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Die Gründung Schwerins durch Heinrich den Löwen
(12. Jahrhundert).

Die Quellen, die uns für die Erforschung der Gründungsgeschichte Schwerins zur Verfügung stehen, sind nicht so ergiebig und zuverlässig, daß wir ein klares und vollständiges Bild über den Gründungsvorgang gewinnen können.

Wichtige Nachrichten über den Anlaß und die Zeit der Gründung finden wir in der Slavenchronik Helmolds, der allerdings den mecklenburgischen Verhältnissen ferner steht und vor allem die Christianisierung und Germanisation Holsteins beschrieben hat, ferner in der dänischen Geschichte des Saxo Grammatikus. Dazu kommt die Bewiomungsurkunde Heinrichs des Löwen für das Bistum Schwerin vom 9. September 1171 24 ), welche über die Tätigkeit Bischof Bernos in Schwerin Aufschluß gibt. Für die örtliche Anlage der Stadt kommen dann noch einige spätere Urkunden 25 ) und die Ausgrabungen 26 ) in Frage. Eine wichtige und interessante Quelle ist vor allem der Stadtplan aus dem Jahre 1651, welcher die alte Form des Marktplatzes erkennen läßt 27 ).


24) M.U.B. I, 100 A.
25) Vor allem M.U.B. III, 1766.
26) R. Beltz, Die vorgeschichtlichen Altertümer des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1910 (siehe "Schwerin"); Schlie, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1898, Bd. II.
27) W. Jesse, Geschichte der Stadt Schwerin. Von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart, Schwerin 1913, S. 40.
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Als Darstellung der Geschichte Schwerins ist zu erwähnen die Schweriner Stadtgeschichte von Jesse 28 ), der die Literatur bis zum Jahre 1913 vollständig berücksichtigt.

Die Stadt Schwerin, die älteste der mecklenburgischen Städte, ist eine Gründung Heinrichs des Löwen. Von alters her führt sie sein Reiterbildnis in ihrem Siegel. Wenn auch der Stiftungsbrief nicht mehr vorhanden ist, so haben wir doch bei Helmold und Saxo Grammatikus einige Notizen, die uns den Anlaß der Gründung und auch die ungefähre Zeit erkennen lassen. Beide Darstellungen stimmen nicht vollständig überein. Nachdem Helmold den Tod des Obotritenfürsten vor seiner Burg Werle, wohin dieser sich bei dem Angriff Heinrichs des Löwen zurückgezogen hatte, berichtet hat, erzählt er, wie nun der Widerstand des Obotritenvolkes völlig zusammenbricht. Die Söhne Niklots geben die Burg Werle auf und verbergen sich in den Wäldern, ihre Familien fliehen über See. "Danach," so berichtet Helmold weiter, "begann der Sachsenherzog Schwerin zu erbauen und die Burg zu befestigen" ("- - dux ergo, demolitus omnem terram, coepit aedificare Zuerin et communire castrum - -") 29 ). Den Adligen Gunzelin ließ er mit einer Besatzung dort zurück. Gleichzeitig machte er ihn zum Statthalter des ganzen damals unterworfenen Landes 30 ). Die Gründung Schwerins ist also von Helmold in Zusammenhang mit der völligen Niederwerfung der Obotriten im Jahre 1160 gebracht. Die Darstellung des Saxo Grammatikus läßt einen andern Anlaß für die Gründung Schwerins als möglich erscheinen. Er berichtet zum Jahre 1164: "Interea Henricus Holsatiorum principem Adolphum cum Henrico. Razaburgensi praefectumque Suerini oppidi Guncellinum, quod nuper a Saxonibus in potestatem redactum, ius


