, wollten wir die vier Taler gern dafür


5) Georg Friedrich Stieber, Hofprediger in Dargun, 1735 Superintendent. Vgl. Willgeroth a. a. O. I, S. 548.
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geben und das überschickte auch richtig wieder zurücksenden. Denn es zu einer freudigen Aufmunterung. kräftiglich dienet. Ew. Hochehrw. nehmen nicht übel, daß noch mit einer kindlichen Bitte komme. Ich hätte gern mit der nächsten Post die kleine Apotheke für 5 T. und ein Lot von der essentia dulcis concentrata nebst dem Unterrichte des H. Richter. Auch hätte gern das Gesangbuch, die neuste Ausgabe, gebunden und die letzte gedruckte Nachricht von den Anstalten daselbst und von den Missionaren, oder was sonst Liebes und Nützliches gedruckt worden. Insonderheit bitte gar sehr von den Bibeln 50 Exemplare bis zur Ostermesse für meine Gemeinde aufzuheben. Von den neuen Testamenten hat die durchl. Prinzessin in Güstrow 200 bringen lassen, die meiner Gemeinde meist werden zu teil werden, worüber mich herzlich freue. Der H. Pastor Becker in Rostock läßt nebst schuldigem Gruße vernehmen, ob der indianische Fechtel, so er dem Waisenhause gesandt, gut angekommen ist. Nach der ersten Post werde fleißig aussehen und befehle alle meine Bitten in Ihre väterliche Liebe."

Am 26. März 1713 ist Hennings voll Dank für ein freundliches Schreiben Franckes, das ihm die Gewährung aller seiner Wünsche zusagte. Von dem Lehrer erwarte er viel, die anderen drei Lehrer in der Gemeinde bedürften gar sehr der Aufmunterung, seien ohne lebendige Erkenntnis, voller Falschheit, besonders der Küster. Er arbeite an ihnen mit aller Liebe, lasse sie dazu in der Woche zu sich kommen, bete mit ihnen, hielte ihnen ihre Pflicht mit liebreichem Ernste vor. Als am 9. Juli der Lehrer endlich eintraf, jubelte er: "Gott sei herzlich gelobt, der meine Freude hat lassen erfüllet werden!" Auf seine weiteren Briefe nach Halle wollen wir nicht näher eingehen. 1719 schreibt er wegen des Sohnes seines Patrons, des Obersten von Vieregge, der in Halle studierte; ein anderes Mal bittet er um einen Hauslehrer oder im Auftrage der Prinzessin von Güstrow zu Dargun, die gelegentlich ihrer Rückreise aus dem Bade Francke in Halle an ihre Tafel gezogen hatte, um einen frommen Juristen zum Pagenhofmeister. Interessant ist erst wieder sein Schreiben vom 12. Februar 1725, weil es uns einen Einblick in sein inneres Leben gewährt. Da läßt er sich nämlich vernehmen:

"Gott hat mich in zwei bis drei Jahren finden lassen, was ich mir bei den Schriften der Propheten besonders immer

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gewünscht habe, ein rechtes Licht von ihren großen und mächtigen Weissagungen. Ich habe es gefunden in des teuren Mannes Gottes Petersen Schriften, den auch als meinen Vater seitdem herzlich geliebt und an ihn zu schreiben angefangen so einfältig, als ich es jetzund tue, und er läßt sichs väterlich gefallen und antwortet mir. Habe auch an ihn, lieber Vater, ein oder zweimal seiner gedacht. Ich kann vor Gott bezeugen, daß es nicht aus Neugierde geschehen, da ja in Rostock schon vor 15 Jahren Gelegenheit genug dazu gehabt, auch einen guten Freund, der nun in Bremen ist und in Altdorf bei dem H. R. völlige Erkenntnis davon hatte. Habe es aber stets ausgesetzt und es nicht einsehen können, bis Gott mir die Augen geöffnet und dadurch sein Wort erst recht helle werden lassen, dadurch denn auch mein Glaube mächtig gestärkt worden. Es haben mir sonst die Erklärungen nie genügt, da man Gottes Worte so eng umspannen müssen, da ich nun ihre völlige Weite und Breite von fern erfüllt sehe. Im Vertrauen melde noch, daß H. Haller und Fr. Hansch mit mir einerlei Meinung und D. Petersens Schriften sehr lieb haben. Ersterer hat auch ein artiges Carmen auf des letzteren Schwester zu Spremberg Abschied von dieser Welt, so gern senden will, wenn es nicht vorkommen. Seine deutsche Inskription und lateinisches Karmen wird doch bekannt sein. Wir hoffen ihn dieses Jahr hier zu sehen. Ich schäme mich seiner und seiner Schriften so wenig als Gottes, denn sie sind Gottes. Der liebe Vater ist nun am Ziel und Ende seines Laufens, den Gott doch noch weiter hinaussetzen wolle zu vieler Seelen Heil. Hat P. Preißel 6 ) nicht geschrieben? Er hat Ver-