28) W. Jesse a. a. O. Vgl. auch F. Salis, Die Schweriner Fälschungen (Archiv für Urkundenforschung Bd. I, 1908, S. 273 - 354); A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, S. 646 Anm. 2, S. 647 Anm. 5 und S. 648 Anm. 1 u. 2; Fritz Bornitz, Heinrich der Löwe als Städtegründer und -förderer, Dissert. Berlin 1923; S. Rietschel, Historische Zeitschrift 1909, Bd. CII, S. 237 ff.; H. Aubin, Lübeck und München, Eheberg-Festgabe, 1925; Fr. Rörig, Hans. Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, Breslau 1928.
29) Helmoldi Chronica Slavorum. M.G.SS. XXI S. 172.
30) Witte, Mecklenburgische Geschichte, Wismar 1909, Bd. I, S. 77.
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et formam civitatis aceeperat, - - praemittit" 31 ). Die Möglichkeit besteht daher, daß Schwerin erst 1164 während der Niederkämpfung eines Wendenaufstandes von Heinrich dem Löwen gegründet wurde. Sie ist aber wenig wahrscheinlich, weil die Worte "nuper a Saxonibus in potestatem redactum" auf die Verhältnisse des Jahres 1164 nicht passen. Denn Schwerin war bereits seit 1160 ununterbrochen in sächsischen Händen 32 ). Die Sachsen brauchten also im Jahre 1164 Schwerin nicht mehr mit Gewalt zu erobern. Wohl aber geschah dies im Jahre 1160. Saxo selbst nimmt auch durch das Wörtchen "nuper", das er dem Bericht über die Stadtgründung hinzufügt, eine gewisse Zurückdatierung des Ereignisses vor. Danach widerspricht der Bericht Saxos dem von Helmold wahrscheinlich in keiner Weise, er deutet vielmehr auf denselben Anlaß der Stadtgründung hin, wie Helmold uns ihn angibt. Saxo ergänzt insofern den Bericht Helmolds, als er uns ausdrücklich von der Verleihung eines Stadtrechts an die Bürgerschaft in Kenntnis setzt. Hiernach ist auf Grund der schriftlichen Überlieferungen anzunehmen, daß Schwerin nach der Unterwerfung der Obotriten im Jahre 1160 von Heinrich dem Löwen gegründet wurde.

Das hohe Alter der Stadt wird durch den Stadtplan bestätigt. Man hat ihn als geschichtliche Quelle für Schwerin bisher nicht verwertet und dies damit motiviert, daß man die " Grundrißbildung Schwerins als durch die außergewöhnliche Lage der Stadt" 33 ) bedingt erklärte. Anders glaubt Jesse das Abweichen von den "sonst bei Kolonialstädten des Ostens und Nordens beobachteten Formen" nicht aufklären zu können. Jesse sagt darüber: "Weder die um Markt und Kirche gelagerte Rundform mit Meridianteilung durch die Straßenzüge, an deren Ende Tore liegen, noch die Rundform mit Haupt- und Querachse, aber parallel der Mauerführung gebogenen Straßen (sogenannte Rippenteilung) lassen sich auf Schwerin anwenden". Allerdings entspricht der Schweriner Stadtplan nicht den von Jesse angeführten beiden Normalformen der Kolonialstadt-


31) Saxo cogn. Longus (grammatikus). Gesta Danorum M.G.SS. XXIX, S. 547.
32) Vgl. Witte a. a. O. S. 72 ff. Rudloff, Geschichte Mecklenburgs vom Tode Niklots bis zur Schlacht bei Bornhöved (Meckl. Geschichte in Einzeldarstellungen I, S. 6 ff.).
33) Vgl. Jesse a. a. O. Anm. S. 38.
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Das alte Schwerin
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anlagen, aber es lassen sich auch bei weitem nicht alle Stadtpläne der Kolonialstädte in diese Formen zusammenfassen. Auch der typische Kolonialstadtplan hat seine Entwicklung und allmähliche Ausbildung erfahren. Auf deutschem Mutter- und Kolonialboden hat er sich allmählich zu der Form entwickelt, wie er heute als typisch für die Kolonialstädte gilt. Es ist das Verdienst Meurers, die technische Entwicklung des Stadtplans aus dem Straßenmarkt zur Zentralanlage überzeugend klargestellt zu haben, nachdem schon Fritz und Meier vorher diese Entwicklung angedeutet hatten 34 ). Die Ansicht Meurers gipfelt in dem Satz, daß der Markt wie für das Stadtrecht 35 ), so auch für die Plangestaltung der Stadt die ausschlaggebende Bedeutung hatte. "Der Markt des Mittelalters ist nicht bloß stadt-, sondern auch planbildend" 36 ).

Diese Forschungsergebnisse müssen wir für die Erklärung des Schweriner Stadtplans verwerten, um uns damit eine wichtige Quelle, die bisher noch nicht benutzt wurde, für die Erforschung der Gründungsgeschichte Schwerins zu erschließen. Der Ausgangspunkt zur Erklärung des Schweriner Stadtplanes ist die Form des Marktes. Seine heutige quadratische Gestalt hat der Markt erst nach dem Stadtbrand von 1651 erhalten. Vordem zeigte der ungefähr rechteckige Platz eine langgestreckte, schmale Form. Das Verhältnis der beiden Seiten war wie 1:3 (60 Meter Länge, 20 Meter Breite). Bedeutsam ist nun die Lage des Marktes im Stadtplan. Sie wird bestimmt durch die Hauptverkehrsstraße 37 ), die durch das


34) Franz Meurer, Der mittelalterliche Stadtgrundriß im nördlichen Deutschland in seiner Entwicklung zur Regelmäßigkeit auf der Grundlage der Marktgestaltung, Charlottenburg 1914; Johann Fritz, Deutsche Stadtanlagen, S. 43; P. I. Meier, Korresp.-Blatt des Gesamtver. der deutschen Gesch.- und Altertumsver. 1909, S. 14 (Sonderabdruck).
35) S. Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897.
36) Meurer a. a. O. S. 6.
37) Die Hauptverkehrsstraße wird über den Spieltordamm nach Wismar weitergeführt haben. Dieser Damm hat also bei der Stadtgründung wahrscheinlich schon bestanden. Dem widerspricht auch die urkundliche Überlieferung nicht. Jesse meint, daß der Weg über den Spieltordamm erst im Laufe des 15. Jahrhunderts geöffnet sei. Er stützt sich dabei auf eine Urkunde von 1264, worin den Schelfbewohnern die "uia noua ad terras per aquam" (M.U.B. III, 1766) verboten wird. Das Verbot gilt aber nur den Schelf- (  ...  )
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Schelftor in die Stadt einmündet und in entgegengesetzter Richtung durch das Schmiede-, Mühlen- und Burgtor die Stadt wieder verläßt. Bezeichnenderweise ist nun der Marktplatz selbst keine Erweiterung neben der Hauptstraße, so daß auf diese Weise ein selbständiger Platz neben der Straße zustande kam, sondern der Platz ist gewissermaßen von selbst dadurch gebildet, daß an dieser Stelle die Hauptverkehrsstraße (Schusterstraße) die Filterstraße die von der Burg her kommt, aufnimmt und beide sich zu einer Straße vereinigen. Die Breite des so entstehenden Platzes ist ungefähr gleich der der beiden an dieser Stelle sich schneidenden Straßen. Man kann den alten Schweriner Marktplatz als einen typischen Straßenmarkt bezeichnen. Mit dieser Feststellung, daß der Marktplatz Schwerins bis zum Jahre 1651 die Form eines Straßenmarktes gehabt hat, finden die Angaben Helmolds und Saxos über das hohe Alter der Stadt eine gewisse Bestätigung. Denn es ist offenbar, daß ein Marktplatz, der wie der Schweriner durch das Zusammentreffen zweier Straßen zwanglos entstanden ist, in seiner Form gegenüber einem rechteckigen bzw. quadratischen Marktplatz, der immer künstlich erst geschaffen sein muß, einen älteren Zustand darstellt.

Die frühe Gründung der Stadt läßt besondere Voraussetzungen vermuten, die gerade Schwerin als Ort zur Anlage einer Stadt geeignet machten. Hierfür hat man bisher mancherlei Faktoren genannt.

Als ausschlaggebend wird meistens die vor feindlichen Angriffen sehr geschützte Lage dieses Ortes angegeben 38 ). Schwerin ist in der Tat durch seine Lage zwischen Seen und Sümpfen außerordentlich gut geschützt.

Ferner spricht man von Schwerin als dem militärischen, administrativen und kirchlichen Mittelpunkt der durch Heinrich den Löwen 1160 neu geschaffenen Mark 39 ).

Als weitere Anlässe für die Auswahl des Platzes zur Stadtgründung wird dann noch das Vorhandensein "einer


(  ...  ) bewohnern; ferner kann auch der Ausdruck "uia noua" darauf hindeuten, daß schon vorher an dieser Stelle ein anderer Weg bestand. Außerdem bedeutet "terra" speziell für Mecklenburg die Einteilung des Volkes in "Länder", so daß durch das Wort "terra" die Wichtigkeit dieses Weges noch besonders hervorgehoben wird.
38) Jesse a. a. O. S. 37.
39) Jesse a. a. O. S. 5; Schmaltz, M.J.B. Bd. 72, S. 151.
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wendischen Ansiedlung mit teilweiser christlicher Bevölkerung, vielleicht auch schon einer kleinen Kapelle" angeführt. Außerdem vergißt man auch nicht die Burg zu erwähnen 40 ).