6) Preißel war, von Francke geschickt, Hauslehrer bei dem Obersten von Vieregge. Hennings in einem undatierten Briefe: "Gott hat das Herz des H. Patrons durch den täglichen Umgang des H. Preißel am Tische zu vielem Guten erweckt, daß er auf sehr gute Vorschläge gefallen, den Kindern seiner Untertanen zur Erkenntnis Gottes zu helfen, die längst von mir gewünscht sind. In einem eigens dazu erbauten Hause sollen sie etliche Jahre beständig unter der Aufsicht und Anweisung eines frommen und treuen Informators zusammengehalten werden, bis sie einen guten Grund gelegt." - Das Pädagogium in Halle besuchten 1724 aus dem Mecklenburgischen Henning Ernst v. Oertzen, Friedrich Ernst von Tornow, 1728 Carl Otto v. Segebade und Heinr. Aug. v. Rieben, 1730 Ernst Aug. v. Berg, 1731 Wilh. Ludw. v. Pedersdorf, 1732 sein Bruder Eberhard Joachim Leo, 1733 Joh. Georg Bodecke aus Ratzeburg, 1734 Ernst Wilh. von Dewltz und Karl Ehrenreich v. Sperling, 1735 Ulrich Ernst v. Walsleben, Gerh. Detlof v. Levetzow und zwei Brüder von Saln, 1736 Kaspar Friedr. v. Bülow.
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suchungen, lebt sonst vergnügt. Der liebe Vater helfe ihm auf. Sub rosa. Hat sich sonst von D. Petersen auch vieles angeschafft, obwohl nicht seiner Meinung, wiewohl sein Patron sie auch hat. Für das Übersandte danke herzlich und kindlich. Es soll mir ein väterliches Denkmal sein."

In einem Schreiben vom 23. Februar 1727 bemerkt er:

"Im Dezember habe eine Reise zu Serenissimo nach Danzig tun müssen, doch nicht mit dem gewünschten Effekt. In Danzig habe keinen getroffen, auch nicht unterwegs, mit dem von Herzen reden können, ohne bei dem Buchführer Benghen habe was gefunden. Gott sei auch gelobt, der dem lieben H. D. Petersen in seinem höchst kümmerlichen Alter eine so gute Pflegerin beschert hat."

Diese Nachricht von Hennings Danziger Reise läßt uns des anderen Franckeverehrers in Mecklenburg gedenken, der in Danzig in die Dienste des Herzogs Karl Leopold getreten ist, des Hofpredigers Johann Christian Menckel 7 ). Im Sommer 1725 war dieser als Feldprediger des Generals Douglas und Erzieher seiner Kinder nach Rußland gegangen, ob seiner strengen pietistischen Lebensrichtung aber entlassen und nach mancherlei Enttäuschungen und Drangsalen 1729 aus dem Osten nach Danzig zurückgekehrt. In verschiedenen Briefen meldete er seinem Lehrer und väterlichen Freunde Francke seine Not. Nach dessen Tode übertrug er seine Liebe und Verehrung auf seinen Sohn Gotthilf August. Ihm meldete er unter anderem, daß durch Pastor Reichmuth in Moskau ein Ruf der dortigen deutschen lutherischen Gemeinde an ihn ergangen, ihm zugleich aber auch die Hofpredigerstelle in Schwerin angeboten sei. Er schwanke, welche Wahl er treffen solle, und bitte, ihm zu raten. Der jüngere Francke wies ihn nach Mecklenburg. Als er wenig später aber ihn für ein anderes Amt in Aussicht nahm, antwortete ihm Menckel unter dem 18. Oktober 1729:

"Mir ist jederzeit gleichgültig gewesen, wohin mich Gott senden will. Allein jetzo stehe ich nicht mehr völlig in der Freiheit zu wählen, was ich will. Denn als den 16. Sep-


7) Willgeroth a. a. O. II, S. 1001.
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tember von dem H. Professor Callenberg schriftlich versichert wurde, daß die Herren Theologen in Halle, meine hochgeehrten und innig geliebten Herren Lehrer die Vokation ins Mecklenburgische der moskauischen vorzuziehen für gut hielten, habe ich sogleich den Leuten in Moskau abgeschrieben und die herzogliche Vokation zur Hofpredigerstelle wirklich angenommen. Der Herzog will mich nicht wieder entlassen, weil er sagt, daß nirgends so viel zu bessern und zur Ehre Gottes auszurichten wäre als in Mecklenburg. H. Wagner habe zwar auch den Antrag getan, er kann aber noch zu keiner Gewißheit und rechten Entschluß kommen. Er hat neulich wieder große Widersätzlichkeit erfahren müssen. Den 8. Oktober entschloß sich Seine Durchlaucht, sich von hier zu Schiff nach dero Landen zu begeben. Wir waren auch die Weichsel bereits hinunter auf die Reede kommen. Indem wir aber ferner in die See wollten und der Anker in die Höhe gewunden wurde, machte dieser durch einen heftigen Stoß ein Loch ins Schiff. Daher kehrten wir wieder um. Die aufgetragene Sache werde geheim halten, ich habe auch gegen meinen Bruder nichts gedacht."

So eng diese Zeilen Menckel Halle verbunden zeigen, er unterließ doch, in seiner neuen Stellung den Briefwechsel mit seinen Lehrern zu pflegen. Schwerin, den 13. Oktober 1734, entschuldigt er Francke gegenüber sein langes Schweigen:

"Den Grund hierfür werde einmal nach Gottes Willen mündlich eröffnen, wozu sich diesen verwichenen Sommer bald eine gewünschte Gelegenheit gefunden und Gott, wie ich glaube, noch inskünftige zeigen wird. Alle Väter, Gönner und Freunde in Halle bleiben unverrückt hoch, teuer und wert geschätzt in meinem Herzen. Es gehet auch fast kein Tag hin, da ich mich nicht ihrer und der in Halle an Leib und Seele vielfältig erfahrenen Wohltaten mit Freuden erinnere, des Segens und der Fürbitte der schon zur ewige n Ruhe eingegangenen und der noch lebenden getröste. Die besondere Gelegenheit zu diesem Briefe gibt ein Studiosus Köppen aus diesem Lande, der nach Halle gereist und um Empfehlung gebeten. Ich schreibe über Parchim durch einen Kandidaten Carmon, der sich in Halle die Doktorwürde will beilegen lassen. Eine Antwort könnte durch den Handelsmann Mensebier in Parchim erhalten. Der Sohn dieses Mannes hat sich einige Zeit in Halle aufgehalten und sich

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hoffentlich dort Zeit und Gelegenheit wohl zu Nutze gemacht, daß er jetzt seinem dürftigen Vaterlande heilsame Dienste leisten kann."

Am 12. Februar 1735 meldet er die Einnahme der Stadt durch die Exekutionstruppen und die Flucht des Herzogs Karl Leopold nach Wismar:

"Ich bin zurückgelassen, und haben Ihre Durchl. weder vor, noch bei oder nach der Abreise mir sagen lassen, wie ich mich verhalten solle. Mit welchem Herzen ich diese Zeit über mein Amt und Leben hier zugebracht, ist Gott am besten bekannt. Von Ihrer Durchl. Bruder, der auf der Reise hierher begriffen sein soll, werde ich wohl nicht ausgestoßen werden. Allein ich habe keine Gewißheit, ob man bleiben könne, da man doch Ihrer Durchl. verbunden ist, und ob man sie wieder verlassen könne, falls man von ihr sollte verlassen werden. Ew. Hochw. wollen doch diese Sache mit den übrigen treuen Gehilfen und Mitarbeitern Gott im Gebet vortragen und mir mit Ihrem gemeinschaftlichen Rat zur Hilfe kommen. Das Schreiben kann zur Vorsicht an den hiesigen älteren Doktor iuris H. Kütemeyer 8 ), der ein christlicher und redlicher Mann ist, gerichtet werden."