Es soll nicht bestritten werden, daß alle diese Momente die Auswahl des Platzes zur Stadtgründung beeinflußten. Eine andere Frage ist es, ob sie entscheidende Bedeutung hatten. Unseres Erachtens können sie nicht genügen, um uns die Anlage einer deutschen Stadt in völlig slawischer Umgebung zu erklären. Das Vorhandensein einer deutschen Burg Schwerin brauchte noch nicht notwendig zur Stadtgründung zu führen. Auch Mecklenburg, Plau und Malchow erhielten eine deutsche Burgbesatzung, ohne daß hier zugleich eine deutsche Stadt entstand 41 ). Ebenso wurde auch bei den Burgen der Grafschaft Ratzeburg (Ratzeburg, Gadebusch und Wittenburg), die schon seit Mitte des 12. Jahrhunderts von deutschen Rittern besetzt wurden, im 12. Jahrhundert keine Stadt angelegt 42 ). Die Auswahl Schwerins zum administrativen Mittelpunkt ferner lockte schwerlich einen solchen Zuwachs von Verbrauchern an, daß sich eine Stadt davon hätte erhalten können. Der Ausdruck "administrativer Mittelpunkt" ist geeignet, die falsche Vorstellung zu erwecken, als bezeichne er die Niederlassung zahlreicher Beamten. Der Graf von Schwerin, der von Heinrich dem Löwen im Jahre 1160 als Statthalter über das ganze wendische Obotritenvolk gesetzt war, hatte aber vielleicht außer einem Burgkaplan, der des Lesens und Schreibens kundig war, nicht einen einzigen Beamten in seinem Dienst 43 ). Dabei war der Graf selbst, der ja ein eben erst unterworfenes Volk beherrschen sollte, als einer der bewährtesten Ritter Heinrichs des Löwen oft auf Kriegszügen und außer Landes und meist wohl nur kurze Zeit in Schwerin. Endlich konnte auch das Bestehen eines Bistums, das ganz dürftige Einnahmen hatte


40) Jesse a. a. O. S. 37.
41) Vgl. Witte a. a. O. I S. 77.
42) Vgl. S. 25, 31, 34.
43) Vgl. Wilhelm Grohmann, Die Kanzlei der Grafen von Schwerin und der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Rostocker Dissert. 1928, gleichzeitig erschienen im M.J.B. 92): "Im 13. Jahrhundert wird, wie es scheint, das Amt eines gräflichen Notars oder Schreibers geschaffen. Der erste Notar des Schweriner Grafen begegnet uns im Jahre 1217 in der Person eines Hermann" (S. 7).
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und überhaupt erst 1171 dotiert wurde 44 ), kein erheblicher Anreiz zur Gründung einer Stadt gewesen sein. Auch in Ratzeburg bestand der Bischofssitz lange Zeit, bevor die Stadt entstand 45 ).

Man könnte wohl auch meinen, daß die Stadt gegründet wurde, um der Germanisation Mecklenburgs einen Stützpunkt, eine feste Ausgangsstellung zu schaffen. Das hat vor allem Jesse betont 46 ). Mag dieses immerhin eine wichtige Folge der Stadtgründung gewesen sein, die man auch bei der Gründung im Auge gehabt haben wird, die realen Grundlagen, deren eine Stadt nun einmal bedarf und die übersehen zu haben wir dem Realpolitiker Heinrich dem Löwen nicht zutrauen dürfen, werden mit dieser Erklärung nicht aufgezeigt. Heinrich der Löwe hat bei allen seinen Stadtgründungen stets an eine bereits vorhandene kaufmännische Siedlung angeknüpft. So entstand München durch die Verlegung eines dem Bischof Otto von Freising gehörenden Marktes, dem Heinrich darauf Stadtrecht verlieh. Bekannt ist auch, daß Lübeck durch Heinrich den Löwen nur an einer andern Stelle wieder aufgebaut wurde und dann von neuem mit einem Stadtprivileg bewidmet worden ist. Lübeck hatte als Stadt bereits unter Adolf von Schauenburg bestanden. Ebenso erfolgte die Gründung des Braunschweiger Hagens durch Heinrich in enger Anlehnung an die Braunschweiger Altstadt. Auch bei Schwerin war es offenbar die kaufmännische Tradition dieses Platzes, die Heinrich den Löwen zu einer Stadtgründung an dieser Stelle veranlaßte. Weil in Schwerin bereits vor dem Sieg Heinrichs des Löwen im Jahre 1160 eine kaufmännische Kolonie, die mit dem Fernhandel in Verbindung stand, vorhanden war, glaubte Heinrich der Löwe mit einigem Erfolg die Gründung Schwerins ausführen zu können. Vermutlich hat er einfach der Kaufmannsniederlassung das Stadtrecht verliehen. Ohne diese Annahme wird überhaupt die Schnelligkeit der Stadtgründung unmittelbar nach seinem Sieg schwer verständlich. Für diese Annahme spricht auch die alte Form des Marktplatzes, der einen einfachen Straßenmarkt darstellt. Aus dem Marktgrundriß geht hervor, daß bei der Gründung der Stadt


44) M.U.B. I, 100 A.
45) Vgl. S. 26.
46) Jesse a. a. O. S. 4; Witte a. a. O. I, S. 77; Rudloff a. a. O. S. 8.
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nicht eine planmäßige Neuanlage erfolgte, sondern lediglich einer Marktniederlassung, die sich anscheinend an dem Kreuzungspunkt der Hauptverkehrsstraße mit der von der Burg herkommenden Straße allmählich gebildet hatte, das Stadtrecht verliehen wurde. Der Schweriner Straßenmarkt ist nicht als Planelement einer Gründung aus frischer Wurzel aufzufassen, sondern die Existenz des Straßenmarktes im Schweriner Stadtplan erklärt sich daraus, daß seine Form bereits durch eine Kaufmannssiedlung festgelegt war, die sich vor der Gründung der Stadt an diesem Straßenpunkt niedergelassen hatte. Als vorhandenes Planelement wurde der Schweriner Straßenmarkt bei der Gründung der Stadt in deren Grundriß übernommen. Auch die chronikalische Überlieferung widerspricht dieser Auffassung nicht. Saxo berichtet uns, daß Schwerin Recht und Verwaltung einer Stadt empfing (Suerini oppidi, quod -- ius et formam ciuitatis acceperat). - Damit drückt er sogar wörtlich die Ansicht aus, daß Schwerin bereits bestand und die Gründung nur als Stadtrechtsverleihung an eine schon vorhandene Siedlung aufzufassen ist. Auch in dem Satz Helmolds, daß Schwerin von Heinrich dem Löwen erbaut wurde (coepit aedificare Zuerin), braucht kein Widerspruch zu unserer Auffassung zu bestehen, weil nachgewiesenermaßen das Wort "aedificare" oft auch bei Städtegründungen gebraucht wird, die nicht Gründungen aus frischer Wurzel sind 47 ). Helmold wird außerdem über den Gründungsvorgang kaum näher unterrichtet gewesen sein. Er schildert die Gründung deswegen als eine Neuanlage. Aber die Form des Marktplatzes deutet nicht auf eine derartige Entstehungsgeschichte Schwerins hin.

Auch die politischen Zustände vor dem Jahre 1160 lassen die Annahme, daß Schwerin schon vor der Stadtgründung als. eine deutsche Kaufmannssiedlung bestand, durchaus als möglich erscheinen. Niklot, der letzte selbständige Fürst der Obotriten, befolgte nämlich gegenüber den Sachsen eine friedliche Politik und legte alles darauf an, einen Kampf mit ihnen zu vermeiden 48 ).

Ferner würden wir durch diese Annahme die Tätigkeit Bernos, des ersten christlichen Missionars in Schwerin, der vor