Umgehend sandte Francke am 17. Februar Menckel seine Ansicht, bot ihm wohl auch Halle als Zuflucht an. Den 8. März ist deshalb der Hofprediger voll warmen Dankes in seinen Zeilen an Francke:

"Was bis auf diese Zeiten geschehen, so würde viele Bogen auszufüllen haben, wollte ich alles schreiben. Gott weiß die Angst und den Kummer, den ich über manches, das doch nicht zu ändern war, erfahren. Wenn noch einige Hoffnung, etwas Gutes an S. Durchl. auszurichten, übrig wäre, wollte ich gern auch unter den kümmerlichsten Umständen bei ihr ausharren. Aber in dem sechsjährigen Umgang habe ich dero Gemüt also erkennen lernen, daß ich gewiß weiß, es ist ihr nicht um das rechtschaffene Wesen und um die Beförderung des Guten zu tun. Ich merkte dies zwar bald, dachte aber immer, ich irre mich, es werde noch besser werden. Ich kann auch nicht leugnen, daß sie 1730 hier eine gewaltige Erschütterung an sich empfunden und davon


8) Kütemeyer hatte von 1708 bis 1712 in Halle studiert und fleißig Francke gehört.
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gegen andere merkwürdige Bekenntnisse getan. Allein wie es untreuen Seelen zu gehen pflegt, daß sie wohl siebenmal ärger werden, so ists auch hier ergangen. Von wahrer herzensverändernder Buße, von einem lebendigen tätigen Christentume wollen sie nichts mehr hören, sondern heißens pharisäischen Schein und Heuchelei. Im Gegenteil sind die Prinzipien, die sie für die rechten halten, so beschaffen, daß sie zu allen Schanden und Lastern die Tür öffnen. Diese wurden von den hiesigen Predigern aufgegriffen, öffentlich widerlegt und mir die Schuld beigemessen, als bringe ich sie dem Herrn bei. Daher kam eine Schmach und Lästerung nach der anderen nicht nur über mich, sondern auch über die Sache Gottes und insonderheit über Halle, weil mans die hallischen Prinzipien nennt."

Drei Tage später sendet er einen neuen Notschrei nach Halle. Er stehe zwischen Tür und Angel. Der Herzog Karl Leopold befehle ihm, sofort zu ihm zu kommen, und sein Bruder heiße ihn bleiben. "Man erstaunt, wenn man von den Exzessen höret, davon nun das Volk in Abwesenheit des Herzogs frei redet. Was habe ich nicht selber erfahren!" Und zwei Tage später klagt er:

"In all den Jahren, da ich hier bin, hat der Herzog auch nicht das geringste Gute gestiftet, nie einen wahrhaftigen Sinn dazu gehabt, wohl aber viel Böses angestellt. Alle Predigerstellen sind für Geld verkauft oder an solche gegeben worden, die sich an gewisse Weibspersonen gehängt haben und durch solche detestablen Wege emporschleichen. Und da manchmal Seine Durchl. mir zum Schein befahlen, mit einem und anderem ein Kolloquium zu halten und ihn auch befördert, so habe doch immer erfahren, daß der Grund hierzu bereits durch Geld oder auf andere Weise gelegt worden; daher ich auch verschiedentlich S. Durchl. bitten lassen, mich mit solchem Wesen zu verschonen, da ich keinen Teil daran haben wolle. - - - Und dennoch steht der arme Herr in der Blindheit und in dem Wahn, daß bei keinem die Kraft der neuen Geburt sich lebendiger als bei ihm erweise, und niemand so für das Gute, für die Aufnahme des Reiches Gottes sorge wie er. Er läßt sich hierin nicht anders überzeugen und meint, wer das rechtschaffene Wesen ernstlich treiben wolle, müsse zu ihm kommen und beständig bei ihm bleiben. Etliche meiner hiesigen guten

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Freunde warnen mich, mich in seine Hände zu begeben. So viel ist gewiß, daß man nicht nur in äußerster Gefahr, sondern auch in beständiger Gewissensmarter bei ihm leben und nie was Gutes stiften würde. Sein Herz ist mit gar zu harten Banden gegen alles Gute verwahrt. Jedoch will ich hier dem Rate Ew. Hochw. und Dero getreuen Gehilfen folgen."