47) Vgl. A. Dopsch, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, Wien 1928, S. 249.
48) Schmaltz, M.J.B. 72, S. 153 ff.
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1160 tätig war 49 ) und später auch der erste Schweriner Bischof wurde, einleuchtend erklären können 50 ). Wenn eine deutsche Ansiedlung hier schon vor 1160 bestand, wird auch Bernos Wirken in Schwerin vor der Stadtgründung, das man bisher nur seinem Eifer für das Christentum zuschrieb, verständlich. Hatte er doch in diesem Falle bei seiner Aufgabe, das Evangelium in das Heidenland zu tragen, einen gewissen Rückhalt an der deutschen Siedlung. Aus dieser Verbundenheit des ersten christlichen Priesters in Schwerin mit der Kaufmannssiedlung würde sich auch die sonst auffällige Tatsache gut erklären, daß es später in Schwerin keine besondere Marktkirche der Bürgerschaft gab, sondern der bischöfliche Dom deren Stelle einnahm 51 ). Weil Berno, der erste Schweriner Bischof, auch der erste Pfarrer der Schweriner Kaufmannsgemeinde gewesen war, blieb auch späterhin die Schweriner Bürgerschaft mit der Bischofskirche, der ursprünglichen Kirche der Kaufmannssiedlung, verbunden.

Auch die Lage Schwerins im Straßennetz der damaligen Zeit war anscheinend keineswegs ungünstig. Über Schwerin führte der damals wichtige Handelsweg von der Elbe zur Ostsee 52 ); auch war es mit Boizenburg 53 ) und vor allem mit


49) Hauck (Kirchengeschichte IV, S. 647/48, Anm. 4, 5 bzw. Anm. 1, 2) setzt auf Grund der Arbeiten von Salis die Tätigkeit Bernos in Schwerin frühestens von 1155 an fest.
50) Robert Beltz (M.J.B. 58, S. 228 - 29) glaubt in einem Grabfeld, das bei Ausgrabungsarbeiten hinter dem Rathause aufgedeckt wurde und in dem man 4 Schädel und einige Sargnägel fand, den "alten" Friedhof (vetus cimiterum) gefunden zu haben, der uns in der gefälschten Urkunde von 1186 (nach Salis jetzt 1225) genannt wird. Da er von der Voraussetzung ausgeht, daß bei der geringen Einwohnerzahl Schwerins in der kurzen Zeit von 1161 bis 1186 (jetzt 1225) die deutsche Stadt einen christlichen Kirchhof nicht gefüllt haben könnte, glaubt er, daß dieses Grabfeld ein wendischer und, da Beigaben bei den Gräbern nicht gefunden wurden, christlicher Friedhof gewesen sei. Diese Ansicht ist jedoch unwahrscheinlich. Man kann weder aus dem Ergebnis der Ausgrabungen noch aus dem Wort "vetus cimiterum", das man willkürlich mit dem Ergebnis der Ausgrabungen in Zusammenhang bringt, eine Berechtigung zu der Annahme von Beltz herleiten.
51) M.U.B. 100 A.
52) M.U.B. II, 825 "de ciuitate Stendal et de illis confinibus ad ciuitatem nostram Wismar". M.U.B. I, 100 A, 151, "nauale teloneum in Zverin" bzw. "in Plote".
53) M.U.B. VII, 4870, Schwerin-Hagenow-Boizenburg.
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Lübeck 54 ) durch bedeutsame Straßen verbunden. Der Schweriner Stadtplan erscheint, wie wir schon vorhin ausgeführt haben, vollkommen bestimmt durch die erwähnte, an die Ostsee führende Hauptstraße, die auch die Form des Marktplatzes beeinflußt hat. Seine ganze Lage und seine Form deuten darauf hin, daß er nur dem Verkehr, der mit dieser Straße ihm zugeführt wurde, seine Entstehung verdankt. Dazu kommt, daß durch das Vorhandensein eines Verbraucherkreises, wie der Burgbesatzung und später auch des Bischofssitzes, ein örtlicher Marktverkehr ermöglicht war. Auch die geschützte Lage blieb in den damaligen unruhigen Zeiten sicher nicht unbeachtet.

Die Tatsache, daß Schwerin als Handelsstadt gegründet ist, wird auch durch Rückschlüsse aus den Quellen der späteren Zeit bestätigt. Der deutsche König Otto IV. gewährte 1209 den Bürgern Schwerins die Zollfreiheit im Herzogtum Sachsen und das Recht, zu Handelszwecken (ad usus mercandi) Schiffe im Wismarer Hafen zu haben 55 ). Diese königliche Privilegienverleihung bestätigt nur die damals bereits vorhandenen Rechtszustände 56 ). Die Vorrechte gehen also in ältere Zeit zurück. Sie sind den Bürgern vermutlich bei der Stadtgründung verliehen worden. Dafür spricht, daß die Urkunde selbst, die uns diese Vorrechte mitteilt, sie als "sachlich zutreffende Anmerkungen" zu einem im übrigen ganz anderen Inhalt überliefert. Sie enthält sonst eine Bestätigung für das Bistum Schwerin. Die Schweriner Handelsprivilegien sind vielleicht aus einer andern Vorlage in diese Bestätigung übernommen worden. Denn es erscheint doch auffällig, daß der deutsche König Otto IV. den Schweriner Bürgern nicht die Zollfreiheit im Reich, sondern im Herzogtum Sachsen verleiht. Nimmt man aber an, daß das Zollprivileg von Heinrich dem Löwen, dem Herzog von Sachsen, stammt, so ist diese Begrenzung der Freiheit leicht verständlich. Auf jeden Fall haben wir auf Grund dieser Privilegien im Jahre 1209 bzw. früher Kaufleute als in Schwerin ansässig anzunehmen.

Ferner wird uns 1220 berichtet, daß die Schweriner in Lübeck keinen Zoll bezahlen 57 ). Es müssen also im Jahre


54) M.U.B. I, 322 "vndecunque ad ciuitatem Lubicensem ducantur ... siue de Zwerin".
55) M.U.B. I, 189 (Wismar war 1209 noch nicht gegründet).
56) Vgl. Salis a. a. O. S. 280.
57) M.U.B. I, 273.
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1220 in Schwerin Kaufleute gewohnt haben, die mit Lübeck in Handelsverbindung standen.

Außerdem wird uns im Jahre 1276 von einer Schweriner Münze berichtet (marcas Zwerinensium denariorum 58 ), die scheinbar, wie ursprünglich in allen Städten, dem Landesherrn gehörte. Seit wann die Münze hier bestand, ist uns nicht bekannt, aber die Tatsache an und für sich, daß für den Marktverkehr überhaupt eine Münze bestehen konnte, ist bezeichnend genug. Da Schwerin später bald von den Seehandelsstädten überflügelt wurde, ist wahrscheinlich die Einführung dieser Münze auf die älteste Zeit zurückzuführen.

Neben der älteren Stadt besteht seit dem Jahre 1217, wahrscheinlich aber schon früher, eine andere Ansiedlung auf der sogenannten "Schelfe", die sich im Laufe der Jahrhunderte derartig entwickelte, daß ihr im Jahre 1705 ein Bürgermeister und Rat und lübisches Stadtrecht zugestanden wurden 59 ). Vermutlich war diese Ansiedlung auf der Schelfe ursprünglich ein Wendendorf; denn die Bewohner der Schelfe lebten zunächst unter Sonderbestimmungen und waren in ihren Rechten gegenüber den Schweriner Bürgern eingeschränkt 60 ). Weil nun im Jahre 1217 auf der Schelfe bereits eine Kirche besteht, können wir das Alter dieser wendischen Ansiedlung sehr wahrscheinlich schon auf das 12. Jahrhundert zurückdatieren. Die prähistorische Wissenschaft nimmt jedoch an, daß die ersten Wohnsitze der Wenden auf der heutigen Marstallhalbinsel und dem "Großen Moor" zu suchen sind 61 ), und daher können wir der Vermutung zustimmen, daß nach der Stadtgründung das alte wendische Dorf von dem Großen Moor auf die Schelfe verlegt sei 62 ). Zugleich mit diesem Wendendorf auf der Schelfe bauten sich die Schweriner Domherren hier ihre Höfe 63 ). Diese Siedlungen und das Wendendorf sind die beiden Bestandteile, aus denen sich die spätere "Neustadt" entwickelte 64 ).


58) M.U.B. II, 1406.
59) M.U.B. I, 235. Vgl. W. Böttcher, Verbreitung des lübischen Rechts, S. 70.
60) M.U.B. II, 1766.
61) Beltz, Altertümer Mecklenburg-Schwerins, Schwerin 1910, S.381.
62) Vgl. Hübbe, Zur Topographie des alten Schwerin (M.J.B. 61, S. 13).
63) M.U.B. I, 486.
64) Über die "Neustadt" vgl. Jesse a. a. O. I, S. 45 ff.
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Danach ist die Entstehung der Neustadt ganz verschieden von der Gründung der Altstadt, die wahrscheinlich aus einer schon vor 1160 vorhandenen Kaufmannssiedlung erwachsen ist.