Am 12. April 1735 kann Menckel melden, daß auf Grund seiner Vorstellungen bei dem General von Platen die kaiserliche Kommission ihm nicht mehr zugemutet habe zu predigen, daß er hingegen den Herzog gebeten habe, anerkannte Theologen und Juristen die Frage prüfen zu lassen, ob er zu ferneren Diensten verpflichtet sei. Ihm sei es ein rechter Trost gewesen, als er nach Empfang des Franckischen Briefes aus dem hallischen Spruchkästlein den Spruch gezogen hatte: "Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels. Die Wege des Herrn sind eitel Güte und Wahrheit." Im Herbst kann er schreiben, daß Herzog Christian Ludwig ihn habe wissen lassen, daß er es gern sehen würde, wenn er bliebe. "Der D. Stieber, der sich den dargunschen Freunden sonderlich entgegengesetzt und deswegen in Wismar lange Zeit aufgehalten, ist für 2000 T. Superintendent in Güstrow, worunter Dargun auch steht, worden. Allein weil der kaiserliche Kommissarius mit Zuziehung des Herzogs zu Strelitz das Konsistorium, Superintendenten- und Predigerstellen besetzen soll, so habe unter der Hand vernommen, daß er nicht würde acceptiert werden. Gegen die dargunschen Prediger will der Herzog in Wismar nicht eher eine Untersuchung anstellen lassen, bis er wieder völlig restituiert worden, und so werden diese wohl Ruhe und Frieden behalten, Gott zu dienen und das Heil der Seelen nach Vermögen zu fördern." Über seine Stellung äußert er sich in einem Schreiben vom 12. Juni 1736: "Ich predige gewöhnlich vor der Herrschaft auf deren Verlangen, jedoch so, daß ich keine Vokation von ihr angenommen oder auch annehme oder mich vor der Hand auf irgend eine Art engagieren werde. Bei der Herrschaft verspüre ein gutes Vertrauen gegen mich. Seine Durchl. haben mir befohlen, alle Sonntage nach geschlossener Kirche zu denenselben zu kommen, da dann unterschiedenes Gute gesprochen wird. Die Freunde in Dargun sind noch hier überall sehr übel angeschrieben, und man will immer einen Exzeß nach dem anderen und allerlei Unordnung er-

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zählen, die sie anrichten sollen. Man gibt dabei vor, als sei die Prinzessin selbst nicht wohl mehr mit ihnen zufrieden. Da auch eine gewisse Person, die sie gehört, S. Durchl., dem kaiserlichen H. Kommissar, gesagt, daß ich mit ihnen einerlei Methode im Predigen hätte und es einerlei wäre, ob man jene oder mich höre, sollen sie gnädigst geantwortet haben, daß sie darum das, das von jenen erzählt würde, nicht glauben könnten, weil sie von mir nichts übles gehört noch verspürt hätten. Der Herzog in Wismar hat nichts anderes gegen mein Predigen merken lassen, als daß er den gewöhnlichen Unterhalt, den er bis auf den März dieses Jahres noch immer geschickt, zurückbehalten, womit ich gar wohl zufrieden bin. Ich genieße jetzo von der Kommission 25 T. monatlich, davon auch die anderen Bedienten des Herzogs in Wismar ihren Unterhalt empfangen. Dieser soll jetzo so wunderlich sein, daß gar kein Auskommen mit ihm ist, daher auch seine intimsten Bedienten davongehen müssen und hier ankommen sind."

Leider hören wir über den Darguner Streit nichts näheres in den Briefen Menckels. Am 4. Juli 1739 sendet er eine längere Klage gegen den Pastor Richter, der ein mißratener Schüler Halles sei, an Francke und bemerkt dabei:

"Vor einiger Zeit vernahm von dem H. Schleeff, der vorm Jahre in Dargun gewesen, daß die dortigen Prediger in den Gedanken stünden, als wäre ich ihnen hier entgegen. Ich bin gewiß, daß H. Richter den redlichen Leuten dies eingebildet hat, um sie gegen mich einzunehmen. Als 1736 fast allenthalben im Lande und auch in dieser Stadt gegen die Herren Darguner und ihres Gleichen auf den Kanzeln intoniert wurde, ließ sich H. Richter auch tapfer mit Warnen vor solchen Irrlehren hören, damit er ja den Schein vermeiden möchte, als stehe er mit ihnen in einer Sinnesgemeinschaft. Ich erinnerte ihn deswegen und bat ihn, wo er ja vor Irrtümern zu warnen hätte, möchte er jetzo öffentlich nicht mit einstimmen, da alles gegen die Unschuldigen in Alarm wäre. Er leugnete aber, etwas gedacht zu haben, ob es gleich mehr als zu wahr war. So hat er sich auch mehr wie einmal nicht entblödet, den leidigen Mitteldingskram, an dem die Leute hiesiger Lande so sehr hängen, zu verteidigen und mich deswegen als einen eigensinnigen und morosen Menschen vorzustellen, der ich hier andere Meinung

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hege. Wenn mir dergleichen zu Ohren kam und ich ihn deswegen mündlich erinnerte, leugnete er alles und gab unter den höchsten Beteurungen vor, daß er mit mir eines Sinnes wäre, ob ich wohl des Gegenteils genug versichert war. Und so ist er auf mancherlei Weise in seiner Heuchelei offenbar geworden. Hierunter leidet das Gute und wird auf mancherlei Weise verlästert, auch stärkt Richter die, denen seine verdächtige Lebensart nur gar zu sehr in die Augen leuchtet, in ihrer falschen Meinung, als gebens die Hallschen äußerlich gut vor, liebten aber dabei doch heimliche Sünden und Irrwege."

Der letzte Brief, der von des Hofpredigers Hand an Francke vorliegt, ist vom 1. Juni 1745 datiert. In ihm bekundet er seine Freude über den Besuch, den er von den Judenmissionaren Stephan Schultz 9 ) und Muthmann empfangen hatte. Die Unterredung mit ihnen sei ihm sehr erwecklich gewesen:

"Von hiesigen Umständen melde kürzlich. Gott ist noch mit uns und gibt in verschiedenen Gegenden dieses Landes kräftige Erweckungen. Auch hier lassen sich verschiedene hinzuführen. Die durchl. Prinzen stehen in dem Herrn und lassen sich sein Werk einen rechtschaffenen Ernst sein. Ihr Beispiel fällt manchem zur Erweckung in die Augen. Dabei gehets denn, wie es immer zu gehen pflegt. Gott sei in allem gelobt! Die Herrnhuter suchen wie in anderen so auch in hiesigen Gegenden, wo sich etwas Gutes blicken läßt, Verwirrung anzurichten. Es sind von ihnen auch einige verschiedentlich in unserem Orte gewesen. Doch weil man sie ziemlich kennt, finden sie nicht, was sie suchen. So fängt auch an anderen Orten an, ihr unlauterer Grund mehr wie bisher offenbar zu werden. Gott steuere diesem Unwesen und lasse sein Werk und Reich bei uns und allen Orten gefördert, befestigt und ausgebreitet werden!"

Vignette

9) Steph. Schultz, Leitungen des Höchsten I, S .273: "Vom 25. bis 28. Mai hielten wir (Schultz und Muthmann) uns in Schwerin auf. Der H. Hofprediger Menckel, dessen Liebe wir reichlich genossen haben, führte uns zu einem gottesfürchtigen Kammerjunker H. v. Elvers, der schon über 70 Jahre alt ist. Dieser alte Greis und rechtschaffene Israelit empfing uns mit vielen Freudentränen." In Dargun sehen wir den bekannten Judenmissionar im Juli 1746. Vgl. ebenda II, S. 59.
Über Menckel vgl. noch Wotschke, Der Pietismus in Moskau: Deutsche Zeitschrift f. Polen XVIII, S. 83 ff